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Chef-Architekten des Prog-Rock: Rick Wright, Roger Waters, Nick Mason und David Gilmour (v. l.) [ 8 ] VintageDreams | Pink Floyd Wie Pink Floyd THE DARK SIDE OF THE MOON schufen Text | Ernst Hofacker pink_floyd fertig.indd 8 26.01.11 11:23

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Chef-Architekten des Prog-Rock:

Rick Wright, Roger Waters,

Nick Mason und David Gilmour (v. l.)

[ 8 ] VintageDreams | Pink Floyd

Wie Pink Floyd THE DARK SIDE OF THE MOON schufen

Text | Ernst Hofacker

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Scherzhaft nannte man sie „die führende Band im All“.

Aber auch auf der Erde hatten Pink Floyd einiges zu

melden. Unter anderem produzierten sie 1973 mit

THE DARK SIDE OF THE MOON so etwas wie den

Mount Rushmore des Progressive Rock.

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Womöglich war es jener Abend des 26.

Januar 1968, als die Reise zum Mond be-

gann. In einem alten Kleintransporter,

irgendwo im Londoner Stadtteil Kensing-

ton. Die Besatzung des Transporters war

bereits identisch mit jener, die fünf Jahre

später mit THE DARK SIDE OF THE MOON

tatsächlich in für Popbands bis dahin un-

bekannte Gefilde aufbrechen sollte: Roger

Waters, Rick Wright, Nick Mason und Da-

vid Gilmour.

Die Sache mit dem Mond war zu diesem

Zeitpunkt allerdings nicht das Thema.

Das Gespräch an jenem kalten Wintertag

drehte sich vielmehr um die ganz irdische

Frage, ob man sich die Nervereien mit dem

ständig zugedröhnten und inzwischen völ-

lig unberechenbaren Syd Barrett weiter

antun sollte. Wie sich Nick Mason in sei-

ner Autobiografie „Inside Out“ (Rockbuch,

edel entertainment, 2005) erinnert: „Auf

der Autofahrt zu Syds Wohnung stellte ir-

gendwer die Frage: ‘Sollen wir Syd wirk-

lich abholen?’ Die Antwort lautete: ‘Nein,

scheiß drauf!’ Es mag hartherzig, wenn

nicht sogar grausam klingen, das hier so

offen wiederzugeben – aber genauso ist es

gelaufen.“

Das Pink-Floyd-Konzert am 26. Januar 1968

in der Universität von Southampton fand

also ohne Syd Barrett statt. Der erst Wo-

chen zuvor als fünfter Mann angeheuerte

Gitarrist David Gilmour übernahm nun

endgültig den Bühnenjob des Mannes, der

Pink Floyd gegründet hatte und bis dahin

als deren Hirn galt. Wer aber, stellte sich

die Frage, sollte nun den Part dieses Hirns

übernehmen? Immerhin war Barrett der

Songschreiber von Pink Floyd, er war es,

der dem Quartett aus der Universitätsstadt

Cambridge mit seinen so skurillen wie ori-

ginellen Kompositionen „Arnold Layne“

und „See Emily Play“ einen respektablen

Start in den Single Charts ermöglicht hat-

te. Und ohne seine eigenwilligen Ideen

wäre Floyds Debütalbum THE PIPER AT

THE GATES OF DAWN, entstanden in den

„Sollen wir Syd abholen?“ – „Nein, scheiß drauf!“

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Page 4: [ 8 ] VintageDreams Pink Floyd - · PDF fileFotos: Getty Images [ 9 ] Scherzhaft nannte man sie „die führende Band im All“. Aber auch auf der Erde hatten Pink Floyd einiges zu

berühmten Abbey Road Studios im Früh-

ling 1967, als nebenan die Beatles letzte

Hand an SGT PEPPER legten, kaum zu dem

überraschenden Erfolg geworden, der Kri-

tik und Publikum schwärmen ließ von den

neuen Superstars der Pop-Moderne. Aus

gutem Grund, denn wohl kaum je war es

einer Band gelungen, Widersprüchliches

wie Folk- und Avantgardeklänge, Mär-

chenfabeln und Fernöstliches zu einem

so organischen Ganzen zu fügen wie auf

diesem Meisterwerk der englischen Psy-

chedelia. Selbst Paul McCartney hatte Pink

Floyd denn auch gelobt und die Gruppe als

Scouts bei der Erforschung musikalischer

Zukunftswelten begrüßt, die es jenseits

des Sgt.-Pepper-Pop zu entdecken galt.

Paradoxerweise aber machten sich die

verbliebenen Floyds weniger Sorgen um

ihre kreative Zukunft als vor allem da-

rum, dass die Abwesenheit ihres Spiritus

Rector bei ihren Konzerten dem Publikum

nicht negativ auffiel. In Southampton ver-

misste ihn offenbar niemand – lassen wir

Nick Mason noch einmal das Wort: „Doch

das Wichtigste war, dass die Zuschauer ihr

Geld nicht zurückverlangten: Syds Abwe-

senheit hatte sich eindeutig als nicht nach-

teilig ausgewirkt. Danach haben wir ihn

einfach nie mehr abgeholt.“

Im Frühling 1968 waren Pink Floyd also

gezwungen, sich neu zu erfinden. Neben

Syds Songwritertalent hatten sie bislang

zwei weitere Faktoren auf der Haben-Seite,

und daraus zimmerten sie sich nun eine

neue künstlerische Perspektive. Zum ei-

nen war da ihr Anspruch, getreu ihrer

Architektur-Passion – drei der vier Band-

mitglieder hatten zuvor am Londoner Po-

lytechnikum studiert – jenseits gewöhn-

licher Songstrukturen neue musikalische

Formen zu schaffen. Zum anderen aber

waren sie bereits die anerkannte Kapazität

in Sachen „Jugend forscht, Abtlg. elektro-

nische Klangerzeugung“. Wobei sie schon

zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen

waren – trotz des technischen Handicaps,

dass Mitte der sechziger Jahre noch kaum

entsprechende Effekte, höchstens Wah-

Wahs, Echogeräte und Leslie-Cabinets, zur

Verfügung standen.

Die Band schlug nun eine künstlerische

Richtung ein, die sie alsbald von den

wunderlichen Abgründen der Barrett-

schen Phantasie in die avantgardistischen

Klanglandschaften von UMMAGUMMA

und von dort weiter zur kommerziellen

Gigantomanie von Klassikern wie THE

DARK SIDE OF THE MOON und WISH

YOU WERE HERE führen sollte. Schon auf

dem zweiten Floyd-Album, A SAUCERFUL

OF SECRETS (1968), war das kaum mehr

zu überhören. Von den sieben Stücken

stammte nur noch eines, der wirre „Jug-

band Blues“, von Barrett. Ansonsten wurde

das Album dominiert von kühlem Space-

rock, düsteren Klangexperimenten und

hymnischer Melodik. Bereits vier Kompo-

sitionen stammten von Roger Waters. Der

berückende Charme, der noch das Debüt

auszeichnete, war verflogen, Pink Floyd

hatten sich auf die Reise in die siebziger

Jahre begeben – die kommenden Alben

sollten gleichsam zu Testflügen für die

spätere Expedition auf die dunkle Seite des

Trabanten werden. Und: Ab sofort standen

Pink Floyd nicht mehr für verspielten Pop,

sondern für ernsthafte Kunst. Um Singles

wollten sie sich nicht mehr kümmern, die

Langspielplatte war fortan ihr primäres

Medium.

Zu entscheidenden Stationen wurden

ATOM HEART MOTHER (1970) und MED-

DLE (1971). Mit Ersterem hatten sich Wa-

ters & Co. nach einem Ausflug ins Film-

score-Geschäft (MORE, 1969) und dem

Live-Dokument UMMAGUMMA (1969)

ein erstes echtes Konzeptwerk vorgenom-

men. Den Kern des Albums bildete das

ambitionierte 23-minütige Titelstück, das

mit Orchester und Chor daherkam und,

der damaligen Mode entsprechend, die

Möglichkeiten des Crossovers zwischen

Rock und Klassik erkundete. Das Ganze

war mit Hilfe des renommierten E-Musik-

Komponisten Ron Geesin entstanden und

hatte tolle Momente, unterm Strich jedoch

wirkte es noch unausgegoren. Die B-Seite

Expeditionen in avantgar-distische Klanglandschaften

Syd Barrett:

Das Vakuum, das der

Floyd-Gründer

1968 hinterlässt,

macht DARK SIDE

erst möglich

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Page 5: [ 8 ] VintageDreams Pink Floyd - · PDF fileFotos: Getty Images [ 9 ] Scherzhaft nannte man sie „die führende Band im All“. Aber auch auf der Erde hatten Pink Floyd einiges zu

bestand aus elegischen Folkballaden und

einer aufwendigen Klangkollage mit dem

Titel „Alan’s Psychedelic Breakfast“. Ne-

ben dem zusätzlichen musikalischen Ter-

rain, das sich die Band erschloss, wurde

zum ersten Mal ein weiterer, für den ein-

zigartigen Status von Pink Floyd verant-

wortlicher Faktor hörbar: ATOM HEART

MOTHER glänzte mit sorgfältigster Pro-

duktion und einer konkurrenzlos high-

fi delen Klangqualität. Ein gefundenes

Fressen für die seinerzeit aufkommende

Audiophilen-Szene, Pink Floyds Werke

würden in Zukunft als Maßstab in Sachen

High Fidelity gelten.

MEDDLE, das die Band nach der Compila-

tion RELICS im November 1971 nachschob,

ging den eingeschlagenen Weg konsequent

weiter. Die Musiker, deren Debüt noch auf

vier Spuren aufgenommen wurde, konn-

ten nun auf komfortablen 16 Spuren ar-

beiten. Stolz erhob sich hier zum ersten

Mal der majestätische Floyd-Sound, der

auf späteren Welterfolgen zur Trademark

wurde. Wieder bildete eine kompliziert

verschachtelte, über eine ganze Plattensei-

te reichende Rocksuite das zentrale Stück.

Mangelte es ATOM HEART MOTHER noch

an kompositorischer Schlüssigkeit und

dramaturgischer Durchschlagskraft, so

erreichte „Echoes“ nun in allen Belangen

die volle Punktzahl. Auch die andere Al-

bumseite, eingeleitet vom grandiosen In-

strumental „One Of These Days“, das zum

Dauerbrenner in Undergrounddiskotheken

wurde, überzeugte.

Mit MEDDLE war die Selbstfi ndung der

Barrett-losen Band abgeschlossen. Erst-

malig hatten sich Wrights atmosphärische

Klangwelten, Gilmours feierlicher Ton und

seine effi zient konstruierten Soloausfl üge

sowie die zur Slow Motion neigende Rhyth-

musgruppe zum großen Ganzen vereint

– die Ahnung kommender Gigantomanie

und Paranoia eingeschlossen.

Das Jahr 1972 verbrachte die Band mit

der Arbeit an einem Filmsoundtrack („La

Valleé“), der unter dem Titel OBSCURED

BY CLOUDS erschien, kaum Wellen schlug,

aber mit seinen kompakten Kompositi-

onen ein wichtiges Bindeglied zwischen

MEDDLE und dem überwältigenden Opus

Magnum schuf, das nun folgen sollte. Ab

Juni verschanzte sich die Band mit ihrem

Toningenieur Alan Parsons in den Abbey

Road Studios. Die Musik für das nächste

Werk war bereits vorhanden. Entstanden

waren erste Fragmente schon Ende 1969

bei der Soundtrack-Arbeit zu Michelangelo

Antonionis „Zabriskie Point“, sie bildeten

die Grundlage für den späteren Song „Us

And Them“. Weiteres Material erarbeitete

die Band im Laufe der kommenden zwei

Jahre in einem Proberaum im Londoner

Stadtteil Bermondsey, der ihnen von den

Rolling Stones überlassen worden war. Im

Grunde war die Musik für THE DARK SIDE

OF THE MOON bereits fertig, als die Stu-

dioaufnahmen begannen. Sogar der Titel

stand fest. Allerdings brachte die britische

Gruppe Medicine Head in diesem Jahr ein

Album gleichen Titels auf den Markt, wes-

halb Pink Floyd beschlossen, ihre Platte

„Eclipsed“ zu nennen. Als sich zu Beginn

des folgenden Jahres jedoch herausstellte,

dass Medicine Head einen Flop gelandet

hatten, kehrten Rogers & Co. zur ursprüng-

lichen Titelidee zurück. Pink Floyd hatten

das noch nicht existierende Album sogar

schon live vorgestellt, seit Januar 1972 prä-

sentierten sie es auf einer England- und

US-Tour unter dem Titel „Dark Side Of The

Moon – A Piece For Assorted Lunatics“, di-

verse Bootlegs dokumentierten das Spek-

takel schon im Frühling 1972.

Und doch war all dies noch meilenweit

entfernt von dem, was die inzwischen

zahlreichen Floyd-Fans ein knappes Jahr

später tatsächlich zu hören bekamen, als

THE DARK SIDE OF THE MOON in die Plat-

tenläden kam. In den Abbey Road Studios

hatten Pink Floyd in den neun Monaten zu-

vor einen Quantensprung geschafft – mu-

sikalisch, lyrisch, produktionstechnisch.

Das begann bei den Kompositionen. Alle

vier konzentrierten sich darauf, kompakte,

greifbare Musik zu schreiben und Roger

Waters, von dem erstmals sämtliche Texte

David Gilmour: Er kam für Barrett und

schenkte der Band seinen einzigartig

majestätischen Gitarrenton

MEDDLE ließ Gigantomanie und Paranoia ahnen

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Page 6: [ 8 ] VintageDreams Pink Floyd - · PDF fileFotos: Getty Images [ 9 ] Scherzhaft nannte man sie „die führende Band im All“. Aber auch auf der Erde hatten Pink Floyd einiges zu

stammten, legte es ganz bewusst auf klare

und verständliche Lyrics an. Stücke wie

„Money“, „Time“, „Brain Damage“ und „Us

And Them“ taugten im Zweifel sogar fürs

Lagerfeuer, eine bei Pink Floyd bislang

eher ungewöhnliche Qualität.

Des weiteren betraf der Quantensprung

die Inszenierung der Musik. In jeder der

rund 43 Minuten Spielzeit des Albums

staunte der Hörer über atemberaubende

Effekte, nie gehörte Sounds und geradezu

halsbrecherische Klangkombinationen,

die am Ende aber sämtlich perfekt inei-

nander passten. Da war zum Beispiel die

laut ratternde Registrierkasse am Anfang

von „Money“, die zu einem im waghalsigen

7/8-Takt gespielten Bluesriff führte, das

am Ende von einem soullastigen Saxo-

phonsolo gekrönt wurde, bevor es in einen

wilden 4/4-Rhythmus mit jubilierendem

Gitarrensolo explodierte. Oder die schwir-

renden Synthesizer-Loops, die die Basis

für die aufregende Klangkollage von „On

The Run“ bildeten (womit Pink Floyd zu

einer der ersten Rockbands der Geschichte

wurden, die zu einem Loop spielte – eine

Technik, die erst 20 Jahre später im Techno

wieder aufgenommen wurde). Dazu immer

wieder geisterhaft-manisches Gemurmel

aus dem Off, das eine höchst gespenstische,

düstere Atmosphäre heraufbeschwor. Oder

die schrill tönende Kakophonie der Uhren,

mit denen „Time“ eingeleitet wurde. Höhe-

punkt der ersten Plattenseite: der sirenen-

hafte Gesang von „The Great Gig In The

Sky“, mit dem Gastvokalistin Clare Torry

ihr Innerstes nach außen kehrte; nie hat-

te man eine dermaßen emotionale Perfor-

mance gehört, bestehend nur aus „Uhs“

und „Ahs“ – ohne eine einzige Textzeile.

Über all dem aber schwebte eine wahr-

haftig himmlische Gitarre. David Gilmour

zelebrierte einige der schönsten Soli, die

ihm je aus den Fingern gefl ossen sind.

Spätestens hier, auf der dunklen Seite

des Mondes, hatte er seinen einzigartig

erhabenen Trademark-Ton gefunden, glei-

Geisterhaft-manisches Gemurmel aus dem Off

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chermaßen Blues-geerdet, rau und scharf-

kantig wie von ätherischer Schönheit und

eleganter Anmut. Wobei er nicht nur ein

auffälliges Gespür für Effi zienz und Dra-

maturgie bewies, sondern auch musika-

lische Phantasie, etwa als er für „The Great

Gig In The Sky“ die bis dahin weitgehend

für die Countrymusik reserviertete Pe-

dalsteel Guitar einsetzte. Gebettet war all

dies in Rick Wrights Keyboard-Teppiche

und seine elegischen Klavierlandschaften,

die mit gelegentlich komplexen Jazzhar-

monien handelsübliche Dur-Rockismen

als das erscheinen ließen, was sie bei

vielen Konkurrenten tatsächlich waren:

Ausdruck mangelnden Vokabulars. Vo-

rangetrieben wurden die dramatischen

Klangwelten des Albums von Nick Masons

und Roger Waters’ souveränen Slow-Mo-

tion-Rhythmen. Beide produzierten nicht

eine Note zu viel, die wenigen aber, die sie

spielten, standen wie die Beine einer Leiter

auf festem Grund, mochten die Sprossen

auch direkt in den Himmel führen. Nicht

genug mit dieser komplexen Klangarchi-

tektur, Pink Floyd hatten inzwischen ge-

lernt, dass Zuckerguss auch den schönsten

Kuchen noch schmackhafter machen kann

und also Pop-Elemente wie einen vierköp-

fi gen weiblichen Backgroundchor verwen-

det – absolutes Novum damals auf Floyd-

Platten. Pink Pop sozusagen.

Höchsten Anteil an der Konstruktion der

grandiosen Klangkathedrale hatte Ton-

ingenieur Alan Parsons, damals gerade

24-jährig. In den Abbey Road Studios hatte

er bereits am Spätwerk der Beatles mit-

gearbeitet, inzwischen gehörte er zu den

kreativsten und experimentierfreudigsten

Vertretern seiner Zunft. Auf ihn ging nicht

nur die ungewöhnliche Idee zurück, Clare

Torry ohne Text singen zu lassen. Auch die

berühmten Uhren von „Time“. Parsons war

parallel zur Floyd-Produktion mit der Er-

stellung einer Testplatte für die neu entwi-

ckelte Quadrophonie-Technik beschäftigt

und hatte dafür in einem Antiquitätenla-

Pink Pop: Background-Girls als Zuckerguss

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dahin weitgehend ignoriert hatte. Dank ei-

ner der aufwendigsten Werbekampagnen

in der Geschichte der Tonträgerindustrie

stürmte die Platte in den Staaten diesmal

jedoch schon in der ersten Woche an die

Spitze der Billboard-Charts.

Der amerikanische Rockkritiker David

Fricke hat den zeitlosen Erfolg von THE

DARK SIDE OF THE MOON zu erklären

versucht. Er dürfte der Wahrheit ziemlich

nahe gekommen sein: „Es war eine depri-

mierende Zeit, und Roger Waters hatte eine

deprimierende Platte geschrieben. Aber er

tat das mit extrem aufmunternder, mitrei-

ßender und bezaubernd schöner Musik.“

Wobei der immense Erfolg nicht allein da-

rauf gründete, dass die Band am Ziel ihrer

Reise zu einer aufregenden und einzigar-

tigen Klangästhetik angekommen war und

die perfekte Mischung aus futuristischem

Experiment und massentauglichem Pop-

appeal gefunden hatte. Auch lud Pink

Floyds Musik zu einem romantischen

Eskapismus ein, der in phantastische

fremde Welten führte, wo ebenso Jules

Vernes Visionen herzustammen schienen

wie Tolkiens Märchen-Geschöpfe und die

Fantasy-Plattencover aus der Werkstatt

von Roger Dean. Dass Floyd indes bei die-

sem Album auch in Sachen Artwork lieber

auf die kühle Mystik ihrer Haus-Design-

schmiede Hipgnosis setzten und mit dem

Prisma-Symbol eines der bildstärksten

Plattencover der Rockgeschichte schufen,

zeigt nur, wie sehr ihr Futurismus immer

auch von der nüchternen Rationalität der

Architektur geprägt war.

Wer wollte schon auf den Mond, wenn es

dort ohnehin stockduster war? Oder wie

es Jerry Driscoll, damals Pförtner der Ab-

bey Road Studios, im Fade-Out des Werkes

formulierte: „There’s no dark side in the

moon, really; as a matter of fact it’s all

dark.“ Den entlarvenden Nachsatz hatte

man für das Album nicht verwendet. Er

lautete: „The only thing that makes it look

light is the sun.“ Ein Philosoph. S

Platz 3 in Deutschland, 2 in UK und 1 in den USA!

den diverse Uhren aufgenommen – die

perfekte Klangkulisse für „Time“.

Auch wenn der unglaublich gute Sound

des Albums wie von einem anderen Stern

schien, mit dem Erdtrabanten hatte Pink

Floyds Reise zum Mond allenfalls im

übertragenen Sinne zu tun. Thematisch

beschäftigte sich THE DARK SIDE OF THE

MOON mit Innenwelten, und der Titel ging

auf ein Wort des US-Schriftstellers Mark

Twain zurück, der einmal sagte, dass jeder

Mensch ein bisschen wie der Mond sei –

mit einer dunklen Seite, die er verborgen

halte. Die Platte, deren Songs sich um die

Entfremdung und Desillusionierung des

Menschen in einer hochtechnisierten Um-

welt drehten, traf den Nerv einer Genera-

tion, die ihre Identität zwischen Post-Six-

ties-Katerstimmung und bevorstehender

Punk-Rebellion suchte. Und darum ging

es Roger Waters: Identität, wir und sie,

„Us And Then“. Wenn er in „Brain Dama-

ge“ sang „there’s someone in my head but

it’s not me“, dann wussten die Kids genau,

wer dieser Jemand war: Them, sie, die Au-

toritäten, die anonymen Strukturen, die

die freie Entfaltung des Individuums un-

terbanden. Mochte Waters dabei auch, wie

er später einräumte, an das Schicksal des

unglücklichen Syd Barrett gedacht haben,

so blieb das Thema doch universell. David

Gilmour brachte das auf den Punkt: „Die

Themen, die Roger ansprach, betreffen

jede Generation von jungen Leuten.“ Einer

der Gründe, warum das Album über Deka-

den immer wieder neue Fans fand.

Als THE DARK SIDE OF THE MOON am 24.

März 1973 erschien, war nichts mehr wie

zuvor. Für die Band nicht, die nun urplötz-

lich in die lichten Höhen des Superstar-Da-

seins katapultiert wurde, und für die Fans

nicht, die von der überwältigenden Mond-

reise wie berauscht schienen. Das Album

kletterte in die Top-Positionen der Hitpa-

raden, erreichte Platz drei in Deutschland,

Platz zwei in England und Platz eins in

den USA, einem Markt, der Pink Floyd bis

Thematisch reiste DARK SIDE in Innenwelten

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THE PIPER AT THE GATES OF DAWN

(1967)

Brillant-phantastisches Psychedelia-

Kaleidoskop und Syd Barretts Vermächt-

nis für die Ewigkeit.

A SAUCERFUL OF SECRETS (1968)

„Set The Controls For The Heart Of The

Sun“: erste Expeditionen in die futuri-

stischen Welten der Milchstraße.

MORE (!969)

Soundtrack für den gleichnamigen

Film – nicht wirklich homogen, aber mit

berückenden Momenten.

UMMAGUMMA (1969)

Doppelalbum mit grandioser Live-Hälfte

und erratischen Studio-Experimenten auf

der zweiten Platte.

ATOM HEART MOTHER (1970)

Erstes großes Konzeptwerk, nicht wirk-

lich fokussiert, aber immerhin 7 Punkte

auf der „Echoes“-Skala.

MEDDLE (1971)

Abschluss der Selbstfi ndung mit der

großartigen Rock-Suite „Echoes“. Nicht

weniger gelungen: „One Of These Days“

OBSCURED BY CLOUDS (1972)

Als Soundtrack für Barbet Schroeders

„La Valeé“ nur ein Zwischenwerk, mit

interessanten Passagen und neuerlicher

Hinwendung zum Pop („Free Four“).

THE DARK SIDE OF THE MOON (1973)

Opus Magnum und Prototyp des konzep-

tionellen Progrock-Albums. Mehr als 741

(!) Wochen in den Billboard Charts.

Die Studioalben von Pink Floyd

WISH YOU WERE HERE (1975)

Pink Floyd im Zenit: dramatische

Klanglandschaften, berückende Melodien

und die Beschwörung von Barretts Geist.

ANIMALS (1977)

Nihilistische Waters-Lyrics und Rückkehr

zu bodenständigem Rock – düsterer und

spröder als die Vorgänger.

THE WALL (1979)

Neurotische Rockoper voll Pathos und

Paranoia. Enthält mit „Another Brick In

The Wall, Pt. 2“ Floyds größten Hit.

THE FINAL CUT (1983)

Depressives Antikriegs-Lament, mehr

Waters solo als Pink Floyd. Bereits ohne

Richard Wright entstanden.

A MOMENTARY LAPSE OF REASON (1987)

Nach Waters‘ Ausstieg unter Gilmours

Regie vollzogener Neustart, noch (fast)

ohne Wright. Schaler Aufguss.

A DIVISION BELL (1994)

Gilmour, Wright & Mason liefern PF-

Schlüsselreize für Stadionrock-Revuen –

nostalgisch und weitgehend uninspiriert.

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