· Created Date: 3/9/2010 4:59:11 PM

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Zeitung/Zeitschrift: Erscheinungsdatum: Autor: Titet: ISBN: Die Tonkunst Januar 20L0 Lukas HaseLböck Görard Grisey: Unhörbares hörbar machen 97 8-3-7 930-9548-4 l".ul (R.ombach) 2009 Bereits dieses Detail verdeutlichr, dass l.lasel_ böck nrcht den V/eg des einfachsten Widerstancls gehen möchte, sondern die Verortur-rg r.on Grisel,s Schaffen in umfassenderen Zr-rsammenhängen an- strebt - eine Aufgabe, dcr er mit GeCanl:enfüllc und N,Iaterialreichtum begegnet, indem er Hinter_ grände aufzeigt r-rnd diverse philos<tphische v,ie korapositionstechni sche Ansätze skizziert. Aufbar,r und }irgebnisse der auf sehr hohem Reflexionsni_ veau angesiedelten Studie lassen erkennen, class cler Autor über ein aus-qcsprochen feines Sensorium für die unterschiecll.ichen Seiten der problematik r.er- fiigt: Seine überleg,-rngcn zur Asrhetik und zu clen Problemen einer genaueren, rvider die einsertige Deutung ger:ich teten B es timmung der postm oder_ ne als innere, dur:ch Iftitik gefrlterte Hrneueruns der N{oderne stehe n stellvertretend für das Bemii_ hen r,rm ein differenziertes Erfassen cliver,ser Nu_ ancen von philosophischen Diskursen rvie jenen zu N{oderne/Postmoderne und Strr-rkturalisn-rr-rs/ Poststrukturalisn.rr,rs. l-lier u'ird behutsam und unter rveit reichender l(enntnisnahme der Literatur: eine N{atrix enßvorfen, die Haselböck anschljeßend als Grundlase für die rveiteren Äusführungen nr'rtzt, und die ihm ästhetische prämissen ebenso liefert .,vie Änsätze züiir Verständnis von Grise1,5 16,*- positorischer Ennvickiuns. I)en Begriftsapparat, mit dem der Ar-rtor jrn Rahmen seiner Analysen hantiert, ent$/ickelt er 1.ringeger-r durch ]{ontextua- lisierLrng, ir-rdem er - ansetzend an exer-nplarischen E,inzelbetrachtungen - zentrale Elemente von Gri- se)rs Schaffen übcr Vergleichc mit Beispieien aus den \\terken anderer Iiomponisten erschließt. So greiit er zur E,rläuterung der Begriffe >Figur< r-rncl >Struktut-<< auf anah,tjsche Betrachtunger.r zu Olivi- er l\,Iessiaen zurück, den F'ormbegriff in seiner spe- zi fi schen Äusprägr"rnc al s Aufeinanderbezogcr-rlr ei t r-on Iilans uncl Zeit cnnrtickclt cr in clcr I{onfror-r- tatron mit l(arlheinz Stockhausens I{omponicrcn, Haselböck: G6rard Grisey. >lJnhörbares hörbar machen< Freiburg im Breisgau frrctz dcr zunehmenden Präsenz, die Getarcl I Grir."r; Nlusik inzrvischen in den l{onzertsälen etfäirrt, hat sich die deutschsptachige Nlusiktrissen- schaft bislang eher zurr.rckhaltend mit dem Schaffen cl es t]üir vers torbenen f-ran zir s i sch en Ko ttrponi sten auseinandergesetzt. Insof€rn jst l-ukas Haselböcl<s r.crdiensrvolle Srudie tatsächlich clie erste umfassencle Untersuchung, die srcii - die zrvar ausgezeichneten, aber dennoch in ihret Thematik auf Einzelerschei- nungen fixierten Beitr'ägc von Peter Niklas \Wilson pÄrwegs zu einer >,Ökologie< der ä1änge: Gerard örir.,u, uPartielsu uncl clie Asthetik der Gtoupe cle l'ltin6raire, in: N{elos 2, 1988, S' 33-55) r-rnd Pietrc> Cavalotti @ifferenzen. Poststrukturalistische As- pekte in der Musik der 1980erJzrhre am Bcispiel r'on Helmut Lachenmann, Brian Ferncvhough uncl Gö- ratcl Grisel', Schliengen 200(t) hinter sich lassend - clieser Aufgabe u'idmet und damit det gervicl-rtigen i\,Ionografie r.'on Jeröme llaillet (Gerards Grisevs. F'ondements d'un 6cr:iture, N{clntreal und Paris 2000) ein ebenso gewichtiges und sogar: besser fundiertes Pendant gegenüber:stellt. Die Entscheidung cies Au- tors, clcm l{ornponisrcn clas gern gebrauchte E,r"ilictt eines so genann- ten >SpektraListen< zr-r venvcigern, machr das Buch um so bedeutsa- mcr: f)e rrn mit ihr echt e inc Schu'crpunl<n,er- laretung einher, die von Pionienverken r.vie >Par:tiels< (1975) ivce. führt und sich dezidiert >eineftl Erörtetung det vielfiltigen Perspektiven spel<tralen l{omponierens bis zum Ende cler 90er Jal-rre< (10) zuurcndet, in cleren I{ontext Gtiset's \!'erke als u'iederum besondere Äusiormune p<>si- tioniert sterden.

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Zeitung/Zeitschrift:

Erscheinungsdatum:

Autor:

Titet:

ISBN:

Die Tonkunst

Januar 20L0

Lukas HaseLböck

Görard Grisey: Unhörbares hörbar machen

97 8-3-7 930-9548-4

l".ul (R.ombach) 2009

Bereits dieses Detail verdeutlichr, dass l.lasel_böck nrcht den V/eg des einfachsten Widerstanclsgehen möchte, sondern die Verortur-rg r.on Grisel,sSchaffen in umfassenderen Zr-rsammenhängen an-strebt - eine Aufgabe, dcr er mit GeCanl:enfüllcund N,Iaterialreichtum begegnet, indem er Hinter_grände aufzeigt r-rnd diverse philos<tphische v,iekorapositionstechni sche Ansätze skizziert. Aufbar,rund }irgebnisse der auf sehr hohem Reflexionsni_veau angesiedelten Studie lassen erkennen, class clerAutor über ein aus-qcsprochen feines Sensorium fürdie unterschiecll.ichen Seiten der problematik r.er-fiigt: Seine überleg,-rngcn zur Asrhetik und zu clenProblemen einer genaueren, rvider die einsertigeDeutung ger:ich teten B es timmung der postm oder_ne als innere, dur:ch Iftitik gefrlterte Hrneuerunsder N{oderne stehe n stellvertretend für das Bemii_hen r,rm ein differenziertes Erfassen cliver,ser Nu_ancen von philosophischen Diskursen rvie jenenzu N{oderne/Postmoderne und Strr-rkturalisn-rr-rs/Poststrukturalisn.rr,rs. l-lier u'ird behutsam und unterrveit reichender l(enntnisnahme der Literatur: eineN{atrix enßvorfen, die Haselböck anschljeßend alsGrundlase für die rveiteren Äusführungen nr'rtzt,und die ihm ästhetische prämissen ebenso liefert.,vie Änsätze züiir Verständnis von Grise1,5 16,*-

positorischer Ennvickiuns. I)en Begriftsapparat,mit dem der Ar-rtor jrn Rahmen seiner Analysenhantiert, ent$/ickelt er 1.ringeger-r durch ]{ontextua-lisierLrng, ir-rdem er - ansetzend an exer-nplarischen

E,inzelbetrachtungen - zentrale Elemente von Gri-se)rs Schaffen übcr Vergleichc mit Beispieien aus

den \\terken anderer Iiomponisten erschließt. So

greiit er zur E,rläuterung der Begriffe >Figur< r-rncl

>Struktut-<< auf anah,tjsche Betrachtunger.r zu Olivi-er l\,Iessiaen zurück, den F'ormbegriff in seiner spe-

zi fi schen Äusprägr"rnc al s Aufeinanderbezogcr-rlr ei tr-on Iilans uncl Zeit cnnrtickclt cr in clcr I{onfror-r-tatron mit l(arlheinz Stockhausens I{omponicrcn,

Haselböck: G6rard Grisey. >lJnhörbares hörbar machen<

Freiburg im Breisgau

frrctz dcr zunehmenden Präsenz, die Getarcl

I Grir."r; Nlusik inzrvischen in den l{onzertsälenetfäirrt, hat sich die deutschsptachige Nlusiktrissen-schaft bislang eher zurr.rckhaltend mit dem Schaffen

cl es t]üir vers torbenen f-ran zir s i sch en Ko ttrponi sten

auseinandergesetzt. Insof€rn jst l-ukas Haselböcl<s

r.crdiensrvolle Srudie tatsächlich clie erste umfassencle

Untersuchung, die srcii - die zrvar ausgezeichneten,

aber dennoch in ihret Thematik auf Einzelerschei-

nungen fixierten Beitr'ägc von Peter Niklas \Wilson

pÄrwegs zu einer >,Ökologie< der ä1änge: Gerard

örir.,u, uPartielsu uncl clie Asthetik der Gtoupe cle

l'ltin6raire, in: N{elos 2, 1988, S' 33-55) r-rnd Pietrc>

Cavalotti @ifferenzen. Poststrukturalistische As-

pekte in der Musik der 1980erJzrhre am Bcispiel r'on

Helmut Lachenmann, Brian Ferncvhough uncl Gö-

ratcl Grisel', Schliengen 200(t) hinter sich lassend -clieser Aufgabe u'idmet und damit det gervicl-rtigen

i\,Ionografie r.'on Jeröme llaillet (Gerards Grisevs.

F'ondements d'un 6cr:iture, N{clntreal und Paris 2000)

ein ebenso gewichtiges und sogar: besser fundiertesPendant gegenüber:stellt. Die Entscheidung cies Au-tors, clcm l{ornponisrcnclas gern gebrauchte

E,r"ilictt eines so genann-ten >SpektraListen< zr-r

venvcigern, machr das

Buch um so bedeutsa-

mcr: f)e rrn mit ihr echte inc Schu'crpunl<n,er-

laretung einher, die

von Pionienverken r.vie

>Par:tiels< (1975) ivce.

führt und sich dezidiert>eineftl Erörtetung det vielfiltigen Perspektiven

spel<tralen l{omponierens bis zum Ende cler 90er

Jal-rre< (10) zuurcndet, in cleren I{ontext Gtiset's

\!'erke als u'iederum besondere Äusiormune p<>si-

tioniert sterden.

die Sr-rclre nacir dem \Vese n musikalischer Zeit wie-

clerum führt ihn zur Befragur-ig von Gyi-itgv I 'igetis

Arbeit. A11 dies erscheint utnsrl sinnvoller, als clas

individuelle Pr:of-il von Grisevs lrrfi-rsik durch solche

Vcrgleiche u,eitar:s deutliclrer hervortritt als irr allcn

bisherigen Untersr-rchungen.

Von diesen Grurncllagen ausgehencl zeigt Hasel-

böck, inu'iet-etn Grisev das I(omponieren als Refle-

xionsvedrältnis zur \X,'elt begr:cift, das dem Außer.rste-

henden nicht nur analvt-isch, sotrdern aucir tiber: dzrs

Hören Zuganggeu'ährt. Denn trcltz der augenschcin-

lichen konstr:r-rktiven Iic-rmplcxität bieiben clie N'{ocli

cler tireoretischen l{ouzepti<>n ar"ich im Vortzlng clcr

musika|ischen \X/ahrnel-rmung in unterschiedlichen

Graden der Deutlichkeit als solche erfahrbat, rvas

der Aulor als rvesentliche I{omponente \ron Gr:ise1'5

N'{usik aui-fasst. f)er Titel des Buches ist aiso insofer:n

Progtamm, als Haselböch seine Ar-rfmetlisaml<eit irn-

mer rvieder dezidiett auf die Frage nach cler Nach-

r'oilzielrbatkeit komponietter Prozesse richtet' mithin

also auch einen Bercich untersucht, in dem die von

Gri sev pr:oklamierten Gedanker-r einer: >N atür:Li cl-rkei t<

des l{lingendell aus unter:schiedlichen Gr:ünden ins

OsziUier:en gefaten. Aus diescr: Intcr-csscnlagc rcstti-

tieren letztcn Encles auch clie methodiscl-ren Schu'ct'

punkte von Haseibticks Ansrrtz: Er orclnet c{ic analv-

tischen Ftagestellr-rngen \roll Anfang an cletrr Prirnat

der ästherischen Erfahrunq unter Luld geht dabei, an-

knüpfend an Grisevs Wissen um die Bedeutunq einet

Kenntnis von den Gesetzmäßigkeiten trrenschlicher

Vrahrnehmun$, t,ort Prozess des Hörens aus. Dabei

versucht er, einen möglichst unmittelbaren Zugang

zur N{r-rsik zu etlangen, cler zunächst imme r übct clem

V/eg einer Reschreibung etfolgt, bevor dann zentrale

Fragesteilungen austührlicher ins Blickfelc'l eines ana-

lytischen Zugr:iff-s auf Notentext r"rnd/oder Entste-hungspr:ozess treten. Aufgrund ihres exempiarisch en

Charurkters r.verden die Anah'sen folglich nreist nur: scr

u,eit ausgeführt, w-ie es zur Vcrdeutlichung dcr jct ci-ligen Gedankengänge nötig ist, doch r,vird diese r\us-schnirti-,af-,igkeit ciadurch aufge-'vcgeir, ciass Har;ci,

btjck im Vedauf seiner Ausiührungen irnmer u'iederaus anderen Perspektiven auf \f'erke wie >Prologue<

(197(r) und >N{odulation< (1976/11) aus >l,es lJspaces

i\coustiques<( (1974-85) sowie auf >Talea< (1986) oder))Vortex temporum( (199(:) zurückkommt. Rir-ic um-fassende, auf dem Skizzenmaterial basicrende Studie

ist abschlie{3end allerdings den >Quatre chants pourfranchir le seuil<< (1996-98) gev,idmet, so dass hierdie Einzelergebnisse geu'issermaßen zu einer c1uel-

lengestützten Gesamtanalyse zLrsammenfließen, die

- wiederum auf das Hören Bezug nehmend - r-rach-

vollzieht, warum (]risev j erveils bestir:rn-rtc kom po si-

torische Lösungen ges,'ählt hat.

Die Abruncir-rng clr'rrcl-r cine Reihe tn;s Ver-

zeichnisse sorvie ciurch clie einleitende bioerafi-

sci-re Skizze macht clen Band dal:über hinar'rs zu e i-

nem umthsscnclcn I{ompendium' das trotz scirlcr

I(omplexität - uncl gelegentlicher Diskrcpzrr-rzcu rn

B.rui auf clie Daten cler \Xlerkentstchttns - auch

"in" i.orrrprkte Einführung in Lel>cn und W'erk

Grisevs bietet' Besonclers r'vern''oll ist hier neben

der austührlichen Biblioqrafie die Ilruänzr-rng des

\Xierkrrerzeichnisses mit Notizen zutl Skizzenma-

teriai in der Par-rl Sacher Stiftung B:lsci sou'ie dic

Ar-rsclchnung cliskografischet Ängaben altt unvcr-

<iffentlichte l\ufnahmen aus clem Be stand dcs Cen-

tre de D<lcumentätlon cle la Musiqure Cclnterrpotai-

ne Paris. Das umfangreiche Register Llntel'stätzt

clie Rrschljeß,t,-tg jenes begrifflichen Apirarats' den

Haseiböck in Bezug aof Jie philosophischen und

l<ulturgeschicirtliche n f)iskutse nutzt' be inh2lltet

^b., ,".1lr.tt'etstäncllich auch Verrveise auf alle er-

läuterten l{ornposidonen' fstefan Drcesl