Post on 31-Jan-2021
Justus-Liebig-Universität Gießen
Fachbereich Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement
Institut für Phytopathologie und Angewandte Zoologie
Professur für Angewandte Entomologie
Isolierung und Strukturaufklärung peptidischer und niedermolekularer
bioaktiver Naturstoffe mittels
LC/ESI-MS und GC/MS
Habilitationsschrift
zur Erlangung der Lehrbefähigung für das Fach
Angewandte Mikrobiologie und Bioanalytik
im Fachbereich Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement der Justus-Liebig-Universität Gießen
vorgelegt von
Dr. rer. nat. Thomas Degenkolb
Gießen 2010
2
Gehe nicht,
wohin der Weg führen mag,
sondern dorthin, wo kein Weg ist,
und hinterlasse eine Spur.
(Jean Paul, 1763–1825)
In memoriam
Prof. Dr. Udo Gräfe (1941–2003),
meinem verehrten Doktorvater und Mentor
auf dem Gebiet der mikrobiellen Naturstoffchemie
3
Vorwort und Danksagung
In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hat die Bioanalytik als interdisziplinäres
Bindeglied zwischen den Lebenswissenschaften und der klassischen analytischen Chemie
eine überaus dynamische Entwicklung erfahren. Besonders hervorzuheben sind hierbei die
Methoden der modernen massenspektrometrischen Hochleistungsanalytik, vor allem die
Elektrosprayionisations-Massenspektrometrie (ESI-MS) und die Matrix-unterstützte Laser-
Desorptionsionisations-Massenspektrometrie (MALDI). Als unverzichtbare klassische
Methode hat sich die Elektronenstoßionisations-Massenspektrometrie (EI-MS) in den
alytischen Forschung etabliert. Die drei
genannten Methoden leisteten und leisten entscheidende Beiträge dazu – selbst bei Vorliegen
geringster Probemengen – die Suche nach Naturstoffen mit neuartiger chemischer Struktur
und interessanten biologischen Aktivitäten wesentlich zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Mit der vorliegenden kumulativen Habilitationsschrift werden eigene Original- und
Übersichtsarbeiten zur Isolierung und Strukturaufklärung peptidischer und niedermolekularer
bioaktiver Naturstoffe mittels HPLC-gekoppelter Elektrosprayionisations-
Massenspektrometrie (LC/ESI-MS) und und Gaschromatographie/Elektronenstoßionisations-
Massenspektrometrie (GC/MS) vorgestellt. Die Arbeit ist untergliedert in folgende drei Teile:
im ersten werden Arbeiten zur Isolierung und Sequenzierung neuer Peptaibiotika,
nicht-ribosomal biosynthetisierter, α,α-dialkylaminosäurehaltiger Peptidantibiotika aus Pilzen
sowie deren Bedeutung für den biologischen Pflanzenschutz und die moderne Pilztaxonomie
dargestellt;
im zweiten wird der Einsatz moderner massenspektrometrischer Methoden im
Rahmen des „Metabolite Profiling“ in der Pflanzenbiochemie erörtert;
und im dritten werden die Perspektiven der Peptaibiotikaforschung im nächsten
Jahrzehnt sowie die Rolle und Bedeutung der Massenspektrometrie als Schlüsseltechnologie
in den Lebenswissenschaften beleuchtet.
Der Großteil der dieser Habilitationsschrift zugrundeliegenden Original- und
Übersichtsarbeiten ist im Zeitraum von März 2005 bis März 2008 an der Professur für
vergangenen 60 Jahren ihren festen Platz in der bioan
4
Lebensmittelwissenschaften des Instituts für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-
Universität Gießen entstanden.
Mein ganz besonderer Dank gilt daher dem damaligen Inhaber des Lehrstuhls, Herrn
Professor Hans Brückner, der sich, verbunden durch das gemeinsame Interesse an
Peptidantibiotika aus Pilzen, bereiterklärt hatte, mich in seinem Arbeitskreis aufzunehmen,
mich stets förderte und forderte. Dadurch konnte ich dieses während meiner Tätigkeit in Jena
unter der Betreuung meines viel zu früh verstorbenen Doktorvaters und Mentors, Herrn
Professor Udo Gräfe, erschlossene Gebiet der Naturstoffchemie weiter bearbeiten. Ihm widme
ich diese Arbeit in dankbarer Erinnerung an die – leider viel zu kurze – Zeit der gemeinsamen
Arbeit am Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung in Jena.
Weiterhin gebührt mein herzlicher Dank Herrn Professor Walter Gams, der mich
während seiner Tätigkeit am Centraalbureau voor Schimmelcultures (Baarn und Utrecht,
Niederlande) für Fragen der Systematik und Ökologie der Pilze begeisterte und durch die
intensive, fruchtbare und freundschaftliche Zusammenarbeit ab 1997 meinen weiteren
wissenschaftlichen Werdegang entscheidend prägte. Ganz besonders möchte ich ihm für die
sorgfältige Durchsicht der Angaben zu Taxonomie und Systematik der Pilze im Rahmen
dieser Habilitationsschrift danken.
Herrn Professor Andreas Vilcinskas bin ich für die Übernahme der Betreuung meiner
Habilitation nach dem Ausscheiden von Herrn Professor Brückner aus dem aktiven
Hochschuldienst zu großem Dank verpflichtet. Ohne seinen Einsatz wäre es mir nicht möglich
gewesen, die Arbeit an meiner Habilitation fortzusetzen und meine Erfahrungen in der Lehre
und bei der Betreuung von Bachelor- und Masterarbeiten in der Agrar- und
Ernährungswissenschaften, insbesondere in den Bereichen der Lebensmittelsicherheit und des
Vorratsschutzes sowie des Biologischen und Chemischen Pflanzenschutzes, zu sammeln.
Den Autoren der hier zusammengestellten Original- und Übersichtsarbeiten danke ich
für die konstruktive Zusammenarbeit.
Herrn Dr. habil. Willibald Schliemann (ehemals Leibniz-Institut für
Pflanzenbiochemie [IPB] Halle/Saale) danke ich für die gründliche Durchsicht des
Manuskripts.
5
Ganz besonders herzlich danken möchte ich meiner Familie, vor allem meinen Eltern und
meiner Lebensgefährtin Cristina, ohne deren stetigen Beistand, Geduld und Hilfsbereitschaft
die Fertigstellung dieser Habilitation nicht möglich gewesen wäre.
Herrn Dipl.-Ing. (FH) Christian René Röhrich gilt ein spezielles Wort des Dankes für seine
geduldige und umsichtige Unterstützung bei der Formatierung der Arbeit und der
abschließenden Konvertierung des gesamten Werkes ins PDF-Format.
Der Studienstiftung Mykologie (Köln) danke ich für die Förderung der Arbeiten in den Jahren
2005 bis 2006 und der Erwin-Stein-Stiftung (Gießen) für die ideelle und finanzielle
Unterstützung, die mit der Vergabe eines Habilitationsstipendiums in den Jahren 2007 bis
2009 einherging.
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Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung 11
Summary 13
1. Isolierung und Strukturaufklärung neuer Peptaibiotika aus Pilzen der Gattung
Hypocrea/Trichoderma 15
1.1. Allgemeine Bemerkungen zur Biosynthese nicht-ribosomaler
Peptide 15
1.2. Peptaibiotika – eine Klasse ungewöhnlicher nicht-ribosomaler Peptid-
Antibiotika aus Pilzen 16
1.3. Massenspektrometrische Methoden als unentbehrliche Werkzeuge bei
der Sequenzierung und Strukturaufklärung von Peptaibiotika 20
1.4. Die Elektrosprayionisations-Massenspektrometrie revolutioniert die
Sequenzierung und Strukturaufklärung von Peptaibiotika 22
1.5. Die Trichofumine – vier neuroleptisch wirksame, neue Peptaibole aus
Trichoderma sp. HKI 0276 23
1.6. Detektion neuer, modifizierter Alamethicine F30 durch Kopplung von
nicht-wäßriger Kapillarelektrophorese und ESI-Massen-
spektrometrie 24
1.7. Peptaibiomics − das zielgerichtete Screening nach Peptaibiotika in
phytoprotektiven Trichoderma-Arten 25
1.8. Der Trichoderma brevicompactum-Komplex als reiche Fundgrube
bekannter und neuer Sequenzen von Peptaibiotika 27
1.9. Neue Sequenzen, Bausteine und Produzenten von Peptaibiotika 29
7
1.10. Die Bedeutung und künftige Perspektiven aktueller Ergebnisse auf den
Gebieten der Peptaibiotika-, Hydrophobin- und Mykotoxin-Forschung
für die Chemotaxonomie der Gattung Trichoderma/Hypocrea 30
1.11. Der Trichoderma brevicompactum-Cladus: eine separater Zweig im
Stammbaum mit neuen peptaibiotika- und mykotoxin-bildenden
Arten 32
1.12. Natürlich vorkommende Cyclopeptaibiotika und verwandte cyclische
Tetrapeptide: ihre strukturelle Vielfalt und biologischen
Aktivitäten 34
1.13. Peptaibiomics: auf dem Wege zu einer Myriade von bioaktiven,
α,α-dialkylaminosäure-haltigen Peptiden? 36
1.14. Aib und Iva in der Biosphäre – weder selten noch zwangsläufig
extraterrestrischen Ursprungs 37
1.15. Untersuchungen zur selektiven trifluoracetolytischen Spaltung von
nativen Peptaibolen und Modellpeptiden mittels HPLC
und ESI-CID-MS 39
2. Profiling von Sekundärmetaboliten aus Arabidopsis thaliana durch Kopplung von
Kapillar-HPLC und ESI-QqTOF-Massenspektrometrie 41
3. Ausblick 43
3.1. Quo vadis? – Perspektiven der Peptaibiotika-Forschung im nächsten
Jahrzehnt 43
3.2. Massenspektrometrie als Schlüsseltechnologie in den
Lebenswissenschaften 48
4. Literaturverzeichnis 50
Anhang: Original- und Übersichtsarbeiten
8
Verzeichnis der Original- und Übersichtsarbeiten, die
der Habilitationsschrift zugrunde liegen
A Degenkolb, T.; Berg, A.; Gams, W.; Schlegel, B.; Gräfe, U. (2003) The
occurrence of peptaibols and structurally related peptaibiotics in fungi and their mass
spectromertric identification via diagnostic fragment ions. J. Pept. Sci. 9: 666–678.
B Berg, A.; Grigoriev, P. A.; Degenkolb, T.; Neuhof, T.; Härtl, A.; Schlegel, B.;
Gräfe, U. (2003) Isolation, structure elucidation and biological activities of
trichofumins A, B, C and D, new 11 and 13mer peptaibols from Trichoderma sp. HKI
0276. J. Pept. Sci. 9: 810–816.
C Psurek, A.; Neusüß, C.; Degenkolb, T.; Brückner, H.; Balaguer, E.; Imhof, D.;
Scriba, G. K. E. (2006) Detection of new amino acid sequences of alamethicins F30
by nonaqueous capillary electrophoresis – mass spectrometry. J. Pept. Sci. 12: 279–
290.
D Degenkolb, T.; Gräfenhan, T.; Berg, A.; Nirenberg, H. I.; Gams, W.; Brückner,
H. (2006) Peptaibiomics: Screening for polypeptide antibiotics (peptaibiotics) from
plant-protective Trichoderma species. Chem. Biodivers. 3: 593–610.
E Degenkolb, T.; Gräfenhan, T.; Nirenberg, H. I.; Gams, W.; Brückner, H.
(2006) Trichoderma brevicompactum complex: rich source of novel and recurrent
plant-protective polypeptide antibiotics (peptaibiotics). J. Agric. Food Chem. 54:
7047–7061.
F Degenkolb, T.; Kirschbaum, J.; Brückner, H. (2007) New sequences,
constituents, and producers of peptaibiotics: an updated review. Chem. Biodivers. 4:
1052–1067.
9
G Degenkolb, T.; von Döhren, H.; Nielsen, K. F.; Samuels, G. J.; Brückner, H.
(2008) Recent advances and future prospects in peptaibiotics, hydrophobin, and
mycotoxin research, and their importance for chemotaxonomy of Trichoderma and
Hypocrea. Chem. Biodivers. 5: 671–680.
H Degenkolb, T.; Dieckmann, R.; Nielsen, K. F.; Gräfenhan, T.; Theis, C.;
Zafari, D.; Chaverri, P.; Ismaiel, A.; Brückner, H.; von Döhren, H.; Thrane, U.;
Petrini, O.; Samuels, G. J. (2008) The Trichoderma brevicompactum clade: a separate
lineage with new species, new peptaibiotics, and mycotoxins. Mycol. Prog. 7: 177–
219.
I Degenkolb, T.; Gams, W.; Brückner, H. (2008) Natural cyclopeptaibiotics and
related cyclic tetrapeptides: structural diversity and future prospects. Chem. Biodivers.
5: 693–706.
J Degenkolb, T.; Brückner, H.: Peptaibiomics: towards a myriad of bioactive
peptides containing Cα-dialkylamino acids? Chem. Biodivers. 5: 1817–1843.
K Brückner, H.; Becker, D.; Gams, W.; Degenkolb, T. (2009) Aib and Iva in the
biosphere: neither rare nor necessarily extraterrestrial. Chem. Biodivers. 6: 38–56.
L Theis, C.; Degenkolb, T.; Brückner, H. (2008) Studies on the
trifluoroacetolytic scission of native peptaibols and model peptides using HPLC and
ESI-CID-MS. Chem. Biodivers. 5: 2337–2355.
M von Roepenack-Lahaye, E.; Degenkolb, T.; Zerjeski, M.; Franz, M.; Roth, U.;
Wessjohann, L.; Schmidt, J.; Scheel, D.; Clemens, S. (2004) Profiling of Arabidopsis
secondary metabolites by capillary liquid chromatography coupled to electrospray
ionization quadrupole time-of-flight mass spectrometry. Plant Physiol., 134: 548–559.
10
Folgende sieben der oben gelisteten Original- und Übersichtsarbeiten wurden
außerdem als inhaltlich identische Buchbeiträge publiziert in:
Toniolo, C.; Brückner, H. (Eds.): Peptaibiotics – fungal peptides containing α-
dialkyl α-amino acids. Verlag Helvetica Chimica Acta Zürich & Wiley-VCH
Weinheim New York Chichester Brisbane Singapore Toronto. 702 p., 2009:
1. Degenkolb, T.; Brückner, H.: Peptaibiomics: towards a myriad of
bioactive peptides containing Cα-dialkylamino acids? pp. 4–29.
2. Degenkolb, T.; Kirschbaum, J.; Brückner, H.: New sequences,
constituents, and producers of peptaibiotics: an updated review. pp. 57–
72.
3. Brückner, H.; Becker, D.; Gams, W.; Degenkolb, T.: Aib and Iva in the
biosphere: neither rare nor necessarily extraterrestrial. pp. 73–91.
4. Degenkolb, T.; Gräfenhan, T.; Berg, A.; Nirenberg, H. I.; Gams, W.;
Brückner, H.: Peptaibiomics: Screening for polypeptide antibiotics
(peptaibiotics) from plant-protective Trichoderma species. pp. 157–174.
5. Theis, C.; Degenkolb, T.; Brückner, H.: Studies on the
trifluoroacetolytic scission of native peptaibols and model peptides
using HPLC and ESI-CID-MS. pp. 321–339.
6. Degenkolb, T.; von Döhren, H.; Nielsen, K. F.; Samuels, G. J.;
Brückner, H.: Recent advances and future prospects in peptaibiotics,
hydrophobin, and mycotoxin research, and their importance for
chemotaxonomy of Trichoderma and Hypocrea. pp. 581–590.
7. Degenkolb, T.; Gams, W.; Brückner, H.: Natural cyclopeptaibiotics and
related cyclic tetrapeptides: structural diversity and future prospects. pp.
629–642.
11
Zusammenfassung
Im Rahmen der vorliegenden Habilitationsschrift, die auf 13 Original- und Übersichtsarbeiten
beruht, werden Beiträge zur Isolierung und Strukturaufklärung peptidischer und
niedermolekularer bioaktiver Naturstoffe mittels LC/ESI-MS und GC/MS kumulativ
vorgestellt:
Der erste Teil dieser Arbeit ist der Isolierung und Sequenzierung neuer und bereits
bekannter Peptaibiotika – nicht-ribosomal biosynthetisierter, α,α-dialkylaminosäurehaltiger
Peptidantibiotika aus Pilzen – gewidmet. Im Mittelpunkt standen hierbei die Suche nach
neuen peptidischen Wirkstoffen für einen potentiellen Einsatz in der Medizin bzw. im
biologischen Pflanzenschutz sowie die Bedeutung der gefundenen Sekundärmetaboliten für
die moderne Pilztaxonomie. Unter Verwendung moderner massenspektrometrischer
Verfahren wie der HPLC-gekoppelten ESI-Quadrupol/TOF-Hybrid-MS mit Pulsarfunktion
(ESI-QqTOF-MS), der Kopplung der nicht-wäßrigen Kapillarelektrophorese (NACE) mit
ESI-MS und der HPLC-gekoppelten ESI-Ionenfallen-MS (ion trap, IT) sowie einer
peptaibiomischen Vorgehensweise als neuartigem methodisch-analytischem Ansatz wurden
aus Pilzen der Gattung Trichoderma/Hypocrea etwa 100 größtenteils neue Sequenzen linearer
Peptaibiotika ermittelt. Diese fielen entweder durch ihre neuroleptische Aktivität oder ihre
antifungale Wirkung auf die Erreger latenter Rebholzkranheiten der Weinrebe auf. Erstmalig
wurde über den Nachweis von N-terminalem Pyroglutamat und C-terminalem L-Alaninol als
neue Strukturelemente von Peptaibiotika berichtet. Die Kombination von phylogenetisch-
molekulartaxonomischer Methoden mit modernen massenspektrometrischen Verfahren führte
zur Beschreibung des Brevicompactum-Cladus als neuem Zweig mit vier neuen Arten
(Trichoderma arundinaceum, T. protrudens, T. turrialbense und Hypocrea/Trichoderma
rodmanii) im Stammbaum der Gattung Trichoderma/Hypocrea. Außerdem wird auf neue
bzw. ungewöhnliche Produzenten, Strukturelemente und Baupläne von Peptaibiotika, so z. B.
die neue Unterfamilie der Cyclopeptaibiotika, eingegangen, die Geschichte und Perspektiven
der Peptaibiotikaforschung werden beleuchtet sowie das Vorkommen von α,α-
Dialkylaminosäuren in der belebten und unbelebten Natur thematisiert. Schließlich wurden
die Trifluoracetolyse und die sich anschließende Analyse der Spaltprodukte mittels ESI-MS
als geeignetes Verfahren zur Sequenzierung und Strukturaufklärung von Modellpeptiden und
12
Peptaibiotika untersucht und ein repetitiver Spaltmechanismus für homo-Aib-haltige Peptide
und Peptaibiotika postuliert.
Der zweite Teil der Arbeit stellt die Kopplung von HPLC und hochauflösender ESI-
Massenspektrometrie als eine unentbehrliche Komplementärtechnologie für die GC/MS beim
so genannten „Metabolic Profiling“ am Beispiel von Arabidopsis thaliana als pflanzlichen
Modellorganismus dar.
Der dritte Teil der Arbeit beleuchtet die Perspektiven der Peptaibiotikaforschung im
nächsten Jahrzehnt sowie die Massenspektrometrie als analytische Hochleistungsmethode in
den Lebenswissenschaften.
Zusammenfassend ist die Massenspektrometrie als derzeit vielseitigster und
leistungsfähigster Zweig der Bioanalytik einzuschätzen, deren interdisziplinäre Rolle und
Bedeutung für die Lebenswissenschaften in den kommenden Jahren noch weiter wachsen
wird.
13
Summary
This cumulative habilitation thesis, which is divided into three chapters, comprises of 13
original research and review articles on the isolation and structural elucidation of bioactive
peptidic and low-molecular weight natural products by LC/ESI-MS and GC/MS:
The first part of this work is devoted to the isolation and sequencing of new and
recurrent peptaibiotics, i. e. fungal peptide antibiotics of non-ribosomal origin containing α-
dialkyl α-amino acids. It is focussed on the search for novel peptidic components for potential
use in medicine or as biocontrol agents (BCA) in agriculture. A second important aspect is the
significance to modern fungal taxonomy of the secondary metabolites discovered. Using
state-of-the-art mass spectrometric tools such as HPLC coupled to a pulsar ESI-QqTOF-MS,
nonaqueous capillary electrophoresis coupled to ESI-MS, HPLC coupled to ESI-ion-trap-MS,
as well as the recently established method of peptaibiomics, more than 100 novel and
recurrent linear peptaibiotics produced by strains and species of the genus
Trichoderma/Hypocrea were sequenced. Notably, some of them displayed neuroleptic
activity, whereas others were highly effective against fungal diseases of grapevine trunks.
Furthermore, N-terminal pyroglutamate and C-terminal L-Alaninol are reported as novel
constituents of peptaibiotics for the first time. The combination of morphological analyses,
molecular phylogenetics and state-of-the-art mass spectrometric tools culminated in the
recognition of the Brevicompactum clade as a separate, novel lineage, including T.
brevicompactum s. s. as well as four new species, T. arundinaceum, T. protrudens, T.
turrialbense, and H./T. rodmanii. New and uncommon fungal producers, structural elements,
and building schemes of peptaibiotics as well as the history of research in this field are
reviewed, and a new subfamily of peptaibiotics, the so-called cyclopeptaibiotics, is
introduced. Future prospects for peptaibiotic research are discussed, and the distribution of
biotic and abiotic α-dialkyl α-amino acids is critically scrutinised. Finally, trifluoroacetolysis
of peptaibiotics as well as peptides and subsequent analysis of its cleavage products by ESI-
MS are presented as an effective tool for sequencing and structural elucidation of model
peptides and peptaibiotics, and a repetitive cleavage mechanism for Aib-containing peptides
is postulated.
The second part of this work introduces the benefits of HPLC coupled to electrospray
ionisation quadrupole time-of-flight mass spectrometry as an indispensable, complementary
14
technique to GC/MS for profiling of secondary metabolites of Arabidopsis thaliana as a plant
model organism.
The third part of this work discusses the future prospects for peptaibiotic research in
the next decade and the role of mass spectrometry as an anaqlytical key technology in life
sciences.
In conclusion, mass spectrometry can be characterised as the most versatile and
powerful discipline in bioanalytics whose interdisciplinary role and importance in life
sciences is predicted to grow further in the forthcoming years.
15
1. Isolierung und Strukturaufklärung neuer Peptaibiotika
aus Pilzen der Gattung Hypocrea/Trichoderma
1.1. Allgemeine Bemerkungen zur Biosynthese nicht-ribosomaler Peptide
Die Knüpfung einer Peptidbindung kann in vivo durch drei grundlegende Mechanismen
realisiert werden:
− die ribosomale Biosynthese linearer Polypeptide unter Verwendung der 20
proteinogenen Aminosäuren und eventuelle Prozessierung der gebildeten Proteine, so
z. B. durch Proteolyse und/oder posttranslationale Modifikationen wie
Glykosylierungen, Hydroxylierungen (Lys → Hyl, Pro → Hyp), Phosphorylierungen,
Methylierungen, Acetylierungen u. a. Reaktionen;
− die enzymatische Synthese von Di- und Tripeptiden durch lösliche Enzyme;
− die nucleinsäure-unabhängige Biosynthese an modular organisierten
Multienzymkomplexen, so genannten nicht-r ibosomalen Peptidsynthetasen (NRPS),
die – unter Verwendung ungewöhnlicher, nichtproteinogener Aminosäuren und
gegebenenfalls nicht-peptidischer Bausteine – lineare und cyclische Peptide aus bis zu
21 Aminosäuren1 generieren.
Durch die begrenzte Spezifität der beteiligten NRPS bedingt, werden nicht nur proteinogene
L-Aminosäuren, sondern auch deren Isomere oder D-Enantiomere, aber auch N- oder C-
Methylaminosäuren, β-Aminosäuren, Hydroxysäuren, Dehydroaminosäuren, schwefelhaltige
Aminosäuren, Iminosäuren, Lipoaminosäuren, Fettsäuren, Aminoalkohole und andere
ungewöhnliche Bausteine in nicht-ribosomal biosynthetisierte Peptidantibiotika eingebaut.
Neben Bakterien wie dem Gramicidin-Bildner Bacillus brevis und dem Actinomycin-Bildner
Streptomyces antibioticus sind auch Asco- und Basidiomyceten sowie vor allem anamorphe
Pilze zur Biosynthese solcher Verbindungen befähigt [Gräfe, 1992]. Als Beispiele für
praktisch bedeutsame, nicht-ribosomale Peptide aus Pilzen sind zu nennen:
1 Das aus 21 Resten bestehende SCH 643432 [Hegde et al., 2003] gilt als das derzeit größte Peptaibiotikum.
16
− die insektizid wirksamen cyclischen Depsipeptide aus entomopathogenen, im Rahmen
der biologischen Schädlingsbekämpfung verwendeten Pilzarten, wie z. B. die
Destruxine aus Metarhizium anisopliae und Aschersonia sp., das Beauvericin aus
Beauveria bassiana und Isaria fumosorosea (syn. Paecilomyces fumosoroseus), die
Beauveriolide aus Beauveria sp., Isaria sp. und Lecanicillium (syn. Verticillium)
lecanii sowie die Enniatine aus Fusarium spp. [Anke & Sterner, 2002; Anke &
Antelo, 2009].
− die insektizid und immunsuppressiv wirksamen Cyclosporine, cyclische
Undecapeptide [Kleinkauf & von Döhren, 1999; Kürnsteiner et al., 2002], welche vor
allem aus Tolypocladium-Arten, besonders T. inflatum (syn. T. niveum u. a., siehe
www.cbs.knaw.nl) und dessen Teleomorphe Elaphocordyceps [Sung et al., 2007]
subsessilis (syn. Cordyceps subsessilis [Hodge et al., 1996]), isoliert werden.
Neben der Hauptkomponente, dem Cyclosporin A, weisen weitere 14 der bislang 32 aus
natürlichen Quellen isolierten oder durch gerichtete Biosynthese (precursor-directed
biosynthesis) erzeugten Cyclosporine mindestens einen L-α-Aminobuttersäure-Rest (Abu) als
strukturelles Charakteristikum in ihrem Ring auf. Diese Aminosäure ist wegen ihres auf
wenige natürliche Quellen beschränkten Vorkommens bemerkenswert: exemplarisch seien
hier folgende von Bakterien ribosomal produzierten Lantibiotika genannt:
Nisin (Streptococcus lactis), Subtilin (Bacillus subtilis), Gallidermin (Staphylococcus
gallinarum) [Gräfe, 1992] und die Lantibiotika des Duramycins-Typs, welche aus
Actinomyceten der Gattungen Streptomyces und Streptoverticillium isoliert worden sind
[Fredenhagen et al., 1991]. Außer in den Lantibiotika ist Abu bislang auch in Cyclosporin-
produzierenden Pilzen nachgewiesen worden. [Übersicht der Bildner in: Kürnsteiner et al.,
2002].
1.2. Peptaibiotika – eine Klasse ungewöhnlicher nicht-ribosomaler Peptid-
Antibiotika aus Pilzen
Ein Isomer der oben genannten L-α-Aminobuttersäure ist die achirale α-Aminoisobuttersäure
(Aib), der namensgebende Bestandteil einer Klasse linearer und cyclischer, ebenfalls durch
nicht-ribosomale Biosynthese gebildeter Peptid-Antibiotika, der Peptaibiotika [Brückner et
17
al., 1991(a) und (b)]. Seit etwa 15 Jahren erlebt diese Klasse von Peptidantibiotika eine
Renaissance in der mikrobiologischen und naturstoffchemischen Forschung. Dies ist vor
allem bedingt durch ihre einzigartigen Konformationen [Toniolo & Benedetti, 1991] und
Bioaktivitäten, wie beispielsweise die neuroleptische Wirkung der Ampullosporine [Ritzau et
al., 1997; Kronen et al., 2001; Krügel et al., 2006; Berek et al., 2009] und Trichofumine (siehe
Abschnitt 1.5. bzw. Anhang B), die Inhibition der HIV-1-Integrase [Singh et al., 2002; de
Zotti et al., 2009; de Zotti et al., 2010(a)], die Hemmung der Bildung von Amyloid-β-
Peptiden [Hosotani et al., 2007] sowie die Ionenkanalbildung in Biomembranen [Boheim et
al., 1983; Leitgeb et al., 2007]. Letztere trägt mit großer Wahrscheinlichkeit zur Wirksamkeit
der im biologischen Pflanzenschutz eingesetzten Präparate auf Basis von Trichoderma-
Konidien (siehe Abschnitt 1.7. bzw. Anhang D) bei.
Peptaibiotika sind durch folgende charakteristische Merkmale gekennzeichnet (siehe auch
Anhang J):
− Es handelt sich um lineare oder cyclische, antibiotisch wirksame Polypeptide mit
einem Molekulargewicht zwischen 500 und 2.200 Da, die aus 4 bis 21 monomeren
Einzelbausteinen bestehen und durch NRPS biosynthetisiert werden [Reiber et al.,
2003].
− In den meisten (> 98%) dieser Verbindungen ist α-Aminoisobuttersäure (Aib) als
Marker-Aminosäure enthalten2. In manchen Sequenzen, z. B. dem Adenopeptin
[Hayakawa et al., 1998], einigen Stilboflavinen [Jaworski & Brückner, 2001] oder
dem Peptaibiotikum SCH 643432 [Hegde et al., 2003], liegt der Anteil der Aib-Reste
bei 40 bis 50%. Andere Peptaibiotika, z. B. das Trichobrachin III A a, besitzen
hingegen nur einen einzigen Aib-Rest [Brückner et al., 1993].
− Neben Aib können noch weitere nicht-proteinogene α,α-Dialkylaminosäuren im
Molekül enthalten sein. Dabei handelt es sich um vor allem um das chirale Homologe
der Aib, das Isovalin (Iva), welches entweder in der L- bzw. (S)-, oder in der D- bzw.
(R)-Form vorliegen kann. Außerdem ist L- bzw. (S)-Ethylnorvalin (α-Amino-α-ethyl- 2 Auf Ausnahmen wird im Text explizit hingewiesen. Die Massendifferenzen am N-Terminus der Trichobrachine III A b und III B b lassen den Schluß zu, daß in diesen Verbindungen kein Aib- bzw. Iva-Rest mehr enthalten sein kann. Die N-terminale Sequenz beider Peptide erwies sich letztendlich als nicht bestimmbar; denn bei diesen beiden Partialsequenzen handelt es sich lediglich um Minorkomponenten in einem hochkomplexen, mikroheterogenen Gemisch homologer und positionsisomerer Peptide [Brückner et al., 1993].
18
n-valeriansäure, EtNva) als Bestandteil von Peptaibiotika nachgewiesen worden
[Tsantrizos et al., 1996] sowie die achirale 1-Aminocyclopropan-1-carbonsäure (Acc)
[Fredenhagen et al., 2006; siehe auch Abschnitt 1.9. bzw. Anhang F]. In einzelnen
Sequenzen ist die Aib vollständig durch Iva- oder Acc-Reste substituiert, so z. B. in
den Cyclotetrapeptaibiotika Phoenistatin [Masuoka et al., 2001], FR 235222 [Mori et
al., 2003(a), (b)] und AS1387392 [Sasamura et al., 2010(a)] sowie den Acc-haltigen
Cycloheptapeptaibiotika Serinocyclin A und B [Krasnoff et al., 2007].
− Neben den bereits genannten nicht-proteinogenen Aminosäuren können auch weitere
ungewöhnliche Bestandteile, wie β-Aminosäuren oder N-Methylaminosäuren,
vorhanden sein.
− Der N-Terminus linearer Peptaibiotika ist stets acyliert, während ihr C-Terminus meist
aus einem freien oder acetylierten, amidartig gebundenen 2-Aminoalkohol besteht.
Alternative C-terminale Strukturvarianten umfassen die Substitution durch ein Amin,
Amid, eine freie Aminosäure oder ein 2,5-Diketopiperazin als Kondensationsprodukt
zweier Aminosäuren.
Die überwiegende Mehrheit der bislang bekannten Peptaibiotika, die Peptaibole [Benedetti et
al., 1982; Brückner & Graf, 1983], besitzt einen acetylierten N-Terminus, während ihr C-
Terminus durch einen 2-Aminoalkohol gebildet wird. Stärker lipophile Peptaibiotika, deren
N-Terminus durch einen n-Octan-, n-Decan- oder cis-Dec-4-ensäurerest substituiert ist, sind
die Lipopeptaibole. Eine dritte Unterfamilie stellen die Lipoaminopeptide dar, die
gelegentlich auch als Aminolipopeptide bezeichnet werden. Ihr N-Terminus ist durch
unverzweigte, α- oder γ-methylverzweigte gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren mit einer
Kettenlänge zwischen vier und 15 C-Atomen substituiert. In Position 1 der Peptidkette findet
sich ein L-Prolin-, trans-4-Hydroxy-L-prolin- oder cis-4-Methyl-L-prolin-Rest. Auf diesen
folgt in Position 2 zumeist der namensgebende Lipoaminosäure-Rest. Bei diesem handelt es
sich überwiegend um 2-Amino-6-hydroxy-4-methyl-8-oxodecansäure (AHMOD), es können
statt dessen jedoch Desmethyl-AHMOD (siehe Abschnitt 1.8. bzw. Anhang E] oder 2-
Amino-4-methyl-8-oxodec-6-ensäure (AMOD) [Pruksakorn et al., 2010] vorhanden sein.
Außerdem kann sich eine zweite Lipoaminosäure in der Kette befinden, so z. B. die 2-Amino-
4-methyldecansäure (AMD) in den Culicininen A–D [He et al., 2006]. Alle linearen
Peptaibiotika, die nicht in eine der drei vorgenannten eingeordnet werden können, werden in
19
einer vierten Unterfamilie gruppiert. Die fünfte und zugleich kleinste Unterfamilie bilden die
Cyclopeptaibiotika, die durch das Vorhandensein von α,α-Dialkylaminosäuren in
Ringstrukturen gekennzeichnet sind3.
Die bislang beschriebenen rund 900 Einzelsequenzen von Peptaibiotika werden
ausschließlich von Pilzen biosynthetisiert4. Die meisten Bildner sind in Anamorphen-
Gattungen zu finden, deren Teleomorphen zur Ordnung Hypocreales zählen. Dabei ist die
Gattung Trichoderma mit Teleomorphen in Hypocrea als weitaus wichtigste Quelle für
Peptaibiotika zu benennen, gefolgt von den Gattungen Acremonium, Emericellopsis (Incertae
sedis) und Sepedonium (Hypocreaceae; Teleomorphe in Hypomyes) sowie Tolypocladium
(mit Elaphocordyceps-Teleomorphen in den Ophiocordycipitaceae: Sung et al., 2007).
Weitere peptaibiotika-bildende Arten und Stämmen finden sich in folgenden Gattungen der
Hypocreales: Stilbella, Myrothecium, Culicinomyces (Incertae sedis), Mycogone
(Hypocreaceae), Mariannaea (Nectriaceae), Clonostachys (Bionectriaceae), Dendrodochium5
und Pochonia (Clavicipitaceae; Teleomorphe in Metacordyceps: Sung et al., 2007). Als
Bildner außerhalb der Hypocreales sind folgende Arten zu erwähnen:
− Paecillium lilacinum (Thom) Luangsa-ard, Hywell-Jones & Samson (syn.
Paecilomyces lilacinus) und Paranomuraea marquandii (Massee) Luangsa-ard,
Hywell-Jones & Samson6 (syn. Paecilomyces marquandii) gelten als klassische
Quellen der Leucinostatine (Literaturübersicht in Anhang J).
− Paecilomyces variotii, die Typusart der Gattung, bildet zwei antifungale Peptaibiotika
[Hegde et al., 2003]. Die drei vorgenannten Species gehören zur Familie
Trichocomaceae der Ordnung Eurotiales.
3 Auf diese neu eingeführte Unterfamilie wird bei der Besprechung der entsprechenden Übersichtsarbeit (siehe Abschnitt 1.12. bzw. Anhang I) näher eingegangen
4 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß biotisches Aib, Iva und EtNva bisher nur aus pilzlichen Organismen isoliert worden sind, abiotisches Aib/Iva und andere α-Dialkyl-α-aminosäuen auch in Meteoriten vorkommen können. Darauf wird im Abschnitt 1.14. dieser Arbeit bzw. in Anhang K näher eingegangen.
5 Die Nennung der Gattung Dendrodochium folgt lediglich den Angaben in Singh et al. [2002]. Die Identität des Integramid-Bildners ist als zweifelhaft werten, da sie nicht durch Daten zu Isolierung und Identifizierung des Stammes verifiziert worden ist.
6 Die Nomenklatur folgt hier Domsch et al. [2007]. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine gültige Beschreibung der Gattungen Paecillium und Paranomuraea bislang noch nicht publiziert worden ist.
20
− Eine taxonomisch nicht näher bestimmte Chrysosporium sp. (Onygenaceae,
Onygenales) ist als Bildner des Adenopeptins angegeben worden [Hayakawa et al.,
1998].
− Aus Geotrichum candidum (Teleomorphe: Galactomyces candidus; Dipodascaceae,
Saccharomycetales) wurden von Fredenhagen et al. [2006] die Neoefrapeptine isoliert.
− Peniophora cf. nuda (Peniophoraceae, Russulales), aus dessen Kulturen Chlamydocin
und zwei seiner Analoga isoliert wurden, gilt als bislang einziger verifizierter
peptaibiotika-produzierender Basidiomycet [Tani et al., 2001].7
1.3. Massenspektrometrische Methoden als unentbehrliche Werkzeuge bei der
Sequenzierung und Strukturaufklärung von Peptaibiotika
Die Sequenzierung und Strukturaufklärung der „klassischen“ Peptaibole wurde zu Beginn der
systematischen Beschäftigung mit diesen Verbindungen durch mehrere Faktoren erschwert:
− Aufgrund der negativen Ninhydrin-Reaktion wurde irrtümlich davon
ausgegangen, daß Alamethicin (ALM) [Meyer & Reusser, 1967], Antiamoebin
(AAM) [Vaidya et al., 1968] und Trichotoxin A (TXT-A) [Hou et al., 1972]
eine cyclische Struktur besitzen. Daher wurden zunächst weder die
Acetylierung des N-Terminus, noch die C-terminale Position des 2-
Aminoalkohols erkannt.
− Obwohl die Aminosäurezusammensetzung der jeweiligen mikrokristallin
vorliegenden Hauptkomponenten ermittelt worden war, ergab die Analyse bei
einigen Aminosäuren keine ganzzahlige Stöchiometrie, so z. B. im Falle des
TXT [Irmscher et al., 1978].
7 Berichte über die Bildung von Peptaibiotika in Fruchtkörpern von Basidiomyceten [Aretz et al., 1997; Lee et al., 1999(a) und (b)] wurden bereits von Kiet et al. [2002] mit einer nicht erkannten Infektion der betreffenden Fruchtkörper durch einen peptaibolbildenden Mykoparasiten der Gattung Sepedonium in Verbindung gebracht. Dieses Phänomen wird in den Anhängen A, F und J diskutiert und gilt seit dem Nachweis der Tylopeptin-Bildung durch Kulturen von Sepedonium chalcipori [Neuhof et al., 2007(a)] als widerlegt.
21
Letzteres Phänomen wurde folgerichtig auf die so genannte Mikroheterogenität
zurückgeführt, d. h. das Vorliegen chromatographisch nur schwer oder gar nicht trennbarer
Gemische homologer und positionsisomerer Peptide. Diese ergibt sich aus der nicht-
ribosomalen Biosynthese der Peptaibiotika, die bereits 1967 von Reusser für ALM postuliert
wurde. Später wurde gezeigt, daß dieser bereits in Bakterien beschriebene, an
Multienzymkomplexen mit reduzierter Spezifität ablaufende Prozeß ebenfalls in Pilzen
stattfindet [Rindfleisch & Kleinkauf, 1976].
Zur Sequenzierung und Strukturaufklärung von Peptaibolen wurden Methoden wie
Edman-Abbau und hochauflösende Felddesorptions-Massenspektrometrie (FD-HR-MS),
Kopplung aus Gaschromatographie und hochauflösender Elektronenstoß-
Massenspektrometrie (GC/HR-EI-MS) bzw. Feldionisations-Massenspektrometrie (FI-HR-
MS) angewendet. Von besonderem Wert erwies sich dabei, beruhend auf der Erkenntnis einer
relativen Labilität der Bindung zwischen Aib und Pro, die Verwendung wasserfreier
Trifluoressigsäure (TFA) als Reagenz zur selektiven Spaltung von Peptaibolen und die
nachfolgende Analyse der entsprechend derivatisierten Spaltprodukte mittels GC/MS
[Brückner et al., 1979; Brückner & Jung, 1980; Brückner et al., 1980; siehe auch Anhang L].
Ein weiterer Fortschritt ergab sich aus der Einführung der Fast-Atom-Bombardment-
Massenspektrometrie (FAB-MS) [Rinehart, 1983], die allein oder in Kopplung mit der
Hochdruckflüssigchromatographie (HPLC) eine Analytik intakter, nicht-derivatisierter
Peptaibiotika, so z. B. der Leucinostatine, ermöglichte [Isogai et al., 1992 und darin zitierte
Referenzen]. Mit Hilfe dieser beiden hochenergetischen, so genannten „harten“,
Ionisierungsmethoden EI- und FAB-MS wurden bis 1988 etwa 60 Peptaibiotika sequenziert.
In diesem Zusammenhang sei abschließend noch auf den relativ hohen Probenbedarf, den
erheblichen apparativen sowie den vergleichsweise großen Zeit- und Arbeitsaufwand
verwiesen, den eine Peptid-Sequenzierung mittels dieser beiden klassischen Methoden der
Massenspektrometrie nach sich zog.
22
1.4. Die Elektrosprayionisations-Massenspektrometrie revolutioniert die
Sequenzierung und Strukturaufklärung von Peptaibiotika
Selbst bei Verwendung von FAB-MS können oftmals weitere sekundäre oder tertiäre Serien
mehr oder minder unspezifischer Fragment-Ionen auftreten, welche die Sequenzierung
zusätzlich erschweren. Mit der Einführung der Elektrosprayionisations-Massenspektrometrie
(ESI-MS) steht seit etwa 20 Jahren ein niederenergetisches, so genanntes „weiches“
Ionisierungsverfahren zur Verfügung, das hervorragend zur Sequenzierung von Peptaibiotika
geeignet ist. Dies wird durch die Tatsache illustriert, daß bis Februar 2003 bereits etwa 300
Einzelsequenzen von Peptaibiotika beschrieben worden sind.
Bei der ESI-MS werden nicht primär Fragment-Ionen gebildet, sondern es kommt −
durch Abstraktion ([M−H]-) oder Anlagerung von Protonen, Na+ oder K+ − zur Bildung von
Addukten, so genannten Quasi-Molekülionen. Diese geben Auskunft über das
Molekulargewicht der betreffenden Analyten, während Fragmentierungsreaktionen
größtenteils unterbleiben. Diagnostische Fragment-Ionen, die meist den a-, b- oder c- bzw. x-,
y- oder z-Serien, entsprechend der Roepstorff/Fohlman/Biemann-Nomenklatur [Roespstorff
et al., 1984, 1985; Biemann, 1992], zuzuordnen sind, werden erst durch Kollision
ausgewählter Quasi-Molekülionen mit einem inerten Stoßgas in einer so genannten
Kollisionzelle erzeugt.
Das vorrangige Ziel dieser Übersichtarbeit besteht darin, die verschiedenen
massenspektrometrischen Methoden zur Sequenzierung von Peptaibiotika kurz darzustellen,
relevante Strukturdaten (diagnostische Fragment-Ionen, Molekulargewichte), einschließlich
möglicher Modifikationen des N- bzw. C-Terminus der bislang bekannten Peptaibiotika, in
Tabellenform zu vermitteln, und proteinogene8 und ungewöhnliche nicht-proteinogene
Aminosäure-Bausteine vorzustellen. Außerdem werden Aspekte der Nomenklatur bei der
Klassifizierung von Peptaibiotika sowie der Ökophysiologie und der Einordnung der Bildner
ins System der Pilze diskutiert.
8 Schwefelhaltige (Cys, Met) sowie L-Lys und L-His als basische proteinogene Aminosäuren sind bisher noch nicht als Bausteine von Peptaibiotika beschrieben worden. Auch L-Orn (Bacillus sp.: Gramicidin S, Tyrocidin) bzw. D-Orn (Bacitracin A: Bacillus licheniformis) und die bisweilen in Peptid-Antibiotika (Polymyxin-Gruppe: Bacillus polymyxa) vorkommende 2,4-L-Diaminobuttersäure (Dab) [Gräfe, 1992] wurden in Peptaibiotika noch nicht nachgewiesen. D-Lys wurde bislang lediglich einmal – als Baustein des Cycloheptapeptaibiotikums Serinocyclin B – beschrieben [Krasnoff et al., 2007].
23
1.5. Die Trichofumine – vier neuroleptisch wirksame, neue Peptaibole aus
Trichoderma sp. HKI 0276
Aus Oberflächenkulturen des taxonomisch nicht näher bestimmten Stammes Trichoderma sp.
HKI 0276 wurden vier Peptaibole, die Trichofumine A, B, C und D, präparativ isoliert.
Trichofumin A und B bestehen aus elf, Trichofumin C und D aus dreizehn Resten. Sie sind in
der Lage, die Morphogenese der Hyphen des Coelomyceten Phoma destructiva (Pleosporales)
zu beeinflussen. Dieser Effekt macht sich, wie bei der Referenzsubstanz Cyclosporin A, durch
die zeitlich beschleunigte Bildung eines bräunlich pigmentierten Hofes um das Testloch auf
einer Agardiffusionsplatte bemerkbar [Dornberger et al., 1995] und ist als Vortest für eine
neuroleptische (antipsychotische) Wirkung geeignet. Diese wird schließlich durch die
Auslösung von Hypothermie bei Mäusen bestätigt, wobei sich letztere in der Abnahme
spontaner lokomotorischer Aktivität widerspiegelt [Bansinath & Ramabadran, 1990]. Die
neuroleptische Aktivität der vier Trichofumine war der der Ampullosporine A, B und D
vergleichbar [Ritzau et al. 1997; Kronen et al., 2001].
Die massenspektrometrische Sequenzierung der Trichofumine konnte durch den Einsatz eines
ESI-Qq-TOF-Geräts mit Pulsar-Funktion wesentlich erleichtert und beschleunigt werden. Mit
Hilfe des so genannten „Pulsars“ können Ionen über einen bestimmten m/z-Bereich in der
Stoßzelle zuerst gesammelt und nachfolgend − gewissermaßen „gebündelt“ − ins Flugrohr des
MS weitergeleitet („gepulst“) werden. Dies führte zu einer erheblichen Verbesserung der
Sensitivität des Gerätes. Dadurch war es möglich, die Trichofumine mit Hilfe der gebildeten
b-Typ-Fragmente komplett zu sequenzieren.
24
1.6. Detektion neuer, modifizierter Alamethicine F30 durch Kopplung von
nicht-wäßriger Kapillarelektrophorese und ESI-Massenspektrometrie
In Abhängigkeit von den Fermentationsbedingungen produziert Trichoderma arundinaceum
CBS 1237939 ein Gemisch mehrerer, als Alamethicin (ALM) bezeichneter Polypeptide, die
aufgrund ihres unterschiedlichen dünnschichtchromatographischen Laufverhaltens als ALM
F30 (ca. 85%) und ALM F50 (ca. 12%) bezeichnet werden; daneben wurden ALM F20 (2%)
sowie ALM F40, F60 und F70 (insgesamt 1%) nachgewiesen [Melling & McMullen, 1975].
Mittels Direkteinlaß sowie Kopplung aus HPLC und Ionenfallen-Massenspektrometrie (ESI-
IT-MSn) und GC/MS-Analyse der derivatisierten Aminosäuren in den salzsauren
Hydrolysaten wurden die einzelnen Peptaibole im ALM F30 bzw. ALM F50 sequenziert.
Insgesamt wurden zehn saure ALM F30 (Glu18−Gln19) und 13 neutrale ALM F50
(Gln18−Gln19) beschrieben [Kirschbaum et al., 2003].
Das Ziel dieser Arbeit bestand darin, das Potential einer Kopplung aus nicht-wäßriger
Kapillarelektrophorese (NACE) und ESI-IT-MS bzw. ESI-TOF-MS für die Analyse und
Sequenzierung von Peptaibolen zu untersuchen. Mittels beider Methoden konnten zehn ALM
F30-Sequenzen identifiziert werden. Unter diesen befanden sich drei, die bereits von
Kirschbaum et al. [2003] beschrieben worden sind:
die beiden Hauptkomponenten ALM F30/3 (ca. 46%) und F30/7 (ca. 40%) sowie
ALM F30/6 (ca. 2%), das durch einen Austausch Gln→Glu in Position 6 charakterisiert ist.
Die restlichen von Kirschbaum et al. [2003] gefundenen Minorkomponenten konnten mittels
NACE nicht nachgewiesen werden. Dies wird auf die zu geringe Massendifferenz zwischen
den in ohnehin geringen Konzentrationen vorliegenden Homologen von ± 14 Da
zurückgeführt, die für eine kapillarelektrophoretische Trennung unzureichend war.
Das Potential der Methode wird jedoch durch die Tatsache verdeutlicht, daß mittels
NACE/MS-Kopplung die Sequenzen von sieben neuen Alamethicinen aus der F30-Reihe
ermittelt werden konnten, die mit Hilfe der HPLC/MS-Kopplung nicht identifiziert werden 9 Dieser Stamm wurde ursprünglich als Trichoderma viride NRRL 3199 hinterlegt und ist unter dieser Bezeichnung als Alamethicin-Produzent patentiert worden [Coats et al., 1974]. In den meisten Publikationen zum Thema „Alamethicin“ wird diese mittlerweile veraltete Nomenklatur verwendet. Zur Revision der systematischen Einordnung des Stammes siehe Abschnitt 1.11. und die Originalarbeit H des Anhangs.
25
konnten. Diese Minorkomponenten zeichnen sich durch eine zusätzliche Carboxyl-Gruppe
aus, die durch einen Gln→Glu-Austausch bzw. den Verlust des C-terminalen Aminoalkohols
generiert wird. Diese strukturellen Veränderungen sind offensichtlich der Grund dafür, daß
diese Substanzen mittels CE detektiert werden konnten, während sie durch die HPLC nicht
erfaßt wurden. Im Hinblick auf eine Erhöhung der strukturellen Vielfalt der Peptaibiotika ist
der Nachweis zweier drastisch verkürzter Sequenzen, die einen N-terminalen
Pyroglutaminsäure-Rest (Pyr) tragen, von besonderer Bedeutung. Diese repräsentieren die
jeweiligen Hauptkomponente ALM F30/3 bzw. ALM F50/5, denen das N-terminale
Hexapeptid fehlt. Somit wurde der erstmalige Nachweis von Pyr als ungewöhnlicher
Bestanteil von Peptaibiotika erbracht. Nachdem Spuren dieser Peptide auch im
Ausgangsmaterial detektiert werden konnten, wurde ALM F30 verschiedenen
Erhitzungsversuchen unterworfen, um die Bedingungen der Aufarbeitung zu simulieren.
Diese Experimente erbrachten keine Erhöhung des Gehalts an Pyr-Peptiden im
Ausgangsmaterial. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß diese Verbindungen tatsächlich
nativ in der Probe vorliegen könnten. Pyr ist als Bestandteil von Peptiden bei Bakterien,
Pflanzen, Invertebraten und Vertebraten bereits mehrfach beschrieben worden, was anhand
von Beispielen aus der Literatur diskutiert wird.
1.7. Peptaibiomics −−−− das zielgerichtete Screening nach Peptaibiotika in
phytoprotektiven Trichoderma-Arten
Die von Krause et al. [2006(a)] eingeführte Methode der „Peptaibiomics“ zielt darauf ab, die
Gesamtheit der von einem Pilzstamm unter definierten Kulturbedingungen gebildeten
Peptaibiotika, das so genannte „Peptaibiom“ , zu erfassen. Mit dieser Vorgehensweise ist es
u. a. möglich, die zeitabhängige Dynamik der Biosynthese und des Abbaus von Peptaibiotika
zu verfolgen, wie am Beispiel der extrem mikroheterogenen Trichobrachine aus Trichoderma
ghanense CBS 936.69 demonstriert wurde [Krause et al., 2007]. Methodisch wird wie folgt
vorgegangen:
An die Extraktion der Pilzkultur mit organischen Lösungsmitteln schließt sich eine
Festphasenextraktion (SPE) über C18-Kartuschen an. Das organische Eluat wird danach
mittels ESI-MS analysiert. Als besonders geeignet hierfür hat sich die Ionenfallen (ion trap)-
Massenspektrometrie (IT-MS) erwiesen; denn diese ermöglicht es, wie in der Publikation A
26
des Anhangs dargestellt, die Genealogie von Produkt-Ionen zu verfolgen. In einem ersten
Schritt wird die Probe durch Applikation verschiedener Spannungsdifferenzen
(typischerweise 0, 45 und 65%) in der Skimmer-Region des IT-MS der so genannten
„Quellenfragmentierung“ (collision-induced decomposition, CID -MS) unterworfen. Somit
können ausgewählten Quasimolekül-Ionen eine Reihe von zugehörigen Fragment-Ionen
zugeordnet werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Auftreten der Differenz ∆ (m/z)
85, da diese das Vorhandensein eines Aib-Restes im Molekül anzeigt. Eine weitere
diagnostische Differenz ist ∆ (m/z) 99, die Hinweise auf das Vorliegen eines Vxx-Restes (D-
oder L-Iva bzw. L-Val10) gibt. Die durch CID-MS ermittelten Partialsequenzen werden in
einem nächsten Schritt durch Stoßexperimente (MS2, MS3, MS4, MSn) nach Auswahl
geeigneter Vorläufer-Ionen bestätigt.
Acht Stämme aus sieben Trichoderma-Arten (T. erinaceus, T. pubescens, T. spirale, T.
strigosum und T. stromaticum sowie T. cf. pubescens und T. cf. strigosum) wurden mittels der
oben vorgestellten Methode auf die Bildung von Peptaibiotika untersucht. Diese Isolate
wurden im Rahmen eines Screenings von mehr als 400 Stämmen aus etwa 30 Trichoderma-
Arten aufgrund ihrer antimikrobiellen Wirkung auf die Erreger der Eutypiose, Eutypa lata,
und der Esca-Krankheit, Phaeomoniella chlamydospora und Phaeoacremonium aleophilum,
für eine vertiefende Bearbeitung ausgewählt. Beide traten in Deutschland in den vergangenen
Jahren verstärkt als Erkrankung von Stamm und mehrjährigem Holz der Weinrebe (Vitis
vinifera) auf [Gräfenhan, 2006]. In allen untersuchten Stämmen wurden Peptaibiotika
nachgewiesen, die zur antifungalen Aktivität der Bildner beitragen könnten:
Neben bekannten Sequenzen wurden neue, aus sieben, zehn und elf Resten bestehende
Lipopeptaibole mit N-terminalen Alkanoyl- und C-terminalen Leucinol- (Leuol) oder
Isoleucinol-Resten (Ileol) nachgewiesen11. Diese werden als Lipostrigocine (LSG) bzw.
Lipopubescine (LPB) bezeichnet. Zwei neue, aus 19 Resten bestehende Peptaibole, die
Trichostrigocine (TSG) A und B, werden von T. strigosum und T. erinaceus gebildet. In 10 Über den Nachweis von D-Val in Peptaibiotika ist bislang noch nicht berichtet worden.
11 Alle bislang in linearen Peptaibiotika nachgewiesenen C-terminalen Aminoalkohole sind L-konfiguriert. Da eine Konfigurationsanalyse mittels GC/MS nicht durchgeführt werden konnte, sind die isobaren Aminosäuren bzw. -alkohole der in den Anhängen D, E und H gefundenen Peptaibiotika mit Vxx und Lxx bzw. Vxxol und Lxxol angegeben.
27
Kulturen von T. stromaticum [Samuels et al., 2000] wurden fünf neue Peptaibole, die
Trichstromaticine (TSM) A−E, detektiert, die aus 18 Resten bestehen und zum Erfolg dieser
Art bei der biologischen Bekämpfung des Erregers der Hexenbesenkrankheit des Kakaos
(Theobroma cacao), Moniliophthora (syn. Crinipellis) perniciosa, beitragen könnten.
Schließlich wird die chemotaxonomische Relevanz der gefundenen Peptaibiotika
diskutiert. Für die Systematik besitzen diese Peptid-Antibiotika bei isolierter Betrachtung
keine Bedeutung, wohl aber im Kontext mit anderen, für die Einordnung der Bildner ins
System der Pilze wichtigen Merkmalen, wie klassisch-morphologischen Daten und
molekularbiologischen Markern, aber auch der Bildung von Mykotoxinen und anderen
niedermolekularen Sekundärmetaboliten.
1.8. Der Trichoderma brevicompactum-Komplex als reiche Fundgrube
bekannter und neuer Sequenzen von Peptaibiotika
Im Rahmen des im vorherigen Abschnitt besprochenen Screenings nach Trichodermen, die
zur biologischen Bekämpfung von Eutypiose und Esca-Krankheit im Weinbau geeignet sind,
wurden drei Isolate von T. brevicompactum sowie vier mit dieser Art nahe verwandte Stämme
(vorläufig als Trichoderma cf. brevicompactum klassifiziert)12 eingehend auf die Bildung von
Peptaibiotika untersucht.
Die Auswahl der sieben oben genannten Stämme erfolgte aufgrund ihrer besonders stark
ausgeprägten antibiotischen Aktivität gegen die Erreger der beiden Rebholz-Krankheiten.
Methodisch wurde in dieser Arbeit, wie bereits im Abschnitt 1.7. beschrieben, vorgegangen.
Alle untersuchten Stämme produzierten die aus 20 Resten bestehenden Alamethicine F30.13
Insgesamt wurden folgende Peptaibole sequenziert: 14 aus zwölf Resten bestehende
Trichocryptine B (TCT-B), zwölf aus elf Resten bestehende Trichocryptine A (TCT-A), 19
12 Zur endgültigen taxonomischen Einordnung und Hinterlegung der betreffenden Stämme siehe Anhang H. Zu einer dieser Arten gehört auch der ALM-Patentstamm Trichoderma „viride“ NRRL 3199, der als „klassische“ Quelle dieser aus 20 Resten bestehenden Peptaibole bekannt ist.
13 ALM gilt allgemein als d a s klassische Beispiel für membranaktive Peptaibole [vgl. Übersichtsarbeit: Leitgeb et al., 2007]. Deren antibiotische Aktivität beruht auf der Bildung von spannungsabhängigen Ionenkanälen nach dem „Flip-Flop-Modell“ [Boheim et al., 1983], das aus dem „barrel stave“-Modell [Boheim, 1974] hervorgegangen ist.
28
aus elf Resten bestehende Trichobrevine (TBV) A und B. Außerdem bildeten die Isolate sechs
aus zehn Resten bestehende Lipoaminopeptide, die Trichoferine (TFR), und 17 aus sieben
Resten bestehende Lipopeptaibole, die Trichocompactine (TCT). Somit konnten − allein aus
diesen sieben Stämmen − fast 70 neue Sequenzen von Peptaibiotika ermittelt werden.
Die gefundenen Peptaibiotika, insbesondere die als Hauptkomponenten auftretenden ALM
F309, könnten − wegen ihrer ionenkanalbildenden Eigenschaften − als d a s maßgebliche
antibiotische Prinzip der sieben untersuchten Stämme interpretiert werden. Aufgrund der
distinkten HPLC-Elutionsprofile der einzelnen Stämme und des in zwei Gruppen
aufspaltenden Musters der gebildeten, auf Warmblüter cytotoxisch wirkenden Mykotoxine14
Trichodermin [Godtfredsen & Vangedal, 1964; 1965] und Harzianum A [Corley et al., 1994]
ergab sich die Notwendigkeit einer taxonomischen Revision der Sammelart Trichoderma
brevicompactum, d. h. ihre Neubeschreibung und die Schaffung zusätzlicher Arten. Diese
Studie verdeutlicht zwei Tatsachen:
Einerseits illustriert sie eindrucksvoll das Potential einer peptaibiomischen
Vorgehensweise bei der Suche nach neuen Peptabiotika mit interessanten Bioaktivitäten.
Andererseits bestätigt sie bereits im Anhang D niedergelegten Aussagen zur Relevanz von
Peptaibiotika in der Pilzsystematik, da die Ergebnisse der morphologischen und
molekulartaxonomischen Untersuchung dieser Isolate im Einklang mit chemotaxonomischen
Befunden stehen.
14 Auf die Sicherheitsrisiken, die sich aus einem Einsatz mykotoxinbildender Trichodermen in der landwirtschaftlichen Praxis ergäben, wurde bereits von Nielsen et al. [2005] verwiesen.
29
1.9. Neue Sequenzen, Bausteine und Produzenten von Peptaibiotika
In den vier Jahren seit dem Erscheinen von Anhang A sind etwa 300 neue Peptaibiotika
vollständig oder zumindest partiell sequenziert worden; darüber hinaus wurden neue Bildner
und weitere ungewöhnliche, nicht-proteinogene Bausteine beschrieben. Hieraus ergab sich im
Jahre 2007 die Notwendigkeit, diese neuen Befunde in einer Übersichtarbeit, welche im
Anhang F aufgelistet ist, darzustellen:
Neue Arten von Peptaibiotikabildnern werden vorgestellt und deren Position im
System der Pilze diskutiert. Außerdem wird auf weitere, potentielle Quellen von Peptaibiotika
eingegangen. Dabei handelt es sich um solche Arten und Stämme, für die zwar bereits der
Nachweis von peptidisch gebundenem Aib, D- oder L-Iva mittels GC/MS erbracht wurde, in
denen aber bislang noch keine Peptaibiotika sequenziert worden sind15.
Repräsentative Sequenzen von Peptaibiotika und ungewöhnliche monomere Bausteine
werden im Formelbild illustriert. Auf die erfolgreiche Anwendung der Peptaibiomics bei der
Untersuchung neuer Bildner aus der Gattung Trichoderma/Hypocrea sowie bei der
Sequenzierung der Suzukacilline [Krause et al., 2006(b)] und der extrem mikroheterogenen
Trichobrachine [Krause et al., 2007] wird eingegangen. Als besonders interessanter Befund
wird die erstmalige Isolierung von Antiamoebinen (AAM) aus dem natürlichen, von Stilbella
fimetaria (syn. S. erythrocephala) besiedelten Substrat ausführlich diskutiert, d. h. der
Nachweis der Peptaibiotikabildung in vivo. Hierbei ist hervorzuheben, daß die gefundenen
Mengen an Antiamoebin im deutlich inhibitorischen Bereich lagen und somit für den
koprophilen Bildner einen bemerkenswerten Vorteil bei der Besiedlung von Herbivoren-Dung
als ökologische Nische darstellen.
Als Gründe für die erwähnte Verdopplung der in der Literatur beschriebenen Peptaibiotika
innerhalb von nur vier Jahren werden die Einführung neuer analytischer Methoden, die
zielorientierte Auswahl und Optimierung von Trennmethoden und der Einsatz neuester
massenspektrometrischer Verfahren diskutiert. In diesem Zusammenhang werden analytische
Aspekte der Trennung stereoisomerer Aminosäuren an zwei für die Sequenzierung von
Peptaibiotika relevanten Beispielen (DL-Iva sowie 3- und 4-Hyp) erörtert.
15 Auf diese bislang nur in Ansätzen bearbeiteten Bildner nicht-proteinogener α,α-Dialkylaminosäuren wird im Anhang K eingegangen.
30
Als ein weiterer Grund für die rapide Zunahme der in der Literatur beschriebenen
Peptaibiotika wird die Erforschung von Bildnern aus hochkompetitiven bzw. ungewöhnlichen
Substraten besprochen. Der Bearbeitung von Pilzen aus ökologischen Nischen, so z. B. aus
koprophilen (AAM aus Stilbella-Arten), entomopathogenen (Cicadapeptine aus Cordyceps
heteropoda), und fungicolen Assoziationen (Acretocin aus Acremonium crotocinigenum;
Trichoderma stromaticum als Hyperparasit des Erregers der Hexenbesenkrankheit des
Kakaos, Moniliophthora [syn. Crinipellis] perniciosa), erhöht die Wahrscheinlichkeit des
Auffindens von neuartigen Sequenzen und interessanten Bioaktivitäten.
1.10. Die Bedeutung und künftige Perspektiven aktueller Ergebnisse auf den
Gebieten der Peptaibiotika-, Hydrophobin- und Mykotoxinforschung für
die Chemotaxonomie der Gattung Trichoderma/Hypocrea
Auf die überragende Bedeutung der Anamorphen-Gattung Trichoderma und ihrer Hypocrea-
Teleomorphen als Bildner von Peptaibiotika wurde im Rahmen dieser Ausführungen schon
mehrfach verwiesen. Ungeachtet dessen ist es, wie in Anhang G ausgeführt, stets notwendig,
Aussagen zur Bildung von Sekundärmetaboliten durch bestimmte Arten der Gattung
Trichoderma/Hypocrea kritisch zu hinterfragen. Dies beruht vor allem auf der Tatsache, daß
deren Systematik seit etwa Mitte der 1990er Jahre, bedingt durch die Einführung
molekulartaxonomischer und phylogenetischer Methoden, bedeutsamen Veränderungen
unterworfen ist. Diese finden jedoch erst seit etwa zehn Jahren ihren Niederschlag in der
naturstoffchemischen und bioanalytischen Natur. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde
die Bildung von Sekundärmetaboliten, einschließlich der Peptaibiotika, bis zu diesem
Zeitpunkt meist den vier verbreitetesten Trichoderma-Arten, T. viride, T. koningii, T.
harzianum und T. longibrachiatum, zugeschrieben. Diese Zuordnung kann nach heutigem
Kenntnisstand nicht mehr aufrecht erhalten werden, da die ursprüngliche Identifizierung
dieser Produzenten in der Zwischenzeit entweder bereits revidiert wurde oder fortwährend
Gegenstand berechtigter Zweifel ist16. Derzeit sind etwa 140 Trichoderma-Arten gültig
16 Es sei an dieser Stelle auf die nach wie vor bestehende, da nicht verbindlich gelöste Problematik verwiesen, daß etliche Peptaibiotikabildner nicht in einer anerkannten, öffentlich zugänglichen Stammsammlung (International Depositary Authority; IDA ) hinterlegt sind. Diese Tatsache erschwert nicht nur die Nachbestimmung eines peptaibiotika-bildenden Stammes, dessen publizierte Identität zweifelhaft erscheint, sondern hat in der Vergangenheit bereits zum wahrscheinlich endgültigen Verlust von Isolaten geführt.
31
beschrieben. Daher gelten moderne Methoden der DNA-Sequenzierung − neben klassisch-
morphologischen Bestimmungsmethoden − als derzeitiger Standard in der Pilztaxonomie. Als
weitere vielversprechende Methode hat sich in diesem Zusammenhang die „I ntact Cell
MALDI-TOF MS“ (IC-MS) [Neuhof et al., 2007(a), (b), (c)] erwiesen. Im Falle intakter
pilzlicher Zellen werden die im Solvens löslichen Komponenten der Zellwand, vor allem
Proteine, sowie niedermolekulare Metaboliten, einschließlich der Peptaibiotika, detektiert.
Dabei gelten die Hydrophobine (HFB) als exzellente Biomarker, die eine Differenzierung
von Isolaten unterhalb der Artebene ermöglichen und somit für die Aufspaltung von
Sammelarten, wie Trichoderma brevicompactum17, besonders gut geeignet sind.
Wann immer möglich, sollten molekulargenetische und chemotaxonomische Methoden, wie
z. B. die Bestimmung der HFB mittels IC-MS, ein LC/MS-basierenden Mykotoxin-Screening
[Nielsen et al., 2005] und ein peptaibiomischen Ansatz (siehe Abschnitte 1.7., 1.8. und 1.11.),
miteinander kombiniert werden. Eine solche interdisziplinäre Vorgehensweise, die der
genomischen, proteomischen und metabolomischen Komplexität der Pilze Rechnung trägt,
wird bei der Besprechung des Trichoderma brevicompactum-Cladus im folgenden Abschnitt
ausführlich erörtert.
Die praktische Bedeutung von Sekundärmetaboliten der Gattung
Trichoderma/Hypocrea wird einerseits dadurch verdeutlicht, daß nicht nur stetig neue
Sequenzen und Bioaktivitäten von Peptaibiotika, wie die Hemmung der Amyloid-β-Peptide
[Hosotani et al., 2007], beschrieben werden, sondern mittlerweile auch bekannte
phytoprotektive Wirkungen von so genannten pflanzenstärkenden oder im biologischen
Pflanzenschutz eingesetzten Präparaten auf Trichoderma-Basis durch die Präsenz von
Peptaibiotika erklärbar sind. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß solche Präparate, die
potentiell in die Nahrungskette gelangen können, frei von Metaboliten unterschiedlichster
Strukturklassen, die als Mykotoxine im engeren Sinne [i. e. S.: Frisvad et al., 2006(b)]
klassifiziert worden sind, sein müssen. Anhand repräsentativer Beispiele wird erläutert,
warum manche Peptaibiotika – allein aufgrund ihres irreführenden Namens (vgl.
Trichotoxin!) oder einer toxischen Wirkung gegenüber Invertebraten – nicht pauschal als
Mykotoxine (i. e. S.) eingestuft werden sollten.
17 Weitere Beispiele aus der neuesten Literatur werden im Kapitel 3 diskutiert.
32
1.11. Der Trichoderma brevicompactum-Cladus: ein separater Zweig im
Stammbaum mit neuen peptaibiotika- und mykotoxinbildenden Arten
Ausgehend von den im Abschnitt 1.8. dargestellten Diskrepanzen, die sich aus der
Untersuchung des Peptaibioms und des Mykotoxin-Musters ausgewählter Isolate des
Brevicompactum-Komplexes ergaben, resultierte die Notwendigkeit einer taxonomischen
Revision des nunmehr als Sammelart zu bezeichnenden Trichoderma brevicompactum. Mit
Hilfe des interdisziplinären im Anhang H beschriebenen Ansatzes, der
− die morphologische Analyse und deren nachfolgender statistische Auswertung (MDS);
− die phylogenetische Analyse (tef1, rpb2, ITS);
− die Peptaibiom-Analyse (durch HPLC/ESI-IT-MSn, MALDI-TOF-MS und GC/MS);
− die Hydrophobin-Analyse der sporulierenden Mycelien (durch IC-MALDI-TOF-MS)
und
− die Mykotoxin-Analyse (durch Kopplung von DAD-HPLC und hochauflösender ESI-
TOF-MS)
umfaßte, konnte dieses Ziel erreicht werden. Die in Anhang E temporär als Trichoderma cf.
brevicompactum klassifizierte Stämme und weitere Isolate gehören den folgenden drei neuen
Arten an und zwar
− Trichoderma arundinaceum sp. nov. Zafari, Gräfenhan & Samuels;
− Trichoderma protrudens sp. nov. Samuels & Chaverri sowie
− Trichoderma turrialbense sp. nov. Samuels, Degenkolb, K. F. Nielsen & Gräfenhan.
Gemeinsam mit Trichoderma brevicompactum, dessen Artbeschreibung revidiert wurde, und
Hypocrea rodmanii sp. nov. Samuels & Chaverri (Anamorphe: Trichoderma rodmanii) bilden
sie den neuen Brevicompactum-Cladus, der systematisch dem Lutea-Cladus am nächsten
steht. Dabei unterscheidet sich die neue Hypocrea-Art durch das Fehlen von einfachen, nicht-
makrocyclischen Trichothecenen von den vier übrigen Arten, die entweder Trichodermin (T.
33
brevicompactum)18 oder Harzianum A (T. arundinaceum19, T. protrudens und T. turrialbense)
bilden. Außerdem ist das Peptaibiotika-Muster von H. rodmanii völlig verschieden von dem
der übrigen Arten des Cladus – neben sieben neuen, aus sieben Resten bestehenden
Lipopeptaibolen, den Hypocompactinen (HCP), und fünf neuen, aus 14 Resten bestehenden
Peptaibolen, den Hyporodicinen (HRC), bildet diese Art aus 19 Resten bestehende
Trichokonine (TKO). Im Gegensatz dazu bilden die sieben untersuchten Isolate von
Trichoderma brevicompactum hauptsächlich ALM20 sowie die TCT der A- und B-Reihe. Als
Minorkomponenten wurden Lipoaminopeptide der TFR-Gruppe gefunden. In Abhängigkeit
vom untersuchten Isolat können Spuren von TBV vorhanden sein. T. turrialbense
unterscheidet sich durch die Bildung von Harzianum A von T. brevicompactum. Das Muster
der produzierten TCT ist vom Isolat abhängig; besonders bemerkenswert ist in diesem
Zusammenhang der erstmalige Nachweis von L-Alaninol (L-Alaol) als C-terminaler 2-
Aminoalkohol von Peptaibolen mittels GC/MS. Ferner wurden TBV und TFR als
Minorkomponenten nachgewiesen. Somit ist T. turrialbense als Bindeglied zwischen T.
brevicompactum und T. arundinaceum einzuordnen. Das Peptaibiom der beiden Harzianum
A-bildenden Species T. arundinaceum und T. protrudens ist identisch; die Abgrenzung der
letzteren erfolgt hier anhand ihres einzigartigen Hydrophobin-Musters und morphologisch-
physiologischer Parameter.
18 Der ursprünglich als T. viride beschriebene Trichodermin-Bildner [Godtfredsen & Vangedal, 1964; 1965] gehört zu T. brevicompactum.
19 Zu T. arundinaceum gehören u. a. der von Corley et al., [1994] als T. harzianum ATCC 90237 klassifizierte Harzianum A-Bildner sowie „Hypocrea sp.“ F000527, die von Lee et al. [2005] und Jin et al. [2007] als Bildner von Harzianum A bzw. B publiziert wurde. Auch der ALM-Patentstamm T. „viride“ NRRL 3199 ist nunmehr als T. arundinaceum eingeordnet.
20 Das Verhältnis zwischen ALM F30 und F50 hängt vom jeweiligen Isolat und von den Fermentationsbedingungen ab. Die verwendeten Abkürzungen werden im Abschnitt 1.6. erläutert.
34
1.12. Natürlich vorkommende Cyclopeptaibiotika und verwandte cyclische
Tetrapeptide: ihre strukturelle Vielfalt und biolog ischen Aktivitäten
Wird deren Linearität nicht mehr als ein notwendiges Kriterium zur Einordnung von
bioaktiven Peptiden als Peptaibiotika betrachtet, so bietet dies die Möglichkeit, die klassische
Definition eines Peptaibiotikums [Brückner et al., 1991(a) und (b); Anhang A und Anhang
F] auf cyclische, α,α-dialkylaminosäure-haltige Peptide zu erweitern. Diese schließt nunmehr
eine kleine Gruppe von Verbindungen ein, die – wie in Anhang I dargestellt – als fünfte
Unterfamilie der Peptaibiotika, die Cyclopeptaibiotika, in die Literatur eingeführt wurden.
Dabei werden auch taxonomische und ökophysiologische Aspekte der Bildner diskutiert.
Strukturell lassen sich die bisher bekannten Verbindungen in dieser Unterfamilie in die
Cyclotetrapeptaibiotika und die Cycloheptapeptaibiotika unterteilen.
Cyclotetrapeptaibiotika sind durch einen vergleichsweise einheitlichen Bauplan
gekennzeichnet: in ihrem Ring befinden sich ein substituierter L-2-Aminodecansäure-, ein D-
Pro- oder trans-4-D-MePro-21, ein Phenylalanyl-22 und ein α,α-Dialkylaminosäure-Rest.
Letzterer wird in sieben von neun bislang beschriebenen Cyclotetrapeptaibiotika durch Aib
gebildet, welche im Phoenistatin [Masuoka et al., 2001]23 durch Iva24 sowie im FR235222
und im AS138739225 durch L-Iva substituiert ist. In den drei Cycloheptapeptaibiotika fehlt
hingegen der Lipoaminosäure-Rest; stattdessen sind in den Syctalidamiden A und B als
ungewöhnliche Bausteine neben Aib N-Methylaminosäuren vorhanden sowie Pro bzw.
(2S,3S)-3-MePro. In den Serinocyclinen ist Acc als α,α-Dialkylaminosäure enthalten;
21 Bislang nur im FR235222 nachgewiesen; alle übrigen Cyclotetrapeptaibiotika besitzen einen D-Pro-Rest.
22 Als eine Ausnahme hiervon ist AS1429716 zu nennen, das statt des Phe-Restes einen Tyr-Rest trägt. Es wird aus AS1387392, cyclo(Aoh-D-Pro-L-Phe-L-Iva) [Sasamura et al., 2010(a)], durch Biokonversion m. H. verschiedener Actinomyceten erzeugt [Sasamura et al., 2010(b)]. Weitere Derivate des AS1387392 sind cyclo(Aoh-D-Pro-L-m-Tyr-L-Iva), cyclo(Add-D-Pro-L-Phe-L-Iva), cyclo(Add-D-Pro-L-Tyr-L-Iva) und cyclo(Add-D-Pro-L-m-Tyr-L-Iva). Sie werden durch Biokonversion mit Amycolatopsis azurea JCM 3275 gewonnen [Sasamura et al., 2010(c)]. Aoh = 2-Amino-8-oxo-9-hydroxydecansäure; Add = 2-Amino-8,9-dihydroxydecansäure.
23 Das von Acremonium fusigerum produczierte Phoenistatin [Masuoka et al., 2001] und die Serinocycline A und B aus Metarhizium anisopliae [Krasnoff et al., 2007] werden im Anhang I nicht abgehandelt.
24 Die Konfiguration des Iva-Rests im Phoenistatin ist bisher noch nicht bestimmt worden.
25 AS1387392 [Sasamura et al., 2010(a)] und FR235222 wurden aus Acremonium sp. No. 27082 isoliert.
35
weiterhin ein D-Ser-, zwei L-Ser-, ein (2S,4R)-Hyp, ein β-Ala- und ein 2-(R,4S)-γ-Hylys- bzw.
D-Lys-Rest [Krasnoff et al., 2007].
Alle bisher beschriebenen Cyclotetrapeptaibiotika und natürlich vorkommende,
strukturell verwandte α,α-dialkylaminosäurefreie Cyclotetrapeptide26 werden von Pilzen
gebildet. Sie besitzen eine stark inhibierende Wirkung auf Histon-Deacetylasen (HDAC),
durch die das breite Spektrum der biologischen Aktivitäten dieser Verbindungen, auf die in
Anhang I ausführlich eingegangen wird, im allgemeinen erklärt werden kann. Als Beispiele
mit möglicher praktischer Relevanz sind zu nennen die immunsuppressive Wirkung des
FR235222 oder die TGF-β-artige Aktivität27 des Diheteropeptins.
Im Falle der beiden Cycloheptapeptaibiotika Scytalidamid A und B wurde eine in vitro-
Hemmung von Krebszell-Linien beobachtet, während das von Metarhizium anisopliae var.
anisopliae und M. anisopliae var. acridum28 biosynthetisierte Serinocyclin A subletale
lokomotorische Defekte bei Aedes aegypti-Larven hervorruft [Krasnoff et al., 2007].
Eine durch das Vorkommen nicht-proteinogener Aminosäuren wahrscheinliche nicht-
ribosomale Biosynthese dieser Verbindungen schlägt sich im Falle der Apicidine, Azumamide
und der Analoga der HC-Toxine [Kim et al., 1985; Tanis et al., 1986; Rasmussen & Scheffer,
1988] in einer Mikroheterogenität nieder:
Die im letzteren Falle beschriebenen Substitutionen von D-Ala gegen Gly (HC-Toxin
II) bzw. von D-Pro gegen trans-3-Hyp (HC-Toxin III) geben Anlaß zu der Hypothese eines
möglichen Austauschs von Ala gegen einen α,α-Dialkylaminosäure-Rest. Die bislang noch
ausstehende systematische Untersuchung dieser Mikroheterogenität, z. B. durch Applikation
eines peptaibiomischen Ansatzes, erscheint als interessante Alternative zur potentiellen
26 Hierzu zählt auch JM47, cyclo(Aoh-D-Pro-Ala-D-Ala), das von einem marinen Fusarium sp. [Jiang et al., 2002] gebildet wird. Die beiden Ala-Reste erscheinen ebenfalls als für einen hypothetischen Austausch gegen Aib geeignet.
27 Hierbei handelt es sich um den Transformierenden Wachstumsfaktor Beta, ein Cytokin, das u. a. Hirnzellen vor Zerstörungen schützt, wie sie nach ischämischen Verletzungen oder infolge der Alzheimer-Krankheit auftreten können.
28 Beide Subspecies werden bei der biologischen Bekämpfung von Schadinsekten kommerziell eingesetzt. Der verwendete Stamm von M. anisopliae var. acridum wurde aus dem Präparat „Green Muscle“® isoliert, das in Westafrika sehr effektiv zur biologischen Bekämpfung von Wanderheuschrecken verwendet wird.
36
Auffindung von Analoga bzw. Minorkomponenten mit neuen monomeren Bausteinen und
interessanten Bioaktivitäten.
1.13. Peptaibiomics: auf dem Wege zu einer Myriade von bioaktiven, α,α-
dialkylaminosäure-haltigen Peptiden?
Bereits aus den bisherigen Ausführungen ist erkennbar, daß Pilze eine buchstäblich
unerschöpfliche Quelle bioaktiver Peptide darstellen. Daher wird in der als Anhang J
aufgelisteten Übersichtsarbeit eingangs die Definition des Terminus „Peptaibiotikum“
aktualisiert und präzisiert. Chronologisch wird die Geschichte der Peptaibiotika-Forschung
von den Anfängen im Jahre 1958 bis 2008 vorgestellt und die dabei wichtigsten
Literaturreferenzen besprochen. Diese Arbeit fokussiert einerseits auf die Darstellung der
strukturellen Diversität und Mikroheterogenität der bis dahin etwa 850 beschriebenen
Sequenzen von Peptaibiotika, andererseits auf die Biodiversität der sie produzierenden Pilze.
Ausgehend von der Entdeckung von peptidisch gebundener Aib im Hydrolysat des
nicht-kristallinen Antibiotikums ICI 13959 werden die ersten zwei Dekaden der
Peptaibiotika-Forschung geschildert. Daran schließen sich Ausführungen über Entwicklung
und Relevanz von hochenergetischen Ionisierungstechniken, wie EI-MS und FAB-MS, für die
Sequenzierung von Peptaibiotika an; und es wird auf die Bedeutung von GC/MS-, GC-FID,
FD- und CI-MS sowie HPLC-Methoden zur Aminosäure-Analytik, einschließlich der
Bestimmung des N-terminalen Aminosäure-Rests eingegangen. Danach wird die Einführung
von Spray-Ionisationstechniken als entscheidender, die Sequenzierung von Peptaibiotika
revolutionierender Schritt geschildert. Einen breiten Raum nimmt die Darstellung der
strukturellen Diversifizierung in den Jahren 1996 bis 2008 ein. Es werden Beispiele für
Verbindungen mit ungewöhnlichen Bausteinen29 und Bioaktivitäten (vgl. Abschnitt 1.2.)
vorgestellt. Dabei kommen auch taxonomisch-systematische Aspekte und die Ökophysiologie
der Bildner zur Sprache. Beispielsweise wird die Frage der Peptaibiotika-Bildung in
Fruchtkörpern von Basidiomyceten abschließend diskutiert; und es wird auf die erstmalige
29 In diesem Zusammenhang sei auf eine Problematik verwiesen, die sich im Rahmen von Literaturrecherchen nach neuen Sequenzen, Strukturelementen, Bildnern oder biologischen Aktivitäten von Peptaibiotika gelegentlich ergibt: Ungeachtet des Nachweises von α,α-Dialkylaminosäure-Resten, vor allem von Aib, werden die gefundenen bioaktiven Peptide nicht von allen Autoren als Peptaibiotika erkannt und entsprechend klassifiziert. Dies führt vereinzelt zu dazu, daß relevante Literatur nicht zeitnah erfaßt wird.
37
Isolierung von Peptaibolen aus dem natürlichen Substrat verwiesen. Weiterhin werden anhand
von Beispielen aus der neuesten Literatur peptaibiomische und auf die Verwendung der IC-
MS beruhende methodische Ansätze vorgestellt, die ein beschleunigtes Screening potentieller
Bildner und eine rasche Sequenzierung von Peptaibiotika ermöglichen. Schließlich werden
künftige Perspektiven der Peptaibiotika-Forschung auf dem Wege zu einer sprichwörtlichen
Myriade einzelner Sequenzen diskutiert, so z. B. Möglichkeiten zur weiteren strukturellen
Diversifizierung durch Untersuchung von aus ökologischen Nischen isolierten Bildnern und
die Erweiterung des auf bislang kaum bzw. noch nicht bearbeitete systematische Gruppen
von Pilzen. Auf letzteren Aspekt wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.
1.14. Aib und Iva in der Biosphäre – weder selten noch zwangsläufig
extraterrestrischen Ursprungs
Gegenwärtig wird von einer geschätzten Gesamtzahl von nahezu anderthalb Millionen
rezenten Pilzarten ausgegangen, wovon rund 98.000 gültig beschrieben sind [Kirk et al.,
2008]. Demgegenüber stehen bisher nur einige Tausend Arten, aus denen bioaktive
Sekundärmetaboliten isoliert worden sind. Noch deutlicher wird dieses bislang unerforschte
Potential im Falle der Peptaibiotika: als Quellen der annähernd 900 publizierten
Einzelsequenzen kommen annähernd 100 Pilzarten in ca. 25 Gattungen30 in Frage, wobei die
weitaus meisten Sequenzen von Trichoderma/Hypocrea (siehe auch Abschnitt 1.2.)
biosynthetisiert werden. Die überwiegende Mehrheit der Pilze wurde noch nicht auf die
Bildung von Peptaibiotika untersucht.
Aus diesem Grunde wurden organische Extrakte aus 49 Stämmen filamentöser Pilze
hydrolysiert und nach entsprechender Derivatisierung auf das Vorhandensein von
peptidgebundenem Aib, D- und/oder L-Iva mittels GC/SIM-MS untersucht. In 37 der
untersuchten Isolate konnte mindestens eine der drei oben genannten α,α-Dialkylaminosäuren
nachgewiesen werden. Eine Übersicht der geprüften Stämme gibt Tabelle 1 der als Anhang K
bezeichneten Originalarbeit. Von besonderem Interesse sind hierbei die positiv getesteten
Arten und Stämme aus den Gattungen Lecythophora (Teleomorphe: Coniochaeta,
Coniochaetaceae, Coniochaetales), Nectriopsis (Bionectriaceae, Hypocreales), Monocillium, 30 Die hier genannten Zahlenangaben ergeben sich aus einer Schätzung zum Zeitpunkt des Einreichens dieser Habilitationsarbeit im November 2010.
38
Niesslia (Niessliaceae, Hypocreales) und Wardomyces (Microascaceae, Microascales); denn
über Peptaibiotika-Bildung in den drei genannten Familien ist bisher kaum bzw. noch nicht
berichtet worden. Weitere Arten, wie Bionectria pityrodes, Clonostachys rosea und
Clonostachys candelabrum (Bionectriaceae, Hypocreales), sind ebenfalls für eine vertiefende
Bearbeitung prädestiniert, da in deren Hydrolysaten sowohl Aib als auch beide Iva-
Enantiomere nachgewiesen wurden.
Die Ergebnisse dieses GC/MS-Screenings widerlegen langjährige Postulate von
Astrochemikern und Meteoritenforschern, daß Aib und Iva ausschließlich extraterrestrischen
Ursprungs sind und in der Biosphäre extrem selten vorkommen.
Hinzu kommt die an sich ubiquitäre Verbindung möglicher Produzenten, welche
anhand von Beispielen illustriert wird. Trichoderma/Hypocrea ist als Pilzgattung mit vielen
bodenbürtigen Arten weltweit verbreitet. In diesem Zusammenhang spielt die mögliche
Verbreitung von Pilzsporen als Bestandteile von Bioaerosolen eine nicht zu unterschätzende
Rolle; außerdem können sie Sand- und Staubpartikeln anhaften und so über Hunderte oder gar
Tausende von Kilometern verbreitet werden. Daher kann eine möglicherweise biotische
Herkunft von Aib und Iva, die in marinen und nicht-marinen Sedimenten nahe (aber nicht in!)
der sog. Kreide-Tertiar (K/T)-Grenze gefunden wurden, nicht ausgeschlossen werden31.
Selbst über eine nachträgliche mikrobielle Kontamination von aminosäurehaltigen
Meteoriten, wie dem Murchinson oder dem Murray, wurde berichtet, da diese nicht unter
streng aseptischen Bedingungen gelagert werden. Seit einigen Jahren wird eine stetig
wachsende Anzahl von Sekundärmetaboliten aus psychrotoleranten, kälteadaptierten
Pilzspecies [Frisvad et al., 2006(a); Frisvad 2008] publiziert. Selbst aus Meteoriten oder
Eisbohrkernen antarktischen Ursprungs werden regelmäßig lebensfähige Mikroorganismen,
einschließlich psychrophiler Pilze, isoliert32. Darunter befinden sich auch bereits als
Peptaibiotika-Bildner beschriebene Pilzgattungen, wie Acremonium, Paecilomyces und
Trichoderma33.
31 Beispiele für die Sequenzierung und Isolierung von Peptaibiotika aus Pilzstämmen mariner Herkunft und aus marinen Sedimenten wurden bereits im Anhang J vorgestellt.
32 Die Pilzarten des antarktischen Festlands werden eingehend von Onofri et al. [2007] abgehandelt.
33 Auf die erstmalige Isolierung von Peptaibolen aus einem marinen Trichoderma asperellum antarktischer Herkunft wird im Kapitel 3 eingegangen.
39
Zusammenfassend ist festzustellen, daß ein Screening von bislang noch nicht oder wenig
bearbeiteten Pilzarten, die aus ökologischen Nischen und Extremstandorten, so z. B.
Eisbohrkernen, Boden-, oder marinen Sedimentproben aus arktischen oder antarktischen
Habitaten, die Wahrscheinlichkeit des Auffindens neuer Bildner, Bausteine und Sequenzen
von Peptaibiotika beträchtlich erhöht. Eine vertiefende Bearbeitung der in Tabelle 1 des
Anhangs K aufgelisteten, positiv auf peptidisches Aib, D- und/oder L-Iva getesteten Stämme
erscheint daher folgerichtig und naheliegend.
1.15. Untersuchungen zur selektiven trifluoracetolytischen Spaltung von
nativen Peptaibolen und Modellpeptiden mittels HPLC und ESI-CID-MS
Unerwartete, obgleich selektive Spaltreaktionen von Peptidbindungen, insbesondere bei
Anwesenheit nicht-proteinogener Aminosäuren im Molekül, gelten allgemein als
Herausforderung für die Planung manueller oder automatisierter Peptidsynthesen bzw. bei der
Aufarbeitung, Aufreinigung oder Sequenzierung von Peptiden.
Demgegenüber steht der zielgerichtete Einsatz acidolytischer Spaltungen der von speziellen
Aminosäuren gebildeten Amidbindungen, beispielsweise bei der Strukturaufklärung von
Peptaibiotika, z. B. Chlamydocin [Closse & Huguenin, 1974], AAM [Pandey et al., 1977(a),
1978], ALM [Pandey et al., 1977(b); Brückner & Jung, 1980], TXT-A40 [Brückner et al.,
1979] und TXT-A50 [Przybylski et al., 1984].
Untersucht wurde, wie in der Originalarbeit im Anhang L geschildert, das Spaltverhalten
folgender Peptaibole: der nativen, mikroheterogenen AAM- und ALM-F30-Mischungen, des
aufgereinigten nativen Paracelsins A (PC-A) und des synthetischen TXT-A50/E. Als
Vergleichssubstanzen wurden drei Homo-Aib-Peptide analysiert, und zwar Z- und Ac-
(Aib)10-OtBu sowie Ac-(Aib)7-O
tBu. Alle untersuchten Peptide wurden bei 37 °C für 0,5 bis
26 h mit wasserfreier Trifluoressigsäure (TFA) inkubiert, die acidolytisch erzeugten
Fragmente mittels HPLC aufgetrennt und schließlich durch ESI-CID-MS analysiert.
Im Falle der nativen Peptaibole war bereits nach 30-minütiger Inkubation eine
selektive Spaltung der Bindung zwischen Aib (bzw. Iva) und Pro (bzw. Hyp) festzustellen.
Außerdem wurde eine rasche Veresterung der Hydroxylgruppe des C-terminalen
Aminoalkohols durch TFA beobachtet. In Abhängigkeit von der Inkubationszeit kam es zur
40
Freisetzung C-terminaler Tri- bzw. Tetrapeptide sowie zur Abspaltung einzelner Aminosäure-
Reste aus den dominanten, trifluoracetolytisch erzeugten Fragmenten.
Bei der Trifluoracetolyse des Z34-(Aib)10-OtBu wurde schon nach 30-minütiger
Spaltung eine reguläre Fragment-Serie von Z-(Aib)10-OH bis Z-(Aib)5-OH erzeugt.
Außerdem wurden gleichzeitig Fragment-Serien H-(Aib)10-OH bis H-(Aib)3-OH generiert.
Nach dreistündiger Inkubation des Z-(Aib)7-OtBu kam es zur Freisetzung einer
regulären Fragment-Serie von Z-(Aib)7-OH bis Z-(Aib)3-OH.
Von diesen experimentellen Daten ausgehend, wurde ein repetitiver Spaltmechanismus für
Homo-(Aib)n-Peptide vorgeschlagen, der über die sich wiederholende Bildung intermediärer
Oxazolinolium/Oxazolinium-Ionen verläuft:
Ein interner nucleophiler Angriff des Sauerstoff-Atoms der Carbonylgruppe in der
Carboxamid-Bindung wird dabei wahrscheinlich durch den so genannten geminalen
Dimethyl- oder Thorpe-Ingold-Effekt begünstigt. Dabei kommt es zur schnellen Bildung
instabiler vierbündiger Zwischenstufen, die nachfolgend durch einen Protonentransfer und die
Abspaltung des ursprünglich C-terminalen Aib-Rests stabilisiert werden. Die somit
entstandenen Oxazolonium-Peptide werden bereits durch die überall – selbst in wasserfreier
TFA – vorhandenen Wasserspuren leicht hydrolysiert. Dieser Mechanismus ist auf die
Spaltung der Aib(Iva)–Pro(Hyp)-Bindung in Peptaibiotika übertragbar.
Die gezielte Anwendung der Trifluoracetolyse ist von größtem Wert für die Sequenzierung
und Strukturaufklärung von Peptaibiotika, da diese aufgrund ihrer nicht-ribosomalen
Biosynthese einem enzymatischen Abbau nicht oder nur in sehr begrenztem Umfange
[Fredenhagen et al., 2006] zugänglich sind. In solchen Fällen ist eine zielgerichtete
acidolytische Spaltung von besonderer Bedeutung. Sie ermöglicht die Erzeugung von
Fragmenten, welche für die Positions- und Konfigurationsanalyse von Aminosäuren,
beispielswei