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Aufmerksamkeitsdefizithyper-aktivitätsstörung (ADHS)

Prof. Dr. med. Michael GünterKlinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Wintersemester 2018/2019

"Ob der Philipp heute stillWohl bei Tische sitzen will ?"Also sprach in ernstem TonDer Papa zu seinem Sohn,Und die Mutter blickte stummAuf dem ganzen Tisch herum.Doch der Philipp hörte nicht,Was zu ihm der Vater spricht.Er gaukeltUnd schaukelt,Er trappeltUnd zappeltAuf dem Stuhle hin und her."Philipp, das missfällt mir sehr !"

© 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter

Seht, ihr lieben Kinder, seht,Wie's dem Philipp weiter geht !Oben steht es auf dem Bild.Seht! Er schaukelt gar zu wild,Bis der Stuhl nach hinten fällt;Da ist nichts mehr, was ihn hält;Nach dem Tischtuch greift er, schreit.

Doch was hilft‘s? Zu gleicher ZeitFallen Teller, Flasch' und Brot.Vater ist in großer Not,Und die Mutter blicket stummAuf dem ganzen Tisch herum.

© 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter

© 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter

MSSBMcArthur Story Stem Battery

Familienvergnügen mit verletztem Kind

Die Geschichten:Aufwärmgeschichte Geburtstagsfeier1. Ausflug in den Park2. Barny suchen3. Der verlorene Schlüssel4. Was ist mit dem/der

Freund/in los?5. Die heiße Suppe6. Familienvergnügen mit

verletztem Kind7. Das Meerschweinchen

frisst nicht8. Das Monster in der

Dunkelheit9. Neue Nachbarn

Tübingen-Basel-Wien Version: Günter et al., 1999

© 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter

Leitsymptome

Beginn vor dem 6. Lebensjahr

• Mindestens in zwei Lebensbereichen

- Vorherrschend unaufmerksamer Subtyp- Vorherrschend hyperaktiv-impulsiver Subtyp- Gemischter Subtyp

„Zusatzsymptome/Comorbidität“ extrem vielfältig (es gibt Listen mit über 100) u.a.- Störung des Sozialverhaltens/Dissozialität/Substanzmissbrauch- Erregbarkeit- Distanzlosigkeit- Niedriges Selbstwertgefühl- Aggressive/depressive Störung

Definition I

1. Unaufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstörung, Ablenkbarkeit)2. Überaktivität (Hyperaktivität, motorische Unruhe)3. Impulsivität

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Mangel an Ausdauer und Konzentration, Abbruch bei Beschäftigungen Häufiger Wechsel von einer Tätigkeit zur anderen Ablenkbarkeit (durch externe Stimuli) Unfähigkeit, die Aufmerksamkeit zu teilen

Mangelnde Aufmerksamkeit für Details Hört oft nicht zu Verliert oft Dinge Ist vergesslich

Definition II

Leitsymptome(jeweils extrem ausgeprägt im Verhältnis zu gleich alten Kindern)1. Unaufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstörung, Ablenkbarkeit)

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Zappelphilipp Desorganisierte, überschießende Aktivität Kann nicht stillsitzen, steht oft auf Exzessives Rennen oder herumklettern Ausgeprägte Redseligkeit, Lärmen Schwierigkeiten still zu sein

Mangel an normaler Vorsicht und Zurückhaltung Unfallneigung Regelverletzungen aus Impulsivität Distanzlosigkeit gegenüber Erwachsenen Platzt mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist Geht nicht auf andere ein Kann nicht warten, bis er/sie an der Reihe ist (im Spiel, in Gruppen)

Definition III

2. Überaktivität (Hyperaktivität, motorische Unruhe)

3. Impulsivität

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Lineare Modellvorstellungen

Soziales/Beziehungsmodell

Medizinisch-genetisches Modell

Neurotransmitter

Verhalten MedikationGenetik

SomatischeSchädigung

Psychosoz.Schädigung

Traumatisierung Verhalten

Pädagogische/therapeutische Interventionen

Umwelt

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Folgendes ist kein typisches Symptom einer ADHS:

A)AblenkbarkeitB)motorische UnruheC)autistischer RückzugD)DistanzlosigkeitE)Verkennen von Gefahren

Richtige Antwort: C

Multifaktorielle Störung (Biederman & Faraone 2005, Tannock 1998)

Neurobiologische FaktorenGenetisch-Transmitterstörung (Dopaminsystem: z.B. Dopamintransporter (Schimmelmann et al. 2006),Noradrenalinsystem, Zusammenwirken mehrerer Gene, RR ca. 1, 2-2)- Temperamentsfaktor (Levy et al. 1997)

Schädigungsbedingt- Rauchen während der Schwangerschaft- Alkoholkonsum, Benzodiazepinkonsum während der SS, bei Fetalem Alkoholsyndrom 90% ADHD- chronisch hypoxische Zustände, Geburtskomplikationen und niedriges GG- Chronische (subklinische) Bleiintoxikation, Infektionen

Ätiologie I

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Neurobiologie der Aufmerksamkeitssteuerung im Gehirn

Aus: Schulte-Markwort und Zinke 2005, modifiziert nach Himelstein 2000

Blaue Linien vermitteln die dopaminerge Steuerung, orange Linien die noradrenerge Steuerungder Aufmerksamkeit

vorderes Aufmerk-samkeitssystem

hinteres Aufmerk-samkeitssystem

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Darstellung der Wirkung von MPD im Gehirn

Ausgangspunkt: Erhöhung des Dopamintransporters(mittlerweile fraglich als ätiologischer Mechanismus)

Darstellung der Verminderung der Rezeptorverfügbarkeit im Striatum durch Methylphenidatmittels Applikation von 11C-raclopride

Volkow et al. 2005

Mechanismus: MPD bindet an DAT und verdrängt Dopamin höhere Konzentration von DA niedrigere Rezeptorverfügbarkeit

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Psychosoziale Faktoren

-Fernsehkonsum im Kleinstkindesalter (Christakis et al. 2004)

- niedriger Sozialstatus (Hjern et al. 2010, Medikamenteneinnahme abhängig von Sozialhilfeempfänger 3fach, Bildungsstatus der Mutter 3fach, alleinerziehend 2fach, Psychische Erkrankung der Eltern 2,5fach)

- dagegen West Virginia: weiße Schuljungen 33% Prävalenz! (Le Fever et al. 1999)-- schwere familiäre Konflikte, väterliche Kriminalität, psychische Störungder Mutter, Fremdplatzierung (Biederman et al. 1995)

- frühkindliche Traumatisierung, Deprivation, Misshandlung, Missbrauch

Ätiologie II

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Ätiologisch können bei der ADHS folgende Faktoren eine Rolle spielen:

1 Temperamentsfaktoren2 Rauchen während der Schwangerschaft3 Schwere Deprivation im Kleinkindesalter4 Drogenkonsum in der Adoleszenz5 Fernsehkonsum

A)1, 2, 3 und 5 treffen zuB)2, 3 und 4 treffen zuC)alle treffen zuD)1, 2 und 5 treffen zuE)1, 3 und 5 treffen zu

Richtige Antwort: A

Neurotransmitter

Verhalten MedikationGenetik

SomatischeSchädigung

Komplexeres interaktionelles Modell

Psychosoz.Schädigung

Traumatisierung Verhalten

Pädagogische/therapeutische Interventionen

Umwelt

NeuronaleNetzwerke

Epi

gene

tisch

e P

roze

sse

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„Neurodarwinismus“ –Entwicklungsselektion, Erfahrungsselektion, Reentrant Mapping

Edelman, 1992

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Neurotransmitter

Verhalten MedikationGenetik

SomatischeSchädigung

Vermittelnde Variablen und aktuelle

Psychosoz.Schädigung

Traumatisierung Verhalten

Pädagogische/therapeutische Interventionen

Umwelt

NeuronaleNetzwerke

Comorbidität >50%

Mentale Repräsentationen

Interaktion Therapeutische Beziehung

MotivationAffektsteuerung

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1. Vorsicht: ADHS ist wegen seiner vielfältigenSymptomatik ein kinderpsychiatrischer „CircusBarnum“

2. Syndrom mit vielfältiger, „biopsychosozialer“, bishernur teilweise geklärter Ätiologie und Pathogenese

3. Häufig „Komorbidität“ mit emotionalen Störungen,Störungen des Sozialverhaltens,Teilleistungsstörungen

Konsequenzen I

Umfangreiche mehrstündige Diagnostik auf verschiedenen Ebenen erforderlich, zusätzliche detaillierte Abklärung:

Emotionale StörungenStörungen des Sozialverhaltens

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Exploration der Familie und Exploration und Untersuchung des Patienten hinsichtlich Auftreten Variabilität der Leitsymptome Ungünstiger Temperamentsmerkmale im Säuglingsalter und Beginn der Störung Verlauf der Symptomatik psychosozialer und emotionaler Belastungsfaktoren Vorhandensein emotionaler oder anderer Störungen

Informationen von Kindergarten oder Schule hinsichtlich Einschätzung, Häufigkeit, Intensität und Variabilität der Symptomatik gegebenenfalls Lern- und Leistungsstörungen Hinweisen auf psychosoziale BelastungenErgänzend kann ein Fremdbeurteilungsbogen (z.B. FBB-HKS ), der jeweils von Eltern und

Lehrern ausgefüllt werden kann, vor allem im Lehrerurteil wertvolle Zusatzinformationen liefern.

Intelligenz, Entwicklungs- und Leistungsdiagnostik In der Regel ist eine zumindest orientierende Intelligenzdiagnostik erforderlich, um Überforderungen oder Unterforderungen auszuschließen. Bei Hinweisen auf Teilleistungsstörungen oder sonstige Leistungsproblemen ist eine umfassende Leistungsdiagnostik notwendig. Bei Vorschulkindern ist eine umfassende Entwicklungsdiagnostik, vor allem auch der psychosozialen Entwicklung erforderlich.

Diagnostik bei ADHS I

© 2019 – Prof. Dr. med. Michael Günter

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Weitere testpsychologische Diagnostik Ergänzend können testpsychologische Untersuchungen zur Aufmerksamkeit (z. B. TAP, Aufmerksamkeitsbelastungstest) zusätzliche Hinweise geben. Das testpsychologische Ergebnis darf niemals alleine zur Stellung der Diagnose verwendet werden.

Somatische Diagnostik Neurologische Untersuchung zur Abklärung von Beeinträchtigungen. gegebenenfalls EEG- bzw. MRT-Untersuchung, wenn Hinweise auf eine hirnorganische Komponente oder auf ein Anfallsleiden vorhanden sind, EEG-Untersuchung insbesondere dann, wenn eine medikamentöse Behandlung mit Amphetaminen geplant ist. Bei Planung einer medikamentösen Behandlung allgemeine körperliche Untersuchung u.a. im Hinblick auf mögliche Kontraindikationen und unerwünschte Wirkungen (z.B. Wachstumsverzögerung)

Diagnostik bei ADHS II

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4. Methylphenidat hat bei ca. 70% der betroffenenKinder eine unspezifische! Wirkung auf Hyperaktivitätund Aufmerksamkeit, nicht jedoch auf Impulsivität,Sozialverhalten, emotionale Störung

Konsequenzen II

Alleinige Gabe von Methylphenidat ist daher in der Regel nicht zulässig

Auslassversuche 1x jährlich mit Fremdbeurteilung sind notwendig; genaue Verlaufsbeobachtung hinsichtlich der Entwicklung expansiver od. emotionaler Störungen ist erforderlichElternberatung, Selbstmanagementtraining bei einfachen Fällen; Ergotherapie, Psychotherapie, evtl. stationäre Behandlung bei Komorbidität

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ADHS ist ein Risikofaktor für:

1 Schulversagen2 Störung des Sozialverhaltens3 Schizophrenie4 Depressive Störungen5 Drogen- und Alkoholkonsum in der

Adoleszenz6 Persönlichkeitsstörungen

A)alle treffen zuB)keines trifft zuC)1, 2, 5 und 6 treffen zuD)1, 3, 4 und 5 treffen zuE)1, 2, 4, 5 und 6 treffen zu

Richtige Antwort: E

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Prof. Dr. med. Michael Günter

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Klinikum Stuttgart

Zentrum für Seelische GesundheitZentrum für Kinder- und Jugendmedizin – Olgahospital (kooptiert)

Prießnitzweg 2470374 Stuttgart

E-Mail: m.guenter@klinikum-stuttgart.de