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Von demgleichen Verfasser erschien

Zw e i B änd e. D r i tte A u f l age.D ie Amerikaner M 10, gebunden M

erVersuch , unéeren C harakter und unsereVerhältnisse dem deutschen

Volke klar zu machen, ist s icherlich kein leichter, und er gelangProf. M ünsterberg so vo llkommen, wie er vermutl ich keinem anderen

gelungen wäre und keinem anderen so gel ingen wird.

Gaze t te Te l e grap in

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Aus DEUTSCH AMER IKA

H U GO M ÜN STE R BE RGProfessor an der H arvard -U niversitä t

B E R LI N 1909

Erns t S iegfried M i ttl er und Sohn, Kön igl i che Hofbuchhand lungK ochstraße 68—71

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Alle Rechte aus dem Gesetzesowie das Übersetzungsrecht

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Vorwort

son dern ein Prob lemgebiet. In s einen Grenzen hande ltes s ich e inmal um den E in fl uß deutscher Kultur auf

Amer ika ; des we i teren gehört dah in d ie Frage nach den Rech tenund Pfl ichten der Amerikan er von deutscher Abstammung ; undsch l ieß l ic h kommen h ier Amerikas Bezieh ungen zu Deutsch landund der E influß amerikan ischer Ku ltur auf das deu tsche Vo lkin Betracht . Alle d iese Fragenkreise hängen aufs engste zu

sammen und so mag der gemeinsame Name „Deutsch—Amer ika"

diese E in hei t der Probleme zum Ausdruck bringen . Vor al lemaber wächst tägl ich d ie Bedeutung d ieser Fragen kreise und dochschein t d ie Uns icherhei t be i i hrer Beurte i l ung noch schne l ler zuwachsen .

In meinem Werke D ie Amerikaner mußte ich an a l l edemvorübergehn. Es gal t dort, das Wesen des rein en Amerikanerturns . au s s ich

selbst herau s zu erklären . D ie Bezieh ungenAmerikas zum Deutschtum und das Leben und Streben derDeu tsch-Amer ikaner kamen do rt kaum in Betrach t. Der Glaubean den Ku lturwert der deutsch-amerikan ischen Beziehungenmußte aber den Wunsch erwecken

,n un auch dieses von Vor

urtei len verd unke lte Fragengebiet e inmal vo l ler zu be le uch ten .

Das neue Thema frei l ich ver langte ein e neue Behandlungsvveise . Als ich Amerika sch i lderte, konn te ich den Stoff in geschlossenem Zusammenhang darstel len ; in Deutsch-Amerika dagegen handel t es sich um Zerstreu tes und Vere inzel tes, um Ansätze und R eg mgen, um Stimmungen und Eorderungem Werso lches Gebiet kennen lern en Wi l l , so l lte s ich m i tten h ine inbegebenin das Gewirre .

Da sch ien es m ir denn der s ichers te Weg z u sein , wennich statt e iner e in heitl ichen Darstel l ung ein e lose Sammlungvon Reden un d Br iefen

,Berichten und Erörterungen dar

.eutsch-Amerika is t se lbstverständ l ich kein Landesgeb iet,

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V I Vorwort.

biete, so daß j eder einzeln e Beitrag n ich t n ur sach l ich dem

Deutsch-Amer ikakre ise zugehört, sondern auch praktisch d urchVorgänge in diesem Geb ie t veran laßt wurde . Dad urch b leibt d iel ebend ige Wirkl ichkeit der Fragen am U eu

'esten gewahrt ; d ieD inge b ieten s i ch , wie s ie in unser tägl iches Leben e ingre ifen .

An M aterial für so l che Sammlung konn te kein M angel sein .

Viel h undert Male hatte ich in den letzten zehn Jahren zu deutschamerikan ischen Fragen das Wo rt zu ergr e ifen . Frei l i ch war dasal l es stets n ur f ii r d ie be sondere Stunde berechn et . Und da ichnun ein ige so l cher Ge legenhe itsstücke aneinanderrei he , vers uchei ch a uch n irgends , die Sp uren der zufäl ligen Anregung zu bese itigen . D adurch

_

m ischt sich ja fre i l ich , besonders in denBr iefen , vie l Persön l iches in die D iskussion und manches m ußdurchaus un ter dem Ges ich tsp unkt des besonderen An lasses gewürd igt werden . Durch d ie wechse lse itige Ergän zung könnensie aber doch vie l le ich t übe r das Vor iibergehende hinausfii hrenund wirkl ich ein B i l d von den dauernden Verhäl tn issen inDeutsch-Amerika bieten .

10. August 1908.

H ugo M ünste rberg.

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lnhaltsverzeichnis .

S e i teVI

I . D ie D eutsch Amerikaner und das K aiserre ich 1

II. Professorenaustausch 16

D eutsch land und der We ltfriede 34

IV. D er K osmopol iti smus in der Wissenschaft 39

V. D as D eutschtum und die Temperenz . 45

VI. D er deutsche Autor und der amerikan ische A utorenschutz 66

VII . D ie amerikan ische S chule und der deutsche Ge ist 86

VIII. S prachhoffnungen in der Neuen We lt 104

IX. Sch i l ler und die D eutsch-Amerikaner . 1 15

X . D ie deutsche We ltanschauung 125

XI. Bücher und Ze its chriften 146

XII. Zeitungserfindungen . 159

XIII . Amerikan ische und deuts che Wissenschaft 168

XIV. E ine deuts che H ochschu le nach amerikan ischem Vorbi ld . 176

XV. D er Internat ionale Gelehrtenkongreß 196

XVI. D as Frauenstudium in Amerika . 2 1 1

XVII. Fichte und die D eutsch-Amerikaner 223

XVIII. D ie Prinzenreise 230

XIX. Friedrich Wi lhelm H ol is 238

R e g i s t e r 243

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Die Deutsch-Amerikaner und das

K aiserreich .

euts che Lan dsleu te ! Vom sti l len e h rwürdigen Bostonhaben S ie m ich heute in I hr j unges kraftstro tzen desCh icago gerufen , von dem al ten Stammsitz des reinsten

A ngelsachsentums zu dem gewalt igen Tummelp latz a l l er Völker.Und mit fro hem Herzen b in i ch I hrem Rufe gefo lgt

,denn in

dieser Feierstunde des D eutsch tums empfinde ich lebhaft,wie

der groß e Strom der deutschen Einwanderung das p ur i tan ischeBo ston fast unberührt l ieß

,Ch icago aber für H underttausende

von Deutschen eine ne ue Heimat geworden ist . Hier wahrl ichist der rech te Platz

,deutsche Ehrentage zu fe iern

,und freud ig

danke ich es I hnen,daß ich m ich zu I hrer deutschen Fest

schar heute gesel l en kann und w ieder e inmal in der gel iebtendeu ts chen Sprach e zu Deutschen reden darf .

Frei l ich,wenn ich m ich umschaue in d ieser sto l zen Ger

man ia“-Hal le m it i hren Flaggen und ihren Bi ldern aus Deutschlands größten Tagen , vor al lem , wenn ich die Begeisterungsehe

,d ie aus I hren Augen leuch te t, dann sche in t es mir, als

wenn es h ier n ich t erst der Rede bedarf. Ein starkes lebend igese in he itl iches Gefüh l hat S ie heute zusammengeführ t ; ingrößerer Schar a ls j e s ind Sie herbe igeei l t, um Ihre Treue zumDeuts ch tum aufs neue zu bekunden ; schon haben Sie j ubelnde inges timmt, als d ie deu tsch e Hymne S ie grüß te . Was bedarfes da noch der Rede, was bedarf es anderer Wo rte als des

Fes trede,gehal ten am 2 7. J anuar 1 90 8 in der Germ ania in Chi cago.

Obers t Hall e präs idi er te ; Generalkonsul Wever, der unermüdl iche Vorkämpfer fü r

deutsch e Geis teskultur in A m erika , brachte den Trinkspruch auf Präs iden t Roosevel taus ; der Präs iden t der Uni vers i tä t Chi cago, j udson , brachte das Hoch auf den

Kaiser aus und nach dem Bankett hi el t i ch di e folgende Rede.

Mü n s t e r b e r g ,A u s Deutsch -A m er i ka .

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2 D ie Deutsch—Amerikaner

ein en herr l ichen Festrufs , nach dem unsere Seele he ute sturm isch ver langt, des Festrufs : es lebe der Kaiser !

Und doch , wir würden ke ine rechten Deutschen sein , wennwir wirkl ich uns heute n ur dem überströmenden Gefüh l überl ieß en und gedanken los gar n ich t d ar au f ach ten wo l l ten

, daß w irda doch eigentl ich vor ein er sel tsamen weltgesch ichtl ich en Fragestehn . Fas t a l le, die s ich heute zur K aiserfeier h ier zusammengefunden

,s ind ameri kan is che Bürger un d somit po l i tische Re

publikaner .‚Wir paar, d ie wir a uch in der Neuen Welt deutsch e

Staatsbürger b leiben , verschwinden in der gewaltigen Überzah l .Und n icht n ur Zufa llsrepublikaner wo l l en Sie sein , unbeküm

mert um die po l i tisch e Ges ta l tung des neuen Vaterlan des, dasSie se lbs t o der I hre Eltern erwäh lten . Nein

,mit re inster und

tiefster Bege isterung glauben Sie an d ie demokratische Rep ub l ikder Verein igten Staaten . I hr lauter Beifal l sagt es aufs neue :das sto l ze republ ikan isch e Bewußtse in ist es

, das Sinn undKraft I hrer tägl i ch en Ar beit gibt. Und tro tzdem wi l l I hr

R epublikanergeist den mächt igen Monarchen feiern : wäre esunser würd ig

,über so l chen Gegensatz sti l lschweigend h inweg

zusehen ? Wurde es n ich t scheinen , als wenn n ur Unklarhei tund Verschwommenhei t so l che Gegensätze verein en kann ?Oft genug hören wir es j a in al len Gassen , daß: der Geist derRep ubl ik e in flammender Protest gegen d ie veral tete Monarch iese i . Ist es wahr, daß Sie s ich selber untreu werden , wennSie der rep ubl ika n ischen Staatsform die Treue geschworenund doch m it Ho chgefüh l zur deu tschen Kaiserkrone bl icken ?

Wahr l ich,wir werden der Weihe d ieser S tunde n icht gerech t,

wenn w ir n icht furch tlos und klar d iesem Widerspruch insAuge schauen .

Und wenn s ich so ernste Fragen fur uns in den Vo rdergrund sch ieben

,s o bleiben wir j a n ur der deuts chen Art ge

treu . Hier im Lande feie rt schon der Sch ulj unge das Nat ionalfest mit knal lendem Feuerwerk un d lautem Jubel . Der Deutscheempfindet anders . Als s ich kürzl ich von New York aus e ineVere in igung übe r das ganze Land h in b i ldete, dem wustenLärm am 4. J u l i en tgegenzuarbe iten , wurd-e i ch gebeten ,kurz darzulegen

,wie d ie deutsche J ugend patriotisch e Tage

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und das Kaiserreich . 3

feiert . Unser Feiertag, an twortete i ch , ist Kaisers Geburts tagun d aus frohem J ugendjahren bl ieb m ir die al ljährl i ch e Fe ierin meiner Heimats tadt in dankbarer Er innerung. In Feiertagsst immung zogen wir zur geschmückten Sch u le Lieder erk langenund i n sch l ichter Weise führte d ie Rede des Lehrers uns zurVergangenheit . Kein lautes Brüsten un d kein hoh les Prah lenin weitausblickender h istoris cher Rede wurde uns d ie Bede utung des Tages vor die Seel e geführt

,und die Eindrucke

so l che r Stunden hafteten fürs gan ze Leben . Ja, so so l l esb le iben : wo Deuts che zusammenwe ilen

, um nat ionale Ehrentage zu fe iern

,da gi l t es, i n ernstem Worte den Ge is t der

Stunde fes tzuhal ten , den Zusammenhang m it der Vergangen he i tzu s ichern und vor al lem klar zuste l l en , m i t welchem Rechtedie Feierst unde unser Herz und unsere See le fordert .

Mit wel chem Recht, so steh t d ie Frage heute vor uns ,

können w ir des Kaisers Geb urtstag h ier inm itten e ines Vo lkesfe iern

,das in jeder Fas er sein es Wesens rep ubl ikan isch ist ?

D ie Repub l ik, in der wir l eben , ist längst n ich t mehr e in Experiment . Daß unser öffen tl i ches Leben n ich t frei von Schädenund Gefahren ist

,weiß je dermann ; aber kein Nörgler un d kein

Schwarzse her kann den Geist des Landes so vö l l ig m ißverstehn ,

daß er die Hei l ung der Schäden von einer Zers tö rung der

rep ub l ikan ischen Staa tsfo rm erho ffen möchte . Im Gegen tei l, werAmer ika versteh t, weiß es wo h l , daß d ie Schaden se iner Demo

kratie gerade do rt l iegen , wo der demokratisch e Geist ni ch tenergisch un d n ich t konseq uent genug durchgeführ t wird n ich td urch wen iger

,sondern durch mehr Demokratie müssen s ie

beseit igt werden . Die po l it isch e Rep ub l ik war n iemals zuvorso fest gegründet

,n iemals zuvor so einst imm ig anerkannt . Ein e

so zia le Ar is tokratie mag s ich herausbi l den , ein e po l i tische Aristokratie is t e ine Unmögl ichkei t in Amer ika ; un d jeder von uns

füh lt es tief : d ie M onar ch ie gar wär e das Ende Amer i kas :Gedanken lo s igkeit und Übereifer hastet n un von h ier aus

we iter : der Amerikaner gla ubt an d ie Rep ubl ik er is t s i chdes halb nur dann tre u , wenn er überal l auf Erden den G laubenan die Monar ch ie bekämpft und vern ichtet . Der Amerikanerist ein Priester der Demokratie er so l l sein en G lauben zu

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4 D ie D eu tsch A m erik aner

den po l it ischen Heiden tragen . Wer Republ ikaner ist,muß in

jedem Monarch isten sein en po l i t ischen Gegner se hn ; wer d ieFre ihei t kenn t

,muß di e Knech ts chaft überal l verach ten . Und

mag der Amer ikaner das de utsch e Vo l k schätzen und würdigen ,die deuts che Staats form m uß er m it flammender Überzeugungbe kämpfen . Wo l len das gar rechte Ameri kaner sein

,die des

Kaisers Gebur ts tag feiern ? Zwischen dem repub l ikan ischenAmer ika und dem monarch ischen Deutsch land klafft ein e unüberbrückbar e Kl uft . Wie oft haben wir al l e so die To rhei tpo l tern hören wie oft hat der Unverstan d so auf uns eingesch

'

o l ten . Un d doch, so l ches Gerede hat uns Deutsch e n urse lten irregeführt. Nich t n ur unser eignes Gemüt widersprach

,

sondern wir sahen wo h l auch bald , daß gerade d ie besten undreifsten Am erikaner d ie Engherzigkeit, j a den Widersin n so l cherGes ch ichts auffass ung durchschauten .

Der Tieferblickende weiß in der Tat, daß es ke inen Sinnhat, nach der besten Staatsform im al lgemeinen z u fragen . Rep ubl ik und Monarch ie s in d n ich t logi sche, sondern h istorisch eProb leme . Es wäre s inn los , zu stre iten , ob Dich tkunst oderMalere i d ie bessere o der höhere Kunst wäre ; d ie göttl i cheKomödie kann n ich t gemalt, die s ixtin ische Madonna kannn ich t ged ichtet werden ; e in j edes wi l l seine e igene Fo rm desAusdrucks . Daß s icherl ich Amer i kanertum nur in der rep ubl ikanischen Form sich a usleben darf, bedeutet n ich t den geringstenGegensatz gegen das Deutsch tum , das d ie monarch ische Fo rmverlangt . Ja, wer vorurtei lslos prüft, der wird finden , daß d ieseräuß er l ich e Untersch ied zwisch en Amerika und Deuts ch landn ich t n ur ke inen Gegensatz darste l lt, sondern vielmehr aus e in ert iefen

‚Wesensähnlichkeit beider Nationen hervorgeh t .

Daß De uts ch land und die Verein igten Staaten vie l Ähn l ichesund Verwandtes zeigen , wird ja meist anerkannt, aber d ie geme inschaftlichen Züge werden zu oft auf der Oberfläche gesu cht . Bald wird beton t, daß beide e inen Staatenbund dar

ste l len m it künstl ichem Gleichgewich t der bundesstaatl i chen undder e inzelstaat l i chen Mäch te . Bald wird der Schwerp unkt aufd ie glän zende wirts chaftl i ch e En twickl ung gelegt ; wie be ide inwen igen Jah rzehnten ein unerhörtes Wachstum der wirtschaft

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und da s Kaiserreich. 5

l ichen Krä fte erfahren , wie ihre Stä dte im Wettlauf vorangestürmt, wie d ie In dustr i e rastlos den Weltmarkt erobert . Wesent

l ich er aber dünkt m ir e in andres : Wenn Deuts ch land und d ieVere in igten Staaten einander gut verstehen können

, so beruh tes n ich t auf der Ähn l ichke it äußeren Er lebens

,sondern auf

ti efer Seelenverwandts chaft : gemeinsam ist be iden ein si ttl i cherIdeal ism us , der so e in he it l ich v iel l e ich t n irgends wiederkehrt .Dort aber werden wir von s ittl i chem Ideal ism us sprechen

, wo

das Leben erfü l l t is t von dem Ver l angen,n ich t zu gen ieß en

,

so ndern Aufgaben zu erfü l len , wo d ie Seel e des Vol kes n ichtden Zufa llszielen des Nutzens nachjagt, sondern n ur das eineZie l s uch t, s ich se lber tre u zu se in .

Das al le in war der tiefste Sinn j en es Puritanertums , dasan den Gestaden von Neu-Englan d sein e Zufl u ch t fand unddort z um Amer ikanert um erstar kte . Gewiß ist Neu-Englan dhe ute n ur e in kleiner Tei l des gewal tigen Staatenbundes, abe rd ie Mil l ionen un d Mil l ionen , d ie später .

in die Neue We lt geströmt

,

'

fanden j enen p ur i tan ischen K olonistengeist als das Gegebene vor, dem sie s i ch unbewußt angepaß t . Der s i ttl ich eIdeal ism us hat d iesem We ltre ich S inn und Kraft und Einheitgegeben ; n ur von h ier aus is t Amerika m it al l seinen Grundwesenszügen wirkl ich zu verstehn . Gerade das aber ist auchder t iefste S inn des Deuts ch tums . S o hat vor heute h undertJahren der

'

deutscheste Denker, Fich te, die deuts ch e See l e vers tanden . Sich selbe r tre u sein wo l len , das gan ze Leben derNation m it der eigensten Aufgabe erfü l len , das is t das s ittl icheWo l len , in dem Deutsch tum und Amerikanertum s ich in tiefsterWesensverwan dtschaft begegnen , und so lange diese grund

sätzliche Übere inst immung bestehen b le ibt, kann von eineminneren Gegensatz beider Vö lker kein e Rede

'

se in .

Abe r gerade aus d ieser inneren Einmütigkei t erwachs täuße rl iche Versch ieden he it . D ie Entw ickel ung un d die Sch icksal e beider Vö lker waren zunächst so gänzl ich unglei ch undungle iche Aufgabe n stan den vor i hnen . Gerade wei l s ie erfü l l twaren von dem gemeinsamen Ver langen , das ganze Vo lkstumm it der eigensten Aufgabe zu durchdr ingen , gerade deshalbm ußte d ie Versch ieden heit der Aufgabe zu vö l l iger Versch ieden

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6 D ie Deutsch—Am erikaner

he it der staatl ichen Formen führen . Amerika wuchs aus fre ienGruppen, zusammengefüh rt durch das Verlangen nach Gewissensfre i heit und persön l icher U nabhangigkeit ; aus a l l enVö lkern der a lten Welt lösten sich die Selbständigsten los, umauf n euem Boden sich auszuleben . I hr Vo lks tum wurde so

zusammengehalten d urch die Begeisterung für e in ideales Gem einwesen, in dem jegl i cher in Freih eit den höchsten ‚

Gradse iner persön l i chen Leist ung erreichen könnte . Es galt e in Neueszu schaffen , das d ie reichste Entfal tung der Persön l ichke i t ermögl ich en so l l te . D as deuts ch e Vo l k dagegen , sei t es se inerse lbs t bewußt ward

,hatte e in Erbe zu pflegen . Das Gemein

same lag in der wundervo l len Eigenart des deutschen Geistes,

wie er s ich d urch d ie Jahrtausende zur Gel tung gebrach t . D iede utsche Art sprach aus Fam il ien leben un d Gemeindesinn , ausRech t und W i rts chaft, aus Musik und D ichtung, aus Wissenund Kunst

, aus Krieg und Spiel , aus Rel igion und Weltan

schauung. Es war e in e igner köstl i ch er Ton i hn fortklingen

zu las sen in Rein h eit un d Fü l le,das war die Verpfl ich tung

für d ie deuts che Se ele .

D as Bindende des amerikan ischen Vo l kstums ist so dasgemeinsame Zukunfts idea l, das eigen tl ich B indende des deutschen Vo l ks tums d ie geme insame Vergangenhe it . Z ielp unkt fürden Ameri kaner ist d ie vo l ls te Entfal tung der Persön l ichkei t ;die Nation als Ganzes ist um der e inze lnen wi l len da. Zie lp unkt für den Deuts chen ist d ie Erha l tung des Vo lkes als einesGanzen ; die ein ze lnen haben s i ch der Ganzhe it un terzuo rdnen .

Und damit ist al les we i tere gegeben . Ist d ie Nation da umder Pers ön l ichkeiten wi l l en , so is t d ie wich tigste Tugend dieGerechtigkeit ; is t aber der e inzelne um der Nation wi l len da,so is t d ie höchste Tugend die Treue . Mil l io nen ei l ten der NeuenWel t zu un d lebten s i ch dort e in in d iesen G lauben an den

S e lbstwert der Persön l ichkeit ; Mil l ionen verl ieß en d ie deutscheHe imat und trugen den G lauben an den Selbstwert des Vo lkesin tre uem Gemüt weith in über al le Tei l e der Erde .

Aus d ieser Versch ieden hei t ergibt es sich aber denn auch

von se lbst, daß j edes der beiden Vo lker se in Oberhaupt inbesonderer We ise finden m uß . Liegt der Sinn der Nation in

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8 D ie Deuts ch—Am erikaner

hei l igen We rt der deuts chen Kaiserkrone glauben . In d iesemD -oppelgefühl e inen inneren Widerspruch s uch en , h eißt n urh istorisch unreif denken . Wem in der Neuen Wel t d ie Erinnerung an d ie deutsch e Heimat n ich t vö l l ig ers torben ist, j a,wer an d ie We ltaufgaben der beiden herr l i chen Nationen glaubt,der muß aus t iefs tem Herzen wünschen , daß für al le Zeit derFührer Amerikas von den Stimmzette ln auch der Ger ingstenm itgewählt wird un d der Führer De utsch lands vom Wo l len auchder Höchsten unabhängig den Thron beste igt . Und wenn derEhrentag gekommen ist, an dem die deutsch e Nation s ich d iesesal lem Stre i t en thobenen Ka isersymbols am lebhaftesten bewuß twird , wenn Ka isers Geb urts tag da ist, dann so l l te ke in Deuts cherzwischen dem Atlant isch en und Sti l l en Ozean s ich durch gedankenlose R epublikanerskr upel verwirren lassen . Das de utscheKaise rtum in sein em unvergängl ichen Werte zu würd igen undzu vere i nen bedeutet gerade zu jene po l it ische Reife bekunden ,welche Amerika von j edem seiner Bürger fordern so l l te . Ja,mit Gewiss ensruhe und Sto l z dürfen wir a l l e h ier im Herzen derkraftvo l lsten Demo kratie einstimmen in die Segenswünsche fürden angestammten deutschen Kaiser und Kon ig.

Abe r wir al l e,d ie wir Deutsch lan d l ieben , empfinden doch

noch e in re icheres Gefüh l : zu dem Sto l z auf das mächtigeKaise rt um gesel l t s ich d ie j ubelnde Freude über d ie e in zigeKaisergestalt . Der Kaiser

, sagten wir, steh t grundsätzl i ch überdem Strei t der Abs ich ten und daher bleib t er j ensei ts von

krit isch-em Lob und Tadel . Um so lebhafter aber m uß es alsG l ück empfunden werden

,wenn d ie Weltgesch ichte zum Träger

des R eichssymbols e inen Geist erkürt von so se l ten er Kraft undso überragendem Können . Und do ch müssen wir wieder sagen :das beste ist n ich t

,daß er so l ch er lesene Gaben verein igt, sondern

daß er in al lem sein em Wo l l en und Können“

so ech t den Sinndes deutschen Vo lkstums in s ich darste l l t . D as al le in erhebt d iePersön l ichkeit ein es Monarchen

,daß er d ie Kräfte, d ie in seinem

Fürstenamt symbo l is iert s ind , d urch se in eigenstes Wo l lenleben d ig werden läß t. Wir fe iern den Deu tschen Kaiser n ich tnur als den Zufa llsträger der Krone und n ich t n ur als d ie mach tvo lle geschichtliche Erschein ung, sondern vor al lem als d ie

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und das Kai serreich . 9

Persön l ichkei t, i n der das h errl iche Erbtei l des deu tschen Gen i uss ich so v-ollgü ltig zum Ausdruck bringt . Ers t d urch so l che Erfül l ung wird der S inn der Kaiserwürde wahrhaft überzeugend

.

Aber es wär e unserer Feier n icht würdig, wenn wir unsder Begeisterung hingehen wo l l ten , ohne zu prüfen

, ob n ich tauch Zwe ife l und Befürch tungen s ich in man cher Seel e regen .

D ie gan ze Bedeutung des Kaisertums lag uns dar in,daß der

geworden e gute Geist d es Vo lkes d urch den Herrscher vers inn licht wird : können wir uns darüber tausch en

,daß vie lfach

gerade dort d ie Bedenken empo rsteigen ? Immer wieder hörenwir und l es en wir, auch wo kaisertreue Ges inn ung aufs festestewurzel t, daß manch e sein er Neigungen un d Impu lse dendeutschen Trad itionen widersprechen oder dem deu tschen Wesenfremdartig s in d . Wie steh t es dam it in Wahrhei t ? Wer so w iewir al l e in fremdem Lan de h ier d ie D inge aus weiter Entfern ungschau t, ist in der günstigen Lage, e in unpartei isches Urte i lz u en twickeln . Wer se lbs t m itten im Gewüh le der tägl ichenBewegung steht, verl iert l e ich t den Maßstab ; wer aber aus derFerne h in überbl i ckt , der kann un be irrt den B l ick auf das Ganzer ichten . Wie steh t es m it dem vermein tl ich en Widerspruchdes Kaisers gegen das Wo l len des Vo l kes ? Lassen Sie unsd iesem und j enem Einwand ins Auge schauen .

Viel le ich t am lautesten he iß t es immer wieder, daß derKaiser in n eue

,dem Deutschen fremde Bahnen eingelenkt ist,

als er d ie Flo tte baute und den Bl ick der Nation hinaus lenkteauf das we ite Meer . Hatten die Deutsch en n ich t se i t langenJahren zufrieden auf ih rer Scho l le gewirts chaftet, d ie Landesgren zen gegen den Fein d gesch irmt und sich von al len überseeischen Abente uern vorsi chtig ferngehal ten ? So l l n un d iede uts ch e Kraft in ufer losen Plänen un d undeu tschen Wagn issenverge udet werden ? So l l D eutsch land im We ltmachtkoller sein eFlotte aussenden , derwe i l se in ererbter Ruhm , das Land derDenker und D ichter zu sein

,l angsam zerkrümelt und zerfal l t ?

D ie Gegenrede drängt s i ch frei l i ch j edem auf, der den Wirtschaftsweg der Nation verfo lgte . Die Bevö lkerung wuchs zu schne l l ,um s ich auf dem kargen Boden we iterh in durch Landwirtschaftz u ernähren . Deutsch lands M enschenzunahme ver langte den

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1 0 D ie Deuts ch-Am erikaner

Ubergang zum Industri estaat, und d ies bedeu tet den Aus tauschm it den Län dern der Erde . Muß aber so das Land

,um sein e

Leu te zu ernähren , seine Waren über al le Meere senden so mußd i e Nation bereit sein , i hren Handel z u sch ützen : d ie starkeKr iegsflotte e rgibt s ich so no twendig aus dem neuen Werdenund Wachsen . Un d doch , al les das ist n ur d ie halbe Wahrheit ;es ist d ie schuchterne und fast verlegen-e Erklärung im Mundederer

,d ie den Wandel der Nation entsch uld igen wo l l en . D ie

vo l le Wahrhe it is t vi elmeh r, daß es da n ich ts zu en tsch u ld igengibt, wei l überhaupt im letzten Grunde kein Wandel e ingetreten .

Nur muß der B l ick n ich t an dem Gestern haften . We r n ur derle tzten Vergangenheit gedenkt, fin de t frei l ich n ur Deutsch landsOhnmacht zur See . Wer aber das deutsche Ringen und Wagend urch al le Ze iten verfo lgt, der ist gew iß , daß se it den frühestenJahrh underten deutsch er Gesch ichte der Kampf der Sch iffeimmer wieder einsetzt

,die Mach t auf

‚dem Meere immer wieder

lockt,das deuts ch e Vo l k in se in em Sehnen stets den Wel len

vertraute . German ische Stämme haben zur Zei t der Vö lkerwanderung und früher schon kühn e S eezüge siegreich durchgeführt

, u nd Kar l der Gro ße sendet immer ne ue Flotten gegendie Fe inde . Mit dem drei zehnten J ahrh undert beginn t d iemächt ige Entwickl ung der deutschen Hansa , j enes nord isch enStädteb un des

,der sein uberseeischesW irken kraftvo l l z u sch ützen

wuß te.Wer s o den B l ick zurücklenkt, übersieht, wie es n ur

d ie N ot der Ze it war, die das deutsch e S treben später wiedere ingeengt und sein e Seemacht zertrümmerte . D ie großen Tagede uts cher Seefahrt wieder zu erneuern , Deutsch land wieder zurkräft igen Flottenmacht zu führen , bedeutet so gerade dasdeutsch e Erbtei l wahren , dem deutschen Vo lke wahrhaft se ine igenstes erhalten und somit so rech t den symbo l isch en S inndes Kais er tums verwirkl ichen . Das Kaisertum so l l den

Wi l lendes deutschen Vo lksgeistes verkörpern ; und dieser Wi l l e warn ur durch Zwang

,n icht d urch e igne Wah l an d ie h eim ische

Scho l l e gefess elt . Haben uns doch auch gerade dafür d ieh eutigen H istor iker der deutschen Seemacht d ie Augen geöffnet,daß De utsch land in den Zeiten der Flottenohnmacht auf demLande zwar vie l s to l ze Siege errangen hat, aber n ur zu oft die

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und das Kais erreich . I I

le tzten Erfo lge sein er Siege den an dern zufie len , wei l immerin der We ltgesch ichte n ur der d ie Früch te ern tete, der l etzth ind ie Seemacht besaß .

Abe r der Vo lksgeis t hat n ich t n ur den Wi l l en zur Mach t ;Empfinden un d Denken

,Füh len und Sehnen ist m i t dem Wo l l en

verknüpft : das Kaisert um so l l a uch des ganzen Vo l kes Geis tund Herz un d Gewissen zum Ausdruck bringen . Auch daw ir d ger ade in d er Neuen Wielt so o ft die Sche l trede lau t : derKa iser se i rückständig ; er sträube s i ch gegen d ie n euen Wege,welch e der Gen i us des Vo lkes in Kunst und Wissenschaft beschre iten wo l lte . Ein n euer verheißender Ideal ism us beginn es ich in der We ltanschau ung un d den Künsten zu regen ; derKaiser aber wo l l e von dem Fo rts chri tt n ich ts wissen : er steheauf dem Stan dpunkt des gerade Überwundenen . Aber auch daist es d ie Obe rfläch l ichkeit, d ie so Tadel s uch t ; d iesel ben , d ieda klagen

,wenn der Fürst in der Weltpo l it i k zu neuen Bahnen

drängt, zetern , daß er in der Kunst in den alten Bahnen bleibe .

Wir fre i l i ch erkann ten , daß j en e Po l i t ik, welche d ie Zukunftauf dem Wass er s ucht, sehr woh l d ie Erbschaft deutschenGe is tes fes thäl t und gerade dad urch d ie h eh re Aufgabe desKaisertums erfü l lt . Und so müssen wir es wi l lkommen heiß en ,daß auch in den Reich en des Ge istes der Kaiser für das Gewo rdene und Gesicherte e insteh t und a uf den D rang zu Neuem

und Unerprobtem o ft hemmend e ingre ift . D ie kaiser l ichen Ze ltedürfen n ich t da aufgesch lagen werden , wo d ie Vorpostengefechtezu erkämpfen s in d .

Die Vo rwärtsbewegung in Wissenschaft und Kunst m ußj ederze i t von den e in ze lnen ausgehen ; Gen ies müssen d ieR ichtung ze igen

,Talen te müssen den Mar sch le i ten , d ie Besten

und Begabtesten müssen m ithelfen,aber so lange es noch Be

wegung ist, muß es die Tat der e inze ln en bleiben . Erst wenndas n eue Gebiet ers ch lossen un d gewo nnen ist, kann das Vo l kal s e in Ganzes nachrücken und Besitz ergreifen . Wo l l te derKaiser da selbs t den Weg zu neuen Zie len suchen oder m itden Verwegensten auf n euen kühn en Bahnen vordrangen , so

würde er dadurch selbs t nur so l ch e inze lner werden , der ba l dim Recht

,bald im Unrech t sein mag, der dann auch viel le ich t

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I 2 D ie Deu tsch—Am erikaner

e in tüchtiger Gelehrter oder Künstler se in mag, aber ein ech terKaiser wäre er n icht ; denn der Kaiser ist in d iesem Sinnen ich t e in ein ze lner, i st n ich t Vertre ter seiner pe rsön l ichen Ne igungen , sondern Vertreter des ein heitl ichen gesch ich t l i chenVo lks t ums . In se in em Geschmack und Urte i l so l l s ich d ieganze Gesch ichte des Vo lks verwirkl ichen , und so muß wah rerK aisergeist notwendig hemmend wirken auf d ie un erprobtenNeuerungen , muß s ich zunächst gegenstemmen, wenn Unerhörtes das Gewo hn te be ise i te drängen wi l l , a uch wenn dasNeue s ich mit frischer S iegeskraft hervorwagt . Kai ser se in h eiß tSch ützer se in für das Errungene ; das Al te preisgeben , um e innoch Ungewisses wagend zu gewi nnen , i s t oft vie l lockenderund le ich ter, un d j eder darf es , n ur ein Kaiser n ich t, der auchim Reich des Geis tes übe r dem Strei t der e in ze ln-en steh t, umein Symbo l der national en Gan zheit zu b leiben .

Haben wir n ich t al le e in ein dringl iches Beisp iel h ier inI hrer Nachbarstadt S t. Lo u is erlebt, a ls wir zur Wel tausste l lungp ilgerten ? Deutsche —Baumeister hatten ein präch tiges H aus gep lan t

,das Deuts ch lands n eue Kunst durch ein kühngedachtes

Bauwerk vertreten sol l te . Der Kaiser versagte d ie Zustimm ung .

Er füh lte woh l, daß so l ch neuersonnenes Werk doc h n ur d ieArbeit e in es e in ze ln en Vorkämpfers sei ; es gal t vie lmehr, dortD eutsch lands h istorisches Erbe zu betonen . J edermann mä kel tean dem kaiserl ich en Verbot ; es war als e in Sch lag gegen d iene ue Kunst empfunden . Der Kaiser l ieß den Mittelbau d esCharlo ttenb urger Sch losses nachbauen . Und wir al l e, die esgeseh en

,werden es n iemals vergessen , wie dort aus dem b lanken

elfenbe infarbenen Pa las tgewirr auf l eich tem Hüge l e infach sto l zdas deuts ch e Haus w ie ein al tes ehrwürdiges

‚Wahrzeich en

emporst ieg. Die ganze Größe und Majestät des deu tsch enVo lkes war durch den kaiserl ich en Wil len aufs wunderbarstedort aufgebau t.

Am müßigsten aber ist der hämisch e E inwand , der s ichgerade h ier in der Fern e so häufig vernehmen läß t. Der Ka i ser,so heiß t es immer w ieder , verkörpert gar n ich t deu tsche Art ;er wi l l stets Rampen l icht und Be ifal l, arbeitet auf d ie szen ischeWirkung h in und drängt s ich m it Rede und Tat in den Vorder

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und da s Kaiserreich . 1 3

grund ; das sei viel le icht Franzo senart, der Deutsch e aber se isch l ich t und schweigsam und schaffe um der Sach e wi l l en . Vie leder Ernstesten in der Neuen Welt sprech en so ; und wennih r Tadel berech tigt wäre

, so müßte j ede Gegenrede in derTat verstummen , denn das war uns j a der tiefste S inn derKaise rwürde

,daß d ie de utsche Vo l ks seel e in dem Träger der

Krone zu deut l ichstem Ausdruck kommen so l l . Der Vo rwurfist abe r vo l lkommen unberechtigt , denn er schafft e in en Gegensatz zwischen Kaiser und Vo l k n ur dadurch , daß der wirkl ich eKaiser von heute m it e in em unwirkl ichen Vo lks tum vergl i chenwird

,das se in e Hauptzüge aus lange vergangenen Jahrzehn ten

ent l ieh . Das he utige de utsch e Vo lk als Ganzes hat a l le d ieWes en heiten , d ie in der Gestal t des Kaisers schi l lern , und von

e in em Gegensatz kann kein e Rede sein . Diesem und jenem,

i n dessen Phantas i e das arme bedrückte in s ich gekehrteDeuts ch lan d der Verga ngen heit lebt, ist d ie n eue Wand l ungun d der n eue Prun k fremdartig und viel le icht un erfreu l ich :er l iebte d ie st i l len winkl igen Gassen un d findet n un d ie Herrschaft des Automob i ls, er verehrte d ie D ich ter und D enkerund s ieh t n un wie d ie neue J ugend d ie Herrl ichkeiten derIndustr ie bestaun t . Wer hinüberpilgert, um i n j eder Stad t e invergrößertes Weimar zu finden un d statt dessen erstaun t überal ln ur e in verkleinertes Ch icago en tdeckt, der wird n ich t leich tden rech ten Maßstab gewinnen . Ja, Deutsch lan d hat s ich un ter

dem neuen Reicht um durchaus umgestal tet ; wer n ich t dauernddort lebt, sondern n ur von Jahr zu Jahr d ie al te Heimat aufsucht

,empfindet es deutl i ch . Vie l unschöne Sch lacke ist s icher

l i ch dabe i , aber d ie Wandl ung selbst war no twendig. Und eines

vor al lem : mit der n euen Lebensgestal tung is t e in ne uer Geist

oder bes ser, e ine neue Stimmung über d ie Bevö lkerung gekommen . Auch das ist dem Außenstehenden viel le i ch t deutl icherals dem

,der m itten inne steht .

Es ist schwer,diesem neuen Lebensgefüh l e inen einheit l ichen

Namen zu finden,un d h istorisch e Vergleiche s ind gewiß stets

unzure ichend,und doch kl ingt viel l e ich t das Wesen tl i chste an ,

wenn ich furcht los sage : das deutsche Vo lk is t in Rokoko

stimmung.Rokoko ! wir denken an jen e Zeit, in der in

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1 4 D ie Deuts ch-Am erikaner

der Kunst der Rahmen si ch belebte, s ich gleichsam aufloste

und d ie Lust an den s ich selbständ ig aufsp ie len den Verzierungendie strengen widerstrei ten den Forderungen der S truktur übe rwuchert . Was so vom Ro kokorahm en des B i l des gi l t

,gi l t von

dem see l ischen Rahmen des ganzen Lebens . Etwas Spie ler ischesund Dekoratives , etwas Fr ivo l es un d Kokettes , etwas naturwidr igZier l ich es und Theatral isches ist wieder i n der D aseinsstimm ung.

Tändelnde S chäferspiele und Grottenwerk s ind n ich t d ie äußerenFormen vo n heute ; inner l i ch aber feh len s ie n ich t . Die wunderbaren Sam twesten der Männer , d ie Zigare tten der Frauen , dasle ichte Sp ie l des Handkusses und das b unte Treiben im K abaret,frivo l und amüsan t, es ist n i ch t d ie re ine Lebens l ust der R ena issance

,es ist j ust Rokokostimm ung. Der Personenkultus blüh t

und i n seinem Gebiet das Strebertum und die Tite lsuch t derLuxus fe iert se in e Feste und in se in em Gefo lge d ie M itgiftjagd .

Das Kunstgewerbe erreicht wieder sein e R okokohöhe mitschönen Gefäß en und J uwelen und Möbeln ; malerisch e Lebensformen br ingen immer neue Gen ii sse un d Überrasch ungen .

Schon bringt d ie Gesch ichte uns wieder i hre M emo irenwerke

und d ie Wissenschaft i hre Handbücher und Sammelarbeitenw ie d azumal . D as ist n ich t Laun e der e in zel nen , das ist Lebensst immung des j ungen Deutsch land ; und wenn der Kaiser dasGefüh l se in es Vo lkes wahrhaft verwirkl i chen sol l, dann darfer n ich t d ie sch l ich te Einfachhe i t sein es Großvaters nachahmenwo l len

,so ndern m uß nach Kie l und nach Korfu z iehen und i n

rauschenden Festen und maler ischen Aufzügen , in Denkmalsenth ül l ungen und G rundste in legungen , in Paradereden und

Theaterglanz d ie R okokostimm ung des ganzen Vo lkes zu vo l lendetem Ausdruck bringen .

Der deutsche Vo lksgeis t ist d urch d iese Feststimmung derre ichgewordenen Nat ion n ich t bedro h t, denn immer wieder zeigtes s i ch , daß das Vo l k n ich t wi l lens ist, uber al l seinen Sp ielen d ieharte strenge schaffen de Arbei t z u vergessen . Und mag d ieNach t zum Tag verwandel t werden

,es findet s ich do ch immer

wieder m i t dem neuen Morgen die n eue nüchtern e Wirkungskraft . Deutsch lan d is t tro tz a l l em prach tvo l l bei der Arbei t,und i n Wissenschaft un d Kunst und Wi rtschaft und Rech t

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Professorenaustausch.

A n Bord der Kaiserin Augus te ViktoriaAtlantischer Ozean , 2 0 . J uni 1 90 8.

ieber Freun d und K o ll ege ! I hr langer Brief aus derHe im at m it a ll den ernsten u nd he iteren H ofessoren

austausch-Betrach tungen l iegt neben m ir und mahn tm ich zur An twort, während ich behagl ich auf dem Kaiserdeck im Leh

'

nstuh l ruhe und h inausb l icke über d ie b laueFlu t, die im Sonnensche in fl immert. I h r Schreiben erreich tem ich , kurz ehe ich Bos ton ver l ieß , und in der Unruhe derl etzten Semestertage die H arvardferien beginn en MitteJ un i konnte ich an keine Erwiderung denken . J etzt aberin der wundervo l len Muße der Ozeanfahrt kehre i ch gern zuI hrer Briefplauderei zurück, um I hren Betrachtungen e in paarGegenbetrachtungen anzure ihen . Fas t fürchte i ch , daß s ie nochlänger s ich ausspinnen mögen als I hre Ep iste l

,denn h ier in

der Mitte des Ozeans kenn t man kein e Ze i t “und kein e Ei le .Gibt es do ch n ich ts Köstl ich eres als d ies es gl ückl iche Losgelöstse in, dieses beschaul i che H inleben zwisch en dem lachendenMeer un d dem blauen Sommerh immel, l e ich t umsp iel t von derGesel l igke it fröh l icher R eisegenossen . Und n irgends ist esköstl icher als auf der „Auguste Viktoria dem Vielgere istendas schönste al ler Sch iffe ! Mögen Andere, die es gar z u ei l ighaben , auf der De utsch lan d

oder dem Ka iser" über das Weltmeer jagen

,i ch lobe m ir die „Kaiserin

"und i hr sto lzes Schwester

sch iff d ie „Amerika selbs t in Winterstürmen trugen s ie m ichruhevo l l d urch die We l len berge . J etzt aber im Juniglanze is tke in e We l l e zu schauen . Wie von der Terrasse eines Strandsch losses b l icke ich h inaus ; le ise kl ingen vom Palmengartend ie Töne der Zigeunerkapel le

,i n de r Ferne sprude ln j ust e in

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P rofessorenau s tausch . I 7

paar Walfische ihren Wass erstrah l empor, un d n ur h ier undda mahnt das Ge-kn itter e iner Drahtlosen , daß wir auf unsererpräch t igen S chiffs insel doch immer no ch m i t der neuen u nd

bal d schon wieder m it der a lten We l t in Verbind ung stehen .

In so l cher Stunde z iehen dann auch d ie Gedanken gernh inüber und herüber d ie kle in en M iß he l l igke iten von gesternund vorgestern , d ie Zufal lsbedenken für mo rgen und übermorgen s in d da al l e vergessen und d ie großen L in ien derWechselbezieh ungen zwischen Europa un d Amerika werdendem Auge klarer . Und wenn ich so auf das Ganze b l icke

,

dann überkommt es m ich doch m it ernster Befried igung, wiegan z anders d ie al te Heimat und d ie n eue Heimat e inanderhe ute verstehen als damals, da ich in den Tagen der Chicagoer Weltausstel l ung zum ers tenmal den Ozean kreu zte . Ja,wenn Sie

,l i eber Freund

,für manche dieser Verständigungswege

und manche der n eueren A ustauschm ittel nur lockeren Spottin I hrer See l e finden , so sage ich doch getrost, daß das Guteun d Rechte und Verständ ige be i weitem überwog und groß eBewegungen n icht nach klein en M ißgriffen beurtei l t werdendürfen . Wenn Sie aber sch l ieß l ich den Haupttei l der Verantwortlichkeit freun d l ichst a uf m ich laden , so frage ich zunächstgar n ich t

, ob mein e Verm ittlungssünden wirk li ch so arg war en ,sondern b in gern bereit, die Veran two rtl ichkei t auch da zutragen

,wo e in genau nachprüfender Richter m ich en tlasten

würde . Und wenn Sie nun gan z b esonders über den v iel zu vie lerörterten Professorenaustausch, der ja do ch n ur e in Faden imGewebe ist

,al l e d ie amüsan ten K o llegenscherze zusammen

tragen, so lache ich gerne m i t und behaupte doch , daß Sie im

Unrech t s in d . Aber wie gesagt , ich 'wi l l ”mich n ich t en tsch u ld igen ,und auch da s Kr i tis ieren über lasse ich gern den andern , und

nur das e ine interessiert m ich : is t d ie Grundrichtung verstä ndig,und was kann und m uß getan werden , um dem Ziele näher

und näher zu kommen ?

Bl icke ich zurück,so sehe ich gerade fur diese po l i tisch

akadem isch en Bez ieh ungen deut l ich den Anfang. Der Zufa l lw i l l

,daß s ich in d iesen Tagen genau ein Jah rzehn t erfü l l t,

se i t d ie Lawine ins Ro l len kam . Im J un i 1 898 schrieb ich

M ü n s t e r b o r g , A u s Deutsch -A m er ika . 2

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I 8 P ro fessorenaus taus ch .

dem deutschen Botschafter von Ho l leben den ersten Brief,

aus dem sich schnel l e in n iemals un terbrochen er Br iefwechselentwickel te . Der Grundgedanke meiner An regungen war aberd ieser . B is dah in hatte d ie deutsche Regierung und d ie deutsch ePo l it ik n ur Füh lung m it der amerikan ischen Regierung undder amerikan ischen Po l it i k gehabt . Es war deutl ich vorauszusehen

,daß nach dem span ischen Kr i ege eine gewalt ige welt

po l it isch e Entfal tung der Verein igten Staaten e insetzen würdeund die ungeheuren inneren Kräfte der j ungen Nat ion m itne uen Zielen sich en twicke ln würden . Es lag in Deutsch landsInteresse

,in so l ch er Zei t d ie engste Füh l ung m i t der ameri

kanischen Nat ion zu gewinnen und d ie beiden hochstrebendenVölker für al le Zukunftsfälle n ich t d urch äußere unmögl icheBündn isverträge, sondern d urch innere Willensbeziehungen ane inander zu bin den . Das aber war m ir klar

,und dar in sah

ich das en tscheiden de : die t iefsten un d besten Kräfte derNation können in der amerikan ischen Demokrati e n ur zumgeringsten Tei le d urch d ie Po l i t ik und d ie o ffiziel len R egi erungsvertreter zum Ausdruck kommen . Und zwar gal t das für j eneVor-Roo sevel t-Zeit" vie l l ebhafter als h eute . D as wahre Amerika entwickelte seine besten Kräfte im Leben der Un ivers itäten ,die n ich t n ur dem Unterri ch t un d der Forsch ung d ienen

,

sondern in seh r vie l höherem Maß e als d ie deutsch en Hochsch ulen zugle ich ein e sozial e Ein igung der führenden Geisterdes Lan des s in d . Wo l l te d ie deutsch e Po l i t ik w i rkl ich m it

dem besten und dauernden Amerika in Füh l ung treten , so

mußte s ich e ine Berührung zw isch en der deutschen Regierungund den amerikan ischen Un ivers i täten vo l lziehen .

M i t fe instem Verstä ndn is un d s icherstem Takt und zugle ich m i t unermüdl icher Energie ging der deutsch e Botschafter auf diesen Vorsch lag e in . Im fo lgen den Winter warer e ine Woche lang der vereh rte Gast unter den al ten U lmender Harvar d-Un ivers ität und wurde n un der M i ttelp unkt von

Festl i chkeiten,

d ie gan z neue Bez ieh ungen zwischen den be idenLändern gestal teten . Der Führer des amer ikan ischen Geisteslebens, der Präs iden t der Harvar d-Un ivers i tät, Charles E l iot, nahmwil l ig d iese n eue Erschein ung im akademischen Felde auf . Nach

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P rofessorenaus tausch . 1 9

dem das erste Wagn is in Cambridge-Bosto n so glückl ich abgelaufen , ging ich nach Ch icago, um den Präsiden ten derCh icagoer Un ivers ität, den unvergeß l ichen H arper, zum Ansch l ußan d ie Bewegung zu bestimmen , da d ie Ch icagoer Un ivers itätd ie Füh rung des amerikan ischen Westens in gle icher We ise behauptete, wie Harvard die des Ostens . Auch dort war jedes Bedenken bald zerstreut . Im Früh l ing fo lgte Herr von Ho l lebender Ch icago er E in ladung ; d ie Un ivers ität sch uf sogar e inenFeiertag für den deutschen Gast . Der Botschafter sprach in derAula zu Tausenden von Studenten , und in e indrucksvo l len Redenwurde auch in der geistigen Hochburg des Westens zumerstenmal fe ier l ich d ie Freundschaft zwisch en Amerika undDeutsch lan d verkündet . Den Höhep unkt erre ich te d iese ersteBewegung

,als dann später der de uts ch e Botschafter in dankbarer

Anerkennung d ieser Bemüh ungen gewissermaßen den höchstenund se l tensten Orden des Landes, den E hrendoktorshut derHarvard-Un ivers ität

,erh ie l t.

Damit schon verknüpfte s ich a ußerlich ein e k le in e Nebenbewegung. Mehrere Harvar d—Professoren , die dort de utscheSprache und Literatur do zierten , hatten schon lange in Aufsätzenden Wunsch vertreten , daß Harvard , an Sammlungen und M u

seen re ich,auch e in e Samm lung von Gipsabgüssen deutscher

Kunstwerke im Interesse des german ischen Unterr ich ts e inr i ch ten möge . I ch se lbst, der ich j a n ich t De utsch , sondern Psycho logie in Harvard z u leh ren habe, stand d ieser Bewegung z ieml ich fern ; m ein l iebenswürd iger Ko l lege Pro fessor Fran cke war dergeist ige Urheber . Zunächst war d ie Bewegung erfo lglo s geb l ieben . Als aber der deu tsche Bo tschafter uns besuchte, r iefer d ie l e i tenden Deutschen von Boston zusammen , und unterlebhafter Mitwirkung des Botschafters wurde der gesamte Planbeleuch tet un d erörtert . Der Botschafter ber i ch tete nachBer l in

,w ie sehr d ie Verwirkl ich ung dieses Planes von der Mit

h i lfe der deutschen Regierung be d ingt se i, und als dannHarvard das Deutsch tum ehrte

,indem es den Botschafter zum

Eh rendo kto r erkor, reifte im Ka iser der hoch herzige, auch von

Hermann Grimm bestärkte En tsch luß,als Gegengabe der Harvard

Univers ität ein e mögl ichst vo l lständ ige Samml ung der wich2.

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2 0 P rofessorenaustaus ch

tigsten deutschen K unstdenkmaler im Abguß zu schenken . Alsdann Pr in z Heinr ich das Land der Sterne und Streifen be

suchte, um die sich schnel l immer günstiger gestal tenden Bezieh ungen der beiden Nationen zu fördern

,da wurde er der

Überbr inger der sto l zen kaiser l ichen Gabe . In meinem A rbeits

zimmer, in dem dre i J ah re vo rher d ie Professoren dem Bot

schafter die Wünsche für ein german isch-es Museum dargelegt,

überreichte n unmehr der Bruder des Kaisers m i t feierl ich erRede dem Präs iden ten der Un ivers ität d ie Schenkungsurkundeund die Abb i ld ungen der Kunstwerke

,d ie fortan den Grund

stock des ersten german ischen Muse ums im A us lande bi ldenso l l ten . Schen kungen von an deren Se i ten sch lossen sich baldreich l ich an , und so ents tan d ein e Samm lung

,die wie wen ige e in

anschau l iches B i ld von deutscher Skulptur der al teren Zei t imfremden Lan de b ietet .

B l i cke i ch auf j ene ersten Jahre der po l i t isch-akademisch enBewegung zurück, so erschein en s ie m ir noch heute als Jahremühsamer Arbei t

,denen gegen über die Weiter-en twickl ung der

l etzten Jahre n ur glatte und leich te Wei terführung bede utete .Von den H indern issen , d ie damals s ich en tgegenstel l ten , ja vonden Schwier igkeiten

,m it denen Vo rurte i l e , Mißverständn isse und

Irrtümer zu beseitigen und see l ische Hemmungen zu überwinden waren

,machen d iejen igen s ich ke in B i ld mehr, d ie

in d iesen Kreis erst in der fröh l ichen Aera des Professorenaustausch es h ineingeb l ickt . Fünf Jahre lang gal t es erst, zusäen ; der Profess orenaustausch fäl l t schon in die Zei t der be

ginnenden Ernte . In der Tat, nachdem der Pr inzenbesuch s ichzu glän zendem Erfo lg gestal tet und d ie führenden amer ikan ischenUn ivers itäten ihre ges icherte Ste l l ung in den in ternationalenBez ieh ungen erworben hatten , da m uß ten s ich wie von se lbst neueund neue Formen des Verkehrs ergeben ; und daß m it derErnte auch manches Unkraut aufwucherte, wird kein en Verständ igen wundernehmen . Zunächst ergab es sich näml ichnatür l ich , daß , nachdem d ie Vo rte i l e d ieser akadem isch-po l i t ischen Wechselbez ieh ungen e in leuchteten

,immer neue Hoch

sch ulen d ie Bewegung eh rgeizig nachahmten . Bald sch loß s ichd ie kräftig vo rdringende Co l umbia-Un iversität in New Yo rk an ,

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P rofessorena'

us täumh . 2 I

in anderer Weise wieder d ie Un ivers itäten von Pennsylvan ia,

oder von I l l ino is, o der Wiscons in , und immer neue Pläne übe rboten s ich . Mit großem Gesch ick führte dann der n eue Bo tschaffer des Reich es , Fre i herr Speck von Sternb urg, die Bewegung weiter, und , wie ich es von Anbeginn erho fft undangestrebt, a llmahlich trat dann auch d ie deutsche Un ivers i tä tswel t in d ieses weltpo l i t is che Gefüge e in . Scho n im Jahre nachdem Pr inzenbesuch entwarf ich d ie Plän e für den großen in ternat ional en

'

Gelehrtenkongreß für d ie Wel tauss te l l ung in St .Lo uis , der zum erstenmal e ine ganze Schar der hervorragendstene uropäischen Fo rscher über das Weltmeer füh ren so l l te . Dieme isten deutschen Gelehrten

,denen ich im fo lgenden Sommer

d ie Ein ladung persön l ich brach te,s ch lossen s ich der Wal lfah rt

z ur Stadt des h ei l igen Ludwig an , und“ wer wi l l abmessen ,

wie vie l der Anregung und des ge istigen Austausches und dernationalen Verkn üpfung aus d iese r unvergle ich l ich en Ko ngreßfahrt en ts tan d ! Damals, als a uf dem Rückweg von dem Ge

lehrtenkongreß unsere Gas te , mit M ännern wie Harnack, Ostwald ,I a mprech t usw. in i hrer M itte, i n Harvar d wei l ten , wurdenwoh l auch d ie ents cheidenden Gespräche geführt, d ie zu derbesonderen Fo rm des o ffi zie l len Professorenaustausches fuhrten

,i n steter Füh lung m it Althoff, dem weitschauenden Meister

im Ku ltusm in isteri um . Und auch da fo lgte bald d ie Co l umbiaUn ivers i tät auf Harvar ds Spur.

Lassen S ie m ich,l ieber Ko l l ege, be i d iesem Pro fessoren

austausch,dem der Haupt te i l I hres Briefes gi l t, ein wen ig ver

wei len , unbekümmert, wie er von der Parteien H aß und G unstverwirrt ersch ein t ; seh en wir zu , wie er dem sich darbietet,der die D inge le idenschafts los abwägt. Ich l eugn e n ich t, geradefür d iese Form der Bezieh ungen hatte ich selbs t zunächst ge

wisse Bedenken,deren Berecht igung d ie Zukunft auch erwies .

Aber wäh ren d uber die zufäl l ige Form s ich in der Tat strei tenläßt, s chein t m ir der Grun dgedanke doc h fruch tbar und vor

al lem in ho hem M aße entwickl ungsfäh ig. Es gi l t, die zweigesündesten und s tärks ten und verhe iß ungsvo l lsten Natio nender Wel t durch ihre wertvo l lsten Kul turinstitu tionen , d ie Hochsch ul en

, ih l ebend iger Füh l ung und dad urch in“

dauernder Ein

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2 2 P rofessorenaus tau sch .

tracht zu halten . Sie ‚sehen frei l i ch , l ieber Freund , daß wirbeide so die gesamte Frage unter gan z versch iedenen Ges ichtsp unkten anschauen . Für S ie is t es aussch l ieß l i ch e ine Un ivers itätsfrage, für mich ist es fast aussch l ieß l ich eine po l i t ischeFrage . Sie wo l len da d urchaus mühsam abmessen , ob d iedeutschen Un ivers i tä ten oder d ie amerikan ischen Un ivers itätenmehr Gewinn dara us ziehen , ob auf be iden Sei ten der akadem ische Unterrich t überhaupt Vo rte i l davon gewinn t, und mirist, offen gestanden , das al les vo l lkommen gleichgü lt ig. Akadem isch kommt wirkl ich n ich t so v iel darauf an , daß nun imnächsten Winter der Geograph von Ber l in , Professor Penck, inAmerika und der Geograph von Harvard , Professor Davis, inDeutsch lan d dozieren wird . Der Gesamtertrag geograph ischerErkenn tn is in der gesamten Studen tenschaft h übe n und drübenwürde verm utl ich n ich t geringer ausfa l len

,wenn jeder von be iden

fried l ich z u Hause b leiben würde . Aber dar um hande lt ess ich eben erst in letzter Re ihe . In erster Rei he handel t essich vielmehr darum , daß in unserer verh eiß ungsvo l l bewegtenZei t d ie Un ivers i täten n ich t wieder absei ts stehen dürfen von

den gro ßen Kulturaufgaben , sondern an i hrem Tei l m i twi rkenmüssen an der Stärkung des Bewuß tseins nationaler Wechselbezieh ungen . Nur in d iesem Sinn e dar f meiner Ansich t nacham einzelnen Kritik geübt un d gemode lt werden .

Wurde ich die grundsatzlich unwich tige Frageste l l ung, ob

re in aka demisch das ein e oder das andere Land mehr gewinn t, überhaupt zu lassen , so könnte i ch übrigens n ich t zwe ife ln ,daß die amerikan ische Un iversi tät wen iger Gewinn davonträgtals d ie deutsche, das Bekri tteln auf deutscher Seite also gewißn ich t am Platze ist . Die Verhaltnisse, die in weiteren Kreisennatürl ich unbekannt s in d

,l iegen näml ich so, daß der bes uchende

amerikan isch e Professor in Deutsch land leich t e in groß es Ko l legzustande bringen wird , der bes uchende deutsche Professor inAmerika dagegen , auch wenn er der gen ialste wäre, stetsn ur auf einen kleinen Studen ten kre is wirken kann ; der amerikanischen Un ivers ität a ls Unterrichtsanstal t wird also nur eingeringer Nutzen gebrach t . Der grundsätzl iche Untersch iedberu h t auf der techn ischen Versch ieden hei t der Berechn ung

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24 P rofessorenaus tausch .

l iegen die Verhä l tn isse für deu tsche Literatur, und so hatte denn

den besten Besuch Pro fessor K ühnemann m it seinem Ko l leg überd ie klassisch e deutsche Literatur ; und doch war selbst das nurvon zwanz ig Studenten belegt . Dabei s in d d ie engl isch gesprochenen Harvard-Ko l legien im al lgemeinen n icht kle in : i ch lasPsycho logie letzten Winter vor etwa vierh undert Mann . Diesedeutl ich voraussehbare Schwierigkeit

,für den deutschen Be

sucher amer ikan is che Studen ten zu finden,war der eigen tl iche

G rund für mein anfängl iches Zögern in der A us tauschfrage , unddennoch glaube ich

,daß d ieser äußer l i ch beschränkte Nutzen

für d ie amerikan ische Un ivers i tät kein en tscheidendes Hindern isfür d ie innere Fruch tbarke it des Austausch es se in muß . Zu

nächst läß t es s ich äußerl i ch in mancher Weise umgehen . S o

hat d ie Harvard-Faku ltät gegen ihre sonstige Gewohnhei t dendeutschen Gästen erlaubt

,einstundige Ko l legien in den Hal len

der Un ivers i tät vor unbeschränktem Publ ikum zu halten . Das in d denn fre i l ich nur wen ige Studen ten dabe i, aber Hunderte ,besonders Frauen , al ler S tände strömten herbei , um etwaClemen über d ie n eue deutsch e Kunst oder K uhnemann

über das deutsche Drama der Gegenwar t sprechen zu hören ;und wer das Z ie l der Bewegung n ich t im akademischen , sondernim nationalen s ieh t, muß daran seine Freude haben . Weitüber d ie G renzen der Un ivers ität h inaus kann der de utscheDozen t auch auf deutsch e Verein e und deutschliebende Aud itorien anderer Stadte wirken . No ch hatte kein deutsch er Austausch-Professor h eim zukeh ren m it dem Gefüh l , daß es ihman Gelegenheit mangelte

,der deutschen Sache zu d ienen . Und

selbst wenn n ur das Akadem isch e in Betrach t kommt, so wäreder j a doch kein rech ter Gelehrter, der n ich t d ie in tens iveWirkung auf e in paar wirkl ich e Schü ler der oberfläch l ichenMassenwirkung vorzieh t .

Ein anderer Weg,die Schwierigkei t zu überwinden , sch iene

s ich j a dadurch zu bieten , daß man vom Gast verlangt , erso l l e in der Sprache der Wirte reden . Das ist der Weg, dend ie Co l umbia-Un iversi tät eingesch lagen . Im letzten Jahr sprachPro fessor Leonhardt aus Bres lau in engl ischer Sprach e überdeu tsches Rech t und Pro fessor Hadley in deutscher Sprache über

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Professorenaustausch . 25

amer ikan isch e Wirtschaft . Ich ha l te das fur den wen iger gluckl ichen Ausweg. Für d ie weitaus meisten m uß es gel ten

,daß s ie

'

im

ersten Jahr des Unterrich ts in fremder Sprache unmögl i ch i hrBestes geben , und ein akademischer Lehrer, der n ich t in jederStunde sein Bestes gibt, erfü l l t n ich t se inen Beruf. Wird aberd ie Auswah l a uf die wen igen beschränkt, d ie von vorn here inm it Freih eit in fremder Sprache l ehren , so wird d ie Wah lein Zufal lsergebn is . Vo r al lem abe r ver l iert so l ch Un terr ich tin der Sprach e des Wirts zu vie l von der natio nal en Nuance .

Der Fremde gl iedert s ich dann fas t un tersch ieds los , wenn er d ieSprach e wirkl ich beh err’sch t, in den an deren Lehrkorper e in . Esist kein Zufal l

,daß der Geleh rte

,den Co l umb ia im nächsten

Winter nach Ber l in sch ickt , um dort deutsch zu sprechen , inder Pfal z geboren ist. Wer das po l it ische Zie l im Auge hat, w i rdden fremdsprach l ich en Harvard-Weg vo rzieh en . Und doch hatd ie kurze E rfahrungszeit schon deutl ich bewiesen , daß es akadem isch und po l i t isch im l etzten Grunde überhaupt n ich t a ufd ie besondere Form so sehr an kommt, wie auf d ie Persönl ichkeit, welch e den A ustauschgedanken verwirkl ich t . Al le d iekle in l ichen Bedenken so l l ten wirk l i ch schweigen in Anbe trach tder unbes tre itbaren Tatsach e

,daß es b isher gel ungen ist, h üben

wie drüben Männer auszusenden , d ie im Ko l legen und imS tuden tenkreise un d weit darüber h inaus Ach tung und Sym

pathie n ich t n ur für s ich selbst, sondern für d ie gesamte fremdeKu lt ur

,die s ie vertraten , erworben haben . Die freund l ichen

Bezieh ungen der amer ikan ischen Gäste zum Hofe des Kai sersund d ie hundertfaltigen Bezieh ungen der deu tschen Gäste zumgesamten Deutsch-Amerikanert um der Vere in igten S taaten gabend iesem Spie l den charakteris t ischen auß erakadem ischen H intergrund .

Abe r, l ieber Freund , las sen S ie m ich immer wieder betonen ,daß es n ich t n u r falsch is t, das Austausch-PTo fessorentum vom

U nterrichtsstandpunkt statt vom nationalen zu betrach ten , son

dern daß es vor al lem falsch ist, i n d iesem akadem ischen Lehreraustausch mehr als einen Faden im Gewebe, mehr als e inH i lfsm itte l un ter v ie len gleichberechtigten zu sehen . Vergessen S ie n ich t oder vie l le ich t wissen Sie es so wen ig

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w ie die meisten anderen Ko l l egen in Deutsch land daß derHarvard-Austa usch m it D eutsch land , dem ja dann ers t e inJahr spater der Co l umbia-Austausch fo lgte , fur Harvard garn ichts Neues war, sondern n ur ein e Ausdehn ung des scho nvorher eingefuhrten Austausches m it Frankre ich . Und geradein d iesem äl teren französ isch-amerikan ischen Austausch s in d dieerwähnten Ko llegschwierigkeiten überwunden . Der HarvardPro fesso r

,der in Frankr e ich d iese lben Verhaltnisse wie in

Deuts ch land fin det,geh t auch do rt zu wirkl ichem S emesterkolleg

h in über,un d zwar l iest e r den Win ter in de r Sorbonne und den

S ommer in versch iedenen Provin z-Un ivers itäten . Der französische Gelehrte dagegen

,der aus den gesch i lderten G runden

in Harvar d kein breites Studen tenp ubl ikum erwarten könnte,kommt n ur für ein e Reih e von etwa ein em D utzend Vorlesungen ,die er in der Aula der Un ivers ität vor gem ischtem Publ ikumhält und d ie von den Profes soren selbs t s tar k be such t werden .

Es sch iene m ir d urchaus n ich t undenkbar,daß auch Deutsch

land späterh in z u so l cher Fo rm überginge, denn d ie Form mußsich eben stetig den Erfahrungen und den wechselnden Bedürfn issen anpas sen . J ede Erstarrung der Form würde denIn hal t schadigen, und das wesen tl iche b leibt do ch n ur d ie sym

pathische Berührung der Ku lturen .

So stehen denn auch neben dem akademisch en Austauschm i t n i ch t geringerem Rech t d ie Bemüh ungen der versch iedenengerman istischen Gesel lschaften in Amer ika , die deutschen D ichterund Schriftste l ler

,Männer der Wissenschaft und des öffent

l i ch en Lebens zu Vo rträgst-ouren nach Amerika zu ziehen .

Ludwig Fu ldas R edefahrt war e in ech ter Erfo lg, und im nächstenWinter werden wir Car l Hauptmann wi l lkommen heiß en . Undfrage ich m ich

,welcher deutsche Gast in den letzten zehn Jahren

d ie größ ten Tri umphe davongetragen und der Sympath ie fürdas Deutschtum den reichsten D ienst erwiesen

, so zweifle i chn ich t, daß es Karl Muck war, der D irigen t der Kön igl ichenOper in Berl in

,der

,zwei Win ter h ind urch beur laubt, das

Bostoner Symphon ie-Orch ester d irigierte und m it d ieser erstenKapel le des Landes d ie führenden Städte bes uch te . No ch n iemals waren ein em deutschen Besucher so l ch e Ovationen dar

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P rofessorenau s tausch . 7

gebrach t . Und neben al l’ diesem erfo lgreich en Bem ühen , dasbeste Deutsch tum m i t dem besten Amer i kan ertum in Füh l ungzu bringen und die zwei gleichberechtigten Ku l turen von

nat ionaler Eigenart e inander verstehen zu leh ren , wuchert es n unvon un re ifen D ilettantenversuchen ,

die ohne Verständn is für d ieEigenart der Vö lker erdach t s ind . Und gar zu oft verh ü l lensie n ur sch lech t d ie Eite lke i t unfäh iger Streber

, oder die Eifers ucht zurückgesetzter Gruppen

, o der d ie nackte Gewinnsuch t,denn auch d ie deutsche merikanische Freundschaft ist für manchelängst ein ein trägl icher E rwerbsartikel gewo rden . Es vergeh ttatsäch l ich ka um ein e Wo ch e, in der n ich t irgen d ein weitausschauender Plan für d ie wechse lse itigen Bezieh ungen an m ichherantri tt. Bald s in d es neue Vere in e, bald n eue Zei tsch riften ,bal d Kommiss ionen , die ausgesandt werden so l l en , bald Feste,die gefeiert werden m üssen

,bald soziale

,bald po l it isch e Aktionen .

Ich vers ichere Sie,l ieber Freund , daß es m ich oft komisch

beruhrt, wenn ich h ier und da gescho l ten werde, wei l i ch garzu vie l n eue Plän e für d ie Völkerfreun dschaft in d ie Wel t gesetzt . Glauben S ie mir, daß dreivierte l mein-er Arbei t auf diesemGebiet l ed igl ich dar in besteh t, Plän e z u verei te ln , d ie o hneAugenmaß en tworfen waren , Anregungen zu un terdrücken , d ieaus bestem Wil len en tsprungen

,do ch sch l ieß l i ch Schaden

anger ich tet h ätten,un d Un ternehmungen zu en tmutigen , d ie

o hne Kenntn is der Verh ä l tn isse le ich tfertig vorgesch lagen waren .

Glänzend heben s ich davo n etwa d ie Bemüh ungen ab , dien un im nächsten Winter zu einer großen deutsch en Kunstausste l l ung in New Yo rk und späterh in in Boston und Ch icagofüh ren werden . D as Übergewich t des fran zösischen Kunste infl usses auf das kunst l iebende j unge Amer i ka ist ein Ku l turunrech t an der deutsch en Nation . Noch heute is t d ie Einfuhrvon Kunstwerken aus Frankre ich mehr als das Zehnfache von

der a us Deuts ch lan d . Da s ind gro ße Gelegen heiten oftmalsverpaß t wo rden . Endl i ch wird auch das nun gutgemach t werden ,und das deu tsch e Vo l k so l l te m i t vo l lstem Vertrauen auf denNew Yo rker Kunstmäzen Reisinger bl icken , dem d ie deutscheRegier ung m it fe instem Verständn is für d ie Lage der D ingevo l lkommenste Freih ei t für d ie große Auss tel l ung eingeräumt

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2 8 P rofes sorenaustausch

hat. Von Bode und Kampf in B er l in und von M arr in Münchenunters tützt

,wird Reis inger in dem präch t igen , neuerbauten Flügel

des Metropo l i tan Museums in NewYo rk e ine Au ss te l l ung schaffen ,welch e lange ver lo renes Geb iet für d ie deutsche Sache erobern so l l . Und auch da wird ho ffen tl ich der Austauschgedanke bald ebenso einsetzen , denn von der ersten Stunde anp lante Reis inger, der deutschen Ausste l l ung in Amerika e inewürd ige amerikan ische Gemäldeauss te l l ung in Deutsch landfo lgen zu lassen . Als ich vor vier Jahren in meinem Werk „DieAmerikaner“ die n eue ameri kan isch e Kunst m it warmer Freudepr i es , begegnete i ch daheim n ur der Skepsis . Die K unst h at s ichseitdem kaum geändert, das deu tsch e Urtei l abe r d urchaus :i n in ternationalen Fragen , l ieber Freund , muß man ledigl ichGedul d haben . Ho ffen t l ich wird d ie Kunstbewegung dann auchdem german ischen Museum in Cambr i dge zugute kommen , dasm it dem kaiser l ich en Geschen k so sto l z e insetzte und doch n ich trecht vo rwärts kommen kann , wei l d ie klein e dürftige Hal levo l lges topft ist und es an Mittel n zu dem notwend igen neuenMuseumsbau feh l t . Pro fesso r Fran ckes unermüdl iche Aufrufe.haben kein Echo gefunden . Eine Mi l l io n Mark wäre uner l äß l ich ,aber während So l ch e S umme sonst sp ie lend für Harvard-Gebäudeerlangt wird , versagt h ier d ie amerikan ische Fre igebigkeit . DieAnglo-Amerikaner meinen , das se i e in e Sache der Deutschen ,d ie Deutsch—Amerikaner haben ke in rech tes Zu trauen zu demsto ckenglischen Boston und würden so l ch es M useum wo h l l ieberan deutsch-amerikan ischen Stammsitzen sehen , und mancherfürch tete s ich woh l gar, daß e in e groß e Schenkung für so l chrein deuts ches Werk Zweife l an der Waschech thei t se in esAmerikanertums erwecken könn te ; kurz es wäre rech t sehr amPlatz, wenn auch da e inmal e in Stück Austausch einsetzen würdeund h i lfreiche deu tsch e Tausendmarks chein e ausgetausch twürden in Do l l ars für den neuen Museumsbau .

Lassen S ie m ich zufügen , daß auch auf akadem ischem Gebiet mein er Ans ich t nach der Lehreraustausch d urchaus n ich t das

l etzte Wo rt sein m uß . Ja i m Grunde halte ich den Studen tenaustausch für wichtiger. Das ist e in großes Kapitel , und ichbegr üß e es m it Freuden , daß d ie Zah l der j ungen Deutschen ,

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m essorenaus tausch . 29

die zu uns an d ie füh renden Hochsch ulen Amerikas kommen ,stetig zun immt . Auch da handel t es si ch um vie l Wich tigeres

,

als b loß e Unterri ch tsfragen . Nun werden S ie erwidern , daßgerade auf d iesem Gebiet Deutsch land kein so nder l iches In teressedaran habe,

n eue Einrich tungen zu treffen und n eue Bewegungenzu fördern , we i l der Zustrom amer ikan ischer Studen ten zu dendeutschen Ho chsch u l en ja se i t mehr a ls e inem halben Jahrh undert im Gange ist . Aber gerade da kann d ie Oberf läch esehr täusch en

,und wenn Deutsch land n ich t auf der H ut ist,

so ist e in schwerer nationaler K ulturschaden n ich t zu verme iden .

Es ist j a To rheit, wenn d ieser und j ener wähnt, daß Deu tsch landkein Interesse daran habe

,daß d ie Ausländer zu se inen Hoch

sch ulen strömen , j a daß d ie Ausländer den Ein he im ischen vie ll e ich t d ie guten Platze wegnehmen

, o der d ie Ko nkurren z imfremden Lan de m i t de utschem W issen groß zieh en . Wer so

kannegießert, denkt led igl ich an d ie Un iversi täten a ls Unterrich tsanstal ten und vergißt, daß unsere deutschen Un ivers i täten von

j eh er i hren Sto l z darein setzten , in erster Lin ie Stätten derForsch ung

,Stätten der produktiven Wissenschaft z u sein . Die

Ro l l e,welche d ie W issenschaft e in er Nation in der Wel t ein

n immt, ist aber im höchsten Maße von der Achtung abhängig,welche das Aus lan d für s ie h egt

, und wil l d ie deutsche Wissenschaft ih re Führerro l l e i n der Wel t behaupten , so genügt esn icht

,daß s ie so l ch e Ro l l e beansprucht, sondern s ie muß i hr

zuerkannt werden . In keinem Lande der Welt hat deutsch eFo rsch ung so rückhal tlose Hochach tung erfahren wie in Amer ika .

Die amerikan ischen Hochsch ulen , d ie nach engl isch em Mustergeschaffen waren

,s in d in den letzten d rei Jahrzehn ten nach

deutschen Forschungsidealen umgemo delt . Professor Brand l vonder Un ivers ität Ber l in schrieb in der Deutschen Rundschau neu

l ich : D ie amer ikan isc he Fo rschungs-Un ivers ität ist d ie s chönsteEro berung, d ie wir se i t Goethe in der Welt gemach t haben ,und zwar geschah s ie o hne unser direktes Dazutun , l ange Zei tsogar

,o hne daß wir es merkten . Und das ist vo l lkommen

r i cht ig,u nd wer wo l l te sagen , daß ein e so l ch e „Eroberung

n ich t der Müh e wer t sei . Aber auch in so l ch em Feldzug istj edes St i l lstehen ein Zurückgeschlagenwerden .

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30 P rofes sorenaus tausch.

Wie kam es , daß d ie deutsche Wissenschaft so l ch unvergleichliche Hochschätzung in der n euen We lt gewann ? N ich tn ur durch d ie bloß e Leis tung, sondern dadurch , daß d ieseLeistung persön l ich füh lbar wurde und vor al lem sympath ischwurde den Tausenden , d ie den Ozean kreu zten , um zu denFüßen deutscher Gelehrter zu arbeiten . M i t Begeisterungkehrten s ie h eim und wurden zu Miss io naren der deu tschenWissenschaft . D as aber ist n un in vo l ls tänd iger Änderung begr iffen . Die amer i kan ischen Un ivers itäten s in d empo rgestiegen

,

und d ie füh renden Hochsch ulen l eis ten als Ansta l ten für höchsten Unterrich t un d als A nregungss tätten der wissenschaft l ichenArbei t in vielen Gebieten das gleich e, das d ie deutschen Un ivers itäten z u b ieten haben . Der amerikan isch e Studen t, der vor

dreiß ig Jahren nach Göttingen oder G ießen oder Heidelberg ging,fand do rt etwas, das daheim in der Art n ich t zu finden war .Heute geh t der D urchschn ittsstudent von Harvard viel le ich t fürein paar Semester nach B er l in

,genau so wie e twa e in Leip

z iger Studen t nach München geh t ; aber da für re in e Stud ienzwecke es ihm beq uemer ist, al les in der Muttersprach e zu l ernen ,so gewöhn t er s ich leich t daran , das , was er zu Hause habe nkann , l i eber zu Hause zu suchen und sein e Stud ienreise nachD eutsch land mehr n ur den a llgememen Eindrucken und wen igerder Arbeit z u widmen . Und kehrt er heim ,

so hat er e in anregendes Jahr h in ter s ich

,aber von

'

formenden Einfl üssen aufsLeben bleib t n icht vie l übr ig. Damit aber versch ieb t s ich no t

wendig d ie gesamte Stel l ung der deutschen Wissenschaft inder neuen Welt

,denn d ie H o chschatzung, welch e d ie deutsche

Metho de heute im akademis ch en Leben Amer ikas bes i tzt, beruht do ch im wesentl i chen darauf, daß d ie führenden Professorender gro ßen Un ivers itäten in Harvard und Co l umb ia, in JohnsHo pkins und Ch icago usf. heute Manner s in d , d ie ihre en tscheidenden St ud ienjahre vor zwanzig oder dre iß ig Jah ren andeutschen Un ivers itäten verbrachten . Von d ieser Art E infl ußw ird

,wenn s ich nich ts ändern so l l te, in ferneren zwanz ig Jahren

in Amerika wen ig zu spüren se in . Die Austausch-Professoren m i tih ren Gastvo r l es ungen können der le i n atür l i ch n ich t br ingen .

Scho n m ach t s ich in der j üngeren D ozentengeneration seh r deut

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32 Professorenaus taus ch.

wirkt . Die j ungen Do kto ren un d j ungen Dozen ten so l l ten heutekommen , sow ie die j ungen Füchse vo r dre iß ig Jah ren kamen .

Viel zu o ft hört man d ie Klage, daß so l che Leute ihre Zeit ine lementaren Ko l l egien zu vergeuden hätten und nur mühsamden Ansch l uß an d ie rechte Arbei tsstätte fanden . Groß zügigeEinri chtungen für vorgeschrittenste ausländ isch e Studen tenund Gelehr te, Zentralstel len für d ie Verte i l ung wissenschaftl icherLiteratur vom Ausland un d zum Aus land nach dem Vo rb i l ddes Smithson ian Inst itu t in Wash ington

,kurz Plätze w issen

schaftlichen Austausches durch Wo rt und Schrift, l ießen s ichda seh r woh l , den Verhältn issen angepaß t, err ich ten . Undich sage ausdrückl ich auslän disch n ich t n ur amer i kan isch .

Denn wer s ich in der Wel t umgeschaut,der weiß

,daß in ge

wissem S inne ähn l iches etwa für Englan d gi lt , dessen Un ivers i tä tenj etzt stark un ter amer ikan ischen Einfl uß gelangen . Ich sageIhnen aus t iefster Überzeugung

,daß der Zustrom v-orgeschrittener

überseeischer Studen ten zu den deutschen Ho chsch u len e in erder wich tigsten Fakto ren ist für d ie Zukunftsstellung Deutschlands ih der Weltpo l i tik des Geistes .

Denn n ur von der Po l it i k des Geistes habe i ch gesproch en .

Mißverstehen S ie m ich n ich t,als wenn mein Betonen des natio

nal en Charakters d ieser Bewegung bedeuten so l l te , daß daPo l it ik im engeren S inn e des Wo rtes bezweckt sei . Im Gegentei l , i ch h ege d ie Überzeugung, daß d ie Kulturpo l it iker von

den Par lamen tspo l it ikern getrenn t marsch ieren so l l ten , um vere in t zu sch lagen . Wahrl i ch , der deutschen Sache ist n ich tsgewonnen , wenn etwa Austausch-Pro fess oren fur po l i tische Bündn isse zwischen Deutsch lan d und den Verein igten Staaten inAmer ika zu schwärmen beginnen . Das amer ikan ische Vo lk , dasinst inktiv füh l t

,daß se in e Stärke darin ruht, s ich von e uropäischen

H ändeln fernzuhal ten , w ird von so l ch en Bündn issen n iemalsetwas wiss en wo l l en . Was da erreicht werden so l l , kann aufanderem Wege s icherer gefördert werden , und jedes Anpreiseneines Bündn iss es m it D eutsch land weckt nur d ie Gegenström ung,die e in Bündn is Amer ikas m i t England fordert .

Das sch l ießt natürl ich n ich t a us, daß 'a uch so l ch e Kulturarbei t

s ich den wechseln den po l i t is chen Verhäl tn issen verständn isvo l lanpas sen m uß . S o steht in der Neuen Wel t ein großer po l i

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P rofes sorenaus taus ch. 33

fischer Wandel "uns nahe bevo r. Erst gestern brach te der Funkenspruch uns h ier in der Mitte des Wel tmeers d ie frei l ich n ich tüberras chende Kunde , daß Taft e inst immig zum Kand idatender Republ ikan er erwäh l t se i, und es bedarf n ich t großer Pro

phetengabe , um vo rauszuse hen , daß in e in paar Woc hen inD enver d ie Demokraten s ich Bryan zum Präs identschaftskandi

daten erküren werden . Mag dan n das Vo lk im November entscheiden , ob Bryan oder Taft der künftige Leiter des po l i tischenAmerika werden so l l : Deutsch l an d hat von kein em etwas zufür chten . Be ide haben Ach tung und Sympath ie für das DeutscheReich und das deutsch e Vo l kstum , beide s ind gereifte Staatsmänner, d ie ernste Fragen ernst un d vo rurtei ls los en tsche idenwerden . Aber darüber ist ke in Zweife l , keiner von beiden empfindet j en es besondere Vorzugs interesse für Deutsch land , dass ich aus ganz besonderen Umständen heraus bei Rooseve l t en twickel te un d von i hm gern und häufig markiert wurde . J en eetwas künstl ich e Förderung, welch e d ie deu ts chen K ulturinteres sen d urch den Präs identen b is her auch m it po l i tischen Mi tteln erfuhren , fä l l t somit künftig notwend ig fo rt, un d n ur daswird daher zur Gel tung kommen , was in s ich se lbst wertvo l lis t und der Treibhausl uft n ich t bedarf. Ein Schaden erwächs tdaraus n ich t

,wo h l aber d ie ernste Mahn ung, in al len d iesen

A ustaus chfragen und Ku ltur in teres sen aufmerksam zwischen demwesent l ich en In hal t und der zufäl l igen Form zu sche iden , und

d ie Fo rm sorgsam immer aufs neue den s ich schne l l änderndenVerhältn issen an zupas sen . Mit der Schab lone läß t s ich da n iemals arbeiten . Ein j eder Tag bringt so neue Aufgaben undbese it igt d ie al ten Fo rmen , un d ich bin gewiß , auch wenn wir

über d iese zufäl l igen Fo rmen h ier und da einmal n ich t e in igse in mögen

,im eigentl i chen Zie l kann für uns beide ke ine

V ersch ieden h eit walten , da wir be ide ein ig s ind in der Liebezum deutschen Vo lkstum und im G lauben an se ine seelischenWeltaufgaben .

In alter Fre undschaftI hr h erzl ich ergebener

M ü n s t e r b e r g A u s Deutsch -A m er ika .

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Deutschland und der Weltfriede.

hr Ko rigreß hat mich emgeladen , an diesem Abend , an demjede der gro ßen Nationen zum Wo rt kommen so l l , d ieFr iedensho ffn ungen vom deu tschen Standpunkt aus zu be

leuchten . D as s tand dabe i natürl ich von vo rnhere in fes t , daßi ch in keinem Sinn e ein Del egierter der deutschen Regierungo der ein bea uftragter Vertreter des deu tschen Vo lkes b in

,j a,

daß i ch n ur als einer aus der großen Mas se sprechen kannund überd ies als e iner, der den größeren Te i l des Jahres durchdas Weltmeer vom Vaterlan de ge trenn t l ebt . Verm utl ich fie ld ie Wah l auf m ich , wei l i ch mein Wirken der Phil0 3 0phie gewidmet habe, und es somit zu erwarten war , daß ich un terdem Einfl uß des größten deutschen Ge istes stehen muß

,un ter

dem Einfl uß von Immanuel Kant . Kants Buch vom EwigenFrieden ich verges se n icht, Herr Präs iden t, daß auch schott isch es B l ut i n sein en Adern floß ist in der Tat d ie t iefsteUnters uch ung, - d ie der dauernden Freundschaft der Nationengewidmet ist Kan ts Fo rderungen , von denen d ie Abschaffungal ler stehenden Heere n ur e in e ist, und al le se in e Erörterungenentwickeln s ich no twendig aus dem Grundsatz ewiger Gerechtigkeit. Und dieser K antsche Geist, dieser G laube an denSelbstwert der Gerech tigkeit, dieser Abscheu gegen unmo ral isch eKriege bewegt auch heute noch tief d ie deutsch e Seel e . JedeBewegung, welch e d ie s i tt l ich e Kraft des Fr iedens steigert, wi rdso u nter den Deutschen stets warmherzige Freunde und Fördererfinden .

Aber ein e Bewegung fordern he iß t doch wo h l in ersterLin ie

,al le Mißverständn isse und I l l usionen besei tigen , da j ede

Rede, gehal ten am 1 5. Apri l 1 90 7 auf dem un ter Vorsi tz von AndrewCarnegie tagenden Am erikan ischen F riedenskongreß in N ew York.

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Deuts chland und der Wel tfriede . 35

I l lusio n do ch sch l ieß l ich zum Hindern is auf dem Vorwartsweg

werden m uß . Daher schein t es m ir mein e erste Pfl ich t zu sein ,im Interes se des Friedens a uf gewisse Irrtümer h in zudeuten

,

mit denen die M iss ionare der Fr iedensbewegung nur zu o ft

i hren Einfl uß auf die deutsche Vo lksseel e schwächen . Derleim uß Ihn en natürl ich unpop ulär und unw i l lkommen erscheinen ;tro tzdem sage ich es sofort fre imüt ig heraus : die deu tsch e Armeewird von der Nation d urchaus n ich t a ls drückende Bürde empfunden . Im Gegen te i l , die Jah re in der Armee stel l en e inenat io nale Sch ulze it dar, die Körper und Ge ist n ur stärkt undstäh lt . Die D ienstzei t is t e in e Zei t des Sto l zes für die uberwältigende Masse der deuts chen Bevö lkerung. Und auch dasmuß gesagt werden : es ist n ich t wahr, daß d ie mater ie l lenOpfer für das Heer zur unerträgl ich en La s t geworden s ind .

Deutsch land ist heu te re1ch , und d ie Nat ion empfindet d ie Ausgaben für d ie Rüst ung kaum stärker a ls ein vors ichtiger Bürgersmann die Ausgaben für Feuervers icherung. Selbst d ie Zeit, d ied urch den D ienst ver loren geht

,kommt nur wen ig für d ie Vo l ks

wirts chaft in Betracht in ein em Lande, dessen Bevö lkerung s ichso sch nel l vermeh rt . Ja, wenn es wirklich e inmal zum Kriegekommen so l l te

,so würde sogar der Ver l us t von Leben und

E igen tum n ich t von en tsch eidender Bedeutung sein , denn sch l ießl ich is t das ja s ich er, daß Krankheit und selbs t Le ich ts inn nochvie l häufiger b lühendes Leben zerstören . Amer i kan isch e Eisenbahnen haben s ich erl i ch mehr unnötige Verletzungen un dTötungen bewirkt a ls al l e amerikan ischen Kanonen , und derFo rtschri tt der neueren und n ich t zum mindesten der deutschenPatho logi e hat meh r Leben gerettet, als d ie Verh inderung derletzten Kr iege hätte retten können .

So l ch e mater ia l istischen A rgumente werden stets wirkungslos ble iben , wenn der Kern der de utschen Nat ion erreich t werdenso l l . Für d ie wahren Deutschen is t es, wie es für Kan twar , ein es ittl iche Frage . Aber gerade desha lb ist es für den De utschenunmögl ich

,den Kr ieg u nter al len Umständen als das sch l immste

Übel h inzuste l l en . Imman uel Kant hatte s icherl ich kein eideal isti scheren Apostel al s Fich te und Sch i l ler . Und doch wares Fich te

,der d urch se ine Reden an d ie deutsch e Nat ion das

3'

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36 Deutschland und

Vo l k zum Kriege stachel te, dam it es d ie Schmach des Napo l eon isch en Jo ches end l ich abwarf. Und laut ruft Sch i l ler in d ieSeel e j edes deutschen Knaben : „Nich tswürd ig ist d ie Natio n ,die n ich t i h r a l l es setzt an i hre Ehre .

“ Dem De utschen ersch ein t der Kr ieg wo h l wie ein e Krankhei t, die das Leben bedro ht . Aber er füh l t m i t Sch i l ler, daß das Leben n ich t derGüter größtes ist, der Übel großtes aber ist d ie Sch uld .

Würden diese ideal istisch en Grundüberzeugungen der deutschenSeele besser vers tanden , so würden d ie Fr iedensfreunde v ie leh er imstande sein

,den Hebe l an der rech ten Ste l l e an zusetzen

,

ans tatt i hre Sach e preiszugeben durch unwirksame Berufungauf reine N ützlichkeitsmotive .

Aber gerade, wei l Krieg und Friede fur das deutsch e Vo lke in e s i tt l i ch e Frage b le ibt, deshalb is t es s inn los und abgeschmackt, d ie deutschen M otive zu verdä ch tigen und Deutschland a ls e in e Quel l e der Gefahr für - den Fr ieden der Wel tz u betrach ten . Ich s teh e n ich t an zu behaupten , daß es heutekein festeres Bo l lwerk des Fr i eden s gibt als den guten Wi l lenun d die Aufrich tigke i t der deutschen Nation , und kein e frivolereBedro h ung des Fr iedens gibt es als d ie albernen Verdäch tigungendeuts cher Abs ichten

,wie s ie in den Zeitungen und Versamm

l ungen vie ler Länder und n ich t am wen igsten h ier in Amer ikaüb l ich s ind . Verleumderische Gerüch te s ind le ich t i n d ie Wel tgesetzt

,aber d ie Rich tigstel l ungen fo lgen langsam und schwer

fäl l ig : Herr Präs iden t,Sie so l l ten n eben Ih rer Behörde für ver

einfachte Rechtschreib ung vo r al lem eine Behörde für vere infach te Richt igstel l ung gründen .

Ich sagte, das Grun dmo tiv fur den Deu tschen , den Friedenn ich t zu stören

,is t der s ittl i ch e Wil l e ; aber darüber dürfen

wir n ich t vergessen , daß , auch wenn das Gewissen schwiege,

es doch an j edem Reize feh l te, den Deutschen zu e inem vermeidbaren Kriege zu spo rnen . Das roman ische Temperamen t istl eich t erregbar

,aber der Deutsch e ist ph legmatisch ; das angel

sächs isch e Temperamen t verlangt Wetten und Sport und such t soimmer einen R ivalen zu übertrumpfen aber der ruh ige Deutsch eist vie lmehr gene igt

,das Rech te n ur um se in er selbst wi l len

zu tun . Es gibt j a auch Völker, d ie den Krieg nöt ig haben ,

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der We l tfriede . 37

um inn ere Schwier igkeiten zu überwinden,aber d ie inneren

Verhältn isse D euts ch lan ds s in d harmo n isch und glatt ; an der eVölker s uchen Krieg, um i hr Lan d auszudehnen , aber Deuts chland hat

'

groß e Ko lon ien , m it deren Ausbau j ust ers t begonnenwi rd

,so daß es für lange Zeit h inaus genug zu schaffen gibt .

Das gan ze nat io nal e Leben ist a uf beharr l iche Arbei t zugeschn itten

,Arbe it, d ie n ich ts nötiger gebrauch t als d ie Segnung

des Friedens . Handel und Gewerbe , Wissenschaft und Kunst,i nnere Freihe i t un d sozial er Ausgle ich e rfü l l en d ie deutsch eVo lks seele heute eindr ingl icher und l ebhafter denn j e zuvo r ;n ie Zuvo r bewegt e s ich innere und äußere Entwickl ung in so l ch erHarmo n ie ; n ur das e in e tut not, daß al les im Sonnenscheindes Fr iedens b le ibe

,und wer tro tz al l edem Hal l uzinat ionen s ieh t

von düsteren , fr iedenstörenden Plänen im G runde der deu tschenSeel e

,der fälsch t Gesch ichte und bedroh t d ie Zukunft .

Daraus fo lgt noch durchaus n ich t, daß j edermann inDeutsch land etwa von j edem S chiedsgerichtsplan so fo rt en tzückt se i

,o bgle ich auch d ie S chiedsgerichtsbewegung zweife l los

in Deutsch lan d im Wachsen is t . Aber da lauert wo h l no chin manchen Kreisen d as inst inktive Gefüh l , daß es e igentl i chunmögl ich sei

,ein em in ternat ionalen Gerich ts ho f den gle ichen

G rad von Unpar te i l ichke it z u geben wie einem bürger l ich enGerich te ; d ie Interessen al ler Nationen s ind zu sehr m iteinanderverwo ben : der R ich ter ist da immer no ch bis zu einem gewiss en G rade auch Parte i . Ein Sch iedsgerich t erzw ingen wo l len ,l egt daher noch zu häuf ig den Verdach t selbstischer Po l it iknahe . Auch ist es n icht nach jedermanns Ges chmack, patr io tische Stre itigkeiten einfach den Künsten stre itender Anwälteausgel iefert zu sehen o der den Zänkereien von Sachverständigen“ . Dieser un d j ener mag wo h l gar fürchten , daßzu vie l laute in ternationale D iskussion für s ich al l e in schone in e Quel le der Gefahr sei ; wenn es wah r ist, daß Kr ieg Kr iegbrütet

, so is t es s icher l i ch erst rech t wah r, daß KonferenzenKo nferenzen brüten . Zu viel Reden über abwe ich ende Mein ungen hat aber le ich t d ie Tendenz, d ie Gegensätze zu verschärfen

.D ie Deutsch en füh len daher

,daß es einen Weg gi bt,

der no ch besser ist , als Sch iedsger i chte im Stre it z u suchen ,

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38 Deutschl and und der Wel tfriede .

näml ich Stre it uberha upt von vorn h ere in zu vermeiden . Bezeugen das n icht d ie deutschen Zo l lverhand l ungen m it den Verein igten Staaten aufs l ebhaftes te ? Ja , zeigt n ich t d ie Gesch ichte es längst m it s tol zem und schönem E rgebri is ?

Wenn wir zurückb l icken auf das letzte dr ittel Jahrh undert,so sehen wir gro ß e und kle ine Kr iege : England , Ruß land ,Span ien , Frankreich , Ital ien , Türkei , Japan , Ch ina, sogar Amer ikahatten Krieg, aber das deutsch e Vo l k gi ng s t i l l se in en Weg inFrieden . Und der Geist d ies es n euen Deutsch land , das s ichdanach sehn t, zu schaffen und n ich t zu strei ten , fand seinenbedeutsam sten Ausdruck in dem genialenFürsten auf dem Kaiserthnon . Wie haben die Vo rurte i l e der ganzen Wel t i hn als denruhelosen K riegsucher unserer Zeit verdächtigt, und wie hater es, i n rüst iger Kraft, bewies en , daß seine Herrschaft derstärks te Einfl uß für Vö lkerfrieden un d Freunds chaft ist ! Amerikaweiß das aus reichster Erfahrung ; Amerika weiß , wie er denBruder und immer neue Vertrauensmänner, wie er Professorenund Künst ler

,wie er Sportjachten und M useumsschätze über den

Ozean san dte,um se in e Freunds chaft zu bekunden , und d ie

Kriegssch iffe kommen n ur, um bei dem Friedensfest von

Jamestown m itzufe iern . Is t es da n ich t höchste Zeit, daß d ien ichtswürdigen Vo rurtei l e en d l ich ertränkt werden ? Wenn d ieWelt en d l ich den wahren Geist Deutsch lands erb l icken würde ,dann wäre I hre ed le Fr iedensbewegung um einen mächt igenSchri tt gefördert . Ja, fal ls e in B i l dhauer eine S tatue der Friedensgötti n in Marmo r gestal ten wo l l te, so würde er wahrl ich s ichergehen , wenn er a ls sein Mo del l d i e hehre German ia wäh lte, wies ie dasteht m it der Kaiserkro ne auf dem Haupt, mit dem unbefleckten scharfen Schwert in der Hand , die m i lden Augenruhevo l l h i nausb l i ckend auf ein ernstes , aber gl ückl iches Vo l k,das sein e gan ze Seel e den ewige n G ütern fried l icher Arbei th ingibt .

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40 D er Kosmopoli tismus

d ie l auteste al l er in ternationalen Sprachen . Und m it ein er Logik,d ie m ancher Präs identenbotschaft gute D ienste tat, fügte ichh inzu : die donnernden Argumente d ieser kosmopo l i tischenSprach e wirken am s ichersten für den Frieden und so für d ieEin igkeit und die Freundschaft der Vö lker .

No ch früher fe ierten wir h ier den begeistertsten Prophetendes Esperanto . Mit gutem Gewiss en konnte ich zu i hm sagen :Esperanto ist s icher l ich d ie „ausnahms loseste

“ al ler in ternationalen Sprachen , un d wenn s ie dere in st auch nur einenwinzigen Bruchte i l von dem erfullen so l l te, was s ie heute

*

er

träumt, so würde s ie do ch noc h schöne D ienste le isten fürdas Werk des wechselseit igen Verstä ndn isses der Vö lker und so

für Harmo n ie und Frieden . Und noch früher j ubel ten wir ind ieser Hal le einem Prin zen zu . A us t iefster Überzeugung sagteich zu i hm : d ie Republ iken s in d heute le ichter erregbar als d ieMonarch ien , und in den monar ch ischen Staaten ist die Bevölkerungnervöser a ls d ie Dynas tie ; so s in d d ie Fürsten häuser heute d ieeigen tl ichen Stützen des ruh igen G leichgew i ch ts in der We l t,un d d ie monarch isch e Trad it io n spr i ch t d ie besonnenste al leri n ternationalen Sprachen ; Prin zen s ind so auch der demokratischen Neuen Welt wi l l kommene Boten des Friedens . Undl etzten Früh l ing sahen wir h ier d ie feierl i chen De legaten zumamerikan isch en Friedenskongreß, mit meinem Freunde Stead ausLondon an der Sp itze , und als i ch den Vo rs itz der Versammlungh ier in der Un io n übernahm

,sagte i ch aus vo l lem Herzen : sogar

Sie, m ein e Herren Delegierten , können der Sache des Friedensn ützen , besonders dann , wenn Sie n icht gar zu vie l e Reden überden Fr ieden halten '

Aber von al len kosmo po l it ischen Erinnerungen , die s ichin m einer Seel e an d iese festfr-ohen Hal len der Harvard-Unionknüpfen , ist do ch kein e so eindringl ich und lebhaft, kein e so

erfül lt von dem Gefüh l der Vö lkereinigkeit wie der Gedankean j ene Gelehrtenschar , die Harvard auf dem Rückweg von derWelta usstel l ung in St . Lo uis bes uch te . Hunderte der bekanntes tenGeleh rten der Welt hatten den Ozean gekre uzt

,um an dem

Internationalen Gelehrtenkongreß dama ls in St . Lo uis tei lz unehmen . Von a l len Ländern des Erdkreises waren s ie zu

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in der Wis senschaft. 41

sammengeströmt, al le denkbar en Gebiete der Wissenschaftwaren vertreten , das Sprachengewirr klang en tm utigend und

do ch von der ersten St unde in der Kongreß hal le der Wel tausste l l ung b is zu dem letzten Sammeln h ier un ter den U lmenvon Harvar d gab es n ur das ein e Gefüh l der Brüderschaft

,

n ur den einen Gedanken der geistigen Kameradschaft . Es war ,als ob al l e Grenzl in ien verwisch t wären . Ja, n iemals werde ichden feierl i ch en Augenbl ick vergessen

,w ie Ho zum i

,der bekannte

Rechtsgeleh rte der Un ivers i tät Tokio, sein e überwältigen dschöne Rede auf d ie e in igende Kraft der Wissens chaften h ie l t .Der Russ isch-Japan isch e Krieg tobte damals am furchtbarsten .

H ozum i aber ergriff am Sch luß se iner Rede d ie Han d von

B lacklund, dem Astronomen aus Pulkowa in Ruß land

,und rief

unter s türm ischem Jubel der gan zen Schar : h ier, d ieses Kathederder Wissenschaft, is t der e in zige Platz un ter der So nne, auf demJapaner und Russen in wechselseit igem Verkeh r

,in gemeinsamem

Füh len , in ehrl icher Ein igkeit e inander d ie Hände re ichen können .

Wah r l i ch , n ich t Mu s ik un d n ich t Esperan to, n ich t D ip lomatieund n ich t Kanonendonner kann ernste Männer so zusammenfügen

,wie es d ie gemein same Arbei t derWahrheits ucher vermag ;

die Wissenschaft ist d ie e indringl ichste ko smopo l it ische Sprach e .Do ch d ieses wertvo l l e Gefüh l wird gar zu le ich t arg miß

verstanden . Weil"

zWeima lz'

wei‘

übera ll in der Wel t gena u gle ichvier ist, deshalb sch e in t e s gar zu vie len selbs tverständ li ch , daßal le Wahrheit und al les Wissen farb los und vaterlandslos is tund sein m uß : gleichförm ig in j edem Winke l der Erde . Aust iefster Überzeugung glaube ich, daß so l ch es Wähnen einschwerer und gefährl icher Irrtum ist : d ie Wissenschaft so l l d ieNatio nen zusammenführen , aber darf dabei n iemals i hrennationalen Charakter verl ieren , wenn s ie n ich t i hre beste Spannkraft e inbuß en so l l . D ie Wissenschaft j egl ichen Landes bedarfn ich t n ur des Ausdrucks in der nationalen Sprache , sondernverlangt auch das e igene und besondere Gefüge des Gedankens ,die e igene Stel l ungnahme

,die e igene Art des Zugre ifens un d

D urchführens,die e igen e geist ige G rundlage, das e igene Tempe

rament,den eigenen gesch ichtl i chen H in tergrund . D ie Wissen

schaft ist in d iesem S inne gerade so nat io nal wie d ie b i ldendeKunst und die Po es ie .

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42 D er Kosm opol i tismus

Dieser Nationalcharakter der ForScherarbeit wird so l e ich tunterschätzt

,wei l gar zu vie le n och s ich vorstel len

,daß Erkenn tn is

n ich ts als d ie Entdeckung einer fertig vo r l iegen den Wirkl ich kei tsei . Aber so l ch e Unph i losoph ic s inkt

°

heut n unmehr langsamdah in . Unsere Zeit begreift al lmäh l ich bess er, daß d ie Wi rkl ichkeit

,welch e der Mathematiker und der Chemiker

,der Ph i losoph

un d der H isto riker s uchen , n ich t vorh er bere i ts fertig gegeben ,sondern daß s ie se lbs t erst d urch den denkenden Geist i hregül tige Fo rm gewinnt . Der Zielen zustrebende Denker und

Fo rscher arbeitet aus dem unm i ttelbar en Erlebn is d ie dauerndeWirkl ichkei t heraus ; gewiß schafft er s ie n i ch t nach sein er E inzellaune, sondern sein Zie l ist d ie ewig wertvo l l e Formung, aberer b le ibt es do ch , der s ie schafft und sein es Geistes Wesen und

der Gehal t se ines Er l ebn isses m uß in seine Schöpfung übergehen .

Ja, d ie Wahrheit gle ich t n iemals e in em Stein,der aus dem

E rdgrund des Lebens herausgegraben wird , Sondern gleich t e inerStatue, die aus der Tonerde des Lebens geformt und gestal tetwird , bis s ie dem Ideal genügt .

Das kosmopo l it isch e Bemühen in der Wissenschaft so l l also

wahrl ich n ich t d ie nat ionale E igenart der Forscherwerke zerstören . Um so mehr aber wird s ie dar auf h inwirken , daß e inwechselse it iges Verständn is für d iese nationalen Eigenarten gewo nnen wird

,daß Vo rurte i le verschwinden und daß mite inander

wirkl i ch Füh l ung genommen wird . Nationale Vorurtei l e großziehen und in Unkenn tn is der fremden Leistung verharren , is ts icherl i ch n ich t nationale Stärke, sondern provin zial e Schwäche .

So l ch en Provin zial ism us sehen wir überal l um uns . Der Zufal lwo l l te es, daß ich h eute früh zwei Arbeiten durchseh en m ußte ,die über genau dasse lbe logisch e Thema geschri eben waren ;d ie e in e kam aus Deutsch land

,d ie andere aus Oxfo rd ; j ede der

Arbeiten führte über h undert Tite l un d Quel l en auf d ie deu tsch en ich t e inen ein zigen n ich tdeutschen Büchertite l , d ie engl ischen ich t e in en ein zigen nichtenglischen . Durch so l ch e Unkenn tn i swird n ich t nur für d i e Weltarbeit Kraft verloren , sondern vor

al lem j ene e in zigartige Förderung w ird versäum t, die gerade ausder Berührung m it dem fremden nationalen Temperamen t entspr ingt .

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in der Wis senschaft. 43

Erst dann konnen d ie hemmenden Vo rurte i l e verschwinden .

Gewiß is t es schwer, das besondere Wesen e iner Nation de utl ichund klar zu erfasseri f Nach einem n ied l ichen Erlebn is, das ichvo rige Wo che geno ß , m öchte ich fast glauben , daß

'

wir ambesten täten , bei den Sch u lkindern anzufragen . Ich bes uch teein e Vo l kss ch ule in der Stadt Buffalo . Der Leiter der Sch uleführt m ich in d ie

'

Geschichtskh sse, wo die Kinder wo h l geradevo rh er e in iges über d ie röm ischen Fam i l ienverhältn isse gelernth atten . Als erste Frage, d ie ich hörte, begann die Lehrerinwo r i n unterscheidet s ich woh l das Leben der al ten Römer amstärksten von unserem mo dernen amerikan ischen Leben ? Undder kle ine J unge

,auf den s ie wies , stand artig auf und an t

wo rtete sch l ich tmit“ den köstl ichen Wo rt en : Bei den al ten Römernwar der. V ater das Haupt der Fami l ie !Ernsthaft

'

: es ist s chwer, dasWesen eines Vo lkes vorurtei ls loszu erfassen und vie l le ich t am schwersten , se in er wissenschaftl ichen E igenart gerech t zu werden . Welche gren zen lostör ich ten Vo rurte i l e s teh en etwa h ier in unserer Harvardatmosphäre der deutschen Wissenschaft gegen über. Immer aufsn eue wird es aufget ischt

,daß deuts ch e Fo rsch ung n ur kle in l iche,

pedant isch e,im Grunde gle ichgü ltige Speziälistenarbeit se i , o hne

Gefüh l für d ie Fo rm und vor al lem o hne wei te Gesichtspunkte ,o hne Perspektive, o hne Erfü l l the i t, o hne Lebe

nd igkeit . Manspricht

,als ob die D urchschnittsfabrikanten deu tscher Doktor

d issertationen d ie e igen tl ichen typ ischen deutschen Geleh rtens ind u nd Männer wie Kant und H egel , Helmho l tz und Lieb ig,Virchow und Koch , Ranke und Mommsen n ur zufäl l ige Zuta t

waren .

Do ch wichtiger noch als d ie deutl iche Erkenn tn is derfremden Eigenart, is t d ie praktisch e Berührung und Durch

dringung. Es gi l t das Andersart ige zu prüfen und zu versuchen

, o hne das E igene pre iszugebe n ; es auf s ich wirken zu

l assen,o hne es sklavisch nach zuahmen ; es in s ich aufzunehmen

und do ch se in e ign er Meister zu bleiben . Gerade das sche in t m ird ie wundervo l le Aufgabe des amerikan ischen Geleh rten zu sein .

D ie Länder,in denen d ie schöpfer isch e Wissenschaft e ine lange

Gesch ichte hat,s in d dem fremden Einfl uß notwendig wen iger

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44 D er Kosm opoli tismus in der Wissenschaft.

zuganglich ; zu ihrer fertigen Eigenart gehört berei ts d ie Abgesch lossen heit, d ie doch im Grunde verkümmernd wirkt . DerAmerikaner aber, dessen e igentl i ch e prod ukt ive Wissenschaft denletzten Jahren zugehört, hatte und hat d ie unvergleich l ich e Gelegenheit, se in e Forscherkräfte un ter dem Einfl uß al ler Nationenzur Entfaltung zu bringen . Er konnte d ie Breite und Weiteder engl ischen Kul tur in s ich aufnehmen und mit i hr d ie l eu chtende Klarhe it des fran zös isch en Denkens , d ie meisterhafteGründl ichkei t und Tiefe der deuts chen Fo rsch ung, d ie Phantas i edes fern en Orien ts auf s ich wirken lassen , um sch l ieß l i ch al lesm it amerikan ischer Energi e un d Erfindungsgabe und geist igerBewegl ichkeit z u verarbe iten .

So mag d ie amerika n isch e Wissenschaft vielle1cht dem Idea ldes wahrhaft ko smopo l i t isch en Gelehrten am nächsten kommen ,aber auch der amerikan isch e Geleh rte is t im Grunde durchausnational , und j e m ehr s ich die s cho n heute deutl ich erkennba renZüge ausreifen werden

,desto mehr wird i hr nationaler Charakter

s ich geltend machen . Die wahre kosmopo l it is che Wissenschaftis t n iemals W issenschaft ohne ein Vaterlan d ; s ie is t Wissenschaft

,d ie von al len Nationen vo rurtei ls los gelern t hat und al len

Nat io nen d ienen wil l d ienen d urch ih re eigenste nationaleErl euchtung, i hr e igenstes nationales Temperament un d ih rene igensten nationalen Gen ius . Mein e Freun de , I hr kosmopo l i tischerStudentenkl ub wird b lühen und gedeihen , so lange auch Siesi ch deutl ich bewuß t b le iben , daß der ko smopo l i tisch e Geistder Wissenschaft

,der Sie h ier a uf al tehrwürd iger Wissensstätte

zusammenführt, dem Geist der E inzelnation n ie fe ind l ich gegenüberstehen darf

, sondern stet ig ihn voraussetzt“und i hn zu Ehren

bringt.

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Das Deutschtum und die Temperenz.

ein e deu tschen Freun de ! Rückhaltlo s bin ich gegens taatl ich e Erzwingung der Abs tinen z in Amerika ; diePro hibitionsgesetzgebung erschein t m ir unweise und

falsch , j a in hohem Maße gefährl ich ; d ie Prohibitionswelle,

d ie das Land zu überflu ten droht,muß unbedingt auf

gehalten werden ! S ie klatschen Be ifal l , wei l i ch da aussprech e,was S ie al l e füh l en und was Sie un d d ie D eutschen imganzen La n de sei t Jahr un d Tag m it wachsender Leidenschaftverkündet haben . I h r J ube l grüß t m ich als Mitkämpfer, und

do ch , i ch würde dem Erns t der Frage n ich t gerech t, wenn ichm it höfl icher Phrase den Gegensa tz vert usch en wo l l te, der unstrenn t . Ja, an der Schwel le s chon m uß ich es aufri ch tig bekennen , daß ich I hren Kampf in mancher Bezieh ung m ißb i l l igeund beklage .

Sie kämpfen,Mann für Mann

,d iesen Krieg gegen Proh ibition

als Deu tsch e ; und h ier sch-ou setzt m ein Bedauern ein . Niemandwünsch t sehn l ich er als ich , daß die Deu tsc h-Amerikaner s ich amöffent l i chen Leben i hrer ne uen Heimat wacker bete i l igen undn ich t zurückstehen etwa h in ter den I rländem , deren mächtigerEinfl uß s ich so oft im po l i tischen Strei te h ier gel ten d machte .

Aber das is t wahrl i ch ke in e Erfü l l ung unserer sto l zen Hoffn ungen

,wenn das e inzige Ideal , das al l e D eu tschen zu gemein

samer Tat zusammenruft, immer und immer n ur der ungeh inderteB ierauss chank sein so l l .Was d ie Deuts chen a ls e in ze ln e für d ie Ku lturarbe it des

Landes getan,is t h ier n ich t in Frage : po l i t isch waren s ie stets

gespalten un d zersp l ittert und gar zu vie le s tanden tei lnahmsloszur Seite . Wenn einmal ein gemeinsamer Wunsch s ie zusammenrief, so war es e in kurzes Aufflackern o hne nachhaltigeWirkung und woh l a uch o hne staa tsmänn isch e Weishe i t. In den

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46 D as Deutschtum

l etzten zehn Jahren gab es , wie Sie s ich en tsinnen , n ur einma lso l ch en An laß ; als nach dem Span isch en Krieg d ie Bevö lkerungeine Annäherung an England zu s uchen sch ien

,da sch ien s ich

p lötzl i ch das Deutsch tum zu sammeln und gegen j eden Bündn isversuch Parte i zu ergreifen . Weitb l icken d war das n ich t

,denn

,

was die Stun de für das In teresse der Deutschen damals forderte,

war n icht ein e Auflehnung gegen England,zumal ein wirk

l iches Bündn is n ie zu erwarten war, sondern v ielmehr e ineH inüberziehung Deutsch lands in den neuen Freundschaftsln eis .

Aber wenn die Bewegung auch unrich tig war , es war dochwen igsten s ein e einhe i tl iche Bewegung ; am nächsten Tageschon versagte s i e, und wieder bl ieb das Deu tsch tum läss ig odergetei l t .

Inm itten dieser po l i tischen U nbetätigung der Deu tschen alsDeu tschen gibt es nun immer nur das ein e Banner

,das n ie en t

faltet wird , ohne daß d ie Massen begeistert zu jedem Opfer bereits in d

,das Banner des Gambrin us . E s braust e in Ruf wie Donner

hal l unter den Deutschen von New Yo rk bis San Franzisko,sobald das Recht des. vo l l en Bierse idels be droh t wird DerKampf gegen Temperen z

,der a l len Bevölkerungssch ichten glei ch

wichtig s ein könn te, is t fas t auss ch ließ l ich Sach e der Deutschengewo rden

,und was v iel klägl icher ist, die S ache der Deuts chen

wurde fast aussch l ieß l ich zum Kampf gegen d ie Temperen z .Wer kann ermess en , wie arg -d ie Würde und der s i ttl ich e Wertund der höhere Einfl uß des Deuts ch tums dad urch im gan zenLande gel itten hat . Wie Sol l der Anglo-Amer ikaner das deutscheElemen t als so l ch es wirkl ich ernsthaft in Rechnung bringen ,wenn er m ehr ‘und mehr

_

s ich gewöhn t, das Interesse des De uts chtums m it der B ierfrage glei ch zusetzen . Die Deutsch en be raubens ich selbst i hrer besten Wirksamke it im öffen tl ich en Leben , indem sie s i ch aussch l ieß l ich zum Bannerträger für eine Fo rderunghergeben , die in j edem Fal le zu den Niederungen des Lebensgehört und der so viel e der Besten m it reinstem

'

Gewissenentgegentreten . Wie anders hatte s ich d ie Ro l le der DeutschAmer ikaner en twickel t

,wenn etwa d ie deutschen Vo rkämpfer

gegen Korruptio n in der Stadtverwaltung oder gegen Ausbeu tungim Geschäftsleben oder gegen Boßwirtschaft in der Po l iti k ge

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48 D as Deutschtum

wir den Lehrme ister sp ielen , in der Frage des Trinkmaßes abe rmüssen wir bes che iden un d zurückhaltend sein , denn der b loßeStol z, daß wir zehn Maß M unchner vertragen“ können

,erh ebt

uns wah r l i ch n ich t .Aber da d ie D euts ch en n un tro tzdem den Kampf auf

genommen : wie steh t es m it i hren Wa ffen im Gefecht ? Tausendevon Flugschr iften und Wahlkampfblättern , von Reden und A uf

sätzen,i n deu ts cher un d in engl ischer Sprach e

,s ind in un

geheuren Stapel n über das Land versandt worden : dürfen wiruns dar über täuschen , daß gerade d ie lautes ten Aufrufe hoh l undgehalt lo s kl ingen ? N ur z u viel von dem maß los en Kampfgeschrei muß die Besonnenen geradezu ins Lager der Gegnertreiben . Der entsch eidende Sch lach truf in der gesamten deuts chamerikan isch en Bewegung gegen Pro h ibit ion ist sei t Jahren i nOst und West immer der gle iche ; es gi l t, d ie persön l iche Fre ih e i t zu retten ! Auf den ersten Bl ick mag es j a schein en , alswenn die Paro l e m i t raf fin iertem Gesch ick gewäh l t sei . Fürdas B ierfaß zu stre iten , würde ja würdelo s d ünken , aber persönliche Frei hei t ist das Hei l igtum des ech ten Amerikaners ; werfür die Freih eit s tre itet, kämpft für d ie Grund lage der amerikan ischen Demokrat ie . I n Wa hrhei t aber hätte s ich keine un

gesch icktere Paro l e ers in nen lassen . Der ernsthafte Amerikanererinnert s ich zu lebhaft, wie o ft di e Förderung der Freihei t zumDeckmantel für j eden Übergr iff, j ede Erdrosse l ung derSchwachen wurde . Im" po l i t isch en und sozialen S tre it wurdej a n iemals genau geprüft

,wo d ie Freiheit a ufhört un d d ie

Wil lkür, j a d ie Zuch tlo s igkeit und Anarch ie beginn t . S o istdas Sch lagwo rt denn zu schnel l abgen utzt wenn immer beideSeiten im Kampf für d ie Freih ei t e in treten

, so wird es zu raschklar, daß al les n ur von der Deutung des Wo rtes abhängt, und

wenn der Mißbrau ch der hehren Forderung erst e inmal d urchschau t is t, s o wendet s ich der ärger l i ch e Widerwi l l e m it besonderer Schärfe gegen j edes selbst isch e Verlangen , das s ichals idea les Streben nach Freih ei t aufsp iel t. Dieser verletzende Gegensatz tr i tt in d ies em Fal l e für den angloamerikan ischen Geist fas t ‘unverhü l l t hervo r ; würde der Deutsches eine B iergewöhnung mit sozialen Gründen zur Gel tung bringen ,

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und di e Temperenz. 49

so wurden d ie Gegner es h innehmen ; po ch t er aber auf das

hei l ige Rech t der amer i kan ischen Freih e i t und hül l t das Stre ifenund Stern enbanner um die To nne , so darf er s ich kaum wundern ,wenn der Unw i l l e z u törichter Wut w ird .

Wir al l e wissen , daß es ke in Gesetz gibt, we lches n ich tirgendwie d ie persön l iche Frei h ei t e inschrä nkt . J a, wir wissenauch , daß gerade in w irtsehaftlichen Fragen d ie persön l ich e Fre ih eit '

ih A mer ika gesetzl ich in mancher Bez ieh ung mehr—e ingeengtist a ls in Europa ; man cher Kauf und Verkauf, der drübenerlaubt ware, gi l t h ier als ges etzl ich unberech tigte Aufhebungdes Wettbewerbs : in d e r rech ten Besch ränkung des fre ien Verfügungsrechts l iegt e in e der vo rnehmsten Aufgaben des Staates .Wer den Fl ugsch r iften trauen wo l l te , würde fre i l i ch zufügen , daßes ein e Sünde gegen den Geis t Amerikas sei

,auch da einzu

schränken,wo ke in Dritter geschäd igt wird und so al les m it vo l ler

Zustimmung der Bete i l igten erfo lgt . Aber das ist leere Ausflucht .Denken S ie doch , m it welch er Strenge Amerika e twa das G lückssp ie l verfo lgt, au ch wenn al le Te i lnehmer e inverstan den s in dund ke in Außenstehender geschäd igt wi rd , oder d ie Vielehe,auch wenn a l le Frauen berei t s in d , o der Verirrungen des Geschlechtslebens o der .obszöne Lekture «oder den Ve rkauf von

Opium und M orp h ium und Ko kain o der den Vertrag, der e inS klavenverha ltnis hers tel l t und so v ieles an dere , das auf fre ierZustimmung a l ler Bete i l igten beruh t. Gewiß war e es denkbar,daß eine Meh rhe it im Staate der Minderhei t Gesetze aufzwingt,die der Verfass ung widersprechen , aber gerade dann bewährts ich das wundervo l l e Gefüge der amer ikan isch en Konsti tu tio nm i t dem unvergle ich l ichen Einfl uß des obersten Ger ich tsho fs . In der Frage der Pro h ib it ion hat der oberste Ger ichtsho f langs t gespro chen . Wir w issen , daß amer ikan isches Rech td em Staat d ie Mach t zusch re ibt, das Trinkverbot zum Gesetzzu erh eben . Von einer Bedroh ung der Freihe i t im rechtlichenS inne darf a lso n ich t d ie Rede se in .

Gewiß gibt es ein no ch höheres Rech t als das j ur istisch‚Was der oberste Ger ich tshof spr i ch t, kann n iemals Unrech t se in ,aber das Rech t

,das er schafft

,könnte uns ittl i ch se in : das Ge

wiss en mag s ich darüber erheben . So mag der Mormone , dem

M ü n s t e r b e r g , A u s Deutsch -Am er ika.. 4

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50 D as Deutschtum

d ie Vie lwe ibere i rel igiöse Pfl ich t ist, das Rech t des Landes ve rdammen selbst der Impfgegner mag sich gegen das Gesetza ls Eingr iff in d ie persön l ich e Freihe i t auflehn en , wenn er diesittl i ch e Übe rzeugung h egt, daß wir ke in Rech t habe n , Gift inden kindl ichen Organ ismus e in zu impfen . Wenn aber der M or

phin ist es a ls s i ttl iches Ver langen h inste l l en wo l l te, daß se in Triebbefr ied igt werde, so wird j eder Besonnene d ie Achse ln zucken .

Nein, von e in em Recht a uf persön l ich e Freih ei t darf n ich t ge

spro chen werden , wenn der Staat seine Po l izeigewal t ausübt,um d ie Befr i ed igung e ines Triebes zu hindem , der einer Mehrhei t von Bürgern schäd l ich und gefähr l i ch ersch ein t . Sie verbieten ja gar n ich t den Gen uß

,s ie verbieten das Angebot und

di e Versuch ung.

A us s einer sto l zen Pos ition verdrä ngt, kommt ‚ freilich derDeuts che schnel l z u n euer verschanzter Stel l ung. Es sei lächerl ich

,von Schaden und Gefahr zu sprechen ; d ie Temperen z

gesetze sei en daher, wenn n ich t uns i ttl ich und ungerech t, so

do ch s ich er l ich ein e überflüss ige Beläst igung un d e in e törich teVerkümmerung harm lo s er Lebensfreude . Im Übermaß genossen ,könne a l les s chädl ich werden ; j edes Hei lm itte l wirke verderbl ich

,wenn es uns inn ig verwendet w ir d , und j edes Nahrungsm itte l

könne für den,der kein e G ren ze kenn t

,gefäh r l i ch werden . In

m aßvo l ler Weise getrunken , so wie es etwa in Deutsch land üb

l ich se i, könne B ier und Wein . als ganz harmlo s , ja als förderl i ch für das Vo lks tum gel ten . Immer wieder hören wir d ieseBo tschaft und do ch sch lägt s ie a l len Tatsa ch en ins Gesich t :wa hr l ich

, so lange d ie Deutsch-Amer ikaner an den ungeheurenSchäden und Gefahren des Alko ho ls läch elnd voruberschre iten

und s ie durchaus n ich t sehen wo l len , verd ien en s ie n ich t, zuHütern der Vo lkss i tten erho be n zu werden . Wer durchaus n ich ts ehen wi l l

,kann kein Vertrauen erheischen . We r in der Trink

frage ein entscheidendes Wo rt he ute m itreden wil l,muß in der

Tat zunächst bekunden,daß e r wen igs tens Verständn is für d ie

ungeheuren Gefahren bes itzt und n ich t wie e in Kind ist, dasm it der brennenden Kerze sp ie l t

, o hne zu ahnen , daß so l cheFlamme auch Städte e inäschern kann .

Die sch l immsten Wirkungen des Alko ho ls s in d ungre ifbare ;

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und die Tem perenz . 51

sie l iegen auf geist igem und mo ral ischem Gebiet . Abe r auchwenn nur d ie gre ifbar en un d geradezu s tatis tisch nachwei sbarenFo lgen beach tet werden , erwe ist s ich der Schaden a ls e in furch tbarer . Wie s ieh t es denn in Deutsch lan d damit aus

, das nachkürz l ich ers ch ienener Zusammenste l lung etwa 419 M i l l io nen Markfür se in öffen t l ich es Sch u lwesen und 2826 M i l l io nen Mar k füralkoho l ische Getränke im Jah re verausgaben so l l ? D ieSchädigung fur ‘Herz, B lutgefaße, Magen und Lebe r su-mm iert s ichTag für Tag auch für d ie Tr inker, d ie s ich sel ten geradezu

be

tr inken . Zwe i Drittel der Gesch lech tskrankhe i ten werden im

Rausch erwo rben . D ie un heim l ich zunehmenden Gehirnkrankheiten weisen auf ke in an dres ursachliches Moment so häufigh in ; nahezu ein D r i ttel al ler psych isch Erkrankten s in d durchden Alko ho l zerrüttet . Und trost loser der Ausbl ick auf d ieNachkommenschaft : un ter den Kindern der Trunksüch tigen s indetwa dre i von v ier ge ist ig m i nde rwert ig

,blödsinn ig o der epilep

t isch . Unter al len geist ig verkrüppelten K in dern Deu tsch landsstammen mehr a ls d ie Hälfte von Tr inkern . Brei ter aber alsder Weg zum Kranken haus ist der Weg zum Zuchthaus . D ie

Statist ik der männ l ichen Sträfl inge in preuß ischen Strafan stal tenzeigt , daß im Zuchthaus 45 Prozen t, im Gefängn is 42 Prozen tzu den Tr inkern gehören . De r Schaden an Le ib und See le istalso ungeheu er se lbst in dem I a nde, das d ie Deutsch-Ame ri kanergern als Muster der Tr in ks i tten h inste l len . Daß der Alkoho l i nmanchen Landestei l en Amer ikas aber geradezu seuchen haft gewirkt hat und vor der gro ßen Temperenzbewegung das G iftdes ganzen Lande s war, darüber ist ke in Zwe ife l mögl ich ; werdas m it Gleichgü lt igkeit be ise i te sch iebt, is t n ich t zum Urtei lberufen .

Eng bangt dam i t aber ein andrer schwerer Feh ler der deutschen Bewegung zusammen : immer w ieder w ird n ich t n ur d ieLange des Spottes über d ie Wassers impler ausgegossen , sortdern

mit s ittl icher Verach tung werden sie a ls Heuch ler und Muckeran den Pranger geste l l t . D aß j emand aus e hr l icher tie fgegründeterÜberzeugung j edes a lkohol ha l tige Getränk für e ine Gefa h r ha l tenkönnte

,das gi l t von vo rn here in als gan z unwah rsche in l ich . Wer

öffentl ich für‚Temperenz kämpft

,tate es

,um s ich bei den k i rch

4*

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52 D as Deutschtum

l ichen Kre isen e in A nsehn zu geben o der s ich po l i tisch e inenVorte i l zu verschaffen ; im besten Fal le se i er von Altweibervorurtei l w i rkl ich verblendet meist aber glaube er selbst n ich tdaran und bezeche s ich heiml ich in der H interstube . Wer N euEngland wi rkl ich kenn t und s ich darüber klar ist, mit welcherEnergie das ehr l ich e Pur itanertum von Neu-England aus insganze Land , besonders in den Westen , gedrungen ist, der we iß ,wie unwürd ig so lche K ampfesweise . Es steh t auf genau demse lben Blatt

,auf dem die Kunde verzeichnet ist, daß j eder

rel igiöse Mensch e in augenverdrehender Heuch ler se i . Zum Pur itaner aber gesel l t s ich a ls aufrich t iger Mitkämpfer der sozialeReformer und der Arzt . Und sch l ieß l ich d ie al les m odelnde

Lan-dess itte, d ie scho n den Kindern we itester Kreise instinktivenWiderw i l len . gegen al le berauschenden Getränke be ibr ingt .

D aß“

es auch auf diesem Geb iet H euch ler gibt, is t se lbstverständ l ich , Leute, d ie d urch schein hei l igen Kampf gegen d ieKneipe s ich vo r der ! ffentl ichke i t ein unverd ien tes A nsehns ichern wo l len

,sowie ja auch mancher strenge Kirch l ichkei t vor

sp iege lt, um i rgend e inen berech tigten Verdach t abzu lenken .

Aber der D urchschnittstemperenzler in Amer ika ist vo l lkommenehr l ich , und der d eutsche A lko holgenuß ist i hm aufr i ch tig inder Seele verhaß t o der wen igstens ist er ernst übe rze ugt , daßder ungeh inderte Verkauf e in e Gefahr für das Vo l ks tum i st.

Der fa lsche E indruck der Heuchele i entsteh t led igl ich dad urch,

daß d ie A bstinenzmehrheit de r tr inkfesten Minderhe i t des Staateso der der Stadt Gesetze aufzwingt, welch e d ie Minderheit z uumgehen sucht . Gewiß w i rd vie l h e imlich getrunken

,abe r doch

me ist nur von denen , d ie s ich n ich t scheuen würden , auch offentl ich ih r Glas zu leeren und die es vo rziehn würden

,n ich t d urch

Temperenzgesetze zur He iml ichkeit gedrängt zu werden .

Tatsä ch l ich ze igt d ie Prohibitionsbewegung ein en ungeheurenErnst und Ehr l ichkeit, und wer d i e Schäden prüft, d ie der Alkoho ldem Vo lks leben gesundhe i tl ich

,wirtschaftl ich und s i ttl ich bringt

,

der wi rd wahr l ich n ich t ers t zur Heuch ele i h in bl icken, um e in

Erk lärungsm ittel fur den Kampf gegen d ie Kne ipe zu f inden .

Der Kampf ist derWelt geradezu aufgezwungen, und vo n geste rn

kommt er j a auch n ich t : schon elfh undert Jahre vor Christ i

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und di e Temperenz. 53

Geburt er l i eß der ch in es ische Kaiser strenge Gesetze gegen denM ißbrauch ge istiger Getränke . In neuerer Ze i t setzte d ie Bewegung i n Englan d e in , aber in den Ve rein igten Staaten e rre ichte s ie den schn el lsten Fo rtsch r i tt . 1808 wurde d ie ersteeinfl uß reich e Tempe renzgesel lschaft h ier gegründet, 1833 bestanden berei ts

'

sechstausend m i t e in er M i l l ion Mitgl ieder. Aberd iese früh e Arbeit wan dte s ich aussch l ieß l ich gegen desti l l ie rte Getränke ; Bier und We in gal t als harm los . Erst im zwe iten Dritte ldes Jah rh underts kam das Verlangen h ach vo llkommner Enthal tung in den Vo rdergrund . 1845 machte der Staat New Yo rkein kurzes Experiment m i t A bstinenzgesetzen und 1851 en tstand das berühmte und berüch t igt e Gesetz des Staa tes Ma ine .

Erst 1874 beginn t d ie law inenhaft schwel lende Frauenbewegunggegen den Alkoho l m i t i hrem u naufhal tsamen Ein fl uß auf Sch uleund Kirch e . Gleich zeitig trug die n eue Prohibitionspartei denKampf in d ie nationa l e Po l i tik . D ie erste A ntisalon liga en ts tandin Oh io 1 893 und ist n un in drei undvierzig Staaten verbreitet .D ie „Jugend-Temperen z-Al l ianz“ von 1907 stel l t d ie letzte nationale Organ isa t ion dar.

D ie außere Wirkung auf d ie S itten und d ie Gesetzgeb ungentspr i ch t, wie S ie wissen , d iesem stetigen Ansteigen . ImJahre 1823 kamen s ieben G al lonen Brann twein auf den Kopfder Bevö lker ung : j edermann tran k, und sel bs t un ter den Predigern war Betrunken he i t n ich ts Ungewöhn l iches . Heute lebendre iunddreiß ig M i l l ionen der amerikan ischen Bevö lkerung unterlokalen Temperenzgesetzen . Ein Staat nach dem andern wurdefür lo ka l e Selbstbestimmu ng gewonnen , und in den e inze lnenStaaten wuchs stetig d ie Zah l der Grafschaften und Ortschaften

,

die für Trinkverbote stimmten . Soeben erst hat Georgia staatl iche Pro h ib ition eingefüh rt, nachdem al lmäh l ich 1 25Grafsc haftenzur Abst inen z übergegangen waren und n ur 2 1 für öffentl ichenVerka uf a lko ho l ischer Getränke stimmten . D urch d ie neuliche

Abstimmung in Wo rcester,Mass

,ist zum erstenmal e ine Stadt von

über hunderttausend E inwohnern se in er Wirtschaften beraubt . Inden Südstaaten s ind 1 7 Mil l ionen von 27 M i l l ionen E inwohnernunter Prohibitionsgesetzen se lbst Oklahoma , als es s ich vorigenHerbst zum Staat gestal tete , hatte bei der Vo lksabst immung e ine

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54 D as Deutschtum

Mehrheit von dre iß igtausend Stimmen fur Abstinen z . Ein e Be

wegung von so lchem Umfang muß ehrl ich se in , j a m uß aus

t iefer Erregung stammen , und s ie a ls Heuche le i zu brandmarken ,ist gro tesk .

Persön l ich e Erfahrung muß das j edem , der s ichvie l in anglo -amerikan ischer Gese l ligke i t bewegt, tägl ich be

stätigen . J eder f indet in se inem Be kanntenkre ise Männer und

Frauen,denen das N ichttrinken so se lbstverständ l ich is t wie

das N ich trauchen,und n ich t wen ige, denen es so vö l l ig gegen

den Instinkt läuft,daß s ie eher bittre Medizin als süßen Cham

pagh er n ippen würden . Und u nter denen , d i e ke ine prinzip ie l lenBedenken empfinden

,w ie wen ige mögen zur Lunchzeit mit

trinken . Als d er Bruder des Deutschen Ka isers Harvard be

suchte,so l l te er nach der E hrenpromo ti-on zum Frühstück Gast

der Un ivers ität se in . Ich en ts inne mich , wie ich ihm des M orgenszögernd sagte

,daß nach altem Statut kein We in in den Co l lege

hal len angebo ten werden könne ; abe r Pr in z Heinr ich an twortetesofo rt : das ist rech t

,i ch b in j a n ich t h ier

, um deu tsche S itteneinzufuhren , sondern um amerikan ische S i tten kennen zu lernen !In der Tat, d ie Te-mperenz ist da , wo s ie herrsch t, e ine ernsteehr l iche wes enhafte S i tte , d ie s ich n ich t als Heuche le i be ise itesch ieben läßt . Durch so l ch e Kampfführung büß t das Deutschtum s eine Wurde e in und re izt und verl etzt aufr ich tige Gefüh le ; die Wi rkung m uß daher n ur zu oft den de utschenWünschen gerade entgegengesetzt se in .

Diese ganze Verdachtigung der personlichen M otive istgeradeso verfeh l t wie der R uf nach persön l icher Fre ihe it undw ie d ie Ab leugn ung der großen Gefahren ; in al len d re iR ichtungen und es s ind d ie Haup trich tungen der deutschamerikan ischen Strei tschr iften ist d ie deutsch e Methode unglückl ich und das deutsche Verständn is der wah ren Verhäl tn isse durch Vo rurte il e verkümmert . Und tro tzdem b in ich n unaus vo l ler Überzeugung auf I hrer Seite : auch ich b in gewiß

,

daß d ie Prohibitionsgesetze e in Feh lgr iff s ind und e in Unrech tund daß es höchste Zei t ist

, d ie schwe l lende Abstinen zbewegung

end l ich zu brechen . Daß der Alkoho l e ine Gefah r ist,d ie

unsägl iche Opfer fordert und fordern wird,seh e ich klar

,aber

nur To ren glauben , daß al les recht ist, wenn e ine Quel le der

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56 D as Deutschtum

muckerisch,sondern als unerhorten Eingriff in das inn ers te Leben ,

j a als verderbl ich und uns i tt l ich , und so falsch das auch seinmag : so lange es so ist, g i l t es dem Durchschn i ttsmenschenn ich t als Gewissenspfl icht , s ich an so l ch e Gesetze zu b inden .

Es wi rd geradezu zum Sport, durch d ie Maschen der Gesetzezu sch lüpfen . D ie Übe rwach ung der Gesetze wird locker, derAnkläger sch l ieß t d ie Augen

,und kommt es zur Strafe, so wird

s ie als Grausamke it empfunden und wirkt verbi tternd . Abe r d ieWi rkung greift t iefer . Die amer i kan ischen Rich ter w issen , wieschnel l der Wert des Eides in al l en Ger i ch tshöfen s inkt, in denenVerletzung der Prohibitionsgesetze zu den häufigen Anklagengehört ; gewo hnheitsmäß iger Meineid wird von sonst ordent

l ichen Leuten w ie e ine e hrbare Verte id igungsmaßregel h ingenommen und eine belastende Aussage wie e in Verrat . Und aufder andern Seite setzt Erpressung und Korruption ein . DieSo ziologen wissen es

,wie al l e Bemühungen umsonst s in d : gi l t

es Gesetze durchzufüh ren,welche eine groß e Minderhe i t für

verächtl ich hält und deshalb zu übertreten geneigt ist, so wuchertd ie Ko rruption u nter den n ie-deren Po l i ze iorgan en , und schmu tzigePo l itiker ziehen heim l ich d ie E rpresserschrauben an . Der gan zeöffentl iche D ienst wird in den unteren Sphären unsauber und

würdelos, und d ie Fäu ln is fr iß t zu ras ch nach o ben h in weiter ;das öffentl iche Gewissen w i rd abgestumpft.

Dar über aber kann ja kein Zwe ife l se in, daß gerade h ier in

d ie ernsteste Gefah r für d ie Zukunft Amerikas l iegt . Wahrendd ie persön l ich e S i tt l i chkeit und das persön l ich e R echtsbewußtse in so hoch en twickel t ist

,leidet der Staatskörper von der

so we i t verbreiteten G le ichgü ltigkeit gegen d ie Gesetze . Al led ie Übergr iffe der Trusts gegen das E igentum

,al le d ie Lynch

ger ichte und tausend andre Symptome bekunden den Geist,der

sich immer nur selbst Gesetz se in wi l l . Hätten wir auch n urden zehnten Tei l der E isenbahnunfäl l e

,wenn d ie Bevö lkerung

gewohnt wäre, s ich bl ind den Vo rschriften un terzuordnen ? Esist der zügel lose Geist, der durch Waghals igkei t und Kraft j as icher l ich viel zu Amerikas G röße be igetragen hat

,aber zu leich t

versagt , wo stramme Zucht und fraglo se r Gehorsam vonnötenist . In einem popu lären Theaterstück ruft der Sheriff : Ich steh e

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und di e Tem perenz. 57

h ier im Namen des Gesetzes ! und wenn der andre dazwischenfährt

: und i ch"

steh e h ier im Namen des gesunden Menschenvers tandes ! so brich t Aben d für Abend be im Galeriep ub l ikumdonner nder Beifal l aus . D ie Vere in igten Staaten haben mehrGesetze als irgend e in e andre Nation , abe r auch be i ke in erandern Nation stehn so viele Gesetze nur auf dem Papier .Der Geis t des Respekts für das Gesetz ist für das ameri kan isch eLeben von h eute die no twen d igste Fo rderung, wenn die Schädenvon heute n ich t übermorgen zum Ruin der Demokrati e werdenso l l en ; und wah r l ich

'

n ich ts rü ttel t an d iesem Geiste mehr alsd ie Gesetzesverhöhnung, die m it d er Pro h ibition ein hergeht.

D ie Verachtung für so l che Gesetzgeb ung stammt abe r n ich tnur daher

,daß h ier d ie Mehrh ei t gegen d ie Überze ugungen

und Tradit ionen der Minderheit vorgeh t . Viel le i ch t en tsche idender noch is t das Gefüh l , daß es s ich um hastige, oberflächliche, l aunen hafte Gesetze handel t . Daß sie im großen undganzen aus ehrl ich em G lauben

'

und n ich t aus Heuchele i entspringen , war berei ts zugegeben , abe r Aufrich tigkei t al le in genügt für kein e Gesetzgebung . Hyster isch s ind die Gesetze ; inunbesonnener Weise tre iben s ie weit übe r das Zie l h inaus , undwenn die fanatisch e Bewegung ein e We i l e andauert, so wirds ie gerade durch i hre Überh e ibung den geringen Gewinn vern ich ten

,denn sch l ieß l ich würde e in e Reakt ion ein setzen , d ie

ebenso maß los von der tyrann ischen Proh ibition zum zuch tlosen Alkoho l ism us zurückführen würde . Wie so oft in Demo

kratien würde sich so in hastiger Zickzackbewegung ein e En twickl ung vo llziehn ,

d ie s ich seh r woh l von Anfang an in ver

nünftiger Mittel l in i e bewegen könn te .

Begünst igt wird so l ch e soziale Hyster i e durch das al te Übe lAmerikas

,daß n iemand auf der unpo pulären Seite si chu mag.

Das Land lebt'

von wechselseitiger Nachahmung ; daher d iewirkungsvo l l e Einmütigkeit, aber daher auch d ie Einförmigkei tin der öffentl ich en Mein ung. Nieman d sträubt s ich gegen d ieMo de, und d ie Abstin en zbewegung ist heute Mode im gan zenLande . Daß d ie B rauer und Ho te lbes i tzer und d ie deu tschenVerein e dagegen wüten

,be stärkt nur d ie Fanat iker der andern

Seite . Unter den en , die der Frage sel bstlos gegenüberstehn, mag

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58 D as Deu tschtum

n iemand das .Wo rt zur Oppos it ion ergreifen . N iemand mags ich gern dem Verdach t aussetzen , im Bund m it den Kne ipenwirten und Trunkenbo lden zu stehn ,

und so wird d ie D iskuss ionder

!

Unbete i l igten tatsäch l ich zum e inseit igen Kreuzzug gegenden Alko ho l , und dadurch ist d ie Bahn frei für jede s inn loseÜbertreibung. Gew iß hat es n ich t an ernsten U nters uch ungenüber d ie Trinkfrage gefeh l t ; Kommiss ionen übe r Komm issionenwaren an der Arbe it ; Ärzte und Nationalökonomen und Po l i ti kerund Pädagogen und Krim ino logen und Physio logen , aber i hrekonservat iven Ergebn iss e wurden zumeist in d ickle ib igen Bändenden Bibl io theken e ingerei h t, d ie bre i ten Massen wurden d urchso l ch e gewissen hafte Ber ichte n ich t berührt . Aber wenn etwae in Ch icagoer S ensation3prediger ein e nationale Flagge übe r d ieKanzel hängt und ein en Fetzen schwarzes Tuch auf d ie Sterneund Streifen heftet als Symbo l des Schandflecks Al koho l imLeben der Nat ion und dann lo sdonnert über d ie Trunkenbo l de ,d ie ihren kranken K indern d ie Nahrung schmä l ern

, um s ichin der Kneipe zu betr inken und sch l ieß l ich den Fetzen abre iß tund mit den Füßen darauf trampel t, dann strömt d ie hysterischeMenge aus der Kirche m i t dem Gefüh l

,ein Argument gehört

zu haben .

Hyster isch ist d ie Bewegung in j edem Wesenszug ; statternster Prüfung gab es n ur Gemütsaufwa llung und En trüstungn icht Staatsmänner und Sozio logen , sondern Pred iger und Frauenhaben den Kampf geführt, n ich t unparte i isch abwägende Schriftenund Reden haben zu den zah l losen S iegen gele i tet

,sondern

melodramati sche Szenen , fanat ische Plakate, Prozess ionen von

Frauen und K indern , weinerl iche Traktate, grusel ige Ubertreibungen über d ie patho logischen Wirkungen und vor al lemdas häuf ige Bündn is von Abstinen zbewegung und Kirche . Alsd ie S ilberfrage sich vor der po l it ischen Welt Amerikas erhobda war es sch ier bewundernswert zu sehen

,wie in jedem S tädt

chen Tausende den schwier igsten Vorträgen über d ie Währungsfrage fo lgten , ehe die Entsche idung f iel . Hier wird der en tgegengesetzte Weg eingesch lagen o hne ernste Erörterung w i rd drauflosgesch lagen . Is t es , wei l be i der S ilberfrage d ie Prediger undd ie Frauen kein Interesse hatten ? Und wieviel e lende Sensations

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und di e Temperenz . 59

such t und wievie l klein l iche Motive laufen dabe i m i t un ter. Ohneernsthaft zu erörtern , ob mit dem bloßen Zertrümmern auchwirkl ich ein dauernder Gewinn erzie l t werden kann

,sch ickt

man s ich an , ein e In dustri e zu zers tören , die in i hrer weitestenVerzweigung im Lande zwei Mi l l ionen Menschen ernäh rt, s iebe nh undert M i l l ionen Do l lars im Jahr verausgabt

,drei h undert

Mi l l ionen Do l lars zu den öffen tl ichen Ste uern be iträgt und einKap ita l darste l l t von dreitausend Mil l ionen Do l lars .Wo so l l das Vorbi l d so l ch er Gesetzgebungskampfe un s

sch l ieß l ic h h inführen ? Wo werden wir enden , wenn es mögl ichwird

,daß kurzs ich tige fanat ische D i lettanten d ie öffent l ich e Me i

n ung ih Gesetzgebungsfragen be herrschen,die gründ l ichste

Untersuch ung der Sachverständ igen erheischen ? Scho n hörenwir von wachsenden Kreisen d ie Paro l e, daß wir zu vie l Fle ischessen . Auch darin is t j a e in Körnchen Wah rheit . Wenn d iesesVo rurte i l ähn l ich anschwi l l t

, so wird j a woh l bald ein Staatnach dem andern das Sch lach ten von Tieren für ungesetzl icherklären . Andere wüten gegen Kaffee und Tee so l l en sch l ieß l ichnur Nüsse und Salat gesetzl ich se in ? Ja, ich übertreibe n ich t,wenn ich behaupte

,daß in den engeren Kre isen der Abstin enzler

e in e ebenso l ebhafte Bewegung gegen d ie Arzneien der Ärztee ingesetzt hat . In weiten Frauenkre isen

,un d d urchaus n ich t

den ungeb i ldetsten,gel ten d ie üb l ichen Hei lm itte l als G ifte, d ie

der Mensch heit n ur Schaden br ingen . Mit der gle ichen Logikmag der Staa t s ch l ieß l ich d ie Apo th eken sch l ieß en und uns denGesundbetern ‘

aus l iefern . Die gan ze Methode der Temperenzgesetzgebung muß das R echtsbewußtsein aufs tiefste schäd igenund verderben .

Wie s ieh t es denn aus,wenn die Frage ernsthaft geprüft

w i rd ? Ich zögere n icht, zu behaupten , daß der oberfläch l icheH inwe is auf d ie o ffenkundigen Schäden des A lkoho lm ißbrauchsdoch nur wen ig zum Verständn is der gan zen Sach lage b ei trägt .Hüten wir uns n ur vo r der nach läss igen Vertausch ung von Begr iffen . D ie üb l ich e Logik o per iert e infach : groß e Dosen Alko ho lh aben ein e gefähr l ich e Wirkung auf das Geh irn ; auch kleineund selbst kle inste Dosen haben ein e nachweisbare Wirkung ;also ist auch d ie Wirkung der kleinen Do sen gefähr l ich . Tat

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60 D as Deutschtum

sach l ich wurden d ieselben Vo raussetzungen aber bestehen b le ibenkönnen

,auch wenn wir behaupteten , daß klein e Do sen d urchaus

n icht gefähr l ich, sondern viel lei ch t gar n ützli ch s ind . Wissen

wir n icht,daß s o manches G ift in schwachem Abzug ein Hei l

m ittel ist, so w ie d ie übelstriechenden chem ischen Stoffe in starker

Verdünnung wo h lriechen de Parfüms abgeben . K—ochendes

Wasser verbruht uns ; wir dürfen deshalb n ich t sch l ießen , daßl auwarmes Wasser uns ein bischen verbrüht . Das al les ist natürlich no ch kein Beweis für d ie andere Seite ; es besagt d urch

aus n icht, daß kle ine Dosen wirkl i ch förder l ich s ind , es fo rder tnur

,daß keine w i l l kürl ich en Sch l üsse gezogen werden , sondern

d ie Wirkungen der geringen Mengen unabhängig un tersuch twerden .

Wir wo l len sogar zugeben,daß d ie kleinen Gaben , ein Spitz

glas Bier o der ein wen ig leich ter Landwe in dem Wesen nach d ieselben Wirkungen wie das stärkste berauschende Getränk ausübt,denn im G runde handel t es s ich imm eh um Hemmung von

Gehirnzellentätigkeit. D ie verlangsamte geist ige Arbeit, d ie beschleun igte Bewegung, der Wegfal l d er zurückhalterlden Mot ive ,d ie Abstumpfung gegen Störungen

,d ie erlei chterte Gemüts

erregung, und al le d ie anderen Symptome , d ie das psycho logisch eExperimen t l eich t nachweist, s ind in der Tat nur Hemmungen ,so ungle ich auch das H emmungsergebn is sein mag. Die vor

schnel le, hast ige, unüberlegte Tat und der Ausfal l der besonnenenzügelnden Erwägung s in d ja do ch n ur zwe i Seiten desse lbenVo rgangs . Jede Hemmung von Gegenv

-orstellungen muß d ieAuslösung der Impu lse begunstigen . Aber wer hat das Rech t,zu behaupten , daß Hemmung von Geh irnfunkt ionen etwas Bedenkliches sei ? Ja , wenn es wahr wäre , daß j ede Hemmungeine Zerstörung bedeutete, dann müß ten wir zugeben , daß j ederTrank Verderben bringt, denn das ist n ich t zu l eugnen , daß auchd ie kleinste Menge das Geh irn beeinfl uß t. Tatsäch l ich aber l iegtes umgekehrt : gerade Hemmung ist der wich t igste und wesen tlichste Faktor für unser Geistes leben

.

Es g ibt kein e Erzieh ung,kein e so ziale En twi ckl ung, keine

Kunst , keine Rel igion o hne seel isch e Hemmungen,j a es gibt

keinen e inzigen Akt der Aufmerksamkeit o hne Hemmung. Wenn

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und?die Tem pe renz. 6 I

ich l ese, so h emme ich das Ticken der Uhr in meinem Z immerund den Lärm von der S traße, u nd gerade d ie Hemmung d ieserGehörzentren im Geh irn macht es mögl ich

,daß ich m ich meinem

Buche widme . Erreich t d ie Hemmung abno rme G rade, so daßich über m ein er Lektüre meine Verabredungen un d mein ePfl ichten vergesse und den Besuch er n ich t bemerke , so werde i chläch er l ich und unbrauchbar, und bin ich in mein e Gedankenso versenkt, daß ich überhaup t n ich ts an dres seh e und höre, sobin ich un zurechn ungsfäh ig. Der Grad bedeutet da al les ; derrechte Grad der Hemmung ist Lebensbed ingung und Lebensgewinn und unser tägl iches Dase in is t vo l l von künstl ichenMitteln , so l ch e fördernden Hemmungen und er le ich terten Auslösungen in uns z u bewirken . Gese l l igkei t und Musik, Lektüreund Unterhal tung

,Erz ieh ung uhd trafe, Kunst und Natur helfen

uns , abzu lenken und auszugleichen , zu unterdrücken und zu be

sei tigen , zu besänftigen und vergessen zu machen , kurz Zuständeunserer S ee l e zu hemmen . Gerade da h i lft der Alko ho l m it undd iese H elferrolle sp ie l t er se i t Tausen den von J ah ren über dasErdenrund . Nur wenn der Helfer z udringl ich wird , beginn ter zu vern ichten ; wenn sein e Hemmung d ie Grenze erreicht,da er d ie Gegenvorste l l ung für _

d ie verbrech er ische Tat un terdrückt und so das Verbrechen - zeitigt oder das Bewußtseinder Pfl ichten gegen d ie Nächsten o der den Gedanken der wirtschaft l ichen Zukunft ausschal tet o der d ie Geh irnzel l en dauern dlähmt, dann sch lägt sein Nutzen in Verderben um .

Auch das amerikan isch e Vo l k kann d iese instinkt iv ges uch teH i lfe n ich t en tbehren . Der Wegfal l würde nach den ver5chiedensten R ichtt mgen füh lbar werden . Ich weise wen igstensauf drei Rich tungen h in . Der Amer ikan er ist ein harter Arheiter keh rt er von der Arbe it h eim , so ist seine See le beh errscht von Spannungen und Nachwirkungen , d ie i hn n ich tRuh e f inden lassen ; es ist der abend l ich e Zustand , d er denD urchschn ittsde utschen z u seinem Stammtisch —tre ib t, um

Hemmungen zu finden . D iesen Zustand n ich t zu lösen , bedeutet Ruhelos igkeit, Energievergeudung, soziale Gefahr werden Alkoho l n ich t w i l l , w ird sch l immere Mitte l suchen , d ie Arbe itsunruhe zu überwinden . E in zweites : der Wegf al l d ieser

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62 D as Deutschtum

Hemmungen raubt der Seele das l e ich te gem ü tl iche Ankl ingen ,das dem Leben Warme und S chonheit gibt . Der Puritan ismushat s icher l ich j ederzei t in Amerika der Kunst, der Musik, demD rama im Wege gestanden ; d ie wirkl ich e Durchführung derPro h ibitio n o hn e Ersat z wurde das Leben noch mehr derästhet ischen Mann igfal tigkeit berauben

,würde d ie Männerwel t

ganz auf prakt isch e Nutzbar kei t und ein tön ige Ehrbarkei t besch ränken und d ie Wel t des Gemütes noch mehr den Frauenal lein über lassen . Denn das ist zu wen ig beach tet, daß eskein Zufal l ist

,wenn überal l in der We l t n ur d ie Männer und

n icht die Frauen w irkl ich es Ver langen nach Alkoho l bekunden :d ie Frau besi tzt von Natur geringere Lebhaftigkei t der Gegenvorste l l ungen ; d ie Hemmung, d ie der Alkoho l beim D urchschn ittsmann künstl i ch hervo rbringt , ist bei der Du rchschn ittsfrau von vo rnherein gegeben ; darin ruh t so viel von i hrenVo rzügen und Re izen ‘

und au ch so vie l von i hren Schwächen undi hrem Unvermögen . In England galt e inst das Wort besserEngland fre i a ls Englan d nüchtern“ ; gi l t es n ich t auch besserAmerika insp i ri ert als Amer ika n üchtern“ ? Und sch l ieß l ich bedeutet d ie Hemmung de r Gegenmo tive e ine Frei legung desvorwärtsdrangenden Wil lens . Passive Ehrbarke it bedar f n ich tder künstl ichen Willensbefreiung, aber d ie amer ikan ische Nationhätte n iemals ih re Weltaufgabe erfü l l t, wenn kraftlose Verz ich tle istung ihr wesen tl icher Zug gewesen wäre . Die Pion iereamer ikan ischer Kultur ver langten Erregung

,In tens ität des Er

lebn isses und E indr ingl ichke i t der Erfahrung. Die Nation wärei hren Trad i t io nen n ich t treu , wenn s ie d iesem Begehren nachlebhafter Erregung n ich t nachgeben wo l lte : der mäß ige Gebrauch von Alkoho l bringt sowo h l so l ch e Lebhaftigkei t der Impu lse wie d ie no twend ige Selbstzuch t zu ih rer Beherrsch ung.

Wie das Kind sich für d i e Lebensarbe i t d urch sein e Spie l evo rbere itet, so schu l t der Mann sich für das angespannte wagendeLeben des Kampfes durch den mäß igen Gen uß erregender Getränke , d ie sp ielen d d ie aufregenden Gefüh le des Erfo lgs un dder Willensspannung durch d ie künstl iche Hemmung erzeugen .

Der Gelehrte, der Pred iger und tausend andere haben al les dasn icht nöt ig, und s icher l ich beweist gerade Amer ika , wie Tausende

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64 D as Deutschtum

Fanat ismus,Tyrannei und Grausamkeit, gesch lech tl iche Uber

erregung und gesch lech tl ich e Pervers i tät, Glückssp iele un dWetten

,Myst ik und Aberglaube, waghals ige Abenteuer und, vor

al lem,s inn lose Verbrechen s ind von j eher in der Welt d ie be

liebtesten see l ischen H ilfsm i tte l gewesen , um die Mono ton ie un dLangewei le e ines n icht stimu l ierten Daseins zu überwinden . Esgibt für die Massen e ines tatkräft igen Vo l kes ke inen gefährl icherenZustand als seel isch e Leere und E införm igkei t . Die katho l ischenLänder erregen wen igstens d ie Phan tas ie d urch d ie Kirche, dieM onarch ien haben i hre e igne Mann igfal tigkeit des K lassenlebensund i hren maler ischen Pomp . Amerika aber un ter Proh ib it ionstöß t d ie gep lagten Massen geradezu zum Wetten und Sp ie len undSpeku l ieren

,zu waghals igen S innlos igkeiten,

zu schmutzigemGesch lechts leben und lockr-er S cheidungsmo ra l, zu unges underSensation im öffentl ichen Lebe n , zu al len Ungeheuerl ichkei tender gelben Presse , zu barbar ischen Vergnügungen , zu Faustkampf und wüster Musik, zu wi lder Jagd nach Geld m it al lenÜbeln der Korruption un d der Vergeudung, und sch l ieß l ichzum Verbrechen um des Verbrechens wi l len . Zu vie l davonwird schon heute füh lbar ; und wenn es so weitergeh t, wirde ine Reaktion e insetzen müssen , d 1e wieder ebenso über das Z ie lsch ießen und statt der Abstin enz uns zügel lose Intemperenzim A lkoholgenuß b r ingen wird .

Die Gesch ich te ze igt natürl ich,daß auch so l ch e Ma ßlos ig

keit im Trunk n iemals die Höhenen twi ckl ung ein es Vo l kes be

gleitete . Meist geh t s ie der Perio de des Maßhaltens im auf

ste igenden Völker leben voran und fo lgt ihr dann wieder in derabsteigenden Bewegung zur letzten Dekadenz. Strenge Enthal tung und vo l l e Zügel lo s igkeit wirken o ffenbar glei ch ermaßenden höchsten und reichsten Kul turin teressen entgegen . Diewahre Groß le istung der Natio nen gehört den Ze iten des maßvo l len A lkoho lgebrauchs . Trotz al l er Zickzackbewegungen s trebto ffenbar auch d ie amerikan ische Natio n diesem Temperenzideal

zu ; die hysterische Abstinenzbewegung kann n ur e ine Ep iso desein .

Fur d iese wahre Temperenzbewegung in Amerika aber kannnun das Deutsch-Amer ikan ertum

,j a kann j eder e inze lne von

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und die Temperenz . 65

I hnen , wi rkl ich fordern d wirken . Der Deuts che dar f dann fre i li chn ich t an stumpfsin n iges Kommers ieren und Frühschoppentrinken ,

an d ie Biers impelei und d ie deutschen A nim ierkne ipen denken ,n ich t an die langen Zechgelage o der den A rbe iterschnaps oder garan das Trinken der Halberwachsenen ; al les das verachte t derAmer ikaner m it Rech t . Woh l aber kann und so l l der Amer ikanerVom Deuts chen d ie sch l ichten e infachen Trinksitten lernen ,

durchd ie B ier und Wein s ich an das Mah l anfügen und in gemütl ichem Gep lauder gemäch l ich s itzen d genossen werden . Dieamerikan ischen öffentl i chen Trinks itten s in d im wesen tl ichen d ieunschönenWirkungen ein er A rischauung, derzufo lge das Tr inkenschnel l und ungesehen e rfo lgen so l l . Daß die amer ikan ischeKneipe m it i h rer widrigen Bar und dem Trank im Stehen denanständ igen Bürger anw i dert , is t n ur naturlich und wünschenswert . Es gi l t eben

,die bre iten Massen des amer ikan ischen Vo l ks

an d ie l iebenswürdigere Fo rm der deu tschen Wirtschaft‚zu ge

wöhnen, in der das vo l l e G las den Schmausenden erfreut undnach dem Mah l heiteres Gespräch beim Becher e ine Wei le no chandauern mag. Dann wird von selbst der schnel l herabgegosseneWhisky langsam dem leich tem und u

'

ngefäh rl i cheren Bier undWein den Platz räumen müssen . D er S inn für harmlos heitereund doch angeregte Ges e l l igkei t wird sich dadur ch en twi cke ln .

Durch das Beisp iel sympath ischer Trinks itten führen Sie d ieAmer ikaner sicherer auf den erstreb enswerten Mitte lweg alsdurch den aufreizenden übertre ibenden Kampf gegen d ieProh ib it ion . In Deutsch land können wir al l e n i ch t leb haft gen ugden D eutschen ber ich ten , wie vie les der Deutsche von deramer ikan isch en Enthal tsamke i t lernen kann . Aber h ier im Landeso l len wir n icht vergessen, daß auch die deu tsche Gartenwirtschaft und die deutsch e gemütl ich e Weinstube ihre w irkl icheKu lturm iss ion hat .

M ü n s t e r b e r g A u s Deutsch -M ar ika.

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Der deutsche Autor und der amerikanische

Autorenschutz.

ochverehrter Herr Doktor ! Verbin dl ichsten Dank fur I hra'usführ l ich es Schre iben

,das m ich heute erre ichte . S ie

setzen m it Rec ht vo raus , daß se in Hauptthema , deramerikan ische Sch utz o der N ichtschutz für deutsche Autoren ,mich lebhaft in teress iert . Fre i l i ch ist von so l ch em Interesse nochein weiter Weg bis zur Berei twi l l igke i t, d ie Ro l l e zu übernehmen

,die Sie m ir zugedach t . Sie e rklären m ich für besonders

berufen, den Kampf gegen das l i terarisch e P iraten tum“ des

amer ikan ischen Vo l kes aufzunehmen . Sie hal ten es für meineEhrenpfl icht, mein e D oppelbeziehungen als deutscher Bürgerund als amer i kan ischer Professo r für ein e Umgestal tung derschmachvo l len“ Nachdruckgesetze auszunutzen und an d ieSp itze einer hal b deutschländischen halb amerikan ischen Verein igung zu treten , welche s ich in Wash ington Gehör erzwingenwürde .

Ich sehe davo n ab,daß Si e da

,mein verehrter Herr Do ktor

,

meinen E infl uß , meine Fäh igke i ten , meine Gesch ickl i chke i t undmeine fre ie Ze it aufs l iebenswürdigste überschätzen . Lassen Siem ich l ieber ehr l ich bekennen , daß ich sol ch e Führerro l le auchdann ablehnen würde, wenn ich Macht und Muße für den Kampfim Kap ito l zur Verfugung hätte

,und zwar deshalb

,wei l e in

Führer von t iefster Überzeugung ergr iffen sein m uß und mirleider d ie bege isternde Überzeugung vom Werte d ieses Kampfesvo r läufig feh l t . Verstehen Sie m ich n ich t falsch . Gewiß , i chst imme ganz m i t I hnen und j edem Deutschen darin überein

,

daß das l iterarisch e Übereinkommen zwischen Deutsch land un dden Verein igten Staaten den Deutschen vie l wen iger Vo rte i l eb ietet als den Amer ikanern und daß der überseeische Sch utz

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D er deutsche Autor und der am erikanis che A u torenschu tz.67

für die d eutschen Schrifts te l l er d urchaus unzureichend und besserungsbé dürftig ist . Wer wird e ine Mißach tung des geistigenEigentumsrech tes entsch u ld igen wo l l en ! Wir s in d da d urchause iner Ans ich t und do ch , wenn ich h eute d ie Freihei t hätte,durch einen Federstr ich e in I dea lgesetz zur Wirkl ichkei t z umachen , i ch würde zögern und zaud

'

ern , und gan z s icher binich n i cht, o h - ich ‚die Feder wirkl ich aufs Papier setzen würde.

Lassen S ie m i ch o ffen sagen : das deutsch e gro ße Publ ikumübersieh t d ie «Sach lage sch lech t und ist s i ch gar n ich t klar, . uni

was es s ich al les in d ieser vielverzweigten Frage han del t. Esist ja le icht, den Stre itp unkt so darzuste l len, daß der andereim Un rech t zu vers inken schein t, 'und „geist iger D iebstah l e ignets ich j a b eson ders le ich t dazu , Entrüstungsstürrne im Blätterwaldheraufzubeschwören . Wenn doch n ur d ie D inge j e so einfachl iegen würden ! Lassen S ie m ich wen igstens auf e in paar Punkteh inweisen

,d ie m ir zu denken geben . I ch fürch te frei l ich , daß

dann aus dem Brief fas t ein e Abhandl ung werden wird , undich ho ffe, Sie verargen es m ir n ich t, wenn ich dabei von vornherein ins Auge fasse

,diese Antwort gelegen tl i ch auf de utschem

Boden zu veröffentl ichen . E s s in d so viele Mißvers tändn isse ind er D iskuss io n , daß freimü

'

tige offentliche Aussprach e wirkl ichvo nnöten is t.

Lassen S ie mi ch zunächst m it einer Rei he le ich t übersehenerTatsach en beginn en . Der E infachheit ha lber wil l i ch , da Si e

nur von Büchern sprechen und auch m ir Bücher am meistenam Herzen l iegen

,mich auf d ie l i terarisch e S chutzfrage be

schränken . Selbstverständ l ich beziehen s ich die Gesetze auchauf den Sch utz von Bi ldwerken , Musik usw. und der unbefugt eNachdruck der No ten , Pho tograph ie usw. br ingt wieder besondere Pro bleme'. I ch lasse' al les das gan z auße r ach t und

beziehe m ich heute auss ch l ieß l ich auf das Werk des Sc hriftste l l ers .

I ch beginne m i t dem a lleraußerlichsten . S ie schre iben„Deu tsch land gewährt den Ausländern und so auch den Amerikanern genau denselben

'

S chutz, den es seinen e ignen Bürgern

gewährt . Amerika darf n icht länger zögern , ebenso vorzugehn ,

wenn es eine S pur _

von'

Ehrgefüh l besi tzt .“ So lch’

A ngriff ist

5*

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68 D er deutsche Autor und

typisch. Tätsachlich gewahrt Amer ika sei t dem Mai 1891 genau

das , was Sie da mit so l ch er Entrüstung fordern . J eder deutsch eAuto r bes i tzt in den Verein igten Staaten genau die gle ichenRechte wie ein amerikan ischer Bürger . Das ist d ie gan ze Grundlage des Vertrages zw ischen Amerika und Deutsch land . Ichnannte das den a lleraußerlichsten Einwand gegen Ih re Fo rderung,denn mein Widerspruch richtet s ich n ur gegen I hre Fo rmul ierung.Der innerl ich e Kern b le ib t bestehn : was Amerika den Deu tschenb ietet

, ist trotz der sche inbaren Gle ichafligke it der Le istung imWortlau t des Vertrages

doch etwas ganz Versch iedenes . Sonstgäbe es j a keinen Stre it . Amerika gibt dem deutschen Autoral lerdings für zweiundvierzig Jahre denselben Sch utz, den es

dem heim ischen Verfasse r b ietet ; der große Nachte i l besteh t n urdar in

,daß Amerika auch von den e ign en Bürgern verlangt,

i hre Werke mü ssen auf amerikan ischem Boden gesetzt un d gedruckt se in . Deutsch land k enn t so l ch e Forderung n ich t für d ieeignen Untertanen und daher auch n ich t für den Ausländer.Ame

'ri ka gewährt dem Ausländer daher durchaus den Schutz, denes den e ignen Kinde rn l e istet, aber legt damit dem Ausländerdie unbequeme Fo rde rung auf, das Buch in Amer ika neu setzenzu l assen ; tatsäch l ich is t damit der Sch utz für viele Fäl le i l l usorisc

'

hgemacht . In neuerer Zeit ist n un frei l ich ein gewisses Zugeständnis gemach t worden : auch

d ie im Ausland gedrucktenBücher sind , wenn s i e im Copyr igh t-Register e ingetragen werden ,wen igstens fur das ers te Jahr gesch ützt

,

‘un d ein e vo raussich tl i cherfo lgre ich e Bewegung ist im Gang

,diesen Sch utz auf zwei

Jahre auszudehnen . Damit s in d d ie meisten n euen Bücherwen igstens für d ie al l erwichtigste Periode ihres Vertriebes, für denersten Fl ug in die Welt

,wirkl ich gesch ützt

.

Viel ist auch das n ich t, und d ie Frage li egt nahe, warumdas so gastfreundl ich e, so freigeb ige Land so ge izig und schäbigm it den Rechten für aus län dische Au to ren ist . Die deu tschenZeitungen haben schon o ft die An two rt gegeben : das do l larsücht ige Amerika hat no ch n ich t den feinen S inn fur das Eigentumsrecht am ge ist igen Erzeugn is entwickel t . Abe r d ie Tatsachenmachen es wirkl ich schwer

,so l che Auffassung gu tzuheißen : in

Wahrheit ist Amer ika m it der Ausbi l d ung des Rech tssch utzes

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der am erikani sche A u torenschu tz. 69

für geist iges E igen tum lange vo rangeschri tten . Es ist ja rich tig,daß auch im Deutsch en Reich bere its 1 794 in a l len S taatenGesetze en ts tanden , d ie den Auto r im ganzen Reiche sch ützenso l l ten ; es ist aber eine bekannte Tatsache, daß von so l ch emSchutz fast v ier Jahrzehn te lang noch wen ig zu spüren war .

D ie Werke, die in e inem Staate gedruckt waren , wurden in

ande rn deutsch en Staaten scho n ungs los gep lündert man weiß ,wie es den gro ßen D ichtern erging. Erst nach 1830 setzt inD eutsch land wirkl ich wechselse itiger Sch utz ein . In Amerikadagegen wurden bereits 1790 vo l lkommen schützende Gesetzedurchgeführt, d ie für al l e ve re in igt en Staaten b indend waren undvom o bersten Gerich tsho f streng überwacht bl ieben . Der Sch utzin den Ein zelstaaten datiert no ch weiter zurück . England frei l ichkam no ch vo r Amerika . Die Notwend igkeit des Rech tssch utzesfür den geist igen Urhebe r war somit im amerikan ischen Staatenbund von der ersten St unde an m it ernstestem Verständn is anerkannt . Wie könn te auch in ein er Nation , d ie mehr l iest a lsirgend e in andres Vo l k der Erde , das Eigen tumsrech t am geistigenErzeugn is m ißach tet werden .

D ie Frage is t also nur d ie : wie is t es gekommen , daßder Amer ikan er trotzdem von j eher s ich der Anerkenn ung in ternatio nalen A utor

enschutzes so lebhaft entgegengestemmt hat undau ch heute noch s ich n ur schwach e Zugeständn isse abringenl ieß ? Der D euts che fin det s ich da meistens n ich t zurech t, wei l

er unwi l lkürl i ch an deutsche un d französ ische Au toren denktund s ich n ich t klar is t, daß , wie d ie ganze Gesch ich te

der Be

wegung zeigt, s i ch al les um den engl ischen Autor dreh te . DieAblehn ung des in Europa üb l ich en Sch utzes, wie i hn d ie BernerKo nven tion seit lange s ichert, is t d urchaus gegen Englan d gerichtet und hatte vom ersten Tage b is heute led igl ich sch utzzö llnerische Tenden z . Ja, wer d ie D iskuss ionen verfolgt , sieh t,daß es in gewissem Sinne n ich t e inmal der engl ische, sondernder amerika n isch e Autor ist, der in erster Lin ie d urch d ie Gesetzegezwungen werden so l l ; es so l l verh indert werden , daß deramer ikan isch e Au tor sein Buch in Euro pa drucken läß t un d esdann gesch ützt in Amer ika einführt ; d ie e inzige Losung d ieserSchwierigkeit war : grundsätzl ich zu erklä ren , daß Ame r ika n ur

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70 D er deutsche Autor und

Bucher schützt, d ie in Amerika gedruckt sind , gleichvie l ob si evon inlandischen od er ausländisch en Auto ren stammen . Es gi l t,den Drucker gegen d ie b i l l igere Konkurrenz der Alten We lt zusch ützen .

Au f den ersten Bl ick so l l te man glauben , daß d ie Amerikaner

, gr ade we i l s ie grundsätzl ich auf H o chschutzzo ll schwören ,den in ternationalen U rhebersch utz wi l l kommen heißen müßten .

Wer den amerikan ischen Autor als Schöpfer geistiger Werte'

in

se1ner Berufsarbeit Sch ützenwil l , muß s icher l ich gegenden freien'

Nachdruck ausländ ischer Werke sein . Kann der amerikan ischeVerl eger die Bücher der engl ischen Auto ren o hne Honorar nachdrucken und »

so den amerikanischen Markt m it guten Bücherno hne Zah l ung an die Verfasser versorgen , so wird er selbstverständ l ich das Honorar für den amerikan ischen Autor herun terdrücken können . Es ist dah er nur n atürl ich , daß d ie Schriftste l l erselbst von jeher mit Bege isterung fü r den in ternationalen Sch utzeingetreten s ind . Schon 1890 wandten

'

s ich beisp ielsweise etwah undert undfünfzig '

der bekanntes ten amerikan ischen Schriftste l ler im Interes se der amerikan ischen L iteratur“ mit e inerPet it io n für in ternational e Schutzgesetze an den Kongreß . Sieführten l ebhaft Klage, daß der amerikan ische Schriftste l ler n ichtzu

_sein

'

em verdien ten Ho no rar kommt, so lange der engl ischeS chr iftstel ler sch u tzlo s sei . Das war fre i l ich , no ch ehe der A usländer überhaupt se in e Bücher in Amerika sch ützen konnte .Daraufh in wurde dann 1 891 dem Ausländer der gleich e Schutzwie dem I n länder gewährt ;

'

das Buch des engl isch en Auto rskonnte nun

'

n icht mehr nachgedruckt werden,wenn es i n Amer ika

gedruckt ist . Von dem Tage an hat sozusagen j edes engl isch eVer lagshaus se ine amer ika n ische Fi l ial e ; j edes wichtigere Werkeines englischen S chriftstellers erschein t in be iden

_

Ländern zu

gle ich , "und der Nachdruck o hne Hono rar ist dam it aus,

gesch lo ssen .

Auch d ie besseren Verleger waren damals und s ind heutedurcha us auf Seiten der Sch riftstel ler . Einer der bedeutendstenVer leger , Putnam in N ewYo rk, ist se it zwan zig j ahren der Füh rerim Kampf, und S ie sin d wirkl ich auf falscher Fäh rte, mein ho chverehrter Herr D oktor, wenn Sie in I hrem Br ief be haupten , daß

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72 D er deutsche Autor und

immer aufs neue d iesen Kampf in der po l i t ischen Arena ausfo ch ten , haben d iese re in wirtschaftl ichen Mot ive n iemals verleugnet

.Im D ienst der Agi tat ion haben s ie j a so manchmal

Argumente vo rgebracht, welche d ie Aufmerksamkei t in andreRichtung l enken so l l ten . Hier und da erging man sich woh lauch in Phrasen : Der ausgesprochen e Gedanke so l l wie dasTages l icht, für j eden l euch ten

, und ernsthaftere wo l l ten glaubenmachen

,daß d ie Bücher d urch d ie Sch utzgesetze im al lgemeinen

teurer werden würden und dadurch die Vo l kserz ieh ung Schadenle iden müsse . Aber al le so l ch e H albgründe wurden doch n urzur Ausfü l l ung herangezogen ; im G runde hat man ste ts zugegeben : wirkl ich dauernde r Sch utz so l l n ur den Büchern gewährt werden

,die in Amerika gesetzt s ind , damit d ie techn ische

Buchfabrikations indu'

strie H o chschutz gen ieß e . In derselbe nRich tung bewegt s ich naturl ich der Zo l lsatz von fünfzig Prozen t,der heute für a l le e ingeführten Bücher in engl ischer Sprachebesteht ; be ide Bestimmungen habe n es zusammen dahingebracht,daß man in England gedruckte Bücher höchst sel ten in Amer ikaan trifft . N ur so l ch e engl isch en Bücher werden importiert, fürd ie der do ppelte Satz ‘und Druck auf beiden Seiten des Ozeansn icht lohnen würde und

"

d ie den Zo l l z usch lag des halben Preisesaushal ten können . Man w i rd

,w ie gesagt

,den grundsätzl ichen

Schutz auch für die im Ausland gedruckten Werke aus B illigkeitsgefüh l vermutl ich bald auf zwei Jahre ausdehnen

,abe r m it dem

Prinzip , daß der Vo l lsch utz Herstel l ung des Buches im Landeselbst ver langt , wird man s icher l ich n ich t brechen , so l ange dasLand im Ze ichen des S chutzzo lles steh t .

Und nun komme ich zu der Haup tfrage,d ie S ie und mich

beschäftigt : Wie stel len s ich unsere de utschen In teressen zud ieser ganzen Bewegung ? Nachdem sich d ieses

„Raub rittertum

der amer ikan ischen Ver l eger“ als"

eine,gegen den Wil len der

Ver l eger, im Dienst der Setzer und Drucker d urchgeführte wirtschaftl iche H ochschutzm aßregel en tp uppt hat, können wir jad ie mo ra l ische Entrüstung vo rübergehend be ise i te lassen und

das Problem einmal n üchtern durchsprechen . Kommt d ieSchutzlo s igkeit der Deutschen in Frage , so w i rd sich natür l ichdas In teresse gabeln müssen ; w ir haben auf

der einen Seite

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der am erikani sche A u torenschutz. 73

zu prüfen , wie es m it dem amer ikan ischen Nachdruck in deutscher Sprach e steh t, und auf der andern Seite, wie es s ich m itder engl isch en Übersetzung deutsch er Schr iftwerke verhaltenmag . Bisher hatten wir s tets nur die anglo—amerikan isch en Verl eger, Autoren und Drucker im Auge, da sie al l ein in derEntwicklung der Gesetze von entsch e idender Bedeutung waren .

Wie steh t es nun also mit den deu tsch-amerikan isch en Piraten“ ?

Ich wünsch te,mein verehrter Herr Do ktor, Sie kämen m it

m ir e inmal in eine deu tsch-ameri kan ische Buch han dl ung, um sichein wen ig über d ie wahren Verhältn isse z u un terrich ten

,nachdem

Sie sei t J ahren in Deu tsch lan d die schönsten Phantas ien über denfrechen Nachdruck gelesen . Um mein er Sache s i cher zu se in ,besuch te ich h eute früh , nach Empfang I hres Br iefes , d ie größ tedeutsche B uch handlung in Bo ston , ein Spezialgeschä ft für ausländische

,hauptsäch l ich deuts che

,französische und i tal ien isch e

Bücher . I ch bat den Bes i tzer, m ir in se in em gro ß en Lagerdeutscher Bücher d iej en igen zu zeigen

,d ie h ier im Lande nach

gedruckt s ind ; l äche lnd wies er m ich ab : der l ei gibt es n ich t.Vor Jahren

,als noch d ie starke deu ts ch e Einwanderung zu

strömte , da gab es in New York und Ph i ladelph ia und woh l auchanderswo e in paa r deu ts che Ver leger, d ie bi l l ige S chundausgabendeu tscher Romane veranstal teten . Das hat aber längst aufgehört .Einen deutschen Roman in ein er, der deutschen Ausgabe gle ichwertigen Ausstattung h ier herzuste l len , würde bei den hohenArbeits lö hnen das nachgedruckte Exemplar m indestens ebensoteuer werden lassen wie das u rsprüngl iche ; wer wird da das R is ikowagen ,

da der Absatz do ch n ur klein b le i ben würde . U nsaubres

Zeug,wie B ilses „A us einer kle inen Garn iso n

,w ird fre i l i ch auch

heute no ch von dunklen Ver legem sch lech t nachgedruckt und i nMass en abgesto ßen , aber von e inem ernsthaften deu ts ch-amerikan ischen Nachdruck guter deutscher Bücher in Buchform is tse i t J ahren n ich t mehr d ie Rede .

Vo r m ir l iegt Ho uston Steward Chambe r lains „ Imman uelKant“

,ein d ickle ibiges Werk aus der Bruckmannschen Ver l ags

anstal t in Mün chen . A uf der ersten Se ite findet s i ch der bekannte Co pyrigh tvermerk und dar unter d ie von schöner Entrüstung d iktierten Wo rte : „D ie Verein igten Staaten von Amer i ka

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74 D er deutsche A utor und

machen den sparlichen, auf die Dauer e ines Jah res bemessenenSchutz gegen Nachdruck, den s ie gewähren , von dem wörtl ichenAbdruck vorstehender Formel abhängig und ze igen dam i t

, daß

bei der gesetzgebenden Mehrhe i t der Bewohner ihres Landesd ie Begr iffe vom geistigen E igentum andrer Völker noch n ich tso entwickel t s ind wie bei uns .

“ Daß diese D en unziation sach l ichunrichtig ist, habe ich schon beruhrt, denn d ie Amer ikaners ind herzl ich gern bereit, auch das ge ist ige E igen tum andrerVölker für zweiun dvierzig Jahre genau wie ihre e igen-en Pro duktezu schützen ; s ie verlangen dann n ur, a ls Sch utz für i hre Druckindustr ie, daß d ie Bände, die in Amerika verkauft werden , auchvon amer ikan ischen Arbeitern gedruckt werden . Aber jetztkommt es m ir auf ein andres an : Warum in al ler Wel t veruns tal te td ie Bruckmannsche Ver lagsanstal t i h r Werk m it d ieser Formel ,d ie s ie so wen ig l iebt ? D ie Anstrengung ist wirkl ich überf lüss ig.

Bruckmann wähnt o ffenbar,daß Amer i ka von smarten“ Ver

legem wimmelt, die darauf lauern , d icke We rke übe r Kan t schnel lnach zudrucken , damit d ie für Kant bege isterten DeutschAmerikaner das Buch in der am erikan ischen Ausgabe kaufen .

Ist denn in A merikafragen auch n ur d ie bescheidenste Sachkenntn is so schwer zu erwerben

Tatsachlich l iegt es so , daß auch o hne die Warn ungstafe lChamberlains K antwerk vo r den Nachdrucksgelüsten der deutschamer ika n ischen Ver leger so s icher gesch ützt wäre

,a ls wenn es

heute noc h im Geh irn des Verfassers sch l ummerte. Ja, d ie Bruck

mannsch e Ver lagsanstal t könn te getro st noch e in paar h undertDo l lar zuza h len und s ie würde tro tzdem hier kein en finden

,

der s ich auf ein so miserab les Geschäft ein lassen würde.Die

deutschen Ver l eger bewegen s ich da einfach in Wahnvorste l l ungen . Wie so l l te es auch n ur denkbar sein

, vom Nachdruck so l chen Werkes Gewinn zu erho ffen . Ich weiß

,was

amerikan ischer Bücherdruck kostet . Ich bin beisp ielswe iseHerausgeber der Harvard Psycho logical Stud ies”

,deren Bände

ungefäh r so groß s in d w ie das K antbuch und deren D ruckvom psycho logischen Laboratorium der Harvard-Un ivers i tät bezah l t wird , so daß ich selbst j ede Rechn ung prüfe .

J eder Einzelband hat da etwa fünftausend Mark Herstel l ungskosten für sechs

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der am erikanis che A u torenschu tz. 75

hundert Exemp lare geko s tet . Aber das ware ers t der Anfang.

E in Buch in Amerika gut vo rs Publ ikum zu br ingen , ver l angtetwa we i tere viertausen d Mark für Inserate . Würde ein wahnw i tziger Verl eger den Chamber lain n achdrucken , so könn te erdaher e in e Ausgabe im St i l des Or iginals

,selbst wenn er keinen

Zent Ho no rar zah lte,doch n iemals b i l l iger auf den Markt bringen

als der u rsprüngl i ch e Ver l eger .Und wer so l l es ka ufen ? D ieM as se des Deuts ch-Amerikaner

tums so l l s ich n ich t gerade lebhaft m it Kan t beschäftigen . InFrage kämen eigen tl i ch nur die Gelehrten

,die Bib l iotheken und

d ie geb i l detsten Anglo-Amer ikaner al le diese Gruppe n würdenaber n iemals daran denken

,so lch ein Werk in ein em N achd ruck

zu kaufen,se lbst wenn er b i l l iger wäre ; sie würden zu seh r b e

fürchten , daß der Nachdruck flüch tig hergeste l l t, viel l e ich t verändert und verkürzt is t . I ch verm ute, daß d ie Schriften ke inesin Amer ika sch reibenden Deutschen mehr in Amerika gelesenwerden als die me inen , und tro tzdem als e twa Anfang d iesesJahres me in Hauptwerk

,d ie „Ph ilosoph ie der Werte

, in Leipzig ersch ien

,l ieß ich d ie verpön te Fo rme l ru h ig fort, wei l i ch

zu gut wuß te,daß mein Buch auch ohne gesetzl ichen Sch utz

gegen deu tschen Nachdruck in Amer ika vo l lkommen geschütztsei . Und me in e „Psych-ologi e

“ is t ach t Jahre alt,aber noch ist

keine Seite nachgedruckt . Ich habe uberha upt noch n ie e innachgedrucktes wissenschaftl iches B uch in der Hand gehabt.

Wer d ruckt denn n un.

nach ? Selbstverstä nd l ich d ie deutschamer ikan isch en Tagesblätter und Wo chenschr iften . Das zu bestrei ten , wäre lä cherl ich , denn es ist o ft schwer gen ug, i n i hnenetwas zu f inden

,das n ich t nachgedruckt is t . Vo n den Romanen ,

Erzäh lungen un d Plaudereien,d ie von überal l her zusammen

gep lündert s in d,bis zur h umo r is tischen Se ite m i t Scherzen , d ie

aus den letzten Nummern der Fl iegenden , der Jugend, der Lustigen und des Simpl ic issimus stammen

,ist es . wenn d ie paar führen

den B lätter ausgenommen werden,e ine große A bschre ibere i .

Besonders d ie Sonntagsblätter können unbegrenzte Massen gestohlenen Stoffes verdauen . D ie kürzl ich in Deutsch land anden Pranger gestel l te amerikan isch e So nn tagsze itung, die in e inerNummer den ganzen Max und Mori tz” abdruckte und so für

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76 D er deutsche A utor und

ein paar Pfenn ige anbo t, was daheim mehrere Mark kostet, istlange n ich t der sch l immste Fal l .

Ich sehe im Geiste,wie Sie, verehrter Herr Doktor,

triumphierend a ufblicken : hat m ich da n ich t me in eignes Geständnis in der Sch l inge gefangen ? Ich gesteh e zu , daß wöchent

l ich, ja tägl ich in Amerika deutsch e Ge istespro dukte schonungs

los und scham lo s deutsch nachgedruckt werden wie kannich nun noch länger bestre iten , daß d ieser S chandwirtschaft so

schnel l wie mögl ich durch Sch utzgesetze ein Ende gemachtwerden muß ? Abe r so sehr es Sie auch verwundern mag : j a,ich bestre ite es

, und zwar bestre ite ich es, wei l i ch d ie D ingen ich t unter dem Ges ichtsp unkte des techn ischen Rech ts be trach te,sondern

,mein er gan zen langjährigen Arbeit gemäß , unter dem

höheren Ges ich tspunkt der deutschen Kul tur . Hier l iegt fürm ich der Kernpunkt der ganzen Frage . Glauben S ie denn wirklich

, daß d ies e sechsh undert deutschen Tages Wochen undMo natsblä tter wirkl ich n u r deshalb den nachgedruckten deuts chenAuto ren das

'

Honorar versagen , wei l s ie in i hrer Habgier sichi hre glänzenden D ividenden n ich t verkürzen wo l len ? Haben S iedenn kein e Ahnung davon , daß d urch das stete Zusammensch rumpfen des am erikan ischen Deutsch tums fünfundneun zigPro zent d ies er B latter nur ein kümmer l iches Dasein fristen

,fünf

undsiebzig Pro zen t am Rande des Abgrunds stehn und bei e in emN achdruckverbot d ie überwäl t igende Mehrheit sofort von derB i l dfläch e verschwinden würde ? Es ist sch lech th in unmögl ich

,

daß d ie deutsch-amer ikan isch e Zeitungs literatur die Last von

Honoraren an d ie Autoren tragen könnte .

N un kann man ja frei l ich erwidern : es schadet n ich ts , wennso l ch e vo rn Nachdruck lebenden Blätter zugr unde gehn . Gewiß, der L iteratur schadet es n ich ts , und d ie drei o der viergmßen Zeitungen würden n ur Gewinn davon haben , wenn al lenden hunderten kle inen R ivalen das Lebensl ich t a usgeb lase n würde .Dem deutsch en Bewußtse in , dem deutschen K u lturgeist würde esaber ungeheuren Schaden br ingen . Die im Lande zersü eu te M i llionenmasse der Deutsch-Amerikaner kann s ich n ich t d ie großenTageszei tungen von New Yo rk o der St . Lo u is halten ; die Massew i l l d ie kle inen L-okalblätter mit den Neu igkeiten über den eignen

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der am erikan ische A u torenschu tz. 77

Gesang und Turnverein und den von Platten , fur h undertBlätter gemeinsam gedruckten Roman als Zugabe . Verschwindend ies e v ielhundert Blätter, so verschwindet aus h underttausendFam il ien des

Landes das l etzte , was sie m it dem Deutschtumäußer l i ch verb in det . Die Kinder ziehen j a längs t vor, n ur

"

engl isc

'

h'

zu sprechen , wie“ si e es in der Schu le gewohn t s ind ; d ie

e ingewanderten El tern ver l ieren selbst tägl i ch mehr die Energie,

das Deu tsch festzuhalten,i n das unaufhaltbar das bequemere

Engl isch eindr ingt . Die deutsch e Ze itung, vor al lem das deu tsch e

Sonn tagsb latt, is t noc h der letzte feste Boden : . is t der auchers t h inweggespü l t

,dann bleibt von der deu tsch en Sprache in

so l chem Kre ise n ich ts übr ig. E s is t ja trau rig genug, zu sehen ,wie Jahr für Jahr d ie deuts chen Zeitungen am Wege umsinkenund l i egen b leiben ; auch das ge istig ödeste B lättchen hatte daseine Ku lturaufgabe für d ie Erhal tung des Deutsch tums , und

d ie B lätter waren gar n ich t e inmal so öde, wei l der Nachdruckauch gutes

'

M ateria l umsonst verschaffte . Wer die Pflege derdeutschen Sprach e im Heim der deutsche merikanischen Masseerhalten w i l l

,der muß den deutsch-amer ikan ischen Zeitungen die

Wege ebnen und n ich t durch Urh ebersch utzgesetze unüber

steigbare Mauern in den Weg bauen .

Zu wessen Gunsten so l l d iese deu ts che Ku lturaufgabe denneigentl ich geo pfert werden ? D ie Le ute h ier sagen : es gi l t, d iedeu ts ch-amer ikan isch en Auto ren gegen d ie Kon kurren z m i t dendeu ts ch en Schriftste l lern zu schützen . Ist .Nachdruck verboten

,

so werden die Blätter, die den Sch lag über l eben , s ich meh r andie deutsch-amer ikan ischen Autoren wenden und i hre H ono rareerhöhen . Sie und I hre Freunde dagegen be to nen aussch l ieß l ich ,daß die Einnahmen der Schr ifts tel ler -in Deutsch land vergrößertwerden so llen . Lassen S ie uns beide Mögl ichkeiten betrachten .

W ie s teh t es also zunachst m it den sch utzbedürftigen deutschamer ikan ischen Auto ren ? I ch habe s icherl i ch ein zum-Schützengene igtes Gemut ; aber wenn heute der An trag gestel l t würde,daß Amer ika gro ße Waldgeb iete ankaufen und m it Sch utzwäl lenumgeben so l le

,um die amer ikan ischen weiß en Elefan ten gegen

Ausro ttung zu sch utzen , so wäre es m ir Pfl icht, darauf h inzuwe isen

,daß le ider Amerika überhaupt n iemals we iß e Elefan ten

besessen hat.

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78 D er deutsche Autor und

Selbstverstä ndl ich gibt es unter den Mil l ionen der DeutschAmerikaner e in paar Leute , d ie glatte Verse o der e ine lesbareGesch ich te schre iben können

,aber der Gesamte indruck ist doch

dei des vö l l igen Verz ichts auf höhere l iterarische Le istung. U n

bestreitbares Talen t h at Geo rg S . Viereck, der Sohn des früherensozialdemo kratischen Re ichstagsm i tgl iedes ; abe r auch der —j ungeV iereck hat der Versuchung n ich t w iderstehen können und be

ginnt neuerd ings , l ieber engl isch statt deutsch zu schre iben .

Ein paar nette Ged ichte gelangen Nies und andern , aber werd ie N eefsche Sternenbanner-Antho logie durch l iest, hat do ch woh leher d ie Empfindung

,daß n ich t d ie Auto ren , sondern das Pu

blikum den Sch utz verd ien t . Ganz l ust ige Schnurren schre ibtHenry Urban

,der s ich am

'

eifr igsten für den geist igen Schutzzo l l in Form von N achdruckgesetzen b emüht . I ch gönnte —i hmvon Herzen den H ochschutz, wenn er sich dafür verpfl ichtenwürde, n ie w ieder sein e Humoresken in den Ze itsch riftenDeutsch lands abzuladen , da kaum ein andrer in j üngster Ze i tso vie l getan hat, die törich ten Vo rurtei le gegen den Yankee inder deutschen See le großzupäppe ln . So l ch komische Zerrb i lders ind ja ganz erträgl ich , wenn si e s ich an ein Publ ikum wenden ,welches das wah re B i l d kenn t ; wenn d ie Witzblattlaune s ichaber vor Lesern ergeh t, die al les das für wahre Sch i lderungdes amerikan ischen Lebens hal ten , so wird d ie Schnurre zursozialen Gefahr . Nich t h ierher gehören natür l ich d iej en igenDeutsch-Amerikan er, d ie nur in D eutsch land publ izieren oderd ie engl isch sch re iben o der d ie po l i tische Bei träge l iefern ,

dennfür die Po l iti k kommt d ie Ko nkurren z von Deutsch land aus

naturlich n ich t in Frage .

Sie werden m ir vie l le ich t entgegenhalten,daß e in e deutsche

Ze itung in e iner amerikan ischen Zusch rift kürzl ich behauptete, i ch se i i n akadem isch-e Kreise und wissenschaftl i cheAkadem ien abgesperrt und hätte daher ke ine Füh l ung m i t denDeutsch-Amerikanern und den Literaten . Das ist n ich ts a ls d ieübl iche S timmungsfabrika tion . Ich bin M i tbegründer der N ewYo rker Vere in igung deutscher Schriftste l ler

,M itgl ied des New

Yo rker deutschen Preßklubs , M itgl ied der New Yorker Gese l l igWissenschaftl ichen Verein igung, Präsiden t der Bo stoner de ut

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80 D er deutsche Autor und

gefunden hatte . D ie deu tschen Schriftste l ler rechnen s ich dae inen entgangnen Gewinn zusammen , für den jede Unter lagefeh lt. D ie paa r führenden reichen Blätter zah len au ch je tzt scho nH onorar , um s ich mögl ich st frühen Abdruck zu s ichern ; alsetwa d ie NewYo rker Staatszeitung den Jörn Uh l abd ruckte , zah ltes ieT ausende aus fre ien Stücken . Wenn aber d ie große Masseder deutsch-amer ikan ischen Ze itm gsbes itzer be i j edem Nachdruck in d ie Tas che gr e ifen müßte , so würden sie s ich e infachzu en ts che iden h aben

,ob s ie ihr Blatt ganz e ingehn lassen oder

ob s ie i hre Abonnenten an e inen Lesestoff gewöhnen können,

dessen Autoren scho n über dre iß ig Jahre im Grabe ruhn . S o

manche Erzäh lung aus der Mitte des Jah rh underts wi rd jetztschon fur so lche Zwecke n eu auffr is i ert. Der deutsche D ich tervon h eute hätte davon auf ke inen Fal l e inen w irkl ichen Gewinn .

Ja, es ist unschwer zu sehen , daß er geradezu Ve r lus t dadurch erleiden würde . Denn , wenn er erst e inmal be ise i te geschoben ist und aus den deu tschen Ze i tungen verschwindet,so ver l iert er dadurch im deutsch-amer ikan ischen Leserkre ise d iebes te Empfeh lung

,um n ich t zu sagen Reklame

,für sein e Bücher .

Wer e inen Roman in se in-er Zeitung m it Vergnügen l iest, bestel l t s ich gern in der deutschen Buchhan dl ung d ie übr igenWerke des Verfassers o der verschenkt v ie l le i ch t densel ben Romanspäter in Buchfo rm . Der finanziel l e Vortei l des deuts chen Autorsver langt d ie weitmoglichste Verbre itung se iner Schr iften d urchd ie Presse ; es ist der s icherste Weg, den Absatz se iner Bücherzu steigern .

So l ch e Propaganda fur gute Sch r iftwerke d urch d ie Ze itungen ist um so wünschenswerter

,als wir uns au ch darübe r

n icht tauschen dürfen : die deutsche Literatur von heu te sagtim wesentl ichen dem Geschmack der deutsch-amerikamschenLes er wen ig zu . Vor al lem die in der neuen Heimat herangewachsen e j üngere Generat ion steh t den deutschen Werkender Gegenwar t meist m i t dem Gefüh l der Fremdhe it und desUnbehagens gegenüber . Die aufdr ingl iche Be ton ung der geschlechtlichen Fragen , d ie unamerikan ische Auffass ung von derStel l ung der Frau, die selbstverstän d l ich e Anerkenn ung derK la sengegensätze und vie les andre läß t s ie empf inden

,daß es

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der amerikanische A u torenschu tz .8 1

sich da n ich t um d ie Wel t i hrer e ignen Lebenspro blemehandel t . Ähn l iches abe r gi l t au ch von der Fo rm der Behandl ung : das übl iche deutsche Lustspi

-el ersche in t da albem

und langwe i l ig, das Drama zu o ft p hantastisch oder absto ßend , der Roman wie aus fremdartiger Welt und die Satzb i l dung so vie l schwerfä l l iger als d ie engl ische . Da bedarf esder tägl ichen l eisen Einwirkung, um J ungen o der Mädchen zum

Les er o der Käufer de utscher Bücher heran zuzie hen . Je mehrnachgedruckt wird , desto eher habe n wir Auss icht, den Verfal ldes deutsch en Ku lturgu ts h ier aufzuhal ten . Gerade j etzt regtes s ich wieder m it Anzeichen neuer Frische ; eine kle in eAufwär tswel le ist bemerkbar : h üten wir uns vor kurzsi ch tigenAgitatio n en .

Sie haben n ich t vergessen , daß ich b is her e igen tl i ch n urvom deutschen Nachdruck gespro chen habe und n ich t von derunbefugten Übersetzung ins Engl isch e . Während ich den Nachdruck in Buchfo rm bestr i tt, muß ich o hne weiteres anerkennen ,daß vie le deutsch e Bücher

,in s Engl ische übersetzt

,auf dem

amer ikan ischen Markt e ine Ro l le sp ielen . Aber selbst da wurdend ie Verhältn isse be i günstigstem Gesetz fur den deu tschen Autorkaum be ssser l iegen : es würde le d igl ich sehr vie l wen ige r übersetztwerden und wiederum würde das wahr l ich kein Gewinn für d ieAusbrei tung der deuts chen Ku ltur s ein . Verz-eiben Sie, verehrter Do kto r, wenn ich I hn-en

°

sage , daß S ie s ich auch ind iesem Gebiet in I l l usionen bewegen . An wissenschaftl icheWerke gehen d ie amer ikan ischen Ver l eger

,de r ho hen Unkosten

und des begren zten Absatzes wi l len , o hneh in stets m it Vo rs ich ther an und ho l en erst von den versch iedensten Se iten Urte i leüber das Man uskr ipt ein

,fa l ls es s ich n ich t um führen de Leute

handel t ; is t das wissenschaftl ich e Werk aber ein e Übersetzung,so wandel t s ich d ie vernünftige Vo rs ich t in patho logisch es Mißtrauen um . In den letzten Jahren habe ich dre i verschiedenenKo l legen in Deutsch lan d verspro ch en , m ich für ein e engl isch eÜbersetzung ihrer ph ilosoph ischen Bucher zu bemühn . Jedesder dre i Werke sch ien m ir h ervo rragend geeignet zur Üb e rtragung ; j edes bo t i ch einem halben D utzen d der besten Ver lagshäuser an

,aber nach kurzem oder längerem Za udern haben

Mu n s t e r b e r g , A u s Deutsch -A m er ika . 6

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82 D er deutsche Autor und

s ie al le a l l es abgelehnt . J eder sagte m ir : so l ch e Fachwerkewerden nur von Gelehrten gelesen , d ie ebensogut d ie andreSprache beherrs chen und s ich daher ungern vom Übersetzerabhängig machen . Das ist ja ri ch tig, i ch kenne manchen deutschenPh i losophen , der ke in engl isches Buch lesen kann , aber ke inenamerikan ischen Phi losophen , der n ich t deutsch l iest . Da magdenn ke in Ver leger d ie ho hen Kosten wagen .

D i e H onorarfrage sp iel t dabei d ie kleinste Ro l le . Honorarfur den „Druckbogen

“ kennt der Amer ikaner n icht ; d ie al le inübl iche Fo rm ist e in bestimmter Ante i l am Ladenpreis jedesverkauften Buches . Ist der Absatz gro ß , so mach t es n ichtviel Untersch ied

,ob da zehn Pro zen t vom Brlos an den Autor

abfl ießen o der n ich t ; ist der Absatz kle in , so bleibt es e in Verl ust , auch wenn ke in Honorar h ine insp ie l t ; d ie ganze Berechn ungist eben e ine grundsätzl ich verschiedne von der des de utschenVer l egers

,der seinem Auto r am e rsten Tage e ine runde S umme

zu zah len hat, gleichviel ob die Auflage verkauft wird o de r be i dernächsten Ostermesse zurückkehrt .

Wirkl ich bere i t s ind d ie Verlagshä user fur Ü bersetzungenwissenschaftl icher Bücher nur bei Lehrbüchern

,die von den

Studenten ben utzt werden,und bei Spezialwerken

,die jeder

Arzt o der Techn iker verwerten kann . Für d ie gangbarsten so l cherWerke zah len d ie besseren Verleger auch heute fre iwi l l igHo norar ; s ie gen ießen dafür den Vorte i l , schon im ersten Jahrd ie Übersetzung veröffentl i chen zu könn en o der gar d ie D ruckbogen für d ie Übersetzer im voraus zu erha l ten . Ho her Antei l,wie i hn der amerikan ische Au tor erhäl t, ist kaum mögl ich , wei lj a der Übersetzer ebenfal ls bete i l igt werden muß ; tatsäch l ichbeanspruch t heute in v ielen Fäl len der Übersetzer und H erausgeber denselben Antei l , den be i andern Büchern der Verfassererhä lt, u nd dem Verleger ist es natürl ich gle ichgültig, ob die

zehn o der fünfzehn Pro zen t des Verkaufspre ises zwischen Verfä sser und Übersetzer gete i l t werden o der n ur e in em zufl ießen .

Zah len denn etwa die d eutschen Ver leger so l ch üppige Ho no rarefür d ie deutschen Übersetzungen fremdländ ischer wissenschaftl icher Werke ? Auch da lehren m ich meine Erfah rungen einandres . E in paarmal verhandel te ich m it deutschen Häusern

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der am erikan is che A u torens chutz.83

im In teresse amerikan ischer Ko l legen ; i ch en tsinne m ich woh l ,daß die H onorarfrage auch da sofort h in ter dem Seufzer überd ie ho hen Übersetzungskosten zu verschwinden pflegte . DieHerren Verleger wissen ebe n auf beiden S e iten des Ozeans, daßder rech te Gelehrte mehr Wert legt auf die Verbre it ung se in erIdeen als auf i hre geschäftl i ch e Ausn utzung.

Seltsamerweise is t es auf schönliterarischem Gebiet n ich tanders . Von ein er Begier, s ich am fremden Eigen tum zu vergreifen , is t gar kein e Rede . Ein Roman , der in Deutsch land ichglaube das ach tzigste Tausend erre ich te und somit zu den größ tenbuch händler ischen Erfo lgen gehörte

,wurde mir vom Verfasser

be re its in engl ischer Übersetzung im Manuskr ip t übe rgeben m itder Bitte, einen amerikan ischen Verleger zu finden . Ich bemühte m ich aufs redl ichste und wandte m ich persön l ich an d iebedeutendsten R omanverlagshäus-er ; i n j edem lagerte es e in paarWo ch en o der ein paar M onate , und nach anderthalb Jahrengab ich d i e Ho ffn ung auf. Überal l wurden triftige Gründeersonnen , warum das Buch n ich t ziehen würde .

Im Grun de l iegt es so , daß e in gewisser gebi ldeter Bruch te i lder anglo -amer ikan ischen Bevö lkerung fremdländ ische Romanein fremden Sprachen l ies t, vorne hm l ich Französ isch , daneben abe rauch Deutsch . Die Masse aber, d ie nur Engl isch l iest, wi l l n ich tnur engl ische Sprache, son dern im wesentl ichen auch in der englischen Form den anglo-amer i kan ischen Stoff. Weder französischeno ch deutsch e Literatur der besseren Art wird in engl ischerÜbe rsetzung vie l gelesen , und d ie Vo r l iebe für das He im ischen immt so stark z u , daß in den letzten Jahren in stark merkl icher Weise sogar England zurücktritt h in ter dem amerikan ischenErzeugn is . Gewiß wi rd Kip l ing und Shaw und Mrs . Ward viel

gelesen , aber do ch n ich t so in h underttausenden versch l ungenwie d ie Modenomane amerikan ischer Autoren ; von angl is iertendeutschen Romanen hört man aber n ichts im Sal-ongespräch unds ieh t n ich ts in den Schaufenstern . Amerika wird ebe n immernatio naler und glaubt immer wen iger aus Ausland ; Nachdrucksperre bedeutet für die Masse

,neuere de uts ch e Literaturwerke

gänzl ich ihrem Gesich tskreis zu en tziehen .

W i e außero rdentl ich gering das Bedurfnis nach deutscher6*

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84 D er deutsche Autor und

Ware ist,ergibt sich m ir aus dem Stud ium der Magazin e . Die

Überfül l e der amerikan ischen Monatsschriften bedingt s charfeRival ität

, und gerade d a wäre es sicherl ich wi l l kommene Ersparn is ,die Honorare für die Essays und Gesch ich ten abzusch üttelnund sich aus deutschen Zeitschriften durch Nachdruck zu bereichern . I ch habe das aufmerksam verfo lgt ; i ch habe im Atlan t ic,Century

,Har per

,Mcc l ure, Scribn-er , Ameri can , No rth American ,

Munsey,Metropo l itan

,Bro adway usw. noch n iemals einen Auf

satz entdeckt, der aus dem Deuts chen herübergenommen war.Die Verl eger zah len sehr vie l l ieber ho he H ono rare, als daßsie i hre Magazin e mi t Arbe i ten fü l len , die n ich t genau der

‚Wesen he it i hrer Leser ange paß t s ind ; das Sch utzgesetz würde daauch n ich t das geringste ändern und auch von dieser Se itekein en Zent in d ie Tasche des de utschen Au toren gleiten lassen .

Kurz, mein l ieber Herr D okto r, woh in i ch m ich auch wende,i ch seh e als wahrsch ein l ichen Erfo lg des deutschen Büchersch utzes n ur Schaden für die Ausbreitung der deutschen Kul tur

,

für die Erhal tung der deutschen Sprache im DeutschAmerikanertum , sch l ieß l ich für den E infl uß deutscher Ideen imAngie-Amerikanertum und auf der andern Seite ke iner l e imater iel len Vo rte i l für d ie deutschen Autoren . Für Musik, Kunst,Theater mag es in mancher Hinsich t an ders l iegen ich wo l l te j anur vom Schrifttum sprechen . Für d ie Welt des B uches kannich mich weder durch d ie Selbsttäusch ungen der deu tschamer ikan ischen D ich ter“ noc h durch die Wahnvorste ll ungendeutschländischer Verleger bee infl ussen lassen

,wenn es gi l t

,das

jen ige Kulturgut zu hüten , für dessen Stärkung ich seit J ahreno hne U nter laß arbe ite : den deutschen Einfl uß im amerikan isch enVo lk . Sie begre ifen daher, wenn ich überzeugt bin , daß i chwahrl ich n ich t dazu tauge, an d ie Sp itze I hres gep lan ten in ternat ional en Komitees zu treten , denn wer da führen so l l, muß begeistert an se ine Sache glauben , während ich vo n ernsten Zweife lnbedrängt b in . Aber fal ls I hr Komitee zustande kommen so l l te,so möchte ich ihm aus ziem l ich genauer Sachkenn tn is dochwen igstens einen vertrau l ichen Rat geben . Ich rate näml ich denHerren , s ich n i cht zu groß e Ho ffn ungen zu mach en ; d ie En ttäusch ung konnte zu pe in l ich werden . Glaube n S ie m ir, auch

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der am erikanis che A utorenschu tz.85

wenn Sie d ie besten Schriftste l ler um sich sammeln : wie manden Ko ngreß in Was h ingto n schutzzö llnerisch bearbe itet, dasverstehen d ie Herren der typograph ischen Gewerkvereine besserals d i e A utorenklubs . Wer die Druckere ien be herrsch t, beherrsch t d ie Presse ; wer d ie Presse beherrsch t, beherrsch t h ierd ie öffen tl ich e Mein ung, un d wer d ie öffen tl iche Mein ung beh errsch t, beherrs ch t Was h ingto n . Daß Amerika den vo l len Sch utzBüchern gewähren so l l, d ie n ich t zunächst von amerikan ischenArbeiter n zu amerikan ischen Löhnen gedruckt sind , das würdeIhr Komitee n ich t erre ichen

,auch wenn sich Präsiden t Roosevel t

se lbst an d ie Sp itze des Aussch usses ste l l te .

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Die amerikanische S chule und der

deutsche Geist.

eutsche Frauen ! Deutsche Manner ! Lassen S ie m ich heutevon e iner Ehrenaufgabe sprechen , d ie wir al l e im Geisteder alten He imat zum Besten unserer neuen Heimat

erfullen so l l ten : von unseren Pfl ich ten gegenüber der Sch uleund dem Sch ul un terrich t . Hier in d er Neuen We lt ist d ie Sch ulej a noch mehr a ls in Deutsch land unter dem dauernden E influß des öffentl i chen Gewissens und der öffen tl i chen Mein ung ;schnel l fo lgt s ie j edem Druck veränderter Anschau ungen ; imletzten Grunde s in d es d ie Väter und Mütter, welche verantwortl ich s ind für Rech t und Unrech t in der Sch ule i hrer Kinder.Gerade des halb aber darf kein Tei l der Bevo lkerung zurückste hen ,wenn es gi l t

,S chulforderungen zu vertreten und S chulüber

zeugungen durchzusetzen . Und immer wieder müssen gerade d ieDeutschen daran er in nert werden

,daß w ir n ich t in einem ange l

sächsischen Lande leben,das dem Deutschen als Fremd l ing nur

Gastrecht e inräumen kann, sondern in e in em La nde , das durch d ie

geme insame Kul turarbe i t der Engländer und Deutschen und vie lerandrer entstanden ist und daher al len gemeinsam Berech tigungund Pfl ich t aufer legt, die e igensten Anschauungen zur prakt ischen Gel tung zu bringen . Der Deutsch e so l l sein e Kindern ich t e infach in die Sch ul e sch icken

,die er zufäl l ig vo rfindet,

sondern sol l sorgen , daß d ie Sch ule se in es Wohnorts , gle ichvie lob er selber K in der h insch ickt o der n ich t

,zum vo l lsten Aus

druck seiner deutschen Ideale wird . Erst dann bewährt er s ichals wahrer Amerikaner, wenn er se in Eigenstes zum K ulturaufba ubeiträgt .

Alles das hat der Deutsch-Amer ikaner ja scho n o ft gehort,

aber gerade der Sch ule gegenüber gibt er der Fo rde rung leich t

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88 D ie amerikanis che S chule

Marschal ls tab im Schu ltorn ister tragt . Nein , n iemand , der dasWesen und die Aufgabe Amer ikas erfaß t hat, wird wünschen ,daß deutscher Klassenge ist in unsere Sch u len e inzieh t . Derdeutsche Geist

,den wir verm issen , z ie l t in gan z andrer Rich tung.

Was ist uns,die wir in Deutsch land auf der Schu lbank ge

sessen, denn eigen tl i ch als wich t igster Gewinn unserer Schulzei t zurückgebl ieben ? Sicherl ich , wir haben e ine Masse in teressanter und nützl icher D inge gelern t . Aber der Lernstoff wardo ch n ich t das Wesentl ich e . Wir kennen die Wahrhei t desalten Worts , daß B i l dung gerade in dem besteh t, was übrigb leibt

,wenn wir al les vergessen habe n , was w ir gelern t .

Daßunsere Kinder in der amerikan ischen Sch ule v ie l l eich t noch mehrvom bunten Al lerlei der We l t zu hören bekommen , als uns besch ieden war , erfü l l t uns somit an s i ch weder m it Furch t nochm it Bewunderung ; s i e werden das uns Ungewohn te auch m itdem übrigen vergessen . Was aber uns geb l ieben ist und unsernK indern dereinst b leiben so l l , das ist n ich t der Lernballast derLehrbücher, das ist der Geist, in dem wir uns gewöhnten , anunsere tägl ich e Arbeit heranzutreten . Und dieser Ge ist war dadrüben ein köst l icher. Gleichvie l ob wir vom al ten Schu lmeisterin der kleinen Do rfschu le lern ten o der im großstädtischen Gymnas ium bis zur Schwel le der Un ivers ität vo rschritten , in der Seeleunserer Lehrer war der G laube an den Selbstwert des Wahrenund Guten und Schönen lebend ig und in uns Schü lern lebte dasBewußtsein e iner Pfl ich t, vor der wir 'uns be ugten . Wir wäh ltenuns n icht d ieses und j enes zum Lernen aus , das uns geradeVergnügen machte oder das uns für unsere besondere Wünschegerade brauchbar und n ützl ich sch ien ; das beste , was wir lern ten ,war ja, unsere geist ige Laune und unseren sprunghaften Wi l lenin strenge Zuch t zu bringen und unterzuo rdnen dem ,

was unsum s eines Selbs twertes w i l len geboten wurde . Es war der Geistder Pfl ich t, der er lern t werden mußte , gegenüber der angebornenNeigung ; es war die Kraft des s i ttl i chen Wi l lens, der auch dasErmüdende fes thä l t, gegenübe r dem naturlichen Temperament,das nur dem Reizvo l len s ich hingibt ; ‚

es war der mo ral ischeG laube an ‘d ie Aufgabe, d ie das Leben uns stel l t, gegenübe r derN ützlichkeitsberechnung, d ie n ur dem Vo rte i l n achge ht . Ja, in

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und der deutsche Geis t . 89

der deu ts chen Sch u le lern ten wir al le, die D inge um i hrer se l bs twi l len zu tun , un d mögen d ie Dinge se lbs t gleichgültig undfür uns n utzlos gebl i eben sein : daß wir l ern ten s ie gewissenhaft zu t un , a uch wenn ‚ s ie uns schwer und quälen d waren ,das ist es , was uns a ls unverl ierbares G ut aus dem Klassenzimmer geb l i eben ist . Der Geist, der s ich in der deu tschenSch u l e bekundet, is t der Geist des Pfl ichtbewußtse ins und desG laubens an den rein en Wert der idealen Güter.

Und diesen Geist wo l len wir in d ie amerikanisch e S ch u letragen . Das ist n ich t etwa ein Sondergelüste des De uts ch tums,gerade die deuts che Auffassung der Schu laufgabe dem Gemeinwes en aufzu zwingen . Nein ,

.

d ies e de utsche Auffass ung ist d iee in zige wahre Auffassung

,is t d ie e in zige Auffassung, in welcher

der Sinn des S chu leinflusses zu tiefster B edeutung kommt, undj ed e andre Pädagogik hebt s ich im le tzten Grunde se lbe rauf. Den deutschen Geist in d ie amerikan isch e Sch ule e inführen , heiß t n ich t D eutschenpo litik tre i ben , sondern heiß t, derSchu le wiedergeben , was s ie i hrem tiefs ten Sinn nach enthal tenmuß, wenn s ie s ich n ich t sel bst zugrunde rich ten wi l l . In e inerSch u l e mag tausenderle i ge lehrt werden ; wird e ines do rt n ich tgel ehrt, das e in e : se in e Pfl ich t zu tun so versäumt sie daseinzige , das uner l äß l ich ist, un d dieses h ingebende Pf l ich tgefüh lfür geist ige Aufgaben kann n iemals lebend ig se in , wenn es n ich tvom Glauben an den h ei l igen S inn der idealen Güter getragenwird .

Was aber sehen wir um uns ? Mögen die Sch ul häuser s ichno ch so präch tig erheben und mit al len Künsten verwöhn testenUnterri ch ts ausgestattet se in , es ist der Geist der Laune undder Se lbs therrl i chkei t, der dort das le tzte Wo rt spri ch t . Vom

Kindergarten kr i ech t d ie Methode aufwärts , von der Un iversitätkr iech t s ie abwär ts

,

und sch l ieß l ich ist das ganze Zwischengebietvon der Nachgiebigkei t gegen Zufa llsne igung und von der wi l lkürlichen Anpassung an persön l ich e Wünsche beherrsch t . D asKind der Kinderstube mag noch sein er sp iel erischen Neigungfo lgen

, dam it der S pieltr-ieb ne ue Interessen we ckt . Und der Jüngl i

'

ng,der d ie Un ivers ität bezieh t oder an den Beruf heran tritt,

muß aus s e inen eigensten Lebenszie len heraus fre i bestimmen ,

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90 D ie am erikani sche Schul e

welche Fachstud ien er zu wah len hat . Dazwischen abe r , zw isch enK indersp iel und M anne‘sarbeit, l iegt d ie breite Zo ne des Sch uleinflusses

,in der n icht das Persön l i che , sondern das Gemein

same,das Überpersön l iche der Kultur uns durchdr ingen so l l ,

um die sch lechth in gültige Grund lage zu schaffen . Da darfes n ich t sp iel er is che Ne igung und n ich t n ützl i ch e Sonderauswahlgeben . Unsere K inder aber lernen zwar vie ler le i Wichtiges unddies es und j enes auch gr ündl ich , aber im G runde wäh len s ie esselber aus

,was si e zu tre iben geruhen wo l len ; ist Griech isch

langwe i l ig, so wird Griech isch gestrichen , i st klassisch e Gesch ich ten ich t in teressan t, so genügt engl ische Gesch ich te, un d wennman s ich aus Geogr aph ie n ich ts mach t, so is t Botan ik vie ll eich t für ein Jahr ganz amusan t wahrl i ch n ich t m ehr fern istder Tag

,da d ie l ieben Kle inen gnadigst entscheiden werden , ob

s ie das Alp habet o der l ieber das Einmaleins für n etter oderfür nützl icher hal ten .

Täusch en wir'

uns doch dar über n ich t, daß diese mangelndeSchu l ung in geistiger Zuch t sich in al l en Gebieten des Lebensaufs gefährl ichste gel tend macht . Wer in den Jahren der Sch ul zei t,im Ze i traum der en tscheidenden Entwickl ung

,stets n ur gewöhn t

ward, auf der Bahn des geringsten Widers tandes vorwärtszu

schre iten , der wird sein Leben lang außerstande b le iben , sein eAufmerksamkeit gespannt zu hal ten

,und das Ergebn is ist e ine

weich l iche Kraftlosigkeit, eine zerfahrene Oberf läch l ichke it undUngenau igkeit, fl üch tige Bekanntschaft m it tausen d D ingen undn irgends w irkl ich e Meisterschaft . Vor al lem , wo die schar fege ist ige Zuch t feh l t, bleib t al l es ein Sp ielbal l der niedren Instinkte . Es feh l t d i e Hemmung

,um die selbst ischen Impulse

im Zaum zu hal ten . Da müssen dann d ie Sensationsb lätterwuchern m it ihren Lo ckm itteln für die n ie drigsten Triebe

,

während die ernsten Ze itungen,die s ich an besonnene Denkart

wenden , immer mehr zurückgedrängt werden . Da müssen aufder Th eaterbü

hne wie auf der Lebensbühne Vaudevi l le undOperette herrschen , da müssen äuße rl i che bunte Erfo lge un dlärmende ‚Wirkungen den Sieg davo ntragen über Reife “und Ruheund wahres Können . Leidenschaften müssen dann die Massebewegen , Mitte lmäß igkeiten werden bej ube l t, un d unkr it isch läuft

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92 D ie am erikanis che Schule

merksamkeit, die Vo rstel l ungen , die Gefuhle, den Wi l len , dieTri ebe

,kurz al l es was in Erzieh ung und Un terrich t eingeht,

mit al len H i lfsm itteln der mo dernen Wissenschaft zu erforschen .

Statt auf dem Fl ugsand von Zufa llsmeinungen so l l te so derSchu lbau auf dem Fenr und ges icherter Tatsachen errich tetwerden . D ie ungewohn lich re iche Entwickl ung der Psycho logiein Amerika kam dem entgegen ; s ie wurde d ie Modewissenschaftder Lehrerkreise . Man wußte n un , weshalb die al te Erzieh ung

so unbefr iedigend war ; man hatte die geistigen Kräfte falsch inRechnung gestel l t, hatte d ie j unge Seele ungesch ickt über l as te to der verstümmelt, kurz, hatte be i bestem Wo l len s ich n ich t um d ieNaturgesetze und psych ische Organ isation gekümmert . Je tzt gal tes end l ich

,die Tatsachen zu respektieren , und wie ke in Ingen ieur

seine Brücke bau t, o hne“

d ie physika l ischen Gese tze zu lernen ,so dar f in Zukunft kein Lehrer j unge S eelen mode ln , o hnedaß er die Gesetze des geistigen Lebe ns stud iert und verwendet.

Nich t plotzlichwurde da i rgend ein einschne idendes Dekreterlas sen ; langsam , gan z langsam gewann die neue Anschauungd ie H errschaft über d ie Geiste r, und heute hat s ie unbestr-itteneMacht : das ganze Unterrichtswes en des Landes stützt s ich aufd ie wissenschaft l ich e Kenn tn is der seel ischen und körperl ichenKräfte und E igenschaften des j ungen Ind ivid uums . E in schwererFeh ler der vergangnen Tage ist dadurch s icherl ich be sei tigt,aber dürfen wir uns dar über tauschen , daß e in vie l verhängn isvo l lerer Feh ler gerade dadurch w ieder e ingeführt wurde ? Früherhatte man Ziel e im Auge, aber man kümmerte s ich . n ich t gen ugum die Wege, dorth in zu gelangen ; man vernach lässigte dieTatsachen , m i t deren H ilfe das Zie l erre icht werden so l l te . Heuteaber gehört das gesam te In teresse den Tatsachen , und man gibts ich der Täusch ung h in , als könnte aus den Tatsachen al leinnun auch ein Ziel gewo nnen werden . Man analysi ert d ie J ugend ,man beobachtet Körper und Seele

,man studiert al le Ursachen

und Wirkungen und man wähnt törich terweise,daß bereits aus

so l ch er Kenntn is heraus die Aufgabe des Un terrich ts und derErzieh ung bestimmt werden könnte . Früher hatte man Ziele,aber prüfte n ich t genügend die Wege

, so daß man zu häufign icht rech t wei ter kam"

; j etzt aber kenn t man aufs schönste

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und der deutsche Geis t. 93

al l e d i e Wege, die zur Verfügung stehn, und bi ldet s ich e in ,daß n ichts wei ter nötig sei , s tatt zunächst das Z ie l aufs sorgsamste zu erkunden und auszuwahlen . Nie kann d ie Kenn tn isder Straßen uns vo rschreiben

,woh in wir gehen so l len , wenn

es auch richtig ist, daß wir d ie Straßen gut kennen müssen ,um uns zu unserem Z ie l z urechtzufinden . Unterri ch t, Erzieh ung,Sch u le müss en zunächst d ie Aufgabe kennen , die zu lösen ist,und dann die Mitte l prüfen , d ie der Lösung dienen ; das ein eo hne das andr e muß no twe ndig Verwirr ung schaffen . Unsreheutige Sch u le hat, im höheren S inne, keine freigewäh l ten Aufgaben ; s ie geh t Zufa llszie len nach , e infach , wei l s ie s ich led igl ichauf d ie Tatsachen verläß t “un d Tatsachen n iemals aus s ich herauszu bestimmten Aufgaben h inführen können : auch d ie genauesteKenntn is des Klaviers und se iner S challgesetze und die s ichersteVirtuosentechn ik kann uns n ich t he lfen

,wenn es zu en tsche iden

gi l t, o b wir j etzt ein e S onate zum Tönen bringen o der e in enläpp isch en Tan z aufsp ie l en so l len .

Wir müssen da ein wen ig in die Tiefe bo hren . Wir mus

sen einsehn, daß al les das im tiefsten Wesen mensch l icher Erkenn tn is begründet ist . Und do ch so l l te da keine Schwier igke i tvo rl iegen , denn wir haben n u r e ines klar zu verstehn : es kannkein e Zielsetzung in der Wel t o hn e ein e Bewertung geben undes kann kein e Erkenntn is von wissensc

'

haftl i chen Tatsa ch en geben,

o hne daß j ede Bewertung für s ie a usgesch lo ssen wird ; Tatsachenerkenntn is kann daher n iemals zu Z ie lsetzungen fuh ren .

Gleichvie l welcher Art unser Z ie l auch sein mag, es ist dochstets e in Endpunkt

,den wir vor andren bevo rzugen wir wäh len

es , we i l es uns als wertvo l l gi l t ; wir arbe i ten auf sein e Verwirklichung, wei l es unser Verlangen befriedigt . Wer aber j eden Hauch der Wissenschaft gespürt hat, gleichvie l ob es s ichum Math ematik o der Mechan ik

,urn Psys ik o der Chem ie, um

Physio logie o der Psycho logie o der Sozio logie handel te , der weiß ,daß e in es al l ein en tscheidend war : Al les Wünschen und Verlangen

,al les Vo rzi ehen o der Mißach ten , kurz a l l es Bewerten

hatte zu verstummen und nur der wunsch lose Respekt vor denunerb ittl ichen Tatsach en b l ieb in Geltung. Für den Physikerist kein e Naturerschein ung schön o der häß l ich . Für den Psycho

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94 D ie am erikanische Schule

logen ist ke ine Willenshandl ung gut o de r bose . Der Gar tnermag das Unkraut ausro den und d ie bun ten B lumen l ieben ;für den wissenschaftl ich en Bo tan iker s ind B lumen und Unkrautgenau gle ichmäß ig w ichtig. Was in der We l t des Raumes undin der Welt des Bewußtse ins vor s ich geh t, ist so für d ie Betrachtung des Wissenschaftlers n ichts a ls e in Vo rgang, der se ineUrsachen und sein e Wirkungen be s i tzt, und d iese Wi rkungenselbst s ind auch wieder n ich t gut und n ich t schön und n ich twertvo l l , sondern sch lech th in n ichts als eben tatsäch l ich vor

handen . Der wissenschaftl iche Beobach ter'

kann aus d ieserküh len Welt der ursäch l ichen Zusamm en hänge n iemals heraus,kann n iemals wä rmende Werte hineinstrahlen lassen , n iema lsdas eine beleuchten

,das andere beschatten

,das e ine vo rziehen

und erstreben , das andre hassen und zurückwe isen , wenn ern icht den Standpunkt der Wissenschaft grundsätzl ich o der fahrläss ig preisgeben wi l l .

Ist das etwa Zufa l l ? Im Gegente i l , das ist im tiefstenGrunde der Erkenntn is verankert ; wir mussen n ur rech t verstehen

,was es be deu tet

,d ie Wel t im Sinne der Wissenschaft

zu erkennen . Der große Haufe ste l l t s i ch das j a me isth in so

vo r, als ginge d ie Wissenschaft darauf aus, uns ein mögl ichst

getreues und genaues Abb i l d der erlebten Wirkl ichke i t herzustel l en . Wer

-

ernster über den Sinn der Erkenn tn is nachdenkt, weiß , daß so l ch e Photographenro lle der Erkenn tn is überfl üss ig und geradezu s inn lo s wäre . Die

_Wirkl ichkeit, d ie wir

er l eben , wird von uns unmitte lbar e rfaß t ; n i chts können wir

besser kennen als unsere unm i tte lbare Erfahrung und auf keineandre Welt a ls gerade d iese We l t der Erfahrung w i l l s ich al leErkenntn is beziehen . I hre Aufgabe kann also n ich t e infach darinl iegen , uns noch e inmal zu geben

,was wir s cho n bes i tzen ; i hre

e inzige Aufgabe ist vie lmehr,das Er l ebte in bestimmter zweck

mäß iger We ise umzuarbe i ten . Erkennen heiß t somit n ich t, dieerlebte Wirkl ichkeit abbi l den

, sondern s ie ummode ln und umgestal ten , bis die Bearbe itung gewissen Zwecken genügt .

Wenn wir das Er l ebn is m it unseren Sätzen und Wo rten,

mit unseren Urte i len und Begr iffen in der Wissenschaft umspannen , so kommen wir dam it also der erfahrenen Wirkl ich

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96 D ie am erikanische Schule

wahre Naturwissenschaft kenn t n ur Versch ieb ungen,Ver

änderungen,Übe rgänge, aber daß etwa das D ifferenzierte besser

sei als das Einfach e,kann si e n ich t en tscheiden ; s ie übe rschreite t

daher scho n i hr Gebiet, wenn sie e inen Übergang als Fortschr i tt,e inen anderen als Rückschr i tt h inste l l t . Und das gil t für d ieseel isch e Natur so gut w ie für die körperl iche . Für die Wissenschaft verändern s ich di e Empfindungen und Vo rstel l ungen , aberein Bewußtseins inhalt kann n ich t besser und n ich t sch lechterse in als e in andrer ; s ie zu besch reibe n un d zu erklären , ist a l les ,was der kau sa len Wi ssenschaft zukommt : s ie zu wurdigen und

zu bewerten,ist i hr n ich t erlaubt .

Das heiß t dann aber auch schon,daß aus der phys io logischen

und psycho logischen Erkenntn is,aus den Tatsachen des Körpers

und der Seele,s ich n iemals ablei ten läß t, welche Veränderungen

des K indes,des Knaben

,des J üngl ings besser und welche

sch lechter s ind . D i e Wiss enschaft kann ze igen , daß d ieseund j en e E influsse d iese und jene Wi rkung habe n , abe r daßd iese Wirkung segensrei ch und j en e Wirkung schäd l ich se i

,kurz

welches d ie Z iele der pädagogisch en Beeinfl ussung se in so l len ,kann kein e Phys io log ie o der Psycho log ie o der Sozio logie aus

s ich heraus begründen . H i lflos un d hal tlo s m uß die b loße Tatsachenwissenschaft a l l e Zielsetzung dem Zufal l über lassen . J edesbel ieb ige Beisp ie l kann es verdeutl ich en .

So ist es ja gewiß für den Unterri ch t wich tig, d ie Tatsach en der Nachahmung zu studieren ; d ie ä l tere Pädagogikwußte v ie l zu wen ig von den psych ischen und phys ischen Gesetzen der Nachahmung. Das haben wir gründl ich h eute e ingeho l t, aber g ibt das al l e in uns auch n ur den geringsten A nhal t, wem nachzuahmen der Mühe wert is t ? Welches Vo rb i ldso l l das K ind zur Nachahm ung erhal ten ? Der psych ischeApparat führt ebensowohl dazu

,den Fleiß igen wie den Faulen

,

den Helden wie den Verbrecher nachzuahmen . Oder nochw ichtiger mögen im Sch u lbetrieb die Tatsachen des Gedächtn isses se in . D ie Schu lj uge nd so l l lernen , un d genaueste Kenntn isder psych ischen —Gesetze muß somit die Lernaufgabe dem j ungenKönnen im vo raus anpassen , und doch wie verkeh rt, zu glauben ,daß s ich daraus able iten l i eße

,was die J ugend lernen so l le .

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und der deutsche Geis t 97

Is t es besser vie l zu l ernen o der besser s ich auf wen iges zu

konzen trieren,is t es besse r grundsätzli ch e in Gedächtnis

zu en twi ckeln , das s ich al l es mechanisch e inprägt o der e ines

,das

nur d ie inneren Bezieh ungen fes thäl t,ein es

,das sp ie lend auf

n immt und schnel l vergiß t o der ein es , das mühsam ar beitetaber treu bleibt

,ist es besser Worte zu lernen o der s inn l i ch e

Anschau ungen , besser Mathematik zu lernen o der Naturwissenschaften ? So steh en wir m itten in praktischen Sch u lprobl emen , di e bei uns fo rtwahrend aus wissenschaftl i ch enGrundsätzen en tsch ieden werden , so daß das ganze Unterrich tsleben beeinfl uß t wird , und do ch be ru h t e s a l le s auf I l l usio nes s in d Wer t urte i l e, be 1 denen d ie Tatsachen n ich t das ger ingsteausmachen können . D ie Gesetze der Schreibmasch in e könnenm ir n iemals bei der Frage he lfen , was ich auf meiner Masch ineschreiben so l l, an wen un d worüber.

Viel le ich t h at d ie Konfus ion zwischen Tatsachen und Wertenam fürch terl ichsten im Pro b lemkreis der „Aufmerksamkei t“ gewirts chaftet . Kein e psychophysiologische Frage ist eingehendervon unsern S chulreformgeistern durchstudiert. Wir wissen j etztganz genau

,wie d ie Aufmerksamkei t der J ugend am lei ch testen

festgehal ten werden kann un d was das Interesse des Kindesweckt . Und nun kommt unser pädagogisch er Tausendkünstlerund mit der Schnel l igkeit des Tasch ensp ielers führt er d ie Verwand lung au .s Psycho logie zeigt uns, so sagt er

,daß d ie

in teressan ten Gegenstände d ie Aufmerksamkeit am le ich testenfesthalten

,Aufmerksamkeit is t für d ie Arbei t des Sch ülers not

wendig ; also ,s o s ch l ieß t er mit tri umph ierender Sicherheit, müs

sen wir in die S chu le n ur so l che Gegenstände e inführen , die sichan das natürl ich e In teresse des Sch ülers wenden . Hundert ho chk l ingende Argumente versuchen den Trick zu beschön igen , undso hat er denn im Erziehungs leben der j üngs ten Zeit , se it d ieP sycho logie in der Pädagogik das .Wort führt, nach al len Rich

tungen fortgewirkt . Um Kinder,die j ungen und die erwachsenen ,

bequem in Ruhe zu halte n , is t ja in der Tat n ichts e infacher ,als s i e m it D ingen zu bes chäftigen

,die i hnen von vorn h ere in

anziehend und in teressan t s ind da hört der Säugl ing zu

schreien auf und di e so zial e Unrast der großen Masse wird

M ü n s t e r b o r g ,A u s Deutsch—A m er ika.

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98 D ie am erikani sche Schule

e inges ch läfert . Aber wer kann daraus wirkl i ch en tnehmen , daßder erziehende Unterr ich t das Anziehende bevorzugen und dasUn interessante ausschal ten so l l ? Die S inne kitze ln , d ie Phantas ieanre izen

,den Verstand aufregen , is t l e i ch te Methode , aber ist

s ie wert vo l l ? Gew iß ist es mögl ich , e inen zehnjähr igen Sch u lkurs o der sch l ieß l ich e inen s iebzigjäh r igen Lebenskurs so einzurichten

,daß al les dem natürl ichen Verlangen und Begeh ren

entspr i ch t und al les anregend und reizvo l l ist und n iemals e in eernste A ufmerksamkeitsanstrengung und e in e Willensbemühungnöt ig wird : aber ist das w i rkl ich das Ideal, für das wir kämpfen ?Is t es n ich t viel leich t gerade die wich tigste Aufgabe der Erzie h ung,j ene Kraft zu en twickeln

,welch e Ver lockungen widersteh t und

das nur Reizvo l le und persön l ich Anzieh ende s ieghaft uberw indet ? Wah r l ich n ich t Psycho logie hat das Rec h t, s ich e inzumischen , wenn es um d ie Lebensfrage geht, ob es wertvol lerse i

,der natür l i ch en Aufmerksamkei t zu fo lgen o der statt dessen

d ie A ufmerksamkeit künstl i ch auf Ziele hinzulenken,die

.

uns

zunächst n icht schmeicheln und n icht lo cken wo l l en . Die Wissenschaft so l l s ich bescheiden

,uns zu sagen

,was i st un d was

se in wird ;_

das beste ist schon preisgegeben,wenn i hrer Ohn

macht er laubt wird , uns vo rzuschre iben , was sem sol l und wasuns so e in würdi ges Zie l ist .

Verwundern dürfen wir uns ja n ich t, daß in Zei ten destechn ischen Aufschwungs un d der naturwissenschaftl i ch en undpsycho logischen Wissenschaftstriumphe die Überschätzung desbloß Tatsäch l ichen so kräftig eingesetzt hat und zu ein er Ü berSpann ung der wissenschaft l ich en Mögl ichkeiten geführt hat . Al leanderen Faktoren der Wel tanschau ung wurden zurückgedrängtund mißachtet ; selbstherr l ich wo l l te d i e D ingerkenntnis ause igenstem heraus die Aufgabe n und Zie l e fes tsetzen . A uf di esemund j enem Einzelgebiet, besonders der Naturwissenschaften , lagau ch ke in Schade vor , wei l d ie Bewertung so a l lgemein un dübere instimmen d ist, daß der Fo rscher das Z iel einfach als se lbstverständl ich vo raussetzte, wenn er s i ch auch irrtüm l ich einb i l dete, daß sein e Tatsachen selbst das Zie l vorsch ri eben . Wennbe isp ielsweise

.

die Physio logen und Patho-logen und Pharmako l-ogen aus ihrer Tatsachenkenntnis die ,

prakt isch e Medizinschaffen , so führeri s ie j a a l lerd ings ebenfal ls e in e Bewertung ein .

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1 00 D ie am erikani sche Schul e

verstehen s ie im Grunde mögl i chst vie l Behagen und Gen uß .

Und al les das gesch ieh t ganz'

übe rlegungs los , als wenn es gerade

so selbs tverstä ndl i ch wäre wie d ie Z ie lsetzung des Arztes , derGesundhe i t anstr ebt . So wird es denn den Kindern mögl ichstl eich t gemacht

,das weitere Stud i um wird mögl ichst an ziehend

und interessan t gestal tet und a l ler Unterrich t ist darauf gerich tet

,den e inzelnen geistig m it al l em zu verprovian tieren , was

ihm auf dem unvermeidl i chen Marsch d urchs Leben am bestenschmecken und am bes ten bekommen wird . Es ist praktisch eE rfolgspädagogik, d ie frei l i ch , da es i hr an al len wirkl i chen Prinzipien der Bewertung feh l t, meist n ich t e inmal ko nseq uen t ist,sondern al ler l e i Überbleibse l einer anders denkenden Zei t dochno ch m i t s ich sch l epp t .

Bedeutet al les das etwa, daß d ie Pä dagogik wieder zurückgeschraubt werden so l l te zu dem v-orpsycho logischen S tad i umund unsere Kenn tn isse der Tatsachen wieder ausgeschal tet werdenmüssen ? S icher l ich n ich t. Im Gegentei l, wir müssen d ie physisch en und psych ischen Tatsach en aufs genaueste kennen , wennwir s i e ben u tzen wo l len , um die Unterri ch tszie l e z u errei ch en ,aber d ies e Z ie l e se lbs t müssen aus e ignen s i ch eren Prinzip ienselbständ ig gewo nn en werden . Das ist es, was uns not tut :w ir müssen wieder den Mut haben , aus der Ganzhei t der Lebensanschau ung Bewertungen zu vo llziehn und für o der gegen letzteZiele zu en tsche iden

, o hn e daß d ie Wissenschaft der phys ischenund psych ischen In hal t-e h ine inzureden hätte . Und diesen Mutkönnen wir mit gutem logisch en Gewissen bekunden , denn j etzterkennen w ir j a le i ch t, daß d ie Wissenschaft vom Physischenund Psy ch ischen durchaus n ich t d ie Gesamtheit unserer Erkenn tn is ausmacht. Wir sahen ja , daß d ie kausale Wissenschaft, weitentfern t, d ie gesamte W irkl ichkeit des Er lebn isses zu suchen ,s ich im Gegen tei l grundsätzl i ch vom Erlebn is en tfern t

,um für

gewisse Zwecke kunstliche Abstraktionen an die Ste l le der Erfahrung zu setzen . In der Wirkl ichkei t waren d ie D inge stetsder wo l lenden Persön l ichkeit gegeben ; d ie K ausa lwissenschaftenabs trah ierten von d ieser Beziehung zum persön l ichen Wo l lenund betrach teten d ie D inge, als wenn sie n ur zueinander inBezieh ung stünden . Die wirkl i ch e Persön l ichke i t im ganzenReichtum ihres Wil lens und i hrer Stel l ungn ahme zur Welt steh t

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und der deutsche Geis t. 1 0 1

somit notwendig auß erhalb der p hysischen und psych ischenSysteme . Natürl ich spri ch t j a auch d i e Psycho logi e in ihrerA rt von der Person und dem Wo l len , aber das is t dann garn ich t d ie wirkl ich e Persön l ichkei t des reinen Erlebn isses . Diekann von den Begriffsn etzen der kausal en Inha ltspsycho logie

n iemals e ingefangen werden . Was d ie Psycho logie Wil le und

Persön l ichkeit n en n t, ist se l bs t nur so l ch e in Bewußtse insinhalt,gewissermaßen e in Surrogat des wahren Wo l lens , das dann en tsteh t

,wenn wir uns s elbst wie ein D ing betrach ten . In Wahr

hei t erl eben wir unseren Wil len n ich t a ls etwas Wahrnehm

bares ; im reinen Erlebn is erfassen w ir unsern Wi l len n ich t alsIn halt, son dern als En tsch eidung, als Ste l l ungnahme, als Tat.So l l unsere Weltanschauung aufs Ganze abz iel en , so verlangts ie somit s i cherl i ch

,daß wir n icht nur di e Systeme physischer

und psych ischer D inge beachten , sondern vor al lem auch Erkenn tn is der wo l l en den Persön l ichke iten su chen , die zu denD ingen S tellung nehmen .

So muß es denn also gan z andre G ruppen von Wissenschaften geben

,d ie es l ed igl i ch m i tWollungen,

mit Zie lsetzungen,

mit Bewertungen zu tun haben . Das s ind n i ch t In hal te derWel t und i h r Zusammenhang kommt n ich t als ursäch l icher i nFrage ; zwecksächlich ist ihr Zusammenhang ; da g ibt es n ich tszu erklären,

sondern nur“ zu verstehen in se inem Sinne und

zu begre ifen in se in er inneren Verb in dung. Es s ind d ie human istischen Wissenschaften , deren Gehege somit gan z außerhalbder naturwissenschaftl ich en Wissenschaft vom Phys ischen un dPsych ischen l iegt .

A us d iesen Wissenschaften , die vom Sinn und der innerenVerbin d ung des persön l ichen Wo l lens hande ln , kann al l ein eineBest immung der Werte und Ziele hervorgehen . Was denkausalen D iszip l in en versagt ist

,kommt so den human istischen

D iszip l in en als e ine der wichtigsten Aufgaben zu .

‘ Auchd iese Gruppe wird sich le icht in zwei Tei le spalten . S o w ied ie psych ischen Inhal te s ich von den physischen trennen , wei ld ie psych ischen

,d ie Vorste l l ungen . n ur einer Person zugehören ,

d ie p hysischen aber j eder Person geme insam zugä ngl ich s ind ,so trennen s ich in der Welt der Wol lungen nun ebenfal ls d ieWollungen , d ie der e inzeln en Persön l ichkeit als sol ch er e igen

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1 0 2 D ie am erikanische Schule

s ind,von denen , d ie a l len

'

Person lichke iten gemeinsam zugehören .

Von den E inzelwo llungen handeln d ie h istorischen Wissenschaften

, von dem geme insamen , für j eden gül tigen Wo l lenhandeln d ieWertwissenschaften , d ie Logik, die Ästhetik, d ie Ethik .

Es ist d ie Eth ik, d ie uns h ier in teress iert . Sie u n tersuch t das al lengeme insame Wo l l en zur Handl ung al len geme insam , n ich twe i l s ie zufäl l ig al le ubereinstimmen , sondern wei l wir n iemandenwahrhaft als Persön l ichkeit anerkennen

,der n ich t im innersten

das Eth ische wi l l, auch wenn er in sein er Schwäche dem selbstischen Gegen tr iebe nachgibt . Wenn aber d ie Eth ik d ie Werteder mensch l ichen Hand lungen festste l l t

,in dem s ie das gemein

same sch lechth in gü l tige Wo l len prüft, so müssen von ihr auchdie pädagogischen Z iele ermitte l t werden . Die Eth ik al l e in kannuns sagen

,welche Z iele der Jugendgestaltung wertvo l l s ind ; erst

wenn d ie Eth ik ihre Bewertungen gesichert hat,dann haben d ie

kausalen Wissenschaf ten,wie etwa d ie Psycho logi e

,e inzusetzen

,

um zu zeigen,mit welchen Mitteln das Zie l erreicht werden

kann . Nicht eher können d ie U nterrichtszustände gesunden ,als b is d ie Ethik und n icht d ie Psycho logie zur e igentl ichenGrundlage wird fü r d ie pä dagog ischen Anschauungen desLandes . Erst dann w i rd Sicherheit und Best immthe i t and ie Stel le von Zufallszerfahrenheit und hastigem Schu lexperimentieren treten , erst dann vor al lem wird der Geist derPfl icht den Geist der se lbsti schen N eigungs launen ersetzen .

'

Denn das ist ja klar : setzt erst e inmal eine gew issen haftePrüfung der Wo llungen e in und werden dann , wie wir sahen ,die re in persön li chen Wollungen von den für j ede wahre Persönl ichkeit gül tigen notwendigen Wollungen gesch ieden , so mußdie Eth ik den Padagogen schnel l we i terführen . Stehen b le ibenkann s ie da n icht . Es s ind ja d iese gemeinsamen Wollungen,

durch d ie sich unsere gemeinsame Kultu r aufbau t ; durch s iebejahen wir das Wahre, das Schöne, das S i ttl iche, das Rechtl iche, das He i l ige ; durch s ie erhebt s ich aus dem Zufallsgewirr

der s ich kreuzenden Wo llungen das ewige Geisteswerk, an demdie Menschheit arbeitet. Und ist Unterrich t und Erziehung von

der Gesel lschaft dazu eingesetzt,damit d ie J ugend für ihre

Lebensarbeit vorbereitet w ird, so kann n un vom Standpunkt derWillenswissenschaften kein Zwe ife l mehr darüber sein , wo d ie

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V I I I .

Sprachhoffnungen inder Neuen Welt. “

ls vor„ Jahresfrist der erste deutsche Austauschpro fessor

aus Amerika heimkehrte, h in ter l ieß er in der NeuenWelt n icht nur d ie Spuren wissenschaftl icher Tätigkei t.

i

Woh l hatte Professor Ostwald an der Harvard-Un ivers ität manchen neuen Verehrer für se in e chem ischen Theor ien gewonnen ;noch viel weiter h inaus aber wirkte se in e rastlose Miss ionsarbe it für d ie Sekte der Esperantisten . Von Stadt zu Stadttrug er m it begeisterndem Wort d ie neue Bewegung . WieVe i l chen auf der Frühlingswiese erblühten über Nacht ringsumd ie Esperanto-Verein e : der Tag der Weltsprache sch ien end li chnahe : Wer aber d ie Stimmung Amer ikas kannte

,der wußte

von vornherein,daß d iese Laune auch ohne vie l Gegen rede

schnel l wieder verfl iegen würde . In der Tat dauerte es n ichtgar lange, und d ie Begeisterung war verstummt .

Daß die E sperantobewegung sich in der Neuen Wel t n ichtdurchsetzen konn te

,hat se inen Hauptgrund darin : der angel

sächsische Inst inkt verlangt,daß es d ie engl ische Sprache se in

so l l, die sich den Weltkreis erobert. Dieser G laube an d ieschließliche E rdumspannung der engl ischen Sprache gehört fürzah lre iche Bürger der Neuen Welt en tsch ieden zum amerikan ischen Patriotismus . Andere Nationalsp rachen

,meinen s ie

,mögen

zunächst noch in Frieden bestehen,aber andere Wel tsprachen

dürfen n icht gedu ldet werden .

Die Za h l der Engl isch Redenden hat s ich in den letztenhundert Jahren von fünfundzwanzig M i l l ionen auf über hundertunddreißig Mil l ionen vermehrt . Das zeigt den Weg fürd ie Zukunft. D ie Engl isch sprechende Bevö lkeru ng so h ießes kür z l ich in einer amerikan ischen pädagogischen Monatsschrift,

Veröffen tlicht in der „In ternationalen Wochenschri ft 1 90 7.

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S prachh offnungen in der Neuen We l t. 1 0 5

n1mmt i hre Sprache m it, woh in sie auch geh t, und sie geh tüberal l h in . Es kann kaum erwartet

.werden

,daß das Ideal

abso l uter Sprachherrschaft des Engl ischen schon in tausendJahren verwirkl icht se in wird ; aber sobald wir erst e inmal . so l chein Ideal begr iffen h aben, müssen wir den Lauf der D inge so

zu beeinflussen suchen , daß al les seiner Erfü l l ung d ien t.“ „Der

Baz i l l us der Expansion ist . in unserem Blut . Wir sin d daraufaus, die Wel t zu e robern , n ich t m i t dem Schwert, sondern mitdem fr iedl ichsten Werkzeug : m it der Sprache . Keine anderekann ho ffen , mit Engl isc h in Wettbewerb zu treten .

Nichts begünstigt d iese weit verbreiteten Sprachhoffnungenstärker als d ie al te Erfahrung mit den Nachkommen der europäischen Einwanderer. Wo der Amerikaner h inzieh t

,häl t er

se in Engl isch fest ; h ier aber strömen n un jährl ich ein e M i l l ionMenschen ins Land , die kein Wo rt Engl isch verstehn

,wenn sie d ie

Freiheitsstatue im New Yo rker Hafen zum ersten M ale erbl ickenund doch werden schon ihre Kinder das Engl isch der Mutter

sprache vor‘

,ziehen

,und i hre Enkel werden n ur Amer ikan isch“

sprechen . D ie ein en behaupten,daß der Vorsprung du rch d ie

angelsächs is ch e Charakters tärke bed ingt sei ; die andern sch iebenal les der unvergleich l ichen Schmiegsamkeit und Anpassungsfäh igkeit der engl ischen Sprache zu .

A uf d iesem H intergrunde sprach l ich er Wel tpo l itik muß dasn eueste Schaustück neuwel tl i cher Sprachlaune gewü rdigt werdend ie Vo lksbewegung für e ine wundersame Umgestaltung derOrthograph ie . D ie de utschen Zei tungen habe n berich tet , wiebekannte Männer s ich zusammentaten und mit re ichen Mittelnaus Carnegies Tasche d ie Agitation für verbesserte R echtschreibung begannen ; wie Präsiden t —Roosevel t ver l e i tet wu rde, d ieneue Schre ibweise der Regierung aufzuzwingen

, und heute s ichbereits vie le Tausende verpfl ichtet haben , die erste Liste von

dre ihundert „verbesserten“ Wo rten in ihrem Briefwechsel an zu

wenden . Deutsch land aber ward woh l kaum gewahr, wie auchh ier d ie C hiliastenträume . im Vo rdergrund standen . Tatsäch l ichh ieß es bereits im ersten Rundschreiben , mit dem d ie neue„Behörde

“ das ganze La nd übe rfl utete , auf der ersten Se ite :Al le

, .deren Muttersp rach e das Engl ische ist, sin d überzeugt,

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1 0 6 S prachhoffnungen in

daß,wenn nur ungehorige H indern isse beseitigt werden , es d ie

herrschende und international e Sprache der Welt werden wird .

Es ist dazu bestimmt, durch se inen kosmopol itischen Wortschatz

,durch se ine einfache Grammatik, durch seine Bedeutung

für den Wirtschaftsverkehr und für den Fortschr i tt der Ku l tu r.Keine andere Sprache hat d ie gle iche A npassungskraft. Wiral le wissen aber

,daß unser Engl isch auf dem Wege zu d iesem

Z iel durch eins aufgehalten wird : durch d ie verwickelte undregel lose Schreibweise, d ie unsere Sprache zum Rätsel für denFremden h ier im Lande macht und zum Mysterium für denFremden jen se i ts des Ozean s .“ Sprach l icher Imperia l ismus alsoist d ieses Pudels Kern !

Es ist n ich t vie l Prophetengabe nötig, um vorauszusehen ,daß auch d iese Bewegung im Sande ver laufen wird . Sie wi rdn icht ganz so schn el l dah ingehen wie der vi el sch üch ternere Esperantoversuch, und vor al lem wird von der orthograph ischenReform diese und j en e Anregung von dauerndem Werte übr igb leiben . Das Große und Ganze des Planes j edoch w ird zerfa l len . Von al len Gegengründen seien h ier nur zwei erwahnt,d ie s ich unm itte lbar auf d ie We ltherrschafts träume e rs trecken :Zunächst zeigt Englan d begre ifl icherweise n ich t d ie geringsteGeneigtheit, sich von Wash ington aus vorsch reiben zu lassen ,wie gutes Engl isch zu sch reiben se i ! Beginn t aber Amer ika ,

in Schr ift und Druck e ine Orthograph ie durchzufüh ren,d ie

von der Schre ibweise in England , Kanada, Ind ien und Austral ienfo rtwährend abwe icht, so ist d ie We ltsprachenherr lichkeit in no chweitere Ferne gerückt, denn dam it hätte e in e erste Spa l tungder engl ischen Sprachgem einde e ingesetzt, und der versch iedenenSch rift würde bald versch iedene Aussprache fo lgen , bis sch l ießl ich zwei Sprachen an Stel le der e inen stehen .

Wicht iger aber noch ist e in anderes : -E s ist ein psychologischer Irrtum , zu glauben , daß ein e Schre ibweise , die der Aussprache näher kommt, für den Ausländer d ie Sp rache erl e ichtert.Tatsäch l ich ist das Gegentei l der . Fal l . Der Einh eim ische hörtund spr ich t das Wort, länge ehe er es l iest und s chre ibt derAusländer dagegen sieht das Wort

,ehe er es aussp rechen l ern t.

Für ihn besteht d ie Sp rache zunächst aus Gesichtszeichen , und

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1 0 8 S prachhoffnungen in

zelnen lebenden Sp rache so l ches Vorrecht e ingerä umt wurde .Das ist es ja auch gerade, was den E sperantoanhängern wen igstens ein S cheinrecht gibt und manchen Zögernden in ihrenKre is zieht : wenn es e ine e inzige Sprache geben so l l , so kannd ie stre i ten de Ku lturwelt

_ _

von heute sich n ich t auf e ine lebendeSprache e in igen ; ein e künstl iche Sprache hat daher al le in A ussicht auf w irkl ichen Erfo lg . Die Sprache, der ein in ternat ionalesMonopo l zugesprochen wird, müßte über kurz oder lang fürd ie begünstigte Nation ein . solches Übergewicht auf den Wirtschaftsmärkten des Erdkreises s ichern , daß al le andern Völkerihre angeborenen R echte dadurch p reisgeben würden . Po l itikund Wirtschaf t, Techn ik und

'

historischer Sinn unserer Zei tdrängen gemeinsam dah in , d aß d ie führenden Ku ltursprachen ,gle ich den Nationen

,in ein G le ichgewich t treten

,und daß im

Ku lturgefüge jede national e Leistung im eignen Sp rachgewandzum lebhaftesten Ausdruck g elange . Die besonnenere Stimmung g ewinn t denn auch unter den Amerikanern bereits d ieFührung ; von der angelsächs ischen Weltsp rache wird es schonw ieder sti l l . Immer deutl icher wird man s ich bewußt

,daß d ie

Ku l tur e ines Lan des um so höhe r s te h t,je mehr statt n ationalen

Ho chmu ts e in reifes Verständn is für fremde nat ionale Güterdas e igene Leben vertieft . Immer lebhafter empfindet man

,

daß patriotischer Sprachenehrgeiz sich als wahres Zie l n icht e in eZwangsherrschaft über fremde Völker erträumen darf, sondernsich auf e in Würdigeres rich ten so l l . Immer klarer erkenn t man ,daß nur das ein e nat io nale S prachzie l gi lt : die glückl ichenLeistungen der e igenen Ku ltur auf den Schwingen der Sprach eden führenden Völkern nahe zu bringen und so mit dem e igenensmachlichen Ausdruck das Eigenste der Nation zu lebhafterWi rkung zu führen . Wenn aber das der l etzte Sinn der sprachl ichen Kämpfe ble ib t, so hat in der Neuen Wel t h eute viel le ichtke iner so guten und stol zen G rund zu freud iger Hoffn ung wiewir, d ie Deutschen .

Keine Springf l u t hat plotzhch Amerika m it deutschem Sprachtum übe rschwemmt damit wäre auch wen ig gewonnen , da d ieWoge schnel l wieder zerr innen würde . Langsam vie lmehr undsti l l , aber stetig und verheißend ist d ie Antei lnahme der Amerikaner

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der Neuen Wel t. 1 0 9

am deutschen Sprachgut in den letzten Jah ren emporgeschwollen .

Wer aber im deutschen Vater lande den K u ltureinfluß desDeutsch tums rings in der Wel t gesteigert sehen w i l l und dabeiüber den nächsten Tag h inausbl ickt, der wird so l ch e Kundevon j enseits des Ozeans wahrl ich n ich t m ißach ten ; denn in derNeuen Welt festen Fuß fassen bedeutet, s ich den tiefstgreifendenEinfluß auf d ie geist ige Zukunft s ichern .

Es ist ja unschwer vorauszusehen,daß d ie Vere in igten

Staaten in fünfzig Jahren von zweihundert Mi l l ionen bewohntsein werden ; unend l ich wichtiger aber ist was Europa nochkaum vo l lauf erkenn t daß d ie achtzig Mi l l ionen von heutestärker viel le ich t als irgend ein anderes Vo l k von einem leidenschaftl ichen Verlangen nach Unterri ch t und Bi ldung ergriffens ind . Die Schu le ist das ein e Ido l , um das s ich al le sammeln ,Unterrich t ist das e ine Zauberwort, das unbegrenzte Reich tümerhervorlockt : in d iesem ein en Jahre schenkten M äcene mehr a lsvierhundert Mil l ionen M ark für öffen tl iche B i ld ungszwecke ! A ndere Länder mögen in schöpferischer Ge istesku ltur mehr b ishererreich t haben ; kein Wunder ist es, daß d ie Verein igten S taatenzunächst al l e ihre Energie e insetzten und verbrauchten , um dasRiesen land wirtschaftl ich zu ersch l ießen und das gigan tischeExper imen t der po l i tischen Demokratie z um Erfo lg zu erheben .

Nun aber da d ie wirtschaftl ich—po l i tische Grund legung beendet, haben d ie stärksten Energien sich dem inneren Werdenzugewandt, und kein anderes Land , s icherl ich Frankreich und

Englan d n ich t, ist heute von so mä ch tigem Vorwärtstrieb imgeistigen Leben ergriffen .

'

Daß sich aus sol chem kein H indern isachtenden K u lturdrang auf so re ichem Boden ein Ganzes undG roßes en twickeln muß

,läß t s ich vie l s ich erer voraussehen als

j ene künft igen Bevö lkerungszah len der Statistiker . Wer alsoernsthalt deutsche Ko lon ialpo l it ik des Geistes treiben wi l l, demmuß es wi l lkommenste Kunde se in

,zu hören , daß gerade in d ieser

empfängl ichen Werdezeit der amerikan ischen Großku ltu r d iedeutsche Sprache und durch s ie der deutsche Ge ist tägl ichwachsenden Einfl uß gewinnen .

A uf den ersten Bl ick mag d ie Tatsache selbst bestreitbarschein en . J edermann weiß

,daß d ie deutsche Auswanderung

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1 1 0 Sprachho ffnungen in

nach Amer ika wahrend des l etzten Jahrzehn ts in stetiger Abnahmebegr iffen war

.Woh l leben im Lande etwa dre i M i l l ionen , ‚ d ie

in D eutsch land geboren s ind , „und außerdem etwa s ieben M i l l ionen

von deutschen Eltern ; aber während d ie E inwanderung aus

Süd '

und Osteuropa lawinenhaft anschwi l l t, tragen d ie Deutschen

,d ie noch vor n icht langer Ze i t ein D ri tte l der E inwanderer

darstel lten,heute kaum e in Zwanz igstel zu den einströmenden

M i l l ionen bei . S o muß d ie Zah l der deutschen H äuslichkeitenlangsam zurückgehen

, und als Gradmesser können d ie deutschamerikan ischen Ze itungen gelten

,deren Rückgang im Lande

unverkennbar ist .

Aber tauschen wir uns doch daruber n ich t : d ie deutscheUmgangssprache der Ausgewanderten . ist im höchsten Sinn eke ine lebend ige K u lturkraft. Die Achtundvierziger, d ie ihrendeutschen Idea l ismus übers Meer gebracht, w i rkten schöpfer ischdurch ihre deutsche Sprache . In der großen Masse aber, d iespäter e inströmte

,wu rde das Deutschsp rechen nur e in Stück

H eimatsüberbleibsel und n icht ein Hebel zu n euer Tat ; d iee igentl iche Lebensarbeit wurde voh der engl ischen Landessp rachegetragen . Ob in den Biergärten von M i lwaukee oder auf demC incinnatier Gemüsemarkt noch Deutsch g eredet wi rd , ist fürdas We iterwirken des deutschen Ge istes wen ig wich tig, und

se lbst das deutsche Lied der v iel hundert Gesangve r ein e, jain gewissem S inn selbst d ie amer ikan ische Zeitung in deu tscherSprache ist für d ie M asse der Deutschen in der Neuen Weltdoch nur e in Stück rückwartsschauender Erinnerung und. n ich te ine vorwärtstreibende Macht . Der langsame Rückgang d ieserD eutschpflege ist daher sicher n ich t von en tscheidender Bedeutung. Gewiß hätte manches da anders sein können . Waren dieDeutsch-Amerikanertums ist abe r o ft genug ne uerd ings aufgezä h l t,bl ieben , so wären s ie und ih re K inder deshalb n ich t sch lechtereAmer ikaner geworden . Das ku lturel l e Sünden register desDeutsch-Amer ikanertums ist aber oftgenug neuerd ings aufgezä h l t ,und häufig von Anklägern , d ie das Land nur für Wochen besuchten . Da wäre es denn ungerecht

,n ich t auch h inzuzufügen

,

daß d ie Erhaltung der deutschen Sp rach e für d ie K inder derMasse e ine schwere, ja e ine opfervo l le Aufgabe war ; nur in

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1 1 2 S prachhoffnungen in

E ignen zeugte . Daneben ward end l ich w ieder das In teressefür zeitgenössische D ichtung wach ; um Gerhart Hauptmannund seinen Kreis kümmerte man s ich ernsthaft, und schwer läß ts ich überschätzen

,was R ichard Wagner für das Erstarken des

deutschen K u lturgeistes in der Neuen Welt getan . In denB ibl iotheken wurden deutsche Bücher immer begehrter . Unterden Gründen dafür sei n ich t vergessen , daß der dem A us

länder so viel le ich ter lesbare röm ische D ruck für ernste Bücherimmer mehr in Aufnahme kam und den anstrengenden gotischenein wen ig verdrängte . Und viel l eich t noch w icht iger, daßn icht ohne Nietzsches Einfl uß die deu tsche Satzb i ld ung einfacher und dadurch

reiner und schöner wurde ; d ie eingeschachtel ten deutschen Sätze, der Sch recken der Ameri kaner,lösten s ich im besten Sprachgebrauch der l etzten Jahre langsam auf.

Inzwischen kamen d ie amer ikan ischen Studen ten in immergrößeren Scharen von deutschen Hochschu len heim und b rachtenvertieftes Verständn is für deutsches Wo l len in d ie führendenA merikakreise . Es war d ie Zeit, da deutsches Können auf derSt. bou iserWeltauss tel l ung unvergle ich l iche Tr i umphe feierte un ddeutsche Gelehrte und Dichter und Führer des öffen tl ichenLebens immer häufiger als Nehmende und doch auch zugleichals Gebende das Land der Zukunft“ aufsuchten . Das German ische Museum in Harvard wurde ein nationales Schmuckstück ; german istische B ibl iotheken trugen herrl iche Büchereienüber den Ozean ; neue deutsche Schausp ielhäuser wurden eröffnet, und statt der trivialen deutschen "Winkelzeitungen en tstanden wertvo l l e deutsche Zeitschriften . Der Professoren-A ustausch setzte glän zend ein . Zum ersten Male trat s ieghaft ein eernsthafte deutsch e Kunstausste l l ung vor das in französischeKunst verl iebte Vo l k . Der deutsche Nach r ich tend ienst derführenden Blätter ward verdoppel t und verdreifacht

,sei t vor

e in paar Jahren ein deutscher Kabeldraht gelegt wu rde und so

n icht meh r j ede Nach rich t über England zu wandern hat. Undh inter al ledem stand begünstigeri d ein wachsender Glaube anden Wert der deutschen pol i tischen Freundschaft und ein ewachsende Freude an dem unermüdl ichen Ka iser

,dessen Gestal t

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der Neuen Wel t. 1 1 3

al l e B l icke zu fesseln sch ien , wenn d ie Amerikaner über denOzean b l ickten .

Al les das aber wirkte nun ermutigend und begeisternd auf

d ie Deutsch-Amer ikaner zurück, d ie end l ich wi eder ihr Deutschtum als Pf l ich t und Aufgabe empfan den u nd end l ich wieder s ichfür geistige Kultu rwerte zusammenscharten . J eder Monat derletzten Jahre brachte neu e Plän e, neue Gestal tungen des frischenGeistes

,der in der Sch i l l erfe ier des ganzen Landes e inen über

wältigenden Ausdruck fan d . Die Esperantoverwirrung und derTraum von der engl ischen Weltsprach e werden schnel l dah ingehen ; d ie Sprachhoffnungen für das Deutsche aber werdens ich

,wennn icht al les trügt, aufs herrl ichste erfü l len . Die deutsche

Sprache kann und wi l l da n irgends d ie engl ische Landesspracheverdrängen

,aber s ie so l l und kann weit durch d ie Neue Welt

das deutsch e K ulturwollen zu Einf luß und Gel tung br ingen undso stil l m itbauen am Weltreich der deutschen Seele .

M ii n s t e r b e r g A u s Deutsch—A m er ika .

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S chiller und die Deutsch-Amerikaner.

eutsche Frauen und De utsche Manner ! S o weit w ie d iedeuts che Sprach e kl ingt , rausch t d ie S chillerbegeisterungheute durch d ie Lande, und d ie E delwo rte des deutsche

sten D ichters finden unend l ichen Widerhal l . Keines aber hatvon j eher d ie deutsche Seel e so t ief bewegt, ke ines gal t so sehrals des D ichters e igenstes Vermächtn is, wie jenes Wort im Tel lA us Vaterland, ans teu re, sch l ieß d ich an '

Was sagt das Wort dem Deutschen , der in der Neuen Weltsein e neue He imat gefunden ? Ist es e in Vorwurf, der überden Ozean herüberkl ingt, ein e Anklage gegen den Deutschen ,der das Land seiner Väter h in ter sich l ieß

,um auf frischem

Boden sich zu betätigen ? Aber der D ichter selbst hat so l cherDeutung widersprochen . Im selben Jahre

,da er den „Tel l

vo l lendet, schuf er d ie anmut ige „Huldigung der Künste“

,d ie

in dem Gegenworte gipfel t

Schnel l knüpfen sich der Liebe zarte BandeWo man beglückt, ist man im Vaterlande .

Auch h ier spricht Sch i l l er ja durchaus n ich t etwa das sch laffbequeme, unwürd ige Wort nach

,daß wir dort im Vaterlande

s ind , wo es uns gut geht . Nein , n icht wo wir glückl ich s ind ,sondern wo wir beglücken , da empfängt uns wieder d ie H eimatsl iebe . Der Deutsche, der zum inneren Wirken und Wachsen dern euen Welt m it bester Kraft begl ückend beiträgt

,der so mein t

es die Hu ld igung der Künste der hat e in wahres Recht,den

frischen Boden als ein zwe ites Vaterland zu e hren,und ke in Vor

wurf darf s ich an sein e Treue wagen . Und dennoch wird dadu rch

Fes trede, gehal ten vor den Deutschen Clevelands am hunderts ten Todestage Schillers .

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1 1 6 Schi l ler und die

Deutsch sein heißt,den S inn des Daseins in dem Glauben

an unvergängl iche Werte suchen . Deutsch sein he ißt,im tief

sten Gemüt an den ewigen Selbstwert des Wahren und Schonenund Guten glauben . Deutsch sein heiß t, das Leben m it denAugen Fr iedr ich Sch i l l er s sehn . Wenn der deutsche Mannund d ie deutsche Frau in ihrem Herzen d iesem Geist treub le iben

,wenn sie ihn e insenken in d ie Seel e ihrer Kinder und

Kindeskinder,dann halten sie am besten das Land ihrer Väter

in Ehren , gleichviel wie viel e tausen d Mei len von Deutsch lan dfern sie i hre Hütten bauen . Dann werden s ie dem neuenVater lan d deutschen Ge ist e inprägen , werden gerade dadurchwe iterwirken , werden , wie Sch i l l er es wo l l te, d ie n eue Heimatbeglücken und werden m it eigenartigem Wo l l en kraftvo l l dastehen als beste Bürger in der Neuen Welt.

Das Wahre, das Schöne, das Gute wo auf dem Erdenrund ist ein Ku lturvo l k, das n ich t d ie Wissenschaft fö rdernwil l und n icht in Kunst und Dichtung Freude fin det und n ich td ie sittl iche Tat des selbstlosen Mannes preist ? Aber n ich t vonder fertigen .Tat und dem vo l l endeten Werk ist d ie Rede h ier

,

sondern vom Antrieb, der d ie Vo lksseele l eitet . Woh l mag d ieWissenschaft überal l betriebsam bei der Arbei t sein

,aber ist

deshalb auch überal l der Glaube an den ewigen Selbstwertder Wahrheit gefestigt ? Die Kunst mag unser tägl iches Daseinumsäumen , aber beweist das schon unseren tägl ichen G laubenan ihren hei l igen Selbstwert ? Die rechte Tat mag uns überal lbeistehen ; zeugt das schon für den Glauben an den Selbstwertder sittl ichen Kraft ?

Viel le ich t müht s ich d ie Wissenschaft nur, um unseremTagesleben nutzliche D ienste zu leisten . Viel le icht such t dasB i ld und d ie D ichtung, die Tonkunst und die Kunst der Bühneke in höheres Ziel, als den beschäftigten Geist zu zerstreuenund den ermüdeten zu vergn ügen . Viel le ich t ist d ie s i ttl icheTat so wi l lkommen , nur wei l s ie dem Nachbar Freude bringt.Und wer wil l d ie Gemeinschaft tadeln

,wenn s ie so nach Glück,

nach Vergnügen , nach Nutzen hastet, und Wahrheit und Schönheit und S i ttl ichkeit in ihre D ienste zwingt ? ! Aber man so l lauch den Deutschen n ich t schel ten

,wenn der tiefste ;T_

rieb sein er

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Deutsch-Am erikaner . 1 1 7

Seele ihn glauben laßt,“

daß Wahrheit und S chonheit und Sittl ichkeit n icht um des Genusses und des Gewinns und des G lückswegen da sind , sondern ihren vo l l en Wert in s ich selber tragen ,ja daß unser Leben nur dann des Kampfes wert ist

,wenn wir

in Treue an den E igenwer t der Ideale glauben . Das ist's,wenn

Sch i l ler ruft

Gen ieße, wer n icht glauben kann ! Die LehreIst ewig wie d ie Welt . Wer glauben kann

,en tbehre

D ie Weltgesch ich te ist das We ltgerich t .

Nicht zum trockenen Gelehrtenberuf hatte d ie Natur Sch i l lerbestimmt, und doch d ien te er tre u dem Glauben an d ie Wahrheit. Nur zwei Wissenschaften wo l len n iemals s ich auf d ie engenN ützlichkeitsfragen der Gegenwart richten : d ie Gesch ichte undd ie Ph i lo soph ie . Be ide

‚wissen n ich ts von dem vergängl ichen

Plagen um das Heute und Morgen,we i l d ie Gesch ichte s ich

in das Gestrige,d ie Ph ilosoph ie sich in das E wige —versenken

wi l l . Dorth in zog es Sch i l ler . Zur ph ilosoph ischen D enkerarbeitund zur h istorischen Darste l l ung bewegter Zei ten tr ieb ihn se in etiefste Neigung. Und n ich t nur wenn er a ls Jenenser Geschichts

professor vom Abfal l der Niederlande und vom Dreiß igjährigenKr iege erzäh lt

,ne in

,auch wenn der Balladendichter und der

Dramatiker d ie Vergangenhei t wachruft, stets sprich t der wahreH istor iker

,du rch dessen Kraft versunken e Ze i ten zu neuem

Glanz erwachen und d ie Männer von damals in Lebensfül lewieder vor uns treten . Noch innerl icher aber war er der Denker,der das Vergängl iche in dauernde Begriffe bannt. Und auchh ier b l ieb sein wahrheitsuchendes Werk n ich t auf d ie gelehrtenFachschriften beschränkt

,d ie ihm einen ruhmvo l len P latz in

der Gesch ichte der Ph i losoph ie gesichert haben . Nein , derDenker fie l immer wieder auch den Gestal ten des Dramasins Wort und l ieh den herrl ichsten Ideengehalt der lyrischenGedankend ichtung. Kein zweites Mal im Dase in der Menschhe it waren e chte Ged ich te von so se l bständ igen , so tiefenWeltgedanken erfü l l t.

D iese Fül le der Ideen wird n un aber doch n iemals zum

durren Lehrged icht . Auch der Begriff wird zu leuchtender

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1 1 8 Schi l ler und die

Anschauung,das Ideengefuge zu h inreißendem Erlebn is, denn

t iefer noch als der Drang zur Wahrheit ist Sch i l lers stürm ischerS chönheitsdrang. N icht den Denker, den göttl ichen D ichterfeiert d ie Nachwel t heute . Gewiß , der G laube an d ie Schönheit genügte n icht dazu . Notwendig war n ich t m inder das sieghafte Können

,d ie zu Welthöhen aufsteigende K ünstlerkraft. Er

kannten d ie Zei tgenossen doch schon im J üngl ing, der n urdas Tro tzwerk der Räuber“ in d ie We lt h inausgesch l euderthatte, daß , wenn Deutsch land j e ein en Shakespeare zu erwartenhabe

,er h ier erstanden se i . Und als d ie Kraft gere ift war, als

in den Feiertagen der deutschen Gesch ichte ein Meisterwerks ich ans andere fügte

,der Wallenste in

,Maria Stuart, die J ungfrau ,

d ie Braut von Messina,der Tel l

,da füh lte ganz Deutsch land,

was Iffland in Berl in an den D ichter n ach Weimar schrieb,als

er d ie ersten Akte des „Te l l“ in der Handsch rift erhal ten : Ich

habe gelesen , versch lungen , meine Kn ie gebogen , und meinHerz, meine Tränen , mein jagendes Blut hat Ihrem Ge iste

,

Ihrem Herzen mit En tzücken gehu ld igt . Oh bald,bald mehr !

Ich reiche Hand und Herz Ihrem Gen ius entgegen welchein Werk ! Welche Fül le, Kraft, Blüte und Al lgewalt ! Gotterhalte S ie ! Amen !“

Und doch selbst d iese überwä l tigende D ichterkraft hatten ie d iese Höhe erreicht, wäre Sch i l lers Können n ich t getragengewesen von sein em leidenschaftl ichen G lauben an den ewigenWert der Schönhe i t

D u mußt glauben , du mußt wagen ,Denn die Götter leihu kein PfandNur ein Wunder kann dich tragenIn das schöne Wunderlan d .

Sowie Sch i l ler n icht darum die Wahrheit such te,damit s ie

der Wirtschaft in dem Frohndienst der Techn ik gehöre, so sank

ihm die Kunst n ie zum fl üchtigen E rregungsreize, n ie zum vergänglichen Vergnügen herab . Den Künstlern ruft er es zu

Der Menschhe it Wurde ist in Eure Hand gegeben ,Bewähret sie !S ie s inkt m it Euch , mit Euch wird s ie sich heben .

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1 2 0 Schi ll er und di e

Ja, nur von h ier aus laß t s ich Sch i l lers Lebenswerk inseiner E inheit überschauen und nur von h ier aus läß t es s ichin seinem Werte würdigen . Ob er Ged ichte schrieb oder Trauersp iele

, ob er Gesch ichte erleuchtete oder ph i losoph isch in d ieWirkl ichkeit e indrang

, ob er im engsten oder im weitesten Kreisew irkte

,stets ga lt es do ch n ur dem E inen , „dam i t der Tag dem

Edlen end l ich komme .

Sowie das Wah re n icht für den Nutzen da ist und die

Kunst n icht zum Vergnügen , so ist das S ittl i che n un n ich t mehrum des G lückes wi l len in der Welt. Das Leben ist der Güterhöchstes n ich t .“ D ie Sittl ichkei t, d ie im fl üch t igen Glücksnutzenaufgeht

,ist ih res Ewigkeitsgehaltes schon beraubt ; über G lück

und Lebensgüter erhebt s ich der S e lbstwert des Guten , „und d ieTugend , s ie ist kein leere r Schal l D urch al le se in e Di ch tungenzittert d iese Empörung gegen das Unedle

,gegen das E rn iedri

gende , gegen das Geme ine . Vo n Mo ors f lammendem Zorne ,

in dem s ich d ie Seel e des j ungen K arlsschü lers aufbäumt, b ish in zu dem letzten Freiheitsaufschrei im Todesjah r, bis zu Te l lsTrotz gegen d ie Tyrannenmacht, es ist stets d ie ein e großeLeidenschaft sein er Seele . Der Glaube an das Ed le leuchtetdurch Po sas Rede , bege istert Mo rt imer, durchlo dert Max P iccolom ini , und immer muß d ie Unsch u ld s ich dem Tode opfern ,damit das Gute wirke, wachse, fromme, dam it der (tag demEdlen endl ich komme“ . A us der wel tweiten Ku l turgesch ich tewäh lt er in h istor ischem Mitgefüh l d ie großen Bewegungen

,

in denen d ie Vö lker aus Unterdrückung s ich zu Edlerememporgerungen , u nd in dem engen Bürgerkre ise is t seine Leidenschaft immer do rt, wo das Gewissen an dem Unrech t rüttel t,wo ernste Liebe gegen Kabale kämpft .

Das war es doch , was im Grunde Friedrich Sch i l ler zum

Lieb l ing des deutschen Vo lkes machte : daß in seiner herrl i chenKunst e in he i l iges Gewissen gluht. Für das Sehnen und Fo rdernder t iefsten s ittl ichen Kräfte fand er das fu rchtlose Wort ine iner Ze it der Schwäche und der Zaghaftigkeit. Ein Kampfruffür a l les Edle und Reine hal lte du rch d ie Wel t und zündeteBege isterung in jeder Hütte : „Er glänzt uns vor, wie e in Kometentschw indend , unend l ich Licht m i t se inem Licht verbindend .

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Deuts ch-Am erikaner . I 2 1

Das S i ttl ich e war n ich t e in schönes Beiwerk sein er Kunst,nein

,

sein e Kunst war ein e Waffe se iner Sitt l i chkeit. Deshalb mußteer dem Vo lksbewußtsein so viel e indringl icher nahe treten alsder D ich ter des Tasso“ un d der „ Ip h igen ie“

Gewiß hat Deutsch land längst aufgehort zu fragen , wervon den Beiden der größere sei . In unseren Knabenjahrenkonnten wir al le Sch i l l er schon in begeisterten Herzen auswend ig, als Go e thes marmorkühle Welt uns noch fern ersch ien .

Schnell folgte die Jünglingsze it, i n der uns Goeth es „Faust“

Anfang und Ende war d und Sch i l l ers Pathos uns plötz l i chhoh l und rednerisch ersch ien . Doch wenn d ie reiferen Jah rekamen , da erschauten wir es, welch unend l iche Fül le so Sch i l lerwie Goethe in unser Leben getragen

,und fortan standen s ie

vor unserer Seel e, so wie s ie auf dem Marktp latz von Weimarstehen , auf gle ichem Sockel m it ihrer Hand am selben Lorbeerkranz . Das aber b leibt bei al ledem bestehen

,daß Sch i l ler al le in

uns mit stürm ischer Seele zur Tat d rängt und deshalb t ieferzum sittl ichen Lebenswil len des Vo lkes spr ich t.

Man hat ihn oft den Ideal isten genann t und Goethe alsden großen Real isten gepriesen . Das ist n ich t unwahr. Wennder Ideal ismus s ich dar in bekundet

,daß wi r d ie Wirk l ichkeit

‚an uberragenden I dealen mess en , und Real ismus dort gi l t, wod ie gegeben e reale Wel t den ganzen Ge ist erfü l l t, dann warin der Tat Sch i l ler der Ideal ist und Goethe der Real ist. Unddoch in anderem S inne vertauschen s ie d ie Ro l len . Der iste in Real ist

,der Wi rkungen schaffen wi l l

,der d ie Welt in realer

Weise umgestalten,bessern

,ern euern w i l l

,und daneben wird

zum Ideal isten der, dem es gen ügt, das Sp ie l der Welt in sein erSeele zu sp iegeln . In d iesem Sinne war Sch i l ler der Real ist,der m it Prometheus-Leidenschaft das zündende Feuer vom

H immel zur Erde trug, dam it e s f lammend wirke , währen dGoe th e , der Ideal ist, mit o lympischer Ruh e das w i rre

Erdensp ie l überschaute . Im Grunde von Goe th es Seele lag d ieep ische Beschau l ichke i t, für die j edes e in ze ln e in s ich fesselndist ; im Grunde von Sch i l lers Seel e wogte die dramat ische Kraft,d ie n ie befr ied igt weitertre ibt und zu neuen und neuen Zielendrängt .

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1 2 2 Schi ller und die

N ur Sch i l ler weckt daher d ie große erneuernde Leidenschaft,nur Sch i l ler trägt den Kampfruf in d ie Massen . Das Gute

,das

Wahre,das Schöne erfül l t auch j eden Pu lssch lag der Goethischen

Kunst,aber nur Sch i l ler kann m it stü rmischem Wort und mit

der Bege isterung,die unsere Seel e re in igt, al les Flüch tige und

Vergängl iche,a l les Niedrige und Gemeine s ieghaft vor s ich

hertre iben . N ur er kann uns rufen,bis uns das Leben scha l

und wertlos dünkt, wenn es n ich t vom Glauben an d ie ewigenWerte durchdrungen wird .

Und wieder ruft er heute du rch d ie Lande . In j edem deutschen Heime kl ingt heute wieder sein Kampfruf fü r deutscheS eelenart, für deutschen G lauben an d ie ewigen Guter. Oh ,daß d ie Deutschen der Neuen We l t den he i l igen Weckruf n ich tüberhören ! oh

, daß der Sinn der'

großen Stunde n ich t unverstanden an ihnen vorüberz ieh t ! Sie haben wacker geschaffen ;d ie neue Heimat haben s ie ausgebau t m i t un ermüdl ichen Händen

,

die n euen Pfl ichten haben s ie m it ernstem S inn erfül lt . Dochhaben sie auch stets das M ahnwort der alten Heimat in treuemGewissen gewahrt ? Haben s ie glaubenstreu den ewigen Wertdes Guten , des Wahren , des Schönen über den vergängl ichenVortei l der Stunde, über den Nutzen , über d ie Lust gehoben ?Oh , daß sie die Stimme des deutschesten Kämpfers hö rten„Und setzet ihr n icht das Leben e in

,n ie wird euch das Leben

gewonnen se in .

Sind sie im Lande der Freihei t und Arbeit beim Wahrheits

suchen und S eelenmode ln und S chönhe itsschaffen wahrhaft Vorb i lder ihrer Umgebung geworden ? Haben sie den deutschenGlauben an d ie ewigen Werte dem neuen Vo l kstum tief genugeingeprägt ? Und dürfen sie hoffen

,mehr als e in

„schwankes

Ro hr“ im fernen Land zu se in,wenn sie n ur n ehmen und

nachahmen und wie d ie anderen sind,statt ihr E igenstes aus

der He imat m itzubr ingen und glaubensstark und eh rfu rchterzwingend es als d ie e igene, als d ie deutsche Art zu eh renund zu verteid igen ? Nie wieder mag uns heute Lebendend ie Stimme, d ie uns aufruft, so vo l l ertön en

D ie angebornen Bande knupfe fest,Ans Vaterland , ans teure, sch l ieß d ich an ;Dort s ind d ie starken Wurzeln de iner Kraft .

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1 24 Schi l ler und d ie Deutsch-Am erikaner.

d ie Lebenden rufe ich, der Toten gedenke ich , d ie B l itze brecheich . Durchs ganze Lan d , vom Atlan tisch en b is zum St i l lenOzean

,geh t e in e he i l ige Bewegung ; die G lo cke des Deutsch tums

muß in d ieser S chillerfeierstünde end l ich zum Glocken turm derneuen He imat empor ziehet, ziehet, hebt, s ie bewegt sich ,schwebt ! Fu lgaro frango d ie B l itze des Hasses von hübenund drüben so l l s i e brechen , ja, Friede sei ih r erst Geläutefür immerdar . M ortuos plango an d ie große deutsche Vergangenheit mit ihren ewigen Idealen so l l s ie gemahnen . Vivosvoco zur höchsten Ehrenpfl icht so l l s ie d ie Lebenden rufen

,

ein Vorbi ld der Neuen , ein Sto l z der Alten Welt

Hoch überm n iedern Erden lebenSo l l s ie im blauen H imme l szel t

,

Die Nachbar in des Donners , schwebe nUnd grenzen an d ie S ternenwelt.So l l e ine Stimme sein von obenWie der Gestirn e hohe Schar

,

Die ihren Schöpfer wandelnd lobenUnd führen das bekränzte Jahr.

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Die deutsche Weltanschauung.

"

ein e deuts chen Freunde ! Ein n eues J ahrhundert hats ich uns aufgetan : es weckt in un s Zukunftswünscheund Zu kunfts ho ffn ungen . Mit fro her Seele begr üßen wi r

die s ichere un d sto l ze En twickl ung,der das amerikan ische Reich

nach M enschenvoraussicht in den kommenden Tagen entgegenschre itet. Und freudig bewegt denken wi r der al ten He imatund sehen dort jen e Fül l e der Gesundheit und Kraft

,d ie herr

l ich e E n tfal tung auch dem Deu tschen Re iche verhe iß t . Undernsthaft und veran twortungsvo l l tritt sch l ieß l ich an uns auchein andrer Zukunftsgedanke heran : wird auch das Deutsch tumin der Neuen Wel t zu wertvo l lem Werke berufen sein ? wirdes nur mitlaufen m it den andern und ehrl ich und sch l ich t sein eZukunftsarbeit verr ich ten o der wird es vom Gesch ick so be

günstigt sein , daß es Wirkl ich sein Eigenstes und Bestes end l ichzur Ku l turarbeit der n euen He imat be i tragen darf ?

N un wäre es s icher l ich müß ig, den h istorischen Prophetenzu sp ielen . Was d ie Weltgesch ichte den nächsten Jahrzehn tenbringen wird

,w ir ahnen es n icht und wo l l en es n icht wissen .

Und dennoc h is t es v iel l eich t n i ch t überkühn , mit Zuver s ich tvorauszusagen , daß unter den viel en Elementen der Neuen Weltkaum e ines in der nahen Zukunft so günstige Bed ingungen fürse inen eigensten Ku lturbeitrag finden wird wie das deutsche .D ie Deu tschen s in d im höchsten S inne berufen , gerade jetzt m iti h rem besonderen Denken und Füh len d ie Ze it zu bee infl ussen ,und schwer würde es s ich rächen , wenn sie d ie groß e Gelegenhei t vo rüberziehen l ießen , o hne s ie auszun utzen , und das he iß t,ohne ihre Vo l lkraft ein zusetzen . Was gibt uns zu so l ch erVoraussage ein h istor isches Rech t ? Das Recht l iegt in der

Vortrag, gehal ten in derGesellig—Wis senscha'ftl ichen Vereinigung zu N ew York.

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1 26 D ie deutsche

e inen Gewißhe it,daß d ie Weltanschauung, unter der das

zwanz igste Jahrhundert in seiner ersten Hälfte siegen wird,die

Grundanschauung des Deutschtums ist, und somit al les dafürre if ist

,daß der deutsche Geist und das deutsche Gewissen s ich

überal l durchsetzen kann, wo Ge ister aufe inanderstoßen und so

vor al lem in d iesem neuweltl ichen Tummelp latz der Völker. Umaber wahrhaft d ie kommende Weltanschauung vorauszuerfassen,

tut nur e ines not : w i r müssen uns das Wesen und den S inndes verflossenen Jahrhunderts verdeutl ichen , um aus der Ver

gangenheit die Zukunft zu deuten .

Frei l i ch : hundert Jah re,in denen d ie Weltereign isse sich

uberstürzt, h under t Jahre , in den-em n ich t ein ein ze lnes Land ,sondern der ganze Erdkre is Gesch ichte geschaffen

,hundert Jah re

,

in denen Wissenschaft und Kunst, Sitte un d Recht, Po l iti k und

Verkehr, Handel und Industrie immer n eue und neue Gestal tenemporgetrieben haben wie sol l ich es wagen

,in e in paar

kurzen flüchtigen Wo rten von i hrem Wisse n und Wo l len undFüh len und Glauben , von i hrer Wel tanschauung zu sprechen .

Mir ist zu Mute, als stande ich am Ufer ein es reißenden S tromesm it e in em Trinkbe cher in der Hand

,versuchend

,d ie schwel lende

Fl ut mit meinem Becher auszuschöpfen .

Ja, die Aufgabe ist übergewaltig und jeder Versuch zu ihrerLösung muß unendl ich weit h in ter dem Probl em zurückb leiben nur das wende man n ich t e in

,daß d ie Aufgabe selbst

falsch gestel l t und innerl ich unberechtigt se i . Zu oft hörenw ir es heute, daß ein Ze i tal ter, so in haltreich

, so verworren ,so parteienerfü llt, so beherrscht von Gegensätzen

,überhaupt

ke ine e inheitl iche Weltanschauung bes itze . Fre i l ich,wer an den

äußeren Erschein ungen seinen Bl ick haften läß t,statt zu den

tieferen treibenden Kräften hinzublicken,der wird nur ein Chaos

von Zufäl l igkeiten und Widersprüchen finden . Aber das meistevon dem , was uns scheinbar trenn t, füh rt gar n ich t zu versch iedenen Weltanschauungen zurück ; es ist Ans ich tssache imS inne praktischer Ratsch läge der berufl ichen In teressen

,im

D ienste nat ionaler Wünsche oder lokaler Hoffn ungen,im Gefo lge

persön l icher An lagen oder sozialer Stel l ungen . D ie heftigstenGegner im Wah lkämpfe mögen ihre

‚Weltanschauung im tiefsten

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I 2 8 D ie deutsche

Rhythmus von Generationen fo lgen , so wird dann das notwend igeResu ltat se in

,daß während die Wel le der e inen Weltanschauung

ihren Höhepunkt erreicht,gle ichzeitig d ie vorangehende Weltan

schauung noch im langsamen Abflu ten ist und die nachfo lgendenächste Wel le schon m itten im Beginn der langsamen Erhebung .

Ja, viel le ich t genügt es in unserer schnel l wechselnden Ze i t n icht,nur an d ie vorgehende und nächste Erhebung zu denken , vielleicht ist se lbst d ie vorvor l etzte Bewegung noch gar n ich t gan zzur Ruhe gekommen und viel leicht werden d ie feinsten Ge isterschon von dem Vorgefüh l der übernächsten Bewegung berührt .S o mag denn woh l stets e in e Wel tanschauung d ie bedeu tsamstesein und doch mögen ganz entgegengesetzte noch immer wirksamund schon als kommend zu spüren sein . Dazu kommt nochein anderes . Die Entw icklung wird sich n iemals in a l l en Länderngle ichzeit ig vo l l z iehen . Da jede große Neugestal tung von

einzelnen Geistern angeregt wird , so muß sie von i rgend ein embestimmten Punkt ausgehen

,und besondere Bed ingungen wer

den es entscheiden , ob s ie s ich rascher oder langsamer verbreitet ; w ie dauert es doch selbst im Telegraphenzeitalter oft

noch lange, bis ein e Bewegung den Rhein oder den Kanal odergar den Ozean überschre i tet . Anderersei ts werden d ie großenIdeen bei versch iedenen Nationen und in versch iedenen Kreisenseh r ungleiche Resonanz finden . Das was zum Charakter e in esVo lksstammes paß t, wird dort länger anhalten und s ich ver tiefen ,das, was mit dem Volksbewußtsein n ich t harmon iert, wird w ieeine :Ep isode schnel l wieder verschwinden . Dazu kommt dasversch iedene Temperamen t, das bei den sangu in ischen Franzosenetwa jede Bewegung leich t zum Extrem führt

,während beim

konservat iven Engländer der Wechsel der Anschauungen s ichruh ig ohne extreme Erschütterungen vo l lz iehen wird .

Man muß al les das berücks icht igen,um zu begre ifen

,daß

in einem bestimmten Zeitpunkt so w iderstrei ten de Weltanschauungen s ich gegenübe rstehen

, obgle ich der gesamte europäisch

-amerikan ische Kul turkre is doc h tägl i ch diese lbe n Nachrichten aus der Zeitung schöpft

,d ieselben Resu l tate der Wissen

schaft, d ieselben Schöpfungen der Kunst, d ieselben Herr l i chkeitender Natur, d iese lben H i l fsm itte l de r Techn i k, dieselben moralischen Vo rb i l der vor sich hat. Aber gerade wenn wir al les

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We ltanschauung . I 29

das im Auge behalten , dann erst verstehen wir auch , daß d ieseVielheit der Anschauung n ich t e in zufäl l iges Chaos bedeutet,daßs ie durch soz ia lpsycho logisch e Bewegungen no twend ig bed ingtis t, und daß d ie sch e in bar e Uno rdnung s ich schnel l o rdn en und

übersehen läßt, sobald w ir n ur erst erkennen , was in e inem be

stimmten Zeitpunkt der Hauptwel le zugehört,was Nachwirkung

der l etzten vorangehenden und der vor l etzten und vorvor l etztenWel le ist und was zum Anschwel len der kommenden neuenWel l e bestimmt ist.

Welches s ind n un d ie großen Bewegungen,d ie das n eun

zehn te Säku lum durchwogten? Man hat es e in Jahrhundert des

Verkehrs genannt ; aber so sehr auch Dampfboot und Eisenbahn ,K abel

und T elephon unser sozia les Leben umgestal tet haben,

vermochten sie wirkl ich der Zeit ein e n eue Auffassung des Se inszu geben , hat irgend jemand du rch das Telephon d ie Worteein er n euen Weltanschauung vernommen ? Du rch Äußerl ichkeiten d ürfen wir uns n ich t tauschen lassen , wenn wir wi rkl ichd ie inneren .Tr iebkräfte der Ze i ten verstehen wo l len .

-M an“

hatauc h von einem Jahrhundert der mechan ischen Weltan schauunggesprochen und dabei übersehen , daß s icher l ich das s iebzehn teUnd achtzehn te Jah rh un dert n icht wen iger das ihre be ige tragenhaben , die naturw issenschaftl ich e Weltans ich t auszubauen ; vonihrer Vo l lendung aber s ind wir ja auch noch heute unend l ichweit en tfern t

, so weit, daß gerade heute d ie Stimmen unter'

den

Naturforschern immer lauter werden , d ie ein e mechan ische Welterklärung für aussichtslos halten . Man hat unsere Zei t auchals Jahrhundert der Erfindungen und der Techn ik gepriesen ,aber sind d ie Le istungen wirkl ich fo lgenschwerer als d ie E rfindungen der Druckerpresse, des Sch ießpu lvers und des M ikroskops, der Magnetnadel oder der Dampfmasch ine ? Es war amEnde des achtzehnten und n ich t des neunzehn ten Jahrhunderts,als Sch i l l er in se inem wunderbaren Ged ich t „Die Künstler“ se in eZe itgenossen m it den Worten ansprach

Herr der Natur, d ie dein e Fesseln liebet,Die de ine Kraft in tausend Kämpfen übetU nd prangend unter d ir aus der Verwild

'

rung stieg.

Berausch t von dem errung'

nen S ieg

M ü n e t e r b e r g A u s Deutsch -A m er i ka .

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1 30 D ie deu tsche

Das a lso war damals n icht anders a ls‘

heute, und ist in

gewissem S irin e immer wieder das gle iche gewesen . Neue Erfindungen und Entdeckungen s ind unab lässig gemacht worden ,d ie Techn ik ist stetig vorangeschritten ,

"

und „berausch t von demerrungenen Sieg“ hat der Mensch sich sei t langem schon alsHerr der Natur, die.

deine Fesseln liebe t“ stets gepr ie sen ; eswäre unh istorisch

,gerade d ie Leistungen unserer Zeit e inse itig

zu überschätzen . Noch manches andere ech te oder U n echteSymptom ‚unserer Periode ist h ier und da einsei tig hervorgehobenworden . Man hat besonders d ie zweite Hälfte des Jah rhundertsals Zeital ter der Presse oder der Frauenbewegung oder desSozial ismus oder, wenn man scherzhaft gen eigt war, als Zei ta lterder in ternat ionalen Friedensbemühungen bezeichnet. Aber dasal les s ind doch im besten Fal le n ur äußere Wirkungen , an denend ie treibenden Kräfte erkann t werden können , n i ch t d ie Kräfte

Wo l l en wir in der Fü l le der‘

wechselnden Erschein ungenw i rk l ich d ie tre ibenden Weltanschauungen erfassen , so werdenw ir eben d ie Vo rgänge überhaupt n ich t nach rein äußerl ichenAnzeichen grupp ieren dürfen .

. So geht es ja in al len wissenschaftl ichen Bemühungen , daß d ie systematische Klassifikationzunächst al l e d ie o berfläch l ichen popu lären .Einteilungen auf-5zuheben hat un d d ie Prinzip ien der S onderung n ich t aus d enEindrücken , sondern aus dem Stud ium des Wesens en tn immt.Wenn ‚wir ein Kind auffordern , die Tiere ein zu tei len , so wirdes s ie in so l che tei l en , d ie im. Wasser vorkommen und so l ch e,d ie in der Luft l eben , und d ie Lufttiere in so l ch e

,d ie fl iegen

und andere, d ie n ich t fl iegen . Der Zoo loge wird so l ch e Te i lungverwerfen ; er w i rd d ie Wirbe l tiere von den Wirbel losen trennen ,und bei den Wirbeltieren d ie S äuger von den N ichtsäugendenund so werden sein e Gruppen scheinbar Ähn l iches auseinanderreißen und scheinbar sehr Ungleiches verein igen .

Wenn ich nach ein em höchsten E in tei lungsprinzip al lermensch l ichen Wel tanschauungen such e

, so meine ich , daß s ichnur ein ein ziges darbietet, das wahrhaft we i t genug ‚ ist, um al lePhasen mensch l icher Ku ltur zu erfassen . I ch meine

,daß al le

Weltanschauungen im letzten Grun de' entweder real istisch

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1 32 D ie deutsche

Real ismus und Ideal ismus s ind d ie zwei Po l e des Menschengeistes

, und w ie s ich der Real ismus des Mannes und der Idealismus des Weibes in jedem ed len He im ergänzen , so haben d iebe iden Weltanschauungen jederzeit zum Segen der Ku ltur zusammengewirkt. Man b l icke auf d ie be iden größten Männer desalten Griechen land

,auf Plato und Aristoteles, zwei Männer, d ie

über das ganze Mittelalter h inausragen , und j edermann fuhltsofort den ganzen S inn des Gegensatzes . Plato,

“so

‚sagt

Goethe in se iner Farben lehre, „Plato ist es n ich t darum zu tun,

d ie Welt kennen zu lern en , we i l er s ie schon voraussetzt, alsv ielmehr ihr dasjen ige

,was er m itbringt und was ihr so ' not tut,

freundl ich m itzute i len . Er d ringt in d ie Tiefe, mehr um s iem it s e i n e m Wesen auszufullen, als um sie zu erforschen . Al les

,

was er äußert, bez ieh t s ich auf e in ewig Ganzes , Gutes , Wahres ,S chönes , dessen Forder ung er in jedem Busen aufzuregen strebt .“

Aristo te les h ingegen“

,sagt Goe th e, „ste h t zu der We l t wie ein

Mann , ein baumeisterlic'

her . Er ist n un einmal h ier und so l l h ierwirken und schaffen . Er erkund igt s ich nach dem Boden , abern icht weiter, als b is er Grund findet . Er umz ieh t e in en ungeheuren G rundkre is für sein Gebäude

,schafft Material ien von

al len Seiten her, ordnet sie, sch ich tet s ie auf und ste igt so inregelmäß iger Fo rm pyram idenartig in die Ho he , wenn Plato ,

einem Obel isken , j a einer sp itzen Flamme gleich , den H immelsucht .

Die beiden Geister, die Goethe so sch i ldert, sind ewigeTypen . So lange es e in-e mensch l iche We lta nschauung gibt ,w i rd sie im letzten Grunde p laton isch oder aristotel isch se in .

Wenn aber beide Weltanschauungen sich wechselsei tig im D iensteder Ku ltu r ergänzen so l len , so müssen s ie s ich zeitl ich ablösen ,denn n ur, wenn vorübergehend die e ine oder d ie andere dasHandeln der Menschheit beherrsch t

,kann d ie Kul tur zu neuen

und w i rkl ichen Taten vorschre i ten . Wenn beide gleichmäß igwirksam s ind , so müssen s ie sich aufheben

,müssen zu K om

prom issen führen , d ie an sich einfach Ruhe bedeuten , abern ich t Entwicklung. S o wie wir selbst n ich t gle ichzeitig nachrechts und nach l inks gehen können

, so kann ein Vo l k n ich t

gl e ichze it ig in der Richtung der Demokratie und der Aristo

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We l tanschauung. I33

kratie, in der Richtung von Kosmopo l i tismus und National ismus,

von Freihandel und Schu tzzol l , von natural istischer und symbolistischer Kunst, von spezialistischer und von ph i losoph ischerWissenschaft, von Fre igeisterei und von Rel igion , s ich fortbewegen . Beide müssen abwechseln

,müssen nacheinander ihre

Höhepunkte erre ichen , damit kein Sti l lstand e intri tt, und gerade das en tspricht den Bed ingungen der mensch l ichen See le .J ede Weltanschauung hat in s ich d ie Tendenz

,zum Extrem

h inzuführen , und erst wenn das Extrem erreicht ist,muß der

Rücksch lag seel isch e insetzen .

Wenn b eide Weltanschauungen einander ablösen müssen,

so ist das aber klar, daß n icht etwa nur d ie e ine Fortsch r itt,

d ie andere Rückschri tt bedeu tet, daß n icht etwa, wie manchemeinen

,der Real ismus beisp ielsweise ku lturfördernd ist und

der Ideal ismus dann einfach ein e Zeit der Reaktion und Verdummung bedeutet . Stel l t man s ich auf den Standpunkt dereinen Seite

, so ist es ja l e ich t, auf der anderen Se i te nur d ieFeh ler zu sehen . An sich ist kein e der beiden Seiten gut oderdchlecht. Es ist gan z ungerech t

,etwa zu tun, a ls ob der

Rea l ismus stets selbstsüchtig und der Ideal ismus se lbstlos sei .Ne in

,d ie utilitarische Mora l der Real isten ist gerade so se lbst

los w ie d ie in tu i tion istis che der Ideal isten ; mit dem Ego ismushat der Real ismus an sich n ichts zu tun . Und beide Seiten s indauch gl e ichmäß ig grausam . Es war der Real ismus, der immerwieder das Bei l d er Gu i l lotin e fal len l ieß , es war der Ideal ismus,der d ie m itte lal terl ichen Scheiterhaufen angezündet ; es war derReal ismus

,der d ie Fabrikarbeiter im Elend verkommen l ieß ,

es war der Ideal ismus,der schutzlose n iedere Vö lkerschaften

in fernen Erdtei l en n iedersch lug. G roße und Kle ine, K lugeund Dumme, Edle und Schurken , Reine und Unrein e hat esstets a uf be iden Se i ten gegeben , un d der Wert i hrer wechselse itigen Ablösung lag n ich t dar in

,daß s ich

Gutes und Sch lechtesab löste

,son dern darin , daß d ie zwei gle ichmäß ig w icht igen

en tgegenger ich teten A ntr iebe der mensch l ich en See le gle ichermaßen vo l len Einfluß auf die Ku ltur gewinnen konnten .

So l l ihr Wechselsp iel aber wirkl ich den Gang der Ku ltu rbestimmen

, so ist auch das klar, daß es s ich da n ich t um

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I34 D ie deutsche

ein e e infache Pendelschwingung handelt ; ein'

Pendé l s'

chwingtabwechselnd nach rechts und l inks und erre icht auf beidenSeiten immer wieder d ieselbe Lage . Die Ku l tur dagegen kommtvorwärts ; war s ie real istisch , dann ideal ist isch , dann wiederreal ist isch und so fort, so wiederho l t s ie n ich t e infach d ieVergangenhe i t . Nichts von dem Vorangegangenen geht verloren

,der neue Real ismus ist n icht mehr de

r‘

alte ; er stammtaus den alten S eelenkräften, aber er faßt al l es in s ich , was d iefrüheren Perioden geschaffen und zum inn eren Ausgleich gebracht haben . Jede Phase d ieses gigantischen

'

Widerspiels br ingtgewisse Probleme zum Absch luß, zum Kompromiß , zur Ruhe,und neue Probleme drängen sich in den Vordergrund . DerReal ismus ergre ift e in Problem und führt sein e Lösung zum

Extrem ; da erwacht d ie i deal ist ische Gegenbewegung, s ie wirdmächtig. Der Ideal ismus, zum Siege gelangt

,erfaßt n un neue

Prob leme ; d ieses n eue Problem in ideal istischer Lösung verlangt nun die real istische Gegenaktion , das erste Problem aberkommt dadurch

,daß beide Parte ien um dasselbe gerungen

und ihre extremen Positionen verteid igt haben , in zwischen al lmäh l ich zu ein em Kompromiß und hört so auf, ein Problemzu se in . Es ist a lso n icht e in e Pendelbewegung, sondern ehere in e sp iral ige Bewegung .

‘ Es ist,als wenn w ir auf einer Wendel

treppe e inen Turm besteigen . Wenn wir d ie Wendeltreppeansteigen , so sehen wir ‘

immer abwechselnd aus den Fensterndes Turmes bald nach Norden und bald nach Süden , aberw ir sehen n iemals du rch dasselbe Fenster ; führt uns d ie

'

l“

reppe

zur selben Se ite zurück, so l iegt das Fenster jetzt doch höher,der Ausb l ick hat s ich erweitert .

Und so l ch e in Wechsel der We ltanschauung erfolgt nun ,

so behauptete ich , in u nserer schnellebend-en Zei t von Generat ionzu Generation ; es gibt n ich t mehr rein real istische oder re inideal istische Jahrhunderte . Im Rahmen eines einzigen Jahrhunderts beruhren sich v ier Generationen ; die erste a ltert ander Schwel le des Jahrhunderts, ‚

d ie vierte ist j ung am Ausgangdes Jahrhunderts .

D as neunzehntei

Jahrhundert begann m it dem a llmählichen

Abfluten e iner real ist ischen Wel le,d ie i hren e igentl ichen Höhe

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1 36 D ie deutsche

Friedr ich dem G roßen , der nur der ers te D iener se ine s Staatesse in w i l l

,ste igt d i e Aufk lärung auf den Thro n .

Es ist ein Ze i tal ter von unermeß l ichem Wert fur den K u lturgang, e in Ze ital ter, das sein e revo l ut ionär-demokratisch-atheistischen wie se ine ko smopo l it-is ch—h uman itären Blestrebungen ineiner Überfül le von An regungen dem neunzehn ten Jah rhundertvermacht hat

,und wenn es auch schon in den Tagen der

Französ ischen Revo l u tion seinen logischen Höhepunkt erre ich te ,so hat es doch noch lange fortgewirkt. Aber es war in anderemSinne do ch auch ein rech t kle in l iches , ge istigarmes , schwunglosesZeitalter

,das m it seiner p h i l is terhaften Versü ndesnüchternhe it,

m it se iner unh istorischen G leichmacherei,mit sein er phan tas ie

losen Skepsis notwend ig d ie Sehnsucht nach den Idealen , d ieidea l istische Gegenbewegung wachrufen mußte . Überal l trats ie e in und doch n icht gle ichzeitig und vor al lem n ich t gleichförm ig. Dabei waren d ie neuen antireal istischen Bewegungendurchaus n ich t a l l e m ite inander in Harmon ie . Das ruhmesl üsterne napo leon ische Imp—eratorentum pral l te zusammen mitder nationalen Erh ebung Preußens in den Befre iungskr i eg-en , und

doch haben be ide d ie Tendenz der Reaktion gegen d ie A ufklärungszeit. Jetzt erst erwacht d ie Literatur und Kunst zu ihrembesten Können . Der Neuhuman ismus m i t se iner klass ische '

nS chönheitsfreude, so v ielerle i Fäden auch von ihm zur A uf

klärung h inübersp ielen , ist doch in erster Lin ie e in e Reaktiongegen d ieselbe

,ist Idea l ismus und doch wie inner l ich versch ieden

von dem phantasietrunkenen Genieku ltus der Romanti ker . Aberwieder gingen d ie Ph i losophen voran und d iesma l vornehml ichd ie deutschen . Dort wo d ie Material isten und Skeptiker derAu fklärung aufgehört hatten , da setzte Kan t ein , und in e in erZeit, in der Sch i l ler und Goethe

,Mozart und Beethoven , Na

poleon und Blücher ihr Größtes schaffen,erhebt sich d ie ph i

losophische Speku lation m it Kant, Fich te, Schel l ing, Schopenhauer, Hegel zu ungeahnten Höhen , von denen aus die sto l zenBerge der Aufklärungsph i losophen wie Mau lwu rfsh üge l aussehen .

D ie Rel igion wurde m i t Sch lei ermacher wieder Gemuts

sache . Das Dogma von der G le ich heit der Menschen war

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Wel tanschauung . 1 37

wieder erschuttert die wirtschaftl ichen Leh ren der klass ischenNationalökonomie wurden scho n be zwe ife l t und Car ly les SartorR esartus trug den deu tschen Ideal ismus in das engl ische Land .

Gewiß barg auch der I dea l ismus se ine Schäden und schwerenGefahren in s ich . Der romant isch e Rückgang zum M i tte lal terbrach te n ich t nur das Erwachen der gotisch en Kunst, sondernvielfach auch wirkl ichen Rückschritt

,d ie po l itische Reakt ion wu rde

w i l l kür l ich und in to l eran t, und die Lehren der Revo l ut ionsch ien en so schnel l vergessen

,daß d ie Bewegung des achtzehn ten

Jahrhunderts sich w ieder zu erheben d rohte . Das Resu ltat warein Kompromiß : d ie konst i tut ion el le Monar ch ie , das a l lgemeineWah lrecht

,der Parlamentarismus

, und h ier wie immer war du rchden Kompromiß d ie u rsp rüngl iche Bewegung und Gegenbe

wegung, das gesamte Problem ,zur Ruhe gekommen . Wer küm

mert s ich noch um d ie po l it ische Frage,um d ie das achtzehn te

Jahrhundert gekämpft hatte ; wer glaubt heute noch , daß England freier wäre

,wenn es e in e Republ ik hätte oder daß Frank

re ich unfreier ware,wenn es wieder ein Kön igtum hätte oder

daß es für Deutsch land besser ware,wenn d ie po l itischen Parte i

führer Präs iden ten ein er deutschen Repub l ik wären . Die Weltgesch ich te hat das Thema von der Tagesordnung abgesetzt ; esist durch d en Komprom iß , der aus der real istischen Bewegungdes ach tzehnten Jahrhunderts und der romantisch-i dea l ist ischendes n eunzehn ten

,um die Mitte des Jahrhunderts hervorging,

vorläufig e r led igt worden .

Aber der Ideal ismus trug andere Faktoren in s ich , die n ich te infach du rch Komprom iß zur Ruhe kommen konn ten , sondernd ie nun ih rerseits den großen real istischen Rücksch lag ver langten .

Der Ideal ismus hat n i rgends mächt igere S iegerkraft als im Geb iet der Wissenschaft bewiesen . Die Naturph i losoph ie hatte d ieNaturforschung un‘

terjocht, d ie Gesch ich tsph i losoph ie hatte d ieEntwicklung der Menschheit unter große ideal istische Ges ich tspunkte gebracht

,d ie Leh re vom Staat und vom Recht, von der

Gesch ichte und der Kunst, von der Moral und der Rel ig ionerh ie l t den Stempel der Hegelschen Metaphys ik, und wenn auchd ie sti l l e Arbeit der posi tiven Forsch ung n iemals zum Sti l lstan dkam genau so wie ja auch im rea l istischen Ze ita lter Kunst

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1 38 D ie deutsche

und Rel igio n niemals gan z'

verschwan'

den der große Zug derWiss enschaft war spekulat iv un d metaphys iscih . Eine so l ch eBewegung tragt d ie Be d ingungen ihres Zusammenbruchs not

wend ig in sich . J e gewaltiger s ich d ie Spekulat ion erhebt, destow i l lkür l ich er m uß s ie mi t der Erfah rung schal ten, desto größerm uß ihr Gegensatz zur n üchtern en sach l ichen Erkenn tn is derwirk l ich en D inge se i . Die harten Tatsachen im Raume fordernih r Recht, un d jetzt beginn t, wenn auch lange vo rbe re i tet, d ieweltbezwingende ne ue real istische Bewegung, d ie m it trotzigerVerach tung al ler Phi10 50 phie i hre Kraft aus der Naturforsch ungs chöpfen w i l l .

Im Triumphschr itt zog d ie real is tisch e Forsch ung von einemGebiete zum andern ; s ie ging von der leb losen N atur, von derPhys ik u nd der Chem ie aus ; s ie eroberte die Wissenschaftvom l ebenden Körper

,d ie Phys io logie ; von dort ging es zur

E rforschung der'

Lebewelt in ihrer gesamten S tamm esentwick

l ung, und, w ie ein e Generatio n fruher der Ideal ism us se inen

Höhepunkt in den Werken Hegels fand , so erre ich te der Realism us sein en wissenschaftl ichen G ipfe l in den Werken Darwins .Es war d ie nachhaltigste Leistung

,aber n icht d ie l etzte

,denn

,

wenn der Natural ismus konsequen t sein wi l l, so muß er über

d ie Physiologie und Bio logie h inausschreiten . War d ie gesamteNatur einsch l ieß lich al ler Lebewesen gesetzmäß ig erklärt und

mit Helmho l tz auf das Gesetz von der Erhaltung der Energiezurückgefüh rt, so muß d ie Forschung auf die innere Natur übergre ifen , auch das Leben der Seel e muß naturwissenschaftl ichzerpflückt werden : d ie Tage der experimentel l en und physio lo

g ischen Psycho logie waren gekommen das war in den s iebz igerund achtz iger Jahren , und während der Real ismus längst seinenHöhepunkt überschritten hatte un d e in e Gegenbewegung längstschon eingesetzt hatte, schritt der Real ismus von der Psycho logiesch l ieß l ich zur Sozio logie fort, von der naturwissenschaftl ichenErklärung des Ind ividuums zur kausalen Erklärung der Vo lksseele m it a l l ih ren extremen Konsequenzen .

„ Von e iner Phi losoph ie ist in'

d ieser Ku ltu rphase kaum d ieRede . D ie Metaphys ik hatte i hre Kraft erschöpft

, und als Surrogate iner Weltanschauung erhob sich der Pos i tiv ismus von Auguste

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1 40 D ie deuts che

zu“deu ten ist. E ingetreten ist aber d ie R eaktion auf al len Geb ieten .

D ie Gesch ichtswissenschaften drängen w ieder in den Vordergrund . In der Techn ik s ind wir übersattigt. Zwar

'

br ingt j ederTag neue Erf indungen

,aber das wi rkl ich e Leben gewinnt du rch

s ie ke ine neue Umgestal tung ; es s ind raff in ierte Luxusgaben, n ich tBefried igungen ernster Bedurfn isse . Dafür erwacht d ie Ph i losoph ie an al len Ecken und Enden ; fünfzig Jahre lang hattend ie Forscher über d ie Ph i losoph ie gespottet, se it zehn Jahrenwird gerade inm itten der Wissenschaft überal l wieder zur Ph i losoph ie gedrängt . D ie n eue Ph i losoph ie aber wil l n icht nocheinmal d ie Errungenschaften der pos itiven Forschung wegwerfen ,sondern s ie in s ich aufnehmen und ze igen , wie auch der rad ikalsteEmp irismus seinen Platz in ein er idea l istischen eth ischen Weltanschauung findet . Und es erwacht d ie Kunst ; d ie versunken eG locke tön t uns wieder . In scharfem Gegensatz zum Natural ismus en tsteh t der Symbo l ismu s, nach der real istischen A rm leutma lerei z iehen d ie Präraffael iten durch d ie Welt und künden denIdea l ismus . N ur d ie am Ge iste Armen trumpfen noch dar auf,daß der Mensch vom Affen abstammt ; d ie neue Ze it fragt lauter,woh in d ie Menschheit wi l l ; s ie beschäftigt sich mehr m i t demÜbermenschen als dem Untermenschen . Der Glaube an dasGen ie, an d ie Ungle ichhe i t der Menschen , an d ie Ungle ichhe i tder Rassen und Völker triumph iert aufs n eue

,d ie nationale

Expansion auf Kosten der n iederen Rassen wird zum Sch lagwortund d ie Po l i ti k wird wen iger von praktischen Erwägungen alsvon nationalen Insp irationen getragen . S o wie einst der A ufklärungsrealismus in D eutsch land du rch den großen Fr iedrichund der romantische Idea l ismus du rch Friedr ich Wilhelm denV ierten den Thron bestieg, wie dann in der real ist ischen Ze i tB ismarck im po l i tischen M i ttelpunkt stand

, so findet in Wi l helmdem Zwe iten der neue Ideal ismus se inen leu chtenden Mittelpunkt.Woh in der neue Kurs füh ren wird

,kann heute noch ke iner

übersehen , denn d ie Bewegung ist erst im Beg inne . Noch hats ie e in w i rkl ich s ieghaftes Wo rt n ich t gespro chen . Das abe rw issen wir , daß der Real ismus inner l ich to t ist . Äußerl i ch m ußer natür l ich no ch lange weiterwirken

,aber er is t n ich t mehr

e ine schaffende Kraft.

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Wel tanschauung. 1 4I

Bl icke ich so auf das Jahrhund ert als e in Ganzes h in, so

möchte ich den Wandel sein er We l tanschauung m it der wechselnden Weltan schauung des Goetheschen Faust vergleichen .

Auch das beginnende neunzehn te Jah rhundert war wie Faustnoch von den Wagners, den trocknen S chleichern des A ufklärungsgeistes umgeben , als i hn d ie große Sehnsuch t nach demIdea len überkam . Der Ge is t des Jahrh unde rts wie Faust sehn ts ich h eraus aus d ies er n üchtern-en Vers tandswe lt, h in zur Romant ik . Und nun wird dem Ge is t des Jahrh underts wi e dem DoktorFaust das Große, das Ungeheure zutei l : er schau t den Erdge ist,der der Gotthei t l ebend iges Kleid wirkt. Der Ge ist des Jahrhunderts erschau t aufs tiefste ersch üttert d ie gewalt igen metaphysischen Speku lationen und doch : Ach , d ie Erschein ung warso riesengroß .

Die gewaltige E rscheinung der Hegelschen Ph ilosoph ie istzusammengebrochen und der Geist des Jahrhunderts versuch tes wie Faust m it den wonn igen Schätzen der Welt, mit demreal istischen Rausch des Genusses

,mit al len Gaben , d ie Meph isto

zu vergeben hat. Wie Faust in Auerbachs Kel ler sich zu betäubenhofft, in Gretchens Liebesarmen schwelgt, am Ka iserhof zu Machtund Ruhm gelangt, Helena an sich reiß t, d ie Sch lacht gewinn t,den Meeresstrand sein e igen nenn t

, so stürmt der Geist des Jahrhunderts in dem gewal tigen Aufschwung des neuen Real ismuszu neuen und neuen Errungenschaften vorwärts ; ungeahnteSchätze fal len ihm zu, n ie geträumte S iege err ingt er, Naturwissenschaft und Techn ik bringen mit Zauberkraft a l les herbe i, was erver l angt und denno ch , da das Jahrh undert al t geworden , füh l tes wie Faust am Ende seines Lebens :

Ich habe nur begehrt und nur vo l lbrach tUnd abermals gewünsch t und so mit M ach tMein Leben durchgestürmt,

aber Befried igung hat der Geis t des Jahrh underts , gleich Faust,aus al le dem Gen ießen n icht gewonnen . Da, ehe se in Lebenganz zu Ende geht

,wendet er s ich noch einmal dem Ideal ismus

zu . Nich t mehr den Genuß will Fausts letzter Wunsch , so ndernd ie Arbeit

,das sittl iche Streben . Ja, d iesem Sinne bin ich gan z

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1 42 D ie deutsche

ergeben . Der Ge is t des . Jahrh underts hat s ich dem Real ismusinnerl ich abgewandt, ehe er sterben d zu Boden s inkt . Und wei ler d och noch s ich zum Idealen bekeh rt, deshalb hat Meph istoden Kampf um d ie Faustische Seele verloren . Woh l wi rd auchan diesser Gruft Meph isto s Schar den To ten fes thal ten wo l len ,und doch der Ideal ismus hat gesiegt. Die Engel werden d ieSeele des Jahrhunderts zum Himmel tragen .

Ich habe h ier im wesen tl ichen n ur von Europa gesp rochen .

Ich we iß,ich wäre in teressanter gewesen

,wenn ich meine Thesis

'

an amerikan ischen Problemen demonstriert hätte, wenn ich von

Linco ln und Cleveland , von Emerson und Ed ison,von Bellainy

und Roosevel t,von Si lberwährung und Trusts und Imperial ismus

gesprochen hätte . Aber ich glaube, d aß der sozialphilos0 phischeStandpunkt

,den ein so l cher Rückbl ick auf ein ganzes Jahrhundert

fördert, am besten dann festgehal ten werden kann , wenn wirnach Kräften al les das a ussch l ießen , was für uns unmittelbarespo l it isches In teresse hat und „von der Parteien fHaß und Gunstverw i rrt“ . wird . Es kommt dazu

,daß gerade h ier in Amerika

die Verhä l tn isse, d ie ich besprach , sehr viel schwerer .übersehbar'

s ind , we i l s ich die ‚versch iedensten Bewegungen jederze i t kreuzten .

Da al le j en e Wel len erst von Europa herüberkamen , so hat"

diee in e s ich schnel ler

, . die andere langsamer verbreitet, manchestrat fast gleichzeitig hier und drüben

,ni anches h ier v iel später

auf . . So f äl l t der Sklaven krieg zwar zei tl ich in die real istisch ePeriode von Darwin und Bismarck

,ist aber tatsäch l ich noch

'

eine

späte Nachwirkung der früheren . real istischen Zeit, des Aufklärungszeitalters mit sein em Ruf nach Fre iheit und Brüderl ichkeit. Es kommt dazu d ie Mischung der Bevöl kerung dadurchhaben sich d ie Bewegungen h ier in ungewöhn l ichem Maße durchkreuzt, aber im l etzten G runde läßt s ich auch h ier j ede einzigeBewegung d er

letzten hundert Jahre auf ein e der vier gesch i lderten Wand lungen im Ku l turl eben zurückfüh ren .

S o wie ich absichtl ich und sorgsam der Tagespo l itik ausdem Wege gegangen habe ich m ich auch bemüht, mitLob und Tadel zurückzu°halten . . Vom soz ialpsycho logischenStandpunkt hat j ede der beiden Weltanschauungen ihre Mission ,d ie eine ist

'

n icht besser als d ie andere . Das aber verändert s ich

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1 44 D ie deutsche

vom Pos it iv ismus en ttä uscht, es wieder e inmal dunkel fuhlt : „Ge

nießen mach t gemein .

Damit aber ist d ie Stunde gekommen , in der es in jedemFeld lager wieder he ißen muß : d ie Deutschen zur Fron t ! Denndas ist ija zwe ife l los, daß d ie Begabungen der versch ieden en Völkerungleich s ind

,der Gen ius des e inen kann mühelos erre ichen , was

dem Können des andern versagt ist. Wenn etwa in e iner amerikan ischen Kleinstadt Ir länder und Deutsche d ie Bevö lkerung b ilden ,so tritt das Gegensp ie l der Begabung deutl ich hervor . So l l damitgesagt sein

,daß dem Deutschen d ie real istische Kraft feh l t ?

S icherl ich n icht . Mit klarem Bl ick hat auch de r Deutsche inZeiten real ist ischer Weltanschau ung sich in j ener Welt bewährt,in der d ie D inge sich „hart im Raume stoßen“ . Aber im Grundewar es doch mehr Anpassung als Ursp rüngl ichkeit es war d ieTüch tigkeit, die da tat, was d ie Zei ten forderten , aber das e igentüm lichste Wesen kam da n icht zur Gestaltung. Wie anders inden großen Stunden , in denen der Weltgeist das ideal istische Bekenntn is erheischte .

Auch an dem Ideal ismus haben d ie Deutschen kein Sonderrecht . Der wahr l ich muß mit b l in den Augen durch d iese neuwe ltl ich e Ku ltur hinwandern

,der n ich t gewahr wird , wie auch d ie

Grundstimmung des angelsächsischen Amerikan ertums ein eideal ist ische ist ; denn s icher l i ch ist kein Faktor h ier e infl ußreichergeworden als der Puritan ismus Neu-Englands . Aber das ist derre l igiöse Ideal ismus der opferfrohen Gemütsstimmung, d ie esselten zu wi rkl ich absch l ießender Weltanschauung bringt . Stattkonsequen t zu se in , ist s ie orthodox ; statt d ie ganze Vielgestal tigkeit des Lebens zu umfassen und zu durchdringen

,ergreift s ie

nur e in enges Geb iet und weist al les ubrige zurück . Damit derIdeal ismus aber wahrhaft befre iend und lebenerneuernd wirkenkann , muß er d ie vo l le Mann igf al tigkeit des Dase ins anerkennenund al les zur Einheit zusammensch l ießen

,kurz sich zur We l t

anschauung entfalten . Das zeigt ja d ie Gesch ichte überal l,daß

d ie rechte Kraft und der en tscheidende An trieb immer nur daentstand, wo s ich eine neue fo lger ichtige Weltanschauung herausgeb ildet hatte . Und unter d iesem Gesichtspunkt kommt derdeutschen Geistesart in der Tat e in Vorrecht zu . Die ideal istisch e

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Wel tanschauung . I45

Auffassung auf j eder Stufe des Fortschr i tts zur Weltanschauungauszub ilden und so al les e in zeln e ideal istisch zu durchdringen ,das ist d ie Gabe

,d ie der gute Geist der Gesch ichte dem deu tschen

Vo l ke m it auf den Weg gegeben .

La e vor uns ein H albjahrhundert vo l l real istischer A ufgaben , so würde ich zu den Deutschen sagen : seid n icht en tmutigt ; faßt tapfer zu ; i hr seid tüchtig und fleiß ig und klugih r werdet gerade so gut vorwär tskommen wie d ie andern , undeuer Werk wird euch loben . Vor uns aber l iegt für ein eM enschengeneration die Weltaufgabe e ines neuen Ideal ismus .Da darf es n icht mehr zaghaft heißen : ihr müßt n icht zurückstehen . Nein , mit froher Zuversich t heiß t es nun : ih r seid berufen

,voranzugehen : Die Neue Welt bedarf eurer besonderen

Begabung und eurer eigensten Kraft ; ke in andrer kann gle icheuch das . tiefste Sehnen der Zeit zu lebend iger bezwingenderForm gesta lten , kein andrer hat für das morgen und übermorgenso vie l zu b ieten , wie ihr, die ihr euer deutsches Erbe über dasWeltmeer gebrach t : eure Stunde is t endl ich gekommen oh, daß

s ie n ich t ungenützt un terginge .

M ün s t e r b e r g ,A u s Deuts oh-A m er ika .

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Bucher und Zeitschriften.

n den Spalten I hres Blattes fand sich kürzl ich e ine Mittei l ung

,die schnel l d urch viele deu ts ch e Ze i tungen gewandert

ist. S ie gipfelte in der Behauptung, daß in den Verein igten Staaten d ie Zah l der n eu erscheinenden Bücher, imVerhältn is zu e iner Mi l l ion Einwohner, nur ein Dritte l deren tsprechenden Zah l in Deutsch land beträge . Es sch loß s ichdaran d ie we i tere M itte i l ung

,daß d ie Zah l der amerikan isch en

S ortimentsbuchhandlungen in stetem Abnehmen begriffen sei .

Es ist n icht verwunderl ich , daß Sie beides als „wen ig schmeichelhaft“ für das amer ikan ische Lesebedürfnis bezeichneten . Wer

die Verhä l tn isse k ennt, wird d ie Rich tigkeit der Zah l n ichtbeanstanden oder vielmehr wird den Unterschied noch größeransetzen ; die Bedeu tung der Za h l wird er aber in ganz anderemLichte sehen . Viel leich t wird d ie Einsei tigke i t so l cher Kundeschon dann klarer

,wenn daneben eine andere

,vie l leicht n icht

m inder r ich tige Nachri ch t ges te l l t wird , die vor ein iger Zeitdurch d ie amerikan ischen Ze itungen ging : näm l ich , daß in denVerein igten Staaten sechsmal mehr Monatsschriften und Wochenschr iften ersche inen als im Deutschen Reich . Auch daran warenin entsprechender Weise wen ig schmeichelhafte Betrachtungenüber d ie deutschen Leser angekn üpft . Auch da mag d ie Zah lr icht ig se in und das Urtei l doch irrefuhrend ; d ie Versch iedenhelten der Landess itten sin d außer acht gelassen .

Sehen wi r e inmal näher zu . In der Tat sind im letztenJahre in Deutsch land 28 703 Bücher ersch ienen

,in den Ver

e in igten Staaten dagegen nur 81 12 . Da Deutsch land 60 M i llionen, die Verein igten Staaten aber 86 Mil l ionen Einwohnerzäh len , so wü rde das Verhältn is sogar noch vie l ungünstigerersche inen ; Deutsch land veröffen tl icht auf d ie Mil l ion E inwohnern icht dre imal , son dern fünfmal mehr Bücher als Amer ika . E ins

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1 48 Bücher und

wortlichkeit für d iese Behauptung überlasse, hat kürzl ich in ein emVortrag vor dem B ibliothekarverband den Nachweis zu füh renversucht

,daß

,wenn das amerikan ische Kri ter ium des Buches“

für d ie deutsche Statistik verwandt wird , Amerika n ich t wen iger,sondern meh r Bücher als Deutsch land erzeugt .

Gilt es aber, den Leser und n icht den Schreiber abzuschatzen,so ist d ie Zah l der n euen Bücher überhaupt belanglos ; en tscheidend ist d ie Größe des Umsatzes . Da aber ist nun sicherl ichdas amerikan ische Buch weit im Vorsprung. Die Bücher, d iegut gehen

,haben einen Absatz

,von dem deutsche Schr iftste l ler

sich n ichts träumen lassen, und die Bücher, d ie sch lech t gehen ,

würden den deutschen Verl eger noch zufriedenstel l en . EinRoman , der Mode ist und das heiß t ein Roman , den in fünfJahren kein Mensch mehr lesen wird, m uß es auf dreihunderttausend . Exemplare b ringen . Selbst popu lärwissenschaftl icheBücher steigen zu schwindelerregen den Höhen . Begünstigtwerden d iese Massenauflagen dadurch

,daß a l l e amer ikan ischen

Bücher von Platten ged ruckt werden . Das hat sein e Vorzügeund sein e Nachtei le . Der sch l immste Nachte i l d ürfte der Widerstand der Verleger gegen n eue umgearbeitete Au flagen sein fürschöne Literatur ist das bedeu tungslos

,für d ie Wissenschaft ist

es gefä hrl ich . Von der Psycho logie meines H arvardkollegenWill iam James s ind in den letzten zwölf Jahren über fünfundsechzigtausend Bände verkauft

, ohne daß das Buch j e umgearbe itet wurde ; in Deu tsch land wären das etwa dreiß ig Auflagen ,von denen j ede dri tte Auflage vermutl ich ein er gründ l ichen A uffrischung unterzogen wäre . In Amerika sträubt s ich der Ver legergegen d ie Zerstörung der teuren Platten

,von denen e in e unbe

grenzte Zah l von Abzügen gel iefert werden kann . Der Vertragmit dem Autor kenn t daher au ch n ich t das in Deutsch land übl ichevorher zu en trichtende feste Honorar für den Druckbogen ,sondern bezieht sich stets auf e inen bestimmten An tei l an denverkauften Bänden . Die geschäftl ichen In teressen des Autorswerden aber gesch ickt m i t denen des Verl egers dadurch verkoppelt, daß d ieser Ante i l stetig ste igt, fur d ie ersten 3000 Exemplare viel le ich t nur fü r d ie fo lgenden 10 000 schon 20für d ie weiteren 30 0/o vom Verkaufspre is . Dadurch haben vom

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Zei tschri ften . 1 49

wirtschaftl ichen Standpunkt Verleger und Schriftste l ler gemeinsamein In teresse daran , l ieber e in Werk zu ho her Auf lage zu pe itsch en ,statt zwei Werke m it der halben Auflage herauszugeben . Werdie Bande im Bürgerhause zäh l t, kann daran n icht zweifeln , daßder Amerikaner s iche rl ich mehr Bücher kauft a ls der Deutsche .

Wird aber'

gar die Bücherbenutzung in d er öffen tl ichen Bibl io thekh inzugerechne t, so versch iebt s ich das Verhälnis vo l lkommen .

In der Stadt New York wurden im letzten Jahr in der städtischenBib l iothek al l ein mehr als fünf Mil l ionen Bände nach Hauseausgel iehen

,und al le Lesesä le s in d von fruh bis spät überfül l t.

S o aber sieht es in j eder Großstadt, in j eder Kleinstadt, in j edemNeste aus ; kein Winkel des Landes, in dem n icht d ie offentlicheBib l iothek zum Sammelp latz der Bevö lkerung geworden . S iebzehnhundert d ieser B ibliothekgebäude sind das Geschen kCarn egies .

M it al l edem is t .abe r der wich tigste Untersch ied zwischenDeutsch land und den Verein igten Staaten noch n icht berührt.

Ohn e Zweife l dürfen wir i hn darin suchen , daß die Aufgabe desdeutschen Buches in Amerika von der Zeitschrift übernommenist . Selbst wenn in Deutsch land noch vie l mehr und in Amerikavie l wen iger Bucher ersch ienen , so konnte d ie l iterarischeProduktion sowoh l wie der l iterar ische Verbrauch trotzdem inbe iden Ländern glei ch umfangre ich sein , wei l d ie Ze itschriftden Untersch ie d be i weitem ausgle ich t . Im Deutschen Re ichersch ienen im letzten Jahre 8049 periodische Veröffen tl ichungen ,also Tagesblätter, Wochenschriften , Monatsschriften und Vierte l

jahrszeitschriften ; in den Verein igten Staaten ersch ienen 2 1 745.

Darunter waren 1 6 252 Wo chenschriften und 2876 Monatsschriften

.Vergegenwärtigen wir uns, daß beisp ielsweise e in

tausend Monatsschriften tatsäch l ich im Jahr zwölftausend klein eBücher darstel len

, so wird es deutl icher, daß d ie Masse derge ist igen Produktion n icht du rch d ie Bücher al lein gerii essenwerden kann . Dazu kommt ein anderes . Die deutsche Bücherl iste besteh t zum großen Tei l aus Broschüren und dünnen

S chriftchen .In Amerika kenn t man so l che Art Bücher überhaupt

n icht.Im po l itischen Wahlkampfe oder für Reklamezwecke

werden M i l l ionen von so l ch en Flugsch riften in d ie Welt gestreu t,

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1 50 Bücher und

aber in den Buchhandel d ringen sie n icht. Es gibt n ich t e inmalbrosch ierte Bücher zum Verkauf. Die Bücher, von denen inder amerikan ischen Stat istik d ie Rede ist

,sind gebundene Bände .

D ie Mehrzah l d er deuts chen Bücher dagegen enthal ten n ich t mehrSe iten als e in amer ikan isches Monatsheft . Man vergleiche übe rd ies einmal den In hal t d er Ze i tungen , deren Sonntagsbe i lagen oftdre iß ig

,vierzig Se iten l iterarischen Textes en thalten

,und immer

deutl icher wird es hervortreten,daß d ie Masse des für den D ruck

Geschr iebenen in der Neuen Welt m it der Produktion ke inesandereri Landes den Vergleich zu scheuen hat. Der Un tersch iedbesteh t dann sch l ieß l ich einfach in der versch iedenen Landess i tte :der Amer ikaner l iebt es

,daß jede kürzere Veröffen tl ichung ihm

unter der Veran twortl ichkeit einer Redaktion vorgesetzt wird :Er hat das instinktive Vertrauen , daß der Zeitschriftenredakteurdas Angebotene durchgesiebt hat und daß der Essay oder d ieNovel le in der Monatsschr ift daher gr ößeres Zutrauen verd ien t,als wenn der Essay als verein zelte Broschüre

,d ie Novel le in e in em

Bändchen ersch ienen wäre . Wir könn en getrost sagen : mehrals d ie Hälfte der deutschen Bücher wü rde in Amer ika nur

im Zeitschriftenrahmen ‚erscheinen . Dabei mögen noch immerbedeutsame Versch iedenheiten in der Produktion selbst bestehenb leiben . S o werden in Deutsch land sicherl ich mehr med iz in ischeund j uristisch e Werke verfaß t als in Amerika

,sowie in Amerika

woh l sehr viel meh r eigen tl iche Essays und kurze Erzä h lungengeschr ieb e n werden . Aber d ie Gesamtmasse des Verfaß ten dürftedie gleiche sein und n ur von der Masse, n ich t etwa vom Werte,so l l te h ier d ie Rede se in .

Noch mehr aber versch iebt s ich das Verhaltn is,wenn d iese

Hochfl u t der Zeitschriftenliteratur unter dem Gesichtspunkt desLesequan tums betrachtet wird . Erst du rch d ie Auflagenhöhewird d ie Bedeu tung der amerikan ischen Zeitsch rift verständ l ich .

Ziffernmä ß ige Vergle iche m it deutschen Verhä ltn issen anzustel len,

hat da kein en Sinn , denn es handel t s ich um fast Unvergleichbares .Vom amer ikan ischen Standpunkt ersche inen d ie meisten deutschen Zeitschr iften un ter Aussch luß der ! ffen tl ichke i t . DerKenner deu tscher V erhältn isse wird d iese Auffassung begreifen

,

wenn er hört, daß im vorigen Jah re h ier d ie Monatssch r iften a l lein

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I 52 Bücher und

also von 1250 Mark, genau das fünfzigfache . Das Charak

teristischste aber ist, daß d ie betreffende deu ts che Monatssch rifttrotz der winzigen H onorarzahlungen, trotz der n iedrigen deutschen D ruckerlöhne und trotz der Dünne ihrer Hefte jährl ichim Abonnemen t 24 Mark kostet, d ie amer ikan ische dagegen tro tzfünfz igfach größerer Honorare, trotz fabelhafter Arbeits löhn e,trotz umfangre icheren Inhal ts jährl ich im Abonnemen t nur 6Markver langt . Mögl ich w ird das zum Tei l durch das ausgedehnteAnzeigenwesen ; d ie Stat ist ik behauptet, daß im letzten Jah r mehrals vierhu ndert Mil l ionen Mar k für Geschaftsanzeigen und Reklamen in amer ikan is ch en Ze i ts chr iften be zah lt wurden . Aber derpraktische Amer ikaner würde so l ch e Summen n ich t an legen ,wenn n icht d ie großen A bsatzziffern der B lätter und Hefte so l cheAusgaben rechtfertigten . Im Grunde kommt doch al les daraufh inaus, daß das amerikan ische Publ ikum so lch unersättl ichen Lesehunger hat. Und das geh t durchs ganze Land : in en tlegenenBergnestern von Idaho fand ich d ie Newyo rker

,Bostoner und

Philadelphiaer Wochen und Monatsschriften stapelweise zum

Verkauf . Für d ie wen ig schmeichelhaften“ Betrachtungen überdas Lesebedürfnis des amerikan ischen Vo lkes l iegt also s icher l i chkein An laß vor .

Und trotzdem sagte ich von vorn herein , daß ich IhrerKunde n ich t w idersprechen wil l

,d ie da behauptet, daß d ie Zah l

der Buchhand lungen stetig im Rückgang sei . Wie reimt s ichdas zusammen ? Vielerlei sp iel t da ineinander . So l che Verhältn isse dürfen eben n icht nach Symptomen beurtei l t werden , d ieunter andern , etwa den de utschen Gewohn heiten e twas ganzan deres bede uten . D ar ube r kann ja ke in Zwe ife l se in , daßd ie Gestal tung des deutschen Buchverkaufs, gleichvie l ob mans ie lobt oder tadel t, j edenfal ls ein e seh r künst l iche, von andernGeschäftszweigen wesen tl ich versch ieden e ist und daß sich d iegleiche Aufgabe viel le icht auch gan z anders losen läß t . Es muß

j a dem Deutschen seltsam kl ingen und doch steh t es fest, daßso man cher Amerikaner e ine ‘

schöne Büchere i sein e igen nenn tund doch n iemals eine Buchhandl ung betreten hat und n iemalsmit e inem e igentl ichen Buchhändler in Beziehung stand . Inkleinen Städten , in denen viel le ich t e in halbes Dutzend woh l

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Zei tschri ften . 1 53

versehener J uwel ier laden zu treffen s ind , f indet man oft n ich tein e einzige wirkl ich e Buchhandlung nach deutscher Art

, und

daß ihre Gesamtzah l im Lande zu rückgeht,ist sehr wahrsche in l ich

.

Selbst in den größ eren Städten ist der Bucherverkauf mehr undmehr Nebengeschäft der Pap ierhand lungen oder der Warenhäuser geworden . Echte Buchhand lungen m i t vielsei tigem Lagerund ohne sonstige Zutat finden sich e igen tl ich n ur in den großenStädten . Meist hande l t es s ich sonst um kleine Lager m it denn euesten Romanen , S chu lbuchern und Klassikern zwischen Tinteund Briefbogen oder um Massen lager von Werken zu Sch leuderpre isen zwischen Stiefe l und Badeanzügen .

Drei andere Wege stehen offen und sind v iel bedeutsamer.Der Verleger sch ickt d ie Bücher unm ittelbar an den Käufer .Sobald ich ein Buch wil l, sch reibe ich e ine Postkarte an dasVerlagshaus und erhal te es m it der nächsten Post. In gleicherWeise erhal ten d ie Abonnenten der Magaz ine i hre wochentlichenoder monatl ichen Hefte stets vom Ver lagshaus . Erle ich tert wirdd ieser Geschäftsverkehr ohn e Zwischenhändler durch d ie hoheAusb i ldung der Scheckzah lung. In e in em Lande, in dem jedermann auch d ie kl einsten Rechnungen m it Bankscheck bezah lt,ist Bestel l ung und Versand natürl ich viel einfacher und bequemerals dort

, wo d ie umständ l i chen Postanweisungen und Barzah lungen üb l ich sind . Erreich t werden so l l dam it d ie A usschaltung des H andlerverdienstes ein e unnötige Verteuerungder Bücher durch den Gewinn der Verm ittler wird vermieden .

Daß so l che Verteuerung in Deutsch land übl ich ist, wird ja von

vielen Seiten bedauert. In der Tat empfindet das ja jeder, derim A uslande l ebt . Hier in Boston erhalte ich d ie de utschen Werke ,die ich von Berl in und Le ipzig empfange, trotz des Portos nochimmer erheb l ich b i l l iger als früher

,da ich in Fre iburg lebte ; nach

dem Ausland darf ja m it bel ieb igem Rabatt verkauft werdender In landpreis ist som i t künstl ich hochgehal ten . Wenn ichfrüher in Freiburg etwa ein wissenschaftl iches Werk zum Pre isevon hundert Mark kaufen wo l l te, so ging ich zum Buchhänd lerdort, bestel l te es, er schrieb ein e Postkarte nach Le ipzig undsch ickte m ir nach e iner Woche das Werk zu für d ie Verm i ttl ungerh iel t er 25 Mark und der Verleger empfing 75 Mark . Unter

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I54 Bücher u nd

amer ikan ischen Zustanden hatte ich se lbst d ie Postkarte geschr ieben und der Ver l eger hätte ohne Verl ust m ir das Werksofort für 75 Mark zusenden können .

In gewissem S inne trifft das zu . Trotzdem muß n icht vergessen werden

,daß e in so l ches System doch e inen seh r erheb

l ichen Apparat voraussetzt,um das Erschein en n euer Bücher

zu al lgemeiner Kenntn is zu bringen . Wenn das neue Werk inkein em Schaufenster au s l i egt oder zur Ans ich t gesandt wi rd , sohängt viel von den Anze igen ab . Gewiß tun d ie kr i tischen Besprechungen in den Ze i tungen das ihrige . Trotzdem b le ibt amwirksamsten die Benach richtigung der mogl ichen Käufer du rchAnkündigungen in den Tagesblättern und vor al lem in denMagazinen

,dann aber d ie Aussendung von Z i rku laren und Probe

heften . Jedes größere Ver lagshaus wie d ie H oughto -n M ifflin ,

M acM illan,Scribner usw . sen det j eden Monat in H underttausenden

von Exemplaren i l l ustrierte A nzeigenhefte in die Welt, um auf

ihre Neuerschein ungen aufmerksam zu machen . Oft br ingt d ieMorgenpost einen ganzen Stapel so l cher D rucksachen , d ie s ichin Ausstattung

‚überbieten . Ob al les das n ich t sch l ieß l ich d ieUnkosten des Ver legers wieder ebenso in d ie Höhe schraubtw ie der Zw ischenve rd ienst des Buch händ lers , mag doch nochein e Frage se in ; d ie Verb i l l igung ist somit doch v iel le icht nuri l l usor isch .

Der zweite Ersatz fur d ie deutsche Buchhandlung ist derVerkauf am Zeitungsstand . In j edem Ho tel , an jeder Ha l testel l e,an Straßenecken und in Läden

,überal l gibt es reichbesetzte

Verka ufss tän de für Ze i tungen,Wo chenb lätte r und Monats

schr iften . In mancher mittelgroßen amerikan ischen Stadt s in dmeh r Verkaufsstel len für period ische L i teratu r als in gan z Berl inm it a l l sein en Bahnhöfen und K iosken

,und überal l l iegen

Dutzende der bel iebteren Magazin e in hohen Stapeln zu r A us

wahl . Dieser Vertr ieb der Ze i tschriften durch Einzelverkauf unabhängig von Buch läden ist glän zend organ is iert .

Und dazu gesel l t sich dr i ttens der Bucherverkauf du rchAgenten

,d ie m i t ihren S ubskriptionsscheinen i h re Opfer auf

suchen . Besonders auf dem Lande sche in t d iese Fo rm außerordent l iche Bedeutung zu bes i tzen . G roße Ver lagshäuser, di e

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1 56 Bücher und

Die Herste l l ung von Druckerzeugn issen und der Absatzin den Verein igten S taaten is t a lso in al len Rich tungen ungehe uer ,obgleich d ie Buchhandlungen spär l ich und im Rückgang begr iffen s ind . Im Jahre 1905 gab es 26 422 Druckere ien imLande

,und i hre Erze ugn isse hatten e inen Wert von 496 061 357

Do l lar, a lso mehr als zwei M illarden Mark ; in ke inem anderenLande wird so viel gelesen . Trotz al ledem bleib t es n un aberunbestreitbar

,daß es besser wäre, wenn es m it den Buch

handlungen anders stände . Das gegenwärtige System zerreibtd ie Buchhandlungen und laßt für s ie kaum einen würd igenPlatz übr ig ; sie schein en auf dem Aussterbeetat zu stehn . DieSchäden s ind aber unverkennbar. Ob ein Buch E indruck imLande macht und Massenabsatz findet, hängt mehr un d mehrvon der Reklame ab

,d ie der Verleger zu bezah len bereit ist .

Ein Buch,das n ich t kräftig ausposaunt wird , wird garzuleicht

übersehen . . J e mehr d ie ne utral e Parte i des Buchhandlers ausgeschal tet wird

,desto mehr wird der Käufer von den einseit igen

Einfl üssen der rivalis ierende'

ri Verleger abhängig. Dazu kommt,daß d ie hohen Kosten der Reklame immer n ur dem neuestenBuch zur Verfügung geste l l t werden können , d ie äl teren müssens ich selber helfen . S o kommen und verschwinden d ie Bücherin Amerika in unheim l ich schnel lem Rhythmus . Langsam istdenn auch in we i ten Kre isen , vornehm l ich aber im Kreise derVerleger selbst, die Empfindung gewachsen , daß es so n ichtweitergehen kann . Das wechselsei tige Überb ieten der Verleger,das sch l ieß l ich den Buchhänd ler gan z ausschaltet

,hat e inen

Punkt erreicht, an dem die Reaktion unvermeid l ich ist : d ieBuchhandlung muß wieder zur Geltung kommen . Schöne rei cheLager, Ansichtssendungen , Schaufenster müssen wieder mehrin den gemeinsamen D ienst geste l l t werden

,auch wenn der

Zwischen händler das Buch verteuert das Wegfal len der kostspieligen Reklame wird den Untersch ied decken und vor al lemein kraftvo l ler lebend iger Buchhande l wird den Umsatz steigern .

Denn dar in s in d s ich a l l e Ken ner e inig : tro tz d es M as senab

satzes ist doch erst d ie Oberfläche .d urchfurcht ; w i rd der Bodenbesser gelockert, so kann das Land be i dem hohen Lebenszuschn itt noch sehr vie l mehr Bücher verb rauchen .

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Zei ts chri ften . 1 57

Eine Organ isation nach deu tscher Art ist dabe i n ich t zuerwarten . Zu vie le Vortei l e des jetzigen Systems würden daverlo ren gehn . Es gi l t v ie lmehr, d ie he utigen Verhältnisse so

weiterzuentwickeln , daß ne ues gewonnen w ird , ohne al tes zuzerstören . Der voraussichtl ich nächste Sch ri tt laß t s ich dahervo rausseh en : d 1e Verleger selbst werden zusammengehn undgroße schöne vornehme Buch läden für ihre Bücher gemeinsamerrichten . Von den j etzigen Buchhandl ungen ist kein Ausbauzu erwarten

,denn mit verschwindender Ausnahme ist der Buch

handel he ute n ich t kap italkräftig, außer wenn er e in Anhängselan das Warenhaus ist . Erst wenn d ie Ver leger gemeinsameSache machen

,wird der Buchhande l wieder zu Ehren kommen .

Erst dann wird viel l e icht auch d ie Zei t kommen , in der dasauslä nd ische Buch Auss icht gewinnen wird , den Leser zu erreichen . Heute ist d ie Einfuhrung deutscher und französischerBücher ein er verschwindend kle inen Zah l von Spezialbuchhandl ungen vorbehal ten ; auch da könnte d ie Nachfrage leicht um

ein vielfaches gesteigert werden . Die deutschen Autoren hattendaran ein viel größeres In teresse als an der Umgestal tung desun zureichenden A utorenschutzes, denn was da über den Nachdruck deutscher Werke und über en tgangene Honorare in deu tschen Köpfen herumspukt

,ist e ite l Hirngesp inst . Gewiß s ind

d ie Nachdruckgesetze der Reform arg bedürftig, aber d ie Reformdes Buchhandels brächte dem Deutschen vie l re icheren Gewinn ,und wenn die Zeichen n ich t trügen , wird d ieser Schri tt schonmorgen vo l lzogen sein .

Besch leun igt wird d iese Bewegung durch die Entscheidungendes obersten Ger ich tshofes . Der Deutsche macht s ich n urschwer klar

,wie sehr d ie deutschen Gewohnheiten dem ameri

kan ischen R echtsbewußtsein widersprechen würden . Die gan zeOrgan isation des deutschen Buchhandels würde i n Amerika j uristisch unhal tbar se in . Liegt doch d ie ganze Kraft der deutschenVerein igung der Verleger darin , daß sie gemeinschaftl ich ke ineBücher an Buchhandlungen abgeben , d ie m it ihrem Verkaufspreis un ter d en fes tgeste l l ten Ladenpre is hinabgehn . Der

oberste Gerichtshof in Wash ington hat längst festgestel l t, daßdas ein e ver boten e Bee in trächt igung des wi r tschaf tl ichen Wett

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1 59 Bücher und Ze i tschrif ten .

bewerbs war e , und der Amer ikaner in se iner nervösen Furch tvor Monopo l en ist n i rgends empfin d l icher als be i de r E rdrosselung des freien Handelsverkehrs . Die e inz ige M ögl ichkeit, ein enbestimmten Verkaufspreis zu erzwingen , ist also auf d ie Abmachungen des einzeln en Verlegers m it den ein zelnen Buchhand lungen beschränkt ; j eder Zusammensch luß der Ver legerist verboten . So l che E inzelabmachungen können aber auf v ielenWegen umgangen werden , un d immer wieder haben die Verleger vergeb l ich vor Ger ich t gegen d ie Warenhäuser gekämpft

,

d ie besonders bel iebte Bücher zu Sch leuderpreisen ohne Verd ienst verkaufen , um Kunden in d ie Läden hineinzuziehn . D ieVerleger versuch ten neue Methoden , in dem s ie den Ladenpre isin das Copyright einsch lössen

,aber auch das hat der oberste

Gerichtshof n icht als b indend anerkann t ; der Verkauf des Bucheszu bel ieb igem Preis kann n iemals e ine Verletzung des Copyrightssein . Überdies würden v iele Werke

,wie eWa Neuausgaben von

Klass ikern und äl teren Werken , grundsätzl ich ungeschützt se ingegen den Sch leuderverkauf. Der einzige Ausweg ist gegenwärtig, daß der E inzelverleger mit den Buchhand lungen einenVertrag s ch l ieß t, se in e Bücher nur zu best immten Preisen zuverkaufen und im Fal le, daß der Buchhänd ler dann zu n iedri

gerem Preise übergeht, wegen Vertragsbruch s ich weigern darf,an ihn we iter zu l iefern . Aber selbst dem sind gesetzl ich engeG ren zen gezogen , und so b leibt denn sch l ieß l ich n ichts übrig

,

als daß die Verleger end l ich anfangen,selbst gemeinschaft l ich

glänzende B uchhandl ungen zu errich ten . Erst dann wird d iesel tsame Ersche in ung verschwinden , daß gerade das Vo l k, dasam me isten in der Welt l iest, sich m i t den klägl ichsten und

dürft igs‘ten Buchhand lungen°

zufr ieden gibt .

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1 60 Zei tungserfindungen .

kan ischen Nach r ich ten aus der sozialen Sphä re, aus dem Salonund dem Vo l ks leben , aus dem Gerichtssaal und aus dem Theater,d ie Nach richten über Berühmtheiten oder Berüchtigtkeiten,

überErfindungen und Moden und Sport und Verb rechen

,über

Wissenschaft und Kunst und L i teratu r,uber Techn ik und ameri

kan ischen Humb-ug“ a l les ist so sch ief und verzerrt und

sinn los, daß das Körnchen Wahrheit meist nur schwer zu f indenist . Gewiß br ingen auch d ie amerikan ischen Blätter manchesTörichte und Unmögl iche über Deutsch land und oft versteh tman kaum

,wie es mögl ich ist, deu tsche Verhältn isse so miß

zuverstehn und auf den Kopf zu stel len . Und trotzdem wirdes von den deutschen U nsinn igkeiten über amerikan isches Lebenweit übertroffen , und in d iesen unpo l i tischen D ingen tre iben esdie engl ischen und fran zösischen B lätter z iem l ich ebenso arg.

Zufal l i st das al les j a n ich t, denn o ffenbar wird da hauf igbewußt noch nachgeho l fen . Manchmal läß t s ich Schr itt fürSch r i tt verfo lgen

,wie s ich ein e harmlose Kunde langsam mas

kiert, bis sie grotesk und ungeheuer l ich ausschau t . Häufigernoch wird sie von Anfang an für den Geschmack der euro

päischen Leser zurechtgestu tzt, d ie ja n un einmal aus Amer ikadurchaus S uperlativnachrichten hören wo l len und d ie D ingevon j enseits des Ozeans um so sicherer glauben , j e unglaub l ichersie kl ingen . Lynchgreuel und frei erfunden e K orruptions

gesch ichten sind in letzter Zeit etwas außer Mode gekommen ,so wie in den amerikan ischen Zeitungen d ie Berichte überdeutsche So ldatensch inderei und S ozialistenverfo lgung langsamverschwunden sin d . Dafür ist aber auf be iden Se i ten reichl icher Ersatz aus anderen Quel len geflossen . Daß al les das vonernster Bedeu tung auch im po l i tischen Sinne ist, so l l te n ich tübersehen werden . Gewiß s ind Völkerbeziehungen n ich t nurvom Gefüh l abhängig, aber daß d ie Gefüh le de r sozialen Sympath ic und Antipath ie im letzten Grunde d ie w ichtigsten Kräfteim Völker leben sind , hat sich immer wieder erwiesen . Und dasgil t bei dem heutigen Ze i tungswesen meh r als früher . Herrsch tal lgemeine freund l ich e St immung

, so kann heute auch der bedeutsamste po l i tische Streitpunkt schne l l von al len Gefahren befre it und sach l icher Erl ed igung zugeführt werden . Herrsch t

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Zei trmgserfindungen . 6 1

sozial e Abneigung und Gereiztheit, so kann m it telegraph ischer

Geschwind igkeit auch der kleinste Zwischenfal l zur internationalen Strei tfrage aufgebausch t werden und le icht dann zuschweren Mißhe l l igke iten we itefiuhren . Nich ts aber weckt d iesesozialen Gefüh le der Zuneigung und Abneigung zu fremdenVö lkern unmittelbarer als d ie tausend kleinen Nachrichten

,d ie

uns unab lässig in der tägl ichen Lektüre zufl ießen . Erst heutefrüh erh iel t ich e ine Be rl in er Zeitung, ein es der ernsthaftesten undbes ten B lätter , in der e in sogenannter deutscher Ber ich ters tatter ein Gespräch m it Grover C levelan d auftischt . Er trafClevelan d vor e in igen Jahren in se in em La n dhaus , wie er Angelschn üre ordnete . Er versuchte, po l itische Ansichten aus demExpräsiden ten herauszu ho len ; der aber sah ihn mit den zweigro ßen wasserb lauen Augen durchdr ingend an“ und sagte

„J unger Mann

,Po l i tik ? I ch ? Nein , ich habe das mein ige und

bin fertig ; mögen d ie anderen j etzt sehen , wie s ie auch fertigwerden .

“ Und der vie lversprechende In terviewer fügt h inzu :Grover hat s icher se in Schäfchen ins Trockne gebracht,

“ unddann fährt er fort : So wurde schon damals dem amerikan ischenVo lke der schöne po l itische Grundsatz eingetränkt, daß al le po l it ischen Führer

,ob Demokraten oder Republ ikaner, Sp itzbuben

seien . Das s chre ibt e in führendes Berl iner B latt im Jahre 1908

ohne Kommentar auf se in er ersten Se ite, offenbar ohne ein eAhn ung davon , daß Cleveland ein e der idealsten , reinsten und

s ittenstrengsten Persön l ichkeiten unserer Zeit ist. Würden S u

de leien so l cher Art, etwa über e inen deutschen Reichskan zler,sich in d ie Redaktion einer großen amer ikan ischen Zeitung verirren

, so würden s ie wo h l kaum dem Pap ierkorb entgehen . An

Torheiten feh l t es dort a ber ebensowen ig.

Blatt f inde,in dem Betrachtungen über deu tsche Frauen von

May Irw in n iedergelegt s in d . May Irwin is t e in e be l iebteSoubrette sie hat soeben Deu tsch land besucht und veröffent

l ich t n un in den H earstschen Zeitungen i hre „Eindrücke“

. Ichdanke dem Himmel

,daß ich dort n ich t zu leben b rauche .

Die deu tschen Frauen sind einfach ein Witz ' Diese

M ü n e t.e r b e r g A us Deuts ch -Am er ika.

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1 62 Zei tu ngs erfindungen .

Figu ren ! Würden s ie Ko rsetts m i t gerader Fron t tragen ,so würden sie sich verbiegen ; i hre Tail len sin d mehrereZo l l we iter als ihre Büsten . Wir waren zur HugenottenGalavo rstel l ung im Kön igl ichen Opern haus se lbst in Waukeshao der im h in terst—en Pennsylvan ia habe ich nich t so fürchter

l i ch angezogen e Frauen gese hen . N irgends in der Welt we rden d ie Frauen so respektlos be handel t wie in De utschland . Ich

"

sah,wie deutsche So ldaten Frauen in den Rinnstein

h inabstießen,ohne s ich we i ter darum zu kümmern . Höfl ichkeit

zu Frauen gibt es so wen ig w ie bei den Zu l us u . s . w. , u . s . w.

Engl ische H etzagenturen wußten sehr woh l, warum sie e in eZeitlang den Kampf gegen Deutsch land in der amerikan ischenPres se gerade d urch so l che win zigen Verle umdungen führten .

Eine gro ße we ith in s ich tbare Lüge läßt s ich schnel l aufklaren , unddie Schmach fäl l t auf den Lügner zu rück. Aber d ie kleinenEntstel l ungen , d ie e in zeln kaum der Ber ichtigung wert s in d undmeist gar n icht greifbar schein en

,d ie sammeln sich in der

Phantasie der Lesermassen an . Hat s ich erst e inmal der unbestimmte Eindruck geb i ldet

,daß jenes fremde Vo l k aus Heuch lern

und Schwind lern un d Protzen und R eklamemachern besteht,daß d ie Rechtspflege unzuver lässig

, daß d ie Po l i tik von Korrupt ionangefressen und d ie Gesel lschaft ?wu rmstich ig ist

,dann ist das

Sp iel der po l itischen Hetzer gewonnen . Gerade in den Kulturnachr ich ten des Feu i l letons so l l te somit Besonnenheit und

Geschmack vorwal ten . Der Redakteur, der über sein e Zeitungsspal ten h inausb l ickt

,muß sich bewußt b leiben

,daß so l ch e Fahr

lässigke it s ich rächt und daß es weiser ist,ein e amer ikan ische

To l lheit ungedruckt zu lassen , als j edes abs ichtl iche oder unabs ichtl iche Mißverständn is, wenn es s ich nur rech t absurd gel

bärdet, in al l e Winde zu verstreuen .

Es mag der Mühe lohnen,an ein em Beisp iel einmal nach

zuweisen , w ie so l ch e M ißverstandn isse en tstehen . Ich könnteleicht überraschende Be isp ie le von der abs ich tl ichen“ Spielartaus den letzten Monaten wählen . Aber was ich da auch herausgreifen könnte, es würde no twendig zu weiteren Erörterungenund unerqu ickl ichen Auseinandersetzungen führen und so d ieVerstimmung ste igern

, d ie ich gerade vermeiden wil l . Da wah le

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1 64 Zei tungserfindungen .

zu meiner Enttauschung d ie Masch in e bei ihm versagt hatte, daer sich durchaus n icht aufregen wo l l te . Dagegen hoffen d ie Gerichte

,daß ich den nervösen Herrn Thaw mit Erfo lg un ter den

A utomentographen nehmen werde .

Bei einer Erf indung von so l cher Tragweite muß es fur d ieWel t von Wert sein , auch ihre Gesch ichte beleuch tet zu sehen .

Erst dann tri tt d ie Größe meiner Errungenschaft gan z hervor .Denn dann stel l t s ich näml ich heraus, daß ich al le d iese Apparateerfand

, ohne selbst etwas davon zu wissen ; ja, daß zu der Ze i t,

als d ie Wundernachrichten von der Harvard-Un iversität in Bostondatiert wurden

,i ch ahnungslos den Sommer im Seebad zu

brach te, und daß ich mein psycho logisches Laborator ium damals

seit drei Monaten n ich t betreten hatte .Spreche ich ernsthaft, so scheue i ch mich fast, gebi ldeten

Lesern erst zu versi chern,daß Sphygmograph und Pneumograph

so wen ig meine Erfindung sind wie Phonograph und Telegraphseit Jahrzehnten sind sie in jedem physio logischen Laborator iumzu finden . Daß „mein

“ Sphygmograph in vielen deu tschenBlättern auf den Rucken geschnal l t werden mußte, rührte offenbar da her, daß irgend e inem deutschen Jo ur nal isten in NewYorkdas engl ische Wort für Handgelenk n ich t bekann t war . DerAutomatograph ist überhaupt kein Apparat, sondern d ie von j eherüb l iche einfachste Vorrich tung, um unbeabsichtigte Bewegungenzu markieren . Ich habe noch n iemals auch nur den ger ingstenVersuch gemacht

,irgend einen Verbrecher oder Gerichtszeugen

mit d iesen Bandagen zu'

belästigen . Viel le ich t lohn t es abertrotz al ledem , der Gesch ichte d ieser Erfind ung— ich meine , d ieserJou rna listenerf indung zuzuschauen , we i l s ie doc h eben d ieMethode charakteris iert . Sie läßt ahnen

,wievie l Tör ich tes wir

al le tägl ich als Neu igkeiten gläubig h innehmen müssen,und

sie macht vö l l ig klar,daß d ie S elbstlügenschreiber

“ n icht ersterfunden zu werden brauchen .

Wahr ist es, daß ich , wie Dutzende deu tscher Psycho logen ,mich m it den Beziehungen der experimen tel l en Psycho logie zumGerichtsverfahren beschäftige . Ich habe

,um die Ju risten dafür

zu in teressieren , au ch ein paar popu läre Aufsätze über d iesesThema in amerikan ischen Zeitschriften veröffentl ich t ; s ie befassen

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Zei tungserfindungen . 1 65

sich m it Erinnerungstäuschungen,I l l us ionen der Wahrn ehmung,

Suggestionen , A ssoziationsmessungen und ahn lichem ; dagegenwar von Puls, Atmung und unbewußten Bewegungen da mitke inem Wort d ie Rede . Wahr ist auch

,daß ich Experimente mit

Orchard machte,und zwar Experimente

,d ie n ich t m it einer

„Enttäuschung“ endeten

,sondern im Gegentei l ungewöhn l ich

in teressan t und e rfo lgreich waren . Es handelte s ich vornehml ichum d ie Zeitmessung von Vorstellungsassoziationen, ein e krim inalpsycho logische Methode, für welche d ie ersten Anregungen von

Deutsch land und der Schweiz kamen .

Als ich von dem Orchardprozeß in Idaho zurückkam , verfo lgten m ich d ie Interv iewers, um herauszufinden , was ich dortgetan . Da meine Experimente led ig l ich im D ienste der Wissenschaft un ternommen waren , lehn te ich es rundweg ab , denZe itungen Auskunft uber mein e Versuche zu geben , zumal derProzeß noch lange im Gang war. D a das Pub l ikum aber durchaus etwas hören wo l l te , sch l ug der New-Yo rk Herald einenMitte lweg ein und forderte irgend ein en j üngeren Psycho logenauf, ein en Art ikel darüber zu schreiben , wie weit d ie Psycho logiewoh l imstande wäre, festzustel len , ob O rchard lügt . Der anonymeKo l lege sch r ieb e inen vo l lkommen korrekten Aufsa tz , der e in eganze Seite des Herald fül l te . Er sch i lderte d ie A ssoziations

methode, d ie ich tatsäch l ich verwandt hatte, und beschriebzweitens d ie üb l ichen Methoden der Pu ls und A temregistrierung

mit dem Zufügen,daß es woh l denkbar wäre, daß ich auch d iese

bei Orchard angewendet hätte .

Dieser ganz harmlose hypothetisch e Artikel hat al les weitereUnhei l angerichtet. Zunächst wurde er in einem Bostoner Blattabgedruckt ohne d ie Zufügung, daß al les das n ur Vermutungendes anonymen Verfassers seien ; h ier war es schon

Tatsache,daß ich Orchards Puls und Atmung stud iert habe. Und auf d ieserGrundlage wurde nun nach London gekabel t, daß ich me in

„Lebenswerk durch d ie Erfindung von Apparaten gekrön t, mitden en Pu ls und Atmung gemessen werden können". Von

London kam es nach Amerika zurück und flog nun erst du rchsgan ze Land

,und ebenso g ing es von London und später auch

von New York nach Frankre ich und Deutsch land .

Dabe i en twickelten s ich aber bald ku l turh istorisch in teressan te

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1 66 Zei tungs erfindungen .

Variationen'

. D ie'

Amerikaner nahmen es vor al lem po l i tisch ;immer

w ieder h ieß es,daß mein Apparat Präs ident Roosevel t

angeschnal l t werden so l le, wenn vom dritten Term in d ie Redeist. Die Franzosen betonten mehr die Liebe ; sie wo l l ten H eiratsanträge m i t dem Ontomatographen

“. Die Engländer ergötzten

sich an den soz ialen Konsequenzen , wenn erst j eder nun j edemd ie Wahrheit wird sagen müssen . Die Deutschen zeigten wen igerHumor

,aber mehr Gründl ichkeit ein ige deutsche Redaktionen

merkten w en igstens,was kein französisches oder engl isches Blatt

gewußt zu haben schein t,daß der Sphygmograph und Pneumo

graph n ich t gerade neue Wunder s ind ; ein ige wurden auchärgerl ich übe r d ie ame r ika n ische „Abgeschmacktheit

, währendvon anderen gele hrte Abhandl ungen darüber gebrach t wurden ,wie me ine Apparate verbessert werden könn ten . Aber n ichte in e inziges deutsches Blatt nahm sich d ie Mühe

,bei m ir an

zufragen, ob d ie Nachricht auf Wahrheit beruh t. In zwischenwurden in al len Ländern meine Erfindungen lyrisch verarbeitet ;i hre Verwendung im Drama ist woh l erst der Wintersaison vor

behalten . Selbstverständ l ich schr ieb ich von der See an immerneue Blätter

,daß an al ledem kein wahres Wort sei

,aber Dementis

wandern langsam und unbeachtet . Und wer gibt sich d ie Mühe,in Europa nachzuprüfen , wieviel echt amerikan ische“ Gesch ichten unserer Zeitungen gerade ebenso l che Phantasiegeburtensind !

Ware h ier der Platz,ein Wort zum sach l ichen Problem zu

Sprechen , so würde ich sagen : ich glaube in der Tat, daß d ieZeit n icht mehr fern ist

,da der psycho logisch e Sachverständ ige

in dem Gerichtssaal sein en Platz neben dem Psych iater undChemiker finden wird . D ie schnel len Fortsch ri tte der experimeri

te l len Psycho logie in den letzten Jahren haben zu vie l wertvo l leWege eröffnet, als daß s ie dauernd für d ie Arbeit des Gerich tshofs unbenu tzt b leiben dürfen . Die Fragen der Wahrnehmung

,

der Erinnerung, der Aufmerksamke it, des Gefüh ls, des Wil lenssp ielen e ine zu wichtige Ro l l e im

‚ Strafprozeß . Etwas zweife lhafter b in ich schon bezügl ich der Assoziationsversuche zur

Entdeckung des S chu ldbewußtseins . Gerade da eröffnen s ichweite Perspektiven , aber d ie Untersuchung ist doch woh l noch

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Amerikanische und deutscheWissenschaft.”

ie akadem ische Welt Amerika s war kurzlich von e in erle ichten Erregung ergr iffen , die auch heu te noc h nich tvö l l ig geschwunden ist. Hin und Wid erreden , E rklä

rungen und Berich t igungen , Angriffe und Verteid igungen warenauf der Tagesordnung, und a l les das war ausgelöst durch ein eseltsame Festrede, d ie Owen Wister in der großen Au la derHarvard-Un ivers ität in Boston gehalten . Owen Wister, der inPh i ladelph ia lebt

,ist selbst kein Geleh rter ; er ist e in l iebens

würd iger Schriftstel ler,dessen h istorische Romane weith in be

l ieb t s ind . Als alter Harvardstuden t war er eingeladen worden ,die Paraderede bei e iner Un ivers i tätsfeier zu halten , bei derdem Herkommen gemäß gewisse akadem ische Ehrenp reise fürbesonders tüchtige Studen ten verkündet werden .

Diese Gelegenheit,einmal zum ersten akademischen Audi

torium des Landes zu sprechen,war offenbar zu ver lockend ;

statt der bei so l chem An laß üb l ichen Begeisterungsansprache

h ie l t er ein e übe rhaupt n ich t fur Studen ten , sondern für d ie anwesenden Professoren bestimmte Rede über d ie Schwächen deramerikan ischen Wissenschaftsproduktion . Er ging aus von dergewalt igen En twickl ung amerikan ischen Wirtschaftsleben s

,mit

dem mächtigen Übergewich t der Ausfuhr über d ie E infuhr, und

vergl ich dam i t d ie Wissenschaftspflege,bei der noch immer der

amerikan ische Import vie l größer se i als der Expo rt. Trotz deraußerordentl i chen Aufwendungen für d ie Un ivers itäten le iste d ieamerikan ische Forscherwelt h eute noch n ich t so vie l wie d iedeutsche ; den Beweis dafür erbrach te er statistisch : für jedeswissenschaftl ich e Einzelgeb iet nann te er den hervorragendstenlebenden Gelehrten und wies nach , wie groß dabei d ie Majoritätder Deutschen , wie klein d ie M inori tät der Amerikaner sei .

Veröffen tl icht in der »Deutschen Revue«. 1 90 8.

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Am erikani sche und d euts che Wis senschaft. 1 69

Die Zeitungen des ganzen Landes berichteten über d ieRede , und d ie Angr iffe gegen Wister erfo lgten aus den verschiedensten Richtungen . Der erste Empörungssch rei von al lenSeiten war : Wie taktlos ! Ein Novel l ist wi l l über Gelehrte zuGerich t s i tzen und gar in Anwesenheit der Studen tenschaft !

N un läß t s ich gew iß gegen Wisters Vorgehen mancherl e i sagen ,und doch wäre d iese Art Widerspru ch gegen den Ank läger besserunterb l ieben . Wenn näm l ich irgend etwas den h ies igen Wissenschaftsbetr ieb schädigt, so ist es d ie Überbehutsamkeit, mit derj ede scharfe Kr i tik vermieden wird , um n ur n ich t jemanden zu

ver letzen . Po l itischer Parteienstreit gi l t als unpersön l ich ; aberj eder persön l iche Strei t gi l t in Amer ika a ls ern iedrigend , j eder‚Tadel als taktlos . N un ist j a deutscher Professorenzank inder Tat manchmal n icht erhebend, aber wenn Geleh rte s ichimmer nur wechselseitig zu ih ren Leistungen beglückwünschen ,so l e idet d ie Sache viel l e icht doch noch mehr . Es gi l t ja vom

gan zen sozialen Zusammen leben der geb i ldeten Amerikaner, daßman n iemals lauten Widerspruch hört und n iemals ein er demandern ins Wort fä l l t ; gewiß g ibt das dem Ganzen ein e feinabgetön te Ruhe

,die vorn ehm und sympath isch wirkt, aber d ie

Arbeit der Wissenschaft muß nun e inmal auch wirk l ich e inKampf um d ie Wah rheit se in , und in vom ehmer Zurückhaltungläßt sich n ich t kämpfen .

Tiefer d r ingend,aber sicher l ich noch bedenkl icher war ein

an dres Argument gegen W ister,das immer wieder in den Er

örterungen auftrat. Se ine gan ze Anklage, so h ieß es, steht undfä l l t m it se in er Voraussetzung, daß der deutsche Typus desWissenschaftsbetr iebes der einzig berechtigte ist . Die deutscheWissenschaft

, so argumentierte man , besteht in der sorgsamenAusgrabung und Anhäufung trockener Tatsachen ; so sehr man

auch d ie Gew issen haft igkeit, Gründ l ichkeit und Nützl ichkeitd ieser M ethode anerkennen musse, so sehr müsse man zugleichbetonen , daß es n icht d ie ein zige und n icht e inmal d ie höchsteArt der Wissenschaft se i . Gar zu lange habe man versucht,d iese dürre Arbe itswe ise den amerikan ischen Un ivers itäten auf

zuzwangen, obg leich so l ch un lebend iger Betrieb ganz im Wider

spruch steh e zu der Geisteswe ise des Amerikaners, der stets d ie

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1 70 A m erik anis che und

Füh lung mit dem pu lsierenden Leben sucht. Wenn der Amerikaner bei so l cher Kärrnerarbeit h inter den Deutschen zu rückb le ibe

, so sei d ies s icher l i ch kein Vorwurf . Meh r als d ie fußnotenreiche Schu lweishei t der Deutschen m it ih rer Sti l los igke i t,Schwerfäl l igkeit un d Enge z iehe den echten Amer ikaner d ieschöne Klarheit der Fran zosen an und d ie umfassende Bl ickweite der Engländer . Unter ihrem Einfl uß habe sich ein neuerTypus von amerikan ischen Gelehrten en twickel t, der sich gan zandre

,höhere Zie le setze und somit n icht nach der deutschen

Schab lone beurte i l t werden durfe .

Es ist merkwürd ig,wie weit so l ch e Anschauung, besonders

in n ich takademischen Kreisen,verb re itet ist . Daß die deutsche

Wissenschaft auch glanzenden Sti l und vo l lendete Form kennt,vor al l em daß sie gerade in der großzügigen Zusammenfassungso oft der Wel t voranging

,fur so l che Botschaft feh l t dem

Fernerstehenden der Glaube . Die deutsche Doktord issertationbeherrsch t den Eindruck

, und d ie Werke von Mommsen und

Ranke , von Virchow und Helmho l tz stehen zurück . Abe r auchin dem enge-ren Kre ise ist unverkenn bar e ine gewi sse Reaktiongegen den deutschen Einfl uß e ingetreten . Nur ist es ein e Reakt ion , d ie sich e igentl ich gar n ich t auf d ie deu tsche Wissenschaftselbst bezieh t und nur du rch ein e seel ische Versch iebung häufigauf sie übertragen wird . Das

,was v iel e ernsthafte Amerikaner

wirkl ich beklagen , ist d ie Tatsache, daß in den letzten Jahrzehn ten un ter deutschem E infl uß der von England ererbte

Ko llegunterr icht . m it seinem Idea l al lgemein er B i l d ung mehrund mehr dem spezial is ierenden Un ivers itä tsunterricht gewichenist m it seinem Ideal fachmänn ischer Schu lung. Ob da n ichtin der Tat viel Wertvo l l es verloren gegangen

,ist e ine Frage

,

über d ie sich s icherl ich streiten läß t ; j a es ist sogar ein e berechtigte Frage, ob n ich t auch die deutsche Un ivers i tät in ihremK ultureinfluß gewinnen könnte, wenn sie gewisse Elemen te desengl isch-amerikan is chen Ko l legs ih rem Arbe itsprogramm zufugte .

Aber es ble ibt desha lb doch n ur e ine Verwirrung, wenndiese häufige Wendung gegen deutsche U n ivers itätsmethode s ichumsetzt in e ine Abne igung gegen deutsche Wissenschaft . D ieKenner w issen das auch sehr woh l . Sie w issen , daß d ie deutsche

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1 72 Am erikanische '

und

Sp itze stehen . Es muß also erst ein besonderes Gebiet au s derChemie abgez i rkel t werden , um R ichards zum Ersten in sein emFeld zu machen . Und sol che Verengerung hat natürl ich pr inzipiell ke ine Grenze .

Wisters Liste war aber n ich t nur wil lkurlich in ih ren Abgrenzungen, sondern mehr n och in ihrer Auswah l der Führer.Das gal t zunächst von den Amer ikanern , wenn er sel tsamerweiseLea in Ph iladelph ia zum ersten Historiker in sein em Geb iet erhebtund manche Füh rer amerikan ischer Wissenschaft übergeht . Ichdenke da an Astronomen wie Newcomb in Wash ington und

Pickering in Harvard,an den Geo logen Chamberl in in Ch icago ,

den Bio logen Agassiz in Newport, d ie Patho logen TheobaldSm ith in Harvard und Welch in Baltimore

,an Ph i lo logen wie

Jackson o der Lanman oder G i ldersleeve, J u risten wie Beale undMoore und Ames und vie le andre . Aber das gi l t auch von sein erAuswah l der Deutschen . Urn etwa auf mein e ignes Arbeitsgeb iet,die Ph i losoph ie

,zu verweisen : Wister sagt , in der Psycho logie

sei der größte lebende Denker Wundt in Le ipz ig, in der Gesch ichte der Ph i losoph ie Windelband in He idelberg, und in dersystematischen Ph ilosoph ie Cohen in Marburg. Daß Wundtder Führer der experimentel len Psycho logie sei, wird al lseitigzugegeben werden ; dagegen wurde sofort darauf h ingewiesen ,daß in ein er andern R ichtung

,näm l ich in der beschre ibenden

Psycho logie, woh l der Amer ikaner Wil l iam James der Führerse i . Daß aber Cohen der größte'

Systemat iker se i, würde woh lmancher selbst dann bestreiten

,wenn n ur Deutsche zur Wah l

ständen ; handel t es sich um d ie Gesamtheit, so würde ich n ich tzögern , den Siegespreis meinem H arvardkollegen Royce zuzusprechen .

Al les das beweist aber nur, daß d ie ganze M ethode verfeh l tist . Wo sich ein Weltgenie erhebt, das al le M itstrebenden gewaltigüberragt, da hat es guten Sinn , so l che Führergestalten e iner einzelnen Nation als besondere Kultu rl eistung zuzurechn en . Wennaber der erste sich durch kaum merkbare Untersch iede vom

zweiten und der zweite kaum merkbar vom dri tten unterscheidet,dann bleibt es ohne Bedeutung

, ob nun zufäl l ig der erste e inDeutscher und der zweite ein Amerikaner ist oder ob das Um

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deutsche Wissenschaft. 1 73

gekehrte zu trifft . E in Ph i losoph wie Kan t stempelte Deu tsch landzum ph i losoph ischen Lande ; ist der Führer nur ein Cohen , sob leibt das Zufa llssache für den in ternationalen Vergleich ; einzweiter oder dritter zäh l t gleichviel . Die Wissenschaft von heuteist aber offenbar kein Schaup latz für so l che Weltgenies ; selbst inder Naturwissenschaft, d ie im Vordergrund zu stehen schein t,haben d ie Helmho l tz und Pasteur und Darwin der vorigenGenerat ion kein e Nachfo lger gefunden . V iel leicht ist d ieses‘Nive l l ieren no twend ig für unseren heutigen Wissenschaftsbetri eb ,der vor al lem organ isierte Zusammenarbeit der vielen verlangt ;viel le icht ist es auch nur d ie Ruhe vor der großen geisteswissenschaft l ichen N euerhebung, die nahe zu sein schein t. Wer diewissenschaftl iche Gegenwartsleistung eines Landes h eutewürd igen wil l , ist j edenfal ls vo l lkommen auf d ie Schätzung derGesamtarbeit und n icht auf d ie Heraushebung der Heroen angewiesen . Wer aber so zu Werk geht und voru rte i ls los dieLeistung auf dem eigenen Boden beobachtet, kann in der Tatn ich t zweifeln

,daß d ie amerikan ische Wissenschaft und die

produktive Arbeit der amerikan ischen Un ivers i täten durchaus desmächtigen Weltre iches würdig sind und kaum noch wei t h in terD eutsch land zurückstehen . Und ' d iese Anerkennung muß zurBewunderung werden

,wenn der Rhythmus der En twicklung be

trachtet wird . Die wissenschaftl iche Arbeit von heute vergl ichenm it der amerikan ischen Forschertätigkeit von vor dreiß ig, ja vorzwanzig Jahren zeigt e in e Kraft der Vorwärtsbewegung, vor derd ie Kritik verstummen muß . Und gerade d ieser schnel le Wandel,der im höchsten Maße unter deutschem Ge isteseinfluß vor s ich

Lebenswerk vol lbracht ist ; d ie amerikan ische Wissenschaft aberist im wesen tl ichen die Arbeit der letzten Jahrzehnte d iemeisten ihrer Träger stehen noch n ich t im Führeralter.

Wisters Angriff war somit verfeh l t, und dennoch hatte erwoh l n icht sovie l Aufsehen erregt, wenn er n icht trotz al ledemein tuchtig Stück Wahrheit zum Ausdruck brächte . Die wissenschaftl iche Leistung Amer ikas ist durchaus anerkennenswert undverdien t zehnmal mehr Berücksichtigung, als s ie meisth in in

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I74 Am erik ani sche und

Deutsch land findet,aber auf der Höhe der wirtschaftl ichen

Le istung des Landes steht sie in der Tat noch n icht, und, wassch l immer ist

,starke Tendenzen widerstreben geradezu der

vo l lsten Höhenen twicklung. Vor al lem eines : das Land drangtse ine starksten Persön l ichkeiten in d ie Berufe des Rechts, derIndustr ie

,des Handels

,der Po l itik, aber n ich t in d ie akadem isch e

Laufbahn . W ie überal l,hängt aber auch in der Wissenschaft

doch sch l ieß l ich al les vom Menschenmater ial ab : auch inM illionenpalästen läß t s ich von zweitklass igen Persön l ichkeitenke ine erstklass ige Wissenschaft aufbauen . Die wissenschaftl ich eArbeit hat noch n ich t j en e soz iale Anziehungskraft, welche d iestä rksten selbständ igsten Geister auf ih ren Weg lockt. Das hatnatürl ich seine h istorischen G ründe ; in ein em Pion ierland mitso ungeheuern w irtschaftl ich en und po l i t ischen Aufgaben m ußtesich zunächst e ine Tradition en twickeln

,d ie al le sozialen Präm ien

den Berufen der Tat verspr ich t und so d ie stolzesten Krä fte derEn twicklung des Landes d ienstbar mach t .

Und dazu kommt ein sach l icher Faktor ; das Land hat heutesechshundert hohere Leh rin st i tute, d ie eine Stufen le iter darstel len ;da ist n irgends ein e scharfe Grenzl1n1e zwi schen dem k leinenwes t l ich en Ko l leg, das v ie l le icht e iner deutschen Pr ima en tSpr ich t, und den großen wirkl ichen Un ivers itäten . Dieses al lmähliche Übergehen von n iederen zu höheren Formen ist offenbarno twend ig m it dem demokratischen Gefüge des Landes gegebenund hat s icherl ich auch sein e gewaltigen Vorte i le für d ie Kulturen tw icklung . Aber es hat den großen Nachte i l , daß dadurchd ie e igentl iche akademische Laufbahn in ih rem Anfang n i rgendsscharf vom Weg des höheren Schu l lehrers abgegrenzt ist . D iedeutsche Privatdozentenstelle feh l t im amerikan ischen System .

Vom klein en Inst itu t m it S chu lcharakter haben oder hatten wen igstens d ie me isten s ich emporzuarbe iten . D iese Verm isch ungschäd igt n un aber wieder den soz ialen Wert der Laufbahn .

V ieles hat s ich in al ledem be re its gebesser t, die A nziehungskraft der w issenschaftl ichen Karriere ist d urch vi el e Umständein den letzten zwanzig Jahren stetig geste igert, und so w ie inDeutsch land d ie besten j ungen Kräfte in wachsendem Maße s ichden früher verschmähten wirtschaftl ichen Be rufen zuwenden , so

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Eine deutsche Hochschule nach

amerikanischem Vorbild .

ochgeehrter Herr Oberlandesgerichtspräsiden t ! Ih r gutigerB rief

,der von der gep lan ten Hamburger Un iversität er

zäh lt, weckt me ine lebhafteste Antei lnahme, und mit

großer Freude komme ich I hrer Aufforderung nach, kurz darzu legen

,wie we it e ine Un iversität in Hambu rg vom amerika

n ischen Un ivers i täts leben Anregung erhalten könnte . Daß derdeutschen Un ivers ität heu te manches Unzeitgemäße anhaftet unddaß d ie h istorische Trad i tion dort manche bedauerl iche E inschrankung nötig macht, das drängt s ich ja auch dem Beobach terin Deutsch land auf, und dennoch s ieh t derj en ige, der inm ittenanderer Gestal tungen in der Neuen We l t l ebt, es deu tl icher undunmittelbarer. Gewiß ist auch in Deutsch land in den letztenJahrzehn ten unermüd lich an dem E rneuerungsprozeß in derakademischen Welt gearbeitet worden ; aber wer als Außenstehender das Gesamtgeb iet überb l ickt, kann doch schwer dasGefüh l un terdrücken

,daß e ine wirkl ich vo l lkommene Anpassung

an die N euforderungen unserer Zei t n ur dann möglich wäre,wenn auf gan z frischem Boden in neuem Geiste aufgebautwerden könnte .

Eins steh t dabei im Vordergrund . Die Stel l ung der

Un ivers itat im deu tschen Vo lks leben ist se it langer Zeit bestimmtdurch den Glauben

,daß d ie Gelehrtenberufe al lein d ie höchste

und feinste B ildung des Mannes m it s ich br ingen . Die Fachschu le des Juristen

,des Med iziners

,des Leh rers und des Pred igers

war som i t gle ichzeitig d ie Vorbereitungsstelle für d ie Höchst

D er folgende Brie f, geschrieben am 3 1 . Marz 1 90 5, wurde berei ts vom

Präs iden ten des Hanseati schen Oberlandesgerichts D r . F . S ieveking in seiner B ro

schü re »D ie Hamburger Uni vers i tä t« (Hamburg 1 90 5) veröffentl icht.

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Eine deuts che Hochs chul e nach am erikanischem Vorbild.

gebildeten der Nation . A us gan z anderen Motiven wurde frei l ichein e ähn l iche bevorzugte Stel lung den Offizieren e ingeräumt.Dagegen r

'

nußten sich d ie wirtschaftl ich en Stände,d ie Vertreter

von Handel und Finanz, Landwirtschaft und Bergbau , Industrieund Verkehrswesen

,m i t e iner Stel lung zwe i ten Range s in der

Bildungsskala der Nation begnügen ; da sie kein e Veran lassunghatten

,d ie Fachb i l d ung des Gele h rten zu suchen

,konnten s ie

kein An recht auf vo l lste B i ldung erheben .

Dem angelsächs ischen Ausland feh lt d ieser G laube, und besonders Amer ika s ieh t in d ieser h istor isch gewordenen Gle ichsetzung von gelehrter Berufsschu lung und höchster Bi ldung e ine inseitiges Vorurtei l , das aus wirtschaftl ich engen und bedrücktenZeiten in Deutsch land übr ig b l ieb . Dem Amer ikaner gi l t dasals s icher

,daß der wegwe isende G roßkaufmann und der G roß

industr iel l e im sozialen Gefüge der Nation n icht h inter demAnwal t oder Arzt oder Lehrer zuruckstehn darf und d ie Einr ich tungen des Landes es som i t verbürgen müssen , daß dasein he itl ich e Niveau der höchsten Bi ldung ihnen al len in gleicherWeise erre ichbar sein kann . Ob die berufsmäß ige Fachschu lungim Ger i ch t oder in der Kl in ik, im Laboratorium oder in der Bank,im Kontor oder auf hoher See stattfindet, gi l t als Tei l der berufl ichen Untersch iede

,d ie als so l ch e n ichts m i t der B i ldungsfrage

zu schaffen haben . Die Un ivers ität, a ls Pflanzstätte der erlesenstenB i ldung

,muß zunächst al len gle ichermaßen offenstehen , und

d ie Frage,ob der akademisch Geb i ldete dann weiterh in ph i lo

logische S em inar ien besuch t und das Doktorexamen macht oderaber in e inem wirtschaftl ichen Beruf s ich we i ter entwickelt, dasgi l t dem Amer ikaner als unwichtig für die soziale Wertung.

Es läß t s ich n icht bestreiten, daß ein e ahnliche N euwürdigungder w i rtschaftl ichen Berufe auch in Deutsch land stetig vorgeschr i tten ist und j etzt bereits e inen sel tsamen Gegensatz zwischenden inneren Anschauungen und den äußeren Formen bed ingt hat.Die Sonderste l l ung der gelehrten Berufe läß t s ich in den Tagendes glän zenden wirtschaftl ichen Aufschwungs und der großzügigen deu tschen Weltpo l itik n icht mehr aufrecht erhalten . Ist

d ie Un ivers ität d ie Stätte der höchsten deutschen Bi ldung, so

muß s ich e ine Entwicklung anbahnen lassen , durch welche d ie

M ü n s t e r b o r g ,A u s Deutsch -A m er ika .

12

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1 78 Eine deutsche Hochschule

kunftigen Wirtschaftstrager der Nation dort ebenfal ls ihren eigenartigen Platz finden . Die modern e Un ivers ität müßte som i t vonvornherein al le Wissensstoffe e inbeziehen , d ie für Weltwirtschaftund Weltverkehr, für das gesamte Leben der Zeit außerha lbder Gelehrtenberufe, Bedeu tung gewinnen könn ten . Dementsprechend !m üßte sie ihre Tore dem künftigen Kaufmann

,

Industrie l len und Landwirt öffnen und mußte Sorge tragen , daßbesondere N euformen s ich den neuen studen tischen G liedernanpassen

,denn n ich t damit könn te gedient sein

,daß der j unge

Kaufmann vorübergehend den Geleh rten sp iel t und sch l ieß l ichm i t e inem gelahrten Doktorhut versehen wird . Grade in al ld iesen Beziehungen könnte d ie modern e deutsche Un iversitätin der Tat v iel von den führenden amerikan ischen Un ivers itätenlernen .

E ine so l ch e Hoffn ung aber wendet s ich naturgemaß an d ieStadt Hamburg. Zunächst zeigt ja d ie akademische En twicklungüberal l, in Europa wie in Amerika, daß d ie moderne Un iversitätd ie Gro ßstadt a ls H intergrund vo rzieh t . Aber es muß Hambu rgsein

,n ich t n ur We i l es d ie zweitgrößte Stadt des Reiches ist, son

dern vor al lem wei l sein e Regierung durch kein e Trad it ionen gehemmt ist und somit e in e Abweichung vom herkömml ichenGrundp lan kein e Ungleichheiten innerhalb der engeren Landesgren zen 'hervorruft . Und dazu kommt ein dri ttes : Die neuedeutsche Un ivers ität muß den Zusammenhang m it dem Weltkreissuchen , vor al lem mit den Ländern , deren Geist dem deu tschenGeiste innerl ich nahe steh t

,mit den Ländern engl ischer Zunge .

Hamburgs .Welthandel schafft da Bed ingungen , d ie grade so

ein zig s ind als H intergrund akademischen Lebens wie Ber l in spo l it isches Tre iben

,w ie Münchens K unstanregung oder wie d ie

Naturschönheiten v on Bonn und Fre iburg und Heidelberg. Gradeder Amerikaner füh lt d iesen Welthorizon t von Hambu rg instinktiv un d ist immer verwundert zu erfahren , daß d ie geistigenEnergien des ihm so gut bekannten Platzes noch in ke inemU n ivers itätsbrennpunkt vere in igt s ind .

D ie Gründung einer Un ivers ität Hambu rg mußte fur dasKultur leben unserer Ze i t ebenso charakteristisch werden , wie esd ie Schöpfung der Un ivers i tät Berl in vor hundert Jahren war .

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1 80 Eine deutsche Hochschule

etwa zu den französischen und engl ischen Sitten : die Bedeu tungder Un iversität l iegt in den großen Gelehrten , welche For scherund Lehrer zugleich sind . Wenn etwa in England d ie großenForscher im wesen tl ichen n ur dekorative Zutat zur Un ivers itätsin d und d ie e igentl iche Lehrarbeit anderen zugeschoben w i rd ,die m eisth in n ich ts als tüch tige Lehrer se in wo l len , so so l l tes icher l ich das von vornherein feststeh en , daß ein e neue deutscheUn ivers ität in d ieser Beziehung n iemals an den deutschen Trad itionen rütte ln darf . Die Versuch ung ist ja groß , grade in d ieserRichtung sich viel von ein er Änderung zu versprechen . Auchin Amerika hat man wiederho l t das andere Prin zip verteid igt .Ein ige Institu te haben erklärt

,daß d ie tüch tigen Forscher zu

oft sch lechte Lehrer sind und daß auf der anderen Seite d iewirkl ich produktive Kraft des Forschers n ich t durch d ie tägl icheakademische Lehrtät igkeit zerr ieben werden sol l te . Man wo l l tedaher dem bewäh rten Forscher sogenannte „Research Professorsh ips" zur Verfügung stel len und i hn von al ler Lehrtätigkei tentb inden , und auf der andern Seite den Routin e-Unterrich tin d ie Hände von „Tutors legen, die nur ihres Lehrtalents wegenangestel l t s ind . Wer aber den Bl ick auf das Ganze richtet

,

kann n icht zweifeln , daß d ie amerikan ische Erfahrung unbed ingtgegen e ine so l che Entwicklung spricht

,und daß d ie gesun deste

U n iversitätsentwi0klung sich auch in Amerika du rchaus dortvo l l zogen hat, wo der p roduktive Forscher zugleich der tägl icheLehrer der akadem ischen J ugend war.

Auch dar über laß t Amerika kein en Zwe ife l , daß d ie persönl ich e Bedeutung der dozierenden Professo ren durch ke in en andernFaktor ersetzt werden kann . Die Leland Stanford Un iversität2 . B . setzte sofort m it fast unbegrenzten Geldm itte ln ein und

sch uf herr l iche Gebäude ; aber da d ie Abge legenhe it der kal iforn ischen K üste es m i t s ich brach te, daß nur seh r wen igeGelehrte von Bedeutung sich dort h inauswagten

, so war ihrWirkungskreis von vornherein unterbunden . Hamburg wirdnatürl ich kein e äußerl ichen H inde rn isse b ieten

, und trotzdemwird sich unschwer voraussehen lassen

,daß d ie großen Ge

lehrten der übrigen Un iversitäten zunächst nur zögernd demRufe fo lgen würden

,wenn d ie Un iversitätsstruktu r wirkl ich

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nach am erikanischem Vorbi ld. 1 8 1

Neuerungen zeigt und somit von dem Gewohnten abweicht .Man wird erst abwarten

'

wo l len , wiewe it e in so l ches Experimen ts ich bewährt . In d ieser Beziehung sind d ie Erfahrungen derUn iversi tät Ch icago lehrre ich . Als vor zwö lf Jahren d ie Ch icagoer Un iversität ebenfal ls m it e in igen kühnen Neuerungengegründet wurde, wo l l ten d ie Professoren der älteren Hochschu len s ich zunachst ab lehnend verhalten . Beisp ielswe ise erh iel ten acht Professoren der Harvard Un ivers ität ein en Ruf m i tum d ie Hälfte erhöhtem Gehalt, aber n icht e in ein ziger nahmden Ruf an . Trotzdem gelang es sch l ieß l ich vor al lem durchungewöhn l ich hohe Gehaltsangebote aus den Un ivers i tätendes Landes ein e kle ine Schar der hervorragendsten Gelehrtenzusammenzu

'

bringen,und das Prinzip , l ieber einen erstklass igen

Gelehrten m it dreifachem Gehal t als drei zweitklassige Männerm it einfachem Gehal t zu gewinnen , bewährte sich vortreffl i ch .

Nach kurzer Zei t hatte Ch icago led igl ich durch d ie innere Bedeutung se iner H auptprofessoren al le übrigen westl ichen Institute überfl ügel t und sein en Platz unmittelbar h inter Harvard ,Co l umbia und Johns Hopkins eingenommen . Auch Hamburgso l l te unbed ingt von vornherein zunächst l ieber ein e kleine Zah lvon Lehrern , aber Lehrkr äfte ersten Ranges zu err ingen suchen ;s icherl ich w ird auch der Ausfal l von T iteln und Orden dabeierschwerend m itwirken und vor al lem das weitverbreitete Gerücht, daß der Gelehrte in Hamburg n ich t d iejen ige soz ialeEhrung f indet

,d ie ihm im übrigen Deutsch land zutei l wird .

Um so mehr so l l te man von vorn herein keine Mühe sparen ,e in e kle in e Zah l der glän zendsten Geister zu versammeln . Isterst e inmal e in e Tradit ion geschaffen , dann en twickel t s ich al lesWeitere von selbst .

Daß d ie Bedeutung e iner Hochschu le in erster Lin ie in derproduktiven Kraft ihrer Professoren ru ht, ist an s ich schongenügender Grund

,warum es ganz aussichtslos ist, ein e moderne

Umgestal tung der Un ivers i tät dadurch zu ersetzen , daß manselbständ ige H andelshochschuleri gründet . Es muß als ganz

unwahrschein l ich gelten,daß hervorragende Gelehrte bere i t se in

so l l ten , Professuren an rein en K aufmannsfachschu len zu übernehmen

.Die Lehrtätigkeit wird dort notwend ig Männern zu

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I 82 Eine deutsche Hochschule

fa l len,die als Forscher h in ter den Un iversitätsdozen ten zurück

stehen, und dadurch wird der gesamte b i ldende E infl uß so l cher

Institu te m inderwertig gegenübe'

r'

dem . der führenden Un iversitäten . Gil t d ie Handelshochschu le aber als Vertreterin e inesn iedr igeren 'Bildungsn iveaus, so ist s ie von vo rn h ere in unfäh ig,die wichtigste Aufgabe zu erfü l l en , näml ich d ie wirtschaftl ichenund d ie .wiséensc

'

haftlichen Berufe zu gle icher Würde und gleicherAnerkennung zu führen . D ie Hande lshochschu l e mag manchenGeschäftsr

'

nann rein techn isch für se inen Beruf noch besservorbereiten als es wirkl ich e Un ivers itätsjahre Vermögen , aberd ie so ziale M inderwertigkei t und der Tiefstand im Kul turn ivea use iner Betätigung wird d urch d ie Hande ls hochschu le vie l le ich tnoch mehr bemerkbar gemach t.

Die schadigende D ifferen zierung ergäbe sich aber n ichtnur deshalb, wei l d ie führenden Forscher und weitausblickendenGelehrten der Un ivers ität treu b leiben würden

,sondern vor al lem

au ch, wei l d ie Absonderung jeden inneren Ausgleich unmögl ichmachen würde . Die Gle ichwertigkeit der Gelehrtenstände beruh t j a n ich t zum m indesten darauf

, daß die künft igen Beamtenund Pred iger und Lehrer und Ärzte gemeinsame Stud ien jahregenossen “haben und in der akadem ischen Welt m iteinanderFüh lung gewannen . So l len d ie Voru rtei l e der Vergangen hei t'

schwiii den, als sei das Wirtschaft$leben der Nation ein Betätigungsfeld von geringer Würde und Bedeu tung un d als gäbees Ideal ismus u nd re ifste Persön l ichkeitsen tfal tung n ur in demdurch Staatsexam ina eingehegten Gelehrtengebiete, ja so l lenDeutsch lands Ku l turträger end l ich ein ein heitl iches B i l dungsn iveau finden

, so müssen d ie künftigen Führer des deu tschenGroßhandels und der deutschen Weltwirtschaft m it den künft igen Beamten und Po l itikern und Geleh rten eine Wei le gem einsam akademische Luft atmen und mit ihnen gemein samzu Füßen der größten deu tschen Gelehrten Gesch ichte und Literatur, Vo lkswirtschaft und Rechtsleh re, Naturwissenschaft undPh i losoph ie stud ieren . Auch in d iesen Beziehungen sind d ieamer ikan ischen Verhä l tn isse beleh rend . Auch dort gibt es e inegroße Zah l guter und sch lechter Handelshochschu len, in den ender mehr oder wen iger vorgeb i l dete Kaufmann und Gewerbe

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1 84 Eine deutsche Hochschul e

Gesamtkreis der Geb i ldeten e inwirken kann , ohne daß der e inzelne dadurch zu den Spezialstud ien des k ünftigen Gelehrtengenötigt wird .

N un kann ja kein e Rede davon sein , die amerikan ische Formeinfach nachzuahmen . Das amer ikan ische Co l l ege" hat s ichaus der Gentleman“-Erz ieh ung des Engländers en twickel t, dergegen über der Gelehrtenberuf in England stets in geringem Ansehen s tan d . In Deutsch land hatte dagegen der Gelehrtenberufdie gesamte sozial e Wertung absorbiert. Es kann sich also n urdarum handeln , ein en inneren Ausgle ich zwischen den beidenGegensätzen zu f inden , dam it be ide Tei le zu ihrem Rech t kommen . Man könnte s ich daher etwa das Fo lgende als mögl ichvorstel l en

D ie Ph i losoph ische Faku l tät der Hamburger Un ivers itätkönnte v iel le icht in e ine Unterabte i l ung und Oberabteilung zerlegt werden derart

,daß d ie Oberabteilung al l e S em inarien und

Ko l legien umfaßt,d ie sich an d ie vorgeschrittensten Semester

wenden und speziel l e Zwecke der Gelehrtenvorbildung im Augehaben . In dem Vorlesungsverzeichn is könnten etwa al l d ieseS em inarkurse und spezia listischen Vorlesungen für Vorge

schrittene mit einem Stern versehen werden . Die Kurse d ieserOberabteilung dürfte nun n ur derj en ige besuchen , der in derUnterabte i lung e in S chlußexamen bestan den hat, so wie der Med iziner d ie Kl in iken erst dann besuchen kann

,sobald er das

Phys ikum bes tanden hat . So lange d ie übr igen Universi tätennoch kein e Zwischen examen in der ph i losoph ischen Faku ltäthaben , m üßte d iese Oberabteilung zunächst j edem offen stehen ,der vier Semester an e iner anderen Un iversitat stud iert hat . D iesehöhere Abtei l ung ist dann w irkl ich nur für künftige Lehrer oderGeleh rte ; dagegen ist d ie grundlegende Abtei l ung m it denn icht bestem ten Vorl es ungen sowie das amerikan ische „Co l l ege

für d ie künftigen Geleh rten und N ichtgelehrten gemeinsam .

Sofort sei h in zugefügt,daß auch d ie al lgemeinen Vorlesungen

der j ur istischen,med izin ischen und th eo logischen Faku ltät in

diese al lgeme ine K ollegabteilung der ph i losoph ischen Faku ltätenaufgenommen werden müßten . In der We ise könnte dann derkünftige Mann des prakt ischen Lebens ein e in s ich gesch lossene,

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nach am erikan is chem Vorbi ld .1 85

durch ein Examen geprufte akadem ische Bi ldung erwerben ,d ie der des Gelehrten an w irkl ichem Bildungsgehalt gle ichwert igist

,ohne genötigt zu se in , den Stud iengang des Gelehrten du rch

zumachen . Ein bestimmter Tite l unbed ingt n icht der D oktortitel müßte dann d ie Vo l lendung der Stud ien in der al lgemeinen Abte i l ung zum Ausdruck bringen . Es würde n ichtschwer fal len

,e inen T ite l zu finden

,der sich rasch e inbürgern

könnte . Historisch würde der Tite l Meister (Magister artium ,

master of arts) am meisten Berechtigung haben . Der Me istert ite l l ieße s ich auch ganz besonders le ich t den versch iedenenH auptstud iengebieten anpassen : es könnte , so wie dem Bürgersmann der Bürgermeister gegenübersteht, n un der akademischgeb i ldete Kaufmann als K aufmeister (o der H andelsmeister) , derIn dustr ie l l e als Gewerbemeister, der Landwirt als Landme isterusw .

ausgezeichnet werden . S icher l ich würde j eder Tite l d ieserArt s ich ebenso e inbürgern wie etwa der T i te l Referendar, Assessorusw .

So l ch Meistertite l, durch ein Zwischenexamen der ph i lo

sophischen Faku ltät erworben , würde dann langsam unter denGebi ldeten des Landes das Symbo l akadem ischer und dashe iß t : höchster B i ldung für den Nichtgelehrten, und derleitu t uns not.

Es en tsteh t naturlich sofort d ie Frage, ob unter so l chenVerhältn issen d ie Ein trittsbed ingungen für d ie Un ivers ität d ieüb l ichen b leiben so l len .

Aber auch darin so l l te man n icht zaghaft se in und d ie Bedeu tung des Ab itur ien tenexamens n icht uberschätzen

.Würde d ie Zu lassung von j ungen Leuten , d ie ke ine

Pr ima d urchgemach t haben,n ur irgendwie fürch ten lassen , daß

das Vorlesungsn iveau dadurch herabgezogen würde, so müßteihr Zutritt unbedingt verh indert werden . Aber so l iegt esd urchaus n ich t ; s chon heute s ind die Vor lesungen ubera ll H un

derten von n icht imm atr iku l ierten „Hörern ”

offen , d ie ohne

Schwier igkeit fo lgen können . Um den al lgemein-b i ldenden Vor

l esungen in Gesch ichte und Vo lkswi rtschaft, Literatur und Ph i

losophie, Naturw issenschaft und Rechtswissenschaft mit vo l lstem

Nutzen zu fo lgen , ist n ich t das ja auch heute schon sehr ver

schiedenartige Primanerwissennötig

,sondern in erster Lin ie e ine

gewisse Reife.Diese Reife aber kann ebensowohl im wirtschaft

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1 86 Eine deutsche Hochschule

l ich en Beruf erworben werden . Wer d ie Schu le m it dem E in

j ährigen-Zeugn is verlassen hat und dann zwei oder dre i Jahrein der Fabrik oder im Kontor, als Landwirt oder in übersee ischerWirksamkei t sich betätigt hat, ist re if genug, den akademischenVor l esungen den besten Bi ldungsgehalt zu en tnehmen .

Wer nach dem M eisterexamen in d ie Oberabteilung, d ieD oktorabteilung der Ph i losoph ischen Fakultät, e in treten wi l l ,um ein Staatsexamen zu machen , und ebenso j eder Jurist, Mediziner und Theo loge müßte selbstvers tänd l ich wie b isher m itdem A biturientenzeugnis zur Un iversi tät gehen ; wer aber m itdem Zwischenexamen und dem Meistertite l absch l ießen w i l l ,müßte somit auch dann immatriku l iert werden , wenn er dasEinjährige-Zeugn is un d den Nachwe is m indestens zweijährigerwirtschaftl icher Leh re beibr ingt . Viel le ich t l ieße sich auch dannnoch ein Un tersch ied derart einführen , daß d ie Ab itu r ien tenn ur eines zweijährigen Studiums b is zum Zwischenexamen bedürfen

,d ie N ichtabiturienten aber e in es d reijährigen .

Für d ie Abhal tung eines_

solchen Zwischen examens lassensich natürl ich versch iedene Wege denken . Eine du rchaus wünsehenswerte Form wäre d ie, daß auch fur das M eisterexamen

in e in er dem Doktorexamen ähn l ichen Weise ein Hauptfachund zwei Nebenfächer ver langt würden . Nu r

'

wurde dannn icht d ie tiefere Quellenmethode verlangt werden , die vom D ok

torkandidaten beanspruch t w ird , sondern ein e mehr al lgemein eKenntn is des Gegenstandes, wie sie e inerseits aus dem Besuchder Ko l legien und Laboratorien , and rersei ts aus dem Stud iumgrundlegen der Werke gewonnen werden kann . Eine andereMethode

,d ie der amerikan ischen entsprich t, wäre d ie, daß man

n ich t ein ein heitl iches Zwischenexamen macht,sondern daß man

jede e inzelne.Vorlesung am Sch luß des Semesters m it ein em

schr iftl ichen Examen verkn üpfte , be i dem die Fragen si ch so

woh l auf den Inhal t der Vor lesungen als auch auf gewisseHauptwerke, d ie der Do zen t empfoh len hat, bezie hen . In demFa l le würde dann an d ie Stel l e des ein heitl ichen Zwischen examensd ie Summe d ieser E inzelexam ina treten . Es könnte 2 . B . verlangt werden

,daß , wer m it dem A biturientenzeugnis in d ie

Unterabtei lung ein tritt und nun vier Semester Ko l leg besuch t,

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1 88 Eine deutsche Hochschule

n ich t se ine vo l l e Aufgabe erfullen kann . Der amerikani scheStuden t ist vom ersten Tage an gewohnt, daß er in Verbind ungm i t j edem Ko l l eg gew isse Bücher zu Hause halten muß

,auf

d ie der Dozen t h inweist und deren gründ l iche Lektüre e inenTei l der Voraussetzung fü r das Examen am Ende des Semestersb i ldet . Auf d iese We ise s ichern d ie S emesterexam ina der e inzelnen Vorlesungskurse e inen systematischen

,rege lmäß igen

K o llegienbesuch und häusl iches Stud ium , und es ist klar, daßwenn wirkl ich ein so l ches M eisterexamen durch ein e bestimmteZah l von S emesterexam ina ersetzt würde, dem Studen ten tro tzdem vo l lkommenste Freiheit in der Auswah l der Fächer und

Ko l legi en gelassen b l iebe .

Sofort sei aber auf e in anderes h ingewiesen . Gleichviel obdas Zwischenexamen ein ein heitl iches S chlußexamen für gew isseFächer ist, oder ob es s ich aus den S emesterexam ina für d ie e inzelnen Vorlesungen zusammensetzt

,in j edem Fal le sol l te d ie

n eue Un iversität d iese E xamensbürden von den Professoren abnehmen . Im Doktorexamen wi rd ja kein Professor ersetzt werdenkönnen . Dagegen wo es s ich um d ie al lgemeineren Examina handelt, zeigen d ie amer ikan ischen Un ivers itäten den e infachstenWeg. Die ph i losoph isch e Faku ltät muß verlangen , daß al led iese techn isch e Mühe auf j üngere Ass isten ten übergeh t . I chgebe be isp ie lsweise in Harvard meine Ko l legien vor großenAudit-or ien , und j eder Studen t hat i n Verbindung m it demKo l leg währen d des Semesters gew iss e Ausar be i tungen zu

machen und am Sch luß e in schriftl iches dreistünd iges Examenzu bestehen . Ich habe aber m it a l l edem n ich ts zu tun . Dafür habeich sechs Ass isten ten , deren jeder e twa 70 M ann un ter s ichhat . In Deutsch land feh l t es wahr l ich n icht an jungen Doktoren ,d ie gern e, eh e sie zu weiteren Stel lungen vordringen , so lcheA ssistentenpos itionen bekle iden würden . D ie Un ivers ität müßtevon vornhere in neben den Professorengehältern Assisten tengehä l ter für d ie Examina ins Budget setzen

, um diese lästigsteal ler Bürden von dem Geleh rten abzunehmen . Al le d ieseS emesterexam ina s o l l ten s ich aber nur auf d ie Stud ien in derUnterabte i l ung beziehen ; in der Oberabteilung s ind d ie Ko l l egienohneh in kle in , und der Dozen t ist in persönl ich er Füh l ung m it

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nach am erikan ischem Vorbi ld. 1 89

den vorgeschrittenen Studen ten . Da ist dann das Doktorexamenoder das Staatsexamen e ine genügende Prüfung. In der Unterabte i l ung dagegen könn te man sogar so weit gehen , zu sagen , daßnur diejen igen Sem ester überhaupt angerechnet werden , in denenviel le icht zwei oder drei K ollegexam ina bestanden werden . D iesystematisch e Fau len zerei muß ausgerodet werden und muß

unter den Studen ten selbst als unwürdig gelten .

Zu hoffen ware, daß e ine Hamburger Un iversität auch sozialn eue akadem ische Verhäl tn isse schaffte und dadurch dem aka

dem ischen Leben Reize zuführte, d ie s ich langsam fast unbemerktden i l l usorischen Gen üssen des K neipen lebens substitu ierenl ießen . Die Formen des Kommerses und des Duel ls, und danebend ie Mah lzeiten in Frauenzimmerkneipen s ind sicher l ich n ich tnotwendige Zutaten zu e inem wirkl ich genußreichen aka

dem ischen Leben und würden schwer l ich in den RahmenHamburgs h ineinpassen . Der junge amerikan ische Studen t gen ießt sein

“ Studen ten leb'

en vie l le icht noch vie l in tensiver und

s icherl ich in ein er Weise,an d ie er später m it mehr innerer Zu

friedenheit zurückdenken kann . Vor al lem gen ieß t er ein Leben ,das ihn kräftigt

,statt ihn durch Bierübermaß zu schäd igen und

durch Exzesse zu inf izieren . In erster Lin ie gehört dazu e ingewisses Zusammengehörigkeitsgefüh l , aus dem dann leich t neueInteressen en tstehen . Und sicher wird es gerade in e iner Weltstadt wie Ham burg ganz besonders nötig werden , d ie akademischeGemeinschaft zusammenzuhalten

,damit s ie n ich t e infach zu

sammenhanglos im Großstadtle‘

ben zerstreut wi rd . Die geme insamen Wohngebäude und gemeinsamen Speisesäle al ler amerikan ischen Un ivers itäten sind da ein treffl iches Vorbild . In Harvardgibt es beisp iel sweise e ine herrl iche Speisehal le, in der etwa1 200 Studenten dreimal des Tages Table d

’höte essen , und d ie

so gesucht ist, daß d ie Plätze schon jahrelang voraus belegt s ind .

In so schöner auf die akadem ische Gemeinsamkeit abgestempe l tenUmgebung jahre lang sein e tägl ichen Mah lzeiten zu nehmen , ist

schon an sich e in Stück erzieherischen Einflusses gegen über denD urchschn ittskneipen der deutschen Studen ten . Dem entsp rechend ie S tudentenwohngebäude . Harvard beisp ielsweise bes itzt selbste ine Reihe von Gebäuden , in denen nur Studen ten wohnen

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1 90 Ein e deutsche Hochs chul e

durfen , u nd vor al lem ist die Un iversität von e inem großen Kreisder prachtigsten Privatgebäude umgeben , deren Z immer wie imHo te l verm ietet werden , in denen abe r statutengemäß nur Studenten wohnen dürfen . H ier in Harvard wird d arin zum Tei l unvernünftiger Luxus getrieben , da die Zimmer b is zu 3000 ./ia dasJahr kosten . Aber es gibt andere Wohngebäude, in denen 50

oder 100 Studen ten m it b escheidenen Ansprüchen zusainmen

wohnen , und n iemand kann darüber im Zwe ifel se in , daß d ieseWohnfrage h ier besser gelöst ist a ls in den deu tschen Un ivers itätenund daß das gemeinsame. Wohnen v iel zu dem akadem ischenE inheitsgefühl be iträgt Natür l ich m uß j eder d ie Fre ihe i t habenzu wohnen wo er wil l . Auch in Harvard wohn t etwa ein D ri tte lder 5000 Studen ten nach deutscher Art , aber wenn Hamburgvon vorn here in große Wohngebäude inderNähe . der ‚

Un ivers i täterrichten würde m it schönen Lese und Schreibzimmern un dFrühstücksälen , so könnte das viel z u e iner sozialen Neugestaltung be i tragen . In gle ichem Maße vorb i l d li ch ist dasSpo rtleben . Manche amer ikan ische Übertre ibung l ieße sich daja vermeiden , aber daß im Grunde der amerikan ische Bal lsp ie lund Rudersport und vieles Ähn l iche dem ganzen U n ivers itätsleben gemeinsame In teressen zufüh rt und gesundend wirkt

,läßt

sich kaum bestreiten .

Ganz besonders sei auf ein e Form halbsozia ler, halbgeistigerBetä tigung h ingewiesen

,d ie dem amer ikan ischen Un ivers itäts

leben außerorden tl ichen Reiz gibt und d ie s ich v iel le ich t m i tgroßem Gewinn nach Deutsch land übertragen l ieße . Unabhängigvon den regelmäßigen Vorl esungen br ingt nahezu j eder Tag ein eReihe von freien Veranstal tungen

,die e in wöchentl iches Bu l letin

voraus verkündet. Im . Vordergrunde stehen Vorträge von mehroder wen iger aktuel l er Bedeutung, die nur se l ten von Dozentender eigenen Un ivers i tät gehalten werden ; meist sprechen Gelehrte anderer Hochschu len oder hohe Beamte oder berühmteSchr iftstel ler oder bedeutende Po l itike r oder sonstige Führer insozialen , rel igiösen , künstlerischen oder wissenschaftl ichen Bewegungen . Die Ein ladungen gehen bald von Vereinen , baldvon e inzelnen Abtei l ungen inn erhalb der Faku ltäten , bald von

der Un ivers ität se lbst aus, aber stets ist so das akademische Leben

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1 92 Eine deutsche Hochschule

st irbt,w i rd er n ich t vergessen , Harvards im Testamen t zu ge

denken . Dieser Zusammenhang ist nun aber in erster Lin ie dadurch aufrech t erhalten

,daß dem alten Studenten e in gewisses

Maß von Verwaltungseinfluß uberlassen w i rd . Harvard wird vonzwei Behörden verwaltet d ie Oberbehö rde kooptiert sich und

der Studen t hat n ichts damit zu tun das Unterhaus dagegen besteht aus dreiß ig Männern , von denen j edes Jahr sechs n euerwäh l t werden und für d ie nur d iejen igen aktives und pass ivesWah lrecht haben

,d ie den Bachelor“ oder Doktor Degree“

von Harvard bes i tzen . Könn te man n ich t in ähn l icher Weisee in Stück Selbstverwaltung in die Hambu rger Un ivers ität e infüh ren , derar t, daß viel le ich t jeder, der vier Semester an derHambu rger Un iversi tä t stud iert hat

,nach dem 25. Jah r aktives,

nach dem 30 . Jahr pass ives Wah lrecht zu e in er Verwaltungsbehörde e rh iel te

,welche n eben der Regierungsbehörde v iel le ich t

das Budget oder auch d ie Anste l l ungen und ähn l iches m it zuberaten oder wen igstens zu bestätigen hatte ? A uf d iese Weisewürden d ie al ten Hambu rger Studen ten e ine Geme inschaft fürsich selbst werden m i t e inem durch das ganze Leben gehendenidealen Zusammenhalt. Die Un ivers i tät se lbst würde dadu rchvermutl ich ideel l und materiel l gewinnen .

Noch vieles andere l ieße sich heran ziehen ; so werden beiden Fragen des Frauenstud iums

,der Bibl iotheken , der popu lären

Hochsch ulkurse , der Profess orenberufung und vie lem Ähn l ichend ie amer ikan ischen Verhältn isse m it großem Gewinn so rgfäl tigzu beach ten sein . Aber d ie Real isierung des ganzen Planes l iegtja heute noch so fern , daß Ein zelheiten woh l überhaupt nochn ich t auf der Tagesordnung sind .

Dagegen dürfte ein es woh l von Anfang an notwendig seinein Überbl ick übe r das Gesamtge bie t, das bearbe i tet werden so l l ,und über d ie Zah l der unentbehrl ichen Mitarbeiter. Sonst könntegar zu

'

le icht ein e Unterschätzung der Aufgabe und der zuihrer Lösung notwend igen Mittel e intreten . Eine Vorfrage dürfteda zunächst d ie sein

,ob d ie Hamburger Un ivers itä t auch d ie

techn ischen Wissenschaften umfassen so l l . In Amerika gibt esw ie in Deutsch lan d große techn ische Hochsch u len und Un ivers itäten ohne techn ische Abtei l ungen

,daneben aber auch ein ige

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nach am erikan ischem Vorbi ld.1 93

große Un ivers itäten , welche vo l lständ ige techno logische Fakultäten bes i tzen . Die v ielfältigen Bez iehungen zw ischen den

th eoretischen und p rakt ischen D isz ip l inen haben den Versuchso umfassender U n ivers itätsfo

'

rm in Amer ika zu vo l lem Erfo lggestaltet und pr in z ip ie l l wird ja dadurch n ichts Neues e ingeführt,da ja auch d ie Med izin e ine prakt ische D isz ip l in ist . Da d ieTrennung von Un ivers i tat und Polytechnikum in Deutsch land

oftmals b edauert wu rde, so l l te Hamburg sorgsam erwägen , ob

n icht auch d ieses amerikan ische Experiment zu wiederho lenwäre .

Sehen wir von dem Arbe itsgebiet der techn ischen Hochschu le ab

,so wird ja nun pos i tiv zunächst al les beton t werden

müssen,was sich aus Hamburgs besonderer Aufgabe erg ibt.

Al les,was sich auf Wirtschaft und Verkeh r, auf übersee ische

In teressen und Weltpoli tik bezieht, wird in Hamburg sehr . v iel

stärker berücks ich tigt werden müssen als es an irgend e ineranderen Un ivers ität gesch ieht . Und das gil t für al le Fakultäten ;d ie j u rist ische Faku ltät wird etwa Seerecht und Handelsrechtund Völkerrecht betonen , d ie med iz in ische wird s ich um Tropenhygiene un d ähn l iches bemühen d ie n euen Sprachen , Erdkundeund Völkerkun de, Hande lswesen und prakt ische Vo lkswi rtschaftmüßten in der ph i losoph ischen Faku ltät so bedeutungsvo l l werden

,daß es für den künftigen A us landskonsu l oder Ko lon ial

po l itiker, E xportgroßkaufmann oder Forschungsreisenden selbstverständ l ich w i rd

,daß er in Hamburg stud iert .

Nur sei nun n ich t n egat iv etwa den human istischen D isziplinen

deshalb d ie Freihe i t geraubt . S o mancher sche int jain Hamburg zu glauben , daß e ine Un ivers ität, an der K

o lon ialpo l it ik und japan ische Sprache getr ieben w ird , s ich n icht mehrum Homer und Plato zu kümmern habe . Engherz ige E inse itigke itin so l cher R ichtung würde s ich schwer rächen . E ine Un ivers itätdarf n iema ls vergessen

,daß es ih re vornehmste Aufgabe ist,

das Wo l len der Gegenwart in der Vergangenhe i t zu verankern .

Hambu rg darf n ich t den Versuch machen , e ine Un ivers ität zuschaffen , die s ich zur gegebenen deutschen Hochschu le verhält

w ie e ine Realsch u le zum Gymnas ium ; Hamburg ist berufen ,

be ide Tendenzen zu e iner E inhe it zu verb inden ; durch Vernach

M ü n s t e r b e r g , A u s Deutsch -A m er i ka .

1 3

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1 94 Eine deutsche Hochschule

lass igung der"

h istorischen Ku ltur wurde d ie n eue Un iversitätvon vornherein zur Oberflachlichkeit gedrä ngt werden , und dadurch der stärksten Wirksamkeit r verlustig gehen .

Gewiß ist au ch die K o llegiengeldfrage ernster E rwagungwert. Die Schäden der heute in Deutsch land übl ichen Verhältnisse werden woh l von kein er Seite verkann t ; das dem Pro

fessor zufl ießende K o llegiengeld schafft ungerechte Ungle ichhe i ten und n ich t sel ten noch Sch l immeres . In Amerika kenn tman es n icht . Der amerikan ische Studen t zah l t e ine rundeSumme

,die der Un iversität zufl ießt h ier in Harvard beisp iels

weise 600 Mark,in der medizin ischen Faku ltat 800 Mark, dafür

kann er so vie l Vo r lesungen belegen wie er wi l l . Würde Hamburg derl ei einführen

, so müßten natür l ich d ie Gehä lter en tsprechend erhöht werden . N ur müssen s ich d ie Freunde so l ch er,in mancher Beziehung zweifel los berech tigten Bewegung gegenwartig ha lten , daß dad urch das Pr ivatdozententum in höchstemMaße leiden würde

,und das Privatd-ozententum ist nun einmal

das Rückgrat der deutschen Un iversität. Würde auch derPrivatdozent einen festen Antei l am gemeinsamen K ollegiengelderhalten

, so wäre das naturlich nur ein e andere Form des festenGeh

'

al ts, und wurde dem akadem ischen Anfänger Gehal t gezah lt

, so würde natürl ich d ie Hab i l i tation ledigl ich von derBedürfn isfrage abhängig werden . Das ist der Zustand in Amer ika,wo es neben den orden tl ichen und außerorden tl ichen Professorenals unterste Stufe festbeso ldete Instruktoren

", aber kein e eigent

l ich en Privatdozen ten gibt, ein e Hauptschwä che der amerikan ischen Un iversitäten . Ob der Studen t d ie e in zeln en Vorl esungenbezah lt oder e ine runde Summe für das ganze Semester, machtj edenfal ls kein en Untersch ied für das al lgemein e Budget, da dieEinnahmen durch Gehaltszu lage den Dozen ten zufl ießen würden .

D ie laufenden Ausgaben der Un iversität,die sicherl ich e ine

Mi l l ion übersteigen würden,müßten davon unabhängig gedeckt

werden . Die Hamburger Bü rgerschaft m uß s ich eben da

rüber klar se in , daß U n ivers itätengr ünden, sow ie das Kr iegfüh renerstens Geld

,zweitens Geld und drittens Geld verlangt .

Aber selbst wenn einmal von al len ku ltu rel len Werten und

al len den unermeß l ichen ideel len Gewinnen,d ie e ine Hambu rger

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Der Internationale Gelehrtenkongreß.

m 19. Septembe r 1904 wurde in der gro ßen Festhal le derWe l tauss te l l ung der In ternational-e Gelehrtenkongreß (In ter

onal C ongreß o f Art an d Sc iences) m i t festl ichen Ansprachen ieröffnet der übere instimmende Grundgedankea l ler Eröffn ungsreden war

,daß h ier etwas Neues

,n ie zuvor

Versu chtes in d ie Erscheinung trete . Und als fünf Tagespäter e in vom Präs id ium der Weltausstel lung dargebotenesBankett a l l e K ongreßteilnehmer zum letztenmal zusammenführte

,klangen al le Reden in der U berzeugung zusammen ,

daß der Versu ch gelungen und in unserer von Kongressenüberfül lten Ze it e in n euer K ongreßtypus geschaffen wo rden se i ,der vorb i ld l ich weiterwirken würde . Wiederho l t betonte derPräsiden t der Weltausstel lung

,daß d iese K ongreßwoche den

Höhepunkt des We ltausstellungsjahrs b ilde . Darin aber war d ieamerikan ische Ge lehrtenwelt e in ig, daß , sowie d ie deutsche Kunstgewerbl iche und U nterrichtsausstellung in der ersten Reihe dersichtbaren Darb ietungen stand

, so deutsche Wissenschaft und

deutsche Ge lehrsamkeit den vornehmsten Ante i l an dem Geisteswerke der K ongreßarbeit darste l l te . Kein auswartiges Land wardurch e ine größere Zah l offiz iel ler Redner und sicherl ich ke inesdurch e inen stolzeren Kranz hervorragender Namen vertreten ;es sch ien fast naturgemäß

,daß auch das soziale Leben der Fest

woche s ich immer wieder um das Deutsche Haus gruppierte,und d ie Feste des de utschen Re ichskommissars , Gehe imrat Lewald ,d ie wil lkommenste Erho l ung von der strengen und anstrengendenK ongreßarbeit boten .

Der Gedanke,internationale Gelehrtenk-ongresse m i t e iner

Weltausstel l ung zu verb inden , war n ich t ne u . Ch ikago und Paris

Be i trag zu dem am tl ichen Bericht des deutschen Reichskomm issars zur

Wel taus stellung in St. L ouis . Veröffen tlicht Berlin 1 90 6.

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D er In ternati onale Gelehrtenk ongreß .1 97

hatten d ie Gelehrten al ler Länder zu e iner langen R eihe w issenschaftlicher S itzungen zusammenberufen , und beso nders be i derletzten Par iser Weltausstel lung hatte ein wissenschaftl icher Spezialkongreß den andern abgelöst . Aber gerade dort waren d ieUnzu längl ichke iten der Methode hervorgetreten . Man empfandzu deutl ich , daß Gelehrtenzusammenkünfte d ieser Art, w ie s ie,in nationaler oder in ternationaler Form ,

jahraus,jahre in für al le

Wissenschaften von j eher übl ich waren , keiner lei Beziehung zur

Weltausstel l ung besaßen und dort für ihre st i l les Werk denungeeigne tsten H in tergrund fanden . Wenn trotzdem die Re izevon Par is ein e beträchtl iche Zah l von Geleh rten an d ie Se inelockten , so empfand man in St . Lou is doch instinktiv, daß e ineb loße Wiederho l ung so l chen Schausp iels n icht genügen würde,um Geleh rte von Bedeutung aus a l ler Herren Länder zum

M ississ ipp i zusammenzubringen . Gerade das aber war l ebhaftesterWunsch

,da ein e Weltau sstel l ung, d ie den Schwerpunkt in den

E rziehungspalast ver legte, ke in vo l lständiges Kul turb i ld entwickeln konnte, wenn d ie Arbeit des wissenschaftl ichen Forschersn ich t ebenfal ls durch vorb i ld l iche Leistung vertreten war. Dieprovisorisch aufgestel lte Liste von hundert Spezialkongressen ,

von

Anthropo logie b is Zoo logie alphabetisch geordnet, ersch ien daherden Behörden selbst wen ig vertra

'

uenerweckend .

Im Oktober 1902 wurde ich von dem Direktorium der Weltausste l lung ersuch t

,Vorsch läge für ein e bessere Organ isation der

Kongreßunternehmungen auszuarbe i ten , und me ine daraufh inun terbreiteten Vo rsch läge gelangt en zur Annahme und Durchführung

. So mag es er laubt sein , aus me iner ausführ l ichen Denksch rift das Fo lgende zu z itieren : „Der trad i tionel le Plan für d ieWeltausstellungskongresse

besteh t in e iner langen Liste unzu

sammenhängenderVersamm lungen , m i t e inem langen Programm

unzusammen hängender Vo rträge ube r bel ieb ige Spezia lfnagen .

Der Hauptvo rte i l e ines so l chen P lanes ist der, daß e r sozusagenkein er le i Vorbereitung bedarf ; aber se ine Zwecklosigke i t l iegt so

auf der Hand , daß e ine Wiederho lung in St . Lou is m it einem vo l lständigen Mißerfo lg enden würde . Zu vielen anderen G ründenkommt vor al lem das wachsende Gefüh l der Übersättigung m i tspezialistischer

Arbe it,ein Gefüh l

,das sehr vie l lebhafter auf

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I 9S D er In ternationa le

treten muß , wenn hundert Kongresse h in tere inander tagen , ohn edaß der eine weiß , was der andere tut. Das Programm fürSt. Louis kann zu einem Erfo lge n ur dann führen , wenn wirden en tgegengesetzten Weg beschreiten . Statt noch einmal d iezersp l itterte Spezialarbeit anzuhäufen

,mussen wir auf Einhe i t

und Zusammenhang der Wissenschaft h inar'beiten ; statt desüb l ichen Programms ohne Zweck und ohne Bez iehung zumäußeren An lasse , müssen wir etwas schaffen , das ein en klar ausgesprochenen un d ein heitl ichen Zweck hat, und das seine A ufgabe n ur dann erfü l len kann , wenn d ie Führer der gesamtenGelehrtenwelt zusammengerufen werden . Ich würde vor

sch lagen,daß wir statt hundert unzusammenhangender Kongresse

e inen e inzigen Kongreß haben , viel le ich t m it h undert Sektionen ,aber e inen einzigen Kongreß , und daß dieser e in zige Kongreßdie Gesamthe i t des mensch l ichen Wiss ens umspann t und s ich diee ine e in zige Aufgabe setzt, die Einheit der Wissenschaft herauszuarbeiten . In d iesem Ze ital ter des Spezia l isten tums wo l len wirden zu lange vernach lässigten Gedanken der ge istigen Ein heitins Bewußtsein der Menschheit rufen . Wir wo l len m it demArbeitsbetr ie be für e ine Stun de haltmachen , um die. Grundideen

,d ie inneren Bez iehungen

,den letzten Sinn und d ie l etzten

Werte al le r d ieser Arbeit zu prüfen und zu überdenken : ein eFe iertagsstunde für d ie Welt des Geistes . Der Werktagsbetrieb

geht viel besser vor sich , wenn die e in zelnen Wissenschaftengetrennt sind und an gesonderten Plätzen arbe i ten , aber d ieseFeiertagsaufgabe der Selbstbesinnung, d ieses Bemühen, klarzu

ste l len , was sie al le verbindet, das verlangt in der Tat, daß d ieForscher einmal wen igstens sich al l e zusammenfinden , und dazuist e ine Weltausstel l ung wahrl ich der beste Platz .“

Noch ein anderes Mot iv stand fur m ich schon damals imVordergrunde . Es galt, hervorragende Gelehrte zu Vorträgennach St . Lou is zu führen ein e Stad t

,d ie kein e wissenschaft

l ichen Trad itionen von Bedeutung entwickel t hatte und kein e hervorragenden Geleh rten in nächster Nähe f inden konn te . Manmußte also versuchen

,aus Amerika selbst d ie führenden Forscher

aus Boston und New York, aus Baltimore und Wash ington , ausCh ikago und San Franzisko anzuz iehen , obgle ich besonders im

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2 0 0 D er In ternationale

durchaus angemessen , daß d ie Weltausstel l ung den Mitarbeiterne in Honorar anböte, das In lä ndern wie Aus ländern d ie erhebl ichenReisekosten

°

ersetzen könn te . Selbstverstän dl ich s tand es dabe ivon vornherein fest, daß al l e, die den Ozean zu kreuzen hatten ,genau d ie gle iche Entschäd igu ng für ih re Mitarbeit empfangenso l l ten .

D ie ä ußere Organ isation der Vorbere i tungen fo lgte n unmehrschnel l . Bereits im November 1902 wu rde von der Weltaus

ste l l ung ein Aufsich tsrat ernannt, dem die al lgemeine Veran twortlichkeit für das K ongreßunternehmen zukam . Der Präs i den tder Harvard-Un ivers ität

,El io t

,war leider n ich t in der Lage,

d ie Ein ladung anzunehmen,dagegen traten al le übrigen A uf

geforderten in den Aufs ichtsrat ein . Dies waren der Präs iden tder Co l umb ia-Un iversität

,Butler

,der den Vors i tz führte, der

Präsiden t der Un iversität Chicago , Harper, der Präsiden t des .

Bostoner Po lytechn ikums, Pritch ett, der Prä siden t der Staatsun ivers ität von M issou r i, J esse, der D irektor der K ongreßbibliothekin Wash ington , Putnam ,

e iner der D irektoren der Weltausstel lung,Sk iff

,und der New Yorker Staatsmann H olls . H o lls, der sich

für den Gedanken w issenschaftl icher Kongresse be i der St .Lou iser Weltausste l lung schon jahrelang vorher lebhaft in teressiert hatte und im Sommer 1 902 in e iner Audienz be im KaiserSympath ie für den Ged anken deutscher Betei l igung erregt

'

hatte ,

wurde leider bald durch frühen Tod aus dem Kreise herausgerissen .

Diese Behörde ernannte zunachst im Dezember 1902 einKomitee von ach t Gelehrten . Professor Newcomb von

Washington,der Vorsi tzende des Ausschusses, vertrat d ie mathe

mathischen Wissenschaften,Professor Basset Moore von der

Co l umb ia-Un ivers ität d ie j uristischen , Professor George Moorevon der Harvard-Un iversität d ie theo logischen , Professor Alb ion

Smal l von d er C hikagoer Un ivers i tät d ie vo lkswirtschaftl ichen ,’

Professor Welch von der Johns Hopk in s-Un ivers ität d ie med izin ischen , Professor Thompson aus Lynn d ie techn ischen Wissenschaften und der Unterze ichn ete d ie Ph i losoph ie . Dieses Kom iteeso l l te im e inze lnen Plän e beraten

,welch e dem Kongreß im vorher

angedeuteten Sinn e e ine einheitl iche Aufgabe b ieten könnten . Es

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Gelehrtenkongreß . 2 0 1

gal t sch l ieß l ich , im wesen tl ichen zwischen zwei vorgelegtenPlänen zu entscheiden e inem außerorden tl ich in teressan tenGrundplane von Professor Smal l

,demzufo lge der Kongreß d ie

Gesamtheit der wissenschaftl ichen Arbeit unter dem Ges ichtspunkte der wirtschaft l i chen Bedeutsamkeit betrachten so l lte, unde inem vom Unterze ichneten vo rbe re iteten Plane , demzufo lged ie W issenschaften unserer Zei t unter dem Ges ichtspunkt ihreslogischen Zusammenhanges bearbeitet werden so l l ten . DasKomitee und der Aufsichtsrat entsch ieden zugunsten des letzterenPlanes und akzeptierten gleichze i tig als Grundlage für al l eweitere Arbeit e ine E inte i l ung der Wissenschaften , d ie ich schonvorher in wissenschaftl ichen Werken vorgesch lagen und begründet hatte . Demzufo lge wu rde das Gesamtgeb iet der Wissenschaft in 7 Hauptabtei lungen , 24 Unterabtei l ungen und . 130

Sektionen gegl iedert . Mein weiterer Vorsch lag ging dah in , d ieselogische Tei l ung in dern Kongresse sich in zeitl icher Fo lge en twickeln zu lassen . Zuerst so l l te der Kongreß als Gesamthe i ttagen

,dann in seinen Hauptabtei l ungen , und in j eder d ieser

Hauptabte i lungen so l l ten d ie Vorträge s ich mit der E inheit desbetreffenden H auptgebiets beschäftigen . An den fo lgenden Tagenso l l ten dann d ie Unterabtei lungen zusammenkommen , und h ierso l l ten vornehml ich d ie Entwicklung, d ie einheitl ichen Methodenund d ie Grundbegriffe '

j edes solchen U ntergebiets verfo lgtwerden ; in den letzten Tagen sch l ieß l ich hatten s ic h d ie e inze lnenSekt ionen zusammenzufinden und in j eder e inzelnen sowoh ld ie Grundprobleme als vor al lem d ie Beziehungen der Sektionzu den Nachbargeb ieten zu betrachten , um so gewissermaßene in Netz geistiger Beziehungen über das gesamte Wissensgeb ietzu knüpfen .

Sobald der Plan festgestel l t war, erlosch d ie Funktion desvorbereitenden Komitees und d ie defin itive Organ isat ion „wurdebesch lossen . Zum Präs identen des Kongresses wurde der be

deutendste Astronom und Mathematiker Amerikas, ProfessorNewcomb , ernann t ; Professor Smal l und ich wu rden d ie V izepräsiden ten und uns D reien wurde d ie gesamte wissenschaftl iche Vorbere i tung des Kongresses vom Aufs ichtsrat überan twortet . Der Le iter der Unterr ich tsabtei l ung der Weltaus

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2 0 2 D er I n terna tionale

stel lung, Howard J . Rogers,war von vornherein zum

admin istrativen D irektor des Kongresses ernann t . Alle loka len ,finanzie l len und techn ischen Vorarbeiten

,wie d ie Drucklegung

der Programme und ähn l iche Verwa ltungsobliegenheiten , warenin seiner Hand . Nachdem die Pläne für das wissenschaftl icheGesamtwerk in al len Deta i ls vo l lendet waren im Früh l ing1903 galt es

,d ie gee ignetsten Männer für d ie geplan ten Vor

träge auszuwäh len . Der Plan umfaßte etwa 320 offiziel le Vorträge . Dazu kamen über 150 Stel l en für Vorsitzende derAbtei l ungen und Sektionen und ein e en tsprechende Zahl vonSchriftführern . Im ganzen gal t es

,über 600 gee ignete Vertreter

der Wissenschaft im voraus auszuwähle n und einzu laden . DerBetei l igung von Ausländern waren durch d ie n icht un erheb l ichenReisekosten gewisse Grenzen gesteckt . Es wurde besch lossen ,daß von den 320 H auptreden n icht mehr als 1 30, e ine in jederSektion , von Europäern übe rnommen werden so l l ten , um dasBudget n icht unverhältn ismäß ig zu belasten . Als Vors i tzendeund Schriftfüh rer so l l ten nur Amerikaner fungieren . Vor al lemaber stand es sofort fest, daß d ie Auswah l der Gelehrten n ichtder W i l lkür eines engeren Komitees vorbehalten b le iben dürfe,sondern in mögl ichst objektiver Weise d ie Wünsche der Fachgeleh rten zum Ausdruck bringen so l l te . Für jede einzige Sektionwurde daher e in e Reihe der bekannteren amerikan ischen Fachvertreter e ingeladen

,i hre Ansichten über d ie gee ignetsten Per

sönlichkeiten im In land und Ausland m itzu tei len , und so ergabens ich Vo rsch lags l isten von vie len h undert Spezia lgelehrten . DieM ehrheitswünsche dieser Berater wurden fast durchweg en tscheidend für d ie Auswah l der Einzuladenden .

Nachdem in d ieser Weise endgültige Ein ladungsl isten aus

gearbe i tet waren , gingen im Mai 1903 Professor Newcomb,Professor Smal l und ich nach Europa, um den auswärtigenKo l legen d ie Ein lad ungen pe rsön l ich z u übe rbringen , und zwarEin ladungen , d ie in jedem einz igen Fal le auf e in gan z bestimmtesdurch den Grundplan gefordertes Vortragsthema s ich bezogen .

Professor Newcomb übernahm d ie französischen und i ta l ien ischenEin ladungen , Professor Smal l d ie engl ischen , nord ischen und

russ ischen und der Unterzeichn ete d ie im deutschen Sprach

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2 04 D er In ternationale

der Staatsmann Hozum i und der Path'

o loge Kitasato . War esdoch woh l der erste Gelehrtenkongreß, bei dem Japan vo l lkommen als gle ichberech tigte Mach t auftrat und im Ehrenpräsid ium vertreten war .

Deutsch land und d ie deu tschen Un iversitäten ! sterre ichsstanden nun sicherl ich auch in der Bedeutung ihrer Vertreterh in ter keinem Lande zurück . Den Ehrenvorsitz der deu tschenGruppe hatte der Kongreß dem Berl iner Anatomen GeheimratDr . Waldeyer übertragen . Dazu gesel l ten sich im Umkreise derph i losoph isch-h istor ischen D iszip l inen für Logik Benno Erdmannaus Bonn , für R eligionsphi10 30 phie Pfleiderer aus Berl in und

Troeltsch aus Heidelberg, für Rel igionsgesch ichte Harnack ausBer l in , für Wirtschaftsgesch ich te Conrad aus Hal l e, für Agrarfragen Weber aus Heidelberg, fur Verkehrswesen Philippovicha us W ien , für Arbe ite rfragen Sombart aus B res lau ,

für Armenwesen Münsterberg aus Berl in , für städtisch e VerwaltungspflegeJastrow aus Berl in , für Soz io logie Toenn ies aus K iel, für engl ische Sprache Sievers aus Leipzig, für deutsche Li teratur Saueraus Prag und Minor aus Wien , für engl ische Literatur Hoops ausHeidelberg, für klassische Kunst Furtwängler aus München , fürn eu e Kunst Muther aus Breslau

,für m i tte lal terl iche Gesch ich te

Lamprech t aus Leipz ig, für Buddh ismus Oldenberg aus K iel , fürGesch ichte des al ten Testaments Budde aus Marburg, für Eth ikHense l aus Er langen , für Erziehungswesen Rein aus Jena 11 . a .

Von Vertretern der Naturwissenschaften kamen fur ChemieOstwald aus Leipzig und Van’t Ho ff aus Berl in , für physio logisch eChem ie Cohnheim aus Heidelberg, für Mechan ik Bo l tzmann aus

Wien , für M ineralogie Z irkel aus Le ipz ig, für Pflan zenmorpho logieGo ebel a us München

,für Pflan zenphysio logie Wie sn er aus Wien ,

für ! ko logie Drude aus Dresden,für Embryo logie Hertwig aus

Ber l in , für Anatomie Waldeyer aus Berl in , für Physio logie Verworn aus Gött ingen , für Anthropo logie Se ler aus Berl in , fürPatho logie Orth aus Berl in , für Pharmako logie Liebreich aus

Ber l in , für Päd iatrie Escherich aus Wien usw . Leider so l l tee iner aus diesem Kreise d ie Heimat n ich t wieder sehen : Feldmarschal l-Leutnan t R atzenhofer aus Wien , der einen wertvo l lenVortrag über Soz io logie h ie l t

,starb nach schwerer Krankhe i t

auf der Heimfah rt.

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Gelehrtenk ongreß . 2 0 5

Die amerikan ischen Un iversitäten,denen s ich d ie Hoch

sch ulen von Kanada ansch lossen , waren naturgemaß fast vo l lzählig du rch ihre besten Kräfte vertreten . Besonders von derHarvard-Un ivers itä t in Boston , der Co l umb ia-Un ivers ität in NewYo rk , der Johns Hopkins-Un ivers i tät i n Ba l timore , der C hikagoerUn ivers i tät

,der Mich igan-Un ivers ität in Ann Arbor, der Yale

Un ivers ität in New-Haven und der Co rne l l-Un ivers ität in Ithakawaren d ie bekanntesten Gelehrten tei ls als Redner, tei ls alsS ektionsvors itzende in dem Programme vertreten . Le iderkonnten d ie westl ichen Un iversitäten s ich nur in geringem Maßebete i l igen

,da d ie K ongreßwoche für d ie me isten schon ins

akadem ische Semester f iel,während d ie östl ichen amerikan ischen

Un ivers itäten noch Ferien hatten . Um der gefürchteten H itzewi l len war es n ichh zweckmäßig ersch ienen , den Kongreß vor

der zwe i ten Hälfte des September abzuhalten , obgle ich d ieFerien in den westl ich en Staaten der Un ion meist Mitte September sch l ießen . Durch verhältn ismäß ig re iche Vertretung warendie beiden Un iversitäten Kal iforn iens im Programme bemerkbar.

Der äußere Verlauf der K ongreßwoche entsprach genaudem Progiamme . J eder angekünd igte Vortrag wurde geha lten .

Die Bete i l igung an den versch iedenen Sektionen war naturgemäß

gelehrten Gesel lschaften und w issenschaftl ichen Verein e desLandes ausgesandt

.Die Zuhörerzahl war in erster Lin ie du rch

d ie größere oder ger ingere spezialistische Begrenztheit des Geblets bestimmt

.Naturgemäß waren außerdem aber die Vorträge

zur Verfügung geste l l ten 1 6 Vortragsha llen ihrer Abge legenhe itwegen für d en Besuch rech t ungünstig. D ie Zah l der Teilnehmerin den 130 Sekt ionen sche int zwischen 25 und 600 geschwankt

zu haben .Wenn be isp ielswe ise in der astrophys ischen Sektion

nur etwa 30 Tei lnehmer waren , unter d iesen s ich aber d ieD i rektoren sam tlicher amerikan ischen le i tenden Sternwarten ,Männer w ie P ickering

,Newcomb , Hale, Campbel l , Boß u . a . be

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2 0 6 D er In terna tionale

fanden und daneben aus Eu ropa : Backlund aus Rußland , Tu rneraus England, Bo lzmanh aus W ien

,Arrhen ius aus Stockho lm

,

Po in caré aus Paris usw., so entsprach das in ,

sehr vie l höheremMaße den Absichten der K ongreßle iter, als wenn die Vorträgesich auf ein Niveau begeben hätten

,das e in bre iteres Publ ikum

hätte an locken können . Fast in jeder Sektion sch lossen s ichan d ie be iden offiziel len Vorträge e ine Re ihe kürzerer Mittei l ungen

,die ebenfal ls auf Grund vorheriger Ein ladung dar

geboten wurden . Improvis ierte D iskuss ionen wu rden im wesen tl ichen verm ieden , um d ie innere Gesch lossenheit des Gesamtwerkes n ich t zu bee inträchtigen . An die. Arbeit sch lossen s ichtägl ich abwechselungsreiche Feste ; sämtl iche eu ropä ischen Delegaten waren üb rigens während der K ongreßwoche offizie l l eGäste der Weltausste l lung. Die deutschen Professoren hattenfast ausnahmslos bei angesehenen Famil ien von St. Lou is gastfreund l iche Aufnahme gefunden , aus der s ich manche freundschaftl ichen Bezieh ungen en twickel ten .

Wer ohne Vore ingenommenheit auf das gesamte Kongreßwerk zu rückbl ickt

,muß den Erfo lg anerkennen , der hüben wie

drüben gerade von den füh renden Gelehrten ruckhaltlos beton twurde . Gewiß hat es an äußerl ichen Störungen n ich t gefeh lt .Die lokale Vorbe rei tung l ieß vielerl e i zu wünschen übrig. DieVortragshallen waren zu nahe an geräuschvo l l en A usstellungsp lätzen Musik und Bahngerassel unterb rachen so manchen Redner ; un d die Verkehrsverhäl tn isse der Stadt, vor al lem d ie Ge

päckbeförderung, waren der Aufgabe, d ie der Weltausstellungs

besuch Ende September ste l l te, be i weitem n icht gewachsen .

Gewiß hat sich dadurch manche fl üchtige Verstimmung e ingestel l t, und daß trotz besten Bemühens d ie Wissenschaft nune inmal auf keiner Weltausstel l ung d ie rech te innere Ruhe f indenkann , daran wird auch nach d iesem Versuche n iemand zweifeln .

Aber al les das h indert n icht und hat d ie überwältigende Meh rheittatsäch l ich n icht geh indert

,das bedeutsame Stück Arbe i t, das

gele istet wurde,in d ie erste Re ihe der K u lturerfolge ‚d ies er

Weltausstel lung e inzuordnen . Nie zuvor ist du rch planmäßigeZusammenarbe it von Hunderten in e inem w issenschaftl ichen K ongreß e in so in s ich gesch lossenes Werk geschaffen worden , e in

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2 0 8 D er In ternationale

Gewiß wird auch dann manche En ttä uschung n icht ausb le iben

,denn n icht jeder„Vortragende hat sich wirkl ich an sein

Thema gehal ten . Mancher ist so weit abgeschwe ift, daß er se inene igentl ichen Gegenstand nur zum Ausgangspunkte se in er Abhandlung nahm

,und andere haben ihr Thema so verengert,

daß d ie le itende Idee nur kümmerl ich zum Ausd rucke kam . Eswäre ja denkbar gewesen

,al l d iese Feh ler nach trägl ich weg

zuretouchieren . Wenn ein großeres Gelehrtenkomitee d ie Bea rbeitung des gesamten Vo rtragsmate r ia ls übernommen undvon den ein zeln en Vortragenden Umarbeitungen , Ergän zungenund Kürzungen verlangt hätte, so hätte s ich das schließliche

Werk viel le icht dem Ideale noch mehr annähern lassen . Aberso lch e redaktione l le Tät igkeit würde Jahre beanspruchen und

es wäre schwer, e ine Grenze zu setzen . D ie „Weltausstellung

hat s ich deshalb sch l ieß l ich dah in en tsch ieden, von so l cher um

arbeitenden Redaktion gänzl ich abzusehen und das Material ,ungleich wie es sein mag, systematisch zu dru cken . D ie Herausgabe des Werkes wurde dem Direktor des Kongresses Howard

J . Rogers übertragen,die wissenschaftl iche Ein le itung dem Un

terzeichneten . Das Werk so l l in ach t großen Bänden erscheinen .

Der erste wird außer einem al lgemeinen Te i l e d ie Ph i losoph ieund Mathematik umfassen , der zweite Band d ie Gesch ichte derPo l itik

,der Wirtschaft, des Rechtes und der Rel igion , der dri tte

d ie Gesch ichte der Sprach e,der Literatur und der Kunst, der

vierte d ie anorgan ischen Natu rwissenschaften , der fünfte d ieBio logie und Psycho logie, der sechste Medizin und Techno log ie,der sieben te d ie soz ialen Wissenschaften

,der achte Un terricht

und Rel igion . In d ieser Weise w ird es mögl ich,daß schon

innerhalb des ersten Jahres nach dem Kongresse d ie erstenBände gedruckt vorl iegen werden . Bib l iograph ien und ausführ

lichste S achnachwe ise werden d ie wissenschaftl iche Brauchbarke i tdes Werkes erhöhen und kurze Biograph ien der 340 Rednerwerden das persön l iche Moment festhal ten .

Aber s icher l ich wird auch in d ieser n icht weiter redakt ionel lbearbeiteten Form der Veröffen tl ichung das überreiche Mater ialerheb l iche Bedeutung für d ie Wissenschaft beanspruchen können .

Denn gerade darin suchen d ie Freunde des Kongresses das

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Gelehrtenkongreß . 2 09

Wesentl iche d ieses Versuchs, daß h ier fur d ie Wissenschaftwirkl ich etwas geschaffen wu rde, was ohne d ie besondere K ongreßanregung ungesagt geb l ieben wäre ; und so man cher

,der

s ich dem Ganzen zunächst skept isch näherte,hat späterh in öffent

l ich erklärt, daß d ie Grund idee des Kongresses e inen vo l lständigenS ieg errungen hätte, ja, daß in ternationale Kongresse n ie wiedertagen so l l ten , ohne sich ein e gesch lossene einheitl iche Aufgabezu stellen . Diej en ige wissenschaft l iche Aufgabe aber

,d ie sich

der St . Louiser Kongreß vorgeze ichnet hatte,dürfte woh l selbst

dann als gefördert gel ten , wenn ein e spätere Drucklegung derVo rtrage gar n ich t beabs ich tigt gewesen wäre . Die Aufgabe warja d ie Vere inhe itl ichung der Wissenschaften

,und der bl oße Urn

stand,daß einmal in unserem Ze i ta l ter des Spezial isten tums H un

derte der besten Gelehrten sich zusammenfanden,um in strenger

wissenschaftl icher Form die verb indenden Beziehungen der Einzelwissensch

'

aften herauszuarbeiten und in e in er Zuhörerschaftvon Tausen den d ieses Bewu ßtsein des engeren Zusammenhangesal les Wissen s bedeu tsam anzuregen, das kann am Wissenschaftl ichen Betr iebe selbst n icht spurlos vorübergehen .

Der Gedanke der Vereinhe i tl ichung, der den Veranstalterndes Kongresses vors chwebte, bezog s ich nun aber n ich t nur aufden Zusammenhang der Wissenschaften , sondern auch auf denZusammenhang der wissenschaftl ich arbeitenden Kulturvölker.Auch nach dieser R ichtung ist der Erfo lg des Kongresses unbestre i tbar

. Zum erstenmal gewann e ine erhebl iche Zah leuropäischer Gelehrter ein en anschau l ichen Eindruck von derG le ichar t igke it des Wi ssenschaftslebens in der Neuen und inder Alten Wel t un d a uf der anderen Se i te hatten d ie Gelehrten

A rri erikas n ie zuvor so unm i tte lbar die Anregung empfunden , d ieihnen aus eu ropäischen Wissensquel len stetig zuströmt. Dasal les aber galt

,durch äußere Umstände begünstigt, in erster Lin ie

nun für d ie Bez iehungen zwischen amerikan ischen und deu tschenGelehrten

,Beziehungen

,die sich in den verschiedensten Sekt ionen

schnel l aufs herzl ichste gestal teten . Dabei ergab es s ich dannvon selbst, daß der persön l iche Verkeh r über den Bannkreis derWeltausstellungsstadt die ja für sich kein e wissenschaftl ichenTrad itionen beanspruchen kann schnel l h inaus reichte . Ein ige

Mü n s t e r b e r g ,A u s Deutsch -A m er ika .

14

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2 1 0 D er In ternationale Gel ehr tenkongreß .

der deutschen Geleh rten sch lossen s ich w issenschaftl ichen Expeditionen nach den Geb irgsgegenden an , d ie me isten aber fo lgtendem T r iebe zu den Zentren der geistigen Ku ltu r Amerikas .Wenige Tage nach dem Kongresse fanden sich fast al le deutschenGäste wieder in Wash ington zusammen , wo Präsiden t Roosevel ts ie im Weißen Hause empfing. Von dort ging d ie Fahrt nachPh i lade lph ia , darauf nach New Haven , w-o d ie Yale-U n1vers1tätbesucht wurde

,und dann zu fünftägigem fruch tbarsten A uf

enthalte nach Boston . Männer wie Harnack, S ievers u . a . sprachenh ier wiederho l t z u d-en Studen ten der Harvard-Un ivers i tät, undfrohe Feste führten d ie Dozen ten zusammen . Der Plan

,

'

daß

d ie Harvard-Un ivers ität und d ie Un ivers i tät Ber l in in Zukunftj ä hr l ich Professoren austauschen —werden

,mag als ein e der

frühesten Früch te d ieses neuen guten Einvern ehmens zwischendeutscher und amerikan ischer Gelehrtenwel t gelten . Abern iemand konnte d ie K ongreßentwicklung im ein zeln en verfo lgen ,ohne gewiß zu sein

,daß , wie der deutsche R eichskonim issar bei

dem Festbankette des Kongresses in_

sein_

er glän zenden Rede beton te

,an d iesem Stamme noch vie le Früchte reifen werden .

Nachschrift : Das Kongreßwerk ersch ien 1906 in ach t Bandenim Verlag von Hough ton M iffl in , B osto n , und wurde zunächstvon der Weltausstellungsbehörde in meh reren tausend

E xem

plaren an d ie Tei lnehmer des Ko ngresses und an B ibl io thekenverschenkt .

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2 1 2 D as Frauens tu dium

der Neuen Welt vortnefflich anpaßt, des halb o hne weitere s auchder Al ten Wel t e inge fügt werden konnte . Denno ch w i rken no chverwirrender d ie Irrtümer, die in der falschen Beurtei lung desMaterials selbst l iegen und daher al l e vergle ichenden Sch lüsseaus demselben en twerten . Gerade in d ieser Beziehung läßt d iedeutsch e Auffassung der ubersee ischen Verhä l tn isse noch außerordentl ich viel zu wünschen ü brig. Die n ivel l ierenden Tabe l lender Statistik und fl üchtige äußerl iche Reiseeindrücke, deren Zufäl l igkeiten schne l l veral lgemeinert wurden , mögen zusammengewirkt haben

,daß j ene s Heer von H ochschü lerinnen ohne fe in ere

Unterscheidung als Ganzes gepriesen oder geschmäht wird undbald den deutschen Studen ten

,bald den deutschen S ekundanern

para l le l gestel l t wird .

Die vö l l ige Unsicherheit in der kontin en talen Beurteil ungder amerikan ischen Frauenstud ien en tspricht frei l ich nur aufs

genaueste der al lgeme inen über raschenden Unkenn tn is über dasgeist ige Leben der Verein igten Staaten . Über d ie dreißigstöckigenHäuser und d ie Palastschlafwagen feh l t es n ich t an sachgemäßenVo rs tel l ungen d ie innere We l t Amerikas m i t i hrem unerschöpf

l i chen Streben und i h rer urgesunden, fr ischen Kraft, mit ihremEnthusiasmus und Ideal ismus ist vie lfach auch heute noch un

bekanntes Land . A us dem Hotelfenster kann man es nichtkennen lernen ; mehr a ls von ein em anderen Vo lke gil t es vonden Amerikanern

,daß man m itarbeiten muß , um sie verstehen

zu l ernen .

Dabei gi l t es zunächst,die unbegrenzte Mann igf al tigkeit der

Schattierungen zu sehen ; an j edem Fleck des Riesen reichs siehtes in d ieser Frage anders aus . Ich kann n icht versuchen , d ieVerhä l tn isse des amerikan ischen Frauenstud iums wirkl ich zusch i ldern ; n ur so vie l sei hervorgehoben , als nötig ist, um das

Niveau der betreffenden Anstal ten nach den in Deutsch landbekannten Maßstäben zu beurtei len .

Die in den Statistiken sich vordrä ngende Unterscheidungzwischen Staatsanstal ten und S tiftungsanstalten i st dabei sekundär.Die fünf hervorragendsten Un iversi täten , Harvard in Cambridgebei Boston, Johns Hopkins in Baltimore, Co l umbia in New.York,Yale in New H aven und die Un iversität in Ch icago, sind S tiftungs

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in Amerika . 2 1 3

h'

ochschu len ; desgleichen s ind samtliche Frauen co l leges S tiftungsan sta lten , während sämtl i che Staatsanstal ten beiden Gesch lechterngeöffnet sin d . Im al lgemeinen tritt der Staat nur da ein , wodie Stiftungen n ich t ausreichen , vornehm l ich im dünnbesiedeltenWesten

,während in dem geistig führenden Amer ika, d . h . in

dem Küstenstrich von Boston ‚bis Wash ington Staatsanstaltenn ich t in F rage kdmmen . Noch wen iger Bedeutung hat es, ob

die Hochschu len s ich als Co l leges oder als Un ivers i täten bezeichnen . Die Berecht igung zu so l cher Namensführung wirdnäm l ich n icht e inheitl ich von der Zentralregierung in Wash ington ,sondern von den Regierungen der 46 Bundesstaaten verl iehen ,deren K u lturdifferenzen in seh r viel weiteren Grenzen l iegen , alsdie ‘der e uropäischen Länder. Ich habe im Westen Un ivers itäten“

gesehen,deren U nterrichtskreis e twa dem e iner deutschen

Tertia und Sekunda en tspricht, während ein ige der tüchtigsten

ö stl ichen Un iversitäten den trad itionel len Namen d es Co l leges be ibehalten haben . Fassen wir beides als Hochschu le zusammendie amerikan ische h igh schoo l hat dam it n ichts zu tun, da sieetwa der deutschen Burgerschule en tsprich t so sehen wi rein e Skala von Insti tuten , deren höchste Stufen den besten deu tschen Un iversi täten vo l lkommen gleichstehen , wäh rend dien iedrigsten in Deutsch land noch kaum zum EinjährigFreiwi l l igend ienst führen würden . D ie überwä l tigende Mehrhe i taber von den 622 Hochschu len sind Insti tu te m i t v ierjährigemLehrp lan

,der im Lehrstoff und den wissenschaftl ichen Methoden

etwa ein er deutschen Sekunda und Pr ima entspricht, mit f reierWah l zwisch en Gymnas ia l und Realkursen ; der zum Sch lußverl iehen e Grad A . B . (Bachelor of Arts) würde dann dem

A bitur ientenzeugnis ko rr-espond ieren . Un iversi täten im de utschenSinne wären also nur d iej en igen Abtei l ungen , zu denen der Zutri ttan die vorher ige Gradu ierung geknüpft ist ; wir werdep e inKo l l eg, das a ls Ein tr i ttsbedingung Tertiavorkenntnisse und alsAbsch luß A biturientenwissen verlangt, n icht als ph i losoph ischeFaku ltät an erkennen und mediz in ische, ju ristische und theolo

gische Schu len , welche in ihren E intrittsbed ingungenn icht höher

stehen, vom deutschen Standpunkt n icht als Un iversitäten be

zeichnen .Betrachten wir als Studentinnen led igl ich d iejen igen,

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2 1 4 D as Frauens tudium

welche U nivers itätsstudienf nach Erreichung einer demA biturientenniveau entsp rechenden Vorb i ldung betreiben , so darfes als zweife lhaft gelten , ob unter den 38000 stud ierenden Damena uch nur 500 Studentinnen sind, .und noch vie l zweifelhafter, obun ter diesen w irklich 38, also der tausendste Te i l , es jäh rl i chb is zu e inem S tudienabschluß br ingt, der dem deu tschen Doktorg rad en tspricht.

Wenn denno ch d iese D urchschnittsko l legs immer wiederd en irrtüm l ichen Schein erwecken, als ob es s ich um echteph i losoph ische Faku l täten und um Studenten und Studen tinnenhandle

, Bo b eruh t das zunächst darauf, daß d ie Schüler gewöhn l ichvom ach tzehn tenb is zum zweiun dzwanzigsten Jahr, oft vie l ä lterim Ko l leg s in d , a lso

_

duréhschn ittlich mit ach tzehn Jahren e1neStufe erre ichen, die von den Knaben in Deutsch land gewöhn l ichm it dem sechzehn ten oder s iebzehn ten Jahre erre ich t wird . Dasl iegt an Vorzügen und an Schäden der Schu len ; einersei ts wirdin vortreffl icher Weise viel Zeit auf kö rperl iche Übung und

geistige Erho l ung verwendet, an ders eits d urch zu sch laffeD iszip l in und * oft du rch sch l echtes Lehrer oder rich tigerLehrerinnenmaterial unsägl ich viel Zei t vergeudet . Aber nich tnur das Alter der Schüler erinnert an unsere U mver3 1täten , ingle ichem Sinne wirkt d ie äußere E in rich tung. Da der Amerikan er

der wirkl iche , n ich t die in E uropa*erfundene Karikatur

se1nen Bes i tz als öffentl iche Vertrauenssache auffaßt und es fürsein e erste Pfl icht häl t, das Erwerben in den D ienst des Gemein =woh ls

_

zu stellen, so steh t für jeden gu ten Zweck das Geld ausprivaten Mi tteln fast unbegrenzt zur Verfügu ng. Der höhereSchu lunterrich t wird daher n ich t selten *

in Gebäuden und m it

Lehrin itteln e rte i l t, auf we lch e manche deutschen Un iversitätenm it Ne id bl icken würden ; dah in gehören vor al lem prächtigenaturwissenséhaftliche Institute . Drittens entsteht e in akademischer Schein dadu rch

,daß besonders für d ie beiden letzten

J ahrgänge, wen 1ger für d ie beiden ersten , den Schülern e inegrößere Freih e i t in der Wah l der Fächer gegeben ist, bald nur

in dem‚

Sinne, daß etwa zwischen dem Lehrp lan ein es huma'

n istischen und e ines real istischen Gymnasiums gewäh lt werdenkann; bald aber auch so weitgehend, daß sich der Schüler aus

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2 I6 D as Frauens tudi um

sch lechter, also mit coeducation , tei ls, und zwar besonders imOsten , um Fra uenko llegs . D ie erstere Form ist” d ie natürl ich eFortsetzung des im ganzen Lande be i weitem überwiegendenSch

'

u lsystems im Westen wird sie als selbstverständ l ich betrachtet, und im Osten macht d ie Bewegung stetige Fortsch ri tte .Vo rläuf ig ist aber für den Osten

,so lange d ie führenden Ko l legs

und Un ivers itäten den Frauen versch lossen sin d, d ie zweite Formcharakteristischer . Radcl iffe

,Bryn Mawr

,Smith

,Wel les ley

,

Vassar, Barnard und Ho lyoke s in d d ie wich tigsten . Auch d ieseFrauenkollegs , in deren je dem etwa 400 b is 1000 j unge Damenverein igt sind

,zeigen mann igfaltige Versch ieden hei ten ; so

unterrichten in Bryn Mawr nur Männer,in Wel lesley nur Frauen .

In Radcl iffe dozieren n ur Professoren der Harvard-Universitätim Nebenamt . Sie gehören al le dem höchststehenden Ko l legtypus zu . Wer etwa in Bryn Mawr oder Radcl iffe den A B .

erhält, hat daher ungefähr d ie B i ldung jemandes, der i n Deutschland das A‘bituri en tenexamen bestanden und dann viel le icht dreioder vier Semester in der Ph i lo soph ischen Faku l tät e iner deutschen Un ivers ität studiert hat.

Ist ein über den A . B . h inaus zum Doktor (Ph .

wirkl iches Un ivers i tätsstudium d ie verschwindende Ausnahme,so ist damit schon gesagt

,daß d ie überwältigende Mehrheit der

studierenden Frauen m i t Kenntn issen ins Leben geht,d ie bei uns

für e inen Gymnasia loberlehrer oder gar ein en Un ivers i tätsdozenten unzure ichend wären . Für d iejen igen , welche in s Lehramt übergehen wo l len

,s ind daher d ie n iederen , al lenfal ls d ie

mittleren S chu len der passende Wirkungskreis daß auch so

viele höhere Schu len d ie Frauen mit dem A . B . zur Lehrtätigke itzu lassen

,gehört zu .den vielen pädagogischen M ißbräuchen ,

an

deren Überwindung das Land arbe itet . Ein ganz klein er Bruchte i lwendet s ich nach dem A . B . dem hoheren Un ivers i tätsstudi umin der ph i losoph ischen oder med izin ischen Faku ltät zu ; AnnArbor, Ch icago , Cornel l u . a . erweisen da gastl iche Unterkunft,wahrend d ie großen Un ivers itä ten des Ostens s ich noch ziem l ichküh l zurückhalten . In Ha rvard oder Co l umbia wird kein e Frauim Ko l leg zugelassen . Der vie l größere Te i l der Studen tinnenaber keh rt in ihr Heim zurück

,mit e iner Fül l e geistiger An

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il l Amerika. 2 1 7

regung, die d urchs Leben nachwirkt. A us der neuesten Statistik der Gradu ierten des Vassarko ll—eg ergibt s ich , daß unterdenen , welche seit 25 Jahren oder länger das Ko l leg ver lassenhaben , etwa zwe i Drittel geheiratet haben . Man sagt co l lege

girls heiraten spät, aber s ie heiraten gut .

Es en ts teh t-

d ie Frage,w ie we i t d ie in so l chen Ko l l egs mög

l ichen Beobachtungen für deutsches Frauenstud ium Interesseb ieten . Die amer ikan ische Student in bes itzt außerorden t l ichle ichte Fassungsgabe

,s ie ‚hat sehr lebhafte In teressen für h uma

n istisc‘

he Studien , sie fo lgt den Vor l esungen m it e iner Ante i lnahme

,welche den ganzen Körper anspannt, drückt s ich meistens

gewandt aus,stel l t gesch ickte Fragen und ist fleiß ig. Ihre

schwächste Seite is t M athematik u nd Naturwissenschaft , und d iebedenkl ichste E igenschaft un ter dem Ges ich tspunkt höhererStud ien is t ih re Abneigung gegen andauernde Spez ial is ierung.

I ch würde m ich aber umsomehr h üten , a lles das als internationaleS tudentinneneigenschaft auszugehen, als sich auch der männl icheamerikan ische Studen t in gle ichem Sinne e in wen ig vom deutschen untersche idet ; auch er faßt du rchschn ittl ich leichter auf,aber ne igt au ch mehr zur Abwechselung ohne Konzen tration auf

ein spez ie l l es Thema . J edenfal ls aber hat mein amerikan ischerAufen thal t n ich t mein e Überzeugung ersch üttert, daß d ie Fraum it wen igen glän zenden Ausnahmen s ich zur w issenschaftl ichenForsch ung wen ig e igne t ; sie kann in der Wissenschaft gu treproduzieren , aber nur se lten produzieren . Für jen e wen igenglän zenden Ausnahmeerscheinungen ist ja aber auch in Europa

sch l ieß l ich d ie Bahn o ffen .

Viel wen iger noch läßt s ich a us den Ko l leg-Erfahrungen

en tscheiden, ob der M ädchenorganismus den Anstrengungen

e ines deutschen Un ivers itätsstud iums m it Staatsexamen gewachsen

ist.

E in normales Mädchen , das m it achtzehn b is zwanz igJahren in e in Ko l leg e intri tt, wird es nach vier Jahren ge

meinhin noch fri scher und gesünder verlassen . Man muß nur

in den prächtigen Parkan lagen von Wel lesley oder Smith diesesfröh l iche Leben der j ungen Mädchen gesehen haben , d ie a l le

im Park beisammen wohnen und in Vereinen und K lubs, m i t

Rudersport und Tanz und Theaterauffuhrungen d ie Mußestunden

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2 I 8 D as F rauens tu diuni

fu l len und in ihren l ich ten K leidem selbst in den N ischen derB ib l iothek und an den Arbeitsp lätzen der Labo rator ien Frohsinnund Lebensgenuß zu atmen schein en . Der Typus der abgearbeiteten , h ungrigen , hoh lwangigen Sem inar istin , d ie sich m i t Nach tarbe i t b is zum Lehrerinexamen durchquält, schein t ganz so un

bekannt, wie der Typus des Blaustrumpfs oder der exzen trischenNih i l istin . Ich

bin buchstäb l ich n iemals e iner Studentin begegnet,d ie durch K l eid ung Oder Benehmen als unwe ibl ich auffal lenkonnte . Es ist ein Bild der Frische, der Anmut und Gesundhei taber al l e unsre Ausführungen so l l ten j a gerade darlegen , daß

es s ich dabei durchaus n ich t um Berufsstudium im deutschenSinne handle . Ob n icht e in Bil d der Erschöpfung und K ränk

l ichke i t dara '

us würde,wenn es gälte, unter den sozialen Bed in

gungen deu tschen Hochschu l leben s s ich für e in Staatsexamenzu rüsten , muß m in destens e ine offen e Frage b leiben .

Geradezu falsch abe r ist es , wie es so o ft gesch ieh t, die e inwandsfreien Ergebn isse der coeducation im gem isch ten Ko l leg“als Bewe ism ittel dafür zu verwenden

,daß auch d ie deu tschen

Auditor ien und Laboratorien d ie Studen tinnen n icht nur als Ausnahmen -wil lkommen heißen so l l ten . Die Auffassung des Amer ikaners ist d ie, daß gemeinschaftl ich e Erziehung be ider Gesch lechter von der Natur durch das Fam i l ien lebenvorgeze ichnetist, und daß sie d ie Knaben veredel t und die Mädchen kräftigt .Während es aber in den ersten ‘ Jahren den Knaben so d ieDerbheit und den Mädchen die Schüch ternheit verscheuchenso l l

,kommt in den reiferen Jahren noch h in zu , daß ein gemein

sames geistiges Arbeiten nach gemein samen Z ielen be ide Tei levon al ler Sinn l ichkeit ablenken so l l . : d ie j ungen Leute sagtder Amerikaner werden im Ko l l eg zu Kameraden , d ie d urchdas stete Zusammensein gesch lechtl ich e inander gle ichgültig sin dund so den Torhe iten und Phantasieverirrungen der En twicklungsperiode entzogen werden. Die Erfah rung gibt demRecht. Irgendwelche M ißbräuche haben s ich in den besserenInstitu ten n irgends herau sgestellt und die n ich t seltenen Ehenfrüherer Kameraden erwachsen aus geistiger Gemeinschaft.Zweifel los l iegen nun aber auf dem europä ischen Kont inen t d ieVerhältn iss e wesen tl ich anders

,un d zwar in erster Lin ie d urch

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2 20 D as Frauens tudi um

Toch ter der besten Fam ilien vgehen i ns'

amer-i-kanische Ko l leg,n ich t wei l s ie auf das Brot der Lehrerin angewiesen sind

,sondern

wei l d iese Jah re freier Betätigung im Gebiet ernster Stud ienihnen das Leben verschönen , ver ede ln und bere ichern . Esgibt in den Verein igten Staaten viele Gegner des gemischtenUnterrichts und noch mehr G egner der weibl ichen gelehrtenBerufstätigkeit ; es gibt aber woh l kein e Gegner der höheren ,über die „Töchtersch ule

“ weit hinausgefuhrten Frauenb ild ungder Amerikaner füh l t zu stark

,welche Quel le von Ideal ismus

und Enthusiasmus und geistiger Regsamkeit dort dem Landesprudel t . Wenn der Deu tsche da

,wie es n icht sel ten gesch ieht

,

mit dem Einwand kommt,daß so lche G le ichmachere i n ur e in

Ze ichen der n iederen B i l dung sei,da al l e fe in ere Ku ltu r auf

Arbeitste i l ung und D ifferen zierung abziele, so verkenn t er denbesten Sinn der dortigen Einrich tungen , d ie fü r Frauen und

Männer n ich t G le ichartiges,sondern G leichwertiges anstreben

und d ie Frau gerade a ls einstige Gattin und Mutter vertiefen und

veredeln wo l len . Der Amerikaner pflegt sol cher deu tschenKritik meist m it n icht wen iger derbem E inwand zu begegn en :in Deutsch land werde d ie Frauenb i ldung gan z vernach lässigt,weil d ie Männer in ihren Frauen nur hübsche, re iche Puppen oderhöhere D ienstbo ten suchen

,und da d ie Mädchen somit n ich ts

lernen , so ble ibe ihnen auch n ich ts übr ig, als vom s iebzehn tenJahr an d ie Jagd nach dem Mann zum Lebens inhal t zu ma ch enun d später verhe irate t o de r unve—rheiratet e in ge istig leer-es Daseinzu führen . S o arg das übertri eben ist, so deu tl ich zeigt es, wasder Amerikaner vermeiden wi l l . S o wie er d ie M itgift fast n ichtkenn t und d ie Geldheirat verach tet

, so haßt er d ie S chabloneneheohne geist ige Gemeinschaft . Das We ib so l l für e in en geistigenLebensinhal t kämpfen

,n ich t um die Ehe abzuschaffen , sondern

um sie zu veredeln . Es so l l d urch die ernste Berührung m it denbesten Gütern der Kul tur in s ich ein e fre ie Persön l ichkeit herausb i lden

,für welche d ie Ehe in demselben S inn e Vo l len dung ist,

in welchem sie es auch für den Mann sein so l l . Das Lebe ndes Mädchens

,das n ich t heiratet, ist dann aber ebensowen ig

überflüssig und inh'

al ts leer,wie das des Junggesellenp kein

M äd

chen ist daher zur Ehe m it dem ersten“ besten ged rängt ; d ie

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in Am erika . 2 2 1

Ehe wird dadurch geistig und sittl ich vertieft, und mit ihr hebtsich das Niveau des Hauses

,der Erziehung

,der Gesel lschaft.

Br ich t aber der Mädchen unterrich t ab,sol ange das S chullernen

nur ein e lemen tares K enntn issesammeln ist, wie es vor demsechzehn ten Jahre unverme idl ich , so b le ibt davon nichts T iefereszurück

,und in den Jahren , in den en der Geist du rch rein e Er

hebung vom anderen Gesch lech t abge lenkt werden so l l te, w i rdgerade d ieses zum Zentrum des inneren Lebens : d ie Frau verflach tund wird zum Spielzeug oder zur häus l ichen Arbeiter in , ohn eFäh igkeit und, was noch sch l immer, ohne Ne igung zur Antei lnahme an den ernsten Aufgaben der Zeit . Gerade s ie aber istumsomehr dazu berufen , im Dienst der m itlebenden und dernachwachsenden Generation zur Träger in und Hüterin der Ideal eZu werden , als ih r der rauhe M ännerkampf ums Dasein erspart ist.

Würde ich einen voru rtei lsfreien Amerikaner um se ine Ansich t über d ie deutsche Frauenfrage ersuchen , so würde seineAn twort daher etwa fo lgendermaßen lau ten : Gewiß ist es ein ewich tige Sorge , wie die unbem ittel ten Töchter e urer besserenStände

,wenn sie n icht heiraten , sich den Unterhal t erwerben

können ; vermutl ich wird man"sie auf d ie Dauer deshalb n ich t

von dem eigentl ichen Berufsstudium der Un ivers i täten und demStaatsexamen gan z fem halten können . Und wich tig ist auchder Wunsch

,für e inzeln e Ausnahmen von ungewöhn l ichem

Talen t für d ie wissenschaftl iche Forsch ung die Bahn zu denhöchsten Z ielen zu eröffnen ; auch da wi rd gewiß bei euchmanches bes ser werden müssen . Unendl ich wichtiger aber alsd ie Versorgungs und d ie Geniefrage ist für euer ganzes Vo l k d ieal lgemeine Hebung des we ibl ichen Bi ldungsn iveaus in eurengeb i ldeten Ständen

.Gerade d iejen igen Mädchen , welche es

„n ich t n ötig haben“

, so l l ten m indestens b is zum zwe iundzwan

z igsten Jahr ohne Ü berbürdung in strammer ge istiger Zuchtb leiben und so e ine Vertiefung gewinnen , ‚

welche fürs Leben

dauert.Bloße Kop ien der K nabengymnas ien genügen dafür

n ich t;s ie wo l len ja nur Vorstufen zum Berufsstudium sem .

G ründet in He idelberg,Bonn‘ oder. Jena, oder in der Nähe der

großen Städte e in deutsches Bryn Mawr, ein deutsches Wel lesley,

e in deu tsch es Radcl iffe ; Frauenho chschu len , d ie auf kein Staats

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2 2 2 D as Frauenstudium in Am erika .

examen,sondern auf ein en geistigen Lebensin halt; h inarbeiten

m it steter A npassung an die seel isch-körperl iche Organ isat iondes Weibes . Dann werden schon langsam von dort aus s ichneue Wege zu den Erwerbsquel len f inden , und spez if isch we ibl iche Un ivers itäten sich en twickeln . Vor al lem aber werden dannau ch eure deutschen Männer langsam einsehen lernen

, daß ihr

He im n ichts an G emüt, ihre Kinderstube n ich ts an sittl ichemWert, ih re Gesel l igkeit n ichts an Reiz und .A nmut einbüßt, wenndie

'

Frau in ihren Mußestunden gern zum griech ischen Platound Sophokles greift oder . d ie wissenschaftl ichen Ze itschr iftene ines bestimmten Faches verfolgt. Manch unwürd ige Ehe ‚wäredann unmögl ich

,m

'

anche D utzendehe wäre dann verinn er l ich t,zah l lose leere Existenzea iirden Sinn gewinnen , u nsägl i ch e Enttäuschung und Unsitt l ichke i t wäre ‘

verhütet, das’

ganze Niveauder Erzieh ung und der sozialen Frauenstel lung würde gehoben ,und das würde segensreich zu rückwirken auf das gesamte öffentl ich e Leben .

. D ie wirk l ich geb i ldete Frau muß auch bei euchüber die gel ehrte Frau so _ gu t wie über d ie viertelgebildete Frausiegen ; solange dieses Mitte ld ing euch feh l t, werden d ie Gegensätze der Frauenfrage sich n ur stetig verschärfen .

Und wer ein paar Jahre etwa in Boston gelebt und dieFrauen im Haus, inder Gesel lschaft, im öffentl ichen Leben dortbeobach tet hat

,der wird doch viel l eicht lange schwanken , ob

er so l ch er Amerikanerans icht mit gutem Gewissen widersprechendarf.

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2 24 Fichte und di e

Im Akadem iegebäude zu Be r l in hat Fi ch te den Winter von1807 b is 1 808 h indurch vor Geb i ldeten al l er Stände sein e flammendem Reden ge halten . „Schwerter und Bl itze“ wo l l te erreden . Und n ich t gefahr lo s war d ie Tat . Kurz zuvor erst hatteNapo leon e inen Buch händler ersch ießen lassen , de r e ine franzosenunfreund liche Sch r ift verbrei te te . Fich te wußte wo h l , daßer Wahrheiten aussprechen würde

, „die vo r den Geri ch ten desFein des des To des sch u l d ig s in d“ . Aber d ie Furch t vor derGefahr konnte se inen s i tt l ichen M ut n ich t schrecken . Nur uberden To d h inweg, mit einem Wi l l en , den n ich ts , au ch der Todn icht

,beugt un d absch reckt, taugt der Mensch etwas .

” Ind iesem Ge iste tro tzte er den Veräch tern des Vater landes .

Aber der M ut al le in hätte n ich t zu b l eibender Wirkung

gefuhrt ; ein e gro ße Neugestaltung kann n iemals a us Al l tagsgedanken hervorgeh-en, au ch wenn s ie m it Mut un d Bege is terungvorge tragen s in d . Dauernde Wirkung erzielen n ur wi rkl ich neueGedanken

,die a us dem tiefsten G runde sich emporarbe i ten . S o ist

es denn kein Zufal l,daß das en tsche idende Wo rt in der Stunde

der No t von den Lippen ein es Mannes kam ,der in der sti l l en

Ge lehrtenstube zu den le tzten Fragen des Menschenge istes vorgedrungen . Fichtes Wissenschafts leh re“ steh t nebe n KantsVernunftkr it ik als das gewal tigste We ltanschauungswerk da, daszweitausen d Jahre deutscher Gesch ich te hervo rgebrach t . Nuraus so l cher Tiefe des Gedankens s ind der Mensch he it a l l ezei td ie wahrhaft be fre ien den Ideen ers tan den ; im le tzten Grundewar es do ch stets d ie st i l l e Denkarbe it der gr oßen Phi losophen ,die sch l ieß l ich al le Umwälzungen in der Kulturgesch ich te e inge le itet .

Für Fich te konn te daruber ke in Zweife l se in , daß d ie Neuerste hung Deutsch lands n ich t von äußerl ichen Glückszufällenerho fft werden durfte

,so n dern durchaus von e iner innert: Urn

gestal tung des Vo l kes abhäng ig war . E in e Neugeburt des demschen Ge istes muß e insetzen . Die Deutschen müssen s ich klarwerden , was ihre be sondere Aufgabe in der We lt se i und wies ie s ich scheiden von al len anderen Nationen . Ist abe r erstder wahre deutsch e Geist erkannt

,dann muß er zum M i tte l

p unkt des natio nalen Daseins werden . Dazu aber bedarf es

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Deutsch-A m erikaner .2 25

e iner durchaus neuen nat ionalen Erz iehung, welche d ie gesamteJ ugend m it deutsch em Ge iste durchdr ingt . So kommt es denn ,daß d ie tre ibende Kraft der Reden an d ie deu tsche Nation inder Frage l iegt, was es be deute , e in Deutscher zu se in , welch eMitte l dem Deuts ch tum d ienen

,welche Pfl ichten das Deutsch

tum in s ich trägt, welch e Rech te das Deutschtum beanspruchenso l l .

Nirgends abe r ka nn al les das he ute nach h undert J ahrenvo l l er wiederklingen ,

als in der Seele des Deutschen in derNeuen Welt . Auch er s ie h t m i t o ffenen Augen , wie fremdeSprach e und fremder Ge is t sein Deutschtum bedro hen und

untergraben und auch er fragt s ich unwi l lkür l ich , ob denn derDeutsche e igen tl i ch eine beso ndere Aufgabe in der Wel t bes itze

,d ie er fes thal ten so l l inmi tten des an dern Lebens, das

i hn umgibt. Gewiß ist die Lage im wesentl ichen unvergle ichbar :

kein napo leon ischer Tyrann bedro h t den Deutschen h ie r, derFremde ist n ich t in se in e Gehege e ingebrochen , so ndern m i tfro hem Ho ffen hat e r selbs t den Fremden aufgesucht, um m i ti hm m itzuarbei ten im Aufbau e iner neuen wunderre ichen Welt.Und der Fremde ist ke in stammesfremder Franzose, sondernder nahverwandte Angelsachse

,der ihn so viel des Treffl ichen

lehren kann.Und denno ch ble ibt es dabe i , daß er nur mit Weh

mut un d Zagen das Deutsch tum , das M i l l ionen über den Ozeantrugen

,in der tägl i chen Re ibung zerkrümeln s ie h t und daß

er immer w ieder fragend ausbl-ickt, ob n icht inmitten des neuenLebens der Ge ist der a l ten He imat erhalten b le iben kann . In

d ies em S inne sind d ie Reden an die deutsche Nation für unsges chrieben .

Für u ns ist es geschr ieben , wenn Fi chte sagt : Der Menschw ird le ich t un ter j edem H imm—elsstriche e in he im isch , und d ieVo lkseigentum lichkeit,

weit en tfern t durch den Wohnort sehr

verändert zu werden , beherrsch t v ie lmeh r d iesen und veränderti hn nach s ich Nur darauf kommt es an , daß di ese Spracheo hne Unterbrechung fo rtgespro chen werde, indem we i t meh r d ieMenschen vo n der Sprache geb i l det werden , denn d ie Sprachevon den Menschen .

“ Für j ede fremde angee ignete Sprache gi ltes j a

,daß o bwo h l eine so l ch e Sprache durch den Wind des

M ü n s t e r b e r g ,A u s Deutsch -A m er ika . 1 5 L

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2 26 Fichte und die

Lebens bewegt werden un d so den Sche in e ines Lebens von

s ich geben mag, so hat s ie do ch tiefer e in en to ten Be stan dtei l und is t, durch den Eintri tt des neuen A nschauungskreisesund die Abbrech ung des a lten

,abgeschn itten von der lebend igen

Wurzel . Und wieder s chein t es für die Deutschen in Amer ikages chr ieben , d ie an der Ersch l ieß ung des Lan des tapfer m itgewirkt : Unter den besonderen M i tteln , .

den deutschen Ge istwieder zu heben

,wurde es e in sehr kraft-iges se in , wenn wir

ein e bege iste rn de Gesch ichte der Deutschen aus d iesem Ze itraum hätten

,d ie da Vo lksbuch würde

, s-o lange

,bis wir selbst

wiederum etwas des Aufzeichn ens Wertes hervorbrächten .

“ Undwieder spricht Fich te von uns : Das, was eigen tl ich in d ie Verworrenheit über unsere Lage uns sturzte, war d ie süße Se lbstzufr i eden he it m it 'uns . Es war bisher gegangen und ging ebe nsofo rt ; wer uns zum Nachdenken auffo rderte

,dem zeigten wir

triumph ierend unser Das ein un d Fortbestehen , das s ich o hneal les unser Nachdenken ergab . Es ging aber n ur darum , wei lwir n ich t auf die Probe geste l l t wurden .

Um aber über d ieses gle ichgultige Zufa llsfo rtbestehen wahrhaft h inaus zukommen , tut auch uns h eute ein es vor al lem not

es gi lt im tiefsten zu begre ifen , was der S inn des De utsch tumssein so l l . Denn das wird doc h n un woh l auf al len Se itendeutl ich erkannt

,daß d ieses krafterfü l l te Vo lk un ter dem Sternen

banner n icht e twa e in Vo l k von Engländern se in darf, in demdas N ichtengländertum sp urlo s a ufgeben muß, son dern daß dietüchtigsten Nationen d er Alten We l t h ier zu neuer ein heitl icherVers chme l zung gelangt sin d und daß j eder Vo lksstamm n urdann der neuen He imat würdig ist, wenn er unablässig seinE igenst

-es,se in Bestes

,sein Ursprüngl ichstes zum ne uen Gemein

wes en be i trägt . Nu r dann d ien t der Deutsche dem neuen Vaterlande

,wenn e r das ede lste Deutsch tum in dieser Ne uweltbi ldung

zur Geltung bringt . Das deutsche Lied und der We ihnach tsbaum s in d dafür wahrl ich n ich t gen ug. Für uns hat Fich te ese in für al l ema l gesagt, was es be deute, e in Deutscher zu he ißen .

Die Lebensauffass ung und Weltanschau ung trennt denDeutschen von a l len anderen Nationen und adel t sein e Gesch ichte . Um zu dem Quel lpunkt zu weisen : al le anderen

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2 28 Fichte und di e

fuhren in ihre A bgrunde und Fe lsmassen von Gedankensch leudern

,aus denen d ie zukünftigen Zeital ter s ich Wo hnungen

erbauen“ . Der eigen tl i che Untersche id ungsgrun d l iegt dar in,

ob man an e in abso l u t Erstes un d Ursprüngl iches im Menschense lber, an Fre ihe it, an unendl iche Verbe sserlichke it, an ew igesFor ts chrei ten unseres Gesch lech tes glaube od er ob man an al lesd ies es n ieht glaube .

“ Wer in der Tat n ich t mehr is t als e inG l ied in der Kette der Ersche in ungen

,der kann woh l e inen

Augenbl ick s ich frei wähnen,aber se inem strengeren Denken

hält d ieser Wahn n ich t s tan d ; w ie er abe r s ich selbst findet,eben also denkt er no twen d ig se in ganzes Gesch le ch t . WessenLeben dagejgen ergr iffen ist von dem Wahrhaftigen , der ist fre iund glaubt an Frei hei t in s ich und anderen .

„Aber d ie Wurzelal ler S ittl ichkei t is t d ie Selbstbe herrsch ung, d ie Se lbstüber

windung, die Untero rdn ung seiner selbstsüch tigen Triebe unterden Begriff des Gan zen .

Auch das Leben , das uns h ier umgibt, ist auf Lust undNutzen gerich te t der größtmöglichste Gen uß der größtmögl ichenMasse sche in t das tr iviale N ützlichke itszie l des ganzen Geme inschafts lebens : da so l l s ich der deutsche Ideal ism us erheben undimmer wieder durch se ine Tat den G lauben daran beweisen , daßunser Leben n ich t um des Genuss es , sondern um der Pfl ich twi l len uns gegeben is t. Für uns hat Fich te es sein en zagenden

Hörern zugerufen : Wir müssen ebe n zur Stel l e werden , was wirohnedies se in so l l ten , De utsche . Wir so l len unsern Ge ist n ich tun terwerfen ; so müssen wir ebe n vor a l len D ingen einen Geistuns anschaffen , und e in en festen und gew issen Geist ; wir müssenernst werden in al len D ingen

, und n icht fortfah ren , b loß leich ts innigerwe is

-e und n ur zum Scherze dazu sein ; wir müssen uns

haltbar e und unersch ütterl ich e Grundsätze b i l den , d ie al lemunserem übrigen Denken und unserem Hande ln zur festen R ichtschn ur d ienen . Leben un d Denken m uß be i uns aus e in emStücke se in und e in sich durchdr ingen des und ged iegenes Ganzes ; w i r mussen in be iden der Natur und der Wah rheit gemäßwerden und d ie fremden Kunststücke von uns werfen ; wi rmüssen , um es m it e inem Wlorte zu sagen , uns Charakter anschaffen denn Charakter habe n und de utsch se in ist o hneZweife l gle ichbedeutend .

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Deutsch-Am erikaner . 2 29

D ie Jahrh un dertfeier der Fichteschen Red-en an d ie deutscheNation wird n icht, wie der S chillertag, mit S traßenparaden und

Fes tchören gefeiert werden . Abe r wahr l ich spurlo s so l l te s ien ich t vorübe rgehen . Sie so l l te n ich t vo rübergehen , o hne daßd ie Deuts chen der Neuen Welt d iesen Ge ist des FichteschenDeuts ch tums in s ich vert ieften , um sich ihrer unerschöpfl ichenAufgabe lebend iger bewußt zu werden denn Charakter habenund deutsch se in ist o hne Zwe ife l gle ichbe de utend“ .

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XVI I I .

Die Prinzenreise.

ach der Heimkehr des Pr in zen Hein r ich beginnt s ich n unlangsam das

‚Wesentl iche d ieser Fahrt von dem vie len Un

wesentl ichen abzuhebe n . S o kurz auch d ie Reise bemessen ,es war ja unvermeid l ich , daß s ich vie l G lei chgül tiges , Trivia les undAufgebausch tes an den Gas t des übergastfreundlichen Landesherandrängte do ch a lles das wird schne l l vergessen se in .

Zum Unwesen tl ich en gehörte auch manches Erfreu l iche ; daß derPrin z die Sch lach tfe lder im Süden , den Niagara im No rdensah , das mag ihm persön l i ch in schöner Erinn erung bleiben ,aber zu dem , was der Reise Charakter gab , gehörte es n ich t.D er Prin z kam n ich t a ls Glo betro tter, der mit To uristenn eugier Re iseunterhaltung sucht, sondern als Ver treter desKaiser s und des deutschen Vo lkes und deshalb begierig, ‚n ich tan seine persön l iche Zer streu ung zu den ken , sondern m iteigenen Augen und Ohren die Wesenszuge des ameri kan ischenVo lkes kennen zu lernen

,wo h l bewußt, welche gefähr l iche Un

kenntn is des Amer ikanertums auch in den besten Kre isenDeuts ch lands no ch lvorherrscht. Un ter diesem Ges ich tsp un kt galtes , den Gast dorth in zu führen , wo di e en tscheidenden Merkmale des Vo lkes zum prägnantest-en

Ausdruck kommen .

Wer d ie Seele des amerikanischen Vo l kes kenn t, der weiß,daß da drei Mo tive im Vo rdergrund stehen : der Geist derSe lbs tbestimmung, der Geist der Selbstbe tätigung und der Geistder Se lbs tvervo l lkommnung, dre i versch iedene Ausdrucksformender gleichen in dividual istisch en Lebensauffass ung. Ein Vo lk, indem jeder einzige im weitesten M aß es als Pfl ich t füh l t unddes halb das Recht hat, se in po l i t isches Sch icksal se lbs t zu entscheiden e in Vo l k, in dem jeder e in zige es als Pfl ich t

Veröffen tlicht in der »Woche«. 1 90 2 .

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2 32 D ie P rinzenreise .

do ch n ich t mögl ich gewesen war en , wenn n ich t s ittl ich wertvo l l ere Mo tive a ls bloß e Habsu ch t dah in ter gestanden hätten .

Und d ie gle iche Übe rras ch ung, m i t d-er das unvo rbere i te teEuro pa d ie R ies enentfa ltung ameri kan ischer Po l i t ik und Wi rtschaft erlebte

,wi rd s ich unerwarte t schnel l a uch auf dem Ge

biet des Ge istes le bens einste l len . Da is t d ie Karikatur ja amsch l immsten

,d ie euro päis che Unkenntn is der amerikan ischen

Vo l ks seele am bedaue rl ichsten . Der Ge ist der individual ist ischenSelbs tvervo l lkommnung br ingt es ja no twend ig m i t s ich , daßd ie Hebung des geistigen Niveaus für d ie A l lgeme inhe i t zunächst w ich tiger ersche-in t als d ie Züch tung vereinzel terM aximal l eis tungen ; d ie stärks ten Energie n der Nation müssens ich daher zunächst in den D ienst der Aufgabe ste l len

,B i ld ung

und In teresse in d ie we itesten Kre ise zu tragen,statt a l l e Kraft

auf kle ine G ruppen zu ko nzen tr i eren . D ie In tens ität desge istigen Lebens in den M i l l io nen beach tete man n ich t ; manbemerkte n ur d ie

‚Selten he it der Ein zel le is tungen von We l t

bedeutung un d sch lo ß daraus auf ge ist ige Unfäh igke it undInteresselo sigkeit . So wie der Amerikaner po l i t isch korruptund wirts chaftl ich habgier ig se in so l l te, so so l l te er in Kunstund Wissenschaft a ls Barbar gelten . Der D urchschn ittsd-eutsche

hat j a auch heute no ch kaum e ine Ahnung davon , daß s ich aufge istigem Gebiet h ier vie l le ich t no ch größere Wandl ungenvo l l zogen als auf kommerz ie l lem und po l it ischem . Und auchda handelt es s ich n i ch t e twa um blo ß e Nachahm ung, so ndernum e igene Aufgaben m i t e igenen Lös ungsmetho den . So w ied ie in dus trie l le En twickl ung h ier gan z andere Wege ging alsin D euts ch land, h ier i hre Erfo lge d urch arbe itsparende Maschinen erre i ch te

,währen d Deutsch land durch b i l l ige Arbe i ts

kräfte im Vo rte i l war,so hat auch der geistige Fortschr i tt h ier

seine e igenen Wege gesuch t . Das B iblio thekwesen ,dem n ichts

Ähn l iches druben an d ie Se i te zu setzen ist, der ubera ll fre ieSch u lunterr ich t, d ie in der Ku lturgesch ich te e in z ig dastehendenSchenkungen fur Kunst und Wissenschaft

,d ie Luxuss uch t der

reichen Kre ise, d ie Präm ien der Techn ik und In d ustrie , d ie v-ollberechtigte An te i lnahme der Frau

,d ie Masse der ste t ig

wachsenden Kre ise, d ie in der zweiten und dri tten Generat ion

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D ie P rinzenreise. 2 33

wirts chaftl ich unabhangig s ind,und vie le an dere Umstä nde haben

S l Ch vere in igt, um Bedingungen zu schaffen , unter denen Kunst

und Wissenschaft s ich heute schnel ler hier en twicke ln als selbstd ie Stah l in dustr ie .

J ene d re i G rundtriebe fuhren zur gle ichen , ind ividua l istischenLebensanschau ung

,abe r sie haben si ch h isto risch unter un

gle ichen E infl üssen en tw ickelt . Der Geist der S e lbs tbestimmung,der in der Verfassung der Vere in igten Staaten se inen klass isch enAusdruck fin det

,stammt aus dem ursprüngl ichen Ko lon ial

charakter des Vo lkes ; durch we i te Meere vom Mutter land getrenn t , o hne b inden de Trad i tionen , o hne beherrschende Symbo le ,auf e igenes Urte i l un d e igene Kraft angewie sen , mußten dieamerikan ischen Ko loni sten des si ebzehn ten und achtzehn tenJah rhunderts d ie Prin zip i en der Selbstbest immung so al len tscheidend werden l assen , d aß sie al le in zum idealen Kraftzen trum ihres Staa tswesens werden konn ten . Der D rang nachSelbs tbetät igung dagegen s tammt aus der langen Periode desKampfes

.Es ga l t

,das ungeheure Land zu eröffnen , Prärien

und Ströme, G ebirge un d Urwald zu überw inden . D ieser Kampfhat heute

,sei t der Ersch l ieß ung des Westens , se ine Schärfe ver

lo ren , und immer mehr m isch t s ich daher i n den herben Ge istder Selbstbetät igung der weichere des Behagens und der gemütlichen Freude am Leben ; aber d ie be herrschenden Zügedes wirtschaftl ichen Empf indens s in d do ch wo h l für immer ausj ener Kampfze i t in d ie Am erikanernatur übergegangen . Dama ls l ernte der Amer ikaner auch , was der Deutsche erst langsam j etzt nachzu lernen anfangt : den G lauben an den ku lturschöpfer ischen Wert des wi rtschaftl ichen Lebens . Ein Vo l k, dasim Wi rtschafts leben nur e in no twend iges Übe l s ieh t und Ku l turwer te nur in den Geb ieten von Wissenschaft und Kunst, von

Heer und Verwaltung, von Recht und Rel igion such t, w i rdn iemals erstklass iges Menschenmaterial für se ine Wi rtschaft gew inn en konnen und dadurch no twend ig im Nachte i l se in gegene in Vo lk, das se ine glän ze ndsten Kräfte in den D ienst der Wi rts chaft einstel l t . Der Ge ist de r Selbstvervo l lkommnung sch l ießl ich hatte se ine lebend igste, h isto rische Quel le im Puritanertum

Neuenglands,von dem aus se it H underten von J ahren d ie

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234 D ie P rinzenre ise .

stä rksten s i tt l ichen Impu lse ins Lan d gedrungen sin d und heu teno ch dringen .

Es ist naturgemäß , daß d iese verschi edenen Antriebe s ichauch rä um l i ch sondern und versch iedene Gegenden in versch iedener Weise be herrschen . Ward der Drang nach Se lbstbestimmung das Energiezentrum der un ter Washington geschaffenen Verfassung

,so mußte jener Drang se in-en de utl ichsten

Ausdruck in der Stadt finden,d ie

,nach ‚Wash ington genannt,

der A usfuhrung der Verfassung al lein gewidmet wurde . DerDrang nach Selbstbetätigung andrerseits m ußte s ich da am ausdrucksreichsten ze igen , wo Natur und Geschich te das wirtschaftl i ch e Eingangsto r für den Kontinen t sch ufen : an derMündung des Hudson , in N ew York . Und der Drang nachSelbs tvervo l l kommnung sch l ieß l i ch hat sein h istorisches Zentrumdo rt, wo 1 636, zunächst als Ho chsch ule für p uritan ische Ge istl iche , das Har vard-Ko l leg gegründet wurde , in Boston . Ja,wer j e m it ges ch ich tlichem Bewußtse in die Stufen zum Kapito lin Was h ingto n hinaufgeschri tten is t, dann in N ew Yo rk amunteren Bro adway

'

d ie zwanz igstöckigen Geschäftshäuser bes uch that und sch l ieß l ich in Bostons Gartenvo rs tadt Cambridge durchdie Hal len der Harvard-Un ivers ität gewandert ist, der hat do rt,wie an keinen andern Ste l len im Land

,j enen dre ifachem Geis t

verspürt, der das e igenartige Vo l k gefo rmt und erho ben hat .Zu dies en dre i Kulturzen tren

,dem po l i t ischen , dem wirt

schaftl ichen und dem geist igen,mußte Prin z Heinrich s ich des

halb wenden , wenn er, und durch ihn das deutsche Vo lk, w i rkl ich das Wesen des Landes kennen lernen wo l lte . Alle sein eandern Besuch e m ußten unwesentl ich b le iben neben denen inWas h ington , N ew Yo rk und Boston

,un d j ene Stunden , die

er un ter den Senatoren do rt, unter den In dustr ie l len da und

unter den Pro fessoren h ier verbracht, mussen a ls d ie charakter istischsten Tei le der Reise ge l ten .

Fre i l ich mag es scheinen , als se i e in wi chtiger Zug deramer i kan is chen Vo lksseele hier ausgeschal tet ; nebe n dem po l it isch en , w irtschaftlichen und geistigen Leben darf das soz ialen ich t verges sen werden , und auch h ier schein t s ich al les von

einem Punkt übersehen zu lassen . Es würde näml ich weit

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2 36 D ie P rinzenre ise .

es auch in Zukunft n ich t ; daß es zu l e ich t d ie Mutterspracheabstreift

,daß es zu wen ig höheren ge istigen Idealen nachstrebt

,

daß es zu berei t ist, den Amer ikane rn gerade d ie Feh ler nachzuahmen

,daß es s ich zu wen ig um öffentl ich e Angelegenhe iten

kümmert das s in d j a E indrücke,d ie vi el l e icht gerade in

d iesen Tagen bestär kt wurden ; abe r der Deutsche dahe im wirddo ch wen igstens anfangen

,über d iese Mil l ionen nachzudenken

,

d ie e ine Unsumme körperl icher und s ittl icher Kräfte repräsen

t ieren .

Aber der Prin z kam n ich t nur,um Amerika kennen zu

lern-en z d ie Amerikaner so l l ten durch ihn Deutsch land kennenlern en . W ie sah es denn b isher dami t aus ? Das In teresseder Amer ikaner an De uts ch land hat s ich in den letzten Jahrzehn ten vers cho be n . Einstmals war es das Land der D ich terund Denker un d gleichze i tig das Land , das d ie brauchbarstenEinwanderer s ch ickte ; j etzt ist es das Land , das als wirtschaftl ich er Konkurren t und als po l i tischer Rivale in den Ze i tungendasteh t. D ie E inwandererfrage ist i n der Tat ganz zurückgetreten ,se it d ie deutschen Em igran ten so gering an Zah l im Vergle ichm it den o st und südeuro päischen Ankömm l ingen gewordens in d . Und d i e Liebe für d ie Denker und Dich ter wurde immerp laton ischer . Man weiß

,daß heu te e in Kan t, e in Goethe, e in

Beethoven n ich t zur Stel le is t, und s uch t vergebl ich se lbst n ache inem Helmho l tz o der Wagner . Gewiß ist die Zah l der amer ikan ischen Studenten

,die he ute d ie de utsch en Un ivers itäten be

suchen , vie l größer a ls vor vierz ig Jahren , aber Deutsch landist für s ie n ich t mehr der e ine Sch u lm e ister in der Welt ; de rAmerikaner weiß

,daß er inzwischen das al les selbs t gelern t

hat . Vor al lem der Weg von Weimar nach Varzin ist denmeisten Amer ikan ern schwer gewo rden ; das Deutsch lan d B ismarcks war ihnen wen iger persön l ich sympath isch als dasDeutsch lan d Go ethes, un d no ch bis gestern gal t es als Dogma,daß der s tarre

,kalte

,unsympath ische S o ldatengeist herr isch d ie

guten Ge ister Deutsch lands verscheuch t hal te . Das Interessegalt des halb gan z der Wi rtschaft und der Po l itik

,und a uf beiden

Gebieten herrsch te düsteres M iß trauen . Zo l l fragen un d Ko lon ialfragen

,kle in l iche Stre i t igkeiten und Schwierigke i ten

,Ver

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D ie P rinzenreise . 2 37

dachtigungen un d Befurchtungen erfü l l ten d ie Gemuter .

Deutsch lan d kre uzte Amer ikas Wege auf dem Weltmarkt undder Weltpo l itik .

Und das ist nun anders gewo rden . Mögen auch ä ußer l ichzunachst no ch kle in e Reaktionen e in treten : wer das innere Lebenund die Stimmung Amerikas kennt

,der we iß

,daß nach Pr in z

Hein r ichs Fahrt d ie Freun dschaft zwischen beiden Ländern langeZe i t h indurch ungetrübt b lei ben w ird . In den äußeren Verhäl tn issen hat s ich j a n ich ts geändert wie ko nnte dann a l lesso l ch an deres Ges ich t annehmen ? Der e infache G rund l iegtdar in

,daß d ie äußeren Verhältn isse n ich t d ie geringste Nötigung

zu irgen d e inem Zwist en thal ten un d die e lenden Stre i tigkeitennur d es halb en tstanden war en , wei l das Vertrauen feh lte , unddas Vertrauen feh l te

,we i l j enes Gefüh l der Antipath ie al les

verdarb. Nich t We izenpreise und Kohlenstationen en tsch ieden ,sondern Sympath ie und Antipath ie . Hoch herzige Naturenwerden n ich t Fe inde

,wei l s ie nach gle ichen Z ielen streben .

Gelänge es,j en e Antipath ie zu zerstören , dann müßte notwend ig

das Vertrauen wiederke hren,und m i t der Sympath ie wird d ie

Lösung der wirtschaftl ichen und po l itischen Schwier igkeiten angebahn t se in

.Und al les das geschah schnel l , wie wenn d ie

So nne durch -d ie Wo lken br icht.Prinz H ein r i ch kam und sah und s iegte . Viele Tausende

haben se inen warmen,fast herzl ichen Wo rten gelauscht, und

Hunderttausende haben ihn gesehen , und übe ral l erwachte e inre ines a ufrichtiges Zutraun . Wo h l hat der Ka iser im ganzenLan d ernste Vere hrer, abe r der Ka iser ist fern : h ier kamals se in Vertreter e in Preußenprinz in e igener Person insLan d

,ede l und do ch sch l ich t, s icher und do ch maßvo l l , beredt

und do ch besche iden , kön igl ich und doc h gutmütig. Wenndas preuß ische Herrscherhaus aus so lchen liebenswürdigen ß ugenspr icht

,dann häl t das Vo rurte i l von dem unsympath ischen

So ldatengeistn ich t länger s tand : und m i t der Sympath ie kommt

das herzl iche Vertrauen , und m i t dem Vertrauen d ie fro he Ge

w ißheit, daß s ich in Zukunft a l le Fragen zw ischen den be idenVö lkern in Freundschaft werden lösen lassen .

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Friedrich Wilhelm Holls .

i e Gesch ich te des De utsch tums in Amerika ist farb lo sund e in förmig. Das Deutsch tum tat se ine Sch uld igke it

,

ehrbar und sch l ich t, o hn e kühne Ho ffn ungen und deshalbohne schwere En ttäusch ungen n ur sel ten kam der An laß zu überwältigender Fre ude o der zu ersch üttern der Trauer . Um so t ieferm uß daher der Schmerz in d ie See l e gre ifen , wenn das Deutschtum endl ich e inmal a us se in em Boden e in e sto l ze sieghafte Persön lichke it erwachsen s ieh t, die den Deutschen des La ndes wiekein andrer Ehre bringen so l l te , und dann ein Bli tz hern iederzuckt, der p lötzl ich al les Ho ffen vern ichte t . Ja, se l ten hat dasDeutsch tum Amerikas zu ernstere r Trauer An laß gehabt, als inder Stunde, da Friedrich Wilhe lm H o lls s tar b . Von denMi l l ionenDeu tsch-Amerikanern

, d ie in d iesem Lande gebore n sind , sch iener w ie kaum e in andrer be rufen , ein Führer zu werden wer denschne l len Anstieg se iner l etzten Jahre sah , der füh lte lebhaft,daß al l es n ur d ie Vo rbe re itung für große reife weitwirkendeTaten gewesen : und da ers tarrte d ie Lippe, ehe das erfü l l endeWo rt gespro chen war .

Bei e iner so inha ltvo llen Persön l ichkei t ist j edes E rinnerungswo rt unzureichend , und deutl ich vor allem empfinde ich es , wieviele an dre würdiger wären , die Gefüh le der Deutschen in

d ieser Stunde zum Ausdruck zu bringen . Nur e ines gibt m i rdazu den Mut : d ie enge treue rückhaltlo se Freundschaft, d iemich mit dem Verstorbenen während se in er l etzten Lebensj ahreverbunden hat . Ja, m ich d urchsonn t d ie Er innerung an immerneue gl ückl iche Plauderstunden

,wenn wir am Hügelabhang

se ines präch tigen Gar tens saßen , im Früh l ing in se in er Lieb l ingsIaube unter den b l ühenden Apfe lbäumen

, oder im Herbst, wenn

Nachruf, gesprochen am 2 2 . Oktober 1 90 3 bei der E rinnenmgs feier in der

Columbia-Un ivers i tä t in N ew York.

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240 Fri edrich Wilhelm H olls .

So kam es , daß er den Schwerp un kt v ie l l e ich t wen iger alsan dre auf d ie Pflege des De utschen a ls Umgangssprache legte .

Er l iebte d ie Sprache se ine r Eltern von Herzen , e r sprach s ievo l lendet, er ehrte s ie dad urch , daß er s ie re in h ie l t und n ied ie widerwärtige Verm isch ung von Deutsch und Engl ischduldete

,se ine bedeuten dsten Reden hat er deu tsch gehal ten :

aber im Grunde wo l l te er das De uts che h ier als d ie Spracheder deutschen D ich ter und Denker gepflegt wissen , als Ku ltursprach e , n ich t als Vo lkssprache , da er eben n ur e in e e in zige:Art des Amerikanertums anerkannte und es aus h istor ischenG ründen feststand , daß Deutsch n ich t die Sprache des n euenamer ikan ischen Vo l kes se in kann . Wich tigeres als d ie sprachl ich e Form so l l te das Deutsch tum zu der ne uen Ku ltur beitragen : deutsche Gründl ichke it und deu tsche Tiefe , deutschesGemüts leben und deutsche Gewissen haftigkeit, deu tsche Freud igke i t und deutschen Ernst .

Hier se tzte se in bestes Wo l len e in , un d al le E influss e desvä ter l ichen Pred igerha uses , al le Gaben , d ie Natur ihm m itgegeben , al le Züge se in es Tempe raments und Charakters ,w i rkten harmon isch z usammen , um ihn in d iesem Sinne zumVo rb i l d werden zu lassen . Wer la uschen dürfte , wenn er insein em Heim mit Künstlerhan d die Orge l sp iel te, der wußte,daß al les Tiefe und Ernste der deuts chen Vo lksseele in sein emGemüte herrl ich weiterklang. Immer w ieder versenkte er sichin d ie deutsche D ichtung ; deutsche Geschi ch tssch reib ung warseine l iebste Lektüre ; dem Andenken Hermann Grimms warse ine letzte Schr ift gewidmet . Und der deutsch e Ideal ism us ,der i hn selbst erfü l l te , so l l te n un d ie weitesten Kreise durchdringen . W ie ward er zum Rufe r im Stre i t, wenn es galt, fürRein heit un d Ehre im po li tischen Kampfe e inzustehen , wennes galt, das Dauern de uber den Vorte i l der Stunde zu erheben .

Was i hm nahe trat, ergr iff er m i t de utscher wissenschaftl icher Gründl ichke i t ; der Verke hr m i t Ge leh rten war i hmLebensbedürfn is ; die wissenschaftl-ich e Arbeitsweise trug er inj edes Geb iet, das er berührte . Als ihn der Haagen Fr iedensko ngreß zu beschäftigen anf ing, wandte er s ich sofort d-enemsigsten Forsch ungen zu

, und bald schrieb er das gründl ichste

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Fri edrich Wilhe lm H olls . 241

Werk über d ie ga nze Bewegung. Er sagte oft, daß dersch l immste innere Fein d Amer ikas die Oberf läch l ichkeit se i unddaß Amerika erst lernen müsse , wie se hr es not tut, ein Problemwirkl i ch zu beme istern , ehe man es zu lösen vers ucht. Vor

a l lem aber gla ubte er an d ie vertiefte deutsche Lebensauffas s ung ;n ich ts Wed vo lleres bringt der Deutsche über den Ozean . Erbewunderte d ie ange lsächs ischen Tugenden , aber er wußte es ,n ur der deuts che s i tt l iche Ideal ismus kann das nationale LebenAmerikas davo r bewahren , von dem Fl ugsand der Tagespo l itikversch üttet zu werden“ . In t iefbewegten Wo rten sprach erdas a us , a ls ich ihn zum l etzten Ma le sah, kurze Wo chen

vor se inem To de . Er war h inübe rgekommen , um in Bostonund Concord d ie Erinnerungsfe ier zu Emersons h undertstemGeburts tag m itzuerleben . M it der Begeisterung eines J üngl ingsschr i tt er d urch d ie Straßen von .(b ncord , das er m it Weimarvergl ich

, u nd geno ß den Zauber jener Stunden , in denenEmerso ns Ge ist lebendig wurd e . Immer wi eder kam er damalsdarauf zurück , daß der deu tsche Ideal ism us, der Ideal ismusFichtes , der Emerson bewegte, für Amer ika wi chtiger se i alsirgend e ine de utsche Erbschaft.

Zu'

seinem de utschen Lebensernst und se iner deutschenTiefe gese l lte s ich aber wie be i wen igen d ie deutsch e Lebensfre ude

.

Se ine laun ige , o ft schalkhafte Heiterkeit, se in Behagenan fröh l icher G ese l l igke i t, se in G lück im Heim , se in Schwelgen

in D ichtung und Mus ik, seine Liebe für die Natur, se ine Freude

am persön l ichen Verkehr m it Männern von h istorischer Bedeutung, al les e in igte s ich , dami t se in tatenvolles Leben zu

gle ich e in fre udenvo lles würde , und während sein Dase in in

se iner Arbe i t we iterwirken wo l l te wie d ie Rede des Anwalts ,

war es zugle ich in se iner Lebensfreude j ederze i t i n s ich selbstvol len det w ie der Sang des D ich ters . Und so i n vo l lster Lebens

l ust traf i hn der schne l le le iden lose Tod .

Aber d ie Pf l ichten des De utschen in Amerika erfü l len , be

de utete ihm n ich t n ur,deu tsche Ideale in d ie Vo lkssee le zu

senken,

sondern zugle ich

,zwischen dem Vaterlande und dem

La nde der Väter Fäden der Freundschafth in über und herüber

zu knüpfen .

Auch da hat ke in Deutscher, der unter dem Sternen

M ü n s t e r b e r g , A u s Deutsch-A m er ika..1 6

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242 Friedrich Wilhelm Holis .

ba nner geboren , j e d i-e Aufgabe t iefer erfaßt und re icher erfül lt. Was er für d ie fre un dschaftl ichen Bezieh ungen beiderLänder vol lbrach t, d urch das , was er angeregt, und v ie l le ichtno ch meh r d urch das , was er verh indert, wird erst dann deutl i chhervo rtreten , wenn es n ich t mehr Po l itik ist, wenn es Gesch ichte gewo rden ist. Un d n iemals war se in e Po l itik d urchklein l iche Sond-erinteness en bestimmt ; sein scharfes Auge sahd ie We lt in hi sto rischer Perspektive . Gerade wei l Amerika fü ri hn n ich t zufäl l iges Pro dukt der Vergangen he it, sondern s ittl ich eAufgabe der Zukunft war, so wurde d ie deutsch-amerikan ischeFre undschaft für ihn n ich t n ur ein Wunsch der zurückschauendenPietät, sondern vor al lem e in Z ie l der vorwärtsschauendenKulturar beit . Deshalb war er auch gewiß , daß das unge

schriebene Bundn is zwischen De utsch land und derN euen Welts ich n ich t gegen Englan d ke hren dürfe ; une rmüd l ich such teer zw ischen den te uton ischen Vö lkern auszugle ichen .

V iel le icht ke in amerikan ischer Pr ivatmann ist so vielenleiten den Staa tsmännern Euro pas persön l ich nahe getreten wieer ; gle ichvie l aber, ob er m i t Kaisern und Kan zlern verhande l teo der im sch l ichten Kre ise der Fre unde p lauderte , auf dem Forumwie am Kam in , er war stets der gle ich e Idealist, stets der gle icheEnth us ias t, dem die Ehre sein-er Nation und der Fr iede der Weltd ie we ite Se e l e erfü l l t . Das abe r wußte er, daß der Fr iededer Wel t am besten ges ich ert is t, wenn die german ischenVölker i hn sch ützen

,und daß d ie Ehre der amerikan ischen

Nation am köstl ichsten glän zen wi rd , wenn das wahreDeutsch tum im Lande zu stärkerem E infl uß kommt, denn tief inse inem »=H erzen glüh te st i l l der G laube , daß von al len Idealen diedeuts chen doch d ie re ins ten s ind . Lasset uns sorgen , daß aufse inem Grabeshügel n iemals der deutsche E ichkranz f eh l t .

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244

Fors chungsuni vers itä t 2 9.

Frankreich 2 6, 3 1 .

Frau 62 , 1 6 1 , 2 1 0 ,2 2 0 .

Frauenkolleg 2 1 6, 2 1 9.

Freihei t 48.

F riedenskongreß 34, 40 .

Gedächtn is 96.

Geis tiges Eigentum 69.

Geldhei ra t 47.

Ge lehrte 1 68, 1 76, 1 80 , 2 0 9.

Gelehr tenkongreß 2 1 , 40 , 1 55, 1 96.

Ge rechtigkei t 6, 34.

Gerichtsverfahren 1 64.

German isches Museum 2 0 , 2 8, 1 1 2 .

Germ an is tische Ges ell schaft 2 6 .

Ges chlechts leben 47.

Gese tzesverletzung 55.

Gewerkvereine 7 1 .

Gewis sens freihei t 6 .

l i

Handelshochschule 1 8 1

Hansa 1 0 .

Harvard-Univers i tä t 1 8, 39, 47, 1 68,

1 89. 2 34.

Hemmung 60 , 90 .

Heuchele i 52 .

Honorar 7 1 , 76, 79, 82 , 1 48, 1 51 , 1 99.

Hum anis tische Wiss enschaf ten 1 0 1 , 1 93 .

Hys terie 57.

J

Idealismus 5, 1 0 3 , 1 37, 1 43 ,

241 .

Indus tri e 9, 1 39.

In ternati ona le Sprache' 39, 1 04.

Kindergarten 89.

Koll eg 2 2, 1 74, 1 83 , 2 1 1 .

Koloni enKorruption 46, 56.

Kosmopoli tismus 39.

Kuns t 1 1 , 1 1 6, 1 3 1 .

Kuns tgewerbe 1 4.

L

L esebedü rfnis 1 48.

Nachahmung 57, 96.

Nachdruck 73. 75.

N achdruckgesetze 66 .

N ew York 2 7, 2 34.

0

Orthographie 1 0 5.

Ozeanfahrt 1 6.

S achregis ter .

Magazine 84.

Meineid 56.

M eineidsmaschine 1 63 .

Mode 57.

Monarchie 3 , 7.

Mona ts schrif ten 149, 1 51 .

Monopol 1 58.

Monotoni 64.

M uhamm edaner 63 .

P

Pädagogik 97, 1 0 0 .

Pflichtbewuß tsein 88, 1 0 3 .

Phi1050phi e 1 1 7, 1 72 .

Poli ti sch-Akadem is ches 1 7, 2 0 .

Polizeigewal t 50 .

Präs iden t 7.

P rinzenbesuch 2 0 , 40 ,

Privatdozen ten 1 74, 1 94.

P rofes sorenaus tausch 1 6, 2 0 .

Prohibi tion 45, 55.

Provinzia l ismus 42 .

Psychologie 92 , 98, 1 64.

Puri ta nertum 5, 52 , 62 , 9 1 ,

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Sachregis ter .

R

Rea l ismus 1 2 1 , 1 30 ,1 38.

Republik 3 , 40 .

Republikaner 2 , 7.

Rokoko 1 3 .

Rüs tung 35.

Schi edsgericht 37.

S chi l lerfeier 1 1 4, 1 2 3 .

Schönh ei t 1 1 8.

S ch rifts te ll er 67.

S chule 86, 91 , 1 0 3 , 1 0 9,

S chu tzo 69.

Si ttli chkei t 36, 50 , 1 1 9.

Sonn tagsblä tter 75.

Sozia le Frage 1 39.

Spanis cher Krieg1 8, 46.

Spezialis ten tum 43, 1 98.

S prachkenn tnisse 2 3 , 1 0 6.

Stu den ten 1 89.

Techn ische Hochs chulen 1 92 .

Temperam en t 36, 1 2 8.

Temperenz 45, 51 .

Treue 6 , 1 3 1 .

Trinker 51 .

245

U

Üb erse tzungen 7 1 , 8 1 .

Unabhängigkei t 6.

Univers i tä ten 1 8, 2 2,1 68, 1 76, 2 1 3 .

Vaterland 1 1 4.

Vereine 24.

Verleger 70 , 74, 1 48, 1 53 .

Vö lkerfreundschaft 2 7, 34, 39.

Volkswirtscha ft 35.

Voru rtei le 42 .

WWahrhei t 41 , 1 1 6.

Wechselbeziehungen 1 7, 3 1 .

We l tanschauung 98, 1 2 5, 1 30 ,2 24.

Wel ta uss tellung 1 2 , 40 , 1 96.

Weltfrieden 34.

Wel tpoli tik 3 2 , 1 0 5, 1 93 .

Wel tsprache 1 04, 1 0 7.

Will e 1 0 1 .

Wirklichke i t 42 , 1 43 .

Wi r tschaft 49, 1 0 8, 1 78, 2 33.

Wis senschaft 2 9, 39, 94, 1 0 1 , 1 3 1 , 1 68.

Wochens chriften 75, 146.

Z

Zei tschriften 84, 1 46, 149.

Ze i tungen 76, 80 , 1 50 ,1 59.

Zo ll verhandlungen 38.

Zwe isprachigkei t 1 1 1 .

Zwischenexamen 1 84.

Zwischensprachen 1 0 7.