»Musik ist ein Teil des schwingenden Weltalls.«

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D A S O R C H E S T E R D E R E L B P H I L H A R M O N I E

KA3: Do, 03.04.2014, 20 Uhr | Hamburg, KampnagelSCHWINGENDES WELTALLPeter Ruzicka DirigentWerke von Rued Langgaard | Peter Ruzicka | Gustav Holst Edgard Varèse | John Williams Im Anschluss Jazz mit der NDR Bigband

»Musik ist ein Teil des schwingenden Weltalls.«

Ferruccio Busoni

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Dirigent:

Rued Langgaard (1893 – 1952)

Peter Ruzicka (*1948)

Gustav Holst (1874 – 1934)

Donnerstag, 3. April 2014, 20 UhrHamburg, Kampnagel

Peter Ruzicka

Beginn aus „Sphärenmusik“ (1916 – 1918)

Cloudsfür großes Orchester mit Streichquartett (2012)

Die Planeten op. 32Suite für großes Orchester(1914 – 1916)daraus:

Mars, der KriegsbringerJupiter, der Bringer der Fröhlichkeit

Pause

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NDR SINFONIEORCHESTER

Edgard Varèse (1883 – 1965)

John Williams (*1932)

Gustav Holst / Sven Klammer (*1973)

Arcanafür großes Orchester (1927; rev. 1960)

Suite aus der Filmmusik zu „Star Wars“

Main Title – Princess Leia’s Theme – The Throne Room & End Title

Im Anschluss:

Die Planeten Suite für Jazz Orchestra Jupiter, der Bringer der FröhlichkeitUranus, der MagierSaturn, der Bringer des AltersMerkur, der gefl ügelte Bote

NDR BigbandSven Klammer Arrangement und Leitung

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Peter Ruzicka wurde 1948 in Düsseldorf gebo-ren. An seine instrumentale und theoretische Ausbildung am Hamburger Konservatorium (Klavier, Oboe, Kompositionstheorie) schlossen sich Kompositionsstudien bei Hans Werner Henze und Hans Otte an. Er studierte Rechts- und Musikwissenschaften in München, Ham-burg und Berlin und promovierte 1977 mit einer interdisziplinären Dissertation über das „ewige Urheberpersönlichkeitsrecht”. Für seine Kompositionen erhielt er zahlreiche Preise und Aus zeichnungen. Sie wurden von führenden Orches tern wie den Berliner und Wiener Phil-harmo nikern, der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig, Concertgebouw-orkest Amsterdam oder New York Philharmonic Orchestra aufgeführt. Seine Oper „Celan“ er-lebte 2001 ihre Uraufführung an der Staats-oper Dresden. Das Musiktheater „Hölderlin“ wurde 2008 an der Berliner Staatsoper urauf-geführt. Seit 1990 ist Ruzicka Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Von 1979 bis 1987 wirkte Peter Ruzicka als Intendant des RSO Berlin, von 1988 bis 1997 als Intendant der Hamburgischen Staatsoper und Hamburger Philharmoniker. 1996 über-nahm er als Nachfolger Hans Werner Henzes die künstlerische Leitung der Münchener Biennale, die er noch heute innehat, und wurde daneben im Jahre 1997 Künstlerischer Berater des Concertgebouworkest Amsterdam. 1999 wurde er zum Präsidenten der Bayerischen Theaterakademie berufen. Von 2001 bis 2006 übernahm Ruzicka als Intendant die künstle-rische Leitung der Salzburger Festspiele.

Als Dirigent leitete Ruzicka u. a. das DSO Berlin, mit dem er CDs mit Werken von Mahler, Schreker und Pettersson eingespielt hat, das Concert-gebouworkest, Gewandhausorchester, Sym pho -nieorchester des BR, die Staatskapelle Dresden, Staatskapelle Berlin, Münchener Philharmo ni-ker, Bamberger Symphoniker, Deutsche Kam-mer philharmonie und Tsche chische Philharmo-nie, alle deutschen Rundfunk-Sinfonieorches ter, das Dänische National orchester, Münchner Kammerorchester, Mozarteum orchester Salz-burg, Orchestre Symphonique de Montréal, Shanghai Symphony Orchestra oder Yomiuri Nippon Symphony Orchestra Tokyo. Mit dem NDR Sinfonieorchester entstand ein CD-Zyklus von 12 Orchesterwerken Hans Werner Henzes. In der Saison 2013/14 ist Ruzicka u. a. bei den Hamburger Philharmonikern, beim MDR Sinfonieorchester und China Philharmonic Orchestra zu Gast.

Peter RuzickaDirigent

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NDR SINFONIEORCHESTER

1973 geboren, studierte Sven Klammer Trom-pete und Komposition an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Er war Mitglied im Bundesjugendjazzorchester unter der Leitung von Peter Herbolzheimer, im European Youth Jazz Orchestra und konzertierte u. a. mit Clark Terry, Jiggs Whigham, Ack van Rooyen, John Ruocco, Kenny Wheeler und Bobby Shew sowie mit der RIAS Big Band. Sven Klammer ist ein vielseitiger Instrumentalist und Komponist, der konsequent auf der Suche nach einer eigenen Ausdrucksform ist. Tourneen mit ver-schiedenen Formationen führten ihn u. a. quer durch Europa, die USA, Marokko, China, Indien und Vietnam. Im Sommer 2001 gewann er den internationalen Gustav Mahler Komposi-tionswettbewerb der Stadt Klagenfurt mit „Messiomerie“, einem Werk für Jazzorchester, Violine und Gitarre.

Morgens Jäger, mittags Hirte, abends Kritiker. Gestern eleganten Swing, heute elastische Latinbeats, morgen amtlichen Bebop und über-morgen ein Programm, das so eigen ist, dass man es nur mit der NDR Bigband in Verbindung bringen kann. Die NDR Bigband ist eine Jazz-band selbstbewusster Solisten, stolz darauf, nicht auf den Glanz von Gaststars angewiesen zu sein. Dabei lehnt sie Glanz und gastierende Weltstars keineswegs ab, wie eine Vielzahl von Begegnungen mit Künstlern wie Chet Baker, Al Jarreau, Carla Bley oder zuletzt Joe Sample eindrucksvoll nachweist. Doch bei all diesen Begegnungen und aller Pfl ege des traditionellen Bigband-Repertoires im Rahmen ihrer regen Konzerttätigkeit im Sendegebiet des NDR bleibt die konsequente Arbeit am eigenen Ton Kern-kompetenz und Alleinstellungsmerkmal der NDR Bigband. So hat sich die NDR Bigband auch jenseits des großen Ozeans den Rang einer der führenden Bigbands des Jazz erworben, und so wird das Konzept seit 2008 unter der künstlerischen Leitung von Jörg Achim Keller konsequent weiter verfolgt.

Sven KlammerLeitung Bigband

NDR Bigband

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Das „steht in den Sternen“, so sagt man von einer noch unbekannten Zukunft. Sicher ist das nur metaphorisch gemeint. Und doch bewahrt diese Redensart eine Ahnung von dem alten Glauben, das Schicksal des Einzelnen und das große Ganze hingen irgendwie zusammen. Kein aufgeklärter Zeitgenosse würde sich noch dazu bekennen, an Zeitungshoroskope zu glau-ben. Trotzdem werden die vorgefertigten Weissagungen immer wieder gern gelesen. Der Glaube an die Einheit von Mensch und Kosmos mag verschwunden sein, aber die Sehnsucht danach ist noch da. Und die wird nach wie vor am liebsten in die Sterne projiziert. Das heutige Konzert geht den Spuren nach, die diese Sehn-sucht in der Musik hinterließ, denn deren tö-nende Ordnung galt seit jeher als das beste Symbol eines kosmischen Zusammenhangs. So zieht sich der rote Faden des heutigen Pro-gramms von den bedeutungsschwangeren, kosmologischen Klangfantasien aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg bis zur Populärkultur unserer Tage.

Langgaard: Klingender Symbolismus

Im Jahr 1909 veröffentlichte der dänische Komponist Carl Nielsen einen kleinen Artikel über das Verhältnis von Wort und Ton. Siegfried Langgaard, seines Zeichens Komponist, Theo-retiker und Vater von Rued Langgaard, geriet über diesen kurzen Text derart in Rage, dass er darauf mit einem 700-Seiten starken Manu-skript unter dem Titel: „Die Mission der Musik“ antwortete. Denn Musik war im streng religiö-

sen Hause Langgaard heilig: Großmeister, die vor 1900 gewirkt hatten, wie Bach, Beethoven und Wagner, wurden als „Propheten“ verehrt; wer danach kam, Puccini, Richard Strauss und vor allem Carl Nielsen, war dagegen buchstäb-lich des Teufels. Das kunstreligiöse Eiferertum seiner Eltern wurde für Langgaard junior prä-gend; der musikalisch hoch begabte Sohn erbte ihre Mission. In späteren Jahren träumte Rued Langgaard gar von der Gründung eines eigenen Ordens, die „Musikalische Gesellschaft Jesu“, der nach dem Vorbild des Jesuitenordens die Musik und die Gesellschaft der Zukunft formen sollte. Zwar blieb das Utopie, doch dafür suchte der Komponist den Kontakt zum „Orden des Sterns im Osten“, den die Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft, Annie Besant, 1911 gegründet hatte. Die Mitglieder dieses Ordens bereiteten sich auf das Kommen eines spirituellen Führers vor; und Langgaard brachte 1915 in seinem Stück „Der Stern im Osten“ deren Vision zum Klingen.

Die geistig-musikalische Welt des Rued Langgaard war radikal zweigeteilt in Altmeister und Moderne, Christ und Anti-Christ, Irdisches und Himmlisches. Der letzte Abschnitt seiner „Sphärenmusik“ trägt bereits den Titel „Christ – Anti-Christ“; unmittelbar nach Vollendung die-ses Orchesterstücks ging er an die Komposition seines Hauptwerkes, der Oper „Anti-Christ“. Musikalisch stehen sich in Langgaards Werken Musik im Stile seiner „Propheten“, also klas-sisch-romantische Stilkopien, und Abschnitte von wegweisender Modernität unvermittelt gegenüber. Auch wenn er die Neutöner seiner

Der Stern der FantasieKlingende Utopien bei Ruzicka, Langgaard, Holst, Varèse und Williams

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Zeit für verdammt hielt, deren Musik muss ihn fasziniert haben. Vielfach ging Langgaard sogar weit über die musikalischen Anti-Christen hinaus: Als einer der ersten Komponisten er-sann er eine Musik, die ganz ohne Themen und Motive auskommt und wie ein Gewebe aus Farben und Intensitäten gewoben ist. – Als György Ligeti, einer der Erfi nder der Klang-fl ächenkomposition, 1968 Langgaards Musik für sich entdeckte, nannte er sich selbst (scherzhaft) einen „Langgaard-Epigonen“. Allerdings verschwand diese „moderne“ Seite nach 1930 völlig aus Langgaards Werken;

damals hatte der Komponist sich endgültig von der rettungslosen Verdorbenheit der Welt überzeugt und komponierte hinfort nur noch im Altmeisterstil.

Wie stark die Klänge seiner „Sphärenmusik“ für Langgaard mit Symbolik aufgeladen waren, beweisen die Überschriften, die er den einzel-nen Abschnitten mitgab. „Wie Sonnenstrahlen auf einem mit duftenden Blumen bedeckten Sarg“, so titulierte der Komponist den ersten Abschnitt, in dem sich eine irisierende Strei-cherklangfl äche auf- und wieder abbaut. Den folgenden Einsatz der Flöten überschrieb er: „Wie Sternenschimmer auf einem bläulichen Himmel bei Sonnenuntergang“. Langgaards Worte beschwören Stimmungen, in denen Chaos und Schönheit, Tod und Leben, auf zutiefst irritierende Weise ineinander verschlun-gen sind: „(…) dieses Leben mit seinem regen-bogenfarbenen Kranz um sein Marmorgesicht und dem stereotypen, doch lebendigen, dämonischen Lächeln wie von Lilienwangen.“ So muss sich die Welt des Rued Langgaard angefühlt haben.

Ruzicka: Der ferne Klang

Eigentlich, so verriet Peter Ruzicka in einem Interview, hätte er sein neuestes Orchesterstück „Der ferne Klang“ nennen wollen. Der Titel sei leider schon vergeben gewesen, so heißt das Stück nun also „Clouds“ (Wolken). Beide Titel bezeichnen die visuelle Idee, die grundlegende Metapher, aus der Ruzickas Musik hervorgeht.

Erste Seite des Programmzettels zu einem Konzert mit Langgaards „Sphärenmusik“ in Karlsruhe (26.11.1921)

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Der Komponist beschreibt sein Stück als An-näherung an einen fernen Klang, eine Utopie, die kurz aufscheint, sich aber sofort wieder entzieht und niemals ganz erreicht wird. Musikalischer Ausdruck dieser Utopie sind ein tonal gegründeter, harmonischer Akkord und wiederkehrende Ansätze zu einem breiten Ge-sang der Streicher. Aus dem zarten Klangdunst des Anfanges zeichnen sich diese Elemente erst langsam ab, treten hervor und werden bald wieder von dissonanten Gespinsten überlagert. Um es mit der grundlegenden Metapher des heutigen Abends zu beschreiben: Der Blick zum Himmel wird von vorüberziehenden Wolken verhangen, die kurzzeitig den Blick auf das Darüberliegende freigeben, sich wieder zu-ziehen und um die Mitte des Stückes herum zu mächtigen Gewitterwolken zusammenzuballen. So reicht der Blick zum Himmel – und den Sternen – meist nur bis in die getrübte Tropo-sphäre. Nachdem der Tumult des Mittelteils sich gelegt hat, werden schließlich „Felder der Erinnerung an Vergangenes betreten. Zunehmend fragile, musikalisch übermalte Gestalten säumen den Weg. Und allmählich scheint die Musik zurückzukehren …“ (Ruzicka).

Solche Annäherungen an ein fernes Ideal, aber auch die Vergeblichkeit dieser Mühen, das Scheitern und Sich-wieder-Zurücknehmen ziehen sich als Grundfi gur durch die Klangrede des Komponisten Ruzicka. Viele Titel seiner Werk deuten bereits mit Auslassungspunkten an, was nicht gesagt, nicht abgeschlossen oder festgehalten werden kann: Stücke wie „…Vorgefühle…“ (1998), „…fragment…“ (1970)

oder „…sich verlierend“ (1996) bringen die Grunderfahrung des skeptischen Romantikers Ruzicka zu Klingen. An Stelle einer Erfüllung rückt die Erinnerung ins Zentrum von Ruzickas Denken, und so schwingt stets ein gewisses Maß an Trauer und wohl auch Nostalgie in seinem Werk mit. In „Übermalungen“ älterer Werke, in Musik über die Musik von Tallis, Haydn, Schumann oder Mahler, werden die Spuren kostbarer Klangerinnerungen bewahrt. Ruzickas neuere, um die Jahrtausendwende komponierte Orchesterwerke tragen pro-grammatische Titel wie „Nachklang“ (1999), „Erinnerung“ (2000) und „Memorial“ (2001). Sie umkreisen „die Erfahrung eines Nachklin-gens, das wie ein beständiger Klangschatten sich ausnahm“ (Ruzicka).

Holst: Planetarische Charakterbilder

Es ist ein netter Treppenwitz der Musikge-schichte, dass der absolute Klassiker zum Thema „Musik und Sterne“ mit dem Weltraum und unendlichen Weiten nur am Rande zu tun hat. Als Gustav Holst im Jahr 1913 die ersten Pläne zu seiner Suite „Die Planeten“ schmiedete, war die Astrologie sein neuestes Steckenpferd. Unter den Büchern, die Holst damals las, fand sich „Was ist ein Horoskop und wie erstellt man es?“ aus der Feder eines gewissen Alan Leo. Als Autor populärwissenschaftlicher Bücher über Astrologie fand Leo, alias Frederick William Allan, in den Jahren um den Ersten Weltkrieg eine große Leserschaft – und das trotz oder gerade weil die gewerbsmäßige

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Sterndeuterei gesetzlich untersagt war. Wie viele Mitglieder von Holsts Freundeskreis war auch Leo Anhänger der Geheimlehren der Helena Blavatsky und eines der ersten Mit glieder im „Orden des Sterns im Osten“. Ob der Komponist selbst die Astrologie ernst nahm, ist schwer zu ermitteln. Jedenfalls scheint Holst seinen Freunden auch später gerne Horoskope gestellt zu haben. Für die „Planeten“ ließ Holst sich von den Charakter-beschreibungen anregen, die Leo in seinen Büchern gegeben hatte: Mars, der Sendbote des Krieges, wird darin als „eigensinnig, ener-gisch und willensstark“ dargestellt; Jupiter, dem Sendboten der Fröhlichkeit, werden u. a. „Vitalität, Edelmut und Generosität“ zuge-schrieben. Es geht in den „Planeten“ also um

musikalische Portraits bestimmter Persön-lichkeitstypen, nicht um Astrophysik.

Tatsächlich fügte Holst die suggestiven Titel und Untertitel seiner Suite erst nachträglich hinzu. Während der Arbeitsphase hatte die Sammlung noch den sachlichen Titel „Sieben Stücke für Orchester“ getragen. Seine musi-kalischen Anregungen dürfte der Komponist durch eine Reihe Epoche machender Konzerte bekommen haben: 1908 und 1909 waren Debussys „La Mer“ und „Nocturnes“ erstmals in England zu hören; ab 1911 gastierten die Ballets Russes u. a. mit Strawinskys „Le sacre du printemps“ und Ravels „Daphnis et Chloé“ mehrmals auf der Insel; und 1914 dirigierte Schönberg in London seine „Fünf Stücke für Orchester“. Holst befand zwar, die klängen wie „Wagner ohne Melodien“, und er veräppelte die Neutöner mit einem „Futuristischen Ton-gedicht in H“. Doch offenbar waren es gerade Schönbergs Werke, die in ihm die Lust weckten, die Möglichkeiten des großen Orchesterappa-rats auszureizen. – So soll er beim Komponieren immer eine Taschenpartitur von Schönbergs Stücken bei sich gehabt haben. Den Vorwurf, es mangele ihnen an Melodie, kann man Holsts „Planeten“ aber nicht machen: Die Melodie aus dem Mittelteil von „Jupiter“ wurde – sehr zum Leidwesen ihres Komponisten – unter dem Titel „I vow to thee my country“ sogar zum Hymnus aller britischen Patrioten.

Den durchschlagenden Erfolg der „Planeten“ belegt auch die ansehnliche Zahl von Bearbei-tungen, Adaptionen und Fortsetzungen dieser

Gustav Holst, Karikatur mit Planeten von Neale Osborne (2006)

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Suite. Rockbands wie King Crimson, Yes oder Led Zeppelin haben einzelne Sätze daraus ge-covert; Hollywoods Filmmusik ist vielfach von der Klangsprache und Instrumentation Holsts geprägt worden. So hat sich Hans Zimmer für seinen Soundtrack zu „The Gladiator“ beim „Mars“ bedient und auch in John Williams’ „Star Wars“-Suite gibt es gleich nach dem ers-ten ruhigeren Einschub ein nahezu wörtliches Zitat der dissonant hämmernden Blechbläser-akkorde und martialischen Rhythmen, mit denen Holst seinen Kriegsbringer charakterisierte. Überdies ergänzten verschiedene E-Musik-Komponisten die Suite um jene Himmelskör-per, von denen Holst um 1914 noch nichts wusste. So komponierte Colin Matthews einen „Pluto“ und Kaija Saariaho „Asteroid 4179: Toutatis“. Der jüngste Beitrag zur fortgesetzten Erfolgsgeschichte der „Planeten“ ist das Arrangement, das Sven Klammer für die NDR Bigband schrieb. Er habe versucht, die „cha-rakteristischen astrologischen Stimmungsbil-der der Planeten, die Gustav Holst so farben-froh und facettenreich für großes Orchester umgesetzt hat, mit den instrumentalen, stilis-tischen und klanglichen Möglichkeiten einer Bigband darzustellen“, schreibt Klammer zu seinen Jazz-Fassungen der planetarischen Evergreens.

Varèse: Erde an Sirius

Für das futuristische Musiktheaterstück „The One-All-Alone“ von Edgard Varèse entwarf der Dichter Antonin Artaud ein wahrhaft apoka-

lyptisches Szenario. Aus Lautsprechern sollte im Telegrammstil die Nachricht vom Ende der Welt wie wir sie kennen verkündet werden: „Das Firmament ist abgeschafft. Die Erde nur eine Minute vom Sirius entfernt. Himmlische Telegrafi e erfunden. Interplanetarische Sprache etabliert.“ Zum Höhe- und Endpunkt dieser Weltuntergangsoper über einen Astronomen, der mit dem Sirius Kontakt aufnimmt, hätte dann ein blendender Lichtstrahl den Wissen-schaftler ins Weltall beamen sollen, während der nun gar nicht mehr so ferne Riesenplanet auf die Erde stürzt. Vielleicht ist es ganz gut,

Titelblatt der Partitur von Edgard Varèses „Arcana“

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dass dieses Projekt – wie die meisten Ideen, die das kreative Kraftwerk Varèse produzierte – eine Utopie blieb. Es gab wahrscheinlich in der Geschichte der Musik keinen zweiten Kompo-nisten, der so unbedingt der Zukunft und dem Neuen zugewandt war wie Varèse. Der Klang-ingenieur war einer der Pioniere der elektroni-schen Musik, er schrieb eines der ersten reinen Schlagzeugstücke und leitete die Crème der New Yorker Jazz-Szene zur freien Improvisation an, lange bevor der Free-Jazz erfunden wurde. „Ich hatte den unbedingten Eindruck, dass Sie 25 bis 35 Jahre vor der schrecklichen Ent-deckung der Kräfte des Atoms bereits im neuen Zeitalter waren“, schrieb 1951 der elektrisierte Henry Miller an Varèse, nachdem er dessen gesammelte Werke auf Schallplatte gehört hatte.

Dabei hatte der in Burgund aufgewachsene Varèse durchaus tiefe Wurzeln in der Vergangen-heit. Zu seinen prägenden Kindheitserinne-rungen zählte die gotische Kirche von Tournus; und als Chorleiter übte er mit seinen Sängern am liebsten Musik aus der Epoche der Vokal-polyphonie ein. Das letzte Werk, das Varèse vollenden konnte, bevor er auf Jahrzehnte in der Arbeit an „The One-All-Alone“ abtauchte, war sein Orchesterstück „Arcana“ von 1927. Das im Stile einer mittelalterlichen Buchmalerei gestaltete, mit einer prächtigen Initiale und Sternen geschmückte Titelblatt von „Arcana“ ziert ein Zitat des Alchemisten Paracelsus: „ (…) einen Stern gibt es, höher als alle anderen. Den Stern der Apokalypse. (…) Neben diesen Sternen ist noch ein weiterer: die Fantasie. Sie schafft einen neuen Stern und einen neuen

Himmel.“ Einen „großen Monarchen des Arca-nen“ nennt Varèse den Arzt und Alchemisten des 16. Jahrhunderts auf diesem Deckblatt; ganz offenbar faszinierte ihn dessen Weltbild, in dem Wissenschaft und magisches Denken noch ineinander verschränkt waren.

Hinter diesem Titelblatt aber fi ndet sich eine Partitur, deren Musik 1927 so ultramodern war, dass sie den meisten Hörern und Musikern in der Tat als Zauberei erschienen sein muss. Von den bekannten musikalischen Formen und Genres, von der Arbeit mit Themen und Moti-ven und von den Akkorden der Vergangenheit sind allenfalls noch Restbestände geblieben. Die Ostinatofi gur, die die Bassinstrumente in den ersten Takten vorstellen, der aufgefächerte Bläserakkord, der darauf folgt, und signalartige Fanfaren stellen das Grundmaterial dar, das in einem Prozess ununterbrochener Verwandlung immer mehr eingeschmolzen wird. Ab und an zieht als letzte Erinnerung an bekannte Musik-formen der Klang einer Militärkapelle mit Gezwitscher der Piccolofl öte, Glockenspiel und zackigen Marschrhythmen vorüber. Doch die große Masse der Klänge, die das Riesen-orchester in „Arcana“ erzeugt, gehorcht ande-ren, eigenen Gesetzen. Varèse nannte die Blöcke, die er da auftürmte: „Körper intelligenter Klänge, die sich frei im Raum bewegen“.

Williams: Mythen-Mashup

Wenn wir Heutigen von der Macht der Magie, vom Endkampf zwischen Gut und Böse, von

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Helden und auserwählten Erlösern träumen wollen, ist das Kino der Ort der Wahl. Das Kino versetzt uns in lange vergangene Zeiten oder in Galaxien, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat. Und John Williams ist der Mann, der zur einer erstaunlich großen Zahl unserer modernen Mythen die Musik schrieb: Ob „E.T. – Der Außerirdische“, „Die unheimliche Begeg-nung der dritten Art“, „Indiana Jones“, „Jurassic Park“ oder „Harry Potter“; die Soundtracks dieser Kinoträume stammen von John Williams. Vor allem aber schuf der Hauskomponist von

Steven Spielberg und George Lucas die Musik zu „Star Wars“. Man hat Williams oft vorgewor-fen, seine Musik sei epigonal und zusammen-gestohlen aus allen möglichen Versatzstücken des klassisch-romantischen Musikerbes. Man sollte wohl besser sagen: Er versteht sich wie seine Regisseure bestens auf die Kunst des Erbens. Als George Lucas 1977 den ersten „Star Wars“-Film herausbrachte, belebte er ein altes Genre neu: Hollywoods „Space Operas“ der 1930er und 40er Jahre. Viele Komponisten der Traumfabrik waren Exilanten aus Europa

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John Williams

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gewesen wie Erich Wolfgang Korngold oder Franz Waxman (Wachsmann), die ihr Handwerk in Wien gelernt hatten. Und so hatte der „Hollywood Sound“ jener Jahre nach europäi-scher Spätromantik geklungen. In einer Folge von „Flash Gordon“ von 1936 etwa ist zu hören, wie der Science-Fiction-Held leitmotivisch vom Gralsmotiv aus Wagners „Parsifal“ begleitet wird, während er die Welt vor den mit pseudo-römischen Rüstungen gepanzerten Schergen des bösen Kaisers Ming rettet.

An diese Tradition, die in den 1970ern eigentlich längst überholt war, knüpfte Williams wieder an. Der großorchestrale Gestus wurde sein Markenzeichen. Dabei verfuhr Williams mit seinen Anleihen bei Holsts „Planeten“ oder Strawinskys „Sacre“ ebenso, wie Lucas mit den Erzählmotiven seiner Weltraumsaga: Er griff auf Bekanntes zurück, das tief im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Lucas bediente sich nicht nur bei „Buck Rogers“ und „Flash Gordon“, sondern zog auch das Buch „Der Heros in tau-send Gestalten“ des vergleichenden Mythen-forschers Joseph Campbell zu Rate. Der führte Mythen, Märchen und Sagen rund um den Globus auf einen modellhaften „Monomythos“ zurück. Offenbar las Lucas Campbells Buch ebenso aufmerksam wie Williams die Partitu-ren seiner großen Komponistenkollegen. So entliehen sich Hollywoods Mythenschmiede die Klangaura des Erhabenen, Metaphysischen und beerbten die Träume und Utopien längst vergangener Zeiten.

Ilja Stephan

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Herausgegeben vomNORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTELeitung: Andrea Zietzschmann

Redaktion Sinfonieorchester: Achim Dobschall

Redaktion des Programmheftes: Julius Heile

Der Einführungstext von Dr. Ilja Stephan ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos: Anne Kirchbach (S. 4)Sven Klammer (S. 5)Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen (S. 7)culture-images/Lebrecht (S. 9)Archiv NDR (S. 10)akg-images (S. 12)

NDR | MarkendesignGestaltung: Klasse 3b, HamburgLitho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.Druck: Nehr & Co. GmbH

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

Das NDR Sinfonieorchester im Internetndr.de/sinfonieorchesterfacebook.com/ndrsinfonieorchester

ImpressumSaison 2013 / 2014

B8 | Do, 10.04.2014 | 20 UhrA8 | So, 13.04.2014 | 11 UhrHamburg, LaeiszhalleAlan Gilbert Dirigent*Gustav MahlerSinfonie Nr. 7 e-Moll

* für den erkrankten Michael Gielen

Einführungsveranstaltung:10.04.2014 | 19 Uhr

Familienmusik parallel zum Konzert:13.04.2014 | 11 Uhr

D8 | Fr, 25.04.2014 | 20 UhrHamburg, LaeiszhalleLong Yu DirigentJian Wang VioloncelloYvonne Naef MezzosopranAndreas Schager TenorQigang Chen„Refl et d’un temps disparu“für Cello und OrchesterGustav MahlerDas Lied von der Erde

Einführungsveranstaltung: 19 Uhr

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

KonzertvorschauNDR Sinfonieorchester

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