Materialsammlung Zentrale Orte - wiebel.de · 4 1 Christallers Ansatz „…wir suchen nach dem...

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Universität TübingenGeographisches InstitutSommersemester 2001Hauptseminar: DeutschlandLeitung: Prof. Dr. W. SchenkMaterialsammlungeingereicht von: Dirk Wiebel

Zentrale Orte

ChristallersTheorie der Zentralen Orte

und ihre politisch-administrative Instrumentalisierung

2

Von A nach B…

?

20011933

3

Fragestellungen

1. Was war der Ansatz zu Christallers Theorie der Zentralen Orte?

2. Wie wird das Konzept der Zentralen Orte heute verwirklicht?

3. Erklären sich die Unterschiede in der Rezeptionsgeschichte (Blotevogels „Lange-Welle-Theorie”)?

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1 Christallers Ansatz

„…wir suchen nach dem Grund, warum eine Stadt groß oder klein ist, wir glauben, daß in der Ver-teilung doch irgendein ordnendes Prinzip waltet, das wir bloß noch nicht erkannt haben.“

(Christaller 1980: 11)

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1.1 Der Ansatz

„[...] Daß ein nicht zufälliger, sondern im Wesen begründeter Zusammenhang zwischen der Stadt und der Erwerbstätigkeit ihrer Bewohner besteht, wird immer betont; aber warum gibt es dann große und kleine Städte, warum sind sie so unregelmäßig verteilt?

Wir suchen nach einer Antwort auf diese Frage; wir suchen nach dem Grund, warum eine Stadt groß oder klein ist, wir glauben, daß in der Verteilung doch irgendein ordnendes Prinzip waltet, das wir bloß noch nicht erkannt

haben.“

(Christaller 1980: 11)

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1.2 Die Voraussetzung„Wenn die Siedlungsgeographie eine naturwissenschaftliche Disziplin oder wenigstens vorzugsweise eine solche wäre, wie es bei manchen Autoren fast den Anschein hat, so ist es natürlich keine Frage, dass hier naturwissenschaftliche Gesetze herrschen müssen; denn jedes natürliche Phänomen beruht auf solchen Gesetzen. Wir sind aber der Ansicht, daß die Siedlungs-geographie durch-aus eine geisteswissenschaftliche Disziplin ist. [...] Wenn es nun in der ökonomischen Theorie Gesetze gibt, somuß es auch Gesetze in der Siedlungsgeographie geben, und zwar ökonomische Gesetze von besonderer Ausprägung, die man speziell als wirtschaftsgeographische Gesetze ansprechen könnte.“

(Christaller 1980: 14f.)

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1.3 Begriffe bei Christaller

„zentral”„Ort”

„zentrale Güter”„Ergänzungsgebiete”

„wirtschaftliche Entfernung”

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1.3.1 „Zentral”

„Es kommt uns in dieser Arbeit nicht auf die in Erscheinung tretende Ausdrucksform der zentralistischen Ordnung an, für unsere Betrachtung ist die Stadt mit mittelalterlichem Kern gänzlich gleichzusetzen mit einer modernen Stadt oder einer dörflich aussehenden Siedlung, sofern nur die eine wie die andere das zentrale Organ einer zentralistischen Ordnung ist. Wir betrachten nicht das Erscheinungsbild einer Stadt, sondern ihre Funktion im menschlichen Gemeinschaftsleben.“(Christaller 1980: 22)

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1.3.2 „Ort”„[...] es soll hier nicht diese vielfältige Erscheinung ‚Siedlung’genannt sein, sondern nur die Lokalisation der Funktion, Mittelpunkt zu sein, sagen wir, der geometrische Ort der Siedlung. Wir wollen daher künftig von zentralen Orten sprechen. Im konkreten Sinn ist der Ausdruck ‚Ort’ auch insofern richtiger, da es sich in unserer Betrachtung weder um eine Siedlungseinheit, noch um eine politische Gemeinde, noch um eine wirtschaftliche Einheit handelt; dieser ‚Ort’reicht vielmehr so weit in die umgebenden Siedlungen hinein, als deren Bewohner städtische, oder, wie wir jetzt vielleicht besser sagen, zentrale Gewerbe ausüben; der ‚Ort’ kann also größer sein, aber auch kleiner als die Siedlungseinheit oder die Gemeinde“

(Christaller 1980: 24)

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1.3.3 „zentrale Güter”„Zentrale Güter und Dienste werden an einigen wenigen Punkten, und zwar notwendig den zentralen Punkten, produziert bzw. angeboten, um an vielen zerstreuten Punkten verbraucht zu werden; disperse Güter und Dienste werden notwendig an vielen zerstreuten Punkten [...] produziert und angeboten, um vorzugsweise an einigen wenigen Punkten verbraucht zu werden. [...] Weiter können wir unterscheiden zentrale Güter höherer Ordnung, die nur an zentralen Orten höherer Ordnung, und zentrale Güter niederer Ordnung, die an zentralen Orten niederer Ordnung (aber auch an allen Orten höherer Ordnung) produziert und angeboten werden.“(Christaller 1980: 28)

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1.3.4 „Ergänzungsgebiete”

„Das Gebiet, für das ein zentraler Ort der Mittelpunkt

ist, soll sein Ergänzungsgebiet heißen.“(Christaller 1980: 30)

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1.3.5 „wirtschaftliche Entfernung”

„[...] der mathematische Ausdruck der Entfernung in Metern oder Kilometern [ist] völlig nebensächlich, nur der wirtschaftliche Ausdruck entspricht der wirtschaftlichen Bedeutung der Entfernung. Diese ‚wirtschaftliche Entfernung’ ist bestimmt durch Frachtkosten, Kosten der Versicherung, Lagergebühren, Zeitdauer, Gewichts- oder Raumschwund infolge des Transports usw., im Personenverkehr vor allem durch die Reisekosten, die Reisedauer und die Bequemlichkeit.“(Christaller 1980: 32)

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1.4 Die These

++ ==

Quelle der einzelnen Abbildungen: Bick (2001), http://www.regiosurf.net/geographie/humgeo2/christaller.htm, 30.09.01

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1.5 Die Methode

Erfassung der „Bedeutung” eines Ortes durch

• Katalogmethode:Katalog von Einrichtungen zum „Austausch

zentraler Güter und Dienste“(Christaller 1980: 138)

• Telefonmethode: „Man zählt seine [des Ortes] Telefonanschlüsse;

ihre Zahl entspricht ziemlich genau dem, was wir die Bedeutung eines Ortes nennen.“(Christaller 1980: 142)

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1.6 Christallers Ergebnisse1.

„Der regionale Teil unserer Untersuchung hat mit großer Deutlichkeit gezeigt, in welchem hohen Maße die drei Prinzipien: das Versorgungs-, das Verkehrs- und das Absonderungsprinzip die Verteilung, Größe und Anzahl der zentralen Orte bestimmen. Wir können sie geradezu als Verteilungsgesetze der zentralen Orte, als Siedlungsgesetze bezeichnen, die grundsätzlich und oft mit erstaunlicher Exaktheit die Lage der zentralen Orte festlegen.“

(Christaller 1980: 252)

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1.6 Christallers Ergebnisse

2.„Das Versorgungsprinzip stellt das primäre und Hauptverteilungsgesetz dar [...]“

(Christaller 1980: 254)

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1.6 Christallers Ergebnisse3.

„Wenn in der vorliegenden Untersuchung fast ausschließlich die ökonomische Methode angewandt wurde [...], so ist damit keineswegs die Existenzberechtigung anderer siedlungs-geographischer Methoden abgeleugnet. Im Gegenteil: sie sind durchaus notwendig, einmal um die nach der ökonomischen Methode gewonnene Erkenntnis auf ihre Richtigkeit hin nachzuprüfen, andererseits, um die außer-ökonomischen Bestimmungsgründe der Anzahl, Verteilung und Größe der Städte zu erklären.“(Christaller 1980: 260)

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1.6 Christallers Ergebnisse

Quelle: Christaller (1980), Anhang, Karte 4

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2 Zentrale Orte heute

„…raumplanerisch, in Landes- und Regionalplänen

festgelegte zentral-örtliche

Siedlungsstruktur eines Landes…”

(ROB 2000: 320)

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2 Zentrale Orte heute

„Zentralörtliche Gliederung: Raumplanerisch, in Landes- und Regionalplänen festgelegte zentralörtliche Siedlungsstruktur eines Landes auf der Grundlage einer Kategorisierung von zentralen Orten, die bestimmte Funktionen bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ausüben oder erlangen sollen (z.B. Ober-, Mittel und Grundzentren). Diese normierte Siedlungsstruktur bildet die Grundlage für Entscheidungen u.a. über den Einsatz öffentlicher Investitionen oder für die Ausweisung von Bau- und Gewerbeflächen.“

(ROB 2000: 320)

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2.1 Gesetzliche Grundlagen§ 2 Grundsätze der Raumordnung

[...]

(2) Grundsätze der Raumordnung sind:

1. Im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland ist eine ausgewogene Siedlungs- und Freiraumstruktur zu entwickeln. Die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts im besiedelten und unbesiedelten Bereich ist zu sichern. In den jeweiligen Teilräumen sind ausgeglichene wirtschaftliche, infrastrukturelle, soziale, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben.

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2.1 Gesetzliche Grundlagen2. Die dezentrale Siedlungsstruktur des Gesamtraums

mit ihrer Vielzahl leistungsfähiger Zentren und Stadtregionen ist zu erhalten. Die Siedlungstätigkeit ist räumlich zu konzentrieren und auf ein System leistungsfähiger Zentraler Orte auszurichten. Der Wiedernutzung brachgefallener Siedlungsflächen ist der Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen zu geben.(Quelle: ROG, zitiert nach ROB 2000: Anhang)

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2.2 Ziel des Konzepts

„Ziel der Raumordnung ist, dass jeder Bürger innerhalb 45 Minuten ein Oberzentrum erreicht.“(ROB 2000: 50)

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2.3 De- oder Präskription?„Zentrale Orte bilden ein wichtiges raumplanerisches Instrument zur Gliederung der Siedlungsstruktur, zur Lenkung der Siedlungsentwicklung und zur flächendeckenden Sicherung gleichwertiger Versorgungs-möglichkeiten in einem zumutbaren Entfernungsbereich.[…]Die Ober- und Mittelzentren werden als höhere, übergeordnete Zentren im Landesentwicklungsplan aus-gewiesen, während die Unter- und Kleinzentren als Zentralorte der Grundversorgung in den Regionalplänen bestimmt werden.“Wirtschaftsministerium Ba-Wü,

http://www.wm.baden-wuerttemberg.de/htm/bereich8/content8_3_2.htm#zo (21.6.01)

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2.3 De- oder Präskription?„Als zentrale Orte der untersten Stufe (Kleinzentren) werden folgende Gemeinden bestimmt, wobei durch Schrägstrich verbundene Gemeinden Doppelzentren bezeichnen: […]”Regionalplan Region Allgäu 2000, http://www.allgaeu.org/rpv/teila5.htm#1

„Die in diesem Regionalplan ausgewiesenen Unterzentren sind so auszubauen, dass sie auch den qualifizierten, häufig wiederkehrenden überörtlichen Bedarf eines Verflechtungs-bereichs der Grundversorgung mit in der Regel mehr als 10.000 Einwohnern decken können. Sie sollen durch größere Vielfalt und qualifiziertere Ausstattung in der Grundversorgung in Teil-bereichen Ergänzungsfunktionen der mittelzentralen Versorgung übernehmen. Als Unterzentren sind auszubauen: [...]“(Regionalplan 2000 Hochrhein-Bodensee)

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2.4 Fakten, Fakten, Karten…

Quelle: ROB 2000: 50

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Quelle: R

OB 2

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28

Quelle: W

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1.6

.2001)

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2.5 … und die Auswirkung„[..] In seiner Schule gibt es Schüler, die rechnen jedes Kopiergeld sofort in “Goldies” um, 15 Mark gleich zwei Goldies, das sind Weinbrand-Flaschen der Marke “Goldkrone”, gibt es bei Lidl, acht Mark und ein bisschen was. Der nächste H&M ist entweder in Rostock, 130 Kilometer, Stralsund, 90 Kilometer, oder in Berlin, 160 Kilometer. Wer am Donnerstag die neuen Kino-Filme sehen will, braucht entweder einen Führerschein, einen älteren Freund oder hat Pech gehabt.[…]”(Jetzt: S. 11)

#27

Tote Hose!Warum so viele JugendlicheMecklenburg-Vorpommernverlassen

Quelle: „Jetzt”-Magazin der Süddeutschen Zeitung, 2.7.01, S. 6-11

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2.6 Vorteile der Zentren„Das Zentrale-Orte-System stellt ein Steuerungsinstrument bei Entscheidungen über raumwirksame Planungen und Maßnahmen dar. Es kann beispielsweise eine Rolle spielen bei der Genehmigung großflächiger Einzelhandelsprojekte. Bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs lag bzw. liegt in vielen Ländern ein zentralörtlicher Ansatz vor. Das Zentrale-Orte-System kann ferner angewendet werden bei der Steuerung des Einsatzes von Steuermitteln, im Rahmen der Struktur- und Standortpolitik sowie auch zur Gestaltung

der Verkehrsenetze.“(ROB 2000: 202)

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2.6 Vorteile der Zentren

„Das Zentrale-Orte-Konzept ist in Niedersachsen nicht explizit mit Förderinstrumenten verbunden. Eine besondere Förderung erfahren die Zentralen Orte lediglich implizit über in der Regel höhere Einwohnerzahl und über die Förderung einzelner zentraler Funktionen im Rahmen der Landesförderung. Der Einfluß der Raumordung auf die Mittelvergabe ist jedoch gering, was sich auch auf die Steuerungswirksamkeit des ZOK auswirkt.“

(IES-Projektbericht 1999: 11)

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3 „Aufstieg und Niedergang”?

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3.1 Die ‘lange Welle’ der Theorie

Quelle: Löwen (1998), S. 21

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3.2 Phasen nach Blotevogel(in der Wissenschaft als auch in der Planung)

1. Basisinnovation, Anfangsphase und frühe Resonanz (1933-1950)

2. Wachstumsphase (1950-1965)

3. Reifephase (1965-1975)

4. Abschwungphase (1975-1995)

5. Obsoleszenz? (seit 1995)(Blotevogel 1996a)

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3.2.1 Anfang(Wissenschaft)

Am Anfang war die Theorie...

Christaller (1933) und Lösch (1940) leiten Idealräume von Siedlung und Wirtschaft aus empirischen Phänomenen ab. 1937 überträgt Schlier das System Christallers mit statistischen Methoden auf das Deutsche Reich.

Ihr Raummodell ist deduktiv abgeleitet und umfasst großräumige (vorwiegend Christaller) und kleinräumige (vorwiegend Lösch) Regionen.

Die Theorien gehen von optimalen Marktbedingungen und absoluter Homogenität und Ökonomie aus.

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3.2.1 Anfang(Wissenschaft)

Die Theorien stehen in starkem Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung der individuellen Landschaft nach dem Hettner´schen Schema.

1950 wird die Theorie von Neef in Sachsen überprüft. Seines Erachtens „versagt die Telefonmethode völlig“(vgl. Neef 1950: 17). Er erkennt kein geometrisches Schema und führt die „Zerstörung“ des ZO-Systems auf die Industrialisierung und damit verbundene Verstädterung zurück.

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3.2.2 Wachstum(Wissenschaft)

In Deutschland wird über räumliche Planung diskutiert. Es wird ein Modell zur optimalen räumlichen Planung benötigt. Christaller baut seine Theorie 1950 aus, betrachtet jedoch statt kleinerer Räume den Gesamtraum Europa.

Im angloamerikanischen Raum sowie in Skandinavien wird die Theorie eifrig diskutiert (Ein sehr ausführlicher Überblick findet sich in der kommentierten Bibliographie von Berry & Pred 1961).

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3.2.2 Wachstum(Planung)

1955 wird der Sachverständigenausschuss für Raumordnung eingesetzt.

1963 entsteht der erste Raumordnungsbericht. Es werden Defizite in der Versorgung der ländlichen Gebiete festgestellt.

1965 wird das Raumordnungsgesetz verabschiedet.

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3.2.3 Reife(Wissenschaft)

Im angloamerikanischen Raum entwickelt sich die ZO-Theorie zum Leitkonzept einer theoretisch-quantitativen Geographie.

In Deutschland erfolgt der Versuch der Integration in das traditionelle „Kulturlandschaftsparadigma“.

Politisch gefördert liegt das ZO-Konzept (und damit auch die dahinter stehende Theorie) im „Trend der Zeit“.

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3.2.3 Reife(Planung)

Sämtliche Bundesländer erstellen von 1965-1975 Programme und Pläne mit festgelegten Orten von „zentraler“ Bedeutung.

1968 definiert die Ministerkonferenz für Raumordnung das Stufensystem von Ober-, Mittel-, Unter- und Kleinzentren.

Das Zentrale-Orte-Konzept ist somit fest in der räumlichen Planung und damit verbundenen Gesetzgebung verankert. Im Mittelpunkt steht eine gleichmäßige „Versorgung“ aller Bürger.

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3.2.4 Abschwung(Wissenschaft)

Der wissenschaftliche Diskurs zu den ZO scheint vorüber. Es erscheinen vermehrt zusammenfassende und retrospektiv erklärende Lehrbücher, die Zahl der einschlägigen Publikationen geht hingegen zurück. Fördermittel für ZO-bezogene Projekte werden kaum noch bewilligt (vgl. Blotevogel 1996a: 620).

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3.2.4 Abschwung(Planung)

Das Bundesraumordnungsprogramm 1975 benennt ausgewählte „Entwicklungszentren“ (Ober- und Mittelzentren).

Die Raumordnung konzentriert sich zunehmend auf die Oberzentren. 1983 erstellt die MKRO einen Katalog von Einrichtungen in Oberzentren.

Renaissance: Mit der deutschen Vereinigung wird das ZO-Konzept in die Leitlinien der neuen Bundesländer übernommen.

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3.2.5 Obsoleszenz?

„Im privatwirtschaftlichen Bereich [...] werden Standortentscheidungen nur indirekt und mit dem verfügbaren raumordnungspolitischen Instrumentarium nur teilweise zielgerecht beeinflusst, insbesondere durch die Regional- und Bauleitplanung.

Hingegen hat sich das Zentrale-Orte-Konzept als weitgehend unwirksam zur Steuerung der allgemeinen Siedlungsentwicklung erwiesen, speziell zur Vermeidung des weiteren dispersen Siedlungswachstums.“(Blotevogel 1996a: 626)

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3.3 Obsoleszenz nach Gebhard„Vom ursprünglichen Ansatz Christallers, einer ökonomisch-geo-graphischen Raumwirtschaftstheorie des tertiären Wirtschaftssektors mit dem Ziel, Regelhaftigkeiten ‚der Verteilung, Größe und Anzahl der zentralen Orte’ aufzudecken, war hierbei wenig übriggeblieben. Der Schwerpunkt der Forschung hatte sich auf die empirische Analyse kon-kreter Räume und die Erstellung immer neuer Methoden der Zentrali-tätsmessung (Katalogmethode, Umlandmethode) verlagert. In der Regional- und Kommunalpolitik hingegen wurden zentrale Orte und zentralörtliche Bereiche zu einem Schlagwort des öffentlichen Lebens. Die entsprechenden Textpassagen vieler Landesentwicklungspläne und Planungen auf regionaler Ebene stellten das Prinzip letztlich auf den Kopf: Sie nannten nicht Einrichtungen mit dem Ziel der Charakteri-sierung eines Orts bestimmter Stufe, sondern sie normierten die Aus-stattung und leiteten davon gegebenenfalls Ausstattungsdefizite ab.“(Gebhard 1996: 692)

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3.4 Zusammenfassung derKritiken

Die Prämissen von Homogenität und absoluter Ökonomie können nie vollkommen erfüllt sein.

Die Methoden sind veraltet, neue Kommunikationsinfra-strukturen und der Verlust der Distanzemfindlichkeit von Gütern erfordern neue Erhebungsmethoden.

Keine Integration der Verhaltenspsychologie möglich.

Aus der Erkenntnis und dem Modell einer Theorie wurde mit dem ZO-Konzept eine „Zentralitäts-Vorschrift“, die nur teilweise akzeptiert wird.

...

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4 Fazit(Theorie vs. Konzept)

ChristallersTheorie

Heutige Raumplanung

Intention Theorie der Zentralen Orte

Konzeptder Zentralen Orte

Ziel Aufzeigen von Regelhaftigkeiten

Erstellen von Regelhaftigkeiten und

Normierung

Methode deduktiv, deskriptiv induktiv, präskriptiv

Voraus-setzung

Homogenität,absolute Ökonomie

Existenz, Planbarkeit und Akzeptanz von

Räumen

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4 Fazit(zur Obsoleszenz)

Christallers Theorie war und ist ein bemerkenswerter Ansatz in einer systematischen Siedlungsstruktur-beschreibung auf ökonomischer Basis. Sie betrachtet jedoch nur einen Teilaspekt der raumwirksamen Faktoren.Christaller forderte 1933 bereits die Betrachtung anderer Faktoren (vgl. Christaller 1980: 260). Diese wurden jedoch nicht in das Zentrale-Orte-Konzept der Raumplanung integriert. Das Konzept bleibt daher eingeschränkt, sowohlhinsichlich des erhofften Nutzens als auch der Anwendbar-keit in der Raumplanung. Des weiteren ist die Übertrag-barkeit einer deskriptiven Theorie auf ein zu erreichendes „Idealbild“ fraglich.

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Literatur

Berry & Pred 1961 = Berry, Brian. J. L. & Allen Pred (1961): Central Place Studies: A Bibliographyof Theory and Application. Philadelphia.

Bick, Frank: Walter Christaller – Theorie der zentralen Orte.http://www.regiosurf.net/geographie/humgeo2/christaller.htm (30.09.2001)

Blotevogel 1996a = Blotevogel, Hans Heinrich (1996): Zentrale Orte: Zur Karriere und Krise eines Konzepts in der Regionalforschung und Raumordnungspraxis. In: Informationen zur Raumentwicklung 10/1996, S 617-630.

Blotevogel 1996b = Blotevogel, Hans Heinrich (1996): Zur Kontroverse um den Stellenwert des Zentrale-Orte-Konzeptes in der Raumordnungspolitik heute. In: Informationen zur Raumentwicklung 10/1996, S. 647-658.

Blotevogel 1999 = Blotevogel, Hans Heinrich (1999): Zentrale Orte in der Diskussion – ein Problemaufriss. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung und dem Kommunalverband Großraum Hannover [Hg.]: Zentrale Orte in der Raumordnung – Konzept von gestern oder Instrument der Zukunft? Dokumentation eines Kolloquiums am 2.12. 1999 in Hannover. Hannover. (= Materialien zur regionalen Entwicklung 7)

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Literatur

Böventer 1962 = Böventer, Edwin von (1962): Die Struktur der Landschaft. Versuch einer Synthese und Weiterentwicklung der Modelle J.H. von Thünens, W. Christallers und A. Löschs. In: Schneider, Erich [Hg.]: Optimales Wachstum und optimale Standortverteilung. Berlin.

Christaller 1980 = Christaller, Walter (1980): Die Zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischer Funktion. Nachdruck der Ausgabe von 1933. Darmstadt.

Christaller 1950 = Christaller, Walter (1950): Das Grundgerüst der räumlichen Ordnung in Europa. Die Systeme der europäischen zentralen Orte. Frankfurt. (= Frankfurter Geographische Hefte 24 H. 1)

Gebhard 1996 = Gebhard, Hans (1996): Forschungsdefizite und neue Aufgaben der Zentralitätsforschung. In: Informationen zur Raumentwicklung 10/1996, S. 691-700.

Heinritz 1979 = Heinritz, Günter (1979): Zentralität und zentrale Orte. Eine Einführung. Stuttgart.

IES-Projektbericht (1999) = Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover (1999): IES-Projektbericht 213.99. Weiterentwicklung des Zentrale-Orte-Konzeptes in Niedersachsen. Abschlußbericht der Hauptstudie. http://www.niedersachsen.de/File/MI_bericht.pdf

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LiteraturKrumme, Günter: Walter Christaller & Central Place Theory.http://faculty.washington.edu/~krumme/450/christaller.html (26.06.2001)

Lösch 1940 = Lösch, August (1940): Die räumliche Ordnung der Wirtschaft. Jena.

Löwen 1998 = Löwen, Cicilian Luiza (1998) Der Zusammenhang von Stadtentwicklung und zentralörtlicher Verflechtung der brasilianischen Stadt Ponta Grossa, Paraná. Diss. Universität Tübingen. (= Tübinger geographische Studien; 120) (= Tübinger Beiträge zur geographischen Lateinamerika-Forschung; 16)

Neef 1950 = Neef, Ernst (1950): Das Problem der zentralen Orte. In: Petermanns Geographische Mitteilungen 94 (1950). S. 6-17.

Regionaler Planungsverband Allgäu (2001): Regionalplan Region Allgäu (16) http://www.allgaeu.org/rpv/regionalplan.htm (21.6.01)

ROB 2000 = Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung [Hg.]: Raumordungsbericht 2000. Bonn.

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Literatur

Sassen 1994 = Sassen, Saskia (1994): Neue Zentralität. Die Auswirkungen von neueren Telekommunikationstechniken u. Globalisierung. In: Noller, P. et al: Stadt-Welt. Frankfurt. S. 135-146.

Schlier 1937 = Schlier, Otto (1937): Die zentralen Orte des Deutschen Reichs. Ein statistischer Beitrag zum Städteproblem. In: Zeitschrift d. Gesellschaft für Erdkunde 1937. S. 161-170.

Schrödter 1999 = Schrödter, Wolfgang (1999): Das System der Zentralen Orte muss modernisiert werden. http://www.nst.de/aktuelles/aufsaetze/zentrale_orte.htm (23.6.2001) (Erschienen in Nachrichten des Niedersächsischen Städtetags 5/1999)

Wirtschaftsministerium Ba-Wü, Regionalplanung: http://www.wm.baden-wuerttemberg.de/htm/bereich8/index_center8_4.htm (21.6.01)

Wirtschaftsministerium Ba-Wü, http://www.wm.baden-wuerttemberg.de/htm/bereich8/content8_3_2.htm#zo (21.6.01)