Die Eberwurz — Wetterbote in Silber und Gold

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Nr. 2 | 32. Jahrgang 2003 | Pharm. Unserer Zeit | 167

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streifende Tiere können eine Rollespielen, indem letztere sich an den stacheligen Hochblättern verhakenund so die Früchte ausschütteln.Außerdem kann sich das Köpfchen alsGanzes von der Pflanze lösen und vomWind als „Bodenläufer“ verfrachtetwerden. Dabei erfolgt eine sukzessiveFreisetzung der Früchte aus dem schei-benförmigen Fruchtstand.

Offizinell verwendet wurde dielange,aromatisch riechende und durchätherische Öle bitter schmeckendePfahlwurzel der als Radix Carlinae be-zeichneten Droge. Neben Gerbstoffenund Harzen ist hierbei besonders dieantibakterielle Wirkung des Carlina-oxyds bemerkenswert. Der aus denWurzeln bereitete Eberwurz-Tee wur-de in der Volksheilkunde gegen chro-nischen Bronchialkatarrh und als harn-treibendes und entwurmendes Mitteleingesetzt sowie in der Tierheilkundeals Mast- und Brunstpulver. Aufgrunddes Speicherstoffs der Compositen –dem fast nur aus Fructose bestehen-den polymeren Kohlenhydrat Inulin –sind die Produkte dieser Pflanzen-familie (z.B. Schwarzwurzeln) auch für Diabetiker geeignet.

Thomas Junghans, Bammental

Eberwurz neben einigen weiteren Gat-tungen trotz durchgehend röhren-blütiger Köpfchen in den zungen-blütigen Verwandschaftskreis der Un-terfamilie Cichorioideae gestellt wird.

Die recht unscheinbaren Einzel-blüten des Blütenstands der Eberwurzwerden von einer Hülle aus Hochblät-tern, dem Involucrum, umgeben. Sel-tener gebrauchte deutsche Namen wieWetterdistel oder Nebelpflanze rührenvon den hygroskopischen Bewegun-gen des innersten Kreises dieser In-volucralblätter her: Bereits geringfü-gige Erhöhungen der Luftfeuchtigkeit,z.B. bei aufziehendem Nebel, reichenaus,um durch Einlagerung von Wasserin die zur Blütezeit bereits abgestor-benen Zellschichten eine Einwärts-krümmung der Hüllblätter auszulösen.Neben dem so erwirkten Schutz derBlüten bedingen die Hüllblätter aberauch die Schauwirkung des Blüten-standes für potentielle Bestäuber, da jene bei den beiden in Deutschlandeinheimischen Arten sowohl weißglän-zend als auch eher gelblich sein kön-nen, was zur Bezeichnung der Pflan-zen als Silberdistel (Carlina acaulis,siehe Abb. 1) und Golddistel (Carlinavulgaris, siehe Abb. 2) geführt hat.Auf diese Weise entsteht eine „Schein-blüte“,ein Pseudanthium,die einer Ein-zelblüte ähnelt und als bestäubungs-biologische Einheit fungiert.

Die Eberwurz besiedelt Wärmeliebende Halbtrockenrasen und Ma-gerweiden, besonders auf Kalk. Derstacheligen Blätter wegen wird sievom Vieh nicht verbissen. Bedauer-licherweise hat der Bedeutungsverlustder Schafhaltung bereits zu einemRückgang der Arten geführt, da ent-sprechende Standorte, z.B.Wacholder-heiden, ohne extensive Bewirtschaf-tung verbuschen und langfristig inWald übergehen, so dass die Silber-distel in Deutschland bereits gefährdetist. Für die Besiedlung von Standortenkann sich die Eberwurz einer Reihevon Ausbreitungsmedien bedienen,unter denen vor allem der Windaus-breitung der mit einem Schirmchenversehenen Früchte die größte Be-deutung zukommen dürfte. Aber auch körnerfressende Vögel und vorbei-

P F L A N Z E N P O R T R A I T |Die Eberwurz –Wetterbote inSilber und GoldDie Eberwurz (Gattung Carlina) istein Vertreter der Asteraceae, der mitmehr als 22.000 Arten größten Familieder zweikeimblättrigen Blütenpflan-zen. Die nach Karl dem Großen be-nannte Gattung umfasst knapp 30 Ar-ten, die von Mittelasien über Europa

bis zu den Kanarischen Inseln ver-breitet sind. Es handelt sich um krau-tige, zwei- bis mehrjährige bzw. aus-dauernde Pflanzen, deren fiederspal-tige und dornenbewehrte Blätter dendistelartigen Habitus dieser Gewächsebestimmen. Der deutsche Name derFamilie nimmt Bezug auf die Form derBlütenstände:Bei den Korb- oder Köpf-chenblütlern stehen die recht kleinenröhren- bzw. zungenförmigen Einzel-blüten dichtgedrängt auf einem ver-breiterten, verdickten, oft korbarti-gen Blütenstandsboden beieinander.Neuere, molekularbiologische Be-funde machten eine taxonomischeNeuordnung notwendig, wobei die

A B B . 1 Die Silberdistel (Carlina acaulis) auf einem extensiv beweideten Magerrasen am Belchen im Südschwarz-wald.

A B B . 2 In lichten Kiefernwäldern – wie hier in den Flugsandgebieten dernördlichen Oberrheinebene – ist dieGolddistel (Carlina vulgaris) noch rechthäufig zu finden.