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Spracherwerb
apl. Professor Dr. Ulrich Schade
Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie
3. Vorlesung (21.04.2011)
© Fraunhofer FKIE
apl. Professor Dr. Ulrich SchadeFraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie(FKIE) Neuenahrer Straße 20 53343 Wachtberg
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0228 9435 376Fax: 0228 9435 685
Kontaktdaten
Spracherwerb
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Überblick
Frühphase
Zum Erwerb der Syntax
Zum Erwerb des Lexikons
Zum Erwerb der Phonologie
Zum Erwerb der Schriftsprache
Sprachentwicklungsstörungen
Spracherwerb
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Erwerb der Syntax
Allgemeines – Wiederholung
Die Abfolge der grammatikalischen Entwicklung
bis 1;0 Babbeln, Imitation, Beginn des Sprachverstehens
1;0 – 1;8 Einwortäußerungen
1;6 – 2;3 Zweiwortäußerungen
2;0 – … Mehrwortäußerungen
sporadisch ab 2;6, verstärkt ab 4;0 komplexe Äußerungen
Spracherwerb
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Erwerb der Syntax
Allgemeines – Wiederholung
Die Erwerbsreihenfolge der grammatischen Strukturen ist bei Kindern (der gleichen Muttersprache) sehr ähnlich.
In der Schnelligkeit, mit der die Strukturen erworben werden, zeigen sich jedoch beträchtliche Unterschiede.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Beginn mit 2;0
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Morphologie des Verbs bzw. der Verbalgruppe
Den Erwerb der Morphologie der Nominalphrasen hatten wir in der
zweiten Sitzung behandelt. Auch Verben werden morphologisch
markiert und zwar nach Person / Numerus, Zeit, …(?), …(?).
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Morphologie des Verbs bzw. der Verbalgruppe
Verben werden markiert nach Person / Numerus, Zeit, Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ), Genus Verbi (Aktiv, Passiv).
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Morphologie des Verbs bzw. der Verbalgruppe
Der Erwerb der Person- und Numerusmarkierung verläuft schnell
und mit wenig Fehlern. Er geht einher mit dem Erwerb derVerbzweitstellung.
Hilfsverben (sein / haben) und Modalverben (können, wollen,sollen, müssen usw.) werden ebenfalls früh, schnell und mit
wenigFehlern erworben. [Das gilt nicht unbedingt für deren
Markierungen.]
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Morphologie des Verbs bzw. der Verbalgruppe
Tempusformen werden langsamer erworben. Die ersten Zeitmarkierungen erfolgen adverbial.
Im Deutschen wird zunächst das Perfekt zusammen mit denHilfsverben sein und haben erworben. Dabei wird das Präfix
„ge-“zunächst häufig weggelassen oder verkürzt. Es treten Über-generalisierungen auf (Haste mir was mittebringt?)
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Morphologie des Verbs bzw. der Verbalgruppe
Das Imperfekt wird nach dem Perfekt erworben und zunächst nur
für die Hilfeverben und die Modalverben genutzt.
Plusquamperfekt und Futur werden mit etwa 3;0 passiv erworben
(verstanden), aber nur sehr selten aktiv (bei der Produktion)genutzt.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenDie Wortstellung
Die Wortstellung geht über in die korrekte Wortstellung (meist bis
3;0). Das betrifft insbesondere die Verbzweitstellung inHauptsätzen und die Verbendstellung in Nebensätzen.
Fragen und Verneinungen werden mit 3;0 ebenfalls zumeistkorrekt gebildet.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
These:Man lernt das auszudrücken, was man zuvor gelernt hat zu verstehen.
Das heißt, erst wenn das Kind die Bedeutung verstanden hat, sucht
es nach einer angemessenen Art, diese auszudrücken.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Beispiel:Im Englischen lernen die Kinder Perfektformen später (etwa
mit4;6) als im Deutschen, weil der Unterschied zwischen denVergangenheitsformen Perfekt und Imperfekt im EnglischenBedeutung trägt, die zunächst verstanden werden muss.
The book fell down. vs. The book has fallen down.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
These:Die Zeitspanne, die zwischen dem Erwerb einer Bedeutung
undderen Umsetzung in eine formal korrekte sprachliche Form
vergeht,ist ein Indikator für die Komplexität der sprachlichen Struktur.
(Ein Beispiel dafür – im Bereich der komplexen Äußerungen – sind
auch Relativsätze, deren Bedeutung einfach ist, deren Realisierung
im Deutschen aber Probleme bereitet.)
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Beispiel:Die Art einer räumlichen Beziehung kann man als Präposition
(wieim Deutschen: nach Paris), als Postposition (wie im
Japanischen: Parimade), als Suffix (wie im Türkischen: Paris'e) oder als Präfix.
Im Serbokroatischen nutzt man ein Suffix und eine Präposition.
Das ist komplizierter. Der Erwerb dauert länger.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Nachgewiesen werden solche Effekte etwa bei Kindern, die mehr
sprachig aufwachsen und die die Form in der „leichteren“ Sprache
eher erlernen als in der „schwierigeren“ Sprache (Slobin, 1973).
Deutsch ist im Hinblick auf räumliche Relationen auch problema-
tisch, weil die Unterscheidung zwischen Ort und Richtung über den
Kasus und nicht über die Präposition erfolgt.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Slobin hat aus seinen Beobachtungen Strategien (operatingprinciples) abgeleitet, die Kinder beim Sprachverstehen und
bei derSprachproduktion anwenden (sollten). Diese Strategien gelten
als„universell“, also als gültig für alle Sprachen.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip A: Achte auf das Wortende.
Markierungen am Wortende werden besser erworben alsMarkierungen am Wortanfang. (Suffixe sind besser als Postfixe und Postpositionen sind besser als Präpositionen.)
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip B: Die phonologische Form kann systematisch verändert werden.
Systematische Flektion ist besser als nicht-systematische Flektion.
(neutr.) Land, Band die _änder(fem.) Wand, Hand die _ände(mask.) Rand, Strand, Sand
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
„Systematisch“ heißt immer, dass ein statistischer Effekt vorliegt.
Das gilt auch für
Prinzip C: Die Wortstellung (und die Reihenfolge der Morpheme)
entsprichtder der Erwachsenensprache.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Da Deutsch eine freiere Wortstellung hat als das Englische, ist wird
die (bevorzugte) Reihenfolge von Prädikat und Objekt (vgl. dieAusführungen zu den Zweiwortäußerungen) erst später
festgelegt(bzw. „erworben“). Andere Reihenfolgen (etwa Adjektiv –
Nomen oder die Abfolgen von Funktionswörtern wie „ist auch mal
wiedernicht da“) werden rasch und korrekt erlernt. Erlernt werden
auchbevorzugte Adjektivfolgen („das schöne rote Kleid“).
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Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Morphologische Reihenfolgen betreffen etwa Abfolgen wie„ab-ge-hol-t“ statt „ge-ab-hol-t“, was naheliegender wäre.
Auch diese werden rasch und korrekt erworben.
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Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip D: Vermeide Unterbrechungen
Wenn zwei Elemente eine Bedeutung ausmachen, wird das leichter
erworben, wenn die Elemente zusammen auftreten.
Im Englischen erwerben die Kinder zunächst nur das „-ing“ von der
Verlaufform und nicht die Form von „to be“, die dazu gehört, aber
durch den Verbstamm abgetrennt ist.
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip D: Vermeide Unterbrechungen
Wenn zwei Elemente eine Bedeutung ausmachen, wird das leichter
erworben, wenn die Elemente zusammen auftreten.
Im Deutschen sind Verben wie „verrücken“ einfacher als solche wie
„anheben“ (Er verrückt den Tisch / Er hebt den Tisch an).
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Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip E: Markierungen sollten deutlich unterscheidbar sein.
Der Unterschied zwischen Ort und Richtung ist im Deutschen in
Bezug auf maskuline Nomen nur schwer erkennbar.
in dem Schrank vs. in den Schrankin the wardrobe vs. into the wardrobe
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Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip F: Vermeide Ausnahmen.
Ausnahmen stellen beim Lernen ein Problem dar.
nach meiner Meinung vs. meiner Meinung nachmitgebringt vs. mitgebracht
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Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Ausnahmen werden in drei Schritten gelernt.
Schritt 1: Einzelformen „went“Schritt 2: Erwerb der Regel Übergeneralisierung
„goed“ „wented“
Schritt 3: korrekte Form „went“
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Erwerb der Syntax
Mehrwortäußerungen
Spracherwerb
Morphologische Aspekte bei MehrwortäußerungenBedeutung und sprachliche Form
Prinzip G: Grammatische Markierungen sollten semantisch sinnvoll sein.
Im Englischen kommt es nicht vor, dass Kinder die Continuous Form
übergeneralisieren (I‘m wanting); aber unregelmäßigeVergangenheitsformen werden übergeneralisiert, da dieseUnregelmäßigkeiten semantisch nicht sinnvoll sind.
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Erwerb der Syntax
Komplexe Äußerungen
sporadisch ab 2;6
verstärkt ab 4;0
Spracherwerb
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Erwerb der Syntax
Komplexe Äußerungen
Spracherwerb
Komplexe Äußerungen sind Satzgefüge mit Haupt- und Nebensätzen.
Im Folgenden wird zunächst die zeitliche Abfolge der Konstruktionen erläutert.
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Erwerb der Syntax
Komplexe Äußerungen
Spracherwerb
Koordinationen Du bist doof und Ursula ist auch doof!
Gegensätze Du darfst wegen machen, aber nich da drauf!(Du darfst das meinetwegen machen, aber nicht da drauf!)
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Erwerb der Syntax
Komplexe Äußerungen
Spracherwerb
Kausalsätze Das bewegt sich heute so, weil‘s kaputt is.
Finalsätze mit „dass“Musst de Betten wegnehmen, dass ich rausgehen kann!
Konditionalsätze mit „wenn“Kriegst keine Schnitte, Hilde, wenn Du unartig bist!
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Erwerb der Syntax
Komplexe Äußerungen
Spracherwerb
Temporalsätze mit „wenn“Du musst doch atig sein, wenn de Hilde singt!
indirekte Frage mit „ob“Mach mal die Tür auf, ob hinten in mein Zimmer is!
Relativsatz mit „wo“Das ist ein Mädchen, wo in die Schule geht.
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Slobin, D. (1973). Cognitive prerequisites for the development of grammar. In Ferguson, C. & Slobin, D. (Eds.), Studies of Child Language Development. New York: Holt, Rinehart & Winston.
Szagun, G. (1996). Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim: Beltz, 6. Auflage.
Spracherwerb
Literatur