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04/21/23
Dr. Frauke Jahn
Absentismus und Präsentismus – zwei Seiten einer Medaille
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Schlagzeilen Mai 2010
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Zwei Seiten einer Medaille
Goldmünze Karl des Großen (www.kaiserpfalz-ingelheim.de)
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Wenn man näher hinschaut ...
15 Prozent der Gesamtproduktivität gehen aufgrund von krankheitsbedingtem Absentismus und Präsentismus verloren*
2/3 werden durch Präsentismus verursacht
nur 1/3 durch Absentismus
Einzelstudien belegen ein deutlich ungünstigeres Verhältnis von direkten zu indirekten Kosten
* Ergebnisse einer Metastudie (Fissler, 2008), in die auch das iga-Barometer 2007 eingegangen ist
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Wie unterscheiden sich die beiden Seiten der Medaille?
Absentismus ist das Fehlen des Mitarbeiters am Arbeitsplatz.
mögliche Gründe: Krankheit, fehlende Motivation, private Probleme
Fokus hier: krankheitsbedingter Absentismus
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Was unterscheidet Präsentismus von Absentismus?
Präsentismus heißt, dass Beschäftigte darauf verzichten, sich krank zu melden, obwohl sie sich krank fühlen und ein Arzt mit hoher Wahrscheinlichkeit Arbeitsunfähigkeit bescheinigen würde.
verschiedene Formen:
exzessive Arbeitshaltung, „sickness presenteeism“, ?
Fokus: krankheitsbedingter Präsentismus
„Nach einer Hochrechnung der Zeitschrift Advertising Age verbrachten im Jahr 2005 US-amerikanische Angestellte insgesamt 551.000 Mannjahre mit dem Lesen von Blogs während der Arbeitszeit.“
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Aber ...
nicht jede Erkrankung schränkt die Leistungsfähigkeit so stark ein, dass die betroffene Person arbeitsunfähig ist.
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Präsentismus darf nicht verwechselt werden ...
... damit, dass ein motivierter Arbeitnehmer seine Arbeit trotz vorübergehendem Unwohlsein (z.B. bei leichter Erkältung oder vorübergehenden, leichten Kopfschmerzen) fortsetzt.
... mit betrieblicher Wiedereingliederung, die eine frühere Wiederkehr unter angepassten Arbeitsbedingungen fördert oder
... wenn von Arbeitsruhe weitgehend abgeraten wird (z.B. bei Rückenschmerzen, psychischen Erkrankungen) bzw. wenn angeraten wird möglichst lange am Arbeitsplatz zu verweilen bzw. die Arbeitstätigkeit schnell wiederaufzunehmen.
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In welchem Zusammenhang steht Präsentismus?
Arbeitmarkt
Unternehmen
Beschäftigtelangfristige Faktoren (Konjunktur)
Unsicherheits-erfahrungen (Arbeitsplatz-unsicherheit)
Politik Gesellschaft
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Gibt es Parallelen zu Konjunktur und Arbeitslosigkeit?
Konjunktur und Krankenstand verlaufen prozyklisch.
„Ist die Wirtschaftslage und somit die Beschäfti-gungslage gut, steigt der Krankenstand tendenziell an. Schwächen sich Konjunktur und Arbeitsmarktlage ab und steigt die Arbeits-losigkeit, so sinkt in der Regel der Kran-kenstand merklich.“ (IAB Werkstattbericht 1/2002)
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Arbeitslosen- und KrankenstandsquoteQuelle: Biffl, 2002
In Deutschland „erklärt“ die Entwicklung der Arbeitslosenquote den Verlauf der Kranken-standsquote zu 74%, in Österreich zu 68%. Bei einem Anstieg der Arbeitslosenquote um 1 Prozent sinkt der Krankenstand um 0,4% in Österreich (lineare Regression, Biffl, 2002).
DeutschlandDeutschland ÖsterreichÖsterreich
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Wie bewerten Arbeitnehmer selbst den Rückgang der Krankmeldungen?
Befragung von 2000 Erwerbstätigen (2009, Sozialwissenschaftliches Umfragezentrum der Universität Duisburg-Essen im Auftrag des WIdO der AOK)
21,9
25
40,3
64,6
77,1
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Kranke Mitarbeiter wurden entlassen.
Die Unternehmen tun heute mehr für dieGesundheit ihrer Mitarbeiter
Die Mitarbeiter achten stärker auf ihre Gesundheit
Man muss mit Nachteilen rechnen, wenn man sichhäufiger krank meldet
Die Angst um den Arbeitsplatz führt dazu, dass mansich mit Krankmeldungen zurückhält.
Ja-Nennungen in %
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Wann tritt Präsentismus auf?
Bei schweren akuten Erkrankungen oder Verletzungen ist Präsentismus eher unwahrscheinlich.
Tritt vor allem im Zusammenhang mit
chronischen Erkrankungen, wiederkehrenden Erkrankungen (z.B. Allergien), chronischen Schmerzen (z.B. Kopfschmerzen) und psychischen Erkrankungen (z.B. Depressionen)
auf.
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Warum bei psychischen Erkrankungen?
Zunahme psychischer Erkrankungen (vor allem Depressionen und Angststörungen)
fehlende Akzeptanz als Fehlgrund
56 Prozent der Befragten haben große Bedenken, der Arbeit wegen einer psychischen Erkrankung fernzubleiben
nur jeder Fünfte glaubt, dass eine psychische Erkrankung als Ursache für das Fehlen am Arbeitsplatz genauso akzeptiert ist, wie eine körperliche Erkrankung
ca. 30 Prozent der Befragten glauben, dass sowohl Vorgesetzte als auch Kollegen „wenig Verständnis dafür haben, wenn ein Mitarbeiter wegen psychischer Probleme fehlt“
Quelle: DAK-Bevölkerungsumfrage (DAK-Gesundheitsreport 2005)
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Wie kann man Präsentismus „messen“?
WPAI - Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire
misst Absentismus, Präsentismus und Produktivitätsverluste einfaches, valides, reliables Instrument ist in 45 Sprachen verfügbar
iga-Barometer 2007 angewendet
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Ergebnisse aus dem iga-Barometer 2007
regelmäßige, repräsentative Erwerbstätigenbefragung
2000 Telefoninterviews Trends in der Arbeitswelt
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Gibt es Unterschiede im Auftreten von Präsentismus?
Beeinträchtigung der Arbeit bei Befragten mit Gesundheitsproblemen
(= 27 Prozent aller Befragten) in %
Fehlen wegen Krankheit (Absentismus)
Unproduktiv wegen Krankheit
(Präsentismus)
gesamt 15 59
Männer 22 63
Frauen 10 56
bis 29 Jahre 11 74
über 60 Jahre 36 50
Kleinunternehmen 5 60
mittlere Unternehmen 16 56
Großunternehmen 25 67
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Unterscheidet sich Präsentismus in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen?
Zok, 2004:
Der Anteil der Personen, die krank zur Arbeit gehen, ist in befristeten Arbeitsverhältnissen größer als in unbefristeten.
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In welchen Berufen tritt Präsentismus besonders häufig auf?
Beeinträchtigung der Arbeit bei Befragten mit Gesundheitsproblemen
(= 27 Prozent aller Befragten) in %
Fehlen wegen Krankheit (Absentismus)
Unproduktiv wegen Krankheit
(Präsentismus)
Landwirtschaft, Bergbau 15 62
Fertigungsberufe 20 57
Technische Berufe 24 64
Warenkaufleute und Banken 12 55
Büroberufe 12 55
Gesundheitswesen 10 57
Lehrer und Sozialarbeit 13 65
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Weitere Ergebnisse aus dem iga-Barometer?
Außerberufliche Aktivitäten aufgrund von Gesundheits-problemen stärker beeinträchtigt (35%) als berufliche Aktivitäten (21%).
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Wie verbreitet ist Präsentismus?
"Ist es in den letzten 12 Monaten vorgekommen, dass Sie ...
12,8
29,9
70,2
71,2
0 10 20 30 40 50 60 70 80
… zur GenesungUrlaub genommen
haben?"
… gegen den Rat desArztes zur Arbeitgegangen sind?"
… zur Genesung biszum Wochenendegewartet haben?"
… krank zur Arbeitgegangen sind?"
Angaben in %
Wie verhalten sich Arbeitnehmer im Krankheitsfall? (Fehlzeitenreport 2009)
N = 2000
Arbeitnehmer
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Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und Präsentismus
1. Befragung von über 4000 Beschäftigten in den Niederlanden (Ulbricht, 2006)
- 63% krank zur Arbeit
- geringe Belastungen 50%
- hohe Belastungen 90%
2. skandinavische Studie (Elstad, Vabo, 2008)
- niedrige Belastungen Absentismus und Präsentismus in moderater Höhe
- steigende Belastungen (z.B. Arbeitsintensität, Zeitdruck) Erhöhung von Absentismus und Präsentismus (Präsentismus nimmt deutlicher zu)
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Warum es gesund ist, ab und zu krank zu sein ...Risiken von Präsentismus
krank zur Arbeit zu gehen erhöht das Risiko an schweren Herz-Kreislaufstörungen zu erkranken innerhalb von drei Jahren um das Doppelte (Schweden; Sverke, Hellgren & Naswell, 2002)
mehr als fünfmalige Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz Krankheit in einem Jahr ist statistisch signifikanter Risikofaktor für über einmonatige Krankschreibungen im zweiten und dritten Folgejahr (VG-KG-Design; Schweden; Bergström, Bodin, Hagberg et al., 2009)
mehr als sechsmalige Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz Krankheit in einem Jahr erhöht das Risiko bereits im Folgejahr mehr als 2 Monate krankheitsbedingt zu fehlen um 74% (Dänemark; Hansen, Anderson, 2009)
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Wer/Was kann zur Reduktion von Präsentismus beitragen?
Politik/
Gesellschaft
Politik/
Gesellschaft
UnternehmenUnternehmen
BeschäftigteBeschäftigte
Stärkung des ArbeitsmarktesStärkung des Arbeitsmarktes
• Arbeitsplatzsicherheit• Unternehmenskultur• BGM/BGF*• Führungskräfte für Präsentismus
sensibilisieren
• Arbeitsplatzsicherheit• Unternehmenskultur• BGM/BGF*• Führungskräfte für Präsentismus
sensibilisieren
•MA hinsichtlich des Umgangs mit ihrer Gesundheit sensibilisieren
•Beschäftigungsfähigkeit verbessern•Nutzen von Lernchancen•Annahme von Angeboten der Gesundheitsförderung*
•MA hinsichtlich des Umgangs mit ihrer Gesundheit sensibilisieren
•Beschäftigungsfähigkeit verbessern•Nutzen von Lernchancen•Annahme von Angeboten der Gesundheitsförderung*
*Fehlzeitenreport 2009: Beschäftigte in Betrieben mit BGF melden sich häufiger krank, geben weniger gesundheitliche Probleme an und gehen weniger häufig krank zur Arbeit
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Fazit
1. Weniger Krankschreibungen bedeuten nicht unbedingt höhere Produktivität und bessere Gesundheit.
2. Präsentismus zeigt Langzeitfolgen für die Gesundheit.
3. Absentismus und Präsentismus lassen sich auch durch umfangreiche gesundheitsfördernde Maßnahmen nicht völlig vermeiden.
4. Aber: Vorgesetzte und Mitarbeiter können Arbeitsbedingungen so gestalten, dass krankheitsbedingte Leistungseinschränkungen akzeptiert und im Prozess der Arbeitsgestaltung berücksichtigt werden.
5. Damit lassen sich Absentismus und Präsentismus und die damit verbundenen direkten und indirekten Kosten verringern.
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www.herkendorf.de/das_letzte.htmwww.herkendorf.de/das_letzte.htm