Atemtherapie AFA® - palliative-geriatrie.de · Symbolische Beschreibungen des Atems Atem als...

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☼ Alles Leben ist Bewegung ☼

Atemtherapie AFA®

Atem- und Körpertherapiein der palliativen Begleitung hochbetagter

Menschen

Angela Winau

10. Fachtagung Palliative Geriatrie Berlin 9.10.2015

Übersicht

1. Grundgedanke

2. Schnittstellen

3. Zentrale Konzepte der Atemtherapie

4. Therapeutische Praxis, Spannungsphänomene

5. Erfahrungsbericht, Fallbeispiele

6. Ausblick

Symbolische Beschreibungen des Atems

Atem als Lebensprinzip

● lat. animus/anima, spirare- atmen

● indisch – atman

● hebräisch – ruach – Wind, Atem

● Inspiration – nicht nur körperlich, sondern auch geistiger Vorgang

● Ausdruck von Belebtheit

● Stimme ist tönender Ausatem, geformter Klang

● Kommunikation, verbal, non – verbal

● Berührung stiftet Beziehung

● Qualität von Berührung – begleitend, schützend, stützend, fragender Kontakt, empfindsam, fein, gütig, zart, aufmerksam

● berührende Hand → Ordnung, Menschlichkeit, Achtsamkeit

● Geben – Nehmen

● Loslassen – Aufnehmen

● Entspannung – Spannung

● Abwehr – Kontakt

● Distanz – Nähe

● Beengung – Freiheit

● Leere – Fülle

● Leben – Tod

(Roller 2007 : 146)

1. Grundgedanke

● Ganzheitlicher Ansatz

→ holistisches, humanistisches Menschenbild

→ Ressourcen, Entwicklung

● Mehrdimensionale Betrachtung des Atems in Bezug zu palliativer Pflege, palliativer Therapie

◦ physisch ◦ psychisch ◦ spirituell ◦ sozial

◦ kurativ ◦ rehabilitativ ◦ palliativ

● der ganze Mensch, sein Erleben, individuelle Lebenssituation, Bedürfnisse erkennen

Gefühl

Gedanken

Physiologie

Verhalten

Situation

Patient/Klient/Gast - Angehörige - Therapeut - Team - Organisation

1. Grundgedanke

Atem- und Körpertherapie

● ermöglicht Kontakt über Berührung und Atem

● stabilisiert bei Angst und Atemnot

● lässt Momente körperlicher und seelischer Ausgeglichenheit erfahren

● unterstützt durch Sicherheit im eigenen Atem- und Körpererleben

● kann den Sterbeprozess begleiten

2. Schnittstellen

● Massage

● Physiotherapie

● Logopädie

● Basalen Stimulation

● Ergotherapie

● Fachpflege, Palliative Care, Symptomkontrolle, Teamarbeit, Unterstützung der Angehörigen, Kommunikation und Begegnung

● Die Grenzziehung zu anderen therapeutischen Verfahren und zum psychologischen Verständnis ist fließend

3. Zentrale Konzepte - Gehirn

Atmung

als einzige vegetative Funktion

(unbewusst gesteuert = unwillkürlich) und

dem bewussten Willen zugänglich (= willkürlich)

● gesteuert vom Atemzentrum (formatio reticularis)

im verlängerten Rückenmark (medulla oblongata)

● das Atemzentrum ist Schalt- und Durchgangsstelle aller vom Gehirn zum Rückenmark und umgekehrt führender Nervenbahnen (efferente/afferente Bahnen)

3. Zentrale Konzepte - Gehirn

3. Zentrale Konzepte - Gehirn

● Körperliche, seelische, geistige Prozesse drücken sich direkt im Atemrhythmus aus

3. Zentrale Konzepte - Tonus

● bezeichnet den Spannungszustand der Muskulatur

● in quergestreifter Skelettmuskulatur und glatter Muskulatur der inneren Organe

● Muskelspannung wird durch Propriorezeptoren wahrnehmbar

● diese befinden sich in den Skelettmuskeln, Sehnen, an und um den Gelenken

● sie wandeln Reize in Nervenimpulse um und diese werden an das Rückenmark und das Gehirn weitergeleitet

● bewusst wahrgenommene Empfindung wird so ermöglicht

3. Zentrale Konzepte - Entspannung

● Tonusregulation

vollzieht sich auf physiologischer und psychischer Ebene

Folgende Wirkungen sind von Bedeutung:

Veränderungen

→ Neuromuskulär → Kardiovaskulär

→ Respiratorisch → Elektrodermal

→ Zentralnervös → Psychisch

3. Zentrale Konzepte – VNS

Vegetatives Nervensystem

● Sympathikus (thorakolumbales System)

und

● Parasympathikus (kraniosacrales System)

→ Ein antagonistisches Regelsystem

→ vegetative Selbstregulation

3. Zentrale Konzepte - Atemmuskeln

Zwerchfell = diaphragma

● Innervierung über nervus phrenicus

● steht bei der Ein- und Ausatemphase in Wechselbeziehung zu den Körperwänden und Organen des Bauchraumes, sowie zur Beckenbodenmuskulatur (diaphragma pelvis)

● Intercostalmuskeln (Zwischenrippenmuskulatur)

● Atemhilfsmuskulatur (Assistenten des Zwerchfells)

● Einatem: musculus pectoralis minor/major (Brustmuskel), musculus sternocleidomastoideus (Kopfwender)

● Ausatem: musculus lattisimus dorsi (großer Rückenmuskel)

3. Zentrale Konzepte - Nase

● Natürliche Verengung (Stenose) bewirkt Strömungswiderstand, der mit der Zwerchfell- Bewegung korrespondiert

● Nasenatmung = Zwerchfellatmung

3. Zentrale Konzepte - Atembewegung

Atembewegung

● das den Körper durchschwingende, raumhafte Weiten- und Zurückschwingen in dreidimensionaler Weise:

● vertikal, sagittal, horizontal, diagonal

● Bewegungsrichtungen entsprechen den Körperachsen

● Inspiration (Einatem), Exspiration (Ausatem) und Atemruhe bilden den Atemrhythmus

● Atemrhythmus hat diagnostische Aussagekraft

→ Atembild, Körperbild, Atemmuster, Atemqualität

● Diagnostik dient der Orientierung im atemtherapeutischen Prozess

3. Zentrale Konzepte - Atembewegung

Atembewegungsraum

● unterer (Füße, Beine, Becken mit Nabel, Atempulspunkt)

● mittlerer (zwischen Nabel und Brustbeinspitze)

● oberer (umfasst den Brustkorb oberhalb der Brustbeinspitze, Schultergürtel, Arme, Hände bis in die Fingerspitzen, Hals und Kopf)

● innen (Körperwände, Innenraumbewusstsein)

● außen (personale Umgebungs- Enge und - Weite)

Ausatembewegungs- Richtungen

● absteigend, aufsteigend, horizontal

4. Therapeutische Praxis

● Therapieplanung, Verlaufsdokumentation

● Kurzbericht, Fallbesprechung

● Einzel- und Gruppenarbeit

● Co- Therapien

● ethische Fallbesprechung

● Integration der Angehörigen

● Verständnis für Atemphänomene

● Umgang mit existentieller Angst

● Mitgestaltung der Sterbebegleitung

● Intervision, Supervision

4. Therapeutische Praxis

Das Ziel des therapeutischen Handelns ist die zugelassene, bewusste

Atembewegung über

● Muskeltonusregulierende Bewegungen und Berührungen, Gelenkmobilisationen

● Atemraumgebende Erfahrung durch Dehnungen, vegetativer Ausgleich

● Selbstakzeptanz, den eigenen Körper in seiner Veränderung anzunehmen

● Streichungen, Knetungen, Rotationen, Druck und Dehnungen

● Vibrationen, Klopfungen

● Druckpunkt-Arbeit

● Arbeit über Vokale und Konsonanten, Umlaute, Silben

● taktile Berührung

● Einsatz von Musik und Klang, Klangarbeit mit Obertoninstrumenten z.B. Körpertambura

Totale Dyspnoe

spirituelle Dyspnoe

psychischeDyspnoe

sozialeDyspnoe

physischeDyspnoe

4. Spannungsphänomene

Dyspnoe

● Fachkompetenz Onkologie, Kardiologie, Pneumologie

● als kontinuierliches Geschehen, Husten, Schluckauf, Sekretverhalt, paradoxe Atmung

● Dyspnoeepisode/attacke

● Dyspnoe und Angst/Todesangst, Müdigkeit

● duales Phänomen: Wahrnehmung der Atemnot und Reaktion auf diese Atemnot

● refraktäre Atemnot, bei Progredienz der Grunderkrankung

➢ Individuelles Assesmentgespräch, coping - Strategien

➢ Seins- und Handlungskompetenz, Ressourcen

➢ Selbstanleitung, Autonomie

➢ pflegerische Intervention, prophylaktische Maßnahme

➢ körperliches Training, Entspannung, ASE, Fußmassage, Kontaktatmung, Lagerung, dosierte Lippenbremse

➢ Übertragung unbedingt vermeiden, weniger ist mehr, Ausatem fördern, Ausatem hörbar machen, Fenster auf, weite Kleidung, Handventilatoren

➢ Hand gibt Halt, eindeutig und sicher, nicht allein lassen

terminales/finales Rasseln

● bei bewusstseinsreduzierten oder bewusstlosen Menschen aufgrund der Ansammlung von Schleim und Speichel wegen des fehlenden Schluck- un/oder Hustenreflexes (Nagele und Feichtner 2012 : 132)

● Typ 1 : durch Speichelproduktion, Typ 2 durch bronchiale Sekretion, 60 -90 % der sterbenden Menschen

● Umfeld ist durch Geräusche stark in Mitleidenschaft gezogen, Angehörigenarbeit

➢ Halbseitlagerung, Kopflagerung zum Abfließen des Sekrets, Mundpflege mit Stäbchen, Absaugen vermeiden

Cheyne-Stokes Atmung

● crescendo - descrescendo – Apnoephase

● oftmals bei Sterbenden vorkommend

Der letzte Atemzug● Veränderung der Atmung nicht gleichbedeutend mit Dyspnoe, natürliche Veränderungen

● Atempausen nehmen zu, Geruch, Geräusch, Tachypnoe, Bradypnoe

● Nicht mit dem Atem des Sterbenden mitschwingen wollen, bewusst "erden"

● Atmend bin ich in der Welt, ausatmend gehe ich aus dieser Welt

● Stille, Besonderheit in diesem Moment zulassen, Rituale

● Sterbende und ihre Angehörigen im Wandlungsprozess unterstützen, Mitgestaltung, Trauerarbeit

● Geheimnis des Lebens, Großer Rhythmus des Lebens von "Werden – Sein – Vergehen"

"Einfach Dasein Einfach mitfühlend sein Einfach Dasein

in der Begleitung von Sterbenden angesichts des Todes Sterbenden zärtlich begegnen

nichts mehr tun müssen die Tränen fließen lassen einander zum Loslassen bestärken

miteinander dem Atemfluss folgen im schmerzvoll-befreienden Aufatmen Dankbarkeit und Schmerz teilen"

(Stutz 2004: 163)

4. Spannungsphänomene

4. Therapeutische Praxis

● Arbeit an den Körperwänden, Körpergrenzen

● Erfahrung des Atemflusses in allen Körperräumen

● Wahrnehmung und Durchlässigkeit der Atembewegung

● Raumerleben, Raum geben und nehmen

● Inneren Halt spüren, Tragen lassen, Vertrauen, zulassendes Prinzip

● Aus dem Körpererleben können die Gesprächsinhalte kommen

● Selbstannahme, Hoffnung

● Sterben, im Sterbeprozess ausatembetont arbeiten, Atemruhe als friedlicher,

"heiler" Ort

● Lösungsaspekt

5. Erfahrungsbericht

Vitalkapazität 7 %

Gefühl der Gefangenschaft im Körper. Jede Therapie der Atemtherapeutin ist wie eine Befreiung aus dieser Gefangenschaft. Ein Gefühl als ob mir Flügel wachsen, als ob meine Gliedmaßen, mein Körper in einen Schwebezustand versetzt werden. Ich empfinde besonders die mich entspannenede Musik, die mich in tiefe Inspiration versetzt, dazu der Rhythmus der Hände der Therapeutin verstärkt das Gefühl der Atem wird angelockt und eine wohlige Wärme durchdringt meinen Körper. Betonen möchte ich die Berührung der Hände, die verstehen ---- die meine Spastik zu nehmen wissen und mir diese Glücksmomente verschaffen.

Ich fühle mich verzaubert, weil ich das Gefühl habe meine Körpermitte, die Balance wiederzufinden.

Außerhalb der Therapie versuche ich das Vermittelte in Anwendung zu bringen. Gelingt mir selten. Wünschenswert wäre tägliche Therapie.

(Geschrieben im Dez. 2008 mit einem Augenlidgesteuerten PC, Patientin 67 Jhre, erkrankt an ALS)

5. Fallbeispiele

● Herr P., geb. 1924, allein lebend, Rezidiv Larynxkarzinom, nach Larynxteilresektion 2011, Sigmakarzinom mit Resektion 2013, chron. Herzinsuffizienz, Trikuspidalinsuffizienz, pulmonale Hypertonie, Schrittmacherimlantat 2012, Vorderwandinfarkt 1982, chron. Niereninsuffizienz Stadium III, benigne Prostatahyperplasie

● Frau U., geb. 1933, verwitwet, Schlaganfall im Gebiet des Atemzentrums,Tachyarrythmia absoluta mit VHF, Z.n. Aspirationspneumonie, depressive Episode, Lungenarterienembolie (2013), Z.n. Vigilanzschwankungen, Hirnorganisches Durchgangssyndrom

● Herr C., geb. 1928, Lebensgefährtin, frontotemporale Demenz und milde Motoneuronerkrankung Symptombeginn 2010, DD: Demenz vom Alzheimer-Typ oder ALS, Parese des rechten Armes proximal gering- mittelgradig

● Herr K, geb. 1937, verheiratet, Z.n. schwerem Unfall mit SHT (2010), ICB, Wachkoma, mcs, nach vier Jahren entscheidet die Familie bei zunehmender Ileus- Problematik sich gegen eine Operation und für das Einleiten des Sterbeprozesses

6. Ausblick

Atem- und Körpertherapie

● als Bindeglied / Brücke zwischen psychosozialer und spiritueller Begleitung

● Medizin und Psychologie müssen ihre Lehre von der Endlichkeit , vom Sterben und Tod her begründen und aufbauen (Yalom, Zieger)

● "Atem, das wird in der Erfahrung häufig deutlich spürbar, kann den Menschen von der unbewusst sich vollziehenden körperlichen Funktion des Gasaustausches in spirituelle Höhen führen. Und es ist vielleicht diese spirituelle Potenz des Atems und die Sehnsucht des Menschen an seinem Lebensende nach Ganzwerdung, nach Sinn und Transzendenz, die die Atemtherapie als besonders geeignet auf Palliativstationen und in Hospizen erscheinen lässt."

(Malanowski 2012 :146)

angela.winau@yahoo.de

atemtherapie-berlin.com