Vom Wissen wollen zum Wissen sollen 1.0

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von Dr. Leo HemetsbergerPhilosoph, Unternehmensberater

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Vom Wissen wollen zum Wissen sollen

Philosophisch-ethische Aspekte einer Anderung der ̈osterreichischen Policy zum Informationsrecht ̈

Zur besseren Lesbarkeit wurde die Präsentation nicht gegendert, personenbezogene Formulierungen sind geschlechterneutral

Prolog

»Kein Unternehmen ist schwerer und misslicher als der Versuch, eine neue Ordnung zu schaffen. Der Reformer hat alle zum Feind, die von der alten profitierten, und nur lauwarme Verteidiger unter denen, die Gewinn aus ihr ziehen könnten.«

Niccolo Machiavelli (Der Fürst)

1. Vom Wissen wollen

a. Ethos & Ethikb. Information & Wissen

2. Zum Wissen sollen

a. Interesse, Geheimnis & Gemeinwohlb. Dialektik der Transparenz

1. Vom Wissen wollen

a. Ethos & Ethikb. Information & Wissen

Philosophie stellt u.a.Frage nach dem guten Leben.

Was sind die „Kriterien?“

(griech.: = Entscheidungsmittel)Κριτήριον

a. Ethos & Ethik

Die Weisheit Das Streben nach Erkenntnis

Die Tugend Haltung, die das Gute über alles stellt

Die TapferkeitZu wissen, was zu suchen und was zu meiden ist

Das SchöneSinnlich sichtbare Idee

Die GerechtigkeitJeder das Seine, jedem das Seine

Klassische Begriffsbestimmungen (Platon / Sokrates)

Ethos / Moral – Konventionen, nach denen Individuen in Kulturen leben

Ethik – philosophische Disziplin, Voraussetzungen menschlichen

Handelns

Ethik dient zur Reflexion institutioneller und persönlicher Werte

Ethik ist nicht zertifizierbar!

Gestaltung der Lebenswelt nach Grundsätzen

Ursprüngliche Gesellschaftsformen

Anerkennung, Wertschätzung, Zusammenhalt, Sicherheit, Vertrauen

Reflektierte Gesellschaftsformen

Mündigkeit, Partizipation, Rechtsstaatlichkeit, Verfahrenssicherheit, Vertrauen

Ethos

Jede Gemeinschaft hat bestimmte Konventionen und Rituale.

Die Moral fordert, danach zu leben.

Eurozentristisch gesehen: ab dem 18. Jhdt. Kampf politischer Ideen:

Imperialismus, Nationalismus, katholischer Autoritarismus,

verschiedene Ausprägungen des Liberalismus, Faschismus, Spielarten des Sozialismus...

...und aktuell?

Ethos

„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg’ auch keinem anderen zu.“

Seit 7. Jahrhundert v. Chr. in allen Kulturen überliefert

Reziprozität im Sozialverhalten

Was bedeutet das im Hinblick auf das Verhältnis von Bürger und Staat

bezüglich einer Neuformulierung des Informationsrechts?

Goldene Regel

Keine Freiheit ohne Gesetz

Individuelle Freiheit wird durch Sitte eingeschränkt

Verhältnis von Individuen und Staat wesentlich

„Die Menschen machen sich solche Sorgen darum, wie sie den bösen Absichten von Mardern und Füchsen entgehen können, dass sie gleichzeitig kein Problem damit haben, und es im Gegenteil als Sicherheit erachten, von Löwen verschlungen zu werden.“

Wer kontrolliert die Staatsmacht?

John Locke

Ethos & Ethik

Grundlage = Nützlichkeitsprinzip

Jeremy Bentham (18. Jhdt.), John Stuart Mill (19. Jhdt.)

Versuch der Quantifizierung, Messung des Glücks

„Handle so, dass das größtmögliche Maß an Glück entsteht!“

Glück ist subjektiv und individuell

Menschen sind verschieden und streben nach unterschiedlichen Zielen

Utilitaristische Ethik

Prinzipien: Konsequenz – Welche Folgen ergeben sich?Nutzen – Was hat man davon?Hedonismus – Welches Gute wird gefördert ?Universalität – Was heißt das für alle Betroffenen?

„Pursuit of Happiness“ der amerikanischen UnabhängigkeitserklärungStaatliche Rahmenbedingungen sind herzustellen – z.B. Freedom of Information Act

Problem: Quantifizierung und Verrechtlichung

Summum ius summa iniuria – wer nach totalem Recht strebt, gerät ins totale Unrecht.Cicero

Utilitaristische Ethik

Basis = Das Ich und sein Gewissen.

(I. Kant, G.W.F. Hegel, 19. Jhdt.)

Ohne guten Willen gibt es keine Moral.

Das praktische, handelnde Ich – der kategorische Imperativ

„Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne!“

Gesinnungsethik

Gewissen entscheidet = Handeln gemäß Überzeugung  Der gute Wille hat sich in Institutionen entfaltet.

Dialektik von einzelnem und allgemeinem Willen:

Das individuelle Gewissen ist Maßstab der Institutionen - das individuelle Gewissen orientiert sich an den Institutionen

Idealer Bürger nach Kant: Andere ohne Herablassung, Arroganz, Demut oder Furcht respektieren

Problem: strukturelle Überforderungmangelnde politische BildungPolitische Einheit in kultureller Diversität

Gesinnungsethik

Jeder erwachsene Mensch sollte in der Lage sein, ohne Furcht und Vorurteil so viele Entscheidungen über so viele Aspekte seines Lebens zu fä llen, wie es mit der gleichen Freiheit eines jeden anderen erwachsenen Menschen vereinbar ist. Diese Überzeugung ist die ursprüngliche (...) Bedeutung von Liberalismus; sie ist eine politische Auffassung, weil Furcht und Vorurteil, die zu allen Zeiten der Freiheit im Weg standen, in der überwä ltigenden Mehrzahl der Fä lle formell oder informell von Regierungen ausgingen.

Judith N. Shklar (1928 – 1992)

Subjektive Grundsätze sind nicht immun gegen Versuchungen

Der Mensch ist nicht gut, er kann sich nur bemühen, gut zu handeln

 

Liberalismus der Furcht

Welche Ethik soll gelten?

Notwendiger Diskurs zu ethischen Positionen

Gibt Ethik Handlungsanleitungen – NEIN?

Gibt Ethik Orientierung – JA!

Daten

Informationen

Wissen

b. Information & Wissen

Information

„is a difference which makes a difference.“

Gregory Bateson, Steps to an Ecology of Mind

Daten

Informationen

Urteilskraft

Sie gibt uns relevantes Wissen

bestimmende Urteilskraft: fasst Besonderes unter bestehendes Gesetz

reflektierende Urteilskraft:findet zu Besonderem das Allgemeine

Es geht darum, gewitzt zu sein, den Witz einer Sache zu erfassen. (Kant)

Demokratie ist die seltsame Herrschaftsform, welche sich von ihren Teilungen nährt, die sich durch die Unbestimmtheit bestärkt und die aus dem leeren Platz des Gesetzes ihre einzige Transzendenz erschafft. (Antoine Garapon)

Was ist Urteilskraft?

Daten

Informationen

Urteilskraft Wissen

Die Urteilskraft prüft:

richtig – falsch

wesentlich – unwesentlich

vereinbar – unvereinbar

nützlich – unnütz

im Hinblick auf gemeinsame Grundsätze und spezifische Erfahrungen entsteht

Wissen

Explizites Wissen

People-to-document

Implizites Wissen

People-to-People

Explizites Wissen

Prä zision verringert Signifikanz

Implizites Wissen

Gesprä ch und Information bringen Klarheit

Der urteilende Mensch sichert republikanisch-demokratische Prinzipien

der Offenheit, Partizipation und Kooperation

2. Zum Wissen sollen

a. Interesse, Geheimnis & Gemeinwohlb. Dialektik der Transparenz

Wie wollen wir im 21. Jhdt. in unserer politischen Gemeinschaft zusammenleben?

Wer bestimmt den Bedeutungsrahmen?

Was gibt uns Sicherheit im Hinblick auf diese Fragen?

a. Interesse & Geheimnis

(von lat.: interesse „dazwischen sein“, „dabei sein“)

Vorteile, die sich Personengruppen aus einer Sache versprechen oder erhoffen.

Klassische Interessengruppen verfolgen partikuläre Zielesind wichtige Momente im politischen Ganzensind gut im Institutionengefüge vernetzt und verankerthaben ihre eigene Logik

Korrektiv nach Montesquieu: Gewaltenteilung, Checks & Balance

Temporäre Interessensgruppen - Partizipation NEU

Einzelbürger koordinieren Interessen spontan gegenüber Politik und Verwaltung

Interesse

Machtverschiebung vom Anbieter zu Nachfrager, zum Kunden oder Bürger

– bedingt durch Systemarchitektur 1. Vernetzungsdichte stieg exponentiell – Zugang zu Information 2. Spontanaktivität erhöht – Web 2.0, Spuren hinterlassen3. Kreisende Erregungen im Netz – über Vernetzung mächtig werden

Tendenz zur Selbstaufschaukelung, nichtlineare Systeme sind nicht vorhersagen 

Empathie als Wahrnehmung dessen, was zur Zeit in den Systemen resonanzfähig ist.

Problem: vom „Grasroot Movement“ zum „Astroturfing“

Exkurs: Interessen im Internet (Prof. Kruse)

„...dass zu jeder Politik Arcana gehören, politisch-technische Geheimnisse, die in der Tat für den Absolutismus ebenso notwendig sind, wie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse für ein auf Privateigentum und Konkurrenz beruhendes Wirtschaftsleben.“ (Carl Schmitt)

Interessenspolitik ist strategisches Handeln, ohne sichere Freiräume unmöglich

Hoheitliches Handeln – Staatsraison

Wer bestimmt die Grenzen?

Geheimnis

Fragen zum Amtsgeheimnis in Österreich

Erblast des monarchistischen Prinzips? (Metternich)Mangelndes Vertrauen in Reife des Souveräns? (1. Republik)Kontrollmöglichkeit des Apparats durch partikuläre Interessen? ( Weisungsrecht)

Problem: Verzahnung von Partikular- und Gemeinwohlinteressen

Abgeordnete durch Herkunft präformiert – SozialpartnerParteienGebietskörperschaftenprivate Interessen...

Wer bestimme frei die Verhältnismäßigkeit – im öffentlichen Diskurs?

Geheimnis

Das gemeinsame Ziel einer Gesellschaft, eines Staates.

Prozess staatlicher Willensbildung unter Beteiligung der Interessengruppen

Verwaltung handelt im Sinne des Gemeinwohls

Identifikation mit Staat & Institutionen - besonderes Identitätsverständnis

= Verantwortlichkeit, Integrität

Verwaltungen thematisieren Fragen zu Ethos des Informationsrecht

Bleibt an politischer Willensbildung, Gesetze, gebunden.

Gemeinwohl

Verwaltungsethik (III)

"Good Governance" und "Public Service Ethics"

„...die Formulierungen machen jedoch deutlich, dass die Amts- und Dienstpflichten sich nicht vollständig verrechtlichen lassen, dass ein überschießender ethischer Rest bleibt, mehr noch, dass das Amt des Beamten wie jedes andere Amt auch ethische Erwartungen an seinen Inhaber verkörpert.“

Josef Isensee, Das Amt als Medium des Gemeinwohls in der freiheitlichen Demokratie, in: Gunnar Folke Schuppert/Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl - Auf der Suche nach Substanz, in: WZB-Jahrbuch 2002, Berlin 2002, S. 241-270, hier: S. 263.

Wie ist es zu bestimmen?

Allgemeinwohl ist bestimmbar, wenn jeder, unabhängig ohne Parteibildung, die volonté générale sucht. (J.J. Rousseau)

Wer Hoheit über Definition des Gemeinwohls beanspruchen, ist totalitär. (Ernst Fraenkel)

Gemeinwohl kann im herrschaftsfreien Diskurs, der auf den Ausgleich der Interessen abzielt, bestimmt werden. (Jürgen Habermas)

Brauchen Konsens zu Spielregeln – Rechtsstaatliches Institutionengefüge & Öffentlichkeit

Gemeinwohl

Aufklärung – Enlightment – Transparency – Transparenz

„...Ausgang des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit...“ (Kant)

Ist Transparenz ausschließlich affirmativ konnotiert?

Transparenzgesellschaft – Positivgesellschaft, die alles öffnet und widerstandslos glättet

Informationsrecht wird zum Freiheitsfetisch

b. Dialektik der Transparenz (Byung-Chul Han)

Transparenz Zustand der Symmetrie – Macht und Politik immer asymmetrisch

Transparenz fehlt Negativität – keine Andersheit und Fremdheit

Transparenz duldet keine Lücke – keine Hermeneutik oder Ambivalenz

Licht – Dunkel Metaphorik – Strahlung die alles durchscheinend macht

Alle Prozesse operationalisieren – Hölle des Gleichen, keine Entwicklung

Man sollte auch das Pathos der Distanz üben

b. Dialektik der Transparenz

Vollkommene Transparenz schlägt in Tyrannei totaler Kontrolle und Überwachung um

Gefahr des aperspektivischen Panoptikums

Jeder kontrolliert jeden – Gesinnungsterror

Transparenz folgt Logik der Leistungsgesellschaft

Vertrauen nur möglich im Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen.

Wo totale Transparenz herrscht, ist kein Raum für Vertrauen.

b. Dialektik der Transparenz

Wähle mit Bedacht -  

„nichts im Übermaß“ ( )μηδὲν ἄγαν

(Inschrift am Orakel von Delphi)

40

Handlungsbedarf:

Proaktiv gestalten anstatt nur zu reagieren

Kultur und Selbstverständnis weiterentwickeln

Möglichst alle sollen von Beginn weg mitgestalten

Einstellung PRO-Informationsrecht etablieren

Nutzen von Informationsrecht neu

Narrativ schaffen

Handlungsspielraum geben

Reputation gewährleisten

Strafe und Schaden vermeiden

Vielen Dank für IhreAufmerksamkeit!

Ich freue mich auf unser Gespräch dazu

Dr. Leo HemetsbergerPhilosoph, Unternehmensberater

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