Post on 01-Jan-2020
Inklusive Schule –Abschied von der
Illusion der Homogenität & Willkommenheißen
der Realität der Vielfalt
Ines Boban Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Hamburg, Bürgerhaus Wilhelmsburg, 10. 8. 2011
Grundidee:Es ist Zeit, die „Spielregeln“ für alle zu ändern, statt einige, die bisher nicht „mitspielen“ durften, so einzupassen, dass sie am für alle schwierigen „Spiel“teilnehmen können.
Grundschullehrerin in der Provinz Mpumalanga(Südafrika)
Gliederung
• Inklusion als Rechtsfrage• Inklusion als Grundhaltung• Inklusion als Prozess …des Abschieds von der Illusion der Homogenität &
des Willkommenheißens der Realität der Vielfalt in einer Schule für ALLE
Teil 1
Inklusion als Rechtsfrage
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2006
„States Parties recognize the right of persons with disabilities to education. With a view to realizing this right without discrimination and on the basis of equal opportunity, States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels and life long learning…“
Quelle: UN-Konvention 2006, Artikel 24, Absatz 1, Satz 2
Juristische Konsequenzen der BRK• Individueller Rechtsanspruch (sofort gültig)
„Das in der BRK anerkannte Recht steht für eine individuelle Rechtsposition mit dem Inhalt, dass im Sinne der BRK Kinder mit Behinderung einen Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zum System der Regelschule haben. Wesentlich für den inhaltlichen Umfang dieses Rechts ist das Element der angemessenen Vorkehrungen.“
• Systemischer Rechtsanspruch (perspektivisch)„Kurze Zeit nach dem Inkrafttreten sind (auf der „Makroebene“) von Seiten der Vertragsstaaten zügig zielgerichtete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen. … Über den Grundsatz der Bundestreue sowie aufgrund der im Wege des Ratifizierungsprozesses erklärten Zustimmung zur BRK sind die Länder hier ebenfalls zur zügigen Anpassung ihrer Schulsysteme verpflichtet.“
Quelle: Riedel 2010
Ergebnis Teil 1• In allen Bundesländern erfordert das
geltende Recht (UN-Konvention) ein inklusives Bildungsangebot als reales Recht auf Zugang zur allgemeinen Schule für Eltern.
• Hamburg ist das einzige Bundesland, das diesen Rechtsanspruch realisiert hat – sehr kategorial.
• Inklusion ist eine Verpflichtung für jede Schule.
Teil 2
Inklusion als Grundhaltung
Inklusion bedeutet zunächst, Vielfalt willkommen zu heißen
(und Konstruktionen von jeweils zwei klar abgrenzbaren Gruppen kritisch in den
Blick zu nehmen zugunsten eines ununterteilbaren individuellen Spektrums)
… und es ist nicht inklusiv, neue Kategorien wie „§ 12-Kinder“ zu entwickeln!
Quelle: Karaca, Müjde (2009): Reize. Tübingen: Konkursbuch
Begriff „Inklusion“ als neuer bzw. geschärfter Fokus
• wendet sich der Vielfalt positiv zu• umfasst alle Dimensionen von Heterogenität
(ability, gender, ethnicity, nationality, first language, races, classes, religions, sexual orientation, physical conditions, ...)
• orientiert sich an Bürgerrechtsbewegung und wendet sich gegen Marginalisierung
• vertritt die Vision einer inklusiven GesellschaftQuelle: Hinz 2004
Drei Ebenen von Inklusion• Teilhabe von Personen• Barrieren in Systemen• Umsetzung von inklusiven Werten
– Themen wie Gleichheit, Rechte, Partizipation, Lernen, Gemeinschaft, Anerkennung von Vielfalt, Vertrauen und Nachhaltigkeit, aber auch zwischenmenschliche Qualitäten wie Mitgefühl, Ehrlichkeit, Mut und Freude
Eine Ebene bleibt notwendigerweise beschränkt, erst ihre Ergänzung ermöglicht eine inklusive Perspektive.
Quelle: Booth in Hinz, Körner & Niehoff 2008
Zwischenfazit• Inklusion als weltweiter Rechtsanspruch für
Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf
• Inklusion als Vision – oder Utopie – oder Illusion?
• Inklusion als Auftrag jeder Einrichtung?• Inklusion als zusätzliche Aufgabe – zu allen
anderen dazu?• … oje.
Teil 3
Inklusion als Prozess… des Abschieds von der
Illusion der Homogenität & des Willkommenheißens
der Realität der Vielfalt in einer Schule für ALLE
http://www.eenet.org.uk/
Der Index für Inklusion
„Index for Inclusion“
• Vorarbeiten in USA und Australien• Versionen auf Arabisch, Baskisch, Bosnisch / Kroatisch
/ Serbisch, Chinesisch, Dänisch, Deutsch, Finnisch, Französisch, Hindi, Italienisch, Japanisch, Katalanisch, Maltesisch, Norwegisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch, Spanisch, Ungarisch, Urdu, Vietnamesisch, Walisisch
• Überlegungen für ‚arme Länder‘ im Süden, unterstützt durch die UNESCO
• Version für Kindertageseinrichtungen (dt. 2006)
Im Internet: www.kommunen-und-inklusion.de
Schlüsselkonzepte desIndex für Inklusion
• Inklusion• Unterstützung von Vielfalt• „Barrieren für Lernen und Teilhabe“ mit
Blick auf die ganze Schule und alle Beteiligten erkennen und abbauen
• Abbau institutioneller Diskriminierung• Demokratisierung durch Partizipation
Diese Form stellt das Weltwissen dar
Verschiedene Menschen haben verschiedene Stärken.
Das Quadrat symbolisiert das in der Schule zu lernendeWissen.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das traditionelle Schulsystem zwingt die Individuen in das Quadrat.
Das Leben im Quadrat ist sehr eng – es ist schwer, die Einzigartigkeit jedes Individuums zu sehen.
Weak Mediocre Excellent
Das Leben im Quadrat ist sehr eng – es ist schwer, die Einzigartigkeit jedes Individuums zu sehen.
Das Ziel inklusiver, demokratischer Bildung ist, dieseSituation zu ändern.
Weak Mediocre Excellent
This area is the source of culture that encourages
violence.
Die Rolle nationaler Tests
Die Rolle nationaler Tests
Die Rolle nationaler Tests
Die Rolle nationaler Tests
Die Rolle nationaler Tests
Die Bedeutung nationaler Tests
Die Schönheit der Kulturen in aller Welt
Die Rolle internationaler Tests
Die Rolle von Wettbewerb, Macht und Geld
Die Gefahr einer einzigen globalen Kultur
Demokratische Schulen • sind für alle transparent• werden nach demokratischen Prinzipien
verwaltet• Beteiligung aller: Ein Mensch – eine
Stimme• jeder Schüler entscheidet selber wann,
wo, wie, ob und mit wem er lernt• die Menschenrechte und Würde jedes
Schülers werden geachtetQuelle: IDE
Vorläufer sind u. a. Bauernschule; Tolstoi (1859)
– Versuchsschule Chicago; Dewey (1897)– Summerhill, England; A. S. Neill, Zoe
Redhead (1924)– Sudbury Valley, USA; Daniel
Greenberg (1968)– Sands, England; David Gribble (1987)– Hadera, Israel; Yacoov Hecht (1987)– Neue Schule Hamburg; Nena (2007)
etwa 70 Schulen weltweit (davon 25-30 in Israel)
meist Schulen in freier Trägerschaft, wenige staatliche Schulen
Eine demokratische Schule ist eine Schule, an der Schüler freie Bürger der Schule sind, verantwortlich für ihr eigenes Bildungsleben, und an der sie direkt oder indirekt an Entscheidungen, die alle betreffen, teilnehmen oder teilnehmen dürfen.
Laura Stine, Lehrerin der Bluemountain School, einer demokratischen Schule in Oregon/USA
Demokratische Schulen sind Bildungseinrichtungen, in denen Kinder und Jugendliche selbstbestimmt leben und lernen können. Allen Beteiligten der Schule steht es offen, gleichberechtigt durch die Teilnahme an demokratischen Strukturen, wie z.B. einer Schulversammlung, das Schulleben mit zu gestalten. Konflikte werden durch die Schulgemeinschaft gelöst.
Robert Kruschel 2009
Strukturelemente demokratischer Schulen
Pluralistisches Lernen nach Yaacov Hecht zollt der Einzigartigkeit der Menschen Respekt: • Jeder Mensch hat sein „Gebiet der Stärken“• alle Menschen sind verschieden und interessieren sich unterschiedlich • in den letzten 10 Jahren wurden 90% des heutigen Wissens entdeckt• in drei Jahren wird wieder 90% des Wissens neu sein
Weltwissen
schulisches Curriculum
„waisted time“
„well spent time“
nicht wissen
zweifeln
wissen
entdecken
blühen
welken
Tod des „Alten“ undsäen des „Neuen“
sprießen
Gemeinschaft bilden
Inklusive Werte verankern
Eine Schule für alle entwickeln
Unterstützung für Vielfalt organisieren
Lernarrangements ‚orchestrieren‘
Ressourcen mobilisieren
These 1 & 2
1. Eine ‚wirklich inklusive‘ Schule ist nur demokratisch denkbar!
2. Eine wirklich demokratische Schule ist nur inklusiv konsequent!
Es ist Zeit, die „Spielregeln“für alle zu ändern, statt einige, die bisher nicht „mitspielen“ durften, so einzupassen, dass sie am für alle schwierigen „Spiel“teilnehmen können.
Teil 4
Fazit
Inklusion –Verpflichtung, Vision und Programm!
• Inklusion als Rechtsanspruch für bestimmte – von Marginalisierung bedrohte – Menschen
• Inklusion als ‚Nordstern‘• Inklusion als zentraler Auftrag jeder Schule und für
Regionen als Vernetzungsprojekte• Inklusion als Orientierung für die Entwicklung in
der RegionInklusion braucht Freiheit von kultusministeriellen Behinderungen bzw. eigentlich UnterstützungInklusion braucht Wachstumschancen in Schulen und anfangs externe Unterstützung
Mehr Informationen, Literatur, …
Homepage: http://www.inklusionspaedagogik.de
Googlegroup: Inklusion jetzt! (über robkru@web.de)
e-mails: ines.boban@paedagogik.uni-halle.de
Vielen Dank!
F1 – Ines Boban: Schulentwicklungsprozesse mit dem
Index für Inklusion - Hinweise für die Anwendung und
Beispiele aus Deutschland, Europa und „dem Rest der Welt“!
Inhaltliche Systematik zur Inklusion
• Drei Dimensionen• Sechs Bereiche• 44 Indikatoren• 560 Fragen
Entscheidend sind nicht die Antworten als ja und nein, sondern die gemeinsame Reflexion der Gemeinschaft über den Status-Quo und mögliche nächste Schritte!
Dimensionen und Bereiche
• Dimension A: Inklusive KULTUREN schaffen1. Gemeinschaft bilden2. Inklusive Werte verankern
• Dimension B: Inklusive STRUKTUREN etablieren1. Eine Schule für alle entwickeln2. Unterstützung für Vielfalt organisieren
• Dimension C: Inklusive PRAKTIKEN entwickeln1. Lernarrangements organisieren2. Ressourcen mobilisieren
Indikatoren im Bereich C.1:Lernarrangements organisieren
1. Der Unterricht wird auf die Vielfalt der SchülerInnen hin geplant.2. Der Unterricht stärkt die Teilhabe aller SchülerInnen.3. Der Unterricht entwickelt ein positives Verständnis von
Unterschieden.4. Die SchülerInnen sind Subjekte ihres eigenen Lernens.5. Die SchülerInnen lernen miteinander.6. Bewertung erfolgt für alle SchülerInnen in leistungsförderlicher
Form.7. Die Disziplin in der Klasse basiert auf gegenseitigem Respekt.8. Die LehrerInnen planen, unterrichten und reflektieren im Team.9. Die ErzieherInnen unterstützen das Lernen und die Teilhabe aller
SchülerInnen.10.Die Hausaufgaben tragen zum Lernen aller SchülerInnen bei.11.Alle SchülerInnen beteiligen sich an Aktivitäten außerhalb der
Klasse.Quelle: Boban & Hinz 2003, 52
Indikator C.1.1: Der Unterricht wird auf die Vielfalt der SchülerInnen hin geplant.
z. B.• Geht der Unterricht von einer gemeinsamen Erfahrung aus, die in
unterschiedlicher Weise entfaltet werden kann?• Entspricht der Unterricht dem Spektrum von Interessen bei Jungen und Mädchen?• Legt der Unterricht eine Vorstellung des Lernens als kontinuierlichen Prozess
nahe statt als Erledigung bestimmter Aufgaben?• Prüfen die LehrerInnen Möglichkeiten, den Bedarf an individueller Unterstützung
bei SchülerInnen zu reduzieren?• Gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten, z.B. mündliche Vorträge und
Diskussionen, Zuhören, Schreiben, Zeichnen, Problemlösen, Nutzung der Bibliothek, audio-visuelle Materialien, praktische Aufgaben und Arbeit mit dem Computer?
• Berücksichtigt die Unterrichtsplanung, dass bestimmte SchülerInnen wegen ihrer religiösen Vorstellungen z.B. in Kunst und Musik Schwierigkeiten haben, sich an bestimmten Inhalten zu beteiligen?
• Wird der Unterricht ggf. so angepasst, dass SchülerInnen mit körperlichen oder Sinnesbeeinträchtigungen auch im Sportunterricht, Arbeitslehre, Hauswirtschaftsowie in Physik (bei Optik und Akustik) Wissen und Fertigkeiten erwerben können?
• …Quelle: Boban & Hinz 2003, 81
Erfahrungen im deutschsprachigen Raum I: Wiener Neudorf
• Wiener Neudorf will sich zu inklusiverGemeinde weiterentwickeln.
• Vernetzung aller Bildungsinstitutionen u. a. über ein gemeinsames „Index-Team“: eine Volksschule, vier Kindergärten, zwei Horte, die Gemeinde
• Entwicklungsschwerpunkte: gewaltfreie Kommunikation, kooperatives Lernen
• Kooperation zwischen Gemeinde und PH: Kurs über kommunale Bildung an der PH für alle (30 LP)
• bei Nachhaltigkeitskonferenz massive Ausweitung des Fokus – Radwege, Parks, Treffpunkte, …
Wiener Neudorf
PATH – eine Methode aus der Persönlichen Zukunftsplanung
Erfahrungen im deutschsprachigen Raum II:
Montag-Stiftungen Raum Köln
• Angebot an Schulen für zweijährige Moderation bei der Schulentwicklung (2007 – 2009 ff)
• etwa 30 Schulen aller Schulformen und einige Kitasnehmen teil
• starke Orientierung an der inhaltlichen Systematik, wenig am Phasen-Modell – und an den sowieso anstehenden Fragen der Schulentwicklung
• unterschiedliche Vorgehensweisen, starke Bedeutung der Partizipation von Kindern an SE-Prozessen
Montag-Stiftungen
Erfahrungen im deutschsprachigen Raum III: Kreis Schleswig-Flensburg
und Stadt Flensburg• Angebot der Schulämter zur Unterstützung von
Schulentwicklung, in Kooperation zumindest mit Schulträger und FöZ
• Bildung von fünf Regionen, Informations- und Sondierungsphase mit Regionalkonferenzen und SCHILF (auch Rolle von FöZ)
• Entschluss: Schulen in allen Regionen wollen inklusive Schulentwicklung – Lawine!
• Herausforderung: Qualifizierung von ModeratorInnenim Umfeld und landesweite Ausweitung
Erfahrungen im deutschsprachigen Raum IV: Ganztagsschulentwicklung
in Sachsen-Anhalt (IZBB)
• Angebot an Schulen mit dem Themenschwerpunkt Heterogenität, zunächst Moderation durch Begleitung, später Beobachtung der Weiterarbeit
• acht sehr unterschiedliche Schulen (Stufen, Typen, Umfelder, Erfahrungen) beteiligen sich am Projekt (2005 – 2009)
• starke Orientierung am Phasen-Schema, lockerer Bezug zur inhaltlichen Systematik
• sehr unterschiedliche Verläufe; wichtig: Partizipation der SchülerInnen
Ein Index-Team bei der Arbeit (Phase 1)
Reformschule „Maria Montessori“
Halle (Saale)
Ein Index-Team bei der Arbeit – Auswertung der Beleuchtung der Schulsituation und Entwicklung von Prioritäten (Montessori-Schule, Phase 2)
Einigung auf Prioritäten (Grundschule Schwanebeck, Phase 2)
Vorbereitung der Entscheidung über die Prioritäten (Montessori-Schule, Phase 2)
Aktionsplan (Phase 3)
Phase 5 – SchulentwicklungstagArbeit in
verschiedenen Gruppen und
Präsentation der Ergebnisse durch
Eltern, SchülerInnen
und LehrerInnen(Sekundarschule
Blankenburg)