Humanbiologie: Gehirn, Kognition, Sehsinn und...

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Humanbiologie: Gehirn, Kognition, Sehsinn

und pathologische Veränderungen

Prof. Dr. Stefan Schuster

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Das menschliche Gehirn: Organisation unseres Nervensystems

PNS:

Regenerationsvermögen

keine Blut-Hirn-Schranke

ZNS:

kein Regenerations-vermögen

durch Blut-Hirn-Schranke geschützt vor Bakterien, eigenen Immunzellen etc.

Zelltypen: Neurone und Gliazellen

Gliazellen (verschiedene Typen): - bilden Myelinscheide, - bilden Blut-Hirn-Schranke, - sind wichtig zur Versorgung von Nerven und Synapsen - sog. Mikroglia übernimmt die Rolle der Immunzellen (die ja nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren können)

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Haben wir das größte Gehirn? Wie kann man unsere Hirnmasse mit der anderer Tiere vergleichen?

Quelle: Penzlin. Lehrbuch der Tierphysiologie

Hirmasse proportional Masse hoch 2/3 ( = Körperoberfläche) Auch der Mensch folgt dieser Beziehung, sticht nicht hervor

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Zunahme von Faltung und Größe sogenannter Assoziationsfelder

(dh Bereiche, die nicht eindeutig einem bestimmten Sinnessystem oder einem bestimmten motorischen System zugeordnet werden können)

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lg S (Oberfläche)

Unsere Cortex-Oberfläche ist keineswegs ‚besonders‘ groß

Quelle: Penzlin. Lehrbuch der Tierphysiologie

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Umgang mit Zahlen und Computerschirmen: eine letzte Bastion menschlicher Überlegenheit?

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Zahlen von 1-9 auf Touchscreen in zufälligen Positionen gezeigt.

Präsentationsdauer nur entweder 210, 430 oder 650 ms. (210 ms interessant da das Zeit zwischen Sakkaden beim Menschen, dh Zeit reicht gar nicht für Abscannen des Bildschirms)

Dann werden die Zahlen durch weisse Quadrate überdeckt.

Nach vorgegebener Zeit sollen die (überdeckten!) Zahlen in der richtigen Reihenfolge gedrückt werden.

Studenten & adulte Schimpansen: Bei kurzer (210 ms) Präsentation ca 40% korrekt

Juvenile Schimpansen. 80% korrekt sogar bei der kürzesten Präsentation!

----> Beeindruckendes Video!!!

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Bewusstsein und freier Wille - ein ernüchternder Befund ?

Haynes et al. 2008 (Nature Neuroscience)

Aufgabe für die Versuchsperson: Entscheide, wann Knopfdruck erfolgen soll und welche Hand (rechts oder links) verwendet wird. Gib die Zeit an, zu der Entscheidung für links oder rechts gefallen ist.

Parallel Blick in‘s Hirn (mit fMRI): Versuche, ausgehend davon die Entscheidung für rechts oder links vorherzusagen.

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Das Milgram - Experiment

Versuchsleiter. Immer derselbe: Freundlich-bestimmt, ‚Wissenschaftler‘ Gibt Standard-Antworten.

‚Lehrer‘. = die eigentliche Testperson: erhält ihre Rolle - Lehrer oder Schüler- durch (gefälschtes!) Los, glaubt, wie der Schüler an einem Lernexperiment teilzunehmen, Stellt Fragen an den Schüler und steigert Stärke des bestrafenden Elektroschocks bei jeder Falsch-Antwort. Bis 450 V.

Schüler. Immer derselbe: Schauspieler. Gefesselt, mit Elektroden versehen. Gibt vor, eine Herzschwäche zu haben. Stöhnt, schreit, etc bis 330 V, danach ruhig

Trennwand

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Die ‚Lehrer‘ = Testpersonen

(1)  Erhalten Lohn (4$, 50ct) schon beim Erscheinen, werden 3mal erinnert, dass sie das Geld sicher haben.

(2) Glauben, dass Schüler auch eine angeworbene Person ist wie sie selbst.

(3)  Müssen Schüler prüfen, ob Wortkombinationen (blau-Meer, lang-Balken oä richtig gelernt werden). Für jeden Fehler sollen sie einen Elektroschock verabreichen (erst 15V). Mit jedem weiteren Fehler muss die Schockstärke um 15V erhöht werden.

(4)  Reagieren z.T. nervös auf Schreie des Schülers - fragen zT beim Versuchsleiter, ob abgebrochen werden darf Versuchsleiter: ‚Bitte machen Sie weiter‘, ‚Sie müssen unbedingt weitermachen‘, ‚Sie haben keine Wahl - sie müssen weitermachen‘

2/3 der ‚Lehrer‘ erhöhen die Reizstärke bis zum absoluten Maximum (450 V) weit über den Punkt hinaus an dem die Schreie des Schülers verstummt sind.

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Glaubten die ‚Lehrer‘ vielleicht nicht an die Echtheit der Elektroschocks?

Würde es einen Geschlechtsunterschied geben (einfühlsamere ‚Lehrerinnen‘)?

Wiederholung des Versuchs ausserhalb (Ex Nazi-) Deutschlands

1962 versus heute: Sind wir heute viel aufgeklärter / selbständiger / ethischer?

Kulturvergleich

‚Autorität‘ des Versuchsleiters ist wichtig

Bei einem ‚Lehrerteam‘ ist das Verhalten der Kollegen wichtig

Bei Sichtkontakt /räumlicher Nähe zum ‚Schüler‘ wird der Versuch viel früher abgebrochen

Viele Variationen & kritische Einwände

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Grundlegende Überlegungen zum Verständnis von Gehirnen

(A) Wieviele Nervenzellen?

(B) Wieviele Motoneurone (an die Effektoren)?

(C) Was wäre zu erwarten, wenn unser Nervensystem nur aus einfachen Reflexbögen bestehen würde?

(A)  ca 1011 (B)  ca 2-3 *106 (C)  ca gleiche Zahl Motoneurone wie Neurone im ZNS

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Informationsströme im menschlichen Nervensystem - eine formale Betrachtungsweise

TAFEL: Info pro ‚Bild‘= Zahl der Pixel *10*ld(Zahl der möglichen Zustände eines Pixels) Info/sec = Info/Bild * Zahl Bilder/sec

Abschätzung: Info/sec= 16/sec*2*105*10*ld(250*100)

Woher zB dieser Wert?

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,Nichts in der Biologie ergibt einen Sinn außer im Licht der Evolution‘ (Dobzhansky)

Evolutionsdruck darauf, angepasstes Verhalten zu erzeugen (situationsgerechte Aktivierung von Muskeln und anderen Effektoren)

Dazu muss das Gehirn...

(1)  Akut relevante Information aufbereiten...

(2)  Gespeicherte Information bereit halten (‚Wie muss ich eine Gruppe Muskeln aktivieren, um einen 1m entfernten Gegenstand erfolgreich zu greifen ?‘) ...

(3)  Verhalten auswählen: Interaktion von akuter und gespeicherter Information

Wenn es eh nur auf die verhaltensrelevante Information ankommt, wieso werden Sinnesorgane nicht so gebaut, dass sie automatisch nur die relevante Info aufnehmen?

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Wichtige Zonen des menschlichen Cortex

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Unterschiedliche Zonen sind mit unterschiedlichen sensorischen oder motorischen 'Aufgaben' beschäftigt

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Innervation der inneren Organe: Sympathicus und Parasympathicus

Parasympathicus Sympathicus

Herz

Leber

Magen

Darm

Nieren

Blase

Genitalien

(Acetylcholin) (Adrenalin)

Beachte Lage der Zellkörper

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Innervation der inneren Organe: Autonomes Nervensystem

Interessant: Neurone starten im ZNS - laufen aber nicht direkt zu den Endorganen Immer synaptischer Kontakt über ein Interneuron, das das Kommando an den Effektor gibt.

Parasympathicus: Sekundäre Ganglien (dh. die Zellkörper der vermittelnden Interneurone) liegen direkt vor dem Zielorgan oder im Zielorgan

Sympathicus: Sekundäre Ganglien liegen direkt vor dem Rückenmark. Oft gibt es weitere Ganglien

Beachte: Wirkung von Acetylcholin/Adrenalin nicht immer hemmend/erregend Aber in der Regel Sympathicus: Angriff/Flucht, Parasympathicus: Entspannung

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Zurück zum ZNS:

Wie kann man Lernen, welche Funktionen die einzelnen Hirnbereiche haben ?

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Lange Zeit der einzige Zugang: Patienten mit zerstörten Hirnregionen

Interessante Beispiele: Agnosien (Patient kann Bedeutung von Sinneseindrücken nicht erkennen) nach Läsionen in Assoziationsfeldern

Grundsätzliche logische Problematik der Schlussfolgerungen am Beispiel des Hemiballismus: Zerstörung des subthalamischen Kerns (SK) -> motorisches Fehverhalten: Patient macht unkontrollierbare Bewegungen (erinnern an Werfen eines Balls). 'Logischer Schluß': ‚SK unterdrückt Ballwerf-Bewegungen‘

das ist Unfug! eher, dass ein Gleichgewicht durch Fehlen von SK ausser Tritt kam

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Split-Brain Experimente: Funktionelle Spezialisierung der beiden Hirnhälften

Split-Brain-Spiel http://nobelprize.org/educational/medicine/split-brain/splitbrainexp.html

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fMRI = functional magnetic resonance imaging

Was wird hier eigentlich abgebildet? Viele Möglichkeiten - eine geht so: Spins schön ausgerichtet in Magnetfeld, kurz mit Störfeld ändern - wie lange dauert es bis Ausgangszustand eingestellt (sehr sehr schnell!) - Dauer hängt aber von Sauerstoffgehalt/Hirnaktivität ab

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Das EEG (Electroencephalogramm)

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EEG im Vergleich zu fMRI

+ viel billiger + langdauerne Registrierung möglich + viel bessere Zeitauflösung -- viel schlechte räumliche Auflösung + Konnte bei Patienten ohne Motorik genutzt werden,

um Kommunikation zu ermöglichen

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Bedeutendste Erkenntnisse zur Arbeitsweise des Gehirns aus Ableitungen am Gehirn von Tieren

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Im Folgenden schauen wir uns im Detail die Verarbeitung visueller Information im Gehirn an

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Was genau melden Ganglienzellen an's Gehirn?

Erste Versuche an Katzen

Steven Kuffler

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Die Informationsverarbeitung beginnt gleich in der Retina

Versuche von Kuffler (Katze): - Ganglienzellen sind auch im Dunkeln aktiv - Ganglienzellen 'interessieren' sich dafür wie Helligkeit verteilt ist - melden Kontraste unabhängig von Beleuchtungsänderung an's Gehirn

Versuche an der Kaninchenretina (Barlow): - Manche Ganglienzellen interessieren sich nur für Bewegung - Manche sogar nur für Bewegung in eine bestimmte Richtung

An der Tafel: Übersicht: Aufbau der Retina. Einfache Vorstellung Räumliche Analysen: Horizontalzellen Zeitliche Analysen: Amakrine Zellen

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Versuche, in denen die "Center-Surround-Organisation" entdeckt wurde

Ganglienzelle 1 Ganglienzelle 2

a

b

c

d

4 Arten (a-d) wie die Helligkeit auf dem Schirm verteilt war

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Photorezeptoren im 'Center' werden mit anderem Vorzeichen gewichtet als die im 'Surround' – Bedeutung der Horizontalzellen

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rot-Zentrum & grün-surround Ganglienzellen ! solche gibt es tatsächlich – wichtig für Wahrnehmung von Farbkontrasten

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Andere Ganglienzellen, die sich auch Farbkontraste interessieren. Alle benutzen denselben Rechentrick

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Ganglienzelle des Parvocellulären Systems: kleiner, interessieren sich für Farbkontraste, antworten

langsam

Ganglienzelle des Magnocellulären Systems größer, interessieren sich nicht für Farbe, aber Bewegung,

sind schneller

Die verschieden spezialisierten Ganglienzellen haben teilweise auch morphologische Unterschiede

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Rezeptive Felder werden in der Peripherie größer

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Wie geht es nach der Retina weiter?

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CGL = Corpus geniculatum laterale (seitlicher Kniehöcker) = LGN (lateral geniculate nucleus) Liegt im Thalamus

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CGL

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CGL

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CGL

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CGL

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Vom CGL zum primären Sehcortex

CGL

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Okulardominanz in der Eingangsschicht des visuellen Cortex

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Ü: Welche Konsequenzen hat:

- Durchtrennung linker Sehnerv - Durchtrennung linker Tractus opticus - Durchtrennung Sehnervüberkreuzung (dorsoventral) - Verdrehung des linken Augapfels um 180°

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Fragen

(1) Wieso gibt es keine Immunzellen im ZNS?

(2) Wie funktioniert die Immunabwehr im peripheren Nervensystem?

(3) Wir haben beim split-brain nur visuelle Information betrachtet: Könnte man ähnliche Experimente Ihrer Meinung nach auch für den (a) Geruchssinn, (b) den Hörsinn, (c) den Tastsinn machen?

(4) Ein Split Brain Patient bekommt Rosen-Duft über das rechte Nasenloch (links ist verstopft). Muss (a) passendes Bild raussuchen: Rose, Traktor, Freundin, Kuhstall und (b) sagen was er riecht. Wie wird er handeln? Würde sich etwas ändern, wenn der Duft über's linke Nasenloch gerochen wird?

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http://nobelprize.org/educational/medicine/split-brain/splitbrainexp.html

(5) Zeige folgende Dias so, dass sie in der linken oder rechten Hirnhälfte repräsentiert sind. Was wird ein Split-Brain-Patient dazu sagen?

(a) Bild der Oma (b) Rechenaufgabe (c) Kompliziertes Wort (d) Einfaches Wort (e) Symbol: Herz