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> Ökomorphologie Stufe S (systembezogen)
Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer gemäss dem Modul-Stufen-Konzept
Entwurf vom Juli 2006
> Gewässerschutz> Umwelt-Vollzug
Herausgegeber:Bundesamt für Umwelt BAFU
Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-BereichsBern, 2006
2 Ökomorphologie Stufe S
Herausgeber Bundesamt für Umwelt, BAFU
Konzept Klaus Dieter Schulz Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs Barbara Känel Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich
Bearbeitung Werner Göggel Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs Thomas Wagner Sigmaplan AG, Bern
Begleitende Arbeitsgruppe Marc Bernard Service de la protection de l’environnement du canton de Valais Ueli Bundi Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs Werner Göggel Eawag: Das Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs Barbara Känel Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kantons Zürich Paul Liechti Bundesamt für Umwelt François Noël Amt für Umwelt des Kantons Freiburg Martin Pfaundler Bundesamt für Umwelt Ueli Sieber Bundesamt für Umwelt Thomas Wagner Sigmaplan AG, Bern
Erprobung der Methode und Fallbeispiel T. Wagner und H. Zeh, Sigmaplan AG, Bern
Weitere Beiträge Anna Belser ecotops, Natur- und Landschaftsplanung, 5034 Suhr
Diese Publikation ist eine Vollzugshilfe des BAFU als Aufsichtsbehörde und richtet sich primär an die Vollzugsbehörden. Sie konkretisiert unbe-stimmte Rechtsbegriffe von Gesetzen und Verordnungen und soll eine einheitliche Vollzugspraxis fördern. Berücksichtigen die Vollzugsbehörden diese Vollzugshilfen, so können sie davon ausgehen, dass sie das Bundesrecht rechtskonform vollziehen, andere Lösungen sind aber auch zuläs-sig, sofern sie rechtskonform sind. Das BAFU veröffentlicht solche Vollzugshilfen (oft auch als Richtlinien, Wegleitungen, Empfehlungen, Hand-bücher, Praxishilfen u.ä. bezeichnet) in seiner Reihe „Umwelt-Vollzug“.
Bezug
BAFU, Abteilung Wasser, CH-3003 Bern
© BAFU 2006
Inhalt 3
Abstracts 5 Vorwort 7 Zusammenfassung 9 1 Einleitung 11
1.1 Ausgangslage und Zielsetzung 11 1.2 Übersicht über die Schritte der Methode 12 1.3 Anwendungsbereich und Adressaten 14 1.4 Grundlagen der Methode 15 1.5 Rechtliche Grundlagen 15
2 Abgrenzung des Gewässersystems 17 3 Defizitanalyse 19
3.1 Methodische Grundlagen 19 3.2 Durchführung der Erhebung 22 3.3 Beurteilung der Gewässerstruktur 22 3.4 Beurteilung des Gewässerraums 28 3.5 Beurteilung der Längsvernetzung 32 3.6 Fakultative Parameter 36 3.7 Entwicklungsrestriktionen 37 3.8 Zusammenfassende Defizitanalyse 38
4 Entwicklungsziel 41
4.1 Bestimmung der Entwicklungsziele 41 4.2 Entwicklungsziel Gewässerraum 42 4.3 Entwicklungsziel Gewässerstruktur 43 4.4 Entwicklungsziel Längsvernetzung 44
5 Ökologischer Nutzen 45
5.1 Entwicklungspotenzial 45 5.2 Bedeutung im Gewässersystem 46 5.3 Bestimmung des ökologischen Nutzens 48
6 Massnahmenkonzept 51
6.1 Schwerpunkte für Massnahmen 52 6.2 Prioritäten von Massnahmen aus
ökologischer Sicht 54 6.3 Plausibilitätsprüfung 55 6.4 Darstellung des Massnahmenkonzepts 55 6.5 Hinweise zur Umsetzung 57
7 Literatur 59
Anhang 61 zu Kap. 3.3 Beurteilung der Gewässerstruktur 61 zu Kap. 3.4 Beurteilung des Gewässerraums 63 zu Kap. 3.5 Beurteilung der Längsvernetzung 63 zu Kap. 5.3 Bestimmung des ökologischen
Nutzens 65 zu Kap. 6.2 Prioritäten von Massnahmen aus
ökologischer Sicht 66 zu Kap. 6.4 Darstellung des
Massnahmenkonzepts 70 Glossar 71
Inhaltsverzeichnis
4 Ökomorphologie Stufe S
Abstracts 5
Keywords: Modular stepwise pro-cedure, Assessment of watercourses, Rehabili-tation, Development of watercourses, Plan of measures
The modular stepwise procedure for surveying and evaluating watercourses com-prises survey methods with three levels of intensity covering the areas of hydrody-namics and morphology, biology, and chemical and toxic effects. The Ecomorphol-ogy Level II method (system scale) supplements Ecomorphology Level I (regional), which has been applied to Swiss watercourses since 1998. The Level II method is used to analyse the ecomorphological deficits of selected watercourses on the basis of the data from Level I and additional data and from them to draw up development goals and rehabilitation measures for the rivers. The result of Level II is a repro-ducible plan of measures setting priorities for the ecological rehabilitation of water-courses
Stichwörter: Modul-Stufen-Konzept, Gewässerbewertung, Revitalisierung, Gewässerentwicklung, Massnahmenkonzept
Das Modul-Stufen-Konzept zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer umfasst Erhebungsverfahren in drei Intensitätsstufen für die Bereiche Hydrodyna-mik und Morphologie, Biologie sowie chemische und toxische Effekte. Die Metho-de Ökomorphologie Stufe S (systembezogen) ergänzt die Ökomorphologie Stufe F (flächendeckend), die seit 1998 an Schweizer Fliessgewässer angewendet wird. Mit der Methode Stufe S werden auf der Basis der Daten aus Stufe F und zusätzlich er-hobener Daten die ökomorphologischen Defizite ausgewählter Fliessgewässer ana-lysiert und Entwicklungsziele und Aufwertungsmassnahmen für die Gewässer ab-geleitet. Resultat der Stufe S ist ein nachvollziehbar hergeleitetes Massnahmenkon-zept mit Prioritäten für die ökologische Aufwertung von Fliessgewässern.
Mots-clés: système modulaire gradué, évaluation des cours d’eau, renaturation, développement des cours d’eau, concept de mesures
Le système modulaire gradué d’analyse et d’appréciation des cours d’eau comprend des méthodes d’investigation à trois niveaux d’intensité dans les domaines suivants: hydrodynamique et morphologie; biologie; effets chimiques et toxiques. La mé-thode Ecomorphologie - niveau C (cours d’eau) complète celle de l’Ecomorphologie - niveau R (région), appliquée depuis 1998 aux cours d’eau suis-ses. La méthode du niveau C permet d’analyser les déficits écomorphologiques de cours d’eau sélectionnés sur la base des données du niveau R et d’autres données relevées en plus et d’en déduire des objectifs de développement et des mesures de revalorisation pour les cours d’eau. Le niveau C débouche sur un concept de mesu-res reproductibles fixant des priorités de revalorisation écologique des cours d’eau.
Parole chiave: sistema basato su mo-duli e livelli, valutazione dei corsi d’acqua, rina-turazione, sviluppo dei corsi d’acqua, piano di misure
Il sistema basato su moduli e livelli per l’analisi e la valutazione dei corsi d’acqua comprende delle procedure di rilevamento suddivise in tre livelli di intensità per i settori “idrodinamica e morfologia”, “biologia” nonché “effetti chimici e tossici”. Il metodo “ecomorfologia livello C” (corso d’acqua) integra il metodo “ecomorfolo-gia livello R” (regione), applicato dal 1998 sui corsi d’acqua svizzeri. Con il meto-do relativo al livello C vengono analizzati, in base ai dati del livello R e a dati sup-plementari, i deficit ecomorfologici di determinati corsi d’acqua, traendone adegua-ti obiettivi di sviluppo e misure di rivalutazione per i corsi d’acqua in questione. Il risultato del livello C è un piano di misure riproducibili che fissa le priorità per la rivalutazione ecologica dei corsi d’acqua.
Abstracts
6 Ökomorphologie Stufe S
Vorwort 7
Das Gewässerschutzgesetz vom 24. Januar 1991 und die revidierte Gewässer-schutzverordnung vom 28. Oktober 1998 haben den umfassenden Schutz der Ge-wässer und ihrer vielfältigen Funktionen als Lebensräume für Pflanzen und Tiere sowie die nachhaltige Nutzung durch den Menschen zum Ziel. Ein umfassender Schutz der Gewässer bedingt genaue Kenntnisse über deren Zustand. Im Rahmen des Modul-Stufen-Konzeptes werden von Fachleuten aus BAFU, EAWAG und kantonalen Fachstellen Untersuchungsmethoden, sog. Module, für die Beurteilung der Fliessgewässer erarbeitet. Die Methoden decken die Bereiche Hydrologie und Morphologie, Biologie, Wasserchemie und Ökotoxikologie ab und sind in drei Stu-fen unterschiedlicher Bearbeitungsintensität.
Der ökologische Zustand der Fliessgewässer wird von vielfältigen menschlichen Nutzungen beeinflusst. Während die stoffliche Belastung durch Abwasser und dif-fuse Einträge in den letzten Jahrzehnten durch grosse Anstrengungen im Gewässer-schutz deutlich reduziert werden konnte, ist die Struktur vieler Schweizer Fliessge-wässer nach wie vor stark beeinträchtigt. Diese morphologischen Beeinträchtigun-gen reduzieren den Lebensraum für Pflanzen und Tiere und vermindern die ökologische Funktionsfähigkeit der Gewässer.
Mit der Methode Ökomorphologie Stufe F, die 1998 publiziert und seither grossflä-chig angewandt wurde, können die strukturellen Defizite der Schweizer Fliessge-wässer erfasst werden. Die Erhebungen machen deutlich, in welch grossem Aus-mass die natürliche Struktur der Schweizer Fliessgewässer verändert wurde. Die vorliegende Methode Ökomorphologie Stufe S schliesst an die Methode Stufe F an und ergänzt diese um eine Anleitung, wie Massnahmen zur Aufwertung der Gewäs-ser konzipiert und Prioritäten gesetzt werden können. Das wesentliche Ziel der Me-thode Ökomorphologie Stufe S ist ein nachvollziehbar hergeleitetes Massnahmen-konzept, das Prioritäten für Aufwertungsmassnahmen aus ökologischer Sicht setzt. Damit können ökologische Aufwertungsmassnahmen in Hochwasserschutzprojek-ten, Regionalen Entwässerungsplanungen oder anderen Planungen fundiert und be-gründet miteinbezogen werden. Die Resultate der Methode sollen sowohl Wasser-bauern und Ingenieuren aber auch Entscheidungsträgern in Behörden und Politik eine Handhabe bei der Planung und Priorisierung von Massnahmen an Gewässern geben und dazu führen, dass die Struktur der Schweizer Fliesswässer und damit auch ihre Funktion als Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt aufgewertet wer-den.
Die Methode Ökomorphologie Stufe S reiht sich damit in die Strategie der Bundes-stellen ein, die im Leitbild Fliessgewässer Schweiz von BUWAL, BWG und den Bundesämter für Landwirtschaft (BLW) und Raumentwicklung (ARE) formuliert wurde.
Stephan Müller Chef der Abteilung Wasser Bundesamt für Umwelt (BAFU)
Vorwort
8 Ökomorphologie Stufe S
Zusammenfassung 9
Die vorliegende Methode ist Bestandteil des Modul-Stufen-Konzepts zur Untersu-chung und Beurteilung der Fliessgewässer. Mit der Methode werden ökomorpholo-gische Defizite in Gewässersystemen analysiert und Konzepte für deren Aufwer-tung erarbeitet. Die Methode Ökomorphologie Stufe S baut weitgehend auf den mit Stufe F erhobenen Daten auf. Während mit Stufe F Fliessgewässer flächendeckend bewertet werden, dient die Stufe S dazu, in ausgewählten Gewässersystemen ein Konzept für Aufwertungsmassnahmen zu erarbeiten. Ausgehend von der Analyse ökomorphologischer Defizite werden Entwicklungsziele für die betrachteten Ge-wässer festgelegt und mögliche Massnahmen vorgeschlagen. Indem der ökologi-sche Nutzen der Aufwertungen abgeschätzt wird, können Prioritäten für die vorge-schlagenen Massnahmen gesetzt werden. Daraus resultiert ein schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtkonzept, das als Grundlage für die konkrete wasserbauli-che Umsetzung dient.
Die Methode geht in folgenden Schritten vor: Zuerst wird das untersuchte Gewäs-sersystem abgegrenzt, wobei die räumliche Ausdehnung der Planung berücksichtigt wird. Für die ausgewählten Gewässer werden die Daten der Stufe F analysiert und durch weitere Angaben ergänzt. Abschnittsweise werden die Defizite von Sohle, Böschungsfuss und Gerinne untersucht sowie die Störungen der Durchgängigkeit im Gewässersystem einzeln analysiert. Dem Gewässerraum als Schlüsselfaktor für die Gewässerentwicklung kommt eine besondere Bedeutung zu, er wird speziell be-rücksichtigt. Für die untersuchten Gewässereigenschaften werden Entwicklungszie-le aufgestellt, die nicht veränderbare Rahmenbedingungen, so genannte Restriktio-nen, berücksichtigen. Anschliessend wird ermittelt, welchen ökologischen Nutzen die Umsetzung für das Gewässersystem hat. Auf dieser Grundlage werden Hand-lungsschwerpunkte abgeleitet und mögliche Aufwertungsmassnahmen im Gewäs-sersystem vorgeschlagen. In einem letzten Schritt werden die vorgeschlagenen Massnahmen mit deren ökologischen Nutzen verglichen und daraus Prioritäten für die Umsetzung vergeben.
Die Methode Ökomorphologie Stufe S kann in Verbindung mit einer übergreifen-den Planung am Gewässer eingesetzt werden, z.B. einem regionalen Entwässe-rungsplan (REP) oder grösseren Hochwasserschutzplanungen. Sie soll die Berück-sichtigung ökomorphologischer Aspekte in Gewässerplanungen fördern und ihre ef-fiziente Umsetzung durch den Wasserbau unterstützen. Die Methode richtet sich in erster Linie an die kantonalen Fachstellen für Wasserbau und Gewässerschutz so-wie an spezialisierte Ingenieur- und Ökobüros.
Zusammenfassung
10 Ökomorphologie Stufe S
Einleitung 11
1.1 Ausgangslage und Zielsetzung
Der Begriff "Ökomorphologie" beinhaltet die Gesamtheit der strukturellen Gege-benheiten eines Fliessgewässers und seines unmittelbaren Umfelds. Er umfasst die Struktur von Sohle, Ufer und Gerinne sowie die Vernetzung des Fliessgewässers. Die Ökomorphologie stellt einen Schlüsselfaktor für alle Eigenschaften und Prozes-se des Ökosystems Fliessgewässer dar. Dem Gewässerraum kommt dabei eine zent-rale Bedeutung zu.
Ein grosser Teil der schweizerischen Fliessgewässer ist künstlich verändert worden. Gewässerschutz und Wasserbau haben zunehmend die Aufgabe, den daraus resul-tierenden Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Die Aufwertung des Lebensraums Fliessgewässer ist mit ein Ziel zahlreicher Wasserbau- und Hochwasserschutzpro-jekte in der ganzen Schweiz.
Mit der Methode "Ökomorphologie Stufe F"1 des Modul-Stufen-Konzepts2 liegt ein Verfahren zur flächendeckenden Beurteilung des ökomorphologischen Zustands der schweizerischen Fliessgewässer vor. In zahlreichen Kantonen wurden diese Be-standsaufnahmen bereits abgeschlossen, z.T. sind die Erhebungen im Gang. Die Er-gebnisse verdeutlichen das grosse Ausmass der Defizite und zeigen den hohen Be-darf für Aufwertungen auf. Dabei darf sich die Aufwertung von Fliessgewässern nicht auf örtlich begrenzte Einzelmassnahmen beschränken. Sie muss zusammen-hängende Teile des Gewässersystems umfassen sowie räumliche und funktionale Rahmenbedingungen beachten. Angesichts des grossen Handlungsbedarfs müssen die Mittel effizient eingesetzt werden.
Die Methode "Ökomorphologie Stufe S" ergänzt die „Stufe F". Sie analysiert die ökomorphologischen Defizite einzelner Fliessgewässersysteme und setzt die Resul-tate in Handlungskonzepte um. Im Gegensatz zu Stufe F ist die Methode auf Stufe S nicht für die flächendeckende Anwendung vorgesehen. Das Ziel der Methode ist ein nachvollziehbar hergeleitetes Konzept für Massnahmen zur ökomorphologi-schen Aufwertung von Fliessgewässern. Um mit den vorhandenen Mitteln einen möglichst hohen Nutzen für die Gewässer erzielen zu können, werden zudem in der Methode für die Massnahmen Prioritäten aus ökomorphologischer Sicht festge-legt.
1 BUWAL 1998a 2 BUWAL 1998b
1 Einleitung
Ausgangslage: Ökomorphologie Stufe F
Stufe S: Konzept für Aufwertungsmassnahmen mit Prioritäten
12 Ökomorphologie Stufe S
1.2 Übersicht über die Schritte der Methode
Die Methode umfasst folgende Schritte (s. Abb. 1; Begriffe s. Glossar):
• Abgrenzung des betrachteten Gewässersystems (Kap. 2), • Differenzierte Analyse der ökomorphologischen Defizite (Kap. 3), • Aufstellen von Entwicklungszielen unter Berücksichtigung von einschränkenden
Rahmenbedingungen (Restriktionen)(Kap. 4), • Bestimmen von Entwicklungspotenzial und ökologischem Nutzen (Kap. 5), • Massnahmenkonzept mit Prioritäten (Kap. 6).
Das betrachtete Gewässersystem wird aufgrund des Planungsperimeters und der Daten aus Stufe F abgegrenzt. In der Defizitanalyse werden die ökomorphologi-schen Eigenschaften Struktur, Gewässerraum sowie Längsvernetzung getrennt un-tersucht, die Defizite analysiert und Restriktionen festgehalten. Unter Restriktionen werden hier Nutzungen oder Einwirkungen verstanden, die in einem überschauba-ren Zeitraum (ca. 20 – 30 Jahre) nicht veränderbar erscheinen und die ökomorpho-logische Entwicklungsmöglichkeit des Gewässers deutlich einschränken (s. Glos-sar). Die Defizitanalyse stützt sich auf Daten der Stufe F sowie auf ergänzende Er-hebungen am Gewässer.
Entwicklungsziele beschreiben den maximal erreichbaren ökomorphologischen Zu-stand des Gewässers unter Berücksichtigung der Restriktionen. Die Differenz zwi-schen Ist-Zustand und Entwicklungsziel wird als Entwicklungspotenzial bezeichnet (vgl. Abb. 3). Aus der Verknüpfung von Entwicklungspotenzial und der Bedeutung der einzelnen Abschnitte im ganzen Gewässersystem wird der ökologische Nutzen ermittelt, der durch die Aufwertung eines Abschnittes erreicht werden kann. Als Grundlage für die detaillierte Massnahmenplanung werden im letzten Schritt der Methode Handlungsschwerpunkte für die Aufwertung des Gewässersystems und Vorschläge für konkrete Massnahmen erarbeitet. Mit Hilfe des ökologischen Nut-zens wird die Priorität der einzelnen Massnahmen bestimmt. Das Ergebnis ist ein nachvollziehbar hergeleitetes Massnahmenkonzept für das Gewässersystem, das Prioritäten für Aufwertungsmassnahmen aus ökologischer Sicht setzt.
Die Defizitanalyse und die Bestimmung der Entwicklungsziele sind in der Methode weitgehend formalisiert, die Bestimmung des ökologischen Nutzens und die Erar-beitung des Massnahmenkonzeptes hingegen lassen den Anwendern Raum für An-passungen an die jeweiligen Gegebenheiten und den Einbezug von Expertenmei-nungen.
Räumliche Abgrenzung und Defizitanalyse
Entwicklungsziele und Massnahmenplanung
Einleitung 13
Abb. 1: Schritte der Methode „Ökomorphologie der Stufe S“
Mas
snah
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plan
ung
Def
izita
naly
se
Ziel
e
Abgrenzung des Gewässersystems
räumliche Abgrenzung aufgrund des Planungsziels und Daten aus Stufe F
Ziele für die ökomorphologische Gewässer-entwicklung unter Einbezug der Restriktio-nen
Entwicklungsziele
Analyse der ökomorphologischen Defizite von Gewässerstruktur, Gewässerraum und Längsvernetzung
Erfassung von Restriktionen am Gewässer
Defizitanalyse
Entwicklungspotenzial: Differenz zwi-schen Entwicklungsziel und Ist-Zustand
Ökologischer Nutzen: Verknüpfung des Entwicklungspotenzials mit der Bedeutung des Abschnitts im Gewässersystem
ökologischer Nutzen
Massnahmenkonzeptmit Prioritäten
Ausarbeitung eines Konzepts für Aufwer-tungsmassnahmen
Vergabe von Prioritäten aufgrund des ökolo-gischen Nutzens
Kap. 4
Kap. 3
Kap. 5
Kap. 2
Kap. 6
Schritte der Methode „Ökomorphologie Stufe S“
14 Ökomorphologie Stufe S
1.3 Anwendungsbereich und Adressaten
Die Methode Ökomorphologie Stufe S dient der systemhaften Untersuchung von Fliessgewässern, d.h. längeren Gewässerstrecken einschliesslich Zuflüssen. Dabei wird das Fliessgewässer selbst und sein unmittelbares Umfeld bis maximal 50 m beidseits des Gewässers betrachtet. Der ökologische Zustand von Auen sowie die Einbindung in den landschaftlichen Kontext werden nur im Ausnahmefall berück-sichtigt.
Aufgrund von Breite und Wassertiefe können bei grossen Flüssen (z.B. Rhein, Aare unterhalb des Thuner Sees) einige Merkmale nicht vom Ufer aus beurteilt werden. Bei Gewässern dieser Grösse kann die Methode daher nur beschränkt angewendet werden. Zudem berücksichtigt die Methode die unterschiedlichen Gewässertypen und ihre Charakteristika, z.B. von Mittellandbächen oder alpinen Gewässern, nicht. Sie wurde im Wesentlichen für die Anwendung an Gewässern des Mittellandes konzipiert, in steilen Gewässern in alpinen Regionen ist die Methode nur einge-schränkt anwendbar.
Räumliche Bezugseinheit sind die in der Stufe F gebildeten Abschnitte. Die räumli-che Aussageschärfe der Methode entspricht der „Ökomorphologie Stufe F“, karto-graphische Darstellungen bewegen sich im Massstab von 1:2'500 bis 1:10'000.
Die Stufe S kann zur Planung von Gewässerentwicklungen, aber auch bei übergrei-fenden Planungen eingesetzt werden, z.B.
• dem Regionalen Entwässerungsplan (REP), Gewässerrichtplan, Massnahmen-plan Wasser, etc.,
• Planungen von Hochwasserschutz- und Revitalisierungsprojekten, • in Verbindung mit über das Gewässer hinausgehenden Planungen wie Land-
schaftsentwicklungskonzepten (LEK) oder der Richt- und Zonenplanung, • ökologischen Ausgleichsmassnahmen bei wasserwirtschaftlichen Eingriffen, • grossen Infrastrukturprojekten, z.B. Meliorationen oder Strassenbauvorhaben.
Die Methode liefert ein Massnahmenkonzept mit Prioritäten aus ökomorphologi-scher Sicht. In der weiteren Planung müssen die vorgeschlagenen Massnahmen von Wasserbauern genauer ausgearbeitet und konkretisiert werden. Dabei sind auch an-dere Planungen und Interessen (z.B. Hochwasserschutz, Grundwasserschutz, Erho-lungsnutzung, etc.) zu beachten, die in dieser Methode nicht berücksichtigt werden.
Die Methode Ökomorphologie Stufe S wendet sich an die betroffenen kantonalen Fachstellen, z.B. Gewässerschutz, Wasserbau oder Raumplanung. Als Anwender der Methode kommen auch spezialisierte Ingenieur- und Gutachterbüros in Frage. Die Resultate der Methode können durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit einem brei-ten Kreis von Interessierten zugänglich gemacht werden, was die öffentliche Ak-zeptanz von Revitalisierungsmassnahmen positiv beeinflusst.
Analyse ganzer Gewässersysteme mit Zuflüssen
Räumlicher Bezug
Anwendungsbereich
Adressaten
Einleitung 15
1.4 Grundlagen der Methode
Die Methode baut auf den Daten der Stufe F auf. Diese reichen jedoch nicht aus, um Handlungsschwerpunkte zu identifizieren und Massnahmen vorzuschlagen. Da-her sind zusätzliche Erhebungen im Gelände erforderlich, welche u.a. auch hydro-logische Informationen liefern. Da das „Modul Hydrologie“ noch nicht vorliegt, sollten zumindest offensichtliche hydrologische Defizite (z.B. Restwasserstrecken) erfasst werden. Weitere mögliche Datengrundlagen sind z.B. das Vorkommen schutzbedürftiger Tier und Pflanzenarten, Schutz- und Inventargebiete oder Luftbil-der und historisches Bild- und Kartenmaterial.
Die ökomorphologischen Defizite werden in der Methode durch formale Regeln bewertet und aggregiert. Die Bewertungsklassen werden durch eine verbale Beur-teilung ergänzt und auf ihre Plausibilität überprüft. Einzelne Schritte der Methode können an spezielle Rahmenbedingungen angepasst werden, soweit dies metho-disch schlüssig und nachvollziehbar ist.
Zur Datenverarbeitung und Darstellung der Ergebnisse wird die Anwendung eines Geographischen Informationssystems (GIS) in Verbindung mit einer Datenbank empfohlen.
1.5 Rechtliche Grundlagen
Das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (GSchG) beauftragt in Artikel 57 den Bund und in Artikel 58 die Kantone, Abklärungen über Gewässer vorzunehmen. Die vorliegende Publikation zeigt eine Methode auf, nach welcher solche Abklärungen vorgenommen werden können.
Abklärungen über die Gewässer sind sodann wichtig mit Blick auf bauliche Eingrif-fe in Gewässer. Artikel 37 Absatz 2 GSchG und Artikel 4 Absatz 2 des Bundesge-setzes über den Wasserbau vom 21.Juni 1991 besagen, dass im Rahmen von bauli-chen Eingriffen in Gewässer der natürliche Verlauf des Gewässers möglichst beibe-halten oder wiederhergestellt werden muss und es werden verschiedene Anforderungen an die Gestaltung von Gewässer und Ufer genannt. In diesem Zu-sammenhang sind auch die in Anhang 1 der Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV) definierten ökologischen Ziele für Gewässer und die in An-hang 2 GSchV, insbesondere in Ziffer 12 Absatz 3 genannten Anforderungen an die Wasserqualität zu beachten. Die vorliegende Methode hilft den Vollzugsbehörden, dieser Pflicht nachzukommen.
Zusätzliche Erhebungen
Weitere Grundlagen
Daten aus Stufe F
16 Ökomorphologie Stufe S
2. Abgrenzung des Gewässersystems 17
Die ökomorphologische Analyse eines Gewässersystems muss möglichst grosse und zusammenhängende Teile des Gewässernetzes umfassen. Zur Minimierung des Aufwands sollte sich die Betrachtung auf jene Teile des Gewässersystems konzent-rieren, in denen Handlungsbedarf zu erwarten ist. Folgende Punkte sind bei der Ab-grenzung des betrachteten Gebietes zu berücksichtigen:
• Wirkungsraum eines Planungsprojekts: Wird die Methode im Rahmen einer konkreten Planung angewandt, so sollten - unabhängig vom Perimeter der Pla-nung - alle Gewässerstrecken einbezogen werden, in denen mit Auswirkungen zu rechnen ist.
• Ökomorphologischer Zustand nach Methode Stufe F: Lange, zusammenhän-gende Gewässerabschnitte (Teilsysteme) ohne ökomorphologische Defizite („natürlich/naturnah“ nach Stufe F, keine Durchgängigkeitsstörungen) müssen nicht untersucht werden.
• Lage im Gewässersystem: Kurze Gewässerstrecken, die durch lange eingedolte Strecken vom übrigen Gewässernetz abgetrennt sind, werden nicht betrachtet, wenn deren Ausdolung unrealistisch ist.
• Gewässergrösse und Gewässercharakter: Bei sehr kleinen Gewässern (z.B. Gräben, Quellrinnsale, Bachoberläufe von wenigen dm Sohlbreite) sind öko-morphologische Verbesserungen vielfach im Rahmen des Gewässerunterhalts mit geringem Aufwand zu erreichen. Geringer Handlungsbedarf besteht oft auch bei Gebirgsbächen oder sehr steilen Gewässerstrecken. Solche Strecken können unberücksichtigt bleiben.
• Besondere Bedeutung für den Artenschutz: Gewässerstrecken, für die Hin-weise auf das Vorkommen gefährdeter Arten und Lebensraumtypen vorliegen, sind in jedem Fall in die ökomorphologische Analyse einzubeziehen.
Die räumliche Abgrenzung muss mindestens so grosszügig sein, dass eine fachge-rechte Betrachtung des Gewässersystems und seines funktionalen Zusammenhangs möglich ist. Folgende Mindestanforderungen sollten beachtet werden:
• Ein möglichst langer zusammenhängender Teil des Hauptgewässers, • die Unterläufe aller wesentlichen Zuflüsse, • alle Mündungsbereiche dieser Zuflüsse, • möglichst wenig räumlich „isolierte“ Strecken, sondern ein zusammenhängendes
Gewässersystem.
2 Abgrenzung des Gewässersystems
18 Ökomorphologie Stufe S
3. Defizitanalyse 19
3.1 Methodische Grundlagen
Die Defizitanalyse konzentriert sich auf die wichtigsten ökomorphologischen Merkmale eines Fliessgewässers. Folgende Eigenschaften werden untersucht (Abb. 2):
• die Gewässerstruktur als bestimmender Faktor für die Habitate, • der Gewässerraum, der morphodynamische Prozesse zulässt und damit den
Rahmen für die Gewässerstruktur bildet, • die Durchgängigkeit (inkl. Mündungsbereiche) als Voraussetzung für die öko-
logische Längsvernetzung von Gewässersystemen.
Ein Teil der verwendeten Daten wird direkt aus Stufe F übernommen, andere In-formationen werden am Gewässer neu erhoben. Zusätzlich werden auf Stufe S Re-striktionen, die die Gewässerentwicklung behindern, im Gelände erfasst, um die Entwicklungsziele festlegen zu können.
Hydrologische Vorgänge bestimmen wesentlich die Dynamik im und am Gewässer und können deshalb nicht ausser Betracht gelassen werden. Offensichtliche hydro-logische Defizite werden als Zusatzinformationen festgehalten, da das Modul Hyd-rologie zur Zeit noch nicht vorliegt (s. Kap. 3.7).
Gewässer-eigenschaften
Struktur Raum Längsvernetzung
Kriterien - Sohle - Böschungsfuss - Gerinne
- Breite - Beschaffenheit
(Uferbereich gemäss Stufe F)
- Durchgängigkeits-störungen
Parameter - Grad und - Art der Verbauung von Sohle / Böschungs-fuss (gem. Stufe F) - Parameter für Gerin-nestruktur
Breite gesondert nach: - minimaler Uferbe-
reich - Biodiversität - Pendelband
- Absturzhöhe - Kolktiefe - Gefälle - Rauhigkeit - u.a.
Abb. 2: Überblick über die betrachteten Gewässereigenschaften
Das ökomorphologische Defizit wird im Vergleich mit einem Referenzzustand ermittelt (s. Abb. 3). Dazu wird ein Zustand angenommen, der sich unter den heuti-gen landschaftlichen Bedingungen einstellte, wenn sämtliche menschlichen Nut-zungen im unmittelbaren Umfeld des Gewässers aufgegeben würden: der naturna-he Zustand in der vorgegebenen Kulturlandschaft.
3 Defizitanalyse
Referenzzustand: Naturnaher Zustand in der vorgegebenen Kulturlandschaft
20 Ökomorphologie Stufe S
Dieser Zustand entspricht nicht einem Gewässer der ursprünglichen Naturland-schaft, die in Mitteleuropa praktisch nirgendwo mehr existiert. Vielmehr schliesst der Referenzzustand grossräumige und irreversible Einflüsse des Menschen ein, wie grossflächige Waldrodungen, Siedlungen oder Trockenlegung von Feuchtge-bieten.
Abb. 3: Referenzzustand im Verhältnis zu Naturzustand, Entwicklungsziel und Ist-Zustand
Während sich der Referenzzustand also an der heutigen Kulturlandschaft orientiert, beschreibt er für den unmittelbaren Gewässerraum einen Zustand, der meist erheb-lich vom Ist-Zustand abweicht:
• Es fehlen jegliche Nutzungen im Gewässer und in seinem unmittelbaren Umfeld. Der Uferbereich wird von standortgerechten, einheimischen Vegetationstypen gebildet und übernimmt eine Pufferfunktion.
• Dem Gewässer steht genügend Platz zur morphodynamischen Eigenentwicklung zur Verfügung. Der Gewässerraum ermöglicht die Ausbreitung von Arten.
• Abfluss- und Geschiebedynamik sind nicht beeinflusst. • Verbauungen und anthropogene Durchgängigkeitsstörungen fehlen. • Es findet ein natürlicher Eintrag von Totholz in das Gewässer statt.
Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Referenzzustand nicht dem Entwicklungsziel entspricht. Der Referenzzustand gibt lediglich die Richtung der ökomorphologischen Entwicklung vor (s. Abb. 3). Um eine solche ökomorphologi-
Ist - Zustand
Entwicklungsziel
Naturzustand
Referenzzustand
grossräumige irreversible Landschaftsveränderungen
Restriktionen am Gewässer
Massnahmen
Nat
urnä
he
anthropogener Einfluss
Defizit
Entwicklungs-potenzial
Referenzzustand ist nicht gleich Entwicklungsziel
3. Defizitanalyse 21
sche Entwicklung überhaupt zu ermöglichen, ist ein ausreichender Gewässerraum eine unabdingbare Voraussetzung.
Die Defizite werden in fünf Klassen (I bis V) sowie eine Klasse für eingedolte Strecken (E) eingestuft. Die Klasse I (ohne Defizit) entspricht dem Referenzzustand des Gewässers.
Tab. 1: Klassierung der Defizite
Defizit Natürliche Gewäs-sereigenschaften und -funktionen
Struktur (Sohle, Gerinne, Böschungsfuss)
Gewässerraum Längsvernetzung
I ohne
Defizit
voll gewährleistet (= Referenz-zustand)
natürliche Charakte-ristik und Dynamik
ungenutzt, natürliche Morphodynamik möglich
unbeeinträchtigt
II geringes Defizit
im Wesentlichen gewährleistet
Im Wesentlichen na-türliche Charakte-ristik und Dynamik
un- oder extensiv ge-nutzt, morphodyna-mische Prozesse zum Teil möglich
gering beein-trächtigt
III mässiges Defizit
eingeschränkt zum Teil natürliche Charakteristik
ungenügend vorhan-den, teilweise gewäs-serfremd
mässig beeinträch-tigt
IV grosses Defizit
stark eingeschränkt nur ansatzweise na-türliche Charakte-ristik
kaum vorhanden, gewässerfremd
stark beeinträch-tigt
V sehr grosses
Defizit
nicht mehr gewähr-leistet
keine natürliche Cha-rakteristik, künstlich
nicht vorhanden oder künstlich
sehr stark beein-trächtigt
E eingedolt
eingedolte, vollständig überdeckte Gewässerabschnitte > 25 m Länge
Die anderen Klassen (II bis V bzw. E) sind durch eine zunehmende Abweichung vom Referenzzustand und einen steigenden anthropogenen Einfluss gekennzeich-net. Die einzelnen Einstufungen werden am Ende der Defizitanalyse zu drei Ge-samtwerten für die Gewässerstruktur, den Gewässerraum und die Durchgängigkeit (Längsvernetzung) aggregiert. Um die Situation am einzelnen Gewässer besser wiedergeben zu können, werden die Defizitklassen durch eine verbale Beurteilung ergänzt (s. Kap. 3.8).
Einstufung der Defizite in 5 Klassen
22 Ökomorphologie Stufe S
3.2 Durchführung der Erhebung
Erhebung der ökomorphologischen Defizite
Zur Vorbereitung der Begehung werden die in Stufe F gebildeten Gewässerab-schnitte und Durchgängigkeitsstörungen in Geländekarten (im Massstab 1: 2‘500 oder 1:5‘000) übertragen. Die Abschnitte bilden auch auf Stufe S die räumliche Be-zugseinheit und sollten unverändert übernommen werden. Die mit Stufe F erhobe-nen Daten werden bei der Begehung im Feld mitgeführt. Da ihre Erhebung z.T. schon mehrere Jahre zurück liegt, sollten diese Angaben unbedingt überprüft und wo nötig korrigiert werden. Wie bei Stufe F wird auch in dieser Methode die Aus-prägung eines Kriteriums über die Gesamtlänge des Gewässerabschnitts gemittelt. Die Erhebungen können ganzjährig erfolgen. Eine Begehung bei Hochwasser, ex-tremem Niedrigwasser oder bei Schnee ist nicht sinnvoll.
Die Begehung erfolgt von der Gewässermündung an flussaufwärts. Für die Beurtei-lung von Durchgängigkeitsstörungen ist ein 2 m-Massstab erforderlich, zusätzlich wird ein Messband bzw. ein Distanzmessgerät empfohlen. Im Anhang finden sich Muster für Erhebungsbögen.
Erhebung der Restriktionen
Räumliche Restriktionen werden bei der Begehung zusammen mit den Defiziten erfasst. Als Grundlage dienen die Angaben in Kap. 3.7. Die Restriktionen sollten soweit möglich schon vor der Begehung in die Feldkarten eingetragen werden. Zu-dem müssen in den Feldkarten die minimale Uferbereichsbreite, die Biodiversi-tätsbreite und die Pendelbandbreite (s. Kap. 3.4.1) bezeichnet werden. Im Feld wer-den dann die Restriktionen im gesamten Gewässerraum (Pendelbandbreite) in die Feldkarten eingetragen. Bei eingedolten Abschnitten ausserhalb des Siedlungsge-biets werden die Restriktionen ebenfalls erhoben. Angaben zu hydrologischen Re-striktionen werden aus vorhandenen Datengrundlagen entnommen oder vor Ort er-hoben. Zusätzlich werden im Feldprotokoll Angaben zu Art und Umfang der räum-lichen und hydrologischen Restriktionen gemacht.
3.3 Beurteilung der Gewässerstruktur
Die Gewässerstruktur ist wichtig für die Lebensgemeinschaften und Prozesse im Fliessgewässer und bestimmt massgeblich seine ökologische Funktionsfähigkeit. Die Methode erfasst die Defizite der Struktur von Sohle, Böschungsfuss und Gerin-ne.
3.3.1 Sohle
Entsprechend der Methode auf Stufe F wird unter Sohle jener Bereich verstanden, der bei Mittelwasserstand von Wasser bedeckt ist, bei Hochwasser regelmässig um-
Verbauungsgrad und Verbauungsart gemäss Stufe F
3. Defizitanalyse 23
gelagert wird und somit frei von höheren Landpflanzen ist. Er schliesst jene Sub-stratschichten ein, in denen ein Austausch zwischen Fluss- und Grundwasser statt-findet. Die Sohle wird entsprechend der Stufe F nach Grad und Art der Verbau-ung bewertet.1 Dazu reichen die Daten nach Stufe F aus (s. Anhang Abb. A1 und A2). Weitere wichtige Merkmale der Sohle fliessen in die Beurteilung der Gerin-nestruktur ein (Variabilität Sohlsubstrat).
Tab. 2: Defizite Struktur der Sohle
Für die Bewertung wird ein Zustand als Referenz angenommen, bei dem das Ge-wässer über eine unbefestigte Sohle verfügt und eine natürliche Korngrössenvertei-lung und Durchlässigkeit aufweist. In natürlichen Gewässern weist das Sohlsubstrat eine kleinräumige Heterogenität auf (Variabilität der Korngrössen). Ein natürliches Sohlsubstrat ist für die Lebenszyklen vieler Gewässerorganismen von zentraler Be-deutung. Darüber hinaus ist eine durchlässige Sohle unverzichtbar für den Wasser-austausch zwischen Fliessgewässer und Grundwasser.
3.3.2 Böschungsfuss
Der Böschungsfuss bildet den Übergang zwischen der Gewässersohle und der Bö-schung. Der Böschungsfuss wird entsprechend der Stufe F aufgrund von Umfang und Durchlässigkeit seiner Verbauung getrennt nach linkem und rechtem Ufer be-wertet, wozu die Daten der Stufe F verwendet werden (s. Anhang Tab. A3 und A4). Als Referenz wird ein Zustand angenommen, bei dem das Gewässer über einen vollständig unbefestigten Böschungsfuss verfügt.
1 Beeinträchtigungen der Sohle durch Kolmation (Ablagerung von Feinmaterial auf bzw. in der Gewäs-
sersohle) können grob mit der Methode des Moduls „Äusserer Aspekt“ sowie – bedeutend detaillierter - mit der Methode von SCHÄLCHLI (2002) erfasst und beurteilt werden.
I - II ohne - geringes
Defizit
III mässiges Defizit
IV grosses Defizit
V sehr grosses
Defizit ohne Verbauung Sohlverbauung (un-
abhängig von Ver-bauungsart) < 10%
Sohlverbauung (un-abhängig von Ver-bauungsart) 10-30% oder durchlässige Sohl-verbauung > 30%
undurchlässige Sohlverbauung > 30%
Verbauungsgrad und Durchlässigkeit gemäss Stufe F
24 Ökomorphologie Stufe S
Tab. 3: Defizite Struktur des Böschungsfusses
I - II ohne - geringes
Defizit
III mässiges Defizit
IV grosses Defizit
V sehr grosses
Defizit Verbauungsgrad (unabhängig von Durchlässigkeit) <10%
Verbauungsgrad (unabhängig von Durchlässigkeit) 10-30%
durchlässige Ver-bauung 30-100% oder undurchlässige Ver-bauung 30-60%
undurchlässige Ver-bauung >60%
3.3.3 Gerinne
Unter Gerinne wird das bei Mittelwasser durchflossene Gewässerbett einschliess-lich des Wasserkörpers verstanden. Die Gerinnebreite entspricht der Sohlbreite nach Stufe F. Das Gerinne ist von hoher Bedeutung für die Lebensraumqualität des Gewässers. Die Gerinnestruktur bildet die Vielfalt von Habitatstrukturen ab, die für aquatische Organismen von zentraler Bedeutung sind.
Die natürlichen Gerinnestrukturen von Fliessgewässern unterscheiden sich abhän-gig von Gewässergrösse, Gefälle, Geologie und anderen Faktoren mehr oder weni-ger stark voneinander. Eine differenzierte Beurteilung der Struktur müsste sich für jedes Gewässer auf den typspezifischen Referenzzustand beziehen. Da solche Gewässertypen und die entsprechenden Referenzbedingungen für die Schweiz bis-her nicht definiert wurden, fehlt der Vergleichsmassstab für die Analyse der Gerin-nestruktur. Diese muss sich deshalb auf Parameter stützen, die sich zur Beurteilung der aquatischen Habitate und naturnaher Gerinnestrukturen in möglichst vielen ver-schiedenen Gewässertypen der Schweiz eignen.
Zur Beurteilung der Gerinnestruktur werden vier Parameter verwendet (siehe Tab. 4). Die Ausprägung der Parameter ist jeweils abhängig vom Typ des betrachteten Gewässersystems. Je nach Gewässertyp können bestimmte Parameter nicht in die Defizitanalyse einfliessen, beispielsweise kann der Parameter „Totholz“ bei Gewäs-sern nicht verwendet werden, in denen Totholz natürlicherweise nicht vorkommt. Wo möglich soll die Beurteilung am Beispiel naturnaher Referenzstrecken für das betreffende Gewässersystem „geeicht“ werden.
Variabilität der Wasserspiegelbreite: Eine ausgeprägte Variabilität der Wasser-spiegelbreite ist ein guter Indikator für die Strukturvielfalt der Sohle und die Ver-netzung zwischen dem aquatischen Bereich und dem Ufer. In praktisch allen natür-lichen Gewässern ausser in Schluchten, Steilstrecken und mäandrierenden Gewäs-sern variiert die Wasserspiegelbreite mehr oder weniger stark. Eine eingeschränkte Variabilität wird als strukturelles Defizit gewertet. Die mit der Stufe F erhobenen Daten fliessen in die Defizitanalyse ein.
Vielfalt und Qualität aquatischer Habitate
Variabilität der Wasserspiegelbreite
Ermessensspielraum bei der Beurteilung
Referenzzustand abhängig vom Gewässertyp
3. Defizitanalyse 25
Variabilität von Strömungsmustern und Sohlsubstrat: Die Variabilität der Strömungsmuster und der Fliessgeschwindigkeiten steht in enger Beziehung mit der natürlichen Strukturvielfalt in einem Gewässer. Eine hohe Variabilität dieser Fakto-ren ist ein Indikator für vielfältige aquatische Teillebensräume. Ein Grossteil der Schweizer Fliessgewässer ist im naturnahen Zustand durch einen Wechsel von schnell überströmten, wenig tiefen Stellen mit grobem Sohlsubstrat und langsam fliessenden, tiefen Bereichen mit feinerem Substrat charakterisiert. Die Heterogeni-tät des Substrates ist für viele Gewässerorganismen von zentraler Bedeutung. Als Anhaltspunkt für die Beurteilung dieses Parameters können Abfolgen von Schnel-len („riffles“) und Kolken („pools“) dienen.1 Sind in einem Gewässer nur Gleiten und keine oder kaum Kolke und Schnellen vorhanden, ist dies als ein Defizit der Gerinnestruktur zu werten. Sehr flache Gewässerstrecken können auch natürlicher-weise eine geringe Variabilität der Fliessgeschwindigkeit aufweisen (z.B. Sandbä-che). Eine künstlich erhöhte Diversität der Strömungsmuster, z.B. durch einge-brachte grosse Blöcke in Mittellandgewässern, ist als negativ zu beurteilen.
Abb. 4: Variabilität von Strömungsmustern
Ausgeprägt: gut erkennbare Kolk/Schnellen – Se-quenzen mit Wechsel der Fliessgeschwindigkeit
Eingeschränkt: einzelner Kolk im Bildhinter-grund, durch künstlichen Absturz verursacht
Weitere Strukturen: Weitere Elemente tragen in naturnahen Fliessgewässern zur Vielfalt von Strukturen und Habitaten bei. In vielen Gewässern bilden sich auf-grund unterschiedlicher Fliessgeschwindigkeiten lokale Geschiebeansammlungen aus. Solche Kiesbänke am Ufer oder Kiesinseln in der Mitte des Gewässers sind Zeichen für eine intakte Dynamik und aktiven Geschiebetrieb in natürlicherweise kiesgeprägten Bächen und Flüssen. Sie fehlen in Flachlandgewässern mit sandigem bis schlammigem Untergrund und Steilstrecken. Als weitere Strukturelemente wer-den vielfältig strukturierte Ufer mit Anrissen, Unterspülungen (z.B. durch Wurzeln) oder grosse Steine und Blöcke in alpinen und voralpinen Gewässern erfasst.
1 Der Abstand zwischen Kolken bewegt sich bei kiesgeprägten Bächen und kleinen Flüssen im Bereich
der 5- bis 7-fachen Gerinnebreite (nach BARBOUR et al. 1999, KNIGHTON 1998, p. 193ff)
Variabilität von Strömungs-mustern: Schnellen und Kolke
Weitere Strukturen: Kiesbänke, Fischunterstände, …
Beispiele für Kolk – Schnelle - Sequenzen
26 Ökomorphologie Stufe S
Abb. 5: Weitere Gerinnestrukturen: Kiesbänke, Unterspülungen, Steine und Blöcke
Ausgeprägt: Kiesbänke am Ufer oder Kiesinseln in der Mitte des Gewässers
Eingeschränkt: Kiesbank in eingeengtem und begradigtem Gerinne
Ausgeprägt: Unterspülte Wurzeln und Kiesbank Eingeschränkt: Zum Teil unterspülte Wurzeln
Ausgeprägt: grosse Steine und Blöcke in alpinen und voralpinen Gewässern
Eingeschränkt: Wenige grosse Steine und ein-geengtes Profil ohne Kiesbank und Insel
Totholz ist ein wichtiger natürlicher Strukturbildner im Gerinne. Neben der Wir-kung auf die Fliess- und Sohlverhältnisse ist Totholz auch als Habitat von Bedeu-tung. Während Totholz bei Bächen die Gewässermorphologie vollständig bestim-men und auch eine Verlagerung des Gerinnes auslösen kann, ist seine strukturbil-dende Wirkung bei grösseren Gewässern begrenzt. Gerade bei kleinen Fliess-
Totholz als wichtiges Strukturelement
Beispiele für Geschiebe-ablagerungen in kiesge-prägten Bächen
Beispiele für Uferunterspülungen
Beispiele für Steine und Blöcke in alpinen Gewässern
3. Defizitanalyse 27
gewässern bedeutet das Fehlen von Totholz ein strukturelles Defizit, auch wenn es sonst weitgehend unbeeinflusst ist.1 Als Totholz erfasst wird nur Holz von mindes-tens 10 cm Durchmesser und 0,5 m Länge, das im Gerinne liegt oder deutlich hin-einreicht. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle Fliessgewässer der Schweiz im Referenzzustand durch Totholz geprägt werden. Eine Ausnahme bilden Steilstrecken, alpine Fliessgewässer oberhalb der Baumgrenze und zum Teil auch Moorbäche, wo dieser Parameter unberücksichtigt bleibt.
Tab. 4: Defizite Gerinnestruktur
I - II ohne - geringes
Defizit (3 Pkt.)
III mässiges Defizit
(4 – 5 Pkt.)
IV grosses Defizit
(6 – 7 Pkt.)
V sehr grosses
Defizit (8 – 9 Pkt.)
Variabilität der Wasser-spiegelbreite (Stufe F)
ausgeprägt (1)
eingeschränkt (2)
eingeschränkt (2)
keine (3)
Variabilität Strömungs-muster + Sohlsubstrat Im Längs- und Querverlauf, inkl. Tiefenvariabilität
ausgeprägt, gut er-kennbare Kolk – Schnelle - Sequen-zen (1)
eingeschränkt, nur vereinzelte Kolken und Schnellen
(2)
eingeschränkt, nur vereinzelte Kolken und Schnellen
(2)
keine
(3) weitere Gerinnestrukturen Kiesbänke, Uferstrukturen, Kiesinseln, …
ausgeprägt (1)
eingeschränkt (2)
keine (3)
keine (3)
Totholz Äste, Baumstämme
zahlreich eingeschränkt kein kein
Die Bewertung der Gerinnestruktur erfolgt gemäss Tab. 4 in vier Klassen. Die Aus-prägung der Parameter wird im Feld geschätzt. Dabei ist die gewässerökologische Erfahrung der Bearbeiter von zentraler Bedeutung, da keine konkreten Zahlenwerte für die Beurteilung gegeben werden können. Um die einzelnen Parameter der Ge-rinnestruktur zusammenfassen zu können, werden den Klassen die Werte 1 bis 3 (in Tab. 4: Werte in Klammern) zugeordnet, aus der Summe der Werte für die vier Pa-rameter ergibt sich der Gesamtwert für die Gerinnestruktur gemäss Tab. 4. Falls Totholz im Gewässer vorhanden ist, verbessert sich die Beurteilung der Gerin-nestruktur um eine Klasse.
1 SCHERLE 1999: 2-95ff
28 Ökomorphologie Stufe S
3.4 Beurteilung des Gewässerraums
Unter Gewässerraum wird die Gesamtheit aus Gerinne, Böschungsfuss und dem ei-gentlichen Uferbereich verstanden. Der Uferbereich wird wie in Stufe F definiert als Bereich oberhalb des Böschungsfusses bis zu Flächen mit intensiver Landnut-zung1. Der Gewässerraum steht für die Entwicklung des Fliessgewässers grundsätz-lich zur Verfügung. Zur Beurteilung des Gewässerraums werden die Breite und Be-schaffenheit des Uferbereichs erfasst. Die Bewertung der Breite erfolgt differen-zierter als im Rahmen der Stufe F, wo der Uferbereich nur bis zu einer Breite von 15 m erfasst wurde. In Stufe S sind die Angaben in einer Breite von max. 50 m auf jeder Seite (abhängig von der Gewässerbreite) zu ergänzen.2
Die Beurteilung des Gewässerraums beruht sich in erster Linie auf der Breite des Uferbereichs. Eine gewässerfremde oder künstliche Beschaffenheit des Uferbe-reichs verschlechtert den Wert für den Gewässerraum um eine bzw. zwei Klassen.
3.4.1 Breite des Uferbereichs
Ein ausreichend breiter Uferbereich ist der Schlüsselfaktor für eine naturnahe Mor-phologie von Fliessgewässern. Die Breite beeinflusst zudem die Funktion des Ufer-bereichs als Puffer gegen Intensivnutzungen sowie seine Qualität als eigenständigen Lebensraum und als Vernetzungselement zwischen Gewässer und Umland. Ent-sprechend der Methode Stufe F wird die mittlere Breite des Uferbereichs getrennt für die rechte und linke Uferseite abgeschätzt. Als äussere Begrenzung gilt der Be-ginn intensiver Landnutzungen, z.B. Siedlungsgebiet oder intensiv genutztes Agrar-land.
Als Referenz wird ein Zustand angenommen, bei dem die Breite des Uferbereichs mindestens so gross ist, dass sich Ufervegetation und Gerinne naturnah und gewäs-sertypisch ausbilden können. Es treten dynamische Gerinne- und Uferstrukturen mit Laufverlagerungen und Verzweigungen auf. Als Voraussetzung dafür wird ein U-ferbereich entsprechend der „Pendelbandbreite“ angenommen. Der Raumbedarf für Auen bleibt unberücksichtigt. Im Falle eines inventarisierten Auengebiets wird die Pendelbandbreite jedoch durch den Auenperimeter ersetzt3. Nicht inventarisierte Auen und Auenrelikte sollen bei der Erhebung vermerkt werden, um auf den erhöh-ten Raumbedarf hinzuweisen.
1 Die Definition deckt sich nicht mit dem Uferbereich im Sinne von Art. 18, Abs. 1bis NHG. 2 Der Wert leitet sich aus der Pendelbandbreite ab (sechsfache natürliche Sohlbreite). Bewertung gem.
Methode des Bundesamtes für Wasser und Geologie zur Ermittlung des Raumbedarfs für Schweizer Fliessgewässer (BWG 2000; BWG 2001:18f)
3 ROULIER u. THIELEN 2001
Referenz: Pendelbandbreite
3. Defizitanalyse 29
Als Grundlage für die Bewertung dient die „Schlüsselkurve“ des BWG1, die den Raumbedarf in Abhängigkeit von der natürlichen Breite der Sohle darstellt.
Abb. 6: Kategorien der Gewässerraumbreite2
Entsprechend gilt:
• Minimale Uferbereichsbreite: Untergrenze zur Sicherstellung der ökologischen Mindestfunktionen sowie für den Hochwasserschutz. Sie beträgt mindestens 5 m auf jeder Gewässerseite.
• Biodiversitätsbreite: Ermöglicht die Ausbildung einer natürlichen Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten im Uferbereich.
• Pendelbandbreite: Umfasst den Gewässerbereich, der durch das Mäandrieren des Gewässers beansprucht werden kann. Die Pendelbandbreite entspricht ca. der sechsfachen natürlichen Sohlbreite.
Verbaute und eingetiefte Gewässer verfügen nicht über eine natürliche Sohlbreite. Ihre Sohle ist verschmälert und weist eine geringe Breitenvariabilität auf. In diesen Fällen wird die natürliche Sohlbreite mit einem Korrekturfaktor bestimmt, um dem erhöhten Raumbedarf bei solchen Gewässern Rechnung zu tragen (Korrektur-faktor 1,5 bei eingeschränkter Breitenvariabilität bzw. 2,0 bei fehlender Breitenva-riabilität3).
1 BWG 2000 2 verändert nach BWG 2000 3 BWG 2001, S. 19
Gewässerraumbreiten
natürliche Sohlbreite
Biodiversitätsbreite (je 5 - 15 m)
Pendelbandbreite (6-fache natürliche Sohlbreite)
minimale Uferbereichs-breite (je min. 5 m)
Korrekturfaktor zur Bestimmung der natürlichen Sohlbreite bei fehlender Breitenvariabilität
30 Ökomorphologie Stufe S
Abb. 7: Gewässerraumbedarf in Abhängigkeit von der natürlichen Gerinnesohlbreite (Schlüsselkurve)
Tab. 5: Defizite Uferbereichsbreite
I ohne
Defizit
II geringes Defizit
III mässiges Defizit
IV grosses Defizit
V sehr grosses
Defizit natürliche Sohl-breite < 1m 1)
minimale Uferbe-reichsbreite
- -
Sohlbreite 1 – 6 m
Biodiversitäts-breite
minimale Uferbe-reichsbreite
-
Sohlbreite > 6 m Pendelbandbreite
Biodiversitäts-breite
minimale Uferbe-reichsbreite
Uferbereich vorhanden, aber kleiner als mi-nimale Uferbe-reichsbreite
kein Uferbereich
1) sowie in V-Tälern und Schluchten - wird nicht vergeben kursiv Erfassung der Pendelbandbreite im Gelände (Ergänzung der Daten aus Stufe F)
3. Defizitanalyse 31
3.4.2 Beschaffenheit des Uferbereichs
Die Struktur des Uferbereichs ist wichtig für seine ökologische Funktionsfähigkeit und beeinflusst die Bedingungen im aquatischen Lebensraum selbst. Ufergehölze stellen durch den Eintrag von Totholz einen wichtigen Strukturbildner dar, beein-flussen Temperaturhaushalt und Pflanzenwachstum sowie Nahrungsketten und Stoffhaushalt im Gewässer.
Für die Defizitanalyse werden die nach Stufe F erhobenen Daten herangezogen. Wo der Uferbereich breiter ist als mit Stufe F erfasst, wird die Beschaffenheit dieser Be-reiche zusätzlich im Gelände untersucht und entsprechend der Methode Stufe F1 für linke und rechte Uferseite getrennt bewertet (gewässergerecht, gewässerfremd oder künstlich, s. Anhang Tab. A5).
Als Referenz wird ein Zustand angenommen, bei dem der Uferbereich gewässerge-recht ausgebildet ist und nicht oder allenfalls extensiv genutzt wird, so dass sich gewässertypische Lebensraum- und Vegetationstypen ausbilden können. Er ist mit standortgerechter Gehölzvegetation bestockt, sofern nicht natürlicherweise vegeta-tionsarme Pionierstandorte oder geschlossene Röhrichtgürtel vorherrschen.
Sofern ein ausreichender Gewässerraum vorhanden ist, wird davon ausgegangen, dass der Uferbereich in der Regel gewässergerecht gestaltet werden kann. Die Beur-teilung des Gewässerraums stützt sich daher in erster Linie auf die Breite des U-ferbereichs (Tab. 5). Eine gewässerfremde oder künstliche Beschaffenheit des Uferbereichs verschlechtert den Wert für den Uferbereich wie folgt:
Beschaffenheit Uferbereich Bewertung Uferbereich
gewässerfremd ⇒ Verschlechterung um 1 Klasse künstlich ⇒ Verschlechterung um 2 Klassen
Bsp.: Defizit Breite Uferbereichs links (gemäss Tab. 5): Klasse II
Beschaffenheit Uferbereich links: gewässerfremd ⇒ Verschlechterung um 1 Klasse
Defizit Uferbereich links Klasse III
1 BUWAL 1998a:20ff
Referenzzustand
32 Ökomorphologie Stufe S
3.5 Beurteilung der Längsvernetzung
Die Längsvernetzung von Fliessgewässern wird hier als die auf- und abwärts ge-richtete biologische Vernetzung, also die aktiven und passiven Ortsveränderungen von Organismen in Längsrichtung des Fliessgewässers verstanden.1 Die abwärts ge-richteten abiotischen Vorgänge von Abfluss, Schwebstoff- und Geschiebetransport werden künftig durch die Module „Hydrologie“ und „Geschiebe“2 bewertet und hier nur berücksichtigt, soweit sie die Längsvernetzung beeinträchtigen.
3.5.1 Durchgängigkeitsstörungen
Es werden anthropogene und natürliche Störungen der Durchgängigkeit erfasst. Natürliche Hindernisse werden zur Einschätzung der natürlichen Vernetzung im Gewässersystem erhoben. Die Durchgängigkeitsstörungen, deren Lage und Höhe schon in Stufe F erhoben wurden, werden um präzisere Angaben ergänzt. Folgende Arten von Störungen und Bauwerken werden erfasst:
Abstürze, d.h. natürliche oder künstliche Strukturen, bei denen senkrechte Wasser-überfälle dominieren (z.B. Schwellen, Wehre, …). Beurteilt werden entsprechend Methode F alle Abstürze mit einer Absturzhöhe > 20 cm.
Sohlrampen, d.h. flächige oder riegelartige Sohlbefestigungen über die gesamte Gerinnebreite. Sie variieren in Dimension, Gefälle, Rauhigkeit und Gliederung: • flach geneigte, gegliederte Sohlgleiten (Gefälle < 1:20), • kurze, stark geneigte, gegliederte oder aufgelöste Sohlrampen (Gefälle > 1:20),
mit heterogener Fliessgeschwindigkeit und Wassertiefe, • ungegliederte Gleiten, Rampen und Schussrinnen mit glatter, weitgehend un-
strukturierter Sohle und gleichmässigem Gefälle.
Sohlrampen, die sich nur über einen Teil der Gerinnebreite erstrecken, werden zu-sätzlich als Fischaufstiegshilfe erfasst (s.u.).
Verrohrungen und Durchlässe: Neben Rohren und Durchlässen sind auch Brü-cken zu berücksichtigen, falls sie seitliche Einfassungen oder Sohlverbau aufwei-sen. Davon zu unterscheiden sind Brücken, die Gewässer und Uferbereich frei über-spannen (keine Barrierewirkung, jedoch Entwicklungsrestriktion, vgl. Kap. 3.7). Entsprechend Stufe F werden Verrohrungen und Durchlässe mit einer Länge >25 m als eigener Gewässerabschnitt (eingedolt, „E“) erfasst.
1 HÜTTE et al. 1994:38 2 „Modul Hydrologie – Abflussregime”: in Entwicklung, „Modul Hydrologie - Feststoffregime”: in Planung
Anthropogene und natürliche Durchgängig-keitsstörungen
3. Defizitanalyse 33
Tab. 6: Defizite Durchgängigkeit
I - II ohne - geringes
Defizit
III - IV mässiges - grosses
Defizit
V sehr grosses
Defizit Bedeutung Von den typischen aquat.
Organismen (Wirbellosen, Jungfischen, Kleinfischen) potenziell überwindbar
Von adulten Salmoniden, teilweise von sonst. schwimmstarken Arten und Wirbellosen überwindbar
Von den typischen aquati-schen Organismen i.d.R. nicht überwindbar
Absturz • Absturzhöhe (A) • Kolktiefe (K) • Tiefwasserbereich ober-
halb des Absturzes (T)
Beurteilungsklasse wird nicht vergeben
• potenziell überspringbar A = 20 -70cm und K ≥ A und T vorhanden
• A > 70cm • oder A < 70cm und üb-
rige Bedingungen nicht erfüllt
Sohlrampe • Gefälle (G)
• Länge (L)
• Höhe (H)
• Rauhigkeit
• flache Sohlrampe G <1:20und Rauhigkeit hoch
• oder stark gegliederte Sohlrampe mit geringer Länge und Höhe (L< 1m und H < 20cm und Rauhigkeit hoch
• steile Sohlrampe G 1:20 – 1:5 und Rauhigkeit hoch
• oder potenziell über-springbare Sohlrampe L < 1 m und H < 50cm und sonst. Anforderungen wie bei Abstürzen erfüllt
alle übrigen Fälle
Verrohrung/Durchlass < 25m
• Länge (L)
• lichte Höhe (H)
• Sohlsubstratkontinuität (S)
• Rauhigkeit
• kurze und stark geglieder-te Bauwerke H ≥ 1.0m bei L> 3m oderH ≥ 0.5m bei L< 3m und Rauhigkeit hoch oder S erfüllt und keine Abstürze >20cm ober- u. unterhalb
• wie Klasse I-II, aber: weniger stark gegliedert, Rauhigkeit gering oder S nicht erfüllt und etwaige Abstürze erfüllen obige Anforde-rungen
alle übrigen Fälle
Hydrologische Durchgängigkeitsstörungen
• Z.B. Schwall-Sunk, Restwasserstrecke, Rückstaubereich
keine mässige Beeinträchtigung der Durchgängigkeit
sehr starke Beeinträchti-gung der Durchgängigkeit
• T: Keine flach überströmte Hartstruktur, die für Fische nicht passierbar ist. • Rauhigkeit: Die strukturelle Gliederung von Gerinne und Sohle sowie die Heterogenität
der Fliessmuster im Bauwerk. • H (lichte Höhe): Innenhöhe des Durchlasses ab Wasserspiegelniveau. • S: Durchgängigkeit des natürlichen Sohlmaterials bzw. einer Sohlsubstratauflage.
Weitere Bauwerke: Darunter fallen beispielsweise Geschiebesammler, die indivi-duell beurteilt werden müssen. Fischaufstiegshilfen sollen die Wirkung von Hin-
Weitere Bauwerke
34 Ökomorphologie Stufe S
dernissen mindern, sie werden ebenfalls erfasst und müssen individuell beurteilt werden.
Abb. 8: Beurteilung von Durchgängigkeitsstörungen
Mässiges – grosses“ Defizit (III – IV) Absturzhöhe <70 cm, Kolktiefe grösser als Ab-sturzhöhe, Tiefwasserbereich oberhalb des Abstur-zes vorhanden.
Sehr grosses Defizit (V) unabhängig von der Absturzhöhe Ein Kolk fehlt, das Wasser prallt direkt auf die Sohle. Bei Niedrig- und Mittelwasser fliesst nur ein dünner Wasserfilm über die Betonschwelle (kein Tiefwasserbereich oberhalb des Absturzes)
Sehr grosses Defizit (V) Sohlrampe (Länge 3m, Höhe ca. 1m, Gefälle 1:3).
Ohne – geringes Defizit (I – II) Durchlass (Länge 10 m, lichte Höhe 2 m, kontinu-ierliches Sohlsubstrat). Absturz unterhalb des Durchlasses (im Bildvordergrund) weniger als 20 cm hoch.
Hydrologische Störungen: Es sind offensichtliche Defizite zu berücksichtigen, soweit sie die Längsvernetzung beeinträchtigen. Dies sind insbesondere Schwall- und Restwasserstrecken sowie Rückstaubereiche. Eine abschliessende Bewertung ist Gegenstand des Moduls Hydrologie, das zur Zeit noch nicht vorliegt.
Als Referenz wird ein Zustand ohne anthropogene Durchgängigkeitsstörungen an-genommen. Dabei ist zu beachten, dass der Fokus der Methode auf Gewässern des Mittellandes liegt. Bei der Anwendung der Methode an Gewässern der Voralpen
Referenzzustand
Hydrologische Störungen
Tiefwasserbereichvorhanden
40 cm Absturzhöhe
100 cm Kolktiefe
3 m Länge
1 m Höhe
10 m Länge 2 m lichte Höhe
Beispiele Beurteilung von Abstürzen
Beispiele Beurteilung von Sohlrampe und Durchlass
3. Defizitanalyse 35
und Alpen ist die natürliche Längsvernetzung zu beachten, die Bewertung anthro-pogener Hindernisse ist entsprechend anzupassen.
Bei Abstürzen wird die Beurteilungsklasse I-II nicht vergeben, da die wissenschaft-lichen Grundlagen fehlen, um eine Abgrenzung zwischen geringer und mittlerer Störungsintensität sicher vornehmen zu können. Abstürze mit einer Höhe < 20 cm werden nicht erfasst. Da kleine Abstürze für einzelne Arten (z.B. Kleinfische) eine Störung darstellen, sollte grundsätzlich angestrebt werden, diese im Rahmen des Gewässerunterhalts zu entfernen bzw. umzugestalten.
3.5.2 Mündungsbereiche
Die Mündungsbereiche sind von zentraler Bedeutung für die Vernetzung von Haupt- und Nebengewässern in einem Gewässersystem. Sie dienen zudem als Re-fugium und als Quelle zur Wiederbesiedlung nach Extremereignissen (Hochwasser, kurzzeitige Schadstoffbelastung1) im Hauptgewässer. Mündungsbereiche sind nicht exakt abgrenzbar, sie bilden kontinuierliche Übergänge zwischen Haupt- und Ne-bengewässern.2 In dieser Methode werden die Unterläufe der Nebengewässer auf der Länge der 10-fachen natürlichen Gerinnebreite als Mündungsbereich bezeich-net.
Mündungsbereiche werden im Rahmen dieser Methode nicht formal bewertet. De-fizite von Mündungsbereichen fliessen insbesondere über die Bewertung von Durchgängigkeitsstörungen, aber auch über die Bewertung von Gewässerstruktur und Gewässerraum in die Defizitanalyse ein. Allerdings sind Mündungen ange-sichts ihrer zentralen Bedeutung in der Defizitanalyse besonders zu berücksichti-gen. Durchgängigkeitsstörungen an Mündungen sind besonders kritisch zu beurtei-len, die formale Bewertung sollte in diesen Fällen durch eine verbale Beurteilung ergänzt werden. Neben Durchgängigkeitsstörungen sind auch strukturelle Defizite im Mündungsbereich zu beachten, insbesondere Verbauungen von Sohle und Bö-schungsfuss. Neben der formalen Bewertung der Gewässerstruktur im Mündungs-abschnitt sollte die Struktur der Mündung daher auch verbal beurteilt werden.
Im Referenzzustand sind Mündungen strukturell vielfältige und morphodynamisch aktive Übergangszonen von Haupt- und Nebengewässer. Dies bedeutet, dass Bö-schungsfuss und Sohle unverbaut sind, der Mündungsbereich eine hohe strukturelle Vielfalt, z.T. mit Mündungsbänken und Gerinneverzweigungen besitzt, und keine anthropogenen Durchgängigkeitsstörungen bestehen.
1 vgl. SCHRÖDER u. REY 1991:218ff; REY et al. 1991: 454ff; SCHOLLE u. SCHUCHARDT 1996:286ff 2 REY et al. 1991: 455
36 Ökomorphologie Stufe S
Abb. 9: Beschaffenheit von Mündungsbereichen
Naturnaher Mündungsbereich: Naturnahe Mündung ohne anthropogene Einflüsse am Gerinne und mit ausreichendem Gewässer-raum
Sehr grosses Defizit im Mündungsbereich Vollständig verbaute Mündung: Sohlenpfläste-rung, beidseitig Ufermauern, keine Gerinnestruk-turen, künstlicher Absturz (ca. 50 cm), kein Ufer-bereich
3.6 Fakultative Parameter
Zusätzlich zu den genannten Parametern können weitere fakultativ erhoben wer-den. Diese gehen nicht direkt in die Defizitanalyse ein, enthalten jedoch wertvolle Informationen. Wenn sie offensichtliche Hinweise auf Defizite oder Aufwertungs-massnahmen geben, sollen sie verbal in die Bewertung einfliessen.
Lebensraumtypen im Uferbereich: Für die Aufwertung des Gewässerraums kann es sinnvoll sein, Lebensraumtypen genauer als in Kap. 3.4.2 zu erfassen. Dient die Methode Stufe S dazu, die Wirkung von Massnahmenplanungen abzuschätzen, sind die schützenswerten Lebensraumtypen (nach Anh 1 NHV) zu berücksichtigen. Ein besonderes Augenmerk muss auf Auen gelegt werden (siehe dazu Kap. 3.4.1).
Ufererosionen: Erosionen weisen auf eine aktive Morphodynamik des Gewässers und auf eine Tendenz zur Gerinneverbreiterung oder –verlagerung hin. Daraus kann auf geeignete Aufwertungsmassnahmen geschlossen werden.
Zustand von Uferverbauungen: Uferverbauungen, die beschädigt oder im Verfall sind, werden vermerkt. In solchen Fällen ist statt aktivem Rückbau in erster Linie auf einen ausreichend breiter Uferbereich zu achten.
Zustand von Uferverbauungen
Ufererosionen
Lebensraumtypen im Uferbereich
Beispiele für naturnahe und stark beeinträchtigte Mündungsbereiche
3. Defizitanalyse 37
Künstlich eingetiefte Gewässerstrecken: Die Sohle vieler Gewässer ist künstlich eingetieft und eine Wiederanhebung nur begrenzt möglich, so dass Aufwertungen kaum oder nur mit hohem Aufwand erfolgen können. Bei solchen Gewässer-strecken ist die Entwicklungsfähigkeit eingeschränkt bzw. sind zusätzliche Abklä-rungen nötig.
Verlegte Gewässerstrecken: Teilweise wurden Fliessgewässer aus der Talsohle an den Rand verlegt, um eine intensivere Nutzung des Talbodens zu ermöglichen. Eine Rückverlegung in den ursprünglichen Verlauf kann sinnvoll sein, hierzu sind weite-re Abklärungen nötig. Historische Karten können dabei hilfreich sein.
3.7 Entwicklungsrestriktionen
Unter Entwicklungsrestriktionen werden Nutzungen oder Einwirkungen verstanden, die in einem überschaubaren Zeitraum (ca. 20-30 Jahre) nicht veränderbar sind und die Entwicklung des Gewässers deutlich behindern. Beispiele für Faktoren, die die Gewässerentwicklung einschränken, sind in Abb. 10 zusammengestellt.
Mögliche Restriktionen der Gewässerentwicklung:
A. Räumliche Restriktionen: • Siedlungsflächen, z.B. Wohn- und Gewerbeflächen, Sondernutzungen; • Übergeordnete Infrastruktur, z.B. Strassen und Eisenbahnlinien, Versorgungsleitungen; • Hochwasserdämme zum Schutz von Siedlungsflächen und Nutzungen mit vergleichbarem Schutzbedarf,
soweit sie in ihrer Lage als unveränderlich gelten; • Altlasten, soweit ihre Sanierung unverhältnismässig wäre; • Bauwerke am Gewässer, z.B. grössere Brücken, ARAs, Wasserkraftwerke, Hochwasserrückhaltebecken; • Bauwerke und Einrichtungen im Gewässerumfeld, z.B. Einzelgebäude, Leitungsmasten; • Grundwasserschutzzonen, sofern sie die Gewässerentwicklung einschränken.
B. Hydrologische Restriktionen: • Beeinträchtigungen des Abflussregimes, z.B. Restwasserstrecke, Schwall-Sunk; • Beeinträchtigungen des Feststoffregimes, z.B. Geschiebesperre, Geschiebesammler; • Beeinträchtigungen des natürlichen Fliessregimes, z.B. Rückstaubereich, Stauwehr.
Abb. 10: Mögliche Restriktionen der Gewässerentwicklung
Die Entwicklungsrestriktionen werden zusammen mit den Defiziten im Gelände er-hoben, wobei zwischen räumlichen und hydrologischen Restriktionen unterschieden wird. Die Analyse von Restriktionen bildet die Grundlage für die Bestimmung der Entwicklungsziele (Kap. 4.1). Dazu wird der Anteil des Gewässerraums oh-
Künstlich eingetiefte Gewässerstrecken
Verlegte Gewässerstrecken
Restriktionen: Grundlage für die Bestimmung der Entwicklungsziele
38 Ökomorphologie Stufe S
ne Restriktionen für jeden Abschnitt aus der Feldkarte geschätzt. Dabei wird zwi-schen Restriktionen in der minimalen Uferbereichsbreite, der Biodiversitätsbreite und der Pendelbandbreite unterschieden. Der Anteil Restriktionen wird für die bei-den Gewässerseiten zusammengefasst und gemittelt. Bei den in Baugebieten ent-lang von Fliessgewässern vorhandenen Grünbereichen (z.B. Privatgärten, Obstanla-gen, unversiegelte Freiflächen oder Strassenborde) ist der Spielraum für mögliche Gewässeraufwertungen zu berücksichtigen. In solchen Fällen lassen sich oft auch im Siedlungsraum wasserbauliche Massnahmen mit deutlichen ökomorphologi-schen Verbesserungen des Gewässers realisieren.
3.8 Zusammenfassende Defizitanalyse
3.8.1 Zusammenführen der Einzelbewertungen
Die Teilbewertungen aus den vorhergehenden Abschnitten werden zusammenge-fasst, um die wichtigsten Defizite und die wesentlichen Ansatzpunkte für Aufwer-tungsmassnahmen deutlich zu machen. Zusammenfassend werden in der Defizit-analyse folgende Gesamtwerte gebildet:
• Gewässerstruktur, • Gewässerraum, • Durchgängigkeit.
Die Defizite von Struktur und Raum werden pro Abschnitt aggregiert, die Bewer-tung der Durchgängigkeit wird direkt übernommen. Die drei Gesamtwerte werden bewusst nicht weiter zusammengefasst. Dies bringt keinen zusätzlichen Nutzen, da zu viele Informationen verloren gingen.
Durch einzelne Faktoren verursachte ökomorphologische Defizite können in ihrer Wirkung nicht durch andere Faktoren ausgeglichen werden. Beispielsweise kann eine naturnahe Uferböschung nicht eine verbaute Sohle kompensieren. Solche Defi-zite schränken als begrenzende Faktoren die Funktionsfähigkeit des ganzen Ab-schnitts ein. Aus diesem Grund gilt für das Zusammenführen der Teilbewertungen folgende Regel:
Der schlechteste Teilwert bestimmt den Gesamtwert der öko-morphologischen Gewässereigenschaft.
Die Einstufung der Defizite in Klassen wird ergänzt durch eine verbale Beurteilung. Hier fliessen auch Informationen über fakultative Zusatzparameter ein. In der ver-balen Beurteilung ist zudem die Zusammenführung der Teilwerte auf ihre Plausibi-lität zu überprüfen.
Aggregierungsregel Defizitanalyse
3. Defizitanalyse 39
Aggregierungsregel: Schlechtester Teilwert =
Gesamtwert
Aggregierungsregel: Schlechtester Teilwert =
Gesamtwert
Klassen
Struktur
Sohle I-II III IV V
Böschungsfuss links I-II III IV V
Böschungsfuss rechts I-II III IV V
Gerinne I-II III IV V
Gesamtwert Struktur I-II III IV V
Raum
Uferbereich links* I II III IV V
Uferbereich rechts* I II III IV V
* Breite und Beschaffenheit
Gesamtwert Gewässerraum I II III IV V
Durchgängigkeit
Durchgängigkeitsstörungen I-II III-IV V
Abb. 11: Zusammenfassende Defizitanalyse
3.8.2 Darstellung der Defizite
Die Ergebnisse der Defizitanalyse können auf verschiedenen räumlichen Ebenen dargestellt werden:
Gewässerabschnitte und Längsvernetzung: Darstellung der Defizite in Karten (Massstab 1:2’500 bis 1:10’000), ergänzt durch Tabellen. Die wichtigsten Defizite können besonders hervorgehoben, Entwicklungsrestriktionen können ergänzt wer-den.
Ganzes Gewässersystem: In einer Übersicht können die wesentlichen ökomorpho-logischen Defizite des gesamten Systems zusammengefasst werden. (z.B. Massstab 1:25'000). Je nach Fragestellung können andere Darstellungen verwendet werden.
40 Ökomorphologie Stufe S
Abb. 12: Darstellung der Defizite (Defizitkarte)
Beispiel für die kartographische Darstellung der Defizite gemäss Stufe S am Unterlauf der Chise (Kt. BE). Die Defizite von Struktur und Raum sind als parallele Linien zum Gewässerlauf, die Durchgängig-keitsstörungen als Balken quer zum Gewässerlauf dargestellt. Ergänzend ist auf dem Gewässerlauf die Klassifizierung gemäss Stufe F gezeigt.
4. Entwicklungsziel 41
Nach Abschluss der Defizitanalyse liegen alle Informationen vor, um Massnahmen zur ökomorphologischen Aufwertung der untersuchten Gewässer zu erarbeiten. Die für solche Massnahmen zur Verfügung stehenden Mittel sind jedoch in aller Regel knapp. Es ist daher unumgänglich, die vorhandenen Mittel so einzusetzen, dass der ökologische Nutzen möglichst gross ist. Dies kann ausgehend von der Defizitanaly-se weitgehend auf der Basis einer Experteneinschätzung geschehen. Zunehmend wird im Rahmen von Planungsprozessen jedoch der Ruf nach nachvollziehbaren und transparenten Entscheidungsgrundlagen laut. In den folgenden Kapiteln wird daher aufgezeigt, wie in der Massnahmenplanung Prioritäten gesetzt werden kön-nen, um mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen einen möglichst grossen ge-wässerökologischen Nutzen zu erreichen.
Die Massnahmen und deren Prioritäten werden in drei Schritten erarbeitet:
• Bestimmung des Entwicklungsziels (Kap. 4) als maximal erreichbarer Gewäs-serzustand unter Berücksichtigung der Restriktionen.
• Bestimmung des ökologischen Nutzens (Kap. 5): Aus der Differenz zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel wird das Entwicklungspotenzial bestimmt. Durch die Verknüpfung mit der Bedeutung im Gewässersystem ergibt sich der ökologische Nutzen der Gewässerentwicklung.
• Massnahmenkonzept (Kap. 6): Erarbeiten eines Massnahmenkonzeptes für die Aufwertung des Gewässersystems. In Kombination mit dem ökologischen Nut-zen ergeben sich die Prioritäten für die einzelnen Massnahmen.
4.1 Bestimmung der Entwicklungsziele
Das Entwicklungsziel beschreibt den maximal erreichbaren ökomorphologischen Zustand des Gewässers unter Berücksichtigung der Restriktionen. Die öko-morphologische Aufwertung eines Fliessgewässers hat zum Ziel, die bestehenden ökomorphologischen Defizite des Gewässer zu verringern. Dabei soll sich das Gewässer in Richtung Referenzzustand entwickeln, auch wenn dieser aufgrund der Restriktionen nur selten erreicht wird. Um das Entwicklungsziel mit den aktuellen Defiziten vergleichen zu können, wird der Defizitbegriff auch bei der Bestimmung der Entwicklungsziele verwendet.
Die Entwicklungsziele für den Gewässerraum und davon abhängig die Gewässer-struktur werden nach der Feldbegehung festgelegt, während für Durchgängigkeits-störungen die Entwicklungsziele bereits im Feld definiert werden.
Die Entwicklungsziele werden analog zur Defizitanalyse beurteilt, um diese mit dem Ist-Zustand vergleichen zu können. Dabei werden dieselben Klassen und Ag-gregierungsregeln verwendet wie in der Defizitanalyse. Diese können im Einzelfall an die Situation angepasst werden. Wo es nicht möglich ist, ein Entwicklungsziel festzulegen, wird die Klasse „?“ vergeben. Abschnitte, Durchgängigkeitsstörungen
4 Entwicklungsziel
Entwicklungsziel: maximal erreichbarer ökomorphologischer Zustand des Gewässers
42 Ökomorphologie Stufe S
oder Mündungsbereiche ohne Defizit werden mit „I“ bewertet. Für eingedolte Ab-schnitte über 25 m Länge werden keine Entwicklungsziele bestimmt (vgl. Kap. 5.1).
4.2 Entwicklungsziel Gewässerraum
Der Gewässerraum ist die bestimmende Grösse für die Entwicklung von Gewäs-sern1 und ist für die Gewässerstruktur von grosser Bedeutung. Daher wird zuerst das Entwicklungsziel für den Gewässerraum ermittelt und das Ziel für die Gewässer-struktur davon abgeleitet.
Massgebend für das Entwicklungsziel Gewässerraum ist der Anteil des Abschnitts, der weitgehend frei von Restriktionen im Gewässerraum (Minimale Uferbereichs-breite, Biodiversitätsbreite und Pendelbandbreite) ist. Da in der Kulturlandschaft meist gewisse Restriktionen vorhanden sind, muss der Abschnitt zu 90% frei von Restriktionen sein. Die linke und rechte Uferseite werden zusammengefasst, da für die Entwicklung des Gewässers der gesamte zur Verfügung stehende Gewässer-raum relevant ist. Die Beschaffenheit des Uferbereichs wird nicht berücksichtigt, da dieser in der Regel gewässergerecht gestaltet werden kann.
Tab. 7: Entwicklungsziel Gewässerraum
1) sowie in V-Tälern und in Schluchten 2) Anteil des Uferbereichs, der frei von Restriktionen sein muss. Da in der
Kulturlandschaft meist gewisse Restriktionen vorhanden sind, muss der Abschnitt zu 90% frei von Restriktionen sein.
- wird nicht vergeben
1 Vgl. dazu BUWAL/BWG (Hrsg.) 2003: Leitbild Fliessgewässer Schweiz.
I
ohne Defizit
II geringes Defizit
III mässiges Defizit
IV grosses Defizit
V sehr grosses
Defizit natürliche Sohl-breite < 1m 1)
minimale Ufer-bereichsbreite 2)
- -
Sohlbreite 1 – 6 m
Biodiversitäts-breite
minimale Ufer-bereichsbreite
-
Sohlbreite > 6 m
Pendelbandbrei-te
Biodiversitäts-breite
minimale Ufer-bereichsbreite
Uferbereich vorhanden, aber kleiner als mi-nimale Uferbe-reichsbreite
kein Ufer-bereich, keine Entwicklung möglich
Wie viel Raum kann dem Gewässer zur Verfügung gestellt werden?
4. Entwicklungsziel 43
4.3 Entwicklungsziel Gewässerstruktur
Das Entwicklungsziel für die Gewässerstruktur wird vom Entwicklungsziel für den Gewässerraum beeinflusst. Analog zur Defizitanalyse werden Sohle, Böschungsfuss und Gerinne separat beurteilt. Dazu wird der bestmögliche Zustand in Abhängigkeit vom Entwicklungsziel für den Gewässerraum abgeschätzt.
Tabelle 8 stellt den Beurteilungsrahmen für das Entwicklungsziel Gewässerstruktur dar. Die Beurteilung geht davon aus, dass die Struktur – auch bei stark beeinträch-tigten Gewässern - mindestens um eine Klasse verbessert werden kann.
Tab. 8: Entwicklungsziel Gewässerstruktur
- wird nicht vergeben (Bei der Sohle sollte eine Verbauung <10% erreichbar sein.) 2) Bei der Struktur des Böschungsfusses werden beide Uferseiten zusammen betrachtet.
Günstige Raumverhältnisse auf einer Uferseite sollten eine Verlagerung des Gerinnes in diese Richtung ermöglichen, so dass der Sicherungsbedarf für beide Ufer verringert werden kann.
Bei der Gewässersohle sollte eine Verbauung < 10% in der Regel erreichbar sein (Klasse III), ausser in Spezialfällen, wo eine Aufwertung nicht möglich ist (Klasse V). Eine Strukturanreicherung durch Totholz ist bei den meisten Gewässern mög-lich. Dies gilt nur bedingt, falls die Gefahr von Verklausungen besteht, z.B. bei Siedlungen, Kraftwerken oder Brücken. Auch hydrologische Restriktionen üben ei-nen Einfluss auf die Entwicklung des Gerinnes aus. Ein erhebliches Geschiebedefi-zit oder Rückstau schränken die Entwicklungsmöglichkeiten stark ein.
I - II
ohne - gerin-ges Defizit
III mässiges Defizit
IV grosses Defizit
V sehr grosses
Defizit
? keine Beurtei-lung möglich
künstliche Befestigungen
keine max. 10% Sohle max. 30% der U-ferlänge
Sohle > 10%, Ufer > 30%, jedoch unvoll-ständig bzw. z.T. durchlässig
nahezu voll-ständig bzw. undurchlässig befestigt
Struktur Sohle Gewässerraum
I-III Gewässerraum IV-V
-
Böschungsfuss 2) Gewässerraum I-III
Gewässerraum IV und max. 30% mit U-ferbefestigung
Gewässerraum IV (übrige Fälle) und Gewässerraum V
Gerinne Gewässerraum I-III und keine hydrol. Defizite
Gewässerraum I-III und erhebliche hydrol. Defizite
Gewässerraum IV-V (unabhängig von Hydrologie)
Spezialfälle (keine Entwick-lung möglich)
Entwicklungs- möglichkeit unsicher
Wie stark kann die Gewässerstruktur aufgewertet werden?
44 Ökomorphologie Stufe S
4.4 Entwicklungsziel Längsvernetzung
Das Entwicklungsziel für Durchgängigkeitsstörungen wird während der Datener-hebung im Feld festgelegt.
Tab. 9: Entwicklungsziel Durchgängigkeit
I - II
ohne - geringes Defizit
III - IV mässiges - gros-
ses Defizit
V sehr grosses
Defizit
? keine Beurteilung
möglich Durchgängigkeitsstörungen Natürliche Längsvernetzung
unbeeinträchtigt z.T. eingeschränkt sehr stark beein-trächtigt oder feh-lend
Durchgängigkeit für Schwimmschwache Arten: Kleinfische, Wirbellose Schwimmstarke Arten z.B. adulte Salmoniden
ja ja
nein ja
Hydrolog. Defizite (Schwall-, Restwasserstrecke, Rückstau)
keine keine erheblichen Beeinträchtigungen
Ist-Zustand V, kann nicht ver-bessert werden
Entwicklungs-möglichkeit unsicher
Bei Durchgängigkeitsstörungen ist in erster Linie auf Restriktionen im unmittel-baren Umfeld des Bauwerks zu achten. Falls es die Randbedingungen zulassen, sollte als Entwicklungsziel die Klasse I-II festgelegt werden. Eine Vergabe der Klasse III oder IV ist nur sinnvoll, wenn der Ist-Zustand mit III-IV bewertet wurde und keine Entwicklung möglich ist.
Bei Mündungsbereichen sind analog zur Defizitanalyse die Möglichkeiten zur Aufwertung der Struktur und zur Wiederherstellung der Durchgängigkeit zu be-rücksichtigen.
In welchem Mass kann die Längsvernetzung des Gewässers verbessert werden?
5. Ökologischer Nutzen 45
Die Differenz zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel wird als Entwick-lungspotenzial bezeichnet. Aus der Verknüpfung des Entwicklungspotenzials mit der Bedeutung der jeweiligen Abschnitte oder Durchgängigkeitsstörungen im Ge-wässersystem ergibt sich der ökologische Nutzen der Gewässerentwicklung.
Das Ziel dieser Methode ist es, neben der Analyse der ökomorphologischen Defizi-te Hinweise für die Erarbeitung eines Massnahmenkonzeptes zur Aufwertung von Fliessgewässern bereitzustellen. Die für die Revitalisierung von Gewässern zur Verfügung stehenden Mittel sind so einzusetzen, dass daraus der grösstmögliche gewässerökologische Nutzen entsteht. Dazu ist es unabdingbar, jene Abschnitte o-der Stellen zu eruieren, die bei der Planung von Massnahmen prioritär zu behandeln sind. Im Folgenden wird eine mögliche Vorgehensweise skizziert.
5.1 Entwicklungspotenzial
Das Entwicklungspotenzial ergibt sich aus der Differenz zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel. Damit wird ausgedrückt, wie hoch die Aufwertung eines Gewässers sein könnte. Auf diese Weise beeinflusst die Spanne der Aufwertung zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel die Prioritätensetzung und nicht der maximal erreichbare Zustand. Das Entwicklungspotenzial wird für Gewässerraum, -struktur und Durchgängigkeit getrennt bestimmt (vgl. Abb. 13).
Beurteilungsklassen
Ist-Zustand I II III IV V Entwicklungsziel I II III IV V Differenz Ist-Zustand - Entwicklungsziel 3 – 4 1.5 – 2.5 0.5 - 1 0 -
Entwicklungspotenzial gross mittel gering kein ?
Beispiel für den Gewässerraum
Abb. 13: Ermittlung des Entwicklungspotenzials am Beispiel des Gewässerraums Während sich für den Gewässerraum und die Durchgängigkeit jeweils eine Einstu-fung ergibt, liegen für die Gewässerstruktur drei Einstufungen für Sohle, Bö-schungsfuss und Gerinne vor. Wie bei der Defizitanalyse (s. Kap. 3.8) werden diese zu einem Wert zusammengeführt. Dabei bestimmt jedoch das höchste Entwick-lungspotenzial den Gesamtwert. Damit soll die maximal mögliche Aufwertung zum Ausdruck gebracht werden.
5 Ökologischer Nutzen
Entwicklungspotenzial: Differenz zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel
Aggregierung wie bei der Defizitanalyse
46 Ökomorphologie Stufe S
Die Aggregierung bei der Defizitanalyse hat dadurch eher „pessimistischen“, beim Entwicklungspotenzial eher „optimistischen“ Charakter.
Eingedolte Abschnitte über 25 m Länge ohne wesentliche Entwicklungsrestriktio-nen haben generell ein hohes Entwicklungspotenzial. Bei eingedolten Abschnitten im Siedlungsraum kann das Entwicklungspotenzial in der Regel nicht beurteilt (Klasse „?“). Ausdolungen im Siedlungsbereich sind jedoch z.T. im Zusammen-hang mit Hochwasserschutzprojekten oder anderen Bauprojekten möglich.
5.2 Bedeutung im Gewässersystem
In diesem Schritt wird die Bedeutung von Abschnitten, Durchgängigkeitsstörungen und Mündungsbereichen für das gesamte Gewässersystem untersucht. Bei Gewäs-serabschnitten wird geprüft, ob ihnen aufgrund ihrer Lage oder besonderen Cha-rakteristik eine übergeordnete Stellung im Gewässersystem zukommt. Bei Durch-gängigkeitsstörungen wird die Bedeutung für die Längsvernetzung ermittelt. Ins-besondere bei Mündungen ist der Durchgängigkeit eine besondere Bedeutung beizumessen. Für die Beurteilung der Bedeutung im Gewässersystem wird keine formalisierte Methode vorgegeben, sie ist an die spezielle Situation des Gewässers anzupassen. Im Folgenden werden einige Anhaltspunkte gegeben (vgl. Abb. 14):
Gewässerabschnitte haben eine besondere Bedeutung für das Gewässersystem, wenn sie unmittelbar an lange, defizit- oder restriktionsfreie Strecken oder an Mün-dungsbereiche angrenzen. Sie können aber auch landschaftlich eine besondere Be-deutung haben, z.B. bei Gewässern, die die Landschaft wesentlich prägen oder Ge-wässerstrecken mit intakten Auen. Spezielle und seltene Gewässertypen wie Moor-bäche, periodisch trocken fallende Bäche oder Seeausflüsse sind ebenfalls zu berücksichtigen. Eine grosse Bedeutung liegt immer vor, falls geschützte oder schutzbedürftige gewässertypische Arten vorkommen oder beeinflusst werden.
Bei Durchgängigkeitsstörungen ist die Lage im Vergleich zu natürlichen Störun-gen, zu Mündungsbereichen und im Gesamtsystem wichtig. Eine Lage unterhalb der untersten, natürlichen Durchgängigkeitsstörung erhöht die Bedeutung der Stö-rung, ebenso eine grosse Länge der abgetrennten Gewässerstrecke.1 Die Bedeutung von Durchgängigkeitsstörungen ist in Flachstrecken mit höherer, natürlicher Längs-vernetzung prinzipiell grösser als in Steilstrecken, die stärker durch natürliche Durchgängigkeitsstörungen geprägt sind.
Die Bedeutung von Mündungsbereichen hängt von der Länge2 des einmündenden Nebengewässers und der Häufigkeit von Mündungen im Gewässersystem ab. Je grösser das einmündende Gewässer und je geringer der Grössenunterschied zwi-
1 vgl. AQUAPLUS 1998: 7 2 SCHOLLE u. SCHUCHARDT 1996:290
Eingedolte Abschnitte
Bedeutung von Gewässerabschnitten
Bedeutung von Durchgängigkeits-störungen
Bedeutung von Mündungsbereichen
5. Ökologischer Nutzen 47
schen Haupt- und Nebengewässer ist, desto grösser ist die Bedeutung des Mün-dungsbereichs (z.B. als Refugialhabitat) für das Hauptgewässer.1
Abb. 14: Bedeutung im Gewässersystem
Beispiel für die Bedeutung von Abschnitten und Durchgängigkeitsstörungen im Gewässersystem. Die Bedeutung von Abschnitten und Durchgängigkeitsstörungen ist an einigen ausgewählten Abschnitten und Durchgängigkeitsstörungen (jeweils rot markiert) illustriert. Naturnahe Abschnitte sind dunkelblau gezeichnet.
1 SCHOLLE u. SCHUCHARDT 1996:290; REY et al. 1991:454.
48 Ökomorphologie Stufe S
Die Bedeutung von Gewässerabschnitten und Durchgängigkeitsstörungen im Ge-wässersystem wird in folgenden vier Klassen eingestuft (Tab. 10):
Tab. 10: Bedeutung im Gewässersystem
Bedeutung im Gewässersystem
Beschreibung
überregional Herausragende Bedeutung für das ganze Gewässersystem, z.B. Mündungsbereich Hauptgewässer, Abschnitte mit in-ventarisierten Auen
regional Regionale Bedeutung für das Gewässersystem, d.h. die Be-deutung geht über das unmittelbare räumliche Umfeld hin-aus, z.B. „talprägendes“ Gewässer
lokal Lokale Bedeutung für das Gewässersystem, welche auf die unmittelbare Örtlichkeit beschränkt ist, z.B. Seitenbäche
gering geringe Bedeutung für das Gewässersystem, z.B. kleine, steile Seitenbäche
5.3 Bestimmung des ökologischen Nutzens
Der Nutzen einer ökomorphologischen Aufwertung ergibt sich aus der Verknüp-fung des Entwicklungspotenzials und der Bedeutung im Gewässersystem mit der Matrix in Tab. 12. Der ökologische Nutzen von Massnahmen ist umso höher, je grösser das Entwicklungspotenzial und je wichtiger der Abschnitt für das Gesamt-system ist. Der ökologische Nutzen wird in die drei Klassen "gross", "mittel" oder "gering" eingeteilt. Wenn das Entwicklungspotenzial nicht geklärt werden konnte oder mit „0“ eingestuft wurde, erfolgt eine gesonderte Einstufung (vgl. Tab. 11).
Tab. 11: Ökologischer Nutzen
Ökologischer Nutzen
Beschreibung
gross grosser ökologischer Nutzen für das gesamte Gewässersystem
mittel mittlerer ökologischer Nutzen, der über den Abschnitt hinaus-reicht
gering geringer ökologischer Nutzen, der auf den Abschnitt be-schränkt ist
0 keine ökomorphologische Entwicklung möglich
? ökologischer Nutzen der Entwicklung ist unklar
Einstufung Bedeutung im Gewässersystem
5. Ökologischer Nutzen 49
Die Matrix in Tab. 12 illustriert die Verknüpfung von Entwicklungspotenzial und Bedeutung im Gewässersystem. Der ökologische Nutzen wird für Gewässerab-schnitte und Durchgängigkeitsstörungen getrennt ermittelt (s. Anhang Abb. A1).
Tab. 12: Matrix zur Bestimmung des ökologischen Nutzens
Das Entwicklungspotenzial wurde in Kapitel 4.2 getrennt für Gewässerstruktur und -raum ermittelt. Da der Nutzen einer Aufwertung nur für einen Abschnitt als Gan-zes ermittelt werden kann, wird lediglich der höhere Wert für das Entwicklungspo-tenzial von Abschnitten einbezogen. Damit kann der maximale Nutzen einer Auf-wertung zum Ausdruck gebracht werden („optimistische Betrachtung“, s. Kap. 5.1).
Bedeutung im Gewässersystem Ökologischer Nutzen überregional regional lokal gering
gross gross gross mittel mittel
mittel gross mittel mittel gering
gering mittel gering gering gering
0 0 0 0 0
Ent
wic
klun
gspo
tenz
ial
? ? ? ? ?
50 Ökomorphologie Stufe S
6. Massnahmenkonzept 51
Im letzten Schritt der Methode wird ein Massnahmenkonzept für die Aufwertung des Gewässersystems erstellt. Aus den Ergebnissen der vorherigen Schritte werden Handlungsfelder zur Behebung der Defizite und konkrete Vorschläge für Mass-nahmen abgeleitet. Durch die Verknüpfung mit dem ökologischen Nutzen ergeben sich die Prioritäten für die einzelnen Massnahmen. Bei der Massnahmenkonzepti-on sind Fachleute aus dem Bereich Wasserbau beizuziehen.
Das Massnahmenkonzept soll eine schlüssige, koordinierte Planung ermöglichen, die verhindert, dass nicht abgestimmte Einzelmassnahmen realisiert werden. Das Massnahmenkonzept muss auf die Beseitigung der wesentlichen ökomor-phologischen Defizite ausgerichtet sein. Bei der Aufstellung des Konzepts und der Auswahl der Massnahmen sollen folgende Grundsätze berücksichtigt werden:
1. Naturnahe Morphologie! Ziel jeder Entwicklung sind Gewässer mit naturnaher, typspezifischer Mor-phologie und Hydrodynamik, die ihre Funktion als Habitate für naturnahe, standortgerechte Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren erfüllen kön-nen.
2. Mehr Raum den Fliessgewässern! Ein ausreichender Gewässerraum ist der Schlüsselfaktor für die ökomorpho-logische Entwicklung. Die Schaffung eines genügend grossen Gewässerraumes hat Vorrang. Der Gewässerraum ist planerisch und eigentumsrechtlich zu si-chern.
3. Dynamik ermöglichen! Die Gewässerdynamik und Eigenentwicklung ist zuzulassen und zu fördern. Auch bei baulichen Massnahmen ist dem natürlichen Charakter des Fliessge-wässers Rechnung zu tragen, die natürlichen, gestaltenden Kräfte des Gewässers sind zu berücksichtigen. Sicherungsbauwerke sind auf schutzwürdige Bereiche zu beschränken, dabei sind ingenieurbiologische Bauweisen und natürlich vor-kommende Materialien zu bevorzugen.
4. Gewässer durchgängig machen und vernetzen! Die Durchgängigkeit der Gewässer in Längsrichtung soll wieder hergestellt werden. Ebenso ist die Vernetzung der Gewässer mit dem Umland und die Durchlässigkeit des Sediments zu verbessern. Überschwemmungs- und Auen-bereiche sind zu erhalten oder wieder herzustellen.
5. Zeit für Entwicklung lassen! Eine naturnahe Gewässerentwicklung benötigt Zeit. Die sukzessive Entwick-lung des Gewässers hat Vorrang vor der kurzfristigen Herstellung angestrebter Zustände. Die Vegetationsentwicklung soll durch Sukzession erfolgen.
6 Massnahmenkonzept
52 Ökomorphologie Stufe S
6.1 Schwerpunkte für Massnahmen
In Kapitel 4 wurden die Entwicklungsziele für Gewässerabschnitte und Durchgän-gigkeitsstörungen abgeschätzt. Den einzelnen Entwicklungszielen werden nun kon-krete Handlungsschwerpunkte zugeordnet (Tab. 13).
Die Handlungsschwerpunkte können auch räumlich zusammengefasst werden, bei kleineren Gewässern sogar für das gesamte System. Bei grösseren Gewässern soll-ten wie bei der Defizitanalyse Teilstrecken gebildet werden, wobei folgende Aspek-te zu berücksichtigen sind:
• Räumliche Schwerpunkte für bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten • Ähnlichkeit von benachbarten Gewässerabschnitten • Grösse des Gewässersystems und Anzahl der Abschnitte
Aus den Handlungsschwerpunkten werden die notwendigen Massnahmen abgelei-tet. Die Methode Stufe S soll dazu dienen, ein Massnahmenkonzept für ein ganzes Gewässersystem zu erarbeiten. Dabei können die Einzelmassnahmen nur grob skiz-ziert werden. Die detaillierte Massnahmenplanung und die Abstimmung mit ande-ren Interessen und Betroffenen bleiben der nachfolgenden Planung vorbehalten. Bei der Erstellung des Massnahmenkonzepts sind grundsätzlich wasserbauliche Fach-leute beizuziehen.
Die Massnahmen werden getrennt nach Abschnitten und Durchgängigkeitsstörun-gen ausgearbeitet. Bei den abschnittsbezogenen Massnahmen werden alle Mass-nahmen in einem Abschnitt zusammengefasst. Die vorgeschlagenen Massnahmen sollen:
• sich am Entwicklungsziel orientieren, • die Bedeutung und Lage im Gewässersystem berücksichtigen, • sich an den fachlichen Grundsätzen ausrichten.
Um den Arbeitsaufwand zu begrenzen kann die Konzeption der Massnahmen auf Bereiche mit hohem ökologischen Nutzen beschränkt werden.
Unter Umständen können sich Konflikte zwischen verschiedenen Teilzielen der ö-komorphologischen Entwicklung ergeben, wenn z.B. für die Aufwertung des Ge-rinnes in ein wertvolles Ufergehölz eingegriffen werden müsste. Solche Zielkon-flikte erfordern eine fachliche Abwägung im Rahmen des Massnahmenkonzepts. Dabei sind auch Ergebnisse anderer Module zu berücksichtigen.
Bestimmen von Handlungsschwerpunkten
Erarbeiten eines konkreten Massnahmen-konzeptes
6. Massnahmenkonzept 53
Tab. 13: Handlungsschwerpunkte und Massnahmentypen
Erhalt Ist-Zustand E1 Uneingeschränkter Erhalt naturnaher Gewässerabschnitte R1 Sicherung des Gewässerraums in erforderlicher Breite R2 Extensivierung/Anpassung von Nutzung und Unterhalt
Raumentwicklung
R3 Rückversetzen Dämme Dy Dynamisierung fördern (passiv, ev. mit Initialmassnahmen) Dy1 Zerfallenlassen von Uferverbauungen Dy2 Totholz belassen und evt. sichern Dy3 Einbringen von Totholz, Störsteinen, etc. S Aufwertung Sohlstruktur S1 Rückbau von Sohlverbauungen S2 Verhindern von Sohleintiefung U Uferaufwertung (aktive Massnahmen) U1 Rückbau von (harten) Uferverbauungen U2 Notwendige Ufersicherung durch geeignete Bauweisen (z. B.
Buhnenverbau)
Strukturentwicklung
U3 Gestaltung Böschungen (Abflachungen, Ausbuchtungen etc.) G1 Gerinneaufweitung G2 Seitenarm anlegen, Altarm anbinden G3 Gerinneumgestaltung innerhalb Gewässerbett G4 Ausdolung
Gerinneaufwertung
G5 Neues Gerinne, Verlegung Bachlauf D Durchgängigkeit D1 Rückbau von Durchgängigkeitsstörungen D2 Umbau von Abstürzen zu rauhen Rampen, Optimierung von
Durchlässen und Rampen D3 Bau von naturnahen Umgehungsgerinnen D4 Bau eines technischen Fischpasses D5 Zerfallenlassen von Hindernissen M Mündungsbereiche M1 Aufwertung Mündungsbereich (z.B. Aufweitung) Q Quervernetzung Q1 Schaffung bzw. Reaktivierung von Überschwemmungsflächen
Förderung Vernetzung
Q2 Entwicklung von Sukzessionsflächen, Feuchtgebieten und standortgerechter Vegetation
A Sanierung Abflussregime A1 Gewährleistung eines ausreichenden Mindestabflusses mit ge-
wässertypischen Abflussdynamik A2 Dynamisierung der Staukoten Ge Sanierung Geschieberegime Ge1 Geschiebetransport ermöglichen Ge2 Geschiebemobilisierung ermöglichen (z.B. Rückbau Ufersiche-
rung, Geschiebequellen erschliessen)
Sanierung Hydrologie
Ge3 Künstlicher Geschiebeeintrag
54 Ökomorphologie Stufe S
6.2 Prioritäten von Massnahmen aus ökologischer Sicht
Die Methode liefert ein Massnahmenkonzept für die Aufwertung von Fliessgewäs-sern und setzt Prioritäten aus ökologischer Sicht. Um die Prioritäten der Massnah-men festzulegen werden die vorgeschlagenen Massnahmen in Bezug gesetzt zum ökologischen Nutzen. Dieser ökologische Nutzen wurde in den vorhergehenden Schritten der Methode ermittelt (Kap. 5.3).
Die Priorisierung der Massnahmen aufgrund des ökologischen Nutzens erfolgt ge-mäss Tab. 14.
Tab. 14: Priorität von Massnahmen aufgrund des ökologischen Nutzens
ökologischer Nutzen
Priorität der Massnahmen
gross 1 Massnahmen mit einem grossen ökologischen Nutzen für das Gewässersystem, in erster Priorität zu realisieren
mittel 2 Massnahmen, deren ökologischer Nutzen über den Abschnitt hinausreicht in zweiter Priorität zu realisieren
gering 3 Massnahmen mit einem ökologischen Nutzen, der auf den Abschnitt beschränkt ist, niedrige Priorität
Massnahmen, deren ökologischer Nutzen unklar ist („?“, vgl. Kap. 5.3), erhalten keine Prioritäten. In der konkreten Projektierung sind neben den ökologischen As-pekten andere Kriterien wie Hochwasserschutz, Grundwasserschutz oder weitere Schutz- und Nutzinteressen ausschlaggebend dafür, welche Massnahmen am Ge-wässer realisiert werden können. Diese Abwägungen können im Rahmen dieser Methode nicht vorgenommen werden und bleiben der späteren Planung vorbehal-ten.
Bei der Umsetzung des Massnahmenkonzeptes im Rahmen eines konkreten Projek-tes entscheiden zu einem wesentlichen Teil die Kosten darüber, welche Massnah-men realisiert werden. Die Prioritäten aus ökologischer Sicht berücksichtigen die Kosten der Massnahmen nicht. Im Anhang zu diesem Kapitel wird ein Vorgehen vorgeschlagen, mit dem auf der Basis einer groben Kostenschätzung und eines Kos-ten – Nutzen Vergleiches Prioritäten für Massnahmen vergeben werden können.
6. Massnahmenkonzept 55
6.3 Plausibilitätsprüfung
Die Prioritäten für Massnahmen werden in der Methode in mehreren Schritten her-geleitet. Die vorgeschlagenen Prioritäten sollten daher auf ihre Plausibilität über-prüft werden. Folgende Aspekte sind zu berücksichtigen:
• Die Massnahmen sollen in erster Linie zur Beseitigung grosser Defizite im Gewässersystem beitragen.
• Schlüssigkeit im Gewässersystem (Zusammenhänge zwischen einzelnen Massnahmen): Massnahmen sollen nicht isoliert wirken, sondern im Verbund zur Aufwertung möglichst grosser Teile des Gewässersystems beitragen. Dabei ist zu berücksichtigen, wie sich benachbarte Aufwertungsmassnahmen gegensei-tig beeinflussen.
• Aspekte, die die Umsetzung von Massnahmen begünstigen, z.B. eine hohe Akzeptanz bei Beteiligten, publikumswirksame Massnahme (z.B. Vorzeigepro-jekt), öffentlicher Grundbesitz oder Finanzierung durch Dritte (z.B. Renatu-rierungsfonds).
6.4 Darstellung des Massnahmenkonzepts
Eine Darstellung des Massnahmenkonzepts in Objektblätter und in Karten ist zweckmässig:
Massnahmenplan: Der Plan zeigt alle Massnahmen und ihre Priorität im Massstab 1:2'500 – 1:10'000 (Abb. 15). Bereiche, in denen eine Vergrösserung des Gewässer-raums vorgeschlagen wird, werden hervorgehoben. Eine detaillierte Darstellung der Massnahmen mit Situationsplänen und Querprofilen erfolgt erst in der konkreten Projektplanung (Vor- oder Bauprojekt).
Objektblätter: Für jede Aufwertungsmassnahme wird ein Objektblatt erstellt. Es enthält neben einer Beschreibung der Massnahmen und deren Priorität auch die we-sentlichen Ergebnisse der vorherigen Methodenschritte. Weitere Angaben, z.B. zur Umsetzung und zu den Kosten, können in einem Feld „Bemerkungen“ gemacht werden. (Beispiel: Anhang, Abb. A2)
Übersichtsplan: Bei grossen Gewässersystemen ist eine übersichtliche Darstellung der prioritären Massnahmen im Massstab 1:10'000 bis 1:25'000 sinnvoll.
Plausibiltität der Massnahmen und Prioritäten im Gewässersystem überprüfen
56 Ökomorphologie Stufe S
Abb. 15: Beispiel für einen Massnahmenplan (Massstab 1:5'000)
Beispiel für die Darstellung des Massnahmenkonzeptes am Unterlauf der Chise (Kt. BE). Die Hand-lungsschwerpunkte sind als farbige, gewässerparallele Bänder eingezeichnet. Vorgeschlagene Mass- nahmen und deren Priorität sind dargestellt (Abkürzungen siehe Legende und Tab. 13)
6. Massnahmenkonzept 57
6.5 Hinweise zur Umsetzung
Mit dem Massnahmenkonzept und Prioritäten aus ökologischer Sicht ist die Unter-suchung eines Gewässers nach der Methode Stufe S abgeschlossen. Zur Umsetzung werden in diesem Zusammenhang nur noch einige Hinweise gegeben.
Das Massnahmenkonzept beinhaltet keine Abwägung mit anderen Planungen und Nutzungsinteressen. Bei der Umsetzung sind diese entsprechend zu berücksichti-gen, insbesondere wasserbauliche Planungen (Hochwasserschutz). In bestimmten Fällen sind Aspekte des Arten- und Biotopschutzes, des Landschafts- und Heimat-schutzes, des Umwelt- und besonders des Grundwasserschutzes relevant. In der weiteren Planung muss das Massnahmenkonzept mit diesen Belangen abgestimmt werden.
Die Umsetzung kann im Rahmen eines Gesamtprojekts (z.B. Hochwasserschutz-planung) oder durch verschiedene Akteure im Rahmen von Einzelprojekten erfol-gen. Im zweiten Fall kann das Konzept als „Massnahmenpool“ dienen, z.B. für
• Aktivitäten von Gemeinden, Naturschutz- und Fischereiverbänden, • Einzelmassnahmen zu Wasserbau- und Hochwasserschutzprojekten, • Massnahmen im Rahmen des Gewässerunterhalts, • Ersatzmassnahmen in Verbindung mit Art. 18 Abs. 1 NHG1.
Es muss vermieden werden, dass es nur zur Realisierung von wenig aufwändigen Einzelmassnahmen ohne räumlichen und funktionalen Bezug kommt. Darüber hin-aus sollten Synergien zwischen der Aufwertung der Fliessgewässer und der angren-zenden Landschaft (z.B. Landschaftsentwicklungskonzepte LEK) genutzt werden, um die Vernetzung zwischen Gewässer und Umgebung zu verbessern.
Schliesslich sollte in der Realisierungsphase beachtet werden, dass
• eine (gewässer-)ökologische Baubegleitung gewährleistet ist, • die Massnahmen in ein gewässerökologisch abgestimmtes Unterhaltskonzept
eingebettet werden, • die Umsetzung – wie schon die Planung – durch eine intensive Öffentlichkeits-
arbeit begleitet wird, um damit die öffentliche Akzeptanz der Massnahmen zu fördern.
1 vgl. KÄGI et al. 2001
Berücksichtigung des Hochwasserschutzes und anderer Schutzziele
Umsetzung in einem Gesamtprojekt oder in Einzel-projekten (Massnahmenpool)
58 Ökomorphologie Stufe S
7. Literatur 59
ADAM, B. u. SCHWEVERS, U. 1998: Fischaufstiegsanlagen als Wanderhilfen für a-quatische Wirbellose. Natur und Landschaft 73(6):251-255
AQUAPLUS 1998: Natur- und Lebensraumkonzept Reppisch. Unveröff. Studie i. A. der Baudirektion des Kantons Zürich.
BARBOUR et al. 1999: Rapid Bioassessment Protocol for Use in Streams and wade-able Rivers. US EPA. Washington DC.
BWG (BUNDESAMT FÜR WASSER UND GEOLOGIE) (Hrsg.). 2000: Raum den Fliessgewässern! Faltblatt, Bern.
BWG (BUNDESAMT FÜR WASSER UND GEOLOGIE) (Hrsg.). 2001: Hochwasser-schutz an Fliessgewässern. Wegleitung des BWG. Bern, 72 S.
BUWAL (BUNDESAMT FÜR UMWELT, WALD UND LANDSCHAFT) (Hrsg.) 1997: Einzelideen für Natur und Landschaft. Schriftenreihe Umwelt 281.
BUWAL (BUNDESAMT FÜR UMWELT, WALD UND LANDSCHAFT) (Hrsg.). 1998a: Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer: Öko-morphologie Stufe F (flächendeckend). Mitteilungen zum Gewässerschutz Nr. 27. Bern, 49 S.
BUWAL (BUNDESAMT FÜR UMWELT, WALD UND LANDSCHAFT) (Hrsg.). 1998b: Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer: Modul-Stufen-Konzept. Mitteilungen zum Gewässerschutz Nr. 26. Bern, 41 S.
BUWAL/BWG (Hrsg.) 2003: Leitbild Fliessgewässer Schweiz. Für eine nachhaltige Gewässerpolitik. Bern, 12 S.
GRAUTE, S. 2002: Evaluation von Fliessgewässer-Revitalisierungsprojekten unter be-sonderer Berücksichtigung der Erfolgskontrolle. Unveröff. Diplomarbeit Fach-hochschule Lippe und Höxter, Abt. Landschaftsarchitektur und Umweltplanung. 78 S. u. Anhang.
HÜTTE, M. 2000: Ökologie und Wasserbau. Ökologische Grundlagen von Gewässer-verbauung und Wasserkraftnutzung. Parey-Verlag, Berlin. 280 S.
HÜTTE, M.; BUNDI, U. u. PETER, A. 1994: Konzept für die Bewertung und Entwick-lung von Bächen und Bachsystemen im Kanton Zürich. Hrsg.: EAWAG u. Kan-ton Zürich, 133 S. und Anhang.
KÄGI, B.; STALDER, A. u. THOMMEN, M. 2002: Wiederherstellung und Ersatz im Natur- und Landschaftsschutz. Leitfaden Umwelt 11. Hrsg.: Bundesamt für Um-welt, Wald und Landschaft, Bern, 123 S.
KNIGHTON, D. 1998. Fluvial forms and processes: a new perspective. London. Ar-nold.
RENATURIERUNGSFONDS BERN. 2002: Renaturierungsfond des Kantons Bern: Report 1998 – 2001. Amt für Natur, Kanton Bern.
REY, P.; SCHRÖDER, P. u. TOMKA, I. 1991: Limnologische Austauschprozesse zwi-schen dem Rhein und seinen Zuflüssen. Mitteilungen der badischen Landesver-einigung für Naturkunde und Naturschutz N.F. 15(2): 453-465.
ROULIER, C. u. THIELEN, R. 2001: Auen und Pufferzonen. BUWAL-Faktenblatt Auen 4, Auendossier. 12 S.
SCHÄLCHLI, U. 2002: Innere Kolmation - Methoden zur Erkennung und Bewertung. Fischnetz-Publikation. EAWAG Dübendorf, pp. 22.
SCHERLE, J. 1999: Entwicklung naturnaher Gewässerstrukturen – Grundlagen, Leit-bilder, Planung. Mitteilungen des Institutes für Wasserwirtschaft und Kulturtech-nik der Universität Karlsruhe 199
7 Literatur
60 Ökomorphologie Stufe S
SCHOLLE, J. u. SCHUCHARDT, B. 1996: Nebenflüsse – ihre Bedeutung für die Re-generation der Biozönose des Hauptgewässers. In: J.L. Lozan u. H. Kausch (Hrsg.): Warnsignale aus Flüssen und Ästuaren. Parey-Verlag, Berlin.
SCHRÖDER, P. u. REY, P. 1991: Fliessgewässernetz Rhein und Einzugsgebiet. Institut für angewandte Hydrobiologie – Scientific Publications Vol. 1, Konstanz, Bern, Kassel, 236 S.
ZAUGG, C. 1997: Vernetzung bei Kleinwasserkraftwerken - Biologisches Kontinuum der Gewässer erhalten. Hrsg.: Bundesamt für Energiewirtschaft (BEW), Bern. 88 S.
ZAUGG, C. u. PEDROLI, J.-C. 1997: Fische und Kleinwasserkraftwerke. Kostengüns-tige Aufstiegshilfen für Fische und Kleinlebewesen. Hrsg.: Bundesamt für Ener-giewirtschaft (BEW), Bern. 101 S.
Anhang 61
zu Kap. 3.3 Beurteilung der Gewässerstruktur
Sohle
Bei fast allen Fliessgewässern besteht die Sohle natürlicherweise aus einem durch-lässigen, vom Flusswasser beeinflussten Sediment-Lücken-System. Die Gewässer-sohle wird durch Feststoffhaushalt, Sedimentations- und Erosionsprozesse sowie hydraulische Verhältnisse geprägt. Die Sohle besitzt als Grenzraum zwischen Ge-wässer und Grundwasser eine wichtige Funktion im Stoffhaushalt des Fliessgewäs-sers und stellt für viele Organismen einen (Teil-)Lebensraum dar.
Tab. A1: Verbauungsgrad der Sohle (gem. Stufe F)
Verbauungsgrad Sohle
Erscheinungsbild
ohne Verbauung Sohle ist gänzlich unverbaut
< 10% punktuelle Verbauungen, z.B. Schwellen
10 bis 30% mässige Verbauungen
30 bis 60% grössere Verbauungen
> 60% überwiegende Verbauungen
100% Sohle vollständig verbaut
Tab. A2: Verbauungsart der Sohle (gem. Stufe F)
Verbauungsart Sohle
Materialien und Struktur
Steinschüttung, Rauh-bett (durchlässig)
Anreicherung der Deckschicht mit Steinen oder Steinblöcken mit einer meist einheitlichen Korngrösse, welche das Fliessgewässer nicht mehr zu transportieren vermag (ohne Pflästerung).
Alle anderen Materia-lien (undurchlässig)
Gesetzte oder festverlegte Natursteine und Blöcke, Steinpflästerun-gen, Holzschwellen, Bretter, Baumstämme, vorgefertigte Betonele-mente mit Aussparungen, Betonschalen, Ortsbeton, Asphalt.
Böschungsfuss
Der Böschungsfuss besitzt als Grenzzone zwischen aquatischem und terrestrischem Bereich eine besonders grosse Bedeutung für den Lebensraum und den Austausch von Organismen zwischen beiden Medien. Er ist auch für den Stoffumsatz der Ge-
Anhang
62 Ökomorphologie Stufe S
wässer von hoher Bedeutung.1 Darüber hinaus haben unverbaute, erodierbare Ufer-bereiche eine wichtige Funktion für den Feststoffhaushalt.
Tab. A3: Verbauungsgrad des Böschungsfusses (gem. Stufe F)
Verbauungsgrad Böschungsfuss
Erscheinungsbild
ohne Verbauung Böschungsfuss ist durchgehend unverbaut
< 10% Punktuelle Verbauungen
10 bis 30% Mässige Verbauungen
30 bis 60% Grössere Verbauungen
> 60% Überwiegende Verbauungen
100% Böschungsfuss ist vollständig verbaut
Tab. A4: Durchlässigkeit des Verbauungsmaterials am Böschungsfuss (gem. Stufe F)
Durchlässigkeit Material Erscheinungsbild
durchlässig Lebendverbau ausschlagfähige Äste (meist Erlen oder Weiden) am Ufer befestigt
Natursteine locker ein- oder mehrreihige Ufersicherung mit grossen Steinen oder Steinblöcken (Blockwurf, Block-satz), Steine nicht behauen, Abstand zwischen den Steinen unregelmässig und grösser als bei Natursteinmauern
Holz Baumstämme, Rundhölzer, nicht ausschlag-fähige Äste u.a.
undurchlässig Betongittersteine vorgefertigte Betonelemente mit Aussparungen
Natursteine dicht Anordnung behauener, dicht gefugter Steine oder Natursteinmauer aus unbehauenen Steinen aber schmalen Zwischenräumen
Mauer Ortsbeton, Betonschalen, Steinpflästerung, As-phalt (dicht)
Andere Holzbretter oder andere undurchlässige Materia-lien
1 HÜTTE 2000: 86f
Anhang 63
zu Kap. 3.4 Beurteilung des Gewässerraums
Tab. A5: Beschaffenheit des Uferbereichs (gemäss Stufe F)
Beschaffenheit Nutzungstyp/Struktur Erscheinungsbild
gewässergerecht Kies/Geröll/Fels Standorte mit natürlicherweise geringer oder keiner Vegetation (vorwie-gend im Gebirge)
Röhricht/Ried geschlossener Gürtel
Wald geschlossener Wald bis an das Gewässer
Bäume/Sträucher mit extensiv bewirtschafteter Wiese oder Hochstauden
dichter und abwechslungsreicher Bestand (>25% der Fläche bedeckt) von einheimischen Gehölzarten, mit offenen Flächen extensiv bewirtschafteter Wiesen (höchstens zwei Schnitte pro Jahr) oder Hochstauden
gewässerfremd monotone Hochstaudenflur feuchtigkeits- und nährstoffliebende mehrjährige Kräuter bis 1m Höhe (z.B. Brennnessel, Bocksbart), Bestockung nur rudimentär
extensiv bewirtschaftete Wiese Wiese wird höchstens 2x pro Jahr geschnitten, ohne Bestockung (< 25%)
alleeähnliche Bestockung monotone, geradlinige Bepflanzung mit regelmässigen Abständen
künstlich Uferbereich vorhanden (schräge Böschung), aber vollständig verbaut; al-lenfalls ist eine Spaltenvegetation vorhanden.
zu Kap. 3.5 Beurteilung der Längsvernetzung
Die Längsvernetzung von Fliessgewässern ist Voraussetzung für die Ausbildung der typischen Lebensgemeinschaften. Sie ermöglicht eine Kompensation der Ab-drift, eine Wiederbesiedlung von Gewässerabschnitten nach Extremereignissen so-wie die Existenz von Arten mit grossen Raumansprüchen oder mit entwicklungsbe-dingtem Habitatwechsel (z.B. Laichwanderungen bei vielen Fischarten). Da auch natürliche Störungen der Durchgängigkeit vorkommen, ist die Durchgängigkeit und innere Vernetzung keine absolute Grösse, sondern abhängig vom Typ des Fliessge-wässers.
Die Bewertung von Durchgängigkeitsstörungen bezieht sich auf die potenzielle Be-einträchtigung der Migration oder Ausbreitung aquatischer Organismen. Den Fi-schen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, da hier der wissenschaftliche Kenntnisstand am grössten ist1 und Fische als vergleichsweise „barrieresensible“ Artengruppe stellvertretend für die meisten anderen aquatischen Organismen ste-
1 ADAM u. SCHWEVERS 1998:251
64 Ökomorphologie Stufe S
hen1. Bei der Bewertung werden auch Fischarten und Altersstadien berücksichtigt, die besonders „barrieresensibel“ sind wie schwimmschwache Kleinfische und Jung-fische.
Erhebung von aufeinander folgenden Durchgängigkeitsstörungen:
Falls natürliche oder anthropogene Durchgängigkeitsstörungen dicht aufeinander folgen, wird wie in Stufe F wie folgt vorgegangen:
• Bei dichten Folgen von natürlichen Abstürzen werden die nach Stufe F hierfür gebildeten Abschnitte übernommen. Der jeweils höchste natürliche Absturz wird zudem als einzelne Durchgängigkeitsstörung aufgenommen.
• Bei dichter Abfolge anderer Durchgängigkeitsstörungen (Abstand < 25 m) wird abweichend von Methode Stufe F wie bei natürlichen Abstürzen verfahren, um den Aufwand zu reduzieren.
Falls die Nummerierung der Durchgängigkeitsstörungen aktualisiert werden muss, sind auch die ursprünglichen Nummern nach Stufe F festzuhalten, um den Bezug zu den vorhanden Angaben sicherzustellen. Die unterste (mündungsnächste) natürliche Durchgängigkeitsstörung im Gewässersystem wird besonders vermerkt.
1 Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Unterbrechung des Fliessgewässerkontinuums für aquatische
Wirbellose geringere Auswirkungen als für Fischarten, da sie meist nur kleinere Ortsveränderungen durchführen und teilweise über Ausbreitungsmechanismen ausserhalb des aquatischen Milieus verfü-gen (ZAUGG 1997:6, 33)
Anhang 65
zu Kap. 5.3 Bestimmung des ökologischen Nutzens
Abb. A1: Bestimmung des ökologischen Nutzens
Bedeutung im Gewässersystem
Abschnitt: regional
D‘störung: regional
Entwicklungspotenzial
Struktur: mittel Raum: mittel
Durchg‘störung: gering
Ökologischer Nutzen
D‘störung: gering
Abschnitt: mittel
66 Ökomorphologie Stufe S
zu Kap. 6.2 Prioritäten von Massnahmen aus ökologischer Sicht
Prioritätensetzung durch Kosten - Nutzen Vergleich
Die Prioritäten der Massnahmen werden in der Methode allein über den ökologi-schen Nutzen festgelegt. Darüber hinaus werden jedoch in der konkreten Projektie-rung - neben anderen Kriterien - die Kosten wesentlich darüber entscheiden, welche Massnahmen realisiert werden können. Das im Folgenden skizzierte Vorgehen er-möglicht es, die Massnahmen aufgrund der Kosten zu priorisieren. Dabei ist zu be-achten, dass die Kosten für die Massnahmen nur im Kontext des jeweiligen Projek-tes grob geschätzt werden können. Bei der Kostenschätzung sind auf jeden Fall Fachleute aus dem Wasserbau beizuziehen.
Berücksichtigt werden in der Kostenschätzung Aufwendungen für Grunderwerb, Bau und Planung. Nicht berücksichtigt werden Kosten für Unterhalt sowie admi-nistrative Kosten (z.B. Öffentlichkeitsarbeit). Neben den Gesamtkosten für die ein-zelnen Massnahmen werden bei den abschnittsbezogenen Massnahmen auch die Kosten pro Laufmeter angegeben.
Die Kosten werden für den Nutzen-Aufwand-Vergleich in die fünf Klassen „kos-tenneutral (0)“, „gering“, „mittel“, „hoch“ und „?“ eingeteilt. Die Einstufung er-laubt einen Vergleich von Massnahmen ähnlicher Dimension. In die Klasse „kos-tenneutral (0)“ werden Massnahmen eingestuft, die nicht mit besonderen Kosten verbunden sind (z.B. passiver Rückbau von Uferbefestigungen). Die Klasse „?“ be-zeichnet Massnahmen, deren Kosten nicht geklärt werden konnten.
Konkrete Werte für die einzelnen Klassen werden in dieser Methode nicht angege-ben, da die Kosten zeitlich und regional starken Schwankungen unterliegen. Um die Kosten an kleinen und grossen Gewässern vergleichen zu können, sollte zwischen Massnahmen an Bächen (<5 m Gerinnebreite) und Flüssen (>5 m Gerinnebreite) unterschieden werden. In Tab. A8 und A9 finden sich Orientierungswerte, denen Angaben aus verschiedenen Kantonen aus den 1990er Jahren zu Grunde liegen.
Falls Massnahmen teilweise im Zuge unabhängiger Vorhaben (z.B. Strassenbau) realisiert werden können ist dies entsprechend zu berücksichtigen.
Die Prioritäten ergeben sich aus dem Vergleich von ökologischen Nutzen und den geschätzten Kosten. Dazu werden die beiden Grössen mittels der Matrix in Tab. A6 verknüpft. Die Prioritäten werden in drei Klassen eingestuft (Tab. A7). Sie werden getrennt nach Abschnitten und Durchgängigkeitsstörungen festgelegt.
Kostenschätzung als Grundlage für Kosten-Nutzen - Analyse
Kostenschätzung in 5 Klassen
Anhang 67
Tab. A6: Ermittlung der Priorität der Massnahmen (Matrix)
Ökologischer Nutzen Priorität der Massnahmen gross mittel gering
gering hoch hoch mittel
mittel hoch mittel niedrig
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Massnahmen ohne besondere Kostenfolgen („0“) haben unabhängig von ihrem ge-wässerökologischen Nutzen stets hohe Priorität. Die Realisierbarkeit und die Priori-tät von Massnahmen, deren Kosten unklar sind, sind in der weiteren Planung ge-nauer abzuklären.
Tab. A7: Nutzen-Aufwand-Verhältnis und Massnahmenpriorität
Priorität Beschreibung
hoch günstiges Kosten – Nutzen Verhältnis Massnahmen mit hohem Nutzen bei niedrigem Aufwand
mittel mittleres Nutzen-Aufwand-Verhältnis
niedrig ungünstiges Kosten – Nutzen Verhältnis Massnahmen mit geringem Nutzen bei hohem Aufwand
68 Ökomorphologie Stufe S
Tab. A8 : Orientierungswerte für Kosten von Aufwertungsmassnahmen: Abschnittbezogene Massnahmen
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Anhang 69
Tab. A9: Orientierungswerte für Kosten von Aufwertungsmassnahmen: Massnahmen an Durchgängigkeitsstörungen 1)
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1) ZAUGG u. PEDROLI 1997, BUWAL 1997, RENATURIERUNGSFONDS BERN 2002, GRAUTE 2002. Es ist zu berücksichtigen, dass die Anga-ben zu den einzelnen Massnahmen nur schwer miteinander vergleichbar sind, da der genaue Umfang und die Bauweisen der Massnahmen sowie die Art der berücksichtigen Kosten nicht vollständig dokumentiert sind. Zudem sind allfällige regionale Un-terschiede nicht berücksichtigt.
70 Ökomorphologie Stufe S
zu Kap. 6.4 Darstellung des Massnahmenkonzepts
Abb. A2: Beispiel für ein Objektblatt Beispiel eines Objektblattes für eine Massnahme am Unterlauf der Chise (Kt. BE) mit Beschreibung der Massnahme und Priorität sowie Angaben zu Ergebnissen der vorherigen Schritte der Methode.
Abschnitt A 021 und A 022 Kilometrierung: Km 3.3 – 3.560 Länge: 260 m
Gerinnebreite: Ca. 8 m
Beschreibung: Abschnitt zwischen Ortsrand von Herbligen und Gemeindegrenze Oberdiessbach. Grenzt linksufrig an Landwirtschaftsland mit inten-siver Nutzung und rechtsufrig an bewaldeten Hang mit Naturufer. Auf ca. 50 m Länge führt ein Landwirtschaftsweg entlang der Chise. Eine markante 3er Betonsperre am Ortsrand von Herbligen verun-möglicht die Aufwärtswanderung für die meisten Fische.
3er Betonsperre als Aufstiegshindernis für viele Fische
Bewertung Defizit Entwickl.-
ziel Entwickl.-potenzial
Bedeutung Gewässer
Ökolog. Nutzen
Kommentar
Struktur V I - II Sohle III I - II Gerinne III I - II Bö.fuss links V Bö.fuss rechts I - II I - II
gross
Linke Böschung durchgehend mit Mauer und im Abschnitt A 022 mit Blocksteinen verbaut. Die Sohle ist beträchtlich eingetieft.
Raum V links V rechts II
I gross
regional gross
Fehlender bis wenig Gewässer-raum am linken Ufer. Pendel-bandbreite kann erreicht werden.
Massnahmenplanung Ziele/Handlungsfelder Massnahmentypen
Erhalt Istzustand - Raumentwicklung R1 Sicherung des Gewässerraums in der erforderlichen Breite Strukturentwicklung Dy2 Totholz belassen
U1 Rückbau von Uferverbauungen U2 Notwendige Ufersicherung durch ing.biolog. Bauweisen U3 Ufergestaltungen (Abflachungen, Ausbuchtungen).
Gerinneaufwertung G1 Gerinneaufweitung (punktuell) Aufwertung Längsvernetzung D2 Umbau von Abstürzen zu rauhen Rampen Sanierung Abfluss / Geschiebe -
Massnahmenbeschrieb: Ausscheidung eines linksufrig durchgehenden Uferstreifens von ca. 20 m Breite (mindestens 15 m). Extensivierung der bishe-rigen Bewirtschaftung anstreben. Entfernung des bestehenden Hartverbaus (Mauer und Blocksatz) und punktueller Ersatz durch lückigen Blockwurf bzw. Le-bendverbau, Ufer naturnah gestalten. Rückbau der 3er Betonsperre (D 025) in eine rauhe Blockrampe mit lokaler Gerinneauf-weitung oberhalb der Blockrampe (Kurveninnenseite). Tolerierung von Uferanrissen, Totholz belassen etc. innerhalb des Ge-wässerraums. Anpflanzungen mit standortgerechten Gehölzen. Priorität: hoch Grosser ökologischer Nutzen für den Gewässerabschnitt (Struktur und Durchgängigkeit) Kostenschätzung: Investition total: ca. 250'000.- pro Laufmeter: ca. 1000.- Fr. (ohne Kosten für Landerwerb) Bezug zu anderen Massnahmen: Sanierung Absturz D 025 Hinweise /Sonstiges: Sicherung Gewässerraum problematisch, da erst kürzlich eine Melioration durchgeführt worden ist.
Glossar 71
Biodiversitätsbreite Breite des Gewässerbereichs, die die Ausbildung einer natürlichen Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten ermöglicht
Böschungsfuss Übergang von der Gewässersohle zur Böschung.
Defizitanalyse Analyse der wichtigsten ökomorphologischen Defizite eines Fliessgewässers.
Durchgängigkeit Die auf- und abwärts gerichtete biologische Vernetzung, d.h. die aktiven und passiven Ortsveränderungen von Organismen in Längsrichtung der Fliessgewässer, sowie die abwärts gerichteten abiotischen dynamischen Vorgänge von Abfluss, Schwebstoff- und Geschiebetransport.
Entwicklungspotenzial Spanne der möglichen Entwicklung zwischen Ist-Zustand und Entwicklungsziel.
Entwicklungsrestriktion/Restriktion Nutzungen oder Einwirkungen, die in einem überschaubaren Zeitraum (ca. 20-30 Jahre) nicht veränderbar erscheinen und die ökomorphologische Entwicklungsmöglichkeit des Gewässers deutlich einschränken.
Entwicklungsziel Maximal erreichbarer ökomorphologischer Gewässerzustand unter Berücksichtigung der Restriktionen.
Gerinne Das bei Mittelwasser durchflossene Gewässerbett einschliesslich des Wasserkörpers ohne den Böschungsfuss. Die Gerinnebreite entspricht bei mittlerem Wasserstand etwa der Breite des Wasserspiegels.
Gewässereigenschaft Merkmale des ökomorphologischen Zustands eines Fliessgewässers. In dieser Methode Gewässerstruktur, Gewässerraum sowie Durchgängigkeit und Mündungsbereiche (Längsvernetzung).
Gewässerraum Gesamtheit aus Gerinne, Böschungsfuss und eigentlichem Uferbereich. In dieser Me-thode max. 50 m auf jeder Gewässerseite, abhängig von der Gewässergrösse.
Gewässerstruktur Zustand von Sohle, Böschungsfuss und Gerinne.
Mündungsbereich Unterlauf des Nebengewässers in einer Länge entsprechend der 10-fachen Gerinnebrei-te bis zur Durchmischungszone mit dem Hauptgewässer.
Glossar
72 Ökomorphologie Stufe S
Naturzustand Natürlicher Zustand der Fliessgewässer ohne jegliche anthropogene Einflüsse.
Ökologischer Nutzen Nutzen der ökomorphologischen Aufwertung eines Fliessgewässers. In der Methode dargestellt durch die Verknüpfung von Entwicklungspotenzial und Bedeutung im Ge-wässersystem.
Pendelbandbreite Gewässerbereich, der durch das Mäandrieren des Gewässers beansprucht werden kann; dafür wird etwa die sechsfache natürliche Gerinnebreite angenommen.
Referenzzustand Ein hypothetischer Zustand, der sich unter den heutigen landschaftlichen Rahmenbe-dingungen einstellte, wenn sämtliche anthropogenen Einflüsse im unmittelbaren Um-feld des Gewässers aufgegeben würden: der naturnahe Zustand in der heutigen Kultur-landschaft.
Sohle Bereich, der bei Mittelwasserstand von Wasser bedeckt ist, bei Hochwasser umgelagert wird und somit frei ist von höheren Wasser- und Landpflanzen.
Uferbereich Bereich oberhalb des Böschungsfusses bis zu Flächen mit intensiver Landnutzung.
Uferbereichsbreite, minimale Untergrenze zur Sicherstellung der ökologischen Mindestfunktionen (Lebensraum- und Vernetzungsfunktion) sowie für den Hochwasserschutz. Sie beträgt mindestens 5 m auf jeder Gewässerseite.