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Sozialpsychologie AVorlesung (1)

Wintersemester 2012/13

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Grundsatzüberlegungen zum Verhältnis von Psyche und Gesellschaft

• „Sozialpsychologie“: Für viele etwas eher schwer Greifbares• In Alltagsgesprächen: Typische, oft etwas ratlose Reaktionen

auf den Begriff• Eher unscharfe Ausdehnung und Grenzen des Fachgebiets…

• Psychologie und Gesellschaft („Soziales“) kann – jedenfalls in den Denktraditionen unserer Gesellschaft – nur mit eini-ger Mühe „zusammengedacht“ (als „schlüssig zusammen-gehörig“ vorgestellt) werden

• Siegfried Bernfeld: Das Problem, den tieferen Zusammenhang zwischen Individuum und Gesellschaft konsequent zu verstehen, hat denen, die sich darum bemüht haben, von alters her „Kopfschmerzen“ bereitet…

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…• Kultureller Hintergrund: Stark verankerte Gewohnheit, sich

„subjektive Innenwelt“ (als „Psyche“) und „objektive Außenwelt“ (z.B. als „Gesellschaft“) – zumindest tendenziell – beinahe wie getrennte Universen vorzustellen…

• Norbert Elias, z.B. Die Gesellschaft der Individuen (1987):• Verwurzelung in der Tradition des Homo Clausus („in sich

eingeschlossener Mensch“), besonders in modernen indivi-dualisierten Gesellschaften mit ausgeprägter innerer Diszi-plinierung des Verhaltens: Selbstgefühl als von den schwer überschaubaren sozialen Strukturen („Interdependenzket-ten“) quasi abgetrennte „Insel“ („Monade“)

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…• John Donne (1572-1631): Gegenposition zum Homo Clausus:• „No man is an island, entire of itself; every man is a piece of the conti-

nent, a part of the main. If a clod be washed away by the sea, Europe is the less, as well as if a promontory were, as well as if a manor of thy friend's or of thine own were. Any man's death diminishes me because I am involved in mankind; and therefore never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee“…

• „Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes. Wenn ein Erdklumpen ins Meer gespült wird, wird Europa weniger, genauso als wenn's eine Landzunge würde, oder ein Landgut deines Freundes oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir selbst“…

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…• Serge Moscovici, Psychologie sociale (1984), Einleitung:• Zum herkömmlichen Verständnis der Begriffe (Realitäten)

von „Individuum“ und „Gesellschaft“…

• „Wir alle akzeptieren, als ob sich das von selbst verstünde, dass die beiden Begriffe voneinander getrennt wären, dass jeder eigenständig wäre und eine gesonderte Wirklichkeit umfassen würde. Das heißt, dass wir den einen ohne den anderen kennen könnten, als ob es sich um zwei fremde Welten handeln würde. Die Macht dieser Sichtweise ist ebenso unbestreitbar wie die von ihr gepflegte Aufspaltung — zwischen dem Individuum, das auf seinen Organismus beschränkt, und der Gesell-schaft, die in ihren Institutionen und Apparaten versteinert ist. […] diese Sichtweise hat eine Auswirkung, an die wir uns seit langem gewöhnt haben — den Teilungsvertrag, der das Individuum der Psychologie und die Gesellschaft der Ökonomie oder der Soziologie zuspricht“…

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…• … wohingegen sich die geradezu schon banale Feststellung

aufdrängt, dass es kein Individuum ohne sozialen Zusam-menhang geben kann, wie auch keine Gesellschaft, die nicht vor lauter verschiedenen Individuen wimmelt…

• Jedes Individuum wird vor allem auch von einer ziemlich vielfältigen „Gesellschaft bevölkert“ – bestehend aus imagi-nären und realen Persönlichkeiten (Vorbildern, Helden, Freunden, Feinden, Geschwistern, Eltern u.v.a.), mit denen es in einem fortwährenden inneren Dialog steht…

• Wenn man also sagt: „Hier ist das Individuum – und dort die Gesellschaft“, so verfehlt man die konkrete Wirklichkeit der Menschen radikal…

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…• Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921):

• „Der Gegensatz von Individual- und Sozial- oder Massenpsychologie […] verliert bei eingehender Betrachtung sehr viel von seiner Schärfe. Die Individualpsychologie ist zwar auf den einzelnen Menschen eingestellt […], allein sie kommt dabei nur selten […] in die Lage, von den Beziehun-gen dieses Einzelnen zu anderen Individuen abzusehen. Im Seelenleben des Einzelnen kommt ganz regelmäßig der Andere – als Vorbild, als Objekt, als Helfer und als Gegner – in Betracht und die Individualpsycho-logie ist daher von Anfang an auch gleichzeitig Sozialpsychologie in diesem erweiterten, aber durchaus berechtigten Sinne.

• Das Verhältnis des Einzelnen zu seinen Eltern und Geschwistern, zu seinem Liebesobjekt, zu seinem Lehrer und zu seinem Arzt […] können den Anspruch erheben, als soziale Phänomene gewürdigt zu werden, und stellen sich dann in Gegensatz zu gewissen anderen, von uns narzisstisch genannten Vorgängen, bei denen die Triebbefriedigung sich dem Einfluss anderer Personen entzieht oder auf sie verzichtet.“

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…• Freilich: Jedes Individuum ist sogar im radikalsten Zustand

eines „Für-sich-allein-Seins“ ein durch und durch soziales Wesen

• Auch in allen noch so „narzisstischen Vorgängen“ – selbst in den intimsten (eigentümlichsten) Winkeln des Innenlebens bleibt man immer „in Gesellschaft“ – über unübersehbar viele Bezüge zu den Mitmenschen bzw. zum sozialen Leben

• Z.B.: Sprache, ohne die auch die privatesten Gedanken nicht gedacht werden können

• Individuelles Selbstbewusstsein als Ergebnis von vielfältigen Beziehungs-erfahrungen seit den frühesten Lebensphasen

• Bilder, Phantasien, Ausgestaltungen von Gefühlen, Wünschen, Ängsten…

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…• Alles, was sich in unserem (selbst noch so sehr nach außen

abgeschirmten) Innenleben abspielt, ist durch lebenslange soziale Erfahrungen geprägt…

• Klaus Ottomeyer, Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen (1977/2004); Mensch und Tier in der Psychologie (2009, im Moodle); u.v.a.:

• Evolutionäre Verwurzelung der menschlichen Natur in einem besonders dichten (fein abgestimmten) sozialen Zusammenhang, bei dem vor allem auch die Arbeit (die „produktvermittelte Wechselseitigkeit“) eine entscheiden-de (aber in den Sozialwissenschaften leider auch oft stark vernachlässigte) Rolle spielt

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…• Umso rätselhafter und erklärungsbedürftiger wird also die

stark verwurzelte Aufspaltung der Wahrnehmung: „Hier Individuum – dort Gesellschaft“…

• Z.B. in der häufig geäußerten Meinung: „Die Gesellschaft“ sei Schuld an bestimmten Missständen, sollte für bestimmte Belange die Verantwortung übernehmen… Jemand sei Opfer „der Gesellschaft“ – ohne dass die dies erklärende Person sich selbst (oder auch die ihr zuhörenden Personen) damit meinen würde; vgl. J. Berghold, Das komplizierte Verhältnis zwischen objek-tivem Zwang und subjektivem Wahn in der kapitalistischen Geldvermehrungs-spirale (2012, im Moodle), S. 2

• Z.B. in Nietzsches Ausspruch: „Wahnsinn bei Individuen ist selten, aber in Gruppen, Nationen und Epochen die Regel“…

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…• Freilich: die „in der Regel wahnsinnigen“ Gruppen, Nationen

usw. müssen insgesamt ja aus denselben Individuen beste-hen, die (Nietzsche zufolge) „in der Regel nicht wahnsinnig“ wären

• Da noch nie jemand ein Kollektiv gesehen hat, dass sich nicht aus Individuen zusammensetzen würde, können Kollektive ganz offenkundig nicht in einem höheren oder geringeren Ausmaß „wahnsinnig“ sein als die Gesamtheit der Individuen, die es bilden

• Aber: Hinweis darauf, dass auf kollektiver Ebene (in Groß-gruppen-Situationen) teilweise andere Seiten der individu-ellen Persönlichkeiten zum Tragen kommen

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„Grundrätsel“ für die Sozialpsychologie

• Höchst einflussreiche (vorherrschende) – aber auch nicht „so ganz verständliche“ Form annehmende – Phantasie: „Die Gesellschaft“ als ein Wesen, das irgendwie über- oder außerhalb… in einer „anderen Dimension“… quasi „jenseits“ der Individuen existiert, aus denen sie sich eigentlich zusammensetzt

• Mögliche Veranschaulichung: Geläufige Bilder von Fisch-schwärmen, die in einer Formation schwimmen (bzw. in einer Art und Weise zueinander positioniert sind), dass alle einzelnen Fische gemeinsam ein einziger riesiger Fisch zu sein scheinen…

• Vgl. Werbefilm für studentische Organisation

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…• Ein gewisser „Anklang von Unheimlichkeit“, „Unwirklich-

keit“ (schwer miteinander in Einklang zu bringender Motive und Bedeutungen) in solchen Bildern: Hinweis auf im Unbewussten wurzelnde Motive für die „abspaltende“ Wahrnehmung zwischen „Individuum“ und „Gesellschaft“ – d.h. auf das Wirken starker psychischer Abwehrmotive (Ängste, zwiespältiger Gefühle…)

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…• Horst-Eberhard Richter, Bedenken gegen Anpassung. Psychoanalyse und

Politik (1995):

• „Obwohl wir uns alltäglich spontan und intuitiv mit der psychologischen Seite politischer Vorgänge beschäftigen, reden wir uns ein, es handle sich hierbei um etwas Nebensächliches, um unwesentliches Beiwerk… Allzu sehr schreckt uns die Vorstellung, dass sich in der Politik bis in die großen Entscheidungen über das Schicksal der Völker hinein auswirken könnte, was wir alles in uns spüren an Angst und Ressentiment, an Hass und Selbstsucht, an Eitelkeit und Größenideen… Es ist ein tiefer Argwohn gegenüber unserer inneren Welt, der uns inständig wünschen lässt, sie möge dort ohne Einfluss sein, wo nur das Vernünftige und Gute gesche-hen soll“…

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Historischer Blickwinkel

• Jean-Jacques Rousseau (1712-1778):• Idee des „Contrat social“ („Gesellschaftsvertrag“ [1762]) als

Grundlage unserer modernen Maßstäbe und Vorstellungen über das Zusammenleben – nach dessen Grundidee „wir arbeiten und mit ande-ren auskommen müssen“ und der uns dafür ein „geordnetes, friedliches, gerechtes, planbares Leben [sichert]“…

• Hartmut von Hentig, Bildung. Ein Essay (1996)

• Ein grundlegender „Hintergedanke“: In einem vorgestellten „Urzustand“ – d.h. „bevor“ die Menschen miteinander den „Gesellschaftsvertrag“ abgeschlossen hätten – hätten die Individuen in einem (quasi „nicht gesellschaftlichen“) Zu-stand der glatten Vereinzelung gelebt

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…• Phantasie einer (grundsätzlichen, „von Natur aus“ vorge-

gebenen) individuellen Existenz „außerhalb der Gesell-schaft“

• Rousseaus pädagogisches Hauptwerk:• Erziehungsroman Émile oder über die Erziehung (1762)• Idealvorstellung, dass ein zu erziehender heranwachsender

Mensch in den besonders prägenden frühen Lebensphasen so weit wie möglich „außerhalb“ der (seinen Charakter „korrumpierenden“) Gesellschaft aufwachsen müsse – um dann erst später „in ihr“ bestehen zu können…

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Traditionen in den Sozialwissenschaften

• Émile Durkheim (1858-1917): Einer der „Gründerväter“ der modernen Sozialwissenschaften

• Über soziale Arbeitsteilung (1893)• Die Regeln der soziologischen Methode (1895)• Der Selbstmord (1897)• Erziehung, Moral und Gesellschaft (1902/03)• Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912)

• Maßgeblicher geistesgeschichtlicher Einfluss: Prinzipielle Ablehnung aller psychologischen Erklärungen für gesell-schaftliche Phänomene

• Konzept des „fait social“ („sozialen Tatbestands“)

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…• Die Regeln der soziologischen Methode (1895):• Wissenschaftliche Grundforderung: „Soziale Tatbestände

(Fakten)“ müssten „als Dinge behandelt“ werden, die unabhängig von denen seien, die sie geschaffen haben

• Sie sind quasi „festgefügte“ Strukturen mit eigenständigem Gewicht und Stellenwert, die „von oben“ auf die Individuen einwirken, und denen das Individuum nicht entgegenwirken könne

• „Soziale Tatbestände“ könnten nur durch andere „soziale Tatbestände“ erklärt werden

• Erklärungsversuche durch „psychologische Tatbestände“ müssten zwangsläufig in die Irre führen…

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…• Andererseits: Etliche Deutungen und Erklärungsansätze für

„soziale Tatbestände“, die auf „Tatbeständen“ aufbauen, die man kaum als „nicht-psychologisch“ bezeichnen kann – z.B.

• Der Selbstmord (1897):• Unterschiedliche Häufigkeit von Selbstmorden in verschie-

denen Bevölkerungsgruppen als Folge unterschiedlicher sozialer Einbindung und Anerkennung

• Erziehung, Moral und Gesellschaft (1902/03):• Im Zuge der modernen Entwicklungen zunehmende Bedeu-

tung verinnerlichter Normen, Werte und Kontrollen (gegen-über dem „Ich mit seinen natürlichen Triebimpulsen“…)

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…• Hintergrund für Durkheims Auffassung „sozialer Tatbestän-

de“, die nicht psychologisch erklärt werden dürften:

• Über soziale Arbeitsteilung (1893)• Analyse von Grundtendenzen der modernen Industriegesell-

schaft: Steigende Bevölkerungsdichte, Urbanisierung, Indivi-dualisierung, soziale Diversifizierung, Anonymisierung, Rela-tivierung herkömmlicher Normen, komplexe Arbeitsteilung, zunehmend auf Verträgen beruhende Beziehungen…

• Wesentliche Auswirkungen: Von den Einzelnen nicht mehr überschaubare Funktionssysteme, bereichsspezifisch unter-schiedliche (widersprüchliche) Regeln und Erwartungen

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…• Zentrale Widersprüchlichkeit („Schizophrenie“) unserer

modernen Gesellschaft: Zunehmende Vereinzelung der Individuen – bei gleichzeitig immer größer und dichter werdenden wechselseitigen Abhängigkeiten (die aber zunehmend ausgeblendet werden)…

• Daraus erwachsende Tendenz: Individuen nehmen das gesellschaftliche Leben (überwiegend irrtümlich) als ihnen äußerliche (fremde) „soziale Tatbestände“ wahr

• Von Durkheim aber ausgeblendet: Die inneren Zwänge kapitalistischen Marktwirtschaft, durch die den Menschen ihre Arbeitsprodukte als fremde Mächte gegenübertreten

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…• Klaus Ottomeyer, Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen

(1977/2004); Gesellschaftstheorien in der Sozialisationsforschung (1984); Die Behandlung der Opfer (2011) u.a.m.:

• Nachdrückliche Zwänge der Vermarktung und Kapital-vermehrung tendieren dazu, dass die Produzierenden zu Anhängseln der wirtschaftlichen Produktion werden – das Verhältnis von Subjekt und Objekt auf den Kopf gestellt wird

• Widersprüchliche Anforderungen in den Zirkulations- (Verteilungs-), Produktions- und Reproduktions- („privaten Erholungs“-) Sphären unterminieren die Bemühungen des Individuums um eine stimmig empfundene Identität – und lassen ihm „die Gesellschaft“ umso fremder erscheinen

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…• Max Weber (1864-1920): „Verstehende Soziologie“ gehöre

nicht zum Gebiet der Psychologie

• Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus (1904): Historische Entwicklung von Mentalitäten als (teilweise) Grundlage gesellschaftlicher (wirtschaftlicher, institutio-neller…) Entwicklungen

• Soziologie sei für „rationales“ Handeln (im Sinne einer „objektiven Richtigkeitsrationalität“) zuständig

• Psychologie dürfe erst dann ins Spiel kommen, wenn Handlungen in der sozialen Praxis dem Richtmaß dieser „Richtigkeitsrationalität“ nicht entsprechen – nur dort könne „die verstehende Psychologie“ wichtige Dienste leisten

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…• Peter Gay, Freud für Historiker (1994):• Beträchtliche Irrationalität des angeblich beispielhaft rationalen

„Weber‘ schen“ protestantischen Kapitalisten• (Mehr oder weniger) einer „objektiven Richtigkeitsrationalität“ entspre-

chendes Verhalten baut auf hoch komplexen (entwicklungs-) psycholo-gischen Grundlagen auf

• Jede Untersuchung menschlicher Gesellschaften (Soziologie, Geschichte u.v.a.) kann gar nicht vermeiden, mit Annahmen über subjektive Motive zu arbeiten – d.h. automatisch Psychologie betreiben

• Vorteilhafter: Eine systematische, explizite (als auf anekdotisch-ama-teurhaften Grundlagen beruhende) Psychologie

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…• Beispiel für amateurhafte Psychologie:• Silvio Furlani & Adam Wandruszka, Österreich und Italien. Ein bilaterales

Geschichtsbuch (1973):• Pauschale Behauptung, dass Besiegte die Übergriffe von

Siegern viel „lieber“ in Erinnerung behalten würden als deren großzügige Handlungen

• Aber: Verbreitete Haltung in den Geschichtswissenschaften: „Psycho-“ als angeblich untrügliches Zeichen für fehlende Seriosität…

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Wolfgang Bonß (in Heiner Keupp& Klaus Weber [Hg.], Psychologie. Ein Grundkurs [2001]):

• Der schon von Anfang an schwierige „Gesprächsfaden“ zwischen Soziologie und Psychologie ist in den vergangenen Jahrzehnten eher noch „dünner“ geworden… überwiegend „interesseloses Nebeneinander“

• Teilweise Ausnahme (wesentlichste Überschneidung von Forschungs-bereichen): Vorurteile, Stereotype, Feindbilder, Strukturen und Haltungen der Diskriminierung u.ä. – also (immerhin) einer der traditionellen Schwerpunkte der sozialpsychologischen Forschung

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…• Vereinzelte „Lichtblicke“ im eher düsteren Panorama der

(fast immer schwachen) Beziehungen zwischen Psychologie und Soziologie:

• (Überwiegend) psychoanalytisch sensibilisierte Soziologen im Dunstkreis der „Frankfurter Schule“ – mit relativ breiter intellektueller (aber weniger akademischer) Ausstrahlung… z.B.:

• Max Horkheimer (Hg.), Autorität und Familie (1936)• Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit (1947)• Leo Löwenthal & Norbert Guterman, Falsche Propheten (1949)• Theodor Adorno u.a., Studien zum autoritären Charakter (1950)• Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation (1939/1969)