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DEUTSCHES ALLGEMEINES SQNNTAGSBLATT - NR.29 - 17. JULI 1995 POL IT I K UND WIRT SCHAFT . 13__ ~_wr-=;;~~;:Y.~:r""'=~" ~=-'!."!~~"""""""'~~_'.--:~·~~:iiS·~"'1'~=,:,:"~;e<;""'.:<·;1t'm,:.,..~it!Oi~ol'==~~~~~""-'~~~~~~_~:mn __ =~1!:(,<lf~,",

11 Asyl 11

Angst vordem Blut

Eva Carnara kommt aus Guinea. Sie floh vor ihrerBeschneidung. Wird sie in Deutschland bleiben können?

VON ASTRID PRANGE

• Sie wollte ihr Leuen selbst in dieHand nehmen. Wenigstens ein ein-ziges Mal. Doch in dem kleinenwestafrikanischen Land Guineawird das Leben einer Frau von Fa-milie und Tradition bestimmt. Undgcnau davor ist die 26jährige EvaCamarä auf der Flucht. Familieund Tradition sind für sie nichtgleichbedeutend mit Geborgenheitund Anerkennung. sondern mitdemütigender Mehrehe und grau-samer Genttalverstümmelung.

Die Flucht ist der Asylbewerbe-rin gelungen. Im Mai vergangeneuJahres landete sie mit einer Ma-schine aus Moskau auf dem Ber-liner I'lughafcn: Zur Zeit teilt siesich mit einer Flüchtlingsfrau JUS

R.lI~nda ein Zimmer im Asyleewer-bcrhcim in Prcicnohl, einem Vorortder idyllischen Stadt Mcschcdc imSauerland.

Doch auch nach der Flucht kannsie ihr Leben nicht selbst in dieHand nehmen. Seitdem ihr Asyl-;\I1(rag arn 16. Juni 1997 als MOr-rensichtlich unbegründet" abgc-lehnt wurde. hängt sie vom Wohl-wollen der Ausländerbehörde desHochsauerlandkreises ab. die ihreAbschiebung aussetzen kann -oder auch nicht.

.Jch war nicht glücklich in Gui-nca": Eva Camara untertreibt.Überall um sie herum wurde ge-ruschelt. erzählt sie. Sie formt ihreFinger zu einer Schere und reibtsie hin und her. .Dicsc Frau istnicht sauber. sie ist unrein. sie istnicht beschnitten." Das verachten-de Wispem und Flüstern klingt ihrbis heute in den Ohren.

Sie weiß: Sie kann niemals mehrin ihre Heimat zu ruck. es sei denn.sie läßt eine Beschneidung übersich ergehen. Bei dieser Zeremoniewerden sämtliche äußerliche Ge-schlechtsteile weggeschnitten unddie Vagina bis auf eine kleine Öff-nung zugenäht. Kurz vor derHochzeit wird dir Naht mit einemMesser aufgeschlitzt.

Ihre Schwester Mariamist verblutet

Eva Camara hat Angst davor. Siewehrt sich. im Alter von 26 Jahrennoch unter das Messer einer deralten Frauen zu kommen. die aufden Dörrern die Bcschncidungcnvornehmen. Sie hat Ang-st. genau-so zu verbluten wie ihre ältereSchwester Madam. die im Altervon zehn Jahren an den Folgendes peinigenden Rituals starb. Da-mals schwor ihre Mutter. daß nie-mand in der Familie mehr be-schnitten werden sollte. undschützte ihre jüngere Tochter Evamit der Notlüge. sie sei schon opc-ricrt worden.

Doch zehn Jahre später. 1987.verunglückten bcidc Eltern bei ei-nem Verkehrsunfall, Eva Camarä,damals 15 Jahre alt. kam in dieObhut eines väterlichen Freundes..Bcim Spielen mit einer Freundinhabe ich mich verplappert". gibtsie zu und schlägt die Augen nie-

der. Als der Vormund sie mit ei-nem 70jährigen Mann verheiratenwollte. der bereits drei andereFrauen hatte. bestand er auf derBeschneidung. Eva aber fleh. EineNachbarin hatte ihr Visum undFlugticket besorgt. ..Auch wenn icheinen anderen Mann finden würde,der aus Liebe zu mir auf die Ope-ration verzichtete.' seine Familiewürde auf der Operation beste-hen". weiß Eva Camarä. Und allei-ne als Frau in Guinea zu leben.dies sei selbst in der HauptstadtConakry unmöglich.

Doch ist alleine leben inDeutschland möglich für eine An-gehörige der ethnischen Gruppeder Malinke, die niemals im Lebeneine Schule besucht hat? Immerhinspricht Eva Carnara für eine An-alphabetin viele Sprachen: ihreMuttersprache Malinkc, Franzö-sisch und Deutsch. Die deutschenSprachkenntnisse hat sie sich mitHilfe einer Lernkassette angeeig-net. .Ich glaube. ich habe Talent".meint sie ... Deswegen möchte ichmindestens schreiben und lesenlernen."

Wenn Eva Carnarä wieder ein-mal nicht mehr weiß. wohin sienoch fliehen soll. flüchtet sie sichin ihre Tränen. Ingrid Schürtemannvom Diakonischen 'Werk. die sichder Flüchtlinge in Meschcdc undUmgebung annimmt. hat Mitleid.Sie vermittelt Rechtsanwälte. fülltAnträge aus und schreibt Petitio-nen.

Für Eva Carnarä hat sie sich anden Petitionsausschuß des Land-tags von Nordrhein-westfalen ge-wandt. Mit Erfolg, Noch der Som-merpause werden die Mitgliederdes Ausschusses Eva Camara inMcschedc besuchen und sie per-sönlich zu den Gründen ihrerFlucht befragen, Bis dahin. sohofft Flüchtlingsbcratcrin Schüne-mann. wird die Abschiebung aus-gesetzt. Doch beim Ausländeramtin Meschedc ist man sich da nichtso sicher: .Dic Einrcichung einerPetition entfaltet keine aufschie-bende Wirkung. so daß ein anhän-giges Petitionsverfahren keinrechtliches Abschiebungshindernisdarstellt", informierte die Behördeschriftlich.

Seitdem ihr Asylantrag abge-lehnt wurde, wird Eva Carnara aufdiese Art und Wcisejede Woche er-neut von der Ausländerbehörde zurAusreise aufgefordert. "Nur ein Be-amter sagt guten Tag, die anderengucken mich komisch an. und dunnbekomme ich Angst". erklärt sie.

ihren Paß? Den habe sie ver-loren. Sie will auch keine Ehren-erklärung unterschreiben. um ei-nen Paßersatz von der guineischcnBotschaft in Bonn zu erlangen.Deshalb wurde sie zu einer Geld-strafe von 450 Mark verurteilt.Wer keinen Paß hat. kann längerbleiben - diese Absonderlichkeitdes deutschen Asylrechtes hilft derGuineerin. Vorläufig: .•Sie weiger-ten und weigern sich, an der Be-schaffung eines Paßersatzpapieresmitzuwirken. um so die Abschic-

Beschneidung in Afrika: ein barbarisches Ritual

bung zu vereiteln". heißt es zurBegründung im Strafbefehl desAmtsgerichts Mesohede.

Doch Plüchtlmgsbcratcrin Schü-ncmann giht nicht auf: MWCIIIl diePetition nichts bewirkt, kann sieimmer noch Asyl in den USA oderKanada beantragen". erklärt sie. Indiesen Ländern wird drohende Ge-nitalvcrstümrnclung als Asylgrundanerkannt. Schüncrnann hat heimHohen Elüchtlingskornrnissariatder Vereinten Nationen {UNflCRIbereits einen entsprechenden An-trag; gestellt. Als ehcm;\li~('sPlüchtlingsk ind aus Ostpreußenhat sie einen Blick für die ..retten-den Lücken". Mit einer positivenBeurteilung vom UNHCR bekommtEva Carnara wahrscheinlich eineentsprechende Aufenthaltserlaub-nis für die Vereinigten Staaten.

Ob es Eva Camara einmal ähn-lich ergehen wird wie dem Foto-

modelt Waris Dirie aus Somalia?Auch sie floh vor der Ehe miteinem alten Mann. an den ihr Va-ter sie verkauft hatte. Heute istWaris Diric 28 Jahre alt. lebt alsTop-Model in Ncw York und ziehtals Botschaftcrin des guten Willensfür die Vereinten Nationen durchdie ganze Welt, um die massen-hafte Beschneidung von Frauen zubekämpfen.

Noch eine letzteHoffnung

130 Millionen Frauen sind an ih-ren Genitalien bereits verstümmeltworden. Jährlich kommen zweiMillionen hinzu. .Dic Beschnei-dungjunger Mädchen ist selbstver-ständlich für alle", erklärt Abouba-car Souar. Dozent für Soziologiean der Universität von Conakry in

Guinea, der zur Zeit an der FreienUniversität in Bctlin promoviert._Wer sich ihr widersetzt. begehtsozialen Selbstmord." Für dieVolksgruppe der Malinke, zu derauch Eva Camara gehört. sei dieBeschneidung eine Vorbedingungder Heiratsfähigkeit. AboubacarSouar: ..Die schwerwiegenden Fol-gcn werden okkulten, unheilvollenMächten zugeschrieben."

Der Bundestag hat die sexuelleVerstümmelung am 17. Juni alseine ..schwerwiegende Menschen-rcchtsverletzung" geächtet. Parla-mentarier aller Parteien empfahlenin der Praxis ein Aufenthaltsrechtfür Frauen, denen die Genitalver-stümmclung droht. Daß die Aus-länderbehörde des Hochsauerland-kreises dieser Empfehlung - dierechtlich allerdings nicht bindendist - folgt. ist die letzte Hoffnungvon Eva Carnara.

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