Zeit- und Selbstmanagement || Grundlagen und Hintergrundtheorien

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Grundlagen und Hintergrundtheorien

2.1 Zeit- und Selbstmanagement – 132.1.1 Warum ist Zeitmanagement wichtig? – 132.1.2 Was ist Zeitmanagement? – 132.1.3 Was ist Selbstmanagement? – 152.1.4 Zeit- und Selbstmanagement als Kompetenzen – 17

2.2 Ergebnisse aus der Forschung – 182.2.1 Individuelle Zeitstrukturen – 192.2.2 Zielsetzung und Planung – 222.2.3 Orientierung an Ressourcen – 252.2.4 Training von Zeit- und Selbstmanagement – 26

2.3 Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung – 32

2.3.1 Lernen und Transfer – 322.3.2 Konstruktivistische Lernumgebungen – 33

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S. Weisweiler et al., Zeit- und Selbstmanagement, DOI 10.1007/978-3-642-19888-5_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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Im Folgenden werden die Grundlagen und Hintergrundtheorien zum Zeit- und Selbstmanagement sowie zur Trainingsgestaltung vorge-stellt, die die Basis für die Praxismodule bilden.

Grundlagen und Hintergrundtheorien: Themen 5 Zeit- und Selbstmanagement (7 Abschn. 2.1) 5 Relevante Ergebnisse aus der Forschung (7 Abschn. 2.2) 5 Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

(7 Abschn. 2.3)

Einen Überblick über die Begriffe Zeit- und Selbstmanagement, wie sie unterschiedlich verstanden werden und sich im Laufe der Zeit ge-wandelt haben, bietet 7   Abschn. 2.1. Zudem wird die Thematik von anderen nahe stehenden Themen abgegrenzt. In 7  Abschn. 2.2 wird über verschiedene Forschungsergebnisse aus Studien mit der Thema-tik Zeit- und Selbstmanagement berichtet. Dabei stehen empirische Untersuchungen insbesondere aus der Psychologie und Pädagogik im Mittelpunkt. Mit 7  Abschn. 2.3 werden der lerntheoretische Hinter-grund und die didaktisch-methodische Gestaltung der im Anschluss beschriebenen Trainingselemente aufgezeigt. Wir beziehen uns dabei weitestgehend auf situierte Lehr-Lern-Arrangements mit Anleihen aus dem systemischen Kontext.

Primäres Ziel der Grundlagenkapitel ist es, dem Leser einen Über-blick über aktuelle Forschungsergebnisse zu verschaffen, um darauf aufbauend die Entwicklung der Trainingsmodule in den Praxiskapi-teln nachvollziehen zu können. Wir stellen bewusst evidenzbasiertes Wissen, bei dem man sich auf wissenschaftlich als wirksam erwiesene Erkenntnisse stützt, zum Thema Zeit- und Selbstmanagement sowie zur Trainingsgestaltung in den Mittelpunkt. Damit möchten wir be-währte Klassiker auf diesem Gebiet ergänzen, indem wir Modelle und Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Psychologie und Pädago-gik in die Trainingsgestaltung mit aufnehmen.

Vor diesem Hintergrund stellen wir ein Zeitkompetenzmodell vor, welches die Entwicklung des eigenen Zeit- und Selbstmanage-ments von Personen vor dem Hintergrund einer individuellen Strate-gie v. a. in den Bereichen Ziel- und Prioritätensetzung, Planung und Kommunikation sieht. Neues Wissen zur Zeitkompetenz kann an-schließend durch die im Praxisteil beschriebenen Module erworben werden. Der Transfer dieses Wissens in den Alltag zeigt sich dann in einer durch die Person und die Umwelt definierten Umsetzung in ein verändertes Verhalten.

Grundlagen und Hintergrund-theorien zum Zeit- und Selbstmanagement

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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2.1 Zeit- und Selbstmanagement

2.1.1 Warum ist Zeitmanagement wichtig?

Ein gutes Zeitmanagement gilt in unserer Gesellschaft als Ausdruck dafür, dass Menschen sich gut organisieren können und Dinge »gut im Griff haben«. Seine eigene Zeit zu managen scheint enorm wich-tig zu sein, wobei die Gründe hierfür vielfältig sind. Insbesondere in der modernen Arbeitsgesellschaft gehen Organisationen immer mehr dazu über, den Mitarbeitern ein bestimmtes Zeitfenster zur Erledi-gung von Aufgaben zu geben, dessen Struktur die Mitarbeiter jedoch selbst vornehmen müssen. Häufig sind dabei Ziele und Wege dahin unklar. Eine vordergründig groß erscheinende Flexibilität in der Arbeit führt daher vermehrt dazu, dass Mitarbeiter sich selbst struk-turieren und die Zeit selbst einteilen müssen. Aus diesem Grund gilt Zeitmanagement heute als Kernkompetenz in der Arbeitswelt (König u. Kleinmann 2004).

Auch im privaten Bereich gibt es zeitbezogene Anforderungen, wenn es um Haushalts- und Familienangelegenheiten, soziale Kon-takte oder Freizeitaktivitäten geht. In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff der Work-Life-Balance verwendet. Die Tatsache, dass viele Menschen sich bemühen, Arbeits- und Privatleben mit ihren unterschiedlichen zeitlichen Vorgaben und Planungsherausfor-derungen miteinander in Einklang zu bringen, mag zudem erklären, warum Zeitmanagement ein derart wichtiges Thema in der Öffent-lichkeit ist.

Ohne den Begriff Zeitmanagement zu benutzen, hat Peter Ferdi-nand Drucker, ein US-amerikanischer Ökonom österreichischer Her-kunft, seit den 1940er Jahren über dieses Phänomen gesprochen und geschrieben. Er beschäftigte sich mit der Frage, was einen Manager effektiv macht, mit der Aussage, dass Effektivität keine Fähigkeit sei, sondern ein Set von Gewohnheiten. Dieses Set an Gewohnheiten sei leicht zu verstehen, aber schwer zu erwerben, da der einzige Weg dorthin über kontinuierliche Praxis führe, bis diese zur Gewohnheit werde (Drucker 1966). Das Set an Gewohnheiten ist jedoch individu-ell sehr unterschiedlich, und wir werden daher in diesem Trainings-manual ganz verschiedene Methoden anbieten, von denen wir sowohl aus der Forschung als auch aus unserer bisherigen Praxis wissen, dass sie jeweils für einige Menschen hilfreich sind. Davor möchten wir uns im Folgenden jedoch noch etwas näher mit dem Begriff des Zeitma-nagements an sich auseinandersetzen.

2.1.2 Was ist Zeitmanagement?

Der Begriff Zeitmanagement wird unterschiedlich definiert (Claes-sens et  al. 2009). Traditionell wird Zeitmanagement mit dem Ge-brauch bestimmter Techniken, wie To-do-Listen schreiben oder

Zeitmanagement als Kernkompetenz

Work-Life-Balance

Effektivität von Managern

2.1 •  Zeit- und Selbstmanagement2

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Planungsaktivitäten, in Zusammenhang gebracht (Lakein 1973). Im Allgemeinen bezieht sich Zeitmanagement auch auf Verhalten, wobei manche Personen effektiv sind im Umgang mit der Zeit und ande-re nicht (Covey 1994). So unterscheiden sich Menschen, die Dinge in einer vorgegebenen Zeit erledigen können, sich an Fristen halten können etc. von anderen Personen, die häufig zu spät sind, Fristen verpassen und viel Zeit für unwichtige Dinge verbrauchen. In der ak-tuellen Literatur gibt es dazu auch eine Unterscheidung verschiedener Persönlichkeitstypen, die hinter den beschriebenen Verhaltenstypen stehen (Kaufman-Scarborough u. Lindquist 1999).

Zeitmanagement wird häufig definiert als Verhaltensweise, die da-rauf zielt, einen effektiven Gebrauch der Zeit zu erreichen, indem be-stimmte zielgerichtete Aktivitäten ausgeführt werden (Claessens et al. 2007; Koch u. Kleinmann 2002). Damit steht die selbstregulierende Sicht menschlichen Verhaltens sehr stark im Mittelpunkt und bezieht damit bereits den Kerngedanken des Selbstmanagements (Definition s. unten) als ein wesentliches Element mit ein. Darauf aufbauend gibt es vier Verhaltensdimensionen des Zeitmanagements (Claessens et al. 2009).

Verhaltensdimensionen des Zeitmanagements nach Claes-sens et al. (2009)1. Zeitabschätzung

– Sich des Hier und Jetzt bewusst sein, ebenso wie der Ver-gangenheit und der Zukunft

– Sich generell bewusst sein, wie die eigene Zeit genutzt wird

– Aufgaben und Verantwortlichkeiten akzeptieren, die inner-halb der eigenen Leistungsfähigkeit liegen

2. Planung – Ziele setzen – Aufgaben planen – Priorisieren – To-do-Listen erstellen – Aufgaben gruppieren

3. Monitoring – Beobachten des Zeitgebrauchs bei der Ausführung von

Tätigkeiten – Erzeugung einer Rückkopplungsschleife, die eine Begren-

zung des Einflusses von Unterbrechungen durch andere erlaubt

4. Exekutive – Aktuelle Tätigkeiten entweder direkt (z. B. durch Beschleu-

nigung oder Verlangsamung) oder indirekt (z. B. durch die Entfernung von Ablenkungen aus der Umwelt) beein-flussen

Verhaltensdimensionen des Zeitmanagements

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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Besonders im Bereich von Planung und Kontrolle (Monitoring) gibt es viele Tools, angefangen bei Kalendern, die eingesetzt werden, um das eigene Zeitmanagement zu regulieren. Der Bereich der Exekutive bezieht sich auf eine Reihe von Verhaltensweisen, um Ablenkungen bei der Arbeit zu vermeiden, die Effektivität von Meetings zu stei-gern, sich selbst durch zielgerichtetes Verhalten zu motivieren u. ä. Hier gibt es zwei Kategorien: Bei der ersten wird versucht, im Vorfeld Zeitfresser zu vermeiden (z.  B. unerwartete Besucher etc.), die die geplante Ausführung der Arbeit unterbrechen. Die zweite Katego-rie bezieht sich auf die Motivation und deren Beeinflussung, einen Plan auszuführen. Relativ wenig Aufmerksamkeit hat die Zeitabschät-zungsdimension erhalten – hier gibt es kaum Techniken, wenn man bedenkt, wie z. B. Anforderungen aus Arbeits- und Privatleben balan-ciert werden können.

Damit hängt auch die im Lauf der Zeit entstandene Veränderung der Zeitmanagementkonzepte zusammen. Covey et al. (1994) bezeich-nen dies mit verschiedenen »Generationen des Zeitmanagements«: Während früher die Betonung auf der Effizienz und Organisation der Zeit lag, steht nun v. a. die Wichtigkeit der Dinge im Vordergrund. Dies herauszufinden, bildet den Fokus. Diese Veränderung ist auch in den zahlreichen populärwissenschaftlichen Ratgebern zu spüren, von denen sich die Exemplare des auch als »Zeitmanagement-Papst« bezeichneten Lothar Seiwert seit langem absatzstark verkaufen (z. B. Seiwert 2005). Wissenschaftlich gesehen ist das Forschungsfeld zum Thema Zeit- und Selbstmanagement jedoch noch jung, wie wir im nächsten Kapitel schildern werden.

> Zeitmanagement meint somit im engeren Sinne, die an-stehenden Termine und Aufgaben möglichst optimal zu planen, zu koordinieren und umzusetzen. Im weiteren Sinne wird von der für das Individuum optimalen Nutzung der zur Verfügung stehenden Zeit im beruflichen wie auch im pri-vaten Sinne gesprochen (z. B. Schlote 2000). Ein optimales Zeitmanagement hängt sowohl von der beruflichen Auf-gabenanforderung als auch von der persönlichen Neigung ab. Damit tritt eine individuelle Komponente in den Mittel-punkt.

2.1.3 Was ist Selbstmanagement?

Ähnlich wie der Begriff Zeitmanagement wird auch der des Selbst-managements unterschiedlich verwendet. Selbstmanagement wird häufig als Technik oder Strategie der Selbstregulation gesehen, bei der Ziele und deren Umsetzung in Verhalten zentrale Komponenten sind (z. B. Abele u. Wiese 2008). Dieser Definitionsansatz ist aus dem Selbstregulationsmodell von Kanfer (1987) abgeleitet, welches das menschliche Verhalten durch das Zusammenwirken verschiedener

Zeitmanagementkonzepte

»Definition Zeitmanagement«

2.1 •  Zeit- und Selbstmanagement2

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Faktoren versteht. Ansatzpunkte für Änderungsprozesse sind v. a. bei den Faktoren, die eine Person selbst in Gang gesetzt hat und aufrecht-erhält, zu finden.

Selbstmanagement besteht dabei aus drei Schritten (nach Klein et al. 2003):1. Selbstbeobachtung zur Feststellung des Ist-Zustands,2. Selbstbewertung als Klärung des Soll-Zustands,3. Selbstkonsequenz als Soll-Ist-Vergleich.

Damit stehen wichtige Selbstmanagement-Fertigkeiten wie Zielset-zung (als Klärung des Soll-Zustands) und -verfolgung (als Selbstkon-sequenz des Soll-Ist-Vergleichs) im Mittelpunkt sowie die Aussage, dass Personen selbst durch Steuerung interner Prozesse Einfluss auf ihr Verhalten nehmen können. Dieser sogenannte kognitiv-behavio-rale Ansatz ist der älteste im Bereich des Selbstmanagements.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Erklärungsansätze für das Selbst-management (einen guten Überblick bietet Wiese 2008). In der Praxis ist dabei insbesondere die Frage nach der Definition und Findung von Zielen relevant. Damit rückt die Zielsetzungstheorie (Locke u. Lat-ham 1990a) in den Mittelpunkt, deren zentrale Annahme es ist, dass herausfordernde und spezifische Ziele besonders leistungsförderlich sind (7  Abschn. 2.2.2 und 7  Abschn. 3.7). Eine Alternative zum beha-vioralen Ansatz legte Kehr (2004a) mit dem von ihm entwickelten Kompensationsmodell der Motivation und Volition vor. Dabei geht es um den Umgang mit Diskrepanzen zwischen Motiven impliziter und expliziter Art. Mit impliziten Motiven sind dabei Bedürfnisse oder emotionale Präferenzen gemeint (Metapher »Bauch«) und mit expliziten Motiven kognitive Präferenzen (Metapher »Kopf«). Bei Differenzen zwischen Kopf und Bauch helfen sogenannte volitionale Strategien, wie die Kontrolle der Aufmerksamkeit, die Entwicklung positiver Phantasien und die Anpassung der Emotionen an die Situ-ation. Das Selbstmanagement soll dann steigen, wenn Personen zu erreichende Ziele ihren impliziten Motiven anpassen und sie mithilfe der volitionalen Strategien erreichen (Kehr 2004a).

> Unabhängig vom jeweiligen theoretischen Hintergrund steht beim Selbstmanagement immer die Bemühung einer Person im Mittelpunkt, das eigene Verhalten zielgerichtet auszurichten (Kleinmann 2010).

Selbstmanagement im beruflichen Kontext meint zudem 5 das Setzen arbeits- und berufsbezogener Ziele, 5 den Einsatz von Handlungsmitteln zur Verfolgung dieser Ziele,

einschließlich 5 der Beobachtung und Bewertung von Zielfortschritten (Wiese

2008).

Selbstmanagementkonzepte

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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»Definition Selbstmanage-ment«

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2.1.4 Zeit- und Selbstmanagement als Kompetenzen

Zeit- und Selbstmanagement haben sehr viel mit der Thematik der Zielsetzung und Planung zu tun. Bekannte Probleme sind die Prio-ritätensetzung und Entscheidung zwischen Handlungsalternativen sowie die realistische Planung und Umsetzung (7  Abschn.  1.1, Ent-scheidungs- und Planungsproblem). Dabei steht eine stark im Indi-viduum zentrierte Sichtweise im Mittelpunkt mit der Frage, wie eine konkrete Person diese Probleme lösen kann. Auf der Angebotsseite im Bereich der Bücher und Trainings finden sich jedoch häufig sehr allgemein gehaltene Tools oder Checklisten. Wir wollen diese nutzen, aber zusätzlich den individuellen Charakter des Zeit- und Selbstma-nagements noch stärker fokussieren und stellen daher im Praxisteil einen individuellen Methodenmix vor. Zusätzlich gehen wir davon aus, dass Menschen in fast allen beruflichen und privaten Situationen in Kontakt mit anderen Personen treten und hier sehr viel Austausch und Kommunikation stattfindet. Dieser Aspekt wird in der bisherigen Literatur unserer Ansicht nach zu wenig thematisiert.

Kompetenzen sind als Wettbewerbsvorteile zu verstehen. Mit Kompetenzen sind Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen eben-so gemeint wie die Handlungsfähigkeit in komplexen Situationen (Erpenbeck u. von Rosenstiel 2007). Kompetenzen helfen uns so-mit, selbstorganisiert zu handeln. Während Qualifikationen Wissen, Kenntnisse und Fertigkeiten nachweisbar machen, ist mit dem Be-griff Kompetenzen eher das Vermögen, sich selbst zu organisieren und Wissen auch anwenden zu können, gemeint. Eine klassische Unterteilung des Kompetenzbegriffs ist diejenige in die Bereiche der fachlich-methodischen, sozial-kommunikativen, personalen sowie aktivitäts- und handlungsbezogenen Kompetenzen (Erpenbeck u. von Rosenstiel 2007). Andere Autoren betonen dagegen erfolgreiches Problemlösen als den wichtigsten Bestandteil der Kompetenzdefini-tionen (Kauffeld u. Grote 2002; Westera 2001).

> Wir verstehen Zeit- und Selbstmanagement als grundle-gende Kompetenzen des Menschen, die selbstorganisiertes Handeln und die Anwendung von Wissen ermöglichen.

Zeit- und Selbstkompetenz – DefinitionZeit- und Selbstkompetenz umfasst das Zeit- und Selbstmanagement einer Person und meint damit die aktive und individuell nützliche Ziel-, Prioritätensetzung und Planung einer Person. Es meint auch das Setzen und die Verfolgung von Zielen durch die aktive Auseinander-setzung einer Person mit den eigenen Bedürfnissen, Stärken und Ent-wicklungsfeldern. Dabei schafft die Person sich selbst unterstützende Bedingungen, die hilfreich für die eigene Persönlichkeit und deren Entwicklung sowie die Steuerung des persönlichen Verhaltens sind. Neben der Beschäftigung mit kurzfristigen Lösungen und nützlichen Methoden werden Selbstreflexionsprozesse angeregt, die sich mittel-

Zeit- und Selbstmanagement als Kompetenzen

Zeit- und Selbstkompetenz

2.1 •  Zeit- und Selbstmanagement2

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und langfristig positiv auf die Entwicklung von Zeit- und Selbstma-nagement, die eigene Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit im Berufs- und Privatleben auswirken.

Dazu kommt das Bewusstsein und das bewusste Kommunizieren, was diese Person kann und will und welche Bedingungen sie dafür be-nötigt, um entsprechendes zeit- und selbstkompetentes Verhalten zu zeigen. Selbstorganisiertes Handeln und die Anwendung von Wissen sind dabei zentrale Elemente.

Der sogenannte Tutzinger Ansatz zur Zeitkompetenz geht von Poten-zialen aus, die ein Mensch besitzt, im Gegensatz zu Zeitproblemen, die Menschen plagen. Er stellt somit einen positiv formulierten Zu-gang dar, um kompetent und souverän mit Zeit umzugehen (Hatzel-mann u. Held 2010). Geißler (2010, S.  27) formuliert eine ähnliche Ansicht so:

» Das heißt, wenn es um Zeit geht, muss ich nicht an die Zeit ran, sondern an mich: Welche Zeiten belasten mich, welche sind schön, welche weniger schön und so weiter? Das muss ich dann mit den An-forderungen kombinieren, die aus dem sozialen und ökonomischen Umfeld an mich herangetragen werden. «Diesen positiv formulierten Zugang greifen wir auf und möchten eben-falls ein Plädoyer für einen gesunden Umgang mit Zeit sprechen. Dabei stehen die selbstkontrollierten Bemühungen, Zeit auf eine subjektiv effiziente Art und Weise zu verwenden, um Ziele zu erreichen, im Mittelpunkt. Wir wollen mit diesem Buch gleichzeitig einen selbstbe-stimmten strategischen Umgang mit der eigenen Zeit fördern, um die berufliche und private Zeitsouveränität zu optimieren. Im weitesten Sinne sollen somit die persönliche Work-Life-Balance gefördert und Stress und Burnout präventiv begegnet werden. Unsere These ist, dass alle Menschen einen individuellen Umgang mit der Zeit nicht nur pfle-gen, sondern auch weiterentwickeln sollten. Wir stellen damit die in-dividuelle Komponente des Umgangs mit der Zeit in den Mittelpunkt.

Durch die einzelnen Kapitel dieses Buches wird uns ein Zeitkom-petenzmodell begleiten, das davon ausgeht, dass Verhaltensänderun-gen in den Bereichen Ziel- und Prioritätensetzung sowie Planung nur erreicht werden können, wenn das Bewusstsein und das bewusste Kommunizieren darüber da ist und sowohl die Person selbst als auch ihr Umfeld oder der Kontext, in dem sie sich bewegt, Änderungen zu-lassen (. Abb. 2.1). Mithilfe der im Praxisteil beschriebenen Module können Trainer diese Veränderung mit anregen.

2.2 Ergebnisse aus der Forschung

Im vorliegenden Kapitel stellen wir ausgewählte Ergebnisse aus der Forschung zum Thema Zeit- und Selbstmanagement vor. Wir möch-

Individueller Umgang mit der Zeit

Zeitkompetenzmodell

Forschung zu Zeit- und Selbstmanagement

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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ten damit interessierten Lesern einen Überblick über den Forschungs-stand und Trainern evidenzbasiertes Wissen an die Hand geben.

Die vorgestellten folgenden Bereiche orientieren sich grob an der Gliederung der Praxismodule und fokussieren eher auf die Basismo-dule. Einige dieser im Folgenden vorgestellten Inhalte greifen wir bei den einzelnen Trainingsmodulen wieder auf, sodass die Trainings-kapitel auch unabhängig von diesem Kapitel gelesen werden können. Mit den folgenden Inhalten möchten wir somit weitergehende Hin-tergrundinformationen und eventuell zusätzliche Anregungen für das Training geben. Wir konzentrieren uns dabei auf den Ausschnitt der Forschung zum Thema Zeit- und Selbstmanagement, der v. a. in-nerhalb der psychologischen Forschung entstanden ist. Dieser kann ergänzt werden z. B. durch philosophische Fragen zum Thema Zeit oder die Soziologie der Zeit, die sich intensiv mit gesellschaftlichen Aspekten von Zeit beschäftigt.

2.2.1 Individuelle Zeitstrukturen

Einer der aktuell bekanntesten Psychologen, Philip Zimbardo, be-schäftigt sich mit der Zeitperspektive und meint damit die Reflexion von Einstellungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen über die Zeit. Zimbardo und seine Kollegen (Zimbardo u. Boyd 2009) haben mit Tausenden von Menschen Gespräche über das Thema Zeit ge-führt und festgestellt, dass Zeit unterschiedlich und sehr individuell

. Abb. 2.1 Zeitkompetenzmodell

Kom-muni-kation

PlanungZiel- undPrioritäten-setzung

TransferVerhalten

Umsetzung

Person Kontext

Individuelle Zeitstrukturen

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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erlebt wird. Die zeitlichen Dimensionen im Sinne von Vergangen-heit, Gegenwart und Zukunft werden also unterschiedlich wahrge-nommen. Manche Menschen sind eher vergangenheitsorientiert oder gegenwartsorientiert, andere wiederum eher zukunftsorientiert. Da-rauf basierend haben die Forscher einen Fragebogen zur Erfassung der Zeitperspektive erstellt, welcher die Gedanken an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abfragt (wir empfehlen zur näheren Lektü-re das Buch Die neue Psychologie der Zeit von Zimbardo und Boyd, 2009).

ZeitperspektiveZimbardo führte mit vierjährigen Kindern eine Untersuchung durch, bei der diesen entweder sofort eine Süßigkeit angeboten wurde oder (als Alternative) zwei Süßigkeiten, wenn sie eine bestimmte Zeit war-teten (bis der Erzieher nach 15 Minuten wieder in den Raum kam). Das Ergebnis war, dass zwei Drittel der Kinder die Süßigkeiten sofort aßen und nur ein Drittel der Kinder abwarteten. 14 Jahre später untersuchte das Forscherteam um Zimbardo dieselben, inzwischen erwachsenen Personen erneut und stellte fest, dass diejenigen Personen, die ab-warten konnten, insgesamt bessere Schulleistungen erzielt hatten. Sie hatten zudem insgesamt weniger Schwierigkeiten erlebt und waren selbstsicherer und zielstrebiger. Die Vermutung ist, dass diese Perso-nen schon als Kinder weniger gegenwarts- als vielmehr zukunftsorien-tiert waren.

Die Zukunftsorientierung scheint also eine wichtige Rolle zu spielen. Merkmal der Zukunftsorientierung ist eine hohe Gewissenhaftig-keit in der Persönlichkeit. Forscher, die Daten zu 20 unabhängigen Studien auswerteten, konnten nachweisen, dass eine ausgeprägte Ge-wissenhaftigkeit mit einer längeren Lebensdauer korreliert, also ge-wissenhafte Menschen (unabhängig vom Alter) ein geringeres Risiko haben, zu sterben (Kern u. Friedman 2008).

Ein Schüler von Zimbardo, Robert Levine, untersuchte die ver-schiedenen Zeitperspektiven in über 30  Ländern und stellte dabei zwischen den Kulturen und Regionen große Unterschiede im Lebens-takt fest.

Kulturelle Unterschiede im LebenstaktLevine (2009) untersuchte in 31 Ländern das Lebenstempo mit drei In-dikatoren:1. die Gehgeschwindigkeit (auf einer Strecke von 20 Metern),2. die Arbeitsgeschwindigkeit (anhand der Länge, die Postangestell-

te zum Verkauf einer Standardbriefmarke brauchen),3. die Genauigkeit der öffentlichen Uhren.

Das höchste Lebenstempo haben die Länder Schweiz, Irland, Deutsch-land und Japan. 8 der 9 schnellsten Länder sind in Westeuropa zu fin-den, und die letzten 8 Ränge sind von nichtindustrialisierten Ländern

Untersuchung zur Zeitperspek-tive

Kulturelle Unterschiede im Lebenstempo

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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in Afrika, Asien, dem Nahen Osten und Lateinamerika belegt. Konkret sind die Länder mit dem niedrigsten Lebenstempo Brasilien, Indone-sien und Mexiko.

Zusätzlich zu den kulturellen Unterschieden gibt es auch individuelle Unterschiede beim Lebenstempo. Ein Teil des individuellen Tempos bezieht sich auf den Zeitdruck, den Menschen empfinden. Es geht dabei darum, wie wichtig oder unwichtig es einer Person ist, wirklich jeden Moment zu nutzen (Landy et al. 1991).

Individuelle Unterschiede im LebenstaktLevine betrachtete auf Basis des Konstrukts zum Zeitdruck einige Be-reiche, um festzustellen, inwieweit sich Menschen selbst unter Zeit-druck setzen (Levine 2009, S. 51f ). Diese sind:

4 Interesse an der Uhrzeit (sich der Uhrzeit bewusst sein), 4 Redemuster (selbst schnell sprechen bzw. ungeduldig werden,

wenn jemand lange braucht), 4 Essverhalten (hastiges Essen bzw. die erste Person sein, die mit

Essen fertig ist), 4 Gehgeschwindigkeit (meistens schneller als andere gehen), 4 Fahrverhalten (sich über zäh fließenden Verkehr aufregen bzw.

gestikulieren oder hupen), 4 Zeitpläne (gerne Zeitpläne erstellen und Tätigkeiten Zeitrahmen

zuweisen; ein Pünktlichkeitsfanatiker sein), 4 Listen erstellen (zwanghaftes Listenschreiben, z. B. vor Reisen), 4 nervöse Energie (gereiztes Reagieren beim Herumsitzen, ohne

etwas zu tun), 4 Warten (sich mehr ärgern als andere bei Warteschlangen oder

gehen, auch wenn mit nur kurzer Wartezeit zu rechnen ist), 4 Warnsignale (Ratschläge von anderen erhalten, langsamer zu tun

bzw. gesagt bekommen, sich weniger Stress zu machen).

Wenn das Gefühl, unter Zeitdruck zu stehen, zu extrem wird, kommt es zu gesundheitlichen Problemen, insbesondere in Bezug auf das Herz-Kreislauf-System, bis hin zur Auflösung sozialer Beziehungen (Ulmer u. Schwartzburd 1996).

Eine weitere zeitlich individuelle Struktur ist die Frage, ob eher die Konzentration auf jeweils eine Aktivität zu einem Zeitpunkt gege-ben ist oder mehrere Dinge gleichzeitig gemacht werden. Die meis-ten beruflichen Tätigkeiten erfordern paralleles Erledigen von Tätig-keiten, d.  h., in der Realität können Aufgaben häufig nicht einfach hintereinander abgearbeitet, sondern sie müssen parallel in Angriff genommen werden. Beim polychronen Arbeiten werden zwei oder mehrere Aufgaben gleichzeitig ausgeführt. In einer Studie konnten Kaufman-Scarborough und Lindquist (1999) zeigen, dass Menschen mit polychroner Arbeitsweise (die »Polychronen«) besser in der Lage sind, mit Unterbrechungen umzugehen oder von einer Aktivität zur

Individuelle Unterschiede im Lebenstempo

Polychrones Arbeiten

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

22

nächsten zu wechseln und somit die gesetzten Ziele eher erreichen als die sogenannten »Monochromen«.

Entscheidend ist jedoch die persönlich wahrgenommene Kont-rolle über die eigene Zeit. Damit ist die Wahrnehmung einer Person gemeint, genug Zeit zum Beenden einer Aufgabe zu haben, Pläne zu machen, die Fähigkeit, Deadlines einzuhalten, diese nur wenig aufzu-schieben sowie generell das Gefühl, die eigene Zeit im Griff zu haben (Macan et al. 1990). Diese Kontrolle spielt eine entscheidende Rolle. Sie ist ein Prädiktor primär für Arbeitszufriedenheit und Wohlbefin-den und teilweise sogar für die Arbeitsleistung (z. B. Claessens et al. 2004; Macan 1994).

2.2.2 Zielsetzung und Planung

Personen berichten beim Thema Zeit- und Selbstmanagement am häufigsten von Problemen im Bereich unklarer Ziele und Prioritäten sowie von Planungsschwierigkeiten. Zielsetzung und Planung sind essenzielle Bestandteile von Zeit- und Selbstmanagement. Die For-schung dazu zeigt, dass Personen, die Ziele haben, ihre Leistungsfä-higkeit nicht nur selbst besser einschätzen, sondern dass die Leistung tatsächlich auch besser wird (z. B. Macan 1994; Nonis u. Sager 2003). Mehrere Theorien postulieren bewusste Prozesse der Zielsetzung und Planung.

Zielsetzung

> Aus der Zielsetzungstheorie ist bekannt, dass Ziele Men-schen motivieren und dass spezifische und hohe Ziele die Leistung erhöhen. Dabei führen spezifische und präzise ausformulierte Ziele zu besseren Leistungen als vage Ziele wie: »Geben Sie Ihr Bestes«.

Die Zielsetzungstheorie (Locke u. Latham 1990b) ist die wohl bekann-teste und am weitesten verbreitete Theorie im Bereich des Zeit- und Selbstmanagements. Kernaussage ist, dass Ziele Menschen motivie-ren und spezifische und hohe Ziele die Leistung erhöhen. Schwierige Ziele führen generell zu höheren Leistungen als einfache Ziele. Spezi-fische und präzise ausformulierte Ziele führen zu besseren Leistungen als vage Ziele wie: »Geben Sie Ihr Bestes«. Sofern das Ziel verstanden wurde, gibt es keinen Unterschied zwischen selbst gesetzten und zu-gewiesenen Zielen. Zusätzlich gibt es verschiedene Moderatoren, also Variablen, die den Zusammenhang zwischen den Zielen und der Leis-tung beeinflussen. Diese sind die Aufgabenkomplexität, die Selbst-wirksamkeit sowie die Zielbindung und Feedback.

Obwohl ja aus der Zielforschung bekannt ist, wie wichtig und sinnvoll Ziele sind, arbeiten bisher nur die größeren Wirtschaftsunter-nehmen flächendeckend damit. Die Umsetzungspraxis gestaltet sich aber auch dort oft problematisch. Idealerweise werden Ziele mit den

Bedeutsamkeit von Zielen

Smarte Ziele

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

2

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Mitarbeitern gemeinsam vereinbart und auf ihre Spezifität, Messbar-keit, Attraktivität, Realisierbarkeit und Terminierbarkeit – bekannt als sogenannte SMART-Regel – überprüft. Zudem ist Feedback, also eine Rückmeldung z. B. vom Vorgesetzten, wichtig zur Zielverfolgung und ebenso zur Zielerreichung (Locke u. Latham 1990b, 2002). Der entscheidende Nachteil von in der Praxis verwendeten vagen Zielen (z.  B. »Geben Sie einfach ihr Bestes«) ist, dass der Adressat dieser Anweisung oftmals völlig im Unklaren darüber bleibt, was denn nun konkret zu tun sei. Geht es darum, dass die Ablage besser organisiert sein soll? Geht es darum, mit Reklamationen kundenorientierter um-zugehen? Oder bezieht sich die Anweisung auf die Informationsüber-gabe zwischen den einzelnen Abteilungen? Bei der Instruktion mit einem »Do your best-Ziel« bleiben solche Fragen offen.

Eine weitere Theorie ist in diesem Zusammenhang interessant, die sogenannte Temporal-Construal-Theorie (Liberman u. Trope 1998). Sie beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einfluss Zeit auf die Be-wertung zukünftiger Ereignisse hat und postuliert, dass die zeitliche Distanz Einfluss auf den Grad der Abstraktion hat. Ein Ereignis in entfernter Zukunft wird also abstrakter wahrgenommen, ein Ereig-nis in naher Zukunft dagegen konkreter. Bei auf ein Ziel gerichteten Handlungen ziehen Menschen daher bei großer zeitlicher Entfernung fast ausschließlich die Attraktivität des Ziels in Betracht, bei kleiner zeitlicher Entfernung auch den Arbeitsaufwand, der zur Erreichung dieses Ziels nötig ist. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Attraktivität eines Ziels in entfernter Zukunft eine größere Rolle im Vergleich zur Erreichbarkeit des Ziels spielt als in naher Zukunft. Dies unterstreicht die Wichtigkeit besonders attrak-tiver langfristiger Ziele.

Zusätzlich zum Setzen eines herausfordernden, attraktiven und konkreten Ziels hilft die Formulierung von Handlungsabsichten bei der Zielerreichung (Wenn-dann-Pläne oder Implementierungsinten-tionen). Die Forschung dazu hat gezeigt, dass insbesondere folgende Formulierung die Wahrscheinlichkeit zum Erreichen eines Ziels er-höht: »Wenn die Situation X eintritt, werde ich das Verhalten Y aus-führen« (Gollwitzer u. Sheeran 2006). Mit Implementierungsinten-tionen können Menschen, die eine bestimmte Handlung ausführen wollen, mithilfe kognitiver Prozesse die Wahrscheinlichkeit erhöhen, das beabsichtigte Verhalten tatsächlich auszuführen. Bei diesen Pro-zessen transformieren Implementierungsintentionen eine Absicht in einen konkreten Plan zur Ausführung des gewünschten Verhaltens (Gollwitzer 1999). Damit wird eine Verknüpfung von Situation und Verhalten angestrebt. Der Einsatz von Wenn-dann-Plänen hilft also Personen dabei, zielgerichtetes Handeln zu initiieren und aufrechtzu-erhalten. Personen, die ihre Ziele mit Wenn-dann-Plänen ergänzen, weisen eine höhere Erfolgsrate bei der Realisierung dieser Ziele auf als Personen ohne solche Pläne (Faude-Koivisto u. Gollwitzer 2009). In einer Studie zur körperlichen Aktivität bei Frauen zeigte sich, dass Frauen mit Wenn-dann-Plänen bereits nach einer Woche sportlich

Temporal-Construal-Theorie

Wenn-dann-Pläne

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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aktiver waren als Frauen ohne solche Pläne und dass dieser Effekt zudem über einen Verlauf von 4 weiteren Monaten verzeichnet wer-den konnte (Stadler et al. 2009). Nach einem Erholungstraining, in dem u.  a. mit Implementierungsintentionen trainiert wurde, waren die Teilnehmer anschließend erholter, und sie schliefen besser (Hahn et al. 2011).

PlanungDas Rubikon-Modell der Handlungsphasen (Heckhausen u. Goll-witzer 1987) geht davon aus, dass Menschen mehr Wünsche besitzen als Zeit und Gelegenheit, diese zu realisieren. Um die Verwirklichung von Wünschen jedoch umzusetzen, bedarf es verschiedener Phasen, die durchlaufen werden müssen:

Rubikon-Modell der Handlungsphasen (Heckhausen u. Gollwitzer 1987)

5 In der Vorentscheidungsphase wägen Personen zwischen verschiedenen Wünschen ab, um einen geeigneten auszu-wählen.

5 In der Vorhandlungsphase geschieht die Planung der Um-setzung des ausgewählten Wunsches, der jetzt zum Ziel ge-worden ist.

5 Mit der Handlungsphase wird das Geplante umgesetzt. 5 In der Bewertungsphase wird abschließend eine Evaluation

des bisher Erreichten durchgeführt.

Häfner und Stock (2010) haben dieses Modell der Handlungsphasen als Rahmen genommen, um ein Zeitmanagementtraining zu konstru-ieren. Es zeigte sich, dass dieses Training – welches zusätzlich durch psychologische Theorien und die Anwendung von Forschungsergeb-nissen gekennzeichnet war – zu einem Anstieg an wahrgenommener Kontrolle über die Zeit und einer Senkung des wahrgenommenen Stresses geführt hat.

Im Bereich der Planungsfähigkeit haben viele Menschen mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Eines der häufigsten Zeitmanagement-probleme ist die Tatsache, dass Menschen oft unterschätzen, wie lange eine Aufgabe dauert. Dieses Phänomen wird »Planning Fallacy« ge-nannt (Kahneman u. Tversky 1979, S. 315). Menschen berücksichtigen Erfahrungen, die sie bei ähnlichen Aufgaben gemacht haben, zu we-nig bei der Einschätzung der Dauer einer aktuellen oder zukünftigen Aufgabe. Die Zeitschätzungen sind also unrealistisch bzw. ungenau in dem Sinne, dass Menschen die tatsächlich benötigte Zeit unter-schätzen. Laut Kahneman und Tversky (1979) kommt diese Unter-schätzung zustande, weil Personen sich zu stark auf eine spezielle Situation konzentrieren und dabei die Informationen, wie lange sie für eine Aufgabe oder ein Projekt gebraucht haben, vernachlässigen. Die Unterschätzung der Zeit wird theoretisch auch noch anders er-

ZeitplanungRubikon-Modell

Planning-Fallacy-Phänomen

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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klärt, nämlich durch einen Gedächtnisfehler. Menschen unterschät-zen die Länge vergleichbarer Aufgaben aus der Vergangenheit und ziehen diese Unterschätzung dann zum Schätzen der benötigten Zeit für die neue Aufgabe heran (Roy et al. 2005).

> Problem der Planung beim Zeit- und Selbstmanagement: Der Zeitaufwand für neue Aufgaben wird bei der Planung unterschätzt. Die Erinnerung an einen früheren Zeitauf-wand ist nicht korrekt, und diese falsche Erinnerung wird für die Planung neuer Aufgaben herangezogen: unrealisti-sche Zeitpläne sind die Folge.

Zeitschätzungen werden dann realistischer, wenn Personen konkret sagen müssen, wann und wo sie die Aufgaben erledigen werden (Ko-ole u. van’t Spijker 2000) oder wenn sie aufgefordert werden, sich an die eigenen Erfahrungen zu erinnern und diese auch zu berück-sichtigen (Buehler et al. 1994). Zusätzlich hat sich gezeigt, dass auch Feedback – also Rückmeldung über die benötigte Zeit – von anderen Personen hilft, die eigene Zeitplanung zu verbessern. Dies bedeu-tet, dass Personen die Rückmeldung darüber erhalten, wie lange sie für eine bestimmte Aufgabe gebraucht haben, dann die gleiche oder ähnliche Aufgaben in Zukunft besser abschätzen und somit planen können. Bisherige Studien zeigen, dass Feedback ein angemessener Weg ist, um die Vorhersagegenauigkeit zu erhöhen (Roy et al. 2008, Weisweiler et al. 2011). Dies konnte beispielsweise auch bei Software-Entwicklungen gezeigt werden (Jorgensen 2004).

Die zweite große Problematik bei der Planung betrifft die Vernach-lässigung langfristiger Konsequenzen einer Handlung (Koch u. Klein-mann 2002). Langfristig wichtige, aber terminlich nicht dringende Aufgaben werden oft ignoriert, da Menschen bei der Abwägung von Kosten und Nutzen eher kurzfristig denken. Die Konsequenz ist das Aufschieben von Aufgaben, die erst in späterer Zukunft Bedeutung haben, weil auch die Konsequenzen daraus erst später folgen. Für die subjektive Leistung ist jedoch auch ein mittel- und langfristiges Planungsverhalten notwendig (Claessens et al. 2004).

> Problem der Entscheidung beim Zeit- und Selbstmanage-ment: Menschen beachten bei Entscheidungen nur das kurzfristige Verhältnis von Kosten und Nutzen und zu wenig die möglichen langfristigen Folgen.

2.2.3 Orientierung an Ressourcen

Die Umsetzung von Zielsetzungen und Planungen und generell die Veränderung des eigenen Zeit- und Selbstmanagements hängen vom persönlichen Handlungsspielraum ab und der Frage, ob individuelle Ressourcen aktiviert werden können.

Ressourcenorientierung

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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Das Zürcher Ressourcen-Modell geht von einem Menschenbild der humanistischen Psychologie aus mit der Idee, dass jeder Mensch Ressourcen bereits in sich trage, die er für die Umsetzung seiner Ziele benötige. Das Selbstmanagement bestehe dann darin, diese Ressour-cen zu entdecken und konsequent anzuwenden (Storch u. Krause 2002).

Gerade bei Problemlösungen ist es wichtig, mit welcher menta-len Einstellung Personen an sie herangehen. So konnte Dweck (1991) feststellen, dass Personen besser Probleme lösen konnten, wenn sie sich positiv (mit Bewältigungskognitionen) statt negativ (mit Hilflo-sigkeitskognitionen) fokussierten. Positive Fokussierungen sind: »Ich kann es.« – »Ich versuche es.« – »Ich bin optimistisch.« – »Ich werde auch bei Misserfolgen nicht nachlassen.« – »Ich bin stolz auf das, was ich bislang erreicht habe.« Negative Fokussierungen sind: »Ich kann das nicht.« – »Das versuche ich erst gar nicht.« – »Ich werde doch scheitern.« – »Ich habe das noch nie gemacht.« Studien zeigten, dass der Fokus auf Barrieren und negative Emotionen die Unsicherheit und Selbstkritik fördert und es erschwert, Chancen zu erkennen und Lösungen für Probleme zu finden (z. B. Lee et al. 2003). Die positive Fokussierung kann dagegen vorangetrieben werden durch Fragen wie »Wo kann ich etwas verändern?« – »Wo sind meine Stärken?« etc.

Nur wenn Menschen glauben, etwas selbst durchführen oder än-dern zu können, sind sie motiviert, Probleme tatsächlich anzugehen. In der Psychologie wird dieses Selbstwirksamkeitsüberzeugungen ge-nannt. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit investieren mehr An-strengung, setzen mehr Aufgaben um und geben weniger selten auf, wenn Probleme auftauchen. Sie erholen sich eher von Rückschlägen und halten ihre Zielbindung länger aufrecht (nach Bandura 1992). Ralf Schwarzer, ein Gesundheitspsychologe aus Berlin, hat dazu zahl-reiche Forschungsarbeiten durchgeführt und u. a. einen Fragebogen zur Erfassung der Selbstwirksamkeit entwickelt (nachzulesen unter www.selbstwirksam.de). Dieser misst die optimistische Kompetenz-erwartung, also das Vertrauen darauf, eine schwierige Lage zu meis-tern, wobei der Erfolg der eigenen Kompetenz zugeschrieben wird. In einer Untersuchung mit Lehrern zeigte sich, dass die Lehrer mit geringer Selbstwirksamkeit die größte Wahrscheinlichkeit für Stress am Arbeitsplatz und Burnout hatten (Schwarzer u. Hallum 2008).

Die Umsetzung des eigenen Zeit- und Selbstmanagements hängt also sehr stark vom Individuum ab und der Frage, ob individuelle Ressourcen aktiviert werden können. Ein Training oder Coaching kann diese durchaus stärken.

2.2.4 Training von Zeit- und Selbstmanagement

Im Folgenden stellen wir ausgewählte Ergebnisse aus der Forschung vor, die das Zeit- und Selbstmanagement in verschiedenen Bereichen und das Training dieser Kompetenzen untersucht haben.

Selbstwirksamkeitsüberzeugung

Trainingsforschung zu Zeit- und Selbstmanagement

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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Untersuchungen im GesundheitswesenEs liegen einige Studien zum Umgang mit der Zeit bei Pflegepersonal in Krankenhäusern vor. Die Untersuchung von Bowers et al. (2001) hatte das Ziel herauszufinden, wie sich die Arbeitsbedingungen v. a. auf die Qualität der Pflege bei Krankenschwestern in Langzeitpflege-einrichtungen auswirken. Dazu wurden insgesamt 18 Krankenschwes-tern interviewt. Der Faktor Zeit war besonders herausstechend für den Arbeitsablauf. Die befragten Personen gaben an, dass sie bei feh-lender Zeit und vielen Unterbrechungen Strategien entwickelt hatten, um den Arbeitsablauf zu erhalten. So minimierten sie z. B. die vorge-sehenen Zeiträume für Arbeitsabläufe, was sich allerdings negativ auf die Qualität der Pflege auswirkte. Dieses Dilemma sollte durch mehr Einsatz von Pflegepersonal abgegolten werden können. Waterworth (2003) führte ebenfalls eine Interviewstudie durch mit dem Ziel, zu explorieren, wie Krankenschwestern ihre Zeit organisieren und ma-nagen. Durch Gruppendiskussionen und Einzelinterviews konnten 22 Personen befragt werden. Die Auswertung ergab insgesamt 6 Zeit-managementstrategien, von denen neben dem Aufbau von Routine zur Durchführung pflegerischer Tätigkeiten v.  a. die Prioritätenset-zung die wichtigsten waren. Routine führt dazu, dass sich der (innere) Zeitdruck reduziert, jedoch auch dazu, dass Routineabläufe ungern verändert werden. Die Fähigkeit, zu priorisieren, wird als Bedingung für effektives Arbeiten gesehen und ist eine geschätzte Strategie. Sie ist gleichzeitig Teil der Routine der befragten Krankenschwestern. Aus den Antworten wurde außerdem klar, dass es nur eine individu-elle Zusammensetzung von Zeitmanagementtechniken geben kann. Die Zielgruppe Pflegepersonal ließ zwar einige Untersuchungen zur Thematik Zeit- und Selbstmanagement entstehen, jedoch gehen diese über den explorativen Charakter kaum hinaus. Häufiger sind die Be-richte sogar anekdotisch, und es werden eine Reihe von Tipps zum Umgang mit der Zeit vorgeschlagen (z. B. Schröder u. Knipp 1999).

Untersuchungen in Schule und HochschuleMit Studien im schulischen Kontext wurde versucht, einen Schritt weiter zu gehen. Durch die allgemeine Forderung nach zielgruppen-spezifischen Trainings spezifizierten Meyer und van Dick (2002) den für Lehrer relevanten Bedarf an Zeitmanagementtrainings, deren In-halte sowie Trainingszeitpunkte. Bei Schülern der PISA-Studie be-schrieben Bielski und Gleser (2003) den Zusammenhang zwischen deren Anstrengungsbereitschaft und den Leistungsergebnissen. In diesem Kontext wurde auch das Zeitmanagementverhalten erfasst. Diejenigen Schüler, die eine hohe Anstrengungsbereitschaft zeigten, hatten ihr Zeitmanagement besser im Griff als die Gruppen mit ge-ringer Anstrengungsbereitschaft. Derselbe Effekt konnte ebenfalls bei Studierenden nachgewiesen werden (Artelt u. Lompscher 1996). Außerdem ging ein gut funktionierendes Zeitmanagement auch mit einer guten Konzentration einher. Ebenfalls eine studentische Stich-probe wurde durch Adamson et al. (2004) untersucht. Direkt zu Be-

Zielgruppe: Gesundheitswesen

Zielgruppe: Schule und Hochschule

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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ginn des Studiums sollten sich die Personen im Umgang mit Zeit selbst einschätzen. Daraufhin erhielten sie ein speziell zusammenge-stelltes schriftliches Zeitmanagement-Manual. Nach 5 Wochen konn-ten sich die Beteiligten erneut im Umgang mit ihrer Zeit einschätzen, jedoch zeigten sich keinerlei Unterschiede zum ersten Messpunkt. Dies ist nicht weiter erstaunlich, wenn – wie Adamson et al. (2004) berichten – nur 3% der Stichprobe das Manual überhaupt gelesen hat-te. Davon abgesehen ist neben der fehlenden methodischen Präsenz der Studie einerseits andererseits auch darauf hinzuweisen, dass die Implikationen der Erfolge selbstgesteuerten Lernens hier wohl nicht gefruchtet haben.

Pinneker et al. (2011) trainierten Studierende im ersten Studien-jahr ganz zu Anfang in Zeitmanagement. Unmittelbar vor sowie 2 Wochen nach dem Training bearbeiteten die Studierenden Frage-bögen zu Anforderungen, Anspannung und erlebter Zeitkontrolle. Die Zeitmanagementintervention bestand aus der Vermittlung von Planungsstrategien mit folgenden Schwerpunkten:

5 Prioritätensetzung, 5 Tagesplanung, 5 Monitoring.

Eine andere Trainingsgruppe beschäftigte sich mit der Gestaltung von Trainingsmaßnahmen im Arbeitskontext. In Bezug auf Trainer, Dauer und Didaktik unterschieden sich die beiden Gruppen nicht, lediglich in Bezug auf die Inhalte. Das Zeitmanagementtraining ver-hinderte den Anstieg der Anspannung der Studierenden bei wachsen-den externen Anforderungen. Die erlebte Zeitkontrolle nahm in der Zeitmanagementgruppe signifikant zu, während sich für die andere Gruppe eine tendenzielle Abnahme ergab. Die Ergebnisse sprechen für die Wirksamkeit der Zeitmanagementintervention. Die Effekte zeigten sich bei einer sehr kurzen Intervention mit klarer Fokussie-rung auf einfache Planungsaktivitäten.

Bezogen auf den bereits angesprochenen stark fragmentierten und von Unterbrechungen gekennzeichneten Arbeitsalltag von quali-fizierten Mitarbeitern wurden Hochschuldozenten hinsichtlich ihrer Zeitverwendung für als »hoch« priorisierte Aufgaben untersucht (Hall u. Hursch 1982). Mittels eines schriftlichen Trainingsmanuals und der Beratung eines Zeitmanagementexperten konnten die befragten Do-zenten ihre Zeitaufwendung steigern, wodurch ebenfalls die selbst eingeschätzte Arbeitsproduktivität sowie die Zufriedenheit mit der Arbeit stiegen. Allerdings wurden nur 4 Personen untersucht, was die Aussagekraft der Untersuchung erheblich einschränkt. Interessant ist allerdings, dass konkrete Zeitangaben (in Minuten bzw. Stunden) zur Aufwendung wichtiger Aufgaben angegeben werden. So konnte eine der 4 Versuchspersonen ihre tägliche Aufwendung von 6 Minuten auf 2 Stunden und 38 Minuten steigern. Studien mit Personen aus dem Hochschulkontext sind rar, was v. a. daran liegt, dass dieser Personen-kreis noch zu wenig als Zielgruppe dieser Trainings wahrgenommen

Wirksamkeit von Zeitmanage-mentinterventionen

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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wurde. Allerdings ist in letzter Zeit eine Veränderung festzustellen. Weiterbildungsprogramme an deutschen Hochschulen bemühen sich zunehmend, dieses Defizit auszugleichen.

Untersuchungen in der WirtschaftDeutlich weiter fortgeschritten sind dagegen Untersuchungen im wirtschaftlichen Kontext. Aufgrund der vorliegenden empirischen Nachweise in Bezug auf die Effektivität von Zeit- und Selbstmanage-menttrainings kann hier ein zunehmend positives Bild gezeichnet werden (Green u. Skinner 2005). Einige relevante und einflussreiche Untersuchungen werden daher im Folgenden zeitlich gegliedert dar-gestellt.

Nach einem 3-tägigen Zeitmanagementtraining für Mitarbeiter einer Produktionsabteilung verbesserte sich deren Zeitmanagement-verhalten signifikant (Orpen 1994). Gemessen wurden vor und einen Monat nach dem Training die selbst eingeschätzte Effizienz beim Um-gang mit der Zeit sowie Tagebuchaufzeichnungen, die unabhängig auch von 3 Managern der Firma ausgewertet wurden. Macan (1996) konnte in ihrer Studie zeigen, dass 3–4 Monate nach einem 2-tägigen Training zum Zeitmanagement die Teilnehmer im Vergleich zu Per-sonen ohne Training zwar keine Veränderung in ihrem Zeitmanage-mentverhalten berichteten, jedoch das Gefühl hatten, mehr Kontrolle über ihre Zeit zu haben.

Ebenfalls im wirtschaftlichen Kontext führten Rank und Waken-hut (1998) Untersuchungen zur Überprüfung des Praxistransfers der Seminarinhalte eines Führungskräftetrainings durch. Dieses Training beinhaltete als Teilaspekt die Thematik des Selbst- und Zeitmanage-ments, führte aber in diesen Bereichen zu keiner signifikanten Ein-stellungsänderung 8 Wochen nach Ende des Trainings. Im Gegensatz dazu konnte Van Eerde (2003) einen Monat nach einem eineinhalb-tägigen Zeitmanagementseminar bei 37  Trainees eine signifikante Abnahme in deren Vermeidungsverhalten (Dinge aufschieben) fest-stellen sowie ebenso eine Verbesserung der Fähigkeit, mit Zeit um-zugehen.

In einer Studie aus dem Jahr 2003 von Klein et al. wurde ebenfalls die Effektivität zweier Selbstmanagementtrainings verglichen. Die Stichprobengröße umfasste 106 Personen und setzte sich aus Arbeits-losen und freien Trainern zusammen. Das eine Training basierte auf den Publikationen von Seiwert (1997), dessen Vorgehensweise bei Selbstmanagementtrainings in der deutschen Wirtschaft weit ver-breitet ist und deshalb als Standardtraining bezeichnet werden kann. Das andere Training richtete sich nach dem sogenannten »7-Phasen-Modell« von Kanfer (1987) aus dem Bereich der Selbstmanagement-therapie. Letzteres schnitt sowohl kurz- als auch langfristig (3 Monate später) deutlich besser ab. Untersucht wurden nach dem Training die Selbstmanagementfertigkeiten, die Selbstwirksamkeit und die all-gemeine Lebenszufriedenheit. Zielbezogene Fortschritte, Zielerrei-chung sowie der Trainingstransfer wurden subjektiv eingeschätzt.

Zielgruppe: Wirtschaft

Führungskräftetraining

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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Außerdem wurden das Training und der Trainer bewertet. Die Unterschiede beider Trainings lagen in drei wichtigen Punkten:1. Die Inhalte des überlegenen Trainings nach Kanfer (1987) be-

standen v. a. in der Formulierung kleiner, konkreter Ziele, wäh-rend Seiwert (1997) von den übergeordneten Zielen zu den kon-kreten, also von den Lebenszielen zu den Zielen für den Alltag, geht.

2. In Selbstmanagementtraining nach Seiwert wurden Lösungen für Probleme viel stärker vorgegeben, während in der Trainings-methode nach Kanfer die Teilnehmer selbst nach Lösungen für Selbstmanagementprobleme suchen mussten.

3. Letztendlich wurden Teilnehmer des überlegenen Trainings auf eventuelle Rückschläge konkret vorbereitet, während dies von Seiwert (1997) nur am Rande behandelt wurde.

Auf Basis des Selbstmanagementmodells nach Kanfer wurde auch ein Training zum Selbstmanagement für Auszubildende entwickelt, was insgesamt zufriedenstellende Ergebnisse lieferte (Saborowski u. Muellerbuchhof 2010). Im Bereich der Zielsetzung sowie beim Prob-lemlösen schnitten die Auszubildenden nach dem Training besser ab.

In einer weiteren Studie wurde die Wirkung eines psychologisch fundierten Zeitmanagementtrainings auf die erlebte Zeitkontrolle, Stress und Leistung bei kaufmännischen Mitarbeitern untersucht (Häfner et al. 2011). Das Zeitmanagementtraining bestand im Wesent-lichen aus der Vermittlung der folgenden Zeitmanagementstrategien:

5 Prioritätensetzung, 5 Formulierung herausfordernder, konkreter und proximaler Zie-

le, 5 Strategieentwicklung unter Einbindung von Prozesssimulation, 5 Tagesstrukturierung unter Nutzung von Durchführungsinten-

tionen, 5 Monitoring, 5 Einsatz von Selbstbelohnungen, 5 Auseinandersetzung mit der Interpretation zeitbezogener An-

forderungen.

Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe arbeiteten die Trainingsteilneh-mer stärker an der Verbesserung ihres Zeitmanagements und schätz-ten die erzielten Verbesserungen als stärker ein. Durch das Training nahm die erlebte Zeitkontrolle zu und der Stress ab.

Aktuelle ErkenntnisseDie hier dargestellten Untersuchungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, ob Training von Zeit- und Selbstmanagement erfolg-reich sein kann in dem Sinne, dass Menschen einen für sie positiv ver-änderten Umgang mit der Zeit feststellen und daraus auch Schlussfol-gerungen auf die Leistung zulässig sind. Es gibt mehrere zusammen-fassende Analysen dazu. 2004 wurde von Melchers und König eine

Fazit Trainingsgestaltung

Ergebnisvariablen zur Erfolgsmessung

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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zusammenfassende Analyse der insgesamt 56 bis dahin vorhandenen Studien zum Zeitmanagement hinsichtlich ihrer Effektivität vorge-nommen. Von diesen Studien stammten 21 aus Veröffentlichungen, 27 aus nichtveröffentlichten Doktorarbeiten und 2 aus unveröffent-lichten Manuskripten. Es wurden sowohl Untersuchungen berück-sichtigt, die eine Teilnehmergruppe mit einer Kontrollgruppe (ohne Training oder mit Training zu einem anderen Thema) verglichen, als auch Arbeiten, die eine Vorher-nachher-Messung ohne Kontrollgrup-pe verwendeten. Melchers und König (2004) bildeten 4 Kategorien von Ergebnisvariablen. Dazu zählten1. Zeitmanagementfragebögen (diese erfragten z. B. Aufschiebever-

halten, Zeitmanagementprobleme oder Studiergewohnheiten),2. Verhaltensmaße (bestehend aus sogenannten Aktivitätstagebü-

chern),3. Leistungsergebnisse in Form von Klausur- oder Abschlussnoten,4. Konsequenzen der Zeitverwendung (z. B. Stress oder die wahr-

genommene Selbstwirksamkeit).

Die zusammenfassende Analyse zeigte, dass Zeitmanagementinter-ventionen im Mittel zu einer beachtlichen Effektivität und zu erheb-lichen Verbesserungen des persönlichen Zeitmanagements führen.

In einer weiteren Analyse konnte Ähnliches festgestellt werden. Zeitmanagementverhalten hängt positiv mit wahrgenommener Kont-rolle der Zeit, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit zusammen sowie negativ mit Stress. Die Beziehung zur Leistung ist jedoch empirisch noch nicht gut abgesichert (Claessens et al. 2007).

> Zusammenfassende Analysen zur Effektivität von Zeitma-nagementinterventionen zeigen, dass diese im Mittel zu einer beachtlichen Effektivität und insbesondere zu erheb-lichen Verbesserungen des persönlichen Zeitmanagements führen (Claessens et al. 2007; Melchers u. König 2004). Pro-blematisch sind jedoch die unterschiedlichen Definitionen der Begrifflichkeiten sowie die Tatsache, dass nur wenige Trainings auf empirisch abgesicherten Inhalten und Tools basieren. Zudem wird der Tatsache, dass eine individuelle Zusammensetzung von Zeitmanagementtechniken notwen-dig ist, zu wenig Rechnung getragen.

Darauf aufbauend haben wir das hier vorliegende Training zum The-ma Zeit- und Selbstmanagement entwickelt. Uns waren dabei die fol-genden Punkte besonders wichtig:

5 Trainingsinhalte und -methoden, die auf Forschungsergebnissen aufbauen,

5 der individuelle Aspekt beim Umgang mit Zeit, 5 die Unterstützung bei der Transferierbarkeit des Wissens und

Verhaltens in den Alltag.

Effektivität von Zeitmanage-mentinterventionen

2.2 •  Ergebnisse aus der Forschung2

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In eigenen Untersuchungen konnten wir zudem feststellen, dass Teil-nehmer von Zeit- und Selbstmanagementtrainings, wie sie in den Praxiskapiteln beschrieben sind, 3  Monate nach dem Training im Vergleich zu Teilnehmern eines Standardtrainings das Erlernte so-wohl besser kannten als auch gut anwenden konnten (Dirscherl 2005; Weisweiler 2008). In 7  Abschn.  2.3 beschreiben wir die zugrunde-liegende Didaktik, die zur Unterstützung des Wissenstransfers not-wendig ist.

2.3 Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

Nachfolgend werden der lerntheoretische Hintergrund sowie die me-thodisch-didaktische Gestaltung der Module des Zeit- und Selbst-managementtrainings dargestellt. Diese bauen auf den Ideen des »gemäßigten« Konstruktivismus unter Verwendung situierter Lehr-Lern-Methoden auf.

Trainingsprogramme verfolgen immer bestimmte Ziele. Um diese zu erreichen, sind sowohl die systematische Planung als auch die sys-tematische Durchführung von Trainings unabdingbar. Bei der Ent-wicklung des Trainings sind Erfolgsfaktoren des Transfers zu berück-sichtigen (Kauffeld 2010).

2.3.1 Lernen und Transfer

Die bekannteste Sichtweise beschreibt Lernen als Verhaltensände-rung aufgrund von Erfahrung. Dabei bleiben jedoch motivationale bzw. soziokulturelle Bedingungen und Wirkungen des Lernens unbe-rücksichtigt. Mit dieser Kritik entwickelte sich ein neuer Lernbegriff, der von der eher traditionellen Sichtweise abzusetzen ist. Hierbei wird Lernen als Wissenserwerb verstanden. Damit kann einerseits die Begriffsbildung und der Wissenserwerb im Sinne des Aufbaus von Verbindungen zwischen den Elementen von kognitiven Strukturen verstanden werden und andererseits auch das Lernen von Handeln und Problemlösen, welches sich durch Aufbau von Verbindungen zwischen Wissen und Aktivität auszeichnet (Edelmann 2000). Gera-de die Beschäftigung mit individuellem Lernen in sozial bestimmten Handlungsfeldern steht hier im Mittelpunkt. Lernen ist eine notwen-dige Voraussetzung für Transfer.

> Ein wesentlicher Nachweis für die Effektivität einer Weiter-bildungsmaßnahme ist die Anwendung des Gelernten. Erfolgreich im Sinne eines Unternehmens sind solche Wei-terbildungsveranstaltungen, deren Inhalte sich leicht im Arbeitskontext anwenden lassen und die zu einer Produk-tions- und Leistungssteigerung des einzelnen Mitarbeiters

Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

Lernen und Transfer

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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führen. Transfer bedeutet im Allgemeinen, dass das, was in einem Zusammenhang gelernt wurde, auf einen anderen Zusammenhang übertragen wird (Mandl et al. 1992).

Laut Simons zielt ab Transfer auf

» verschiedene Lücken zwischen früherem Lernen und Vorwissen, neuen Lernprozessen und der Leistung am Arbeitsplatz (Simons 2004, S. 93). «Diese Lücken gilt es, mit geeigneten Maßnahmen zu überwinden. Vorliegend wird Transfer oder synonym auch Trainingstransfer als die Anwendung der in einer Lernsituation erworbenen Kompetenzen in eine verhaltensnahe Anwendungssituation zur Erfüllung der dort gestellten Aufgabe verstanden.

Das Design eines Trainings hat einen wesentlichen Einfluss auf Lernen und Transfer (Baldwin u. Ford 1988). Mit Trainingsdesign werden neben dem Inhalt die Lernprinzipien und Lernmethoden gefasst. Die Frage nach den Lernprinzipien und -methoden ist im-mer verknüpft mit der jeweils dahinter stehenden Theorie zur Er-klärung des Transfers. Um kontinuierliches Lernen und berufliche Entwicklungsaktivitäten zu fördern, haben Weiterbildungsmaßnah-men nur ein geringes Potenzial, wenn es einen aktiv Vortragenden und mehrere passive Zuhörer gibt (Reinmann-Rothmeier u. Mandl 1997). Diese auf rezeptives Lernen ausgerichtete Lernform bewirkt, dass systematisiertes Wissen oder Fertigkeiten getrennt vom An-wendungskontext vermittelt werden. Effektiver sind Lernformen, in denen der Lernende aufgefordert wird, sich aktiv mit den Lerngegen-ständen auseinanderzusetzen. Der Wissenserwerb sollte idealerweise in einem Anwendungskontext erfolgen, der den Nutzen des Wissens und dessen Anwendungsmöglichkeiten und -bedingungen direkt er-fahrbar macht (Schaper u. Sonntag 2007). Die Ansätze des konst-ruktivistischen und situierten Lernens bieten neben theoretischem Hintergrund auch Konzepte, wie transferförderliche Lernumgebun-gen aussehen können.

2.3.2 Konstruktivistische Lernumgebungen

Gemeinsam ist allen konstruktivistischen Strömungen die Frage, was der Mensch für real hält und wie er es für sich deutet. Zusammen-fassend und für alle konstruktivistischen Strömungen ist gültig, dass jede Art von Erkenntnis bzw. Lernen mit einer ständigen Um- und Neuorganisation des bereits vorhandenen Wissens einhergeht, da der Mensch sich unter dem Einfluss seiner Umwelt ständig weiterentwi-ckelt.

Grundsätzlich wird unter einer konstruktivistischen Perspekti-ve nicht ausdrücklich zwischen Lernen und Transfer unterschieden. Ursache hierfür ist die Annahme, dass

Trainingsdesign

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

Konstruktivistische Lernumgebungen

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» Wissen für die Bearbeitung von Aufgaben aktuell konstruiert wer-den muss (Bergmann 1999, S. 65). «Hierbei spielt der Kontext eine entscheidende Rolle, da für die Lösung einer Aufgabe nicht nur die Informationen aus der Aufgabe selbst herangezogen werden, sondern auch aus dem eigenen Vorwissen und eben dem jeweiligen Kontext. Somit ist es für den Bereich der Weiterbildung von entscheidender Bedeutung, Lernumgebungen zu schaffen, die diese Konstruktionsprozesse unterstützen. Der Konst-ruktivismus bietet dafür nicht nur die theoretischen Hintergründe, sondern es existieren auch verschiedene Konzepte, wie solche Lern-umgebungen aussehen können. Die Debatte über die konstruktivis-tischen Sichtweisen hat auch in die Instruktionspsychologie und die empirische Pädagogik Einzug gehalten. Bestimmte Grundannahmen wurden übernommen, um auf deren Grundlage Instruktionsansätze zur Gestaltung von Lernumgebungen zu entwickeln, die zu einer ak-tiven Auseinandersetzung mit Problemen anregen und die Anwen-dungsqualität des Wissens erhöhen sollen (Gerstenmaier u. Mandl 1995).

Den vorliegenden theoretischen Hintergrund bietet der soge-nannte »gemäßigte« Konstruktivismus. Seine wichtigste Aussage ist, dass Lernen und Verstehen abhängig vom biographischen Kontext erfolgt (Siebert 2003). Das Hauptaugenmerk des »gemäßigten« Kons-truktivismus liegt auf dem Lernvorgang und der optimalen Gestal-tung der Lernumgebung. Aus diesen Grundlagen heraus haben sich drei Ansätze entwickelt:

Konstruktivistische Lernansätze1. Anchored-Instruction-Ansatz2. Cognitive-Flexibility-Ansatz3. Cognitive-Apprenticeship-Ansatz

Zusammenfassend versuchen alle drei Ansätze, den Transferanforde-rungen mit der Unterstützung der selbstständigen, aufgabengerech-ten Wissenskonstruktion gerecht zu werden. Die Wissensbasis muss umfangreich und vielfach strukturiert sein, damit sich Anknüpfungs-punkte für verschiedene Anwendungszwecke ergeben. Obwohl der spezifische Fokus der verschiedenen situierten Lernmodelle variiert, gibt es allen drei Modellen zugrunde liegende Instruktionsprinzipien (Gerstenmaier u. Mandl 1995; Renkl et al. 1999).

So sehen alle drei Modelle die Lernmöglichkeiten in authenti-schen Situationen als ideal an. Die verwendeten Beispiele und Situa-tionen in einem Training sollten einen Bezug zur Realität der Lernen-den haben. Gräsel und Mandl (1999) sprechen hier auch von Bedeut-samkeit: Die Aufgabenstellung muss für den Lernenden relevant bzw. interessant erscheinen. Hinzu kommt noch, dass die Aufgaben nicht

Authentizität

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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unnötig vereinfacht werden sollten, sondern eben authentisch und damit auch entsprechend komplex aufgebaut. Neben lösungsrelevan-ten müssen auch unnötige oder gar widersprüchliche Informationen gegeben werden.

Wissen wird als situiert oder kontextgebunden angesehen, und der Lernkontext muss daher ähnlich wie der Anwendungskontext strukturiert sein. Die Forderung nach Situiertheit ist zurückzuführen auf die bereits vorher erwähnte Kontextgebundenheit des Wissens. Um ein träges Wissen, also Wissen, was nicht angewandt wird, zu vermeiden, ist es notwendig, eine Lernumgebung so zu gestalten, dass sie das Interesse des Lernenden weckt. Dies soll durch die Herstellung eines Anwendungsbezugs erfolgen, indem die Gegebenheiten des späteren Funktionsfeldes berücksichtigt werden. Das Lernen erfolgt also »in einem für das Wissen funktionalen Bedeutungszusammen-hang (Henninger et al. 1997, S. 367).«

Den Lernenden sollte außerdem die Möglichkeit gegeben werden, die Probleme unter multiplen Perspektiven zu beleuchten. Das Ein-nehmen verschiedener Blickwinkel sowie die Betrachtung eines Pro-blems in verschiedenen Kontexten erleichtert später die Anwendung des Wissens, da es nicht auf eine Situation beschränkt ist und somit flexibler eingesetzt werden kann (Gerstenmeier u. Mandl 1995; Gräsel u. Mandl 1999; Kohler 1998).

Eine wichtige Rolle bei der Gestaltung konstruktivistischer Lern-umgebungen spielt auch die Schaffung von Raum für Eigenaktivität. Dies kann zum einen die Motivation der Teilnehmer fördern, viel wichtiger aber ist, dass den Teilnehmern dadurch die Möglichkeit gegeben wird, das Gelernte selbstbestimmt und aktiv anzuwenden. Dabei finden auch persönliches Vorwissen und bisherige Erfahrun-gen Berücksichtigung, und erst dadurch erfolgt eine bedeutsame Wis-senskonstruktion (Gräsel et al. 1997; Henninger et al. 1997).

Insgesamt wird neues Wissen also in einem anwendungsorien-tierten Kontext erworben und nicht auf abstrakte, dekontextualisierte Art und Weise. Probleme sollten authentisch oder möglichst realitäts-nah sein, Lerner ihre Strategien artikulieren und diese reflektieren. Idealerweise sollten sie dies in sozialen Lernumgebungen, z. B. mit kooperativem Lernen, durchführen. Diese Umschreibungen fassen Henninger et al. (1997) zu 4 zentralen Gestaltungsprinzipien konst-ruktivistischer Instruktionsansätze zusammen:1. Situiertheit,2. Authentizität,3. multiple Perspektiven,4. Raum für Eigenaktivität.

Lernen sollte anhand komplexer Probleme situiert, also in einem für das Wissen funktionalen Bedeutungszusammenhang erfolgen. Bei-spiele und Situationen, die im Rahmen einer Lernumgebung heran-gezogen werden, sollten für den Lerner authentisch sein. Probleme sind aus multiplen Perspektiven zu betrachten. Mit dem Raum für

Situiertheit

Multiple Perspektiven

Raum für Eigenaktivität

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung2

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Eigenaktivität sollte dem Lernenden ermöglicht werden, aktiv und selbst bestimmt mit dem Lerninhalt umzugehen.

Folgende Gestaltungsprinzipien sind somit von besonderer Be-deutung für den Trainingstransfer:

Konstruktivistische Gestaltungsprinzipien (u. a. Dirscherl 2005; Weisweiler 2008)

5 Authentizität: Der Lerngegenstand soll zum Inhalt des Trai-nings werden (z. B. Verwendung von teilnehmereigenen Bei-spielen), eine hohe Teilnehmerorientierung besteht aufseiten des Trainers, dieser fördert die intrinsische Motivation der Teilnehmer, indem er diese zur selbstständigen theoretischen und praktischen Wissensaneignung anregt.

5 Situiertheit: Die Teilnehmer erleben einen persönlichen Bezug zu den Lerninhalten, nehmen diese als relevant und hilfreich für sich selbst wahr, wobei die Lerninhalte auf den unmittelbaren Arbeits- und Lebenskontext der Teilnehmer angepasst sind.

5 Multiple Perspektiven: Der Trainer sichert den Austausch zu unterschiedlichen Perspektiven, schafft eine Vielfalt an Pers-pektiven bei der Bearbeitung der Lerninhalte und unterstützt den Perspektivenwechsel.

5 Raum für Eigenaktivität: Die Teilnehmer werden aktiv in die Mitgestaltung eingebunden, können im Training Methoden, Strategien und Übungen selbst ausprobieren;

Es gibt zahlreiche Studien, die den »gemäßigten« Konstruktivismus als Grundlage nehmen. Wir haben einige davon für interessierte Leser zusammengetragen. Generell gibt es eine Vielzahl von Untersuchun-gen im Umfeld von Schule und Hochschule. Aussagen zur Wirkung konstruktivistischer Lernumgebung bei Managementtrainings sind dagegen eher selten.

Die Frage nach speziellen konstruktivistischen Seminarmethoden beantwortet Siebert folgendermaßen:

» Konstruktivistische Erkenntnisprinzipien gelten unabhängig von den Lehrmethoden. Auch bei einem fachlichen Vortrag oder einem autoritär geführten Lehrgespräch machen sich die Teilnehmer ‚ihre eigenen Gedanken‘, die Autopoiese und Emergenz der Kognition können nicht methodisch ausgeschaltet werden. Umgekehrt ist Kleingruppenarbeit kein Erfolgsrezept für kreative, kommunikative Lern- und Erkenntnisprozesse. Jeder Pädagoge weiß: Unmotivierte Personen bleiben trotz aller pädagogischen Bemühungen unwillig. (Siebert 2003, S. 132) «

Zentrale konstruktivistische Gestaltungskriterien für den Trainingstransfer

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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Die Methoden können jedoch den Lernenden in seinem Lernprozess unterstützen. So schreibt Siebert weiter:

» Und so sind alle Methoden geeignet, die nachdenklich machen, die überraschende Erkenntnisse und ungewohnte Beobachtungen ermöglichen, die einen Perspektivenwechsel fördern, die neue Blicke öffnen und Horizonte erweitern. (Siebert 2003, S. 132) «

Studien mit konstruktivistischem Lehr-Lern-Hinter-grund

Aufzeigen von Lösungswegen erhöht den Transfer bei Schülern und AuszubildendenMittels einer Computersimulation im Rahmen eines Unternehmens-planspiels sollten kaufmännische Berufsschüler Entscheidungen unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Aspekte treffen. Während in einem uniformen Lernkontext die Umgebungsbedingungen der Fir-men im Planspiel gleich waren, beinhaltete der multiple Lernkontext verschiedene Handlungssituationen. Hinsichtlich der Problemlösebe-dingungen wurde in beiden Lernkontexten zwischen einer ungelei-teten Problemlösung ohne zusätzliche Unterstützung und einer ge-leiteten Problemlösung mit Hinweisen auf die Problemlösungsstufen variiert. Anhand einer problemorientierten Transferaufgabe wurde direkt nach Ende beider Lerneinheiten die Funktionalität der Modelle getestet. Der multiple Lernkontext führte in Kombination mit der ge-leiteten Problemlösung zum größten Transfererfolg (Stark et al. 1998).

In einer weiteren Studie von Stark et al. (2000) wurden 30 Auszubil-dende einer Bank in zwei Gruppen auf dem Gebiet des kaufmännischen Rechnens trainiert. Dabei wurden die beiden Instruktionsmethoden des beispielbasierten Lernens (entspricht einer Art Textaufgabe) und der Kombination aus beispielbasiertem Lernen und problembasiertem Lernen (der Lösungsweg der Textaufgabe ist dargestellt und erläutert) hinsichtlich ihrer Effektivität verglichen. Mit Transferaufgaben wurden zeitlich naher, mittlerer und weiter Transfer gemessen. Der Lernerfolg konnte durch den Einsatz der kombinierten Lernmethode verbessert werden.

Die meisten Studien mit konstruktivistischem Hintergrund wurden mit studentischen Stichproben durchgeführt. Vor allem im medizini-schen Bereich liegt hier eine Schwerpunktsetzung der Forschung. Es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen, die insbesondere problem-orientierte Lernumgebungen mit traditionellen Kursen vergleichen. Wie in medizinischen Studiengängen üblich, werden als Ergebnis-variablen meist Multiple-Choice-Tests sowie auch offene Fragen ver-wendet. Im Vergleich beider Lerngruppen zeige sich einerseits eine leichte Überlegenheit problemorientierter Kurse bei den offenen Fra-gen und anderseits keine Unterlegenheit bezogen auf das Faktenwis-

Studien mit konstruktivistischem Lehr-Lern-Hintergrund

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

Problemorientiertes Lernen

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sen der Multiple-Choice-Tests (z. B. Antepohl u. Herzig 1999; McPar-land et al. 2004). Auch die Metaanalysen, die im tertiären Bereich von Vernon und Blake (1993) mit 35 Studien und von Dochy et al. (2003) mit 43 Studien an Medizinstudenten durchgeführt wurden, bestätigen insgesamt, dass sich problemorientierter Unterricht positiver auf die Verhaltensweisen auswirkt als traditioneller und sich beim Fakten-wissen kaum Unterschiede erkennen lassen. Allerdings scheinen Vor-wissen und Expertise eine wichtige Rolle zu spielen.

Im Sinne eines Erfahrungsberichts schreiben Ford und Leclerc (2000) über die Anwendung konstruktivistischer Prinzipien im Be-reich des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums. Bei der Einführung einer neuen Lehr-Lern-Technik, die die Autoren »think – pair – share« (TPS) nennen, werden den Studierenden Situationen oder Konzepte aus einem bestimmten thematischen Bereich vorgegeben, zu denen sie berichten sollen, inwieweit sie selbst oder bekannte Personen davon betroffen sind. Übertragen auf die beschriebenen Prinzipien des Konstruktivismus kann hier durch den Bezug zum Alltag von authentischen und situierten Situationen gesprochen werden. Durch die Beispielexploration und Vorstellung wird Raum für Eigenaktivität gewährt. Anschließend werden Kleingruppen gebildet, die ihre jewei-ligen Gedankengänge austauschen (multiple Perspektiven). Dem Ple-num wird abschließend die Geschichte der jeweils anderen Personen vorgetragen. Obwohl keine Überprüfung der Wirksamkeit des TPS vorliegt, zeigt sich die Möglichkeit der praktischen Umsetzung kons-truktivistischer Gestaltungsprinzipien. Dies wird auch bei Kammhu-ber (2000) deutlich, der im Rahmen einer Vorstudie zwei interkultu-relle Trainings verglich, die auf einer situierten Lernumgebung bzw. auf einer systemvermittelten Lernumgebung aufbauten. Studierende, die an einem Austauschprogramm teilnehmen wollten, bereiteten sich somit auf ihren Aufenthalt vor. Die eintägigen Trainings wurden direkt anschließend evaluiert. Das Training mit konstruktivistischen Gestaltungsgrundsätzen wurde gut akzeptiert und ermöglichte den Teilnehmenden mehr als beim Vergleichstraining die Aneignung fle-xiblen Wissens.

Kohler (2000) untersuchte, ob problemorientierte Texte im Ver-gleich zu strukturorientierten flexibel anwendbares Wissen zu indi-zieren vermögen. Ausgangspunkt eines problemorientierten Lern-prozesses ist in der Regel ein komplexes und authentisches Problem, das nicht einfach durch Wissensabruf gelöst werden kann. Mit einer großen Stichprobe (N = 260) von Studierenden einer Pädagogischen Hochschule konnte gezeigt werden, dass im Nachtest, der aus Pro-blemlöseaufgaben und Kenntnisaufgaben zur Thematik der Geld-anlage bestand, die Gruppe, die problemorientiert gelernt hatte, si-gnifikant besser abschnitt als die mit dem strukturorientierten Text. Bei letzterer hingegen war kein signifikanter Unterschied zu einer Gruppe, die überhaupt kein Treatment bekam, zu erkennen. Daraus ist zu schlussfolgern, dass die Lerner strukturorientierter Texte ihre Kenntnisse nicht nutzen konnten.

Think-pair-share-Technik

Strukturorientiertes Lernen

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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Untersuchung mit zukünftigen LehrernFölling-Albers et al. (2004) untersuchten Lehramtsstudierende dahin-gehend, inwiefern Lernbedingungen geeignet sind, die für das Leh-rerhandeln wichtigen Fähigkeiten der Diagnose- und Förderkompe-tenzen zu unterstützen. Die Teilnehmer der situierten Lernbedingung versetzten sich mittels protokollierter Unterrichtsszenen zum Thema Schriftspracheerwerb in die Situation eines Lehrers hinein. Dabei wur-de Wert darauf gelegt, dass die Studierenden zunächst selbstständig mit den komplexen Anforderungen umgingen. Anschließend erfolg-ten eine Plenumsdiskussion sowie ein abschließender Theorie-Input. Die anderen Teilnehmer lernten in traditionell-textbasierten Situatio-nen. Nach der strukturierten Bearbeitung der Theorie erhielten sie ausführliche didaktische Kommentare, in welchen Situationen die För-derung des Schriftspracheerwerbs hilfreich und sinnvoll ist. Nach der Intervention wurde mittels eines Wissenstests der Lernerfolg ermittelt und zusätzlich Gedanken zum Praxisbezug (Lernprozess begleitende Daten) erhoben. Am Ende der Untersuchung wurden von den Ver-suchspersonen zudem 4  Fallbeispiele bearbeitet mit verschiedenen Aufgaben zur Diagnose und Förderung von Schülern. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass die Teilnehmer der situierten Lernbe-dingung ihr Wissen in den Anwendungssituationen signifikant besser nutzen konnten.

Auch für berufstätige Personen liegen einige Studien mit konstruk-tivistischem Lehr-Lern-Hintergrund vor. Arentewicz (2003) berich-tet von einem Konzept und den Erfahrungen der Anlaufstelle zur Schlichtung von Personalkonflikten am Universitätsklinikum Ham-burg-Eppendorf. Theoretische Grundlage hinter diesem Konzept war u.  a. der »gemäßigte« Konstruktivismus. Über einen Zeitraum von knapp 4 Jahren wurden Daten zu Beratungs- und Interventionskon-takten erhoben. Anhand der prozentualen Angaben ließ sich u. a. eine Verbesserung des Teamklimas bei den beratenen Personen feststel-len. Bergmann und Zehrt (1999) untersuchten mit drei verschiedenen Trainings für die Stördiagnose in technischen Systemen (und einer Kontrollgruppe) deren Transferförderung. Während in der konst-ruktivistischen Lernumgebung das Prinzip des »multiplen Kontexts« angewendet wurde, gab es ein wissensbasiertes Training sowie ein Übungstraining mit einer Variation der Trainingsaufgaben. Mittels unterschiedlicher Ähnlichkeit zur Lernsituation wurden naher, mitt-lerer und weiter Transfer gemessen. Obwohl der Trainingserfolg stark von der gewählten Transferaufgabe abhängig war, wurde zusammen-fassend geschlussfolgert, dass das konstruktivistische Training zum größten Transfererfolg führte.

Henninger et al. (1997) untersuchten die Wirksamkeit eines Mo-deratorentrainings für Ärzte, welches auf konstruktivistischen Gestal-tungsprinzipien aufgebaut war. Sie verwendeten die Prinzipien der Situiertheit, Authentizität, der multiplen Perspektiven sowie Raum für Eigenaktivität. Mittels dreier identischer Trainings, an denen ins-

Transfererfolg durch konstrukti-vistisches Training

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung2

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gesamt 33 niedergelassene Ärzte teilnahmen, wurde untersucht, ob die Gestaltungskriterien praktisch umgesetzt werden können und wie hoch die Akzeptanz der Trainings und deren Lernerfolg ist. Zur prak-tischen Umsetzung konstruktivistischer Prinzipien wurden Beispiele und Situationen zusammen mit den Teilnehmern erarbeitet, durch Übungen wurde Raum für Eigenaktivität gegeben, wobei Gelerntes angewendet werden konnte und durch den Perspektivenwechsel zwi-schen den Positionen Moderator und Zuhörer unterschiedliche Blick-winkel kennengelernt werden konnten. Geschulte Rater beurteilten die didaktische Umsetzung während des Trainings, Teilnehmerbefra-gungen wurden nach den Trainings durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass die Umsetzung gelungen war, das Training akzeptiert und von den Teilnehmern auch Lernfortschritte wahrgenommen wurden. So konnte gezeigt werden, dass eine Operationalisierung der konstruktivistischen Prinzipien möglich ist.

Eine computergestützte konstruktivistische Lernumgebung für auszubildende Mechatroniker untersuchten Schaper et  al. (2004). Diese führte zu einer Vermittlung adäquater Diagnosestrategien und insbesondere zu deren Transfer im Rahmen der technischen betrieb-lichen Bildung. Sie basierte dabei auf der Simulation einer teilautoma-tisierten Fertigungsanlage mit verschiedenen technischen Störungen als Übungsaufgaben.

Dennoch soll darauf verwiesen werden, dass die Umsetzung die-ser Lehr-Lern-Prinzipien nicht kritiklos geblieben ist. Bereits die Be-grifflichkeiten rufen Kontroversen hervor. Bezogen auf das Prinzip der Authentizität lässt sich keine Übereinstimmung finden, was als authentisch bezeichnet werden kann, da immer eine vom Beobachter abhängige Interpretation des Sachverhalts vorliegt (Heid 2001). Um dies zu umgehen, kann mit Klauer (1999) argumentiert werden, dass dies als authentisch gilt, wenn die Anforderungen vorhanden sind, die im Anwendungsfall gefordert werden. Einerseits ist dies jedoch subjektiv, und andererseits können durch Veränderungsprozesse au-thentische Lerneinheiten im Anwendungsfall zu einem späteren Zeit-punkt unbrauchbar sein. Eine (praktikable) Möglichkeit, dennoch die Forderung nach Authentizität zu begründen, ist die Bezugnahme auf bzw. Annäherung an die objektive Realität. Neben diesen Schwie-rigkeiten im Umgang mit den konstruktivistischen Begrifflichkeiten müssen die genannten Gestaltungsprinzipien je nach Kontext prak-tisch ausgerichtet werden. Es fehlt bislang ein themenübergreifender Leitfaden, wie beispielsweise Lernumgebungen situiert gestaltet wer-den können.

Konstruktivistische Methoden im Zeit- und SelbstmanagementtrainingDie vorangegangenen Ausführungen zeigen die Anwendung der konstruktivistischen Betrachtung von Wissenserwerb auf allen Er-ziehungs- und Lernlevels. Auffällig ist jedoch, dass diese Methodik kaum Einzug in den Bereich der Management- oder Soft-Skill-Trai-

Kritik an konstruktivistischen Lernprinzipien

Konstruktivistische Methoden im Zeit- und Selbstmanagementtraining

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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nings gehalten hat. Im Rahmen der Dissertation von Silke Weisweiler und der Diplomarbeit von Birgit Dirscherl haben wir 2003 begonnen, die 4 Kriterien (Authentizität, Situiertheit, multiple Perspektiven und Eigenaktivität) auf den Bereich von Zeit- und Selbstmanagement-trainings (und später auch Kommunikationstrainings, s. dazu auch Nüßle 2005) zu übertragen. Die Umsetzung der in der konstrukti-vistischen Theorie recht abstrakt klingenden Begrifflichkeiten haben wir, wie folgt, umgesetzt. Da die Kriterien nicht unabhängig vonein-ander sind, wurden sie teilweise mit den gleichen Vorgehensweisen verwirklicht. Die Kombination einzelner Methoden macht jedoch die jeweiligen Gestaltungsprinzipien aus.

Wir haben versucht, die übergeordneten Gestaltungsprinzipien mithilfe der einzelnen didaktischen Merkmale und deren konkreter Umsetzung zu operationalisieren (. Abb. 2.2).

Intrinsisch motiviert heißt ein Verhalten, wenn es um seiner selbst Willen ausgeführt wird. Die Förderung der intrinsischen Motivation als didaktisches Merkmal ist relevant, da nachhaltiges Lernen intrin-sische Motivation voraussetzt. Weiterbildung fördert die intrinsische Motivation und die nachhaltige Lernleistung, wenn das Wissen an-schlussfähig, viabel (d. h. zumutbar und hilfreich), situiert, relevant, neugierig und lustbetont ist (Siebert 2003).

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

. Abb. 2.2 Gestaltungsprinzipien und ihre Umsetzung im konstruktivistischen Training

SituiertheitIntrinsische MotivationAnkerLerngegenstand zumLerninhalt machenInitiierung von selbsttätigerAneignung von Wissen,Fähigkeiten und Fertigkeiten

AuthentizitätLerngegenstand zumLerninhalt machenChreoden-AnalyseVermeidung der selektivenWahrnehmung des TrainersIntrinsische MotivationSteinbruchmethodeTeilnehmerorientierungInitiierung von selbsttätigerAneignung von Wissen,Fähigkeiten und Fertigkeiten

Raum für EigenaktivitätRaum für EigenaktivitätAktive Mitgestaltung desSeminars

Multiple PerspektivenKopfstandmethodePerspektivenwechsel

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Um neue Lerninhalte leichter in vorhandenes Wissen einzubet-ten, helfen sogenannte »Anker«. Diese können sowohl bestimmte Merkmale sein, die im Laufe des Lernprozesses immer wieder auftau-chen, als auch die Ermittlung biographischer Ankerplätze. Mithilfe der »Anker« kann neues Wissen identifiziert und das Zusammen-fügen von neuem und altem Wissen verbessert werden (Dubs 1995; Mandl et al. 1992; Siebert 2003).

Um den Lerngegenstand zum Lerninhalt zu machen, sollte sich dieser generell durch Lebensnähe auszeichnen. Dieser Vorsatz wird aufgegriffen, wenn bei der Darbietung neuer Information der Erfah-rungsbereich der Teilnehmer eine zentrale Rolle spielt. Neues Wissen kann somit in den biographischen Kontext integriert werden (Siebert 2002, 2003).

Auch mit der Initiierung selbsttätiger Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten kann der Forderung nach selbstständi-gem und aktivem Lernen nachgekommen werden (Arnold u. Siebert 2003; Gräsel et al. 1997).

Ein weiterer Umsetzungsversuch konstruktivistischer Erkennt-nisse in die Didaktik sind die Lern-Chreoden, d. h. Lernwege oder Lernzugänge (Siebert 2003). Für den Seminarleitenden heißt dies, für inhaltliche und methodische Vorschläge der Gruppen offen zu sein sowie mit Kritik produktiv umzugehen. Voraussetzung für eine gute Passung zwischen Lehren und Lernen ist die Chreoden-Analyse. Chreoden können also ein breites Spektrum an Lernmöglichkeiten bieten. Die eigene Sicht der Dinge wird durch bisherige Erfahrungen, Einstellungen etc. beeinflusst.

Gerade in Konflikten tritt das Phänomen der selektiven Wahrneh-mung auf, wenn man z. B. nur das hört, was man hören will. Andere »Wirklichkeiten« werden nicht wahrgenommen oder abgewertet. Mit der Vermeidung der selektiven Wahrnehmung des Trainers sollen mögliche Differenzen zwischen den Wahrnehmungen des Trainers und den Teilnehmern entdeckt werden, um angemessen damit um-gehen zu können (Siebert 2003).

Der Begriff Steinbruchmethode setzt sich zusammen aus der Art und Weise des Lernens. Die Lernenden können einen Bestand-teil oder Baustein aus der zu vermittelnden Thematik entnehmen, um diesen zur Bearbeitung der eigenen Lernthemen, zum Bau des eigenen Sinnhauses, zu verwenden. Jeder Teilnehmer soll den für ihn passenden Inhalt finden (Arnold u. Siebert 2003, S. 151).

Der Grad an Teilnehmerorientierung wird in der aktuellen Lite-ratur durchaus kontrovers diskutiert. Teilnehmerorientierung (TNO) besagt, dass die Lehrenden die Bedürfnisse ihrer Teilnehmer be-rücksichtigen müssen und darüber hinaus die Teilnehmer an ihrer Bildungsveranstaltung aktiv teilnehmen sollen (Siebert 2003). Wenn Teilnehmerorientierung als Prozess für das Individuum, z. B. in einem Training, verwendet wird und individuelle Lerninteressen aufgreift, könnte eine extreme Deutung des Begriffs letztendlich einen Einzel-unterricht zur Folge haben.

Interaktion mit den Teilnehmern

Teilnehmer im Fokus

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

Anknüpfung an Erfahrungswis-sen der Teilnehmer

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» TNO als ein Prinzip didaktischen Handelns erfordert also zunächst, dass Lehrende sich ihre Bilder von Teilnehmer/innen bewusst ma-chen. … Ein erster Schritt zur TNO ist eine Selbstreflexion der Lehren-den über ihre Selbst- und Fremdbilder. Allgemeines Ziel der TNO ist ‚Passung‘. (Siebert 2003, S. 99) «Eine Passung von Lernanforderung und Teilnehmervoraussetzung ist keine Passung im Sinne einer statischen Relation, sondern sie muss ständig neu definiert werden. Siebert (2003) nennt zwei didaktische Leistungen, die zur Herstellung dieser Passung benötigt werden:1. eine Antizipation der Adressatenvoraussetzungen während der

Planungsphase und2. eine Partizipation der Teilnehmenden während des Seminarver-

laufs.

Didaktische Beteiligung und Verständigung gelten somit als Elemente des teilnehmerorientierten Lernens.

Innovatives, nachhaltiges Lernen wird auch durch die sogenann-te Kopfstandmethode angeregt. Diese Methode dient als Anregung, um Skepsis gegenüber allem, was selbstverständlich erscheint, zu erzeugen und macht damit auf Ambivalenzen aufmerksam. Anstelle der Frage, wie man erfolgreich lernt, kann die Frage stehen: Wie verhindert man Lernen erfolgreich? Zur Kopfstandmethode gehört auch, Gegenargumente zur eigenen Position zu suchen (Siebert 2003).

In eine ähnliche Richtung geht der sogenannte Perspektiven-wechsel (Fischer et al. 2002; Siebert 2003). Während damit der Wech-sel der Perspektive weg vom Lehrenden hin zum Lernenden gemeint ist, kann in der Lehr-Lern-Praxis die Umsetzung dieses Prinzips darin bestehen, dass Lernende die Möglichkeit haben, Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten zu lernen und somit neue Anwendungsmöglichkeiten kennenlernen. Teilnehmer eines Semi-nars können sich so z. B. gegenseitig aus ihrer Lebenswelt berichten bzw. unterschiedliche Meinungen diskutieren.

Wird Raum für Eigenaktivität zur Verfügung gestellt, kann zu-sätzlich die selbstständige und aktive Wissensaneignung gefördert werden.

Durch die aktive Mitgestaltung des Seminars wird die Eigenver-antwortung der Lernenden gestärkt. So kann zudem auf individuelle Bedürfnisse einer Gruppe verstärkt eingegangen werden (Gräsel et al. 1997; Siebert 2003). Das Lehrangebot kann mithilfe dieser Konstrukte geplant werden, jedoch nicht der Lernprozess der Teilnehmenden.

Konstruktivistisches Zeit- und Selbstmanagementtraining ist nachhaltigWir haben zuerst bei Studierenden die Wirksamkeit dieses konstruk-tivistisch orientierten Zeitmanagementtrainings untersucht (Dirscherl 2005; Weisweiler 2008). Dazu wurde ein Standard-Zeitmanagement-

Innovatives, nachhaltiges Lernen

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung

Aktivität der Teilnehmer

Wirksamkeitsnachweis von konstruktivistischen

Zeitmanagementtrainings

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training einem konstruktivistisch orientierten Training gegenüberge-stellt. Im konstruktivistischen Training wurden die Gestaltungsprinzi-pien Situiertheit, Authentizität, multiple Perspektiven und Raum für Eigenaktivität verwirklicht. Die Stichprobe bestand aus 69 Studenten verschiedener Fachrichtungen der Universität Regensburg. Der Work-shop bestand aus 3 Terminen zu jeweils 3 Stunden, die im Abstand von einer Woche stattfanden. Im Schnitt fand 3 Monate nach dem letzten Workshop-Termin noch eine Abschlusssitzung statt, in der auch die Transferleistung erhoben wurde. Die Evaluation des Trainings erfolg-te mit einem Feedbackbogen und dem Maßnahmenerfolgsinventar (Kauffeld et al. 2009a) sowie der Zeitmanagementskala des Inventars zur Erfassung von Lernstrategien im Studium (Wild 2000), einem Wis-senstest und einer Postkorbübung. Die letzen beiden waren genau auf die Trainingsinhalte abgestimmt. Um Zeitmanagementverhalten zu erfassen, wurde für diese Untersuchung ein sogenannter »Post-korb zur Erfassung von Zeitmanagementverhalten« entwickelt. Die in Assessment-Centern eingesetzten Postkorbübungen intendieren, sowohl administrative, organisatorische wie auch analytische Fähig-keiten zu erfassen (Schippmann et al. 1990). Dieser soll die für das Zeit-management wichtigen Fähigkeiten messen: Prioritäten setzen und in einer Rangreihe aufstellen (A-, B- oder C-Priorität), Entscheidungen nach dringend bzw. weniger dringend und/oder wichtig bzw. unwich-tig treffen, Delegation von Aufgaben erkennen und zeitliche Verfüg-barkeit kennen. Anhand von 18 kurzen schriftlichen Vorgängen sollten die Versuchspersonen einen Tageszeitplan innerhalb von 20 Minuten erstellen.

Es zeigte sich, dass die Teilnehmer des konstruktivistischen Trai-nings beim Wissenstest und der Postkorbübung bessere Ergebnisse erzielten als die Teilnehmer des Standardtrainings. Sie erzielten auch tendenziell bessere Ergebnisse bei der Zeitmanagementskala des Inventars zur Erfassung von Lernstrategien im Studium. Außerdem zeigten sich Unterschiede bei der Zufriedenheit mit den verschiede-nen Workshops. Diese Studie zeigt, dass sich konstruktivistische Ge-staltungsprinzipien auch im Bereich der Management- und Soft-Skill-Trainings als wirkungsvoll erweisen. Zudem ließen sich die Ergebnisse anhand einer betrieblichen Stichprobe replizieren (Weisweiler 2008).

Die Umsetzung der konstruktivistischen Didaktikmethoden war also in einem Zeit- und Selbstmanagementtraining erfolgreich. Die aus der Theorie abgeleiteten Methoden lassen sich vereinfachen und zu den folgenden wichtigen Kriterien für die Gestaltung von Coachings und Trainings im Soft-Skill-Bereich zusammenfassen, die wir jedem Leser zur Gestaltung ans Herz legen:

Gestaltungskriterien für Coachings und Trainings 5 Zielgruppenrelevanz in den Inhalten herstellen (s. oben, Prin-

zip zur intrinsischen Motivation und Lerngegenstand zum Lerninhalt machen)

Zentrale Gestaltungskriterien für Coachings und Trainings

Kapitel 2 • Grundlagen und Hintergrundtheorien

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5 Biographie orientierte Methoden verwenden (s. oben, Prinzip des Ankers)

5 Eigenaktivität der Teilnehmer in allen Phasen der Zusammen-arbeit fördern und Raum für eigene Aktivitäten der Teilneh-mer schaffen (s. oben, Prinzip der Initiierung selbsttätiger Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten und Raum für Eigenaktivität)

5 Teilnehmerorientiertes Lernen durch Partizipation herstellen (s. oben, Prinzip der Teilnehmerorientierung und aktive Mitge-staltung des Seminars)

5 Austausch unterschiedlicher Meinungen, Situationen, Pers-pektiven (s. oben, Prinzip des Perspektivenwechsels)

5 Inhaltliche und methodische Vorschläge der Gruppen aufneh-men und verschiedene Zugänge zu den Teilnehmern suchen (s. oben, Prinzip der Chreoden)

5 Sich seiner subjektiven Sichtweise bewusst sein (s. oben, Prinzip der selektiven Wahrnehmung)

5 Viele Anknüpfungspunkte für Teilnehmer bieten, ein großes Angebot an Informationen bereitstellen (s. oben, Prinzip der Steinbruchmethode)

5 Kreative und unübliche Fragen und Übungen anbieten (s. oben, Prinzip der Kopfstandmethode)

Aufbauend auf den Ergebnissen der vorliegenden Studien wurde das vorliegende Zeit- und Selbstmanagementtraining weiterentwickelt und in der Praxis bei verschiedenen Zielgruppen getestet (7 Kap. 1). Alle in den Basis- und Aufbaumodulen beschriebenen Inhalte orien-tieren sich an den dargestellten Grundlagen zur methodischen Ge-staltung auf Basis des Konstruktivismus.

Eigene Aktivitäten, z. B. viele Selbstreflexionen und Übungen an eigenen Beispielen allein oder in Kleingruppen, bilden dabei die Basis ebenso wie eine Vielfalt von Inhalten, die jedoch individuell angepasst werden müssen. Der Trainer wird als Mentor verstanden, um Inhalte anzubieten. Die Teilnehmer können im Sinne des Konstruktivismus Anschluss an für sie passende Inhalte finden. Die zahlreichen Studien zeigen, dass so der Transfer in den Alltag am ehesten gelingt.

2.3 •  Lerntheoretisches Fundament und methodische Gestaltung2