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W Ü S T E N R O T S T I F T U N G

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  • W S T E N R O T S T I F T U N G

  • RAUMPILOT

    kraemerverlag

    Arno Lederer

    Barbara Pampe

    Wstenrot Stiftung (Hrsg.)

    L E R N E N

  • Die Publikationsreihe Raumpilot besteht aus insgesamt vier Bnden:

    Raumpilot Grundlagen Thomas Jocher, Sigrid Loch Institut Wohnen und Entwerfen, Universitt Stuttgart ISBN 978-3-7828-1551-2 (PDF) ISBN 978-3-7828-1556-7 (ePub fixed layout)Raumpilot Arbeiten Markus Gasser, Carolin zur Brgge, Mario Tvrtkovi Professur Entwerfen und Siedlungsentwicklung, Technische Universitt Darmstadt ISBN 978-3-7828-1552-9 (PDF) ISBN 978-3-7828-1557-4 (ePub fixed layout)Raumpilot Lernen Arno Lederer, Barbara Pampe Institut fr ffentliche Bauten und Entwerfen, Universitt Stuttgart ISBN 978-3-7828-1553-6 (PDF) ISBN 978-3-7828-1558-1 (ePub fixed layout)Raumpilot Wohnen Walter Stamm-Teske, Katja Fischer, Tobias Haag Professur Entwerfen und Wohnungsbau, Bauhaus-Universitt Weimar ISBN 978-3-7828-1554-3 (PDF) ISBN 978-3-7828-1559-8 (ePub fixed layout)

    HerausgeberWstenrot Stiftung, Ludwigsburg

    Redaktion, Konzept und Gestaltung Band LernenArno Lederer, Barbara Pampe, Julia Zrn

    Gesamtlayout Buchreihe RaumpilotSigrid Loch, Tobias Haag

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts-gesetzes ist ohne Zustimmung der Wstenrot Stiftung und des Karl Krmer Verlags unzulssig und strafbar. Dies gilt insbesondere fr Verviel-fltigungen, Nachdruck, bersetzungen, elektronische Speicherung (auch durch Scannen) in digitalen Netzen oder die Mikroverfilmung.

    2012 Wstenrot Stiftung, Ludwigsburg, und Karl Krmer Verlag Stuttgart + ZrichAlle Rechte vorbehalten. All rights reserved.ISBN 978-3-7828-1553-6

  • Inhaltsverzeichnis

    VorwortEinleitung

    KontextSchule und StadtBaugeschichtlicher AbrissDer dritte Pdagoge ist der Raum

    Rume und BereicheEingang Treppe FlurAulaKlassenzimmerFachrumeBibliothekLehrerbereichAbstellorteToilettenPausenbereich

    ProjekteProjektsammlung

    AnhangLiteraturBildnachweisArchitektenregisterOrtsregisterLnderregisterAutorenLegende

    111519

    3353 79

    103123173197205217237253

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  • Vorwort der Wstenrot Stiftung

    Die Arbeits-, Lebens-, Organisations- und Wirtschaftsformen haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Deutschland erheblich verndert. Kulturelle, technische und wirtschaftliche Entwicklungen und Globalisierungsprozesse sowie gewandelte Anforderungen, Prferenzen und Werthaltungen gehren zu den wichtigsten Ursa-chen fr diese Vernderungen. Inzwischen werden dadurch auch neue Orientierungen in der rumlich-baulichen Konzeption und in der Organisation der Gebude erforderlich, um den damit verbundenen Auswirkungen auf die vorherrschenden Nutzungsformen entspre-chen zu knnen.

    Zu beobachten ist dieser Prozess in nahezu allen Lebensbereichen; deutlich wird er beispielsweise in einer gewandelten Nachfrage nach differenzierten Wohnungen und Wohngebuden, in modifizierten Anforderungen an die Gestaltung von Kindergrten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, in Industrie- und Gewerbebauten, die unter den Bedingungen eines verschrften konomischen Wettbewerbs einem besonderen Anpassungsdruck unterliegen oder in den Wirkungen neuer Konsum- und Freizeitmuster sowohl auf Gebude als auch auf ffentliche Rume. Besonders auffllig werden die Vernderungen an neuen Kombinationen unterschied-licher Gebude nutzungen, an vernderten Nutzungszyklen und an den Verbindungen des Wohnens mit modernen, leicht integrierbaren Dienstleistungen.

    Angesichts signifikant wachsender internationaler Einflsse und Marktorientierungen greifen eine klassische Gebudelehre und damit auch die herkmmliche Vermittlung von Raum- und Organisa-tionskonzepten nur noch begrenzt. Parallel zu einer gebudetypolo-gischen Betrachtung treten die ausgebten Ttigkeiten und die mit ihnen verbundenen Anforderungen strker in den Vordergrund. Die Gebudelehre muss, um auf diese Vernderungen adquat reagie-ren zu knnen, intensiver als bisher auf die grundlegenden Anfor-derungen ausgerichtet werden, die sich aus den verschiedenen Ttigkeiten ergeben. Neue Schwerpunkte in der Vermittlung der

    Grundlagen von Architektur und Gestaltung sind ergnzend hierzu unverzichtbar.

    Die Wstenrot Stiftung hat auf eine Initiative von Prof. Dr. Thomas Jocher hin gemeinsam mit einem Kreis von engagierten Hochschul-lehrern verschiedener Universitten in einem Forschungsprojekt die Frage aufgegriffen, mit welchen neuen Impulsen und Strukturen in der Ausbildung der Architekten auf diese Vernderungen reagiert werden kann. Ziel dabei ist es, die Studierenden besser auf sich wandelnde Anforderungen an ihre Berufsgruppe vorzubereiten und zugleich das kreative Entwerfen auch angesichts neuer Herausfor-derungen und Leistungsprofile weiterhin in den Mittelpunkt der Aus-bildung stellen zu knnen. Zentrales Kriterium fr eine erfolgreiche, zukunftsgerichtete Ausrichtung ist in diesem Sinne die Fhigkeit, in einen kreativen, knstlerischen Entwurfsvorgang eine wachsende Zahl an zu beach tenden Rahmenbedingungen zu integrieren und dabei zugleich die Qualitt der einzelnen Komponenten aufrecht erhalten zu knnen.

    Entstehen sollen funktional und konomisch nachhaltige Gebude, deren Eignung und Qualitt vor allem in der Fhigkeit bestehen, auch weiterhin sich kontinuierlich verndernden Bedingungen und Einflussfaktoren entsprechen zu knnen. Dieser Anspruch kann in einer kreativen Entwurfsleistung nur dann eingelst werden, wenn als Grundlage der Kreativitt ein klares Konzept der wichtigsten Elemente einer Bauaufgabe verfgbar ist im technischen und wirtschaftlichen sowie in wachsendem Mae auch im gesetzlichen Bereich. Es war ein Anliegen der Wstenrot Stiftung, mit ihren Mglichkeiten einen Beitrag dafr zu leisten, dass in dieser Hinsicht fr einige ausgewhlte Bereiche der Gebudelehre ein erster Schritt getan werden konnte, und zwar in Form einer Aufbereitung von Aufgaben und Lsungsvorschlgen, die den genannten Kriterien folgen kann. Sie hat hierzu ein Forschungsprojekt initiiert, das auf Wunsch der beteiligten Hochschullehrer den programmatischen Titel Raumpilot erhalten hat.

  • Vorwort der Wstenrot Stiftung

    Das Forschungsprojekt Raumpilot der Wstenrot Stiftung kon-zentriert sich auf eine anschauliche, die wesentlichen Nutzungen fokussierende Darstellung der Gebudelehre. Die daraus entstan-dene Publikation ist in vier Bnde unterteilt. Der Band Grundlagen schafft die gemeinsame Basis fr drei ergnzende Vertiefungsbnde und fhrt in die wichtigsten Aufgaben und Themen ein.

    Der Band Lernen ist einer von drei Vertiefungsbnden, die ergnzend zum Grundlagenband wichtige Bereiche der Gebudelehre aufgrei-fen. Er konzentriert sich auf das Entwerfen von Schulgebuden, das keinen festgefahrenen Gren und Regeln unterworfen sein sollte, sondern zu einer jeweils optimalen Gestaltung des Lebensraums Schule fhren muss. Anhand zahlreicher Beispiele werden vor allem in neuen, einheitlichen Zeichnungen die einzelnen Nutzungsbereiche aufgegriffen. Die reduzierte Darstellungsform dient dazu, allgemein gltige Lsungsmglichkeiten erkennbar zu machen. Die ausge-whlten Beispiele zeigen auch, dass bereits in den 1930er Jahren hervorragende Lsungen im Schulbau entstanden sind, die selbst heute noch in einer Phase einer Erneuerung der Programme als Impulse und Vorbilder dienen knnen. Die anderen beiden Vertie-fungsbnde behandeln die Themen Arbeiten und Wohnen.

    Die Wstenrot Stiftung dankt allen Raumpiloten Autoren, Hoch-schullehrern, Studierenden fr die engagierte, intensive Zusam-menarbeit bei der Erstellung und Umsetzung des Konzeptes. Sie hofft damit wichtige Impulse fr den kontinuierlichen Prozess der Anpassung von Form und Inhalten der Ausbildung im Fachbereich Architektur an die vernderten Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft geben zu knnen.

  • Das Gebude bewirkt schon selbst Cultur, wenn man es von auen sieht und hineintritt. Die rohsten Kinder, die solche Treppen auf- und abgehen, durch solche Vorrume durchlaufen, in solchen heiteren Slen Unterricht empfangen, sind schon auf der Stelle aller dstren Dummheit entrckt und sie knnen einer heiteren Thtigkeit unge-hindert entgegengehen.Johann Wolfgang von Goethe ber die Brgerschule in Weimar, erbaut 1822-1825.

    Das Buch soll jenen eine Hilfe sein, die sich mit dem Entwerfen von Schulgebuden beschftigen. Es ist mehr ein Leitfaden als ein Buch, das konsequentes Durchlesen einfordert. Da das Thema des Schulbaus nicht festen Gren und Regeln unterworfen werden kann, ist es auch keine klassische Entwurfslehre. Vielmehr zeigt es mithilfe zeichnerischer Analysen Mglichkeiten auf, wie man, von bestimmten Raumprogrammen ausgehend, zu qualitativ hochwer-tigen architektonischen Angeboten gelangen kann.

    Anhand realisierter Beispiele wurden einzelne Nutzungsbereiche auf ihren Typus hin untersucht und in einer reduzierten Darstellung zu einer allgemein gltigen Lsungsmglichkeit geformt. Alle Grund-risse und Schnitte sind neu und einheitlich gezeichnet und sind als der eigentliche Inhalt des Buches zu begreifen. Den Text betrachten wir mehr oder weniger als eine zustzliche Erluterung. Im Wesent-lichen stellen jedoch die Zeichnungen den Lesestoff dar. Um bei den rumlichen Darstellungen ebenfalls einen Vergleich zu ermglichen, wurde auf jegliches fotografische Material verzichtet. Der Fotograf

    sucht immer einen bestimmten Ausschnitt, der aufgrund seiner besonderen Stimmung eine Allgemeingltigkeit ausschliet und damit ein subjektives Urteil unumgnglich macht. Deshalb haben wir aus Vorlagen in abstrahierender Form eine Zeichnung erstellt. Dadurch wird nicht nur die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Raummodelle sichergestellt, sondern auch die Vielfalt von Lsungs-mglichkeiten bei vergleichbaren Aufgabenstellungen aufgezeigt. Den Studierenden sollen nicht, wie in anderen Entwurfslehren beabsichtigt, bewhrte Lsungen als Rezeptur an die Hand gegeben werden. Vielmehr erfhrt man durch das Studium der Zeichnungen, dass jede gestellte Aufgabe durch Ort, Programm und vieles mehr eine individuelle Lsung verlangt.

    Die Auswahl erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollstndigkeit, wie auch das Buch kein wissenschaftlicher Leitfaden sein will. Die Beispiele zeigen jedoch, dass der Schulbau bereits in den 1930er Jahren bemerkenswerte Lsungen hervorbrachte, die durchaus fr das heutige Bauen Vorbild sein knnen. Sie machen aber auch deutlich, dass nach einem nahezu 30 Jahre andauernden Stillstand der Entwicklung eine Erneuerung der Programme zu beobachten ist. Vorreiter sind hierbei vor allem private Schulen sowie die jngsten Projekte aus der Schweiz. Dass die Auswahl mit wenigen Ausnah-men vor allem dem deutschen Sprachraum entstammt, ist einmal dem zu erwartenden Leserkreis geschuldet, zum andern zielt sie auf eine Entwurfsproblematik, die mehr durch Kultur und Gesellschaft geprgt ist als dies bei Themen wie etwa dem Verwaltungsbau, dem Handel, der Industrie, dem Sport oder der Freizeit der Fall ist.

    Einleitung

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    Kontext

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    Gegenwrtige SituationSchule und Stadt

    Schule, Rathaus und Kirche, so besagt ein alter Spruch, sind die besonderen Gebude einer Stadt. Man meinte damit den forma-len Unterschied, den diese Gebude gegen-ber der normalen Bebauung einnehmen knnen. Natrlich trifft das heute nicht in diesem Umfang zu. Das Bild der Stadt wird mehr von Bauten, die dem Handel und der Wirtschaft dienen, bestimmt. Aber auch jene, die der Kultur, Freizeit und Unterhal-tung dienen wie Theater, Konzerthuser, Museen oder Veranstaltungshallen aller Art nehmen im Geflecht der Stadtstruktur eine Sonderstellung ein. Trotzdem lohnt es sich, ber die Besonderheit der im ersten Satz genannten Bauten nachzudenken. Mit diesen Bauten wird nmlich dem Staat, der Kirche und der Bildung eine Sonderrolle eingerumt. Denn mit Schule ist ja auch umschrieben, welchen Status die erwach-sene Gesellschaft den nachwachsenden Generationen einrumt. Bildung, so sagt man heute, ist der einzige Rohstoff, ber den die meisten mitteleuropischen Staaten verfgen.

    Der Erfolg einer Gesellschaft hngt in der Zeit der Globalisierung also nicht allein von der wirtschaftlichen Strke ab. berhaupt scheint der Grad der Bildung, ber den eine Gesellschaft verfgt, fr ihr weiteres erfolgreiches Bestehen ausschlaggebend zu sein. Insofern erhlt die Frage von Schule und Erziehung ein ganz anderes und neues Gewicht. Das hat enorme Auswirkungen

    auf die Pdagogik, die sich gerade auch in Deutschland in einem krftigen Wandel befindet. Wo neue und andere Formen einer Pdagogik gepflegt werden, braucht es auch neue und andere Rume, die diese P-dagogik ermglichen. Da die Vorstellungen dessen, was eine neue Pdagogik aus-macht, von Schultrger zu Schultrger sehr unterschiedlich sind, braucht es auch Ange-bote von differenzierten baulichen Model-len, die der Diversitt der unterschiedlichen Erziehungsmodelle Rechnung tragen. Ruhte in Deutschland zum Beispiel die Schulbil-dung bis zu 80 Prozent auf den Schultern staatlicher Schulen, so knnen wir in der Gegenwart ein geradezu dramatisches Wachstum von privaten Einrichtungen beob-achten. Es zeigt, wie vor allem die Familien selbst den Stellenwert der Erziehung erken-nen, wenn es um die Zukunftssicherung ihrer eigenen Kinder geht.

    Angesichts der vernderten und vielfltiger gewordenen Bildungslandschaften kann sich die Architektur von Bildungseinrich-tungen nicht mehr auf klar gesicherte Ty po logien sttzen, wie das im 20., vor allem aber im 19. Jahrhundert der Fall war. Nicht nur, dass unterschiedliche Schulformen unterschiedliche Rume erforderlich machen, sondern auch, dass die Unterrichtsform, die im wesentlichen Frontalunterricht bedeutete, einer Vielfalt anderer Lehrformen gewichen ist. Bei vielen Lehr- und Lernformen kann man gar nicht

    Schule und Stadt

    mehr von Unterricht im klassischen Sinne sprechen. Vielmehr handelt es sich dabei um Angebote, wie in Gruppen Wissen und Bildung durch selbstmotiviertes Arbeiten angeeignet werden kann. Dies kann durch-aus auch jahrgangsbergreifend gesche-hen. Es versteht sich von selbst, dass sich das althergebrachte Klassenzimmer dafr wenig eignet. Rumlichkeiten, die von der Dimension und Atmosphre her das leisten, entsprechen in keiner Weise den Flchenan-gaben, die in einschlgigen Entwurfslehren aufgelistet sind.

    Eine weitere nderung betrifft dieAbschaffung des Halbtagsunterrichts, wie er in Deutschland blicherweise gepflegt wird. Der Wechsel zum Ganztagsunterricht be dingt zustzliche Flchen, die der Verpfle-gung, der Betreuung und dem selbststn-digen Lernen dienen. Es ist davon auszuge-hen, dass der Anteil von Ganztagsschulen zunehmen wird und ihnen das Hauptge-wicht zukommt. Insofern sind Schulen nicht nur Orte der Wissensvermittlung, sondern stellen neben dem familiren Zuhause auch eigene Heimaten dar. Es versteht sich von selbst, dass die Architektur dafr rumliche Angebote entwickeln muss.

    Die Geschichte des Schulbaus weist drei wesentliche Einschnitte auf: Nachdem im 19. Jahrhundert zunchst Schultypen entwickelt wurden, die in einem ersten Schritt die rumliche Erfllung der allgemei-

    Arno Lederer

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    be stehenden Bauten sich in Randlagen befinden, die zu stdtebaulich unvertret-baren Situationen fhren. So erscheint es in schrumpfenden Stdten nicht sinnvoll zu sein, periphere Standorte zu erneuern, viel-mehr sollten dort durch Strkung der Kerne die innerstdtischen Standorte gestrkt werden.

    Diese Forderung steht im Zusammen-hang mit der Erkenntnis, dass die Stadt in ihrer Vielfalt ein Umfeld bietet, das fr das heranwachsende Kind eine wichtige Lernerfahrung bedeutet. Man denke nur an den Vorteil, die Schule von der Wohnung aus zu Fu erreichen zu knnen. Bezglich ihres Standorts boten die Schulen des 19. und frhen 20. Jahrhunderts entschei-dende Vorteile. Damals musste man bei der Planung neuer Einrichtungen freilich bercksichtigen, dass die Erreichbarkeit des Schulgebudes mit ffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln nicht gegeben war. Daher war der Schulweg, wie wir es heute sehen, ein Teil des Schulalltags. Aus dieser Zeit stammt der Spruch Kinder gehen nicht in die Schule, sie stehen in die Schule.

    Der Hirnforscher Gerald Hther weist in sei-nen Arbeiten auf den unschtzbaren Vorteil hin, der durch ein lebendiges stdtisches Umfeld fr die Entwicklung des Kindes ge-geben ist. Nimmt man diese Erkenntnisse ernst, dann spielt die stdtebauliche Lage von Schulbauten eine hnlich wichtige Rolle

    wie die Frage von Grundriss und rumlichen Typologien.

    Unabhngig der durch die Hirnforschung entwickelten Thesen, die innerstdtischen Lagen zu strken, stellen Schulbauten, die in Wohnquartiere integriert sind, Zentren dar, die generationenbergreifende Orte von Bildung, Kultur und Freizeit sind. Ihnen kommt damit eine groe soziale Funktion zu, die weit ber den ursprnglichen Nut-zungsgedanken hinaus gehen. Dies spielt vor allem in solchen Quartieren eine Rolle, die soziale Brennpunkte darstellen.

    Wenn Schulgebude wieder als integraler Teil der Stadt empfunden werden, werden sie ber den klassischen Begriff von Schule hinaus zu generationenbergreifenden Bildungszentren. So, wie wir heute Bildung als etwas begreifen, das uns lebenslang begleiten soll, werden die Gebude, in denen Bildung vermittelt wird, auch zu Einrichtungen fr alle Altersschichten. Sie mssen deshalb auch so geschaffen sein, dass sie einen Betrieb rund um die Uhr ermglichen. Damit wird sich nicht zuletzt auch die Wirtschaftlichkeit der Immobilien in einem anderen Licht darstellen. Die Rume sollen also nicht nur dafr geeignet sein, unterschiedlichen Altersklassen gerecht zu werden, sondern auch dafr, Bildungsange-bote zu ermglichen, die ber den Stunden-plan hinaus in Bereiche hineinreichen, die jenseits der Lehrplne liegen.

    nen Schulpflicht zum Inhalt haben, lst die Reformpdagogik zu Beginn des 20. Jahr -hunderts einige neue Gebudeformen aus, die teilweise bis heute die Qualitt von Schulgebuden der ffentlichen Hand bertreffen. Erst in den 1970er Jahren, als in der Bundesrepublik durch die Pichtsche Bildungsreform der Zugang zu weiterbil-denden Schulen einer breiteren Bevlke-rungsschicht ermglicht wird, entstehen in Ergnzung zu den bewhrten Haustypen neue Grundriss- und Gebudeformen. In dieser Zeit entwickeln sich die Richtlinien, nach denen Schulhuser finanziert werden. Daran hat sich bis heute wenig gendert, auch wenn in vielen Bundeslndern die Vor schriften nicht mehr bindend diese Richtlinien vorgeben. Eine neue Sichtweise und langsame Aufweitung der Programme sowie freie Handhabung durch private Schulen sind seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie zu beobachten. Diese hat nicht nur pdagogisch einen Aufbruch bewirkt, sondern stellt besonders auch die Forderung nach vernderten typologischen Grundrissmustern.

    Mit Blick auf die schrumpfende Bevlkerung in Mitteleuropa ist es naheliegend, das ge schilderte Problem nicht primr durch Neubauten in den Griff zu bekommen. Man kann den immensen Bestand nicht igno-rieren. Dies bedingt eine zweigleisige Strategie: Neubauten dort, wo der Bestand eine Vernderung nicht zulsst oder die

    Kontext

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    Mit den bislang gngigen Raumprogram-men knnen die genannten Bedrfnisse nicht erfllt werden. So sind zum Bei-spiel die Erschlieungsflchen, die in der Regel ber einen Schlssel von Nutz- und Verkehrsflche angesetzt werden, zu nicht mehr tauglich als eben der Erschlieung und Entfluchtung von Schulgebuden. Dass die Zwischenrume im Schulhaus, die Gnge oder Hallen, eine hnliche Funktion haben sollten wie die Straen und Pltze einer Stadt, ist eine Erkenntnis, die in den Baubudgets noch keine Bercksichtigung gefunden hat. Dabei muss man unterschei-den zwischen Rumen, die sich fr Wis-sensvermittlung gut eignen, also den nor-malen, konventionellen Klassenzimmern und solchen, in denen Wissensverarbeitung geschehen kann, in denen die Mglichkeit der Kommunikation gegeben sein sollte und in denen darber hinaus soziale Kompe-tenz gebt und erlangt werden kann. Dazu bedarf es analog zum erwhnten ffent-lichen Raum der Stadt Flchen, die diesen Ansprchen in vielfltiger Weise gengen.

    Man sieht allein an diesem Beispiel, dass Raumanforderungen, die sich aus einem bestimmten Erziehungsprogramm ber Jahre hinweg so entwickelt haben, zu einer kameralistischen Gre mutiert sind. Es wird eine zuknftige Aufgabe auch und vor allem der Architekten sein, auf eine dement-sprechende Verbesserung von Raumpro-grammen hinzuwirken sowie diese primr

    nach den pdagogischen Bedrfnissen anzupassen.

    Durch die immer wieder geforderte Umstel-lung staatlicher Schulen zu Ganztagsschulen werden weitere schwerwiegende Mngel blicher Programmvorgaben sichtbar. Dies betrifft insbesondere auch die Arbeitsmg-lichkeiten der Lehrer selbst. Die bislang in den Raumprogrammen verankerten Lehrerzimmer sind fr den Ganztagsun-terricht unzumutbar. Unbestreitbar sollte jede Lehrperson nicht nur ber einen aus-reichend bemessenen Arbeitsplatz verfgen und diesen auch fr vertrauliche Gesprche mit Schlern und Eltern sowie zur konzen-trierten Arbeit nutzen knnen. Die Vorbe-reitung von Unterricht und Lehrinhalten, die Korrektur von bungen oder Prfungs-aufgaben wie auch die schriftliche Beur-teilung einzelner Schlerinnen und Schler erfordert ausreichende Raumangebote, in denen ungestrte Arbeit erfolgen kann. Dass dies nicht mehr im eigenen Klassen-raum geschehen kann, folgt allein aus der Notwendigkeit, diese Rume gruppen- und klassenbergreifend nutzen zu knnen.

    Diese beiden Beispiele zeigen den eigent-lichen Schwachpunkt des Schulbaus. Es liegt weniger an der Architektur selbst oder den Programmen, sondern an der Voraussetzung dafr: dem Geld. Denn die wesentlichen Verbesserungen bedeuten ein Mehr an zustzlichen Rumen, die seither

    nicht Bestandteil klassischer Flchenanfor-derungen waren.

    Whrend bei der Entwicklung von Raumpro-grammen seit nahezu 40 Jahren Stillstand, in manchen Fllen auch Rckschritt zu beobachten ist (die Finanzierung orientiert sich hufig noch an den Schulbaurichtlinien der 1960er und 1970er Jahre), haben die Bemhungen, den Sicherheitsstandard von Gebuden nachhaltig zu verbessern wie auch den gesundheitlichen Aspekten zu gengen, zu einem erheblichen finanziellen Mehraufwand gefhrt. Dies betrifft den vor-beugenden Brandschutz, die Verschrfung der Behindertengerechtigkeit, die Anfor-derungen des Unfallverhtungsschutzes der Gemeindeunfallversicherungen, die Arbeitsstttenverordnungen genauso wie die Verschrfung des Baurechts im Allgemeinen, der nationalen und europ-ischen Normen sowie der kologischen und energetischen Bedingungen. Daneben knnen zustzlich rtliche Bedingungen, Denkmalschutz oder stadtgestalterische Auflagen deutliche Mehraufwendungen aus-lsen. Dieser Umstand fhrt durch vorher festgesetzte Budgets in der Regel zu der Frage nach Kompensation der Kostenstei-gerungen durch Minderung rumlicher und gestalterischer Qualitten. Ob ein Gebude mehr oder weniger Akzeptanz findet, spielt also eine geringere Rolle als die gesetz- und vorschriftskonforme Umsetzung quantita-tiver Vorgaben. Dabei knnte man genauso

    Schule und Stadt

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    Kontext

    fragen, ob es nicht gelingen kann, die geforderten technischen Hilfsmittel durch soziale Hilfsmittel zu ersetzen.

    Das Ziel der Architektur ist, Huser grund-stzlich so zu gestalten, dass sie sich eines hohen Zuspruchs erfreuen. Darin unter-scheidet sie sich nicht von der Erziehung: Pdagogik ist nur dann erfolgreich, wenn sie mehr durch Freude als durch Zwang erfolgt. Damit soll der Vorschrift nicht entgegenge-wirkt werden, die ja aus grundstzlichen Erwgungen zum Schutz der Menschen gedacht ist. Ihr sollen aber dort Widerstn-de entgegengebracht werden, wo ihre Anwendung und Durchsetzung nur nach dem Prinzip geschieht und der zu ihrer Umsetzung notwendige finanzielle Aufwand in keinem Verhltnis zum Ertrag steht. Die unbersichtliche Flut von Bestimmungen stellt zunehmend einen der schwierigsten Parameter fr das Entwerfen dar, da in vie-len Fllen die Rume erheblich an Qualitt verlieren und die gesetzlichen Vorgaben und Normen in sich widersprchlich sind. Viele Erfolg versprechende Unterrichtsformen, etwa das selbststndige Lernen in erwei-terten Flurbereichen, lassen sich durch Vorschriften fr erhhten Brandschutz nicht umsetzen. Insofern wird es auch eine der zuknftigen Aufgaben von Architekten sein, auf eine flexible Umsetzung der allgemein-gltigen Forderungen hinzuarbeiten, um so mit weniger Formalismen den speziellen rtlichen Gegebenheiten zu gengen.

    Die geschilderten Schwierigkeiten kn-nen sich im Umgang mit bestehender Bausubstanz zu einer nahezu unlsbaren Entwurfsaufgabe entwickeln. Bei der Ertchtigung von Bestandsbauten oder gar bei Umnutzung alter Gebude zu taug-lichen pdagogischen Einrichtungen macht man immer wieder die Erfahrung, dass aufgrund konstruktiver, bauphysikalischer und brandschutztechnischer Probleme der vorhandenen Substanz eine konfliktfreie Umsetzung von Raumprogrammen nicht mglich sein wird. Auch stellen in solchen Fllen zustzliche Einschrnkungen, wie zum Beispiel denkmalpflegerische Auflagen, erschwerende Ausgangssituationen dar. Auf der anderen Seite verfgen Gebude, die zu Schulhusern umgebaut werden sollen, im Regelfall ber ein Flchenangebot, das ber die in den Raumprogrammen getroffenen Vorgaben hinaus geht. Dies fordert von Bau-herrschaft und Architekten einen offenen Umgang mit den rumlichen Vorgaben, denn nicht selten muss das Programm umgekehrt dem vorhandenen Gebude angepasst werden.

    Zweifellos ist die Umnutzung von Gebuden zu schulischen Zwecken eine nicht ganz einfache Aufgabe. Im Regelfall zeichnen sich diese Architekturen, sofern sie eine gnzlich andere Funktion hatten, durch eine hohe Identitt aus. Schulhuser bentigen bestimmte architektonische Eigenarten, wenn sie auch ber die Zeit des Schulbe-

    suchs sich im Gedchtnis verankern sollen. Vielleicht war das eigentliche Manko der meisten Schulbauten der zweiten Hlf-te des vergangenen Jahrhunderts ihre Gesichtslosigkeit und Austauschbarkeit. Dieses Problem lsst sich aber nicht durch vordergrndige formale Manahmen lsen. Der beschriebene Wandel zu mehr Vielfalt der pdagogischen Angebote knnte jedoch zu ebenso differenzierten Architekturen fhren. Denn Schulhuser sind nicht nur fr die Schulzeit gebaut. Sie sollen die Qualitt haben, Heimaten zu sein und viele Jahre spter noch positiv im Gedchtnis verankert zu sein.

    Insofern kommt es auch bei diesem Leitfaden darauf an, aus den gezeigten Beispielen zu lernen. Erst der gekonnte kreative Umgang mit den unterschiedlichen quantitativen Vorgaben ist das, was wir als gute Architektur bezeichnen knnen. Wenn dieses den Architekten glckt, dann ist das Ziel erreicht, das Goethe fr die Brgerschu-le in Weimar formuliert hat und das noch heute ber allem stehen kann.

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    Baugeschichtlicher Abriss

    Das Schulgebude als typologische Ent-wurfsaufgabe, wie wir sie heute verstehen, entwickelte sich vor allem im 19. Jahr-hundert. Schulgebude wurden freilich schon lange vorher errichtet. In erster Linie zhlen dazu die Lateinschulen, viele davon mehrere hundert Jahre alt, die da und dort in Altstdten noch zu finden sind. Mit der Bewegung der Brgerschulen in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts und der Einfhrung der allgemeinen Schulpflicht entwickelte sich der Schulbau im Bereich der ffentlichen Bauten zu einem festen Bestandteil der Entwurfslehre.

    Wenn wir mit dem Bau der Brgerschule in Weimar beginnen, hat das mehrere Grnde. Erstens ist es eines der frhesten Beispiele, bei dem durch verschiedene Personen Pdagogik, Architektur und Politik zu einem Gesamtwerk gebracht wurden. Es handelt sich um den Baumeister Coudray, um Goethe als Fachmann fr Kultur und Bildung und schlielich um Herzog Karl August als Finanzier und Bauherr. Zweitens ist das Haus von einer beispielhaften baulichen und gestalterischen Nachhaltigkeit. Noch heute finden wir es nahezu unverndert in bereinstimmung mit den Zeichnungen von Coudray. Schlielich sind die Grundrisse immer noch fr pdagogische Nutzung tauglich, zur Zeit befindet sich darin die Musikschule. Allerdings haben sich die Belegungszahlen erheblich gendert. Zu Goethes Zeiten mussten noch 70 Kinder

    einen Platz im Klassenzimmer finden, was aber die grundstzlichen architektonischen Qualitten nicht schmlerte. Die enorme Dichte empfand man wohl als Normalitt. Interessant ist auch die ebenfalls symme-trische Anordnung von zwei Eingngen ber dem Vorhof: einen fr Mdchen, einen fr Knaben. Hier zeigt sich schn, wie die funk-tionellen Vorgaben den Typ selbst prgen.

    Die Vorliebe fr Symmetrie und Reihung von Schulrumen entlang langer Flure prgen die Grundrisse der Schulgebude des 19. Jahrhunderts. Sie gehren damit zu der groen Reihe der Typologien, die dieses Jahrhundert hervorgebracht hat und die es aus anderen Epochen hervorhebt. Man muss diese Tatsache besonders wrdigen, weil noch heute durch die Einschtzung der Moderne die Architektur des 19. Jahrhun-derts eine nachteilige Bewertung erhlt.

    Typisch fr die Schulen des 19. Jahr-hunderts ist die Aneinanderreihung der Schulrume an einem langen Flur. Man bringt dieses Merkmal unmittelbar mit den autoritren Erziehungssystemen in Verbin-dung. Untersttzt wird das Vorurteil durch die Rekrutierung von Lehrern aus dem Militr. Inwieweit Schulgebude direkt aus der Architektur von Kasernen bernommen wurden, wie vielfach geuert wird, msste erst noch verifiziert werden. Auf jeden Fall steht diese Annahme in krassem Wider-spruch zu Goethes Ziel, ein Schulhaus so

    zu entwerfen, dass die Schler darin einer heiteren Thtigkeit ungehindert entgegen gehen. Eine feinfhligere Anforderung vermochte auch das 20. Jahrhundert nicht zu formulieren.

    Beim Vergleich der Architekturen soll allerdings darauf hingewiesen werden, dass Kasernen selbst keine reinen Zweckbauten waren. Bis zum ersten Weltkrieg gab es da-runter bemerkenswerte Gebude, die nicht zuletzt wegen ihrer Architekturqualitten heute unter Denkmalschutz stehen. Sie re-prsentierten, wie alle anderen ffentlichen Bauten, also auch Schulen, das kulturelle Verstndnis des Staats, wie das durch Jahrhunderte hindurch der Fall war. Der bau-liche und knstlerische Aufwand dafr war enorm. Noch kann man in diesen Gebuden die Vorstellung von einer Einheit von Kunst und Architektur nachvollziehen. Natrlich sah man die knstlerische Ausgestaltung von Schulbauten nicht als schmckendes Beiwerk, wie die sptere Generation abwer-tend urteilte, sondern auch als ein Mittel, um Bildungsinhalte zu transportieren.

    Noch in der zwischen 1915 und 1924 von Erik Gunnar Asplund geplanten Karl-Johan-Schule in Gteborg sehen wir den ber hundert Jahre bewhrten Grundrisstyp. Die auf den ersten Blick schematische und rigi-de Struktur zeigt sich bei nherer Betrach-tung als ein bis ins Detail rumlich diffe-renziertes, ausgearbeitetes System. Der

    Baugeschichtlicher Abriss

    Arno Lederer

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    Kontext

    vermeintlich schnurgerade verlaufende Flur ist das Ergebnis einer przise berlegten Gliederung des inneren Weges. Schulhaus, Hof und Nebengebude sind zu einer rum-lichen Einheit zusammengebunden. Das Ensemble hat, wie die meisten der im 19. Jahrhundert errichteten Schulbauten, eine durch und durch urbane Architektur-sprache. Es ist Teil der Stadt und es macht Stadt.

    Eine radikale Abkehr vom besprochenen Typus stellt die Openluchtschool (1927-30) von Johannes Duiker dar. Hier steht vor allem, wie wir dem Buch ber Duiker3 entnehmen knnen, die Verbesserung der hygienischen und medizinischen Belange im Vordergrund. Schon in der ueren Erscheinung ist die Haltung der Moderne unverkennbar: Der schmucklose Zweck-bau gleicht mit seinen groen verglasten Fassaden und der dadurch sichtbaren Trag-konstruktion mehr einem fortschrittlichen Industriebau als dem klassischen Bild eines Schulgebudes. Im Grundriss finden wir einen zentralen Erschlieungskern, der auf einer knappen Verteilerflche Klassenrume und Erschlieung verbindet. Ein Teil davon ist ohne Fassade, also wie eine Terrasse innerhalb des Gesamtgrundrisses ausge-bildet. Die Ausweisung des Flachdachs als ein zum Himmel hin geffneter Klassen-bereich unterstreicht den Hauptgedanken, den traditionellen Vorstellungen eines eher geschlossenen Baukrpers ein von Licht

    und Luft durchflutetes Gebude mit besten Arbeitsbedingungen entgegenzusetzen. Der Gedanke, die Klassenzimmer kompakt um einen gemeinsamen Vorbereich anzuord-nen und damit die oft kritisierte und als autoritres Grundrissschema bezeichnete Lngserschlieung zu vermeiden, entspringt in erster Linie dem Ansatz einer dreiseitigen Belichtung der Unterrichtsflchen. Gleich-wohl hat dies pdagogische Auswirkungen, da nunmehr kleinere Einheiten ber die Stockwerke gebildet werden und damit auch eine Differenzierung der Aufenthalts-orte erfolgt.

    Es sind in erster Linie pdagogische berlegungen, die die Grundlage fr den Entwurf der eingeschossigen Crow Island Schule in Winnetka (Illinois) von Eliel und Eero Saarinen, bilden. Alle Teile dieses Gebudeensembles, 1940 errich-tet, vom Lageplan bis zum Detail, sind auf die Bedrfnisse der Kinder abgestimmt. Die Klassen sind in L-frmigen Rumen untergebracht, die in gereihter Form wie eine eingeschossige Kettenhaussiedlung aussehen. Vom eigentlichen Schulraum aus sind eine kleinere Flche mit Kche und Sanitrreinrichtung erreichbar sowie eine geschtzte Terrasse. Unbersehbar ist der Wille, die Klassengemeinschaft als eine Art Familie zu betrachten. Der Raumzuschnitt und die Art, wie die vielsprossigen Fenster gestaltet sind, sind weniger fr Frontalunter-richt geeignet. Vielmehr sind dabei bereits

    Unterrichtsformen bercksichtigt, die den heute aktuellen pdagogischen Forderungen nachkommen. Die beschriebenen Rume liegen an zwei Fluren, die wie innere Wege zum Zentrum mit Einrichtungen fr die ge-samte Schulgemeinschaft fhren. Man kann auch von einer Analogie zur Stadt sprechen und den Eingangsbereich und die innere Erschlieung wie Strae und Platz eines Ortes sehen. Neben den sehr feinen Grund-rissberlegungen ist die Materialisierung und Detailausbildung bemerkenswert. Die vor allem von Eero und Lily Swann Saarinen sowie Larry Perkins entwickelten Details, ob es sich um plastischen Schmuck oder um einzelne Mbel handelt, runden das Bild eines auergewhnlich und sorgfltig durch-gearbeiteten und ausgefhrten Entwurfs ab. Wenn auch die sanitren und sonstigen technischen Einrichtungen dem heutigen Standard nicht mehr entsprechen, stellt das Konzept einen bis heute vorbildlichen Hhe-punkt der Schulbauentwicklung dar.

    Formal anders, aber in den pdagogischen Ausgangsberlegungen ganz hnlich, hat Arne Jacobsen die Munkegrdskole in Gen-tofte, 1952-56, gezeichnet. Der vermeintlich streng entwickelte Grundriss ist in der dreidimensionalen Realitt vielfltiger und kindgerechter, als die gerasterte Struktur das vermuten lsst. Tatschlich hnelt die uere Erscheinung durch die geneigten Dachformen der Klassengruppen eher einer von Jacobsen entwickelten Reihenhausanla-

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    ge. Ebenso wie bei der Schule von Eliel und Eero Saarinen sind die Klassen, diesmal in Zweiergruppen, einem kleineren Hof oder Freibereich zugeordnet. Die Erschlieung erfolgt ber einen gemeinsamen Flur, zwi-schen dem Gruppenarbeitsflchen liegen. Hervorragend ist die Belichtung ber ein Oberlichtband gelst, das Dunkelzonen in der Tiefe der Klassenrume vermeidet. Die bei der Crow Island School entwickelte Ana-logie zur Stadt ist durch die sinnvolle Folge und Hierarchie von Pltzen und Wegen weiter ausgearbeitet. Auch fllt die Detail-lierung auf, nicht zuletzt die von Jacobsen gezeichneten Leuchten, die Munkegrd-Leuchten, die noch heute im Programm des Herstellers zu finden sind.

    Ein drittes Beispiel dieses Schultyps stellt die Geschwister-Scholl-Schule in Lnen dar. Hans Scharoun hat sie 1956 bis 1962 gebaut. Auch hier finden wir Module aus Klassen-, Gruppenraum und geschtztem Freibereich, die entlang einer inneren Strae gereiht sind. Scharoun geht einen Schritt weiter und differenziert die Raumform nach Altersstufen. In diesem Gebude ist nicht nur formal, sondern auch inhaltlich die bereinstimmung mit den Konzepten der Steinerschulen erfolgt. Die flieenden Grundrisse verbinden, wie in den beiden vorgenannten Schulbauten, die zentralen Rume wie Foyer oder Aula zu einer groen Gemeinschaft. Allerdings kommt, was die rumliche Gestaltung betrifft, den gemein-

    sam genutzten Rumen, vor allem dem Festsaal als Ort der Schulgemeinschaft, eine besondere Bedeutung zu. Der hohe Grad der Individualisierung jedes Raums stellt in dieser Form einen Hhepunkt in der Schulentwicklung dar. Man kann grundrisstechnisch nicht von Neben- und Hauptnutzflchen sprechen, sondern von einem Organismus, bei dem jedes Teil seine eigene Aufgabe im Sinne des Ganzen hat und sich deshalb einer hierarchischen Be-trachtung mit Blick auf sptere DIN-Normen hinsichtlich der Kosten- und Flchenberech-nungen entzieht. Dieser Punkt ist in der weiteren Entwicklung der Schulbauten nicht unwesentlich, weil nicht nur die Individua-lisierung, sondern auch die damit verbun-dene groe Abwicklung von Auenflchen wie auch die niedrige Bauweise hhere finanzielle Aufwendungen nach sich zieht.

    Im Jahre 1965 bezeichnete Georg Pi cht die deutsche Bildungspolitik als Bildungska-tastrophe4 und lste damit eine Reform aus, die allen Schichten den Zugang zur gymnasialen Bildung erschlieen sollte. Vor allem die daraus erfolgte Grndung von Gesamtschulen hatte enorme Aus-wirkungen auf den Schulbau. Das Thema wurde Forschungsgegenstand an Architek-turfakultten, an denen Schulbauinstitute systematisch die Bedingungen fr eine neue Typologie entwickelten. Teams aus unterschiedlichen Fachdisziplinen, wie der Architektur, Soziologie, den Erziehungs-

    wissenschaften oder der Psychologie, entwickelten Raumprogramme, aus denen dann jeweilig interdisziplinre Gruppen die Entwrfe zeichneten. Es gab dabei auch Versuche, die Frage der Gestaltqualitt durch quantitative Bewertungskriterien in den Griff zu bekommen. Die Forderung und Suche nach Werkzeugen, die eine objektive Beurteilung von Architektur ermglichen, war eines der oberen Ziele. Perfekte Funkti-on und ein hohes Ma an Flexibilitt waren die Grundlage fr die architektonische Arbeit. Die geschickte Flchenverteilung in Verbindung mit einem stringent auf Achsen bezogenen Tragwerk prgte die Grundrisse. Viele Gebude versuchte man darber hinaus in Systembauweise zu errichten. Die rasche Produktion stand im Vordergrund, wie auch die Vorstellung, dass individuelle Architekturen nicht dem Bild von einer alle Schichten bergreifenden Bildung ent-sprchen.

    Die auch unter dem Begriff der fenster-losen Schulen entstandenen Bildungs-zentren unterliegen aus heutiger Sicht in der Tat einem Schematismus, der wenig mit unseren heutigen Vorstellungen von Ort, Milieu oder den Fragen von Heimat und Geborgenheit zu tun hat. Interessant ist auch, dass bei diesen Gebuden die Autorenschaft von geringer Bedeutung war. Die recht groen Komplexe konnten nur in Stadtrandlagen einen Platz finden. Die Anonymitt und Sterilitt, ganz gewiss auch

    Baugeschichtlicher Abriss

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    Kontext

    die empfundene sthetische und materielle Lieblosigkeit blieb nicht ohne Folgen, was bald zu einer breiten Ablehnung dieses Typus fhrte. Diese Epoche des Schulbaus einer pauschalen Kritik zu unterziehen, ist nicht ganz gerechtfertigt. Schlielich loben auch heute noch viele Pdagogen die Fle-xibilitt oder die Grozgigkeit der inneren Erschlieungsbereiche, damals Schulstra-en genannt.

    Nachdem der Bedarf an neuen Unterrichts-gebuden in den 1970er und 1980er Jahren erheblich abnahm, wurden auch die Schulbauinstitute als Think-Tank fr die Entwicklung von Bildungsbauten nach und nach abgeschafft. Vereinzelt entstanden als Reaktion auf die Architektur der 1960er und 1970er Jahre Modelle fr einen Schultyp, in dem eine berschaubare Schulgemein-schaft Platz finden kann. Damals geradezu als Pionierleistung empfundene Beispiele sind die beiden (Gegen-) Entwrfe der Nach-barschaftsschule in Berglen-Oppelsbohm (1969) und das Progymnasium in Lorch (1973) aus dem Bro Behnisch & Partner. Die Abkehr vom rechten Winkel und die ra-dial um ein Zentrum liegenden Schulrume kennzeichnen diese Entwrfe. Die Gebude haben damit ein eindeutiges Zentrum, das Foyer, das Eingangshalle und Aula gleicher-maen darstellt.

    Die ber mehrere Geschosse fhrende Halle als Gemeinschaftsraum wird spter

    formal in der Sprache des Dekonstruktivis-mus vom Bro Behnisch weiterentwickelt ebenfalls Vorbild fr einige Schulgebude bis in die 1990er Jahre hinein.

    Im Zuge der negativen Bewertungen der PISA-Studie zu den Leistungen deutscher Schler kommt wieder Bewegung in den Schulbau. Neue und andere pdagogische Konzepte verlangen nach anderen Raum-ordnungen. Whrend jedoch die ffentliche Hand den neuen Entwicklungen wohl auch aus finanziellen Grnden zurckhaltend gegenber steht, beobachten wir zum Beispiel in der Schweiz eine auerordentlich experimentierfreudige Entwicklung. Dabei spielt die Individualisierung wieder eine zunehmende Rolle, auch die Offenheit und vielfache Nutzbarkeit von Zwischenzonen. Schulen sollen sich nicht wie ein Ei dem anderen gleichen. Sie als ein Stck Heimat und Teil der rtlichen gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten zu begreifen, wird sicher ein wichtiges Ziel darstellen. Fr die Stdte wird es gleichsam eine groe Aufgabe sein, die Schulen von den Randla-gen in ein urbanes Umfeld zurckzufhren.

    1 WA IV, 41, Brief vom 20. Juli 1826 an Carl August,

    Goethes Werke. Hrsg. im Auftrag der Groherzogin

    Sophie von Sachsen. IV Abteilung: Goethes Briefe.

    50 Bde. Weimar 1887-1912.

    2 Auf diesen Zusammenhang verwies Gerald Hther

    auch im Rahmen eines Vortrags in Hamburg am

    23.09.2007.

    3 E.J Jelles/ C.A. Albert: Duiker 1890-1935. Forum voor

    architectuur en daarmee verbonden kunsten 22 (1972),

    Amsterdam 1976.

    4 vgl. DIE ZEIT, Nr. 46; Hamburg, 12.11.1965.

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    Der dritte Pdagoge ist der Raum

    Pdagogische berlegungen zum Thema Schulbau

    Was ist eine gute Schule? Eine Schule ist dann eine gute Schule,

    wenn die Kinder traurig sind, wenn der Unterricht ausfllt.

    Eine Schule ist dann eine gute Schule, wenn sie die hchste Anmeldequote in einer Stadt hat.

    Eine Schule ist dann eine gute Schule, wenn sie im PISA-Ranking auf einem der ersten Pltze liegt.

    Die Spannweite der Antworten auf die Frage Was ist eine gute Schule? ist gro. Alle drei Blickwinkel haben ihre Berechtigung: die Begeisterungsfhigkeit des Kindes, die Erwartungen der Eltern und der Auenblick auf die sogenannten harten Ergebnisse. In allen drei Fllen geben die angefhrten Indikatoren allerdings noch keine Hinwei-se, wie eine Schule zu einer guten Schule werden kann.

    Die internationale pdagogische Forschung hat auf die Frage nach den Gtekriterien in den letzten zwanzig Jahren eine Reihe empirisch gut fundierter und weiterfhren-der Antworten gefunden. Ich nenne drei Beispiele aus dieser umfangreichen pdago-gischen Merkmalsliste (Helmut Fend):

    Gute Schulen besitzen eine effektive Fhrung in Fragen der Unterrichtspraxis.

    Gute Schulen erwarten von ihren Sch-lern hohe Leistungen.

    Gute Schulen geben regelmige und

    hufige inhaltliche Rckmeldungen ber die Lernfortschritte der Schler.

    Die Frage nach dem guten SchulgebudeDie Antworten der Erziehungswissenschaft-ler sind plausibel. Allerdings ist eine Merk-wrdigkeit zu konstatieren: Bei ihren Unter-suchungen spielt die Dimension Zeit eine wichtige Rolle als weiterer Indikator fr die Qualitt von Schule gilt zum Beispiel die effektive Gliederung und Nutzung der Zeit zum Lernen und zum Unterrichten; die Di-mension Raum dagegen kommt bei ihrer Frage nach der guten Schule nur am Rande beziehungsweise gar nicht vor. Obwohl doch jeder Lehrer aus tagtglicher Erfahrung wei, wie schnell aus gutem Unterricht ein schlechter wird, wenn

    das Klassenzimmer viel zu eng ist, offene Aktionsmglichkeiten ausge-

    schlossen sind, die Raumausstattung unzureichend und

    die Akustik katastrophal ist!

    Bereits in den 1980er Jahren prgte Loris Malaguzzi, der Begrnder der Reggio-Pda-gogik in Italien das inzwischen geflgelte Wort: Ein Kind hat drei Lehrer: Der erste Pdagoge sind die anderen Kinder. Der zweite Pdagoge ist der Lehrer. Der dritte Pdagoge ist der Raum. Weit verbreitet hat sich diese Erkenntnis allerdings seitdem nicht. Anlsslich dieses Beitrags habe ich eine Recherche angestellt, wo in Deutsch-

    land die pdagogische Frage nach dem Schulbau vorangetrieben wird:

    Bei einer Umfrage unter allen sechzehn Kultusministerien in Deutschland nach neuen, richtungweisenden Initiativen zur Schulbauarchitektur bekam ich fnfzehn Mal die Schulbaurichtlinien zugeschickt.

    Die Zahl der pdagogischen Hochschul-lehrer, die sich in den letzten Jahren in Deutschland mit dem Zusammenhang von Architektur und Pdagogik befasst haben, kann man an einer Hand abzh-len. Abgesehen von einem Projekt der Wstenrot Stiftung gibt es kaum aktuelle Forschungsprojekte.

    Die Mehrzahl der pdagogischen Verf-fentlichungen in den vergangenen Jahren bescheidet sich mit der Aufarbeitung von Einzelaspekten aus der Geschichte des Schulbaus.

    Hier besteht ein groer Nachholbedarf. Der erste Schritt dazu ist die erneute Klrung der Frage: Was gilt Anfang des 21. Jahrhunderts als eine gute Schule? Ich frage jetzt nicht nur nach dem sozialen Feld Schule, nach der Institution, sondern auch nach dem Gebude. Als Pdagoge kann ich zwar nicht sagen, wie man sie bauen muss. Aber ich kann sagen, welche Anforde-rungen das Gebude erfllen muss, damit in Zukunft eine gute Schule daraus werden kann. Zunchst jedoch noch einmal zur Vergangenheit.

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

    Otto Seydel

  • 20

    Kontext

    Was galt bislang als eine gute Schule/ als ein gutes Schulgebude?Wie hat sich das eigene Bild von Schule und Unterricht ber 13 Jahre manchmal auch mehr Schultag fr Schultag eingeprgt? Ich habe versucht, meine eigenen Empfin-dungen zu rekonstruieren, die ich mit den Rumen meiner alten Schule, der Tellkampf-schule in Hannover, verband: Der Lehrer sa hinter seinem Pult oder wanderte durch die Klasse und redete. Wir saen in Reihen oder wenn es bei den jungen Referenda-ren ganz fortschrittlich zuging im Hufei-sen. Die Schler antworteten. Gelegentlich. Die Schler schrieben. Gelegentlich. Sie sollten es jedenfalls. Meine Erinnerungen bleiben hngen an viel zu eng gestellten, viel zu niedrigen Tischen, ber die wir wun-derbar Nachrichten weiterleiten konnten, an schlechte Luft, an den markanten Geruch von Kreide, Bohnerwachs und Schwei. Meine strkste Erinnerung: Ich sitze in der Nhe des Fensters und trume hinaus. Auf dem Rasen Krhen (oder Elstern, das wei ich nicht mehr genau jedenfalls hpfend). Immerhin: Rasen. Vgel.

    Man kann einwenden, dass ich doch etwas bertreibe. Aber die Schulforscher haben gezhlt. Sie haben herausgefunden, dass in der alten Schule fr den einzelnen Schler die durchschnittliche Chance, ein eigenes Wort zu sagen, selbst aktiv zu werden, eins zu fnfzig stand. Auf fnfzig Worte eines Lehrers ein Wort eines Schlers. Und

    wenn man dann bedenkt, dass es in jeder Klasse mindestens drei Schwtzer unter den Mitschlern gab, reduzierte sich je-denfalls fr mich die Chance, selbst aktiv zu werden, auf die Grenordnung einer homopathischen Verdnnung.

    Ein Kapitel aus dem hidden curriculum, dem verborgenen Lehrplan dieser alten Schu-le, lautete (ich pointiere absichtlich):

    Stillsitzen! Fragen korrekt beantworten! berliefertes vollstndig wiedergeben!

    Fr die Anforderungen dieses verborgenen Lehrplans war die alte Schularchitektur genau richtig, gleichgltig ob sie ihr Muster aus dem inneren Leitbild einer Kaserne oder eines Klosters bezog.

    Es gab in der Kulturgeschichte des Abend-landes einen folgenschweren Irrweg, der aber hoffentlich nur eine kurze Episode der Menschheit bleiben wird. Die Geschichte dieses Irrtums begann erst im 17. Jahrhun-dert, als die Schulleute fanden, man knne das Lernen von Kindern und den Aufbau ihrer Persnlichkeit am besten so organisie-ren, dass alle Kinder des gleichen Jahrgangs im Prinzip zum gleichen Zeitpunkt das Gleiche lernen. Das schaffen selbst eineiige Zwillinge selten. Ich wei nicht, ob Luther, Bach oder Goethe zu ihrer Genialitt gefun-den htten, wenn man sie nicht nur einige

    wenige, sondern 13 Jahre in dieses Korsett gezwungen htte. Ein Erwachsener kme vermutlich kaum auf die Idee, das eigene Lernen freiwillig so zu organisieren, dass man sich zusammen mit 25 bis 35 anderen ber sechs bis acht Stunden am Tag in zu engen, schlecht belfteten und unzurei-chend belichteten Rumen zusammenpfer-chen lassen und alle 45 Minuten auf ein Glockenzeichen hin Thema und Ttigkeit wechseln wrde. Und das 13 Jahre lang.

    Diese Schulkritik ist keineswegs neu. Sie hatte schon die sogenannten Reformpda-gogen vor 100 Jahren zu bemerkenswerten Schulgrndungen angestiftet. Der jetzige viel breitere Neubeginn ist nach meiner Einschtzung allerdings keineswegs auf die berzeugungskraft fortschrittlicher Pdago-gen zurckzufhren. Es ist sicher kein Zufall, dass die PISA-Studie nicht ber die Schul-behrden zustande kam, sondern ber die OECD eine Organisation, die sich in der Vergangenheit mehr fr die wirtschaftliche als fr die kulturelle Entwicklung interessiert hat. Handwerksmeister und Konzernmana-ger, Architekten und Admirle haben schon seit geraumer Zeit gemahnt, dass sie keinen Bedarf haben an Mitarbeitern, die stillsit-zen; sie brauchen vielmehr Mitarbeiter, die sich selbst bewegen. Sie haben keinen Bedarf an Mitarbeitern, die nur Fragen korrekt beantworten knnen; sie brauchen vielmehr Mitarbeiter, die selbststndig Fragen stellen, die nicht nur berliefertes

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    vollstndig wiedergeben, sondern selber Neues finden knnen.

    Die Aufgabe fr die neue Schule heit nicht mehr Problemlsungen lernen, sondern Probleme lsen lernen (Elmar Osswald). Und damit sie dazu in der Lage sind, ms-sen die Schler zunchst und zugleich die zentralen Basisfhigkeiten zur Verstndigung in unserer modernen Zeit erwerben. Sie mssen Texte wirklich selbst verstehen (und nicht nur wiedergeben) knnen: Sachtexte, politische Pamphlete, suggestive Werbung, literarische Fiktionen, mathematische Re-duktionen, naturwissenschaftliche Modelle, englische Sprach-Importe. Sie mssen die-se Texte nicht nur in ihrem Sinn verstehen, sondern sie mssen sie deuten, kritisch relativieren, weitergeben knnen. Und sie mssen das, was sie selbst erkannt haben, eigenstndig und verstndlich in Wort und Schrift anderen vermitteln und zur Diskussi-on stellen knnen.

    Die nur allzu vertraute Form von Klassen-unterricht das Lernen im Gleichschritt ist gerade einmal 250 Jahre alt. Die Kulturgeschichte aber kennt auch ganz andere Formen, wie Lernen hchst wirksam organisiert werden konnte. Wie kann heute schulorganisatorisch der Sprung vom 17. ins 21. Jahrhundert gelingen? Was kann die Architektur dazu beitragen? Eine vollstndige Antwort auf diese Frage ist an dieser Stelle nicht mglich. Ich will aber

    drei Aspekte aufzeigen, die in Zukunft bei der Suche nach einer Antwort hilfreich sein knnen:

    . Erstens: Wie muss die neue Schule gestaltet werden als ein Gebude, als ein Ort, an dem die Schler lernen?

    . Zweitens: Wie muss die neue Schule gestaltet werden als ein Ort, an dem die Schler leben?

    . Drittens: Wie muss die neue Schule gestaltet werden als ein Ort, von dem die Schler lernen?

    Wir sind aufgefordert, Schule in einem ra-dikalen Sinn neu zu denken (Hartmut von Hentig). Darum mchte ich anregen, bei den folgenden Reflexionen einmal den Versuch zu unternehmen, alle gewohnten Bilder von Unterricht und Schulorganisation (siehe oben) so weit als mglich auszublenden. Gleichwohl: Damit Architekten ein Gebude entwerfen knnen, mssen sie wissen, was die Menschen in diesem Gebude tun und wie sie es tun.

    Erstens: Die Schule als Ort, an dem die Schler lernenVon welchen methodischen Prinzipien aus sollte in der neuen Schule der Unterricht organisiert werden, damit eine gute Schule fr das 21. Jahrhundert mglich wird? Wie knnten Kinder und Jugendliche wirklich ef-fektiv lernen? Wie agieren sie, was tun sie, wenn sie etwas lernen wollen oder lernen

    mssen? Ich frage bewusst nicht: Was tut der Lehrer, wo steht sein Schreibtisch, son-dern: Was tun die Kinder und Jugendlichen?

    Orientierung fr das zuknftige Schulgebu-de als Lernort gibt eine Unterscheidung von vier fundamentalen Lernformationen (Gerold Becker), die im Prinzip fr alle Schulformen fr alle Fcher in allen Altersstufen gelten:

    Typ 1: Der SelbstunterrichtSelbstunterricht geschieht durch eigenes Ausprobieren und Herstellen, durch Bcher lesen und eigene Texte schreiben. Neuer-dings auch durch das Recherchieren, Simulieren, Konstruieren, Memorieren am Computer. Und die wichtigste Ttigkeit viel-leicht: das ungestrte eigene Nachdenken.Die selbststndige aktive Auseinanderset-zung mit Texten und Materialien besitzt eine groe bildende Kraft. Fr dieses eigenver-antwortliche Lernen muss in der Schule Raum sein, nicht zuletzt angesichts der Vernderungen auerhalb der Schule. Solan-ge die unmittelbare Umgebung der Kinder auerhalb der Schule diese aktive Auseinan-dersetzung noch provoziert hatte, war der skizzierte Irrweg der Schule nicht so fatal. Aber die Zeiten haben sich gendert. Kinder im 21. Jahrhundert sehen tglich mehrere Stunden fern statt selbst zu spielen. Je niedriger das Bildungsniveau der Familie, desto hher der tgliche Fernsehkonsum. Kinder im 21. Jahrhundert bekommen ihre Plastik-Welten vorgefertigt aus dem

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

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    Kontext

    Supermarkt und mssen sie nicht mehr selber bauen. Kinder im 21. Jahrhundert knnen auf der Strae vor ihrem Haus im gnstigsten Fall gerade noch Skateboard fahren. Der neuen Schule kommt darum die Aufgabe zu, den Kindern Rume und Zeiten fr die selbststndige, aktive Auseinander-setzung mit der Welt wieder zu erffnen.

    Typ 2: Der EinzelunterrichtNatrlich lernt man nicht immer und alles am besten alleine. Die zweite Lernform ist der Einzelunterricht. Sein Grundmuster ist das Verhltnis von Meister und Lehrling. Der Schler lernt durch Nachmachen, Zuhren, Rckfragen und das ist vielleicht das wichtigste dabei durch die Ermutigung, einen gemachten Fehler nicht als Unglck, sondern als neue Lerngelegenheit zu be-greifen. Der Erklrer und Ermutiger kann der Lehrer, der Meister (mit und ohne Zertifikat) und ebenso gut, manchmal sogar besser, der Mitschler sein, dessen Vorsprung nicht ent-, sondern ermutigt. Der Zeitrahmen dafr ist gewiss nicht der 45-Minuten-Takt. Es geht zum Beispiel um die Sequenzen, in denen sich in einer Stillarbeitsphase der Lehrer zu einem einzelnen Schler setzt. Oder es geht um eine methodisch bewusst gesteuerte Partnerarbeit. Oder es geht in Teamteaching-Situationen um gezielte Fr-dereinheiten durch erfahrene und speziell geschulte Pdagogen fr einzelne Kinder, die zeitweilig diese Frderung brauchen.

    Typ 3: Das Gesprch in der GruppeBildung ohne Dialog ist ausgeschlossen.Lernen im Gesprch geschieht durch zuh-ren, sich selber artikulieren, neue Gedan-ken ausprobieren, Einwnde gegen eine Behauptung gewichten, die unterschied-lichen Spezialkenntnisse und -erkenntnisse verschiedener Gesprchsteilnehmer ohne Egoismen zu einem neuen Ganzen fgen.Sozialpsychologen haben ziemlich genau herausgefunden, welche Gruppengren eine aktive Beteiligung aller erleichtert, ohne dass die Gruppengre wiederum zu einer Belastung wird, die Teilgruppen ausschliet. Das Maximum liegt bei zwlf. Die Erhhung der Gruppengre (zum bundesdeutschen Klassenstandard von 32) fhrt ber kurz oder lang notwendig dazu, dass einige Teilnehmer beginnen, aus dem Fenster zu schauen, um nach den Krhen und Elstern zu suchen. Das Optimum liegt je nach Thema und Komplexitt der Aufgabenstellung bei sieben plus/minus drei Teilnehmern. Bewhrt haben sich im schulischen Kontext Gruppengren von vier oder sechs.

    Typ 4: Die DemonstrationLernen durch Demonstration geschieht durch zuschauen, zuhren. Beim Vortrag, bei der Prsentation mit Tageslichtschreiber oder Beamer, beim Film, bei der Vorfh-rung eines Experiments, beim Konzert. Bei der Demonstration bleibt der Schler weitgehend rezeptiv. Im gnstigsten Fall

    schreibt er mit. Fr ein lngeres produktives Gesprch in der Kleingruppe war die Zahl der Teilnehmer przise begrenzbar. Bei der letzten Lernformation, der Demonstration, ist die Skala nach oben offen, allein einge-schrnkt durch optische oder akustische Grenzen. Hier geht es um die klassische Schulklasse, gelegentlich aber auch um einen ganzen Jahrgang oder die Schulge-meinde insgesamt.

    Zwei entscheidende Voraussetzungen dafr, dass der Mensch zum Menschen wird, erwirbt er in den beiden erstgenannten Lernformationen: Den aufrechten Gang und die menschliche Sprache erlernt er in der Regel ausschlielich durch Selbstunterricht und Dialog. Nun wre es gleichwohl naiv zu glauben, man knne Schule auf die ersten beiden Typen beschrnken und Unterricht gnzlich umstellen auf eigenstndiges, entdeckendes, praktisches Lernen. Vortrag und Frontalunterricht haben nicht nur aus konomischen Grnden ihre Berechtigung. Es ist ein wunderbares Privileg der Gattung Mensch, dass nicht jede Generation das Rad neu erfinden muss. Kulturelle Traditi-onen mssen bergeben, tradiert werden. Dazu muss man sie zunchst zeigen, eben demonstrieren, bevor die neue Generation sie sich im eigenen Nachvollzug in eigener Gestalt aneignet und weiterentwickelt.

    Das Unterscheidungskriterium fr die vier Lernformations-Typen ist einfach. Die Zahl

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    der Beteiligten variiert: allein zu zweit in der kleinen Gruppe zwischen drei und

    zwlf in der groen Gruppe (also in der Klasse,

    gelegentlich auch im Jahrgang oder in der ganzen Schule)

    Es gibt eine einfache Faustregel, wie die zeitliche Verteilung in der zuknftigen Schu-le aussehen soll: 30 % allein, 30 % in der Kleingruppe (zwei bis sechs Schler), 10% im Kreis (der Klasse), 30 % frontal. Dabei verlaufen diese Phasen nicht suberlich durch Pausen getrennt, sondern wechseln hufig in schneller Folge, zum Beispiel in allen Arbeitsformen des kooperativen Lernens (Norman Green).

    Die vier Lernformations-Typen mssen konkretisiert werden durch drei Arten der Lernttigkeit beziehungsweise Lernrich-tungen, die ihrerseits im Prinzip zu gleichen Teilen in allen Altersstufen, allen Fchern, allen Schulformen vorkommen mssen:Rezeptives Lernen heit: Geschichten, Gesetzmigkeiten, Informationen und In-formationswege sind fertig aufbereitet und knnen wohldosiert und in systematisch vorgegebener Folge aufgenommen, eben rezipiert werden. Es beginnt beim Zuh-ren und Lesen und endet beim gespannten Verfolgen eines lebendigen Lehrervortrags. Eine Idealform ist die Instruktion, in die Ele-

    mente des entdeckenden Lernens bereits aufgenommen sind. Zu einer Fehlform kann bei falschem oder bermigem Einsatz der Beamer und die interaktive Tafel im Unter-richt verfhren.

    Das produktive Lernen (oder auch das eigenverantwortliche, das entdeckende Lernen) beginnt beim naiven spielerischen Umgang mit allem, was das Kind in seiner Welt findet, und endet zum Beispiel beim anspruchsvollen Jugend-forscht-Projekt. Entdeckendes Lernen ist in der Regel sehr zeitintensiv und erscheint oft zu-mindest vordergrndig chaotisch. Aber es verspricht weitaus mehr Nachhaltigkeit als das perfekteste Arrangement rezep-tiven Lernens. Ohne eigene Faszination und eigenes kritisches Fragen bleibt jede Bildung Halbbildung, totes Wissen. Neugier und Verstehen aber stellen sich erst dann ein, wenn das eigene Entdecken gengend Raum hat! Das, was rezeptiv gelernt wurde, wird erst dann zur Bildung, wenn es auf welchem Wege auch immer selbst wiederentdeckt, nachgebildet wurde. In der modernen Lernpsychologie spricht man von Rekonstruktion.

    Reproduktives Lernen heit ben. Es ist die Ttigkeit, die die meisten Menschen in unserem Lande mit dem Stichwort Schule in leidvoller Erinnerung verknp-fen. Der Lehrer als Pauker. Es geht um das Sichern von Handlungsablufen und Wis-

    sensbestnden durch Wiederholung und zwar so, dass sie jederzeit abrufbar sind. ben muss keineswegs mit Qulerei ver-bunden sein wenn sich wirkliches eigenes Interesse des Schlers, phantasievolle (und lernpsychologisch sinnvolle!) Abwechslung, zeitnahe Fehlerkorrektur und ernsthafte Er-folgschancen miteinander verknpfen, kann auch das ben durchaus lustvoll sein. In der bilderstrmerischen Phase der Schulreform in den 1970er Jahren gab es manche Bewe-gung in der Pdagogik, in der man glaubte, man knne auf das ben und rezep tive Lernen verzichten, man msse den gesam-ten Unterricht auflsen in entdeckendes Lernen, und zwar mglichst in Kleingrup-pen. In der Rckschau betrachtet kam dies dem Versuch gleich, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Monokulturen sind nicht nur in der Landwirtschaft von bel.

    Aus diesen Basis-Elementen des Lernens ergibt sich eine interessante Matrix fr das Raumprogramm, mit deren Hilfe sich die Bauplne fr eine neue Schule berprfen lassen (Seite 24 unten).

    Die Chance, effektiv zu lernen, potenziert sich um ein Vielfaches, wenn alle vier Lern-formationen und alle drei Lernrichtungen in einem sachangemessenen, weitgehend gleichberechtigten Mischungsverhltnis genutzt werden knnen. Dafr braucht es jedenfalls bis zur Klasse 7 oder 8 wenige Spezialrume. Alles kann sich

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

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    Kontext

    weitgehend in einem Raum abspielen, wenn er denn gro genug, gliederbar und ausreichend ausgestattet ist. Optimiert waren unsere konventionellen Klassenru-me bisher allerdings nur fr eine, und zwar die ineffektivste Methode, nmlich den (fragend-entwickelnden) Frontalunterricht, also das weitgehend rezeptive Lernen in der Grogruppe.

    Der Paradigmenwechsel, der in den kom-menden Jahren fr die deutschen Schulen ansteht und der zum Beispiel in vielen Grundschulen mit groer Anstrengung

    gegen die bestehende Architektur schon begonnen hat, ist radikal. Fr die neue Schu-le knnen nicht mehr Klster und Kasernen als architektonische Leitbilder gelten. Als neue Leitbilder stelle ich mir vor: Werkstt-ten, Ateliers, Entwicklungslabore, die sich jedes halbe Jahr mit einem neuen Produkt beschftigen.

    BeispieleArchitekten knnen den guten Unterricht dieser neuen Schule nicht machen aber sie knnen ihn ungemein erleichtern, herausfordern, sttzen. Oder aber erschwe-

    ren, wenn nicht gar verunmglichen. Wie also msste das Raumprogramm fr diese Schule aussehen, in der ein neuer Unter-richt ge- und erfunden werden kann, in dem alle Lernformationen und Lernrichtungen ausdrcklich eine gleichberechtigte Chance haben? Es sind zwei sehr einfache For-derungen zu stellen:

    Die Hauptforderung: Flche, Flche und noch einmal Flche. Andere Lnder sind uns an dieser Stelle weit voraus. Auch hier ist Deutschland auf den hinteren Rngen!Die zweite Forderung: flexibel gliederbare Flche, die vielfltige Arrangements zulsst. Wir brauchen groe und kleine Einheiten wo der Einzelne nicht verloren geht und wo alle zusammenkommen knnen, wo jeder fr sich in Ruhe arbeiten, ausprobie-ren, Werkstcke herstellen kann, wo kleine Gruppen sich in ihrer Arbeit gegenseitig untersttzen knnen, wo die Schler in der groen Gruppe sich gegenseitig ihre Ergeb-nisse zeigen knnen. Wir brauchen ganz bestimmt nicht fr jede spezielle Ttigkeit einen speziellen Raum. Fr die rumliche Umsetzung dieser Anforderung gibt es be-reits erste Lsungen und gewiss noch viel mehr Varianten, die wir noch nicht kennen. Ich will vier Beispiele nennen.

    Laborschule BielefeldDie radikalste Lsung der Flchenfrage in Deutschland ist zurzeit in der Bielefelder Laborschule (Seite 324) zu finden: Konventi-

    Produktives LernenRezeptives Lernen Reproduktives Lernen

    Frontale Tisch-/Sitz anordnung

    Gruppenarbeitspltze

    Gruppenarbeitspltze

    Frontale Tisch-/Sitz anordnung

    BibliothekComputerarbeitsplatz

    Werkstatt/LaborLager- und Ausstellungsmglichkeiten

    GruppenarbeitspltzeWerkstatt/Labor

    Lager- und Ausstellungsmglichkeiten

    GruppenarbeitspltzeWerkstatt/Labor

    Lager- und Ausstellungsmglichkeiten

    GruppenarbeitspltzeStuhlkreis

    Lager- und Ausstellungsmglichkeiten

    Gibt es in unserer Schule ausreichend Raum/ausreichende Ausstattung fr:

    Zu zweit

    Kleingruppe 4-7

    Grogruppe

    BibliothekComputerarbeitsplatz

    LesenischeAllein

    BibliothekComputerarbeitsplatz

    Lesenische

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    onelle Klassenrume gibt es gar nicht mehr, die Schler finden durch unterschiedliche Ebenen und Galerien gegliederte groe Felder vor, die hoch variabel gestaltet werden knnen. Die Nachteile liegen auf der Hand: Das akustische und optische Strungspotenzial des Groraums ist zwar geringer als man als Auenstehender vermuten mchte, gleichwohl ist es sicher kein Zufall, dass in jngster Zeit an einigen wenigen Stellen doch akustisch dmmend wirkende Scheiben eingesetzt werden mussten. Insgesamt ist eine abschlieende Bewertung des Experiments aber leider nicht mglich: Aus Kosten- und Richtlini-engrnden wurden bei der Realisierung zahlreiche wesentliche Forderungen der Pdagogen nicht erfllt, die eine fr dieses Konzept zwingend notwendige Entzerrung ermglicht htten. Hier sind weitergehende Versuche gefordert!

    Schule Leutschenbach, Zrich Die Alternative zur offenen Flche bietet die Cluster-Bildung. Zwei bis maximal sechs Klassenrume werden zu einer teilautonomen Einheit zusammengefasst, die gleichsam als Schule in der Schule funktioniert: Den (ausreichend groen!) Klassenrumen sind eine gemeinsame multifunktional nutzbare Erschlieungsfl-che, Sanitrbereich und Lehrersttzpunkt zugeordnet. Die Auengrenzen dieser Einheit sind real und symbolisch markiert. Die rumliche Anordnung der Klassenrume

    in diesem Cluster kann dabei sehr unter-schiedliche Gestalten annehmen: in einem Kreis oder Halbkreis, in den Ecken eines Po-lygons, aufgereiht an einer geschwungenen oder angewinkelten Linie oder geschichtet bereinander auf mehreren Ebenen oder Halbebenen. Beispiele fr eine solche Clus terbildung bieten in diesem Band unter anderem die Schulanlage Leutschenbach, Zrich (Seite 420) oder die Schulanlage im Birch, Zrich (Seite 402).

    Montessori-Schule, AmsterdamDer klassische Unterricht alle Schler tun zum gleichen Zeitpunkt das Gleiche ver-langte einen Raum, der fr den Lehrer von einem zentralen (am besten leicht erhhten) Standort aus ein Maximum an Kontrolle zulsst. Der neue Unterricht geprgt durch vielfltige Differenzierung und Individu-alisierung braucht Gliederungsformen, die auch diese Prozesse durch Sicht- und Geruschbarrieren untersttzen: Erker, Zwi-schendecks, Galerien, Balkon, Auenzugang und hnliches. Klassisch ist das Beispiel der Montessori-Schule von Herman Hertzberger in Amsterdam (Seite 334). Alle Klassenru-me sind um die zentrale Aula angeordnet. Die Erschlieungsbereiche sind so ausge-bildet, dass dort verschiedene Ttigkeiten ausgebt werden knnen. Gleichzeitig sind die Klassenrume so konzipiert, dass der Grundriss annhernd quadratisch ist, mit einer integrierten Nische, die Rckzugsmg-lichkeiten bietet.

    Helene-Lange-Schule, WiesbadenDie einfachste Lsung der Flchenfra-ge findet sich in einem konventionellen Schulgebude in Wiesbaden, der Helene-Lange-Schule. Genauer muss ich sagen: die einfachste bergangslsung fr die Flchenfrage. Es ist durchaus mglich, ein altes, klassenraumgebundenes Gebude zumindest einem vertrglichen Zustand anzunhern. Pro Stockwerk wurde ein Klassenraum aufgegeben zugunsten der Erschlieung einer freien Zone, die fr insgesamt vier Klassen jeweils eine offene, vielfltig nutzbare Aktions- und Begegnungs-flche bildet. Und es findet sich auerdem dort eine sehr mutige und zugleich sehr einfache Lsung: Es gehrt zur Unterrichts-kultur dieser Schule, dass die Klassenzim-mertren in fast allen Stunden offen stehen. Das ist zwar keine Architektenlsung, sie hat aber fr das Raumerleben der Betei-ligten hoch kommunikative und zugleich beruhigende Effekte. Und man hre Sie kostet nichts!

    Aus den bisherigen berlegungen lsst sich nun allerdings noch kein ausreichendes An-forderungsprofil fr die Gesamtarchitektur der neuen Schule ableiten. Sptestens mit der Einfhrung der Ganztagsschule muss allen Beteiligten klar werden, dass Schule nicht nur Lern-, sondern auch Lebens-raum fr Schler ist (Hartmut von Hentig). Ich komme damit zur zweiten Hauptfrage:

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

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    Kontext

    Zweitens: Die Schule als Ort, an dem die Schler lebenDas Gebude darf nicht nur angemessene Arbeitsrume zur Verfgung stellen. Die Schule ist sozialer Treffpunkt der Kinder und Jugendlichen. Diese Chance ist ihnen selbst ohnehin das Allerwichtigste. Sogar in den Schulen unseres Landes mit dem besten Unterricht gibt es immer wieder die gleiche Antwort auf die Frage: Warum freut Ihr Euch auf das Ende der Ferien? wohl-gemerkt: das Ende! Die meisten nennen mit erster Prioritt: Weil ich meine Freunde wieder sehe. Und das ist keineswegs ein Wermutstropfen im Wein der Utopien fr das schne Lernen in der neuen Schule: Freunde zu finden ist genauso wichtig wie die Entdeckung der Welt. Feste feiern, Nischen finden, Miteinander spielen und toben, miteinander streiten und sich vertra-gen. Und die neue Schule muss auch etwas ermglichen, was in unserer modernen Zeit gnzlich in Vergessenheit zu geraten droht: Anhalten, Innehalten, Ruhe finden.

    Schule ist Lern- und Lebensraum fr Kinder und Jugendliche. Sie ist Ort der individu-ellen Lernerfahrung und Ort der Begegnung.Dieses zweite Prinzip hat gravierende Fol-gen fr die Planung. Wann beginnt in einer Schule ein Prozess der Anonymisierung, der Verantwortungsdiffusion, des nicht mehr kontrollierbaren Vandalismus? Steigt die Gre einer sozialen Einheit ber 120 bis 150 Mitglieder, nimmt die Chance rapide ab,

    dass jeder jeden wirklich kennt, dass alle sich zu wirklich gemeinsamen Aktionen zusammenfinden. Das Wir-Gefhl kann zunehmend nur noch symbolisch vermittelt werden.

    Ich habe an der eigenen Schule, an der ich 25 Jahre als Lehrer gearbeitet habe, erlebt, wie das soziale Klima durch eine Vergr-erung der Schlerzahl gefhrdet werden kann. In dem Oberstufeninternat der Sale mer Schulen stieg in den vergangenen 20 Jahren die Schlerzahl von 110 auf 300 Schler. Lsbar war das Problem nur durch die erneute Gliederung in relativ autonome Untereinheiten, so dass wieder hand-lungsfhige Gren entstanden. Von den Hutterer-Kommunen, die vor 300 Jahren in Amerika siedelten, wird berichtet, dass sie ein eisernes Gesetz hatten: Sie teilten sich, wenn die Gesamtzahl der Mitglieder ber 120 stieg.

    Die Einsicht in den Zusammenhang zwi-schen der Zahl der Schler und der Qualitt des Sozialklimas hat erhebliche Konse-quenzen. Dabei mssen wir nicht zurck zur alten Zwergschule. Und es geht auch nicht um die Verteidigung einer vermeint-lichen Kuschelpdagogik. Aus Kosten- und Synergiegrnden knnen an vielen Orten auch grere Schulen sinnvoll sein, aber an sie mssen strenge interne Gliederungsan-forderungen gestellt werden. Man spricht bei den Pdagogen von der Schule in der

    Schule. Der Bau der Bildungsfabriken seit den 1960er Jahren war ein Irrweg. Dieser Irrweg ist nicht oder jedenfalls nicht allein den Architekten anzulasten. Sie konn-ten nur reagieren auf das, was ihnen die Bildungsplaner vorgegeben hatten: Letztere hatten gehofft, durch groe Einheiten eine maximale Rationalisierungswirkung und eine hohe strukturelle Durchlssigkeit der Einzelsysteme zu erzielen. Die sozialen Folgewirkungen wurden unterschtzt oder schlicht vergessen. Ein Gebude, das vor allem auf den zgigen Durchsatz von 2000 bis 3000 Menschen im 45-Minuten-Takt hin optimiert werden soll, kann allenfalls den Charme einer Bahnhofshalle entwickeln, aber kaum zum Lebensort von jungen Men-schen werden!

    Was folgt daraus als Anforderung an die Ar-chitektur? Es geht vor allem um Gliederung, um die Gliederung sowohl der Gesamtein-heiten wie der einzelnen Bereiche. Eine groe Schule muss in mehrere kleine im wrtlichen und bertragenen Sinn ber-schaubare Einheiten aufgelst werden. Reviergrenzen ich meine das durchaus verhaltensbiologisch mssen klar markiert sein. Sonst bleiben bergriffe nicht aus. Das ist nicht nur bei Hunden oder Kampf-fischen so.

    Die bereits erwhnte Helene-Lange-Schule lst das Problem durch die Zuweisung der einzelnen Jahrgnge auf jeweils ein

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    Stockwerk mit eigenem Zentrum, eige-nem Lehrerzimmer et cetera. Die Lage eines einzelnen Klassenraums ist hier nicht beliebig im gesamten Gebudekomplex verschiebbar, die rumliche Struktur der Schule wird durch die soziale Gliederung der Arbeitszusammenhnge definiert (und nicht etwa umgekehrt). In der Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim zum Beispiel merkt der Besucher des architektonisch vergleichsweise anspruchslosen Gebudes nicht, dass weit ber tausend Menschen auf engem Raum beieinander sind. Das Geheimnis dieses deutschen Schulpreistr-gers aus dem Jahr 2007: eine Aufteilung in fnf jahrgangsbergreifende Teilschulen mit je 150 Schlern.

    Entscheidend ist die Cluster-Bildung. Durch sie ist die Aufgabenstellung optimal zu l-sen, dem einzelnen Schler in einer groen Schule die Sicherheit zu geben: Ich wei, wo ich hingehre! und Ich wei, zu wem ich gehre!. Die einzelnen Einheiten wie-derum brauchen selbst deutlich markierte Zonen mit unterschiedlichen Aktionsfeldern: ein gemeinsames Zentrum, Nischen, in die sich kleine Gruppen zurckziehen knnen, ohne von den anderen gnzlich abgetrennt zu sein, einen eigenen Sanitrbereich, Ruhe-zonen, mglichst auch eigene Pausenzonen mit Spiel- und Sportbereich, Naturflchen et cetera. Und es braucht Gelegenheiten, bei denen die Kinder und Jugendlichen zeigen knnen, was sie tun. Sie mssen

    ihre Spuren hinterlassen knnen nicht nur als heimlich gesprhte Graffitis oder als Ritzzeichnungen in den Tischkanten.

    Mit der Umwandlung zahlreicher kon-ventioneller Vormittagsschulen in Ganz-tagsschulen mssen sich die Schulplaner in noch viel radikalerer Weise der Aufgabe stellen, die Schule als Ort zu gestalten, an dem die Schler leben (Stefan Appel). Der Anbau einer Mensa macht aus einer kinder-feindlichen Betonburg noch keine Ganztags-schule. Es sind Rume um- oder neu zu gestalten, die in der Schule alten Typs nicht vorgesehen waren. Denn Ganztagsschulen brauchen Rume, in denen die Schler

    mit Genuss und in Anstand gemeinsam essen knnen (viele der teuren neuen Mensen provozieren eher eine Verro-hung der Esskultur!),

    in Ruhe und ungestrt alleine arbeiten knnen. Auch wenn in vielen Ganz-tagsschulprogrammen steht, dass die Hausaufgaben abgeschafft sind, msste das ungestrte (!) ben/ Wiederholen/ Vorbereiten/selbst Erkunden (Selbstun-terricht) durch entsprechende Raumre-serven (und pdagogische Begleitung) berhaupt erst ermglicht werden,

    in zumindest partiell lehrerfreien Zonen und Zeiten die Chance zum Nichtstun, zum Chillen haben, zum Toben, zum Gammeln, Sich-Verstecken, Sich-Finden

    in organisierter oder freier Form kreative, sportliche, technische, musische Aktivi-tten entfalten, die ein konventionelles Unterrichtsprogramm ergnzen oder sogar partiell ersetzen,

    Projektergebnisse vorfhren und ausstel-len, Feste feiern, Gste einladen knnen.

    Eine Ganztagsschule muss in neuer Weise ihre Beziehung nach auen berprfen: Sind die Grenzen deutlich markiert? Eine Schule vor allem fr jngere Kinder hat immer auch eine Schonraum-Funktion, die Schutz geben muss. Und umgekehrt: Sie muss sich ffnen knnen, selbst zum kultu-rellen Magnet fr die Region werden. Diese letzte Anforderung hat zum Teil ganz banale Folgen: Sind zum Beispiel die geeigneten Verkehrsanbindungen, Parkpltze, Wege-leitsysteme et cetera vorhanden? Nutz-nieer der neuen Raumangebote, die mit der Umwandlung in eine Ganztagsschule geschaffen werden mssen, werden nicht nur die Schler sein. Auch fr den Ganz-tagslehrer mssen neue Rume entstehen: individuelle Arbeitspltze und Mglichkeiten zur Pause und zum Rckzug.

    Drittens: Die Schule als Ort, von dem die Schler lernenIch muss an dieser Stelle die dnis, die Phantasielosigkeit, die im wrtlichen und bertragenen Sinne Geschmacklosigkeit vieler Schulbauten aus dem letzten, dem 20. Jahrhundert nicht ffentlich beklagen.

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

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    Kontext

    ber die Ursachen dieser architektonischen Fadheit der Vergangenheit kann man spe-kulieren: restriktive Schulbaurichtlinien und berregulierung, Finanzknappheit, Baby-boom und Schlerberg, fehlende Wettbe-werbspraxis, fehlende Phantasie?

    10000 bis 15000 Stunden seines Le-bens verbringt gegenwrtig ein Schler in Deutschland in der Schule, und zwar in einer Zeit, in der seine sthetischen Gte-kriterien noch offen, noch prgbar sind. Das behutsame Spiel mit Licht und Farben, die sinnlichen Qualitten der Baumaterialien, die Proportionen der rumlichen Gliede-rungen und Formen knnen in ihrer Summe Architektur zur Kunst werden lassen. Diese sthetische Qualitt knnte in den genannten 10000 bis 15000 Stunden eine bildende Kraft entfalten, die weit ber jede kunstgeschichtliche Belehrung hinausgeht!

    Der dritte Pdagoge ist der Raum der Satz gilt nicht nur im Blick auf die sthe-tischen Qualitten im Sinne von Schn-heit:

    Anlage und Gestaltung der Rume mssen die Kinder und Jugendlichen bei ihren Versuchen untersttzen, Arbeit und Zusammenleben in vernnftiger Weise zu ordnen. Gebude und Einrichtung drfen das natrliche Chaos eines jugendlichen Entwicklungsprozesses nicht zustzlich verstrken! Eine Schule, die zum Beispiel

    kein gemeinsames Zentrum hat, in dem sich alle in angemessener Weise versammeln knnen, ist auch nicht in der Lage ihre eigenen Angelegenheiten zu ordnen.

    Zuordnung und Ausstattung der Rume mssen einen achtsamen Umgang mit Materialien befrdern. Gebude und Einrichtung drfen nicht zustzliche Schlamperei und Vandalismus provozie-ren. Ein Architekt und eine Schulleitung, denen der Zustand der Schlertoiletten nicht genauso wichtig ist wie die sthetik des Elternsprechzimmers, verfehlen ihre Aufgabe.

    Bauweise und technische Ausstattung mssen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Wrme und Wasser heraus-fordern, die Kosten des Verbrauchs sichtbar machen, die Einsparung des Energieaufwands nicht allein der Technik berlassen. Gebude und Einrichtung drfen nicht zustzlich selber Vergeudung und Verwhnung produzieren.

    Um diesem Anspruch gerecht zu werden, mssen keineswegs gleich Millionenpro-gramme auf den Weg gebracht werden. Ein vorbildliches Projekt hat das Schulamt der Stadt Mnster initiiert: Seit 1980 liefert die dortige Pdagogische Arbeitsstelle innovative Ideen, finanzielle Untersttzung und gebndeltes Know-how zur Selbsthilfe in die Schulen. In dem Projekt Schulrume: Lebensrume kooperieren kreative Pda-

    gogen mit dem stdtischen Hochbauamt und der Akademie Gestaltung im Handwerk der Handwerkskammer. ber 20 Schulen der Stadt Mnster haben auf diese Weise Schritt fr Schritt ihre Rume, wenn auch nicht gleich zum Kunstwerk, aber immerhin ein ganzes Stck schner und zweckm-iger gestaltet.

    Neue Richtlinien fr den Schulbau?Ich hatte eingangs von den ernchternden Ergebnissen der Recherche unter den sech-zehn deutschen Kultusministerien berichtet: Statt zukunftsweisender Visionen erhielt ich einengende Richtlinien. Ein Schlssel fr die Weiterentwicklung des Schulbaus liegt in der Tat in den Richtlinien. Wie an vielen anderen Stellen des deutschen Schulwe-sens auch: Deregulierung ist angesagt. Nun bin ich weder Sicherheitsexperte noch Statiker, weder Verwaltungsjurist noch Stadtplaner all diese Spezialisten werden an einer Neufassung der Schulbaurichtlinien mitwirken wollen.

    Als Pdagoge wrde ich mir wnschen, dass sie zum einen drei begrndete Min-deststandards festlegen, die die elemen-tare(!) Basis fr menschliches Lernen (ein-schlielich der Pausen) definieren, die ja nur scheinbar selbstverstndlich sind, dies aber in der Vergangenheit keineswegs waren: ausreichende Schalldmmung, natrliches Licht und frische Luft. Zum anderen sollten diese Standards eine pdagogische Quali-

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    ttsprfung eines jeden Schulbauentwurfs ermglichen. Es sollte dabei um drei Fragen gehen:

    1. Welche Angebote hlt der Entwurf bereit fr einen Ort, an dem Kinder, Jugendli-che und Erwachsene gerne lernen und arbeiten?

    2. Welche Angebote hlt der Entwurf bereit fr einen Ort, an dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene gerne leben?

    3. Welche Angebote hlt der Entwurf bereit fr einen Ort, von dem Kinder und Jugendliche lernen?

    Bei allen drei Fragen geht es um die richtige Balance komplementrer pdagogischer Kriterien. Dabei ist wichtig: Die Ideall-sung fr einen Schulbau gibt es nicht. In jedem Neubau, mit jeder Sanierung mssen abhngig von den konkreten Umfeldbedin-gungen vor Ort und dem jeweiligen Schul-programm bestimmte Balancen immer wieder neu austariert werden. Was ist eine gute Schule?, hie es zu Beginn dieses Beitrags: Die gute Schule muss gestaltet werden als ein Ort, an dem Kinder, Jugend-liche und Erwachsene gerne lernen und arbeiten. Sie gibt angemessenen Raum zum individuellen und zum gemeinsamen

    Lernen (also: allein, in kleinen Gruppen zu viert bis sechst, mit der ganzen Klasse, mit dem ganzen Jahrgang, mit der ganzen Schule);

    zum innengesteuerten und zum au-

    engesteuerten Lernen (also: reizarme Regionen der Konzentration und reizvolle Regionen zur Anregung Bibliothek, Werksttten, offene Lernfelder, Klassen-grten, Schulteich et cetera);

    zum Lernen und zum Nichtlernen (also: auch richtige Pausen);

    zum Lernen und Arbeiten von Kindern und Lehrern.

    Die gute Schule muss gestaltet werden als ein Ort, an dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene gerne leben. Sie sichert

    den Platz, an dem jedes einzelne Kind/ jeder Jugendliche wirklich wei, wo er hingehrt, und den Platz, auf dem sich die Schulgemeinschaft begegnet (Klarheit der Gliederung, berschaubare Substrukturen, Fixierung des Zentrums, einladende Verkehrsflchen);

    den Raum zur Begegnung mit Freunden bei Festen und Feiern und den Raum zum Rckzug, die Gelegenheit zum Toben und zur Ruhe;

    vielfltige vorgegebene Lernarrange-ments und Mglichkeiten zur aktuellen Eigengestaltung ihres Platzes durch die Schler selbst;

    den Platz fr ihre Eigenwelt nach auen deutlich ab und ffnet sich zugleich fr die Umgebung.

    Die gute Schule muss gestaltet werden als ein Ort, von dem Kinder und Jugendliche

    lernen. Sie ist fr die Kinder und Jugend-lichen ein Vorbild

    sthetisch in der Gestaltung von Licht, Farbe, Formen;

    kologisch in der technischen Lsung von Luft, Energienutzung, Baustoffen;

    konstruktiv in der Anlage des Gebudes als Bauwerk.

    Abschied von den Husern des Lernens?Dass die drei Mindeststandards und dieser Fragenkatalog einmal staatliche Schulbau-richtlinie werden knnte, bleibt frchte ich eine Utopie. Aber das Nachdenken ber die pdagogischen Prinzipien des Schul-baus kann nicht radikal genug ansetzen. Ich mchte darum mit einer herausfordernden Frage enden: Brauchen wir in 20 Jahren berhaupt noch Schulhuser, wenn wir so weitermachen wie bisher?

    Monat um Monat nimmt in Deutschland die Zahl der Eltern zu, die um ein Recht kmpfen, das in anderen europischen Lndern lngst (wieder) Wirklichkeit ist: die eigenen Kinder selbst zu Hause unter-richten zu drfen.

    Schler der Hermann Lietz-Schule in Spiekeroog verbringen viele Monate ihrer Schulzeit nicht mehr im Klassenraum. Ihr Lernort ist eine Atlantikberquerung auf der Thor Heyerdahl, einem Dreimast-schoner.

    In Dnemark gibt es eine Schule, in der

    Der dritte Pdagoge ist der Raum

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    Kontext

    die Oberstufenschler ein ganzes Jahr lang mit einem groen Bus Europa und Afrika erkunden.

    In Australien, Kanada, Norwegen, wo in abgelegenen Orten durch groe Entfer-nungen fr viele Kinder leistungsfhige konventionelle Schulen bis vor kurzem noch unerreichbar waren, findet die Instruktion inzwischen in der Hauptsa-che per World Wide Web und mittels eLearning-Programmen statt.

    Diese Beispiele mgen zurzeit noch exo-tische Ausnahmen sein. Aber die Kleinen machen es uns vor. Seit einigen Monaten begegnet mir bei meinem tglichen Hun-despaziergang in unserem Tobel am Rand der Stadt berlingen eine kleine Gruppe von Kindern, die dort bei jedem Wind und Wetter den Bach und den Wald durchwan-dern, erforschen, erspielen. Es ist ein so-genannter Waldkindergarten, eine Form der Vorschule, die in Deutschland soweit ich wei vor einigen Jahren zuerst in Schles-wig-Holstein Fu gefasst und inzwischen in zahlreichen Orten begeisterte Nachahmer gefunden hat. Auch bei Regen und Schnee sind die Kinder drauen, ziehen mit ihrer Gruppe tagaus tagein durch ihren Wald. Allenfalls gibt es einen selbst gebauten Un-terstand, wenn der Regen allzu arg wird. Ein gar nicht erstaunliches Nebenprodukt: Die Zahl der Schnupfen- und anderer Krankheits-flle ist drastisch gesunken. Brauchen diese Kinder noch ein Haus des Lernens?

    Dem vorstehenden Beitrag liegt ein Vortrag zu Grunde, den

    der Autor am 17. Oktober 2002 anlsslich der Verleihung

    des fnften Gestaltungspreises der Wstenrot Stiftung

    zum Thema Schulen in Deutschland Neubau und Revi-

    talisierung in Ludwigsburg gehalten hat und der erstmals

    in der gleichnamigen Dokumentation erschienen ist. Das

    Manuskript wurde fr diese Verffentlichung berarbeitet.

    Literatur

    Appel, Stefan: Handbuch Ganztagsschule. Konzeption,

    Einrichtung und Organisation, Schwalbach/Ts. 1997

    (Wochenschauverlag)

    Becker, Gerold: Pdagogik in Beton. In: Becker, G./ Bilstein,

    J./ Liebau, E. (Hrsg.): Rume bilden. Studien zur pdago-

    gischer Topologie und Topographie, Seelze-Velber 1997, S.

    209 - 218.

    Becker, Gerold/ Kunze, A./ Riegel, E./ Weber, H.: Die

    Helene-Lange-Schule, Wiesbaden. Das andere Lernen.

    Entwurf und Wirklichkeit, Wiesbaden und Hamburg 1997,

    S. 278 -285

    Fend, Helmut: Qualitt im Bildungswesen, Weinheim, 1998

    Girmes, Renate / Lindau-Bank, Detlef (Hrsg.): Lern(T)ru-

    me. Themenheft der Zeitschrift Lernende Schule 10/2002

    Hentig, Hartmut von: Die Schule neu denken, Mnchen

    1993

    Hentig, Hartmut von: Die Gebude der Bielefelder

    Laborschule. In: Becker, G./ Bilstein, J./ Liebau, E. (Hrsg.):

    Rume bilden. Studien zur pdagogischer Topologie und

    Topographie, Seelze-Velber 1997, 139-160

    Osswald, Elmar: In der Balance liegt die Chance, Luzern

    2002

    Wstenrot Stiftung (Hrsg.): Schulen in Deutschland Neu-

    bau und Revitalisierung, Stuttgart 2004

  • 31

    Rume und Bereiche

  • 33

    Eingang

  • 34

    Zentraler EingangGymnasium Markt IndersdorfArnbacher Strae 40, Indersdorf (DE)Allmann Sattler Wappner ArchitektenSarasota High School1000 South School Avenue, Sarasota (US)Paul RudolphSonderpdagogisches FrderzentrumSchottenau 10a, Eichsttt (DE)Diezinger & Kramer

    Mehrere EingngeScuola Media CantonaleVia Saleggi 3, Losone (CH)Aurelio Galfetti, Livio VacchiniScuola Media CantonaleVia Stefano Franscini 30, Morbio Inferiore (CH)Mario BottaSchulzentrum im Scharnhauser ParkGerhard-Koch-Strae 6, Ostfildern (DE)Lederer + Ragnarsdttir + Oei

    [44]

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    WindfangMinami-Yamashiro Primary SchoolMinami Yamashiro, Kyoto (JP)Richard Rogers PartnershipPrimarschulhaus LindenLindenstrae 21, Niederhasli (CH)Bnzli & CourvoisierSchulhaus FlschPatschr, Flsch (CH)Pablo Horvth

    VordachRiverview High School1 Ram Way, Sarasota (US)Paul RudolphGrundschule TheresienhhePfeuferstrae 1, Mnchen (DE)Rudolf HierlGesamtschule In der HhIn der Hh 9, Volketswil (CH)Gafner & Horisberger Architekten

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  • 35

    Eingang

    Einleitung

    Der erste Eindruck ist entscheidend. Ein-gnge sind so etwas wie die Visitenkarte des Gebudes, das man betreten will oder muss. Natrlich trifft das besonders fr den Schulbau zu, denn Schule kann auch mit negativen Vorurteilen belegt sein.

    Entscheidend ist zunchst einmal die Frage, wie das stdtische Umfeld beschaffen ist. Wenn die Schule, was wnschens-wert wre, als Teil der Stadt zu begreifen ist, dann sollte der Eingang das auch auf mehreren Ebenen vermitteln. Natrlich ergibt sich die richtige Lage zunchst aus den verkehrlichen Bedingungen. Dann sind, wie bei jedem normalen Hauseingang vom Briefkasten bis zum Witterungsschutz, nutzungsbedingte Anforderungen zu erfl-len. Schlielich soll die Gestalt einladend, zugleich aber auch aus den rtlichen Gegebenheiten entwickelt sein. Eingnge, die eine ganz andere Haltung ausdrcken, sagen auch, dass die Schule mit den gesellschaftlichen Be