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Getrennt in den Farben –vereint in der Sache?Argumente über

Student_innen-

Verbindungen

und ein Blick

in die Leipziger

Szene

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Diese Broschüre möchte einen Bl ick in die Leipziger Korporiertenszene er-mögl ichen und dabei eine Kritik an studentischen Verbindungen deut-schen Typs leisten, die über die übl ichen pauschalen Vorwürfe des Rassis-mus und Sexismus hinausgeht. Trotz ihrer al lgemeinenBedeutungslosigkeit bemühen sich einige Student_innenverbindungen im-mer noch um Einfluss in Gesel lschaft und studentischer Selbstverwaltung.

Als kompakte Argumentationshil fe richtet sich diese Broschüre daherhauptsächl ich an die studentische Selbstverwaltung, an Korporierte selbstsowie an al le Menschen, denen die Entwicklung mündiger, sich selbst ent-fal tender, Eigenverantwortung tragender Menschen am Herzen l iegt. Dieausgeführten Kritikpunkte betreffen dabei tei ls al le Verbindungen, teils nurbestimmte Verbindungsformen oder Fraktionen – Ausnahmen gibt es im-mer.

Vorwort

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

Verbindungen in Leipzig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

Geschichte studentischer Verbindungen deutschen Typs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Identität, Gemeinschaft, Traditionen: Verbindung als Selbsthil fegruppe. . 1 1

Härte, Ehre, Männl ichkeit, El ite: die korporierte Erziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 4

Pol itisches Spektrum und Fraktionen der Leipziger Verbindungsszene. . . . . 1 9

Damenverbindungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Fußnoten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Gremien-Check. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

Hilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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Definition

»Korporation« ist ein Oberbegriff für Student_innenverbindungen (»akade-mische Korporationen«), Schüler_innenverbindungen (»pennale Korpora-tionen«) und ähnl iche1 . Student_innenverbindungen sind Zusam-menschlüsse von gegenwärtigen und ehemal igen Student_innen an einemHochschulort, deren zentrale Prinzipien das »Lebensbundprinzip«, das»Conventsprinzip« und die »korporierte Erziehung« sind. Stets zu finden istder Anspruch einer »Gemeinschaft«, die sich fast immer in einer uniform-ähnl ichen »Couleur« manifestiert, und der Bezug auf gemeinsame »Tradi-tionen« und Prinzipien.

Unterschiede bestehen hinsichtl ich der »Verbindungsform« und des pol iti-schen Anspruchs. Zudem wird zwischen schlagenden, fakultativ schlagen-den und nicht-schlagenden Verbindungen sowie zwischen Männer-, Da-men- und gemischtgeschlechtl ichen Bünden differenziert. Im Jahr 2009gab es im deutschsprachigen Raum etwa 1 9.000 Verbindungsstudent_in-nen und 1 37.000 »Alte Herren« in etwa 900 aktiven Verbindungen. Ver-bindungsstudent_innen machen damit weniger als 1 % der Student_innen-schaft aus2.

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Name

Burschenschaft Alemannia

Burschenschaft Arminia zu Leipzig

Leipziger Burschenschaft Germania

Burschenschaft Normannia zu Leipzig

Leipziger Burschenschaft Plessavia

Burschenschaft Roter Löwe

Corps Lusatia

Corps Saxonia

Corps Thuringia

Damenverbindung Minerva zu Leipzig

Akademische Damenverbindung Zenobia zu Leipzig

JC Hubertia zu Leipzig

KDStV Germania

Landsmannschaft Plavia-Arminia Leipzig

Akademische Turnverbindung Frisia Leipzig

Leipziger Wingolf

Aktive Verbindungen in Leipzig

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Angaben über die Anzahl der Mitgl ieder l iegen nur von wenigen Verbin-

dungen vor. Schätzungen gehen von ungefähr 50 aktiven und insgesamt

1 00 studierenden Verbindungsstudent_innen in Leipzig aus.

Korporationsverband »Waffenstudentisches Prinzip« Status

Schwarzburgbund (noch auf Probe) nicht schlagend aktiv

Deutsche Burschenschaft pfl ichtschlagend aktiv

Deutsche Burschenschaft pfl ichtschlagend aktiv

Deutsche Burschenschaft pfl ichtschlagend aktiv

Deutsche Burschenschaft fakultativ schlagend ?

Neue Deutsche Burschenschaft fakultativ schlagend aktiv

Kösener Senioren-Convents-Verband pfl ichtschlagend aktiv

Kösener Senioren-Convents-Verband pfl ichtschlagend aktiv

Kösener Senioren-Convents-Verband pfl ichtschlagend aktiv

– nicht schlagend aktiv

– nicht schlagend ?

Wernigeroder Jagdkorporationen-SC fakultativ schlagend aktiv

Cartel lverband der KDStV nicht schlagend aktiv

Coburger Convent pfl ichtschlagend ?

– nicht schlagend ?

Wingolfsbund nicht schlagend aktiv

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Geschichte studentischer Verbindungendeutschen Typs

Im Mittelal ter wurden Studenten europäischer Universitäten nach ihrerHerkunft in »Nationes« genannten Rechts-, Sozial- und Verwaltungsge-meinschaften organisiert. Obwohl diese wenig mit dem heutigen Natio-nalstaatsdenken gemein hatten, entwickelten sie ein konstituierendes Mo-ment und damit einhergehend oft gewalttätige Aufnahmerituale.Reformation und hochschulpoltische Veränderungen machten die »Natio-nes« überflüssig, an der Universität Leipzig gab es sie dennoch als Forma-l ie bis 1 830.

Selbstverwaltete »frühe Landsmannschaften« setzten ab dem 1 7. Jahrhun-dert die Prinzipien der Nationes fort, damals noch als loser Zusam-menschluss, aber schon mit dem Prinzip des Pennal ismus, das ein Dienst-verhältnis zwischen jüngeren und älteren Studenten begründete.Insbesondere im 1 8. Jahrhundert uniformierten ihre Mitgl ieder sich. Endedes 1 8. Jahrhunderts wurden viele Landsmannschaften verboten, im Jahr1 793 verbot zudem der Reichstag des Heil igen Römischen Reichs Deut-scher Nation die »Studentenorden«.

Die Geschichte der Student_innenverbindungen im heutigen Sinne andeutschsprachigen Universitäten begann Ende des 1 8. Jahrhunderts mitder Gründung »unpol itischer« »Corps«. Sie gingen aus einigen frühenLandsmannschaften hervor, deren Uniformierung sie mit den Verbindl ich-keiten der Studentenorden kombinierten. Sie waren eher eine reine Stan-desvertretung und richteten sich in der Regel gegen die Ideen der franzö-sischen Revolution3. Ab 1 837 gründeten sich »jüngereLandsmannschaften«. Zeitgleich war auch die studentische »Progress-Be-wegung« aktiv, die – schlussendl ich erfolglos – sogar die Abschaffung al-ler Verbindungen forderte.

Vor dem Hintergrund der Besetzung Deutschlands durch Napoleon ent-standen »Burschenschaften«, al len voran im Jahr 1 81 5 die Jenaer »Urbur-schenschaft«. Ihr Ziel eines geeinten Deutschlands zeigte sich in Namenwie »Germania« und »Alemannia« und in der Absicht, die Studentenschafteiner jeden Universität in einer nicht-plural istischen »Burschenschaft« zueinen. Erstmals trat diese expl izit pol itische und »deutschtumsverbunde-

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ne«4 Bewegung auf Einladung der Jenaer »Urburschenschaft« im Jahr1 81 7 mit dem Wartburgfest an die Öffentl ichkeit. 500 »Burschen« und»Turner« l ießen ihrer Enttäuschung über die Ergebnisse des Wiener Kon-gresses freien Lauf, hetzten gegen »Nichtdeutsches« und verbrannten Bü-cher – u.a. von jüdischen Schriftstel lern, aber auch das für die damal igeZeit fortschrittl iche französische bürgerl iche Gesetzbuch Code Civil . »Weheüber die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wol len über un-ser Volkstum und Deutschtum spotten« sol len die versammelten Studentengerufen haben5.

»Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der vielvon Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes warals Hass des Fremden« – Heinrich Heine über das Wartburgfest 1 81 7

Im Jahr 1 81 9 kam es in deutschen und europäischen Städten unter Betei-l igung zahlreicher Studenten zu gewalttätigen Ausschreitungen gegenüberJüdinnen und Juden. Aus diesem Anlass wurden im Deutschen Bund die»Karlsbader Beschlüsse« erlassen, wodurch viele Verbindungen zwischen1 81 9 und 1 848 il legal bestanden oder sich tarnten. Auch vor diesem Hin-tergrund entstanden Mitte des 1 9. Jahrhunderts neue Verbindungsformen,darunter christl iche Verbindungen, »Sängerschaften« und »Turnerschaf-ten«. »Turnvater« Friedrich Ludwig Jahn begründete die »Turnbewegung«ab 1 81 0 als Erziehungsmittel , um Menschen auf einen bevorstehenden»Befreiungs«-Krieg für ein »Großdeutschland« vorzubereiten. Jahn stel l teauch die Liste der auf dem Wartburgfest 1 81 7 zu verbrennenden Bücherzusammen. Gemeinsam mit Ernst Moritz Arndt war er ein Wortführer derantisemitischen und national istischen »Volkstums«-Ideologie. Diese Vorstel-lung eines ewigen, urwüchsigen, organischen und daher ausschl ießl ichvererbbaren »Volkscharakters« stieß bei vielen deutschen Romantikern aufZuspruch.

Im Deutschen Kaiserreich waren studentische Verbindungen mit Ausnah-me der kathol ischen staatstragend. Im Rahmen dieser El itenbildung entwi-ckelte sich auch das »Lebensbundprinzip«6. Zeitweil ig war die Hälfte derpol itischen »Schaltstel len« mit Corpsmitgl iedern des »Kösener Senioren-

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Convents-Verbands« (KSCV) besetzt. Der Corpsstudent war das Idealbildder Wilhelminischen Ära. Die vielgepriesene vermeintl iche Fortschrittl ich-keit der Verbindungen mündete in den Zeitgeist des Kaiserreichs mit sei-nen national istischen, chauvinistischen und (rasse-)antisemitischen Ten-denzen. Schon bald wurden Juden, deren Rel igion bis dahin keine Rol lespiel te, bedroht und ausgeschlossen. Im Zuge des Berl iner Antisemitis-musstreits gründete sich 1 881 der »Verband der Vereine Deutscher Stu-denten« (VVDSt) als expl izit antisemitischer Korporationsverband. DerHass auf das vermeintl ich »unproduktive Volk, das nicht arbeiten, aberführen«7 wol le, stand in keinem Widerspruch zum eigenen Führungsan-spruch.

Nach dem Ersten Weltkrieg, den die meisten Verbindungen überdurch-schnittl ich euphorisch herbeigesehnt hatten, traten viele Verbindungsstu-denten und ganze Verbindungen geschlossen den rechtsradikalen, antide-mokratischen, republ ikfeindl ichen und teils noch kaisertreuen Freikorpsbei, um zunächst – als »Bluthunde« der Regierung – Arbeiteraufständeblutig niederzuschlagen und dann mit dem Kapp-Putsch den Sturz derjungen Demokratie zu versuchen.

Die meisten Korporationsverbände führten Paragraphen ein, um die oft-mals schon seit den 1 880er Jahren praktizierte Ablehnung jüdischerund/oder nicht-volksdeutscher Studenten festzuschreiben. Die »DeutscheLandsmannschaft« (DL, auch »Coburger Landsmannschafter-Convent«,später mit dem VC zum »Coburger Convent« zusammengeschlossen) er-neuerte 1 920 ihr 1 894 erlassenes »Aufnahmeverbot für Juden«. Der »Ver-treter-Convent« (VC) der Turnerschaften, die »Deutsche Burschenschaft«(DB) sowie der Corps-Verband KSCV verankerten dies im Jahr 1 920ebenfal ls in ihren Satzungen. Der KSCV stel l te seinen Mitgl iedsverbindun-gen zwar die Umsetzung frei, erweiterte den Beschluss dafür ein Jahr spä-ter um einen »Mischl ingspassus«, der »der Definition der 1 935 beschlos-senen ›Nürnberger Rassegesetze‹ entsprach«.8

Die völkisch-national istische Sammlungsbewegung »Deutscher Hochschul-ring« (DHR), von nahezu al len bedeutenden Korporationsverbänden mit

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Ausnahme der kathol ischen unterstützt, dominierte ab 1 921 die verfassteStudierendenschaft und erreichte bei zahlreichen AStA-Wahlen die absolu-te Mehrheit – und das zu einem Zeitpunkt, als die NSDAP noch unbedeu-tend war. 1 933 löste der DHR sich auf, da er seine pol itischen Ziele als er-fül l t ansah. Bereits ab 1 928 erhiel t der DHR Konkurrenz durch den 1 926gegründeten »Nationalsozial istischen Deutschen Studentenbund«(NSDStB), einer Gl iederung der NSDAP. Durch das 1 931 geschlossene»Erfurter Abkommen« kooperierten NSDStB und der »Al lgemeine DeutscheWaffenring« (ADW), ein Zusammenschluss zahlreicher Verbände schla-gender Verbindungen, zeitweil ig miteinander. So hob die NSDAP 1 933das Verbot der Mensur auf. Der ADW verpfl ichtete im Juni 1 933 seineVerbände zum Nachweis der »Judenfreiheit«. In der Diskussion um derengenaue Definition spalteten sich Hardl iner wie DB, VC und die »DeutscheSängerschaft« vorübergehend ab.

Spätestens 1 936 standen die Korporationen vor der Wahl, ihre Aktivitäteneinzustel len oder sich in das »Kameradschafts«-Model l des NSDStB einzu-gl iedern. So suspendierte sich beispielsweise das »Jagdcorps Hubertia zuLeipzig«, während die Mitgl ieder der Leipziger Burschenschaften »Armi-nia«, »Dresdensia«, »Germania« und »Normannia« die Kameradschaft»Wartburg« bildeten9. Die Corps »Lusatia«, »Saxonia« und »Thuringia« be-standen weiter in der 1 937 gegründeten »Kameradschaft Markgraf vonMeißen«. Ernsthafte Auseinandersetzungen um diese Eingl iederung wur-den in den kathol ischen Korporationsverbänden »CV« und »KV« geführtund in der Regel von den Nazis gewonnen. Die jüdischen Verbindungen,die sich als Reaktion auf die 1 880er Jahre gegründet hatten, wurden we-nige Monate nach der Machtübergabe aufgelöst, ihr Eigentum wurde be-schlagnahmt.

»Im Bilde der kommenden studentischen Gemeinschaft wird kein Platzmehr sein für Veranstal tungen von Mensuren, die Behauptung einesbesonderen Ehrbegriffs, die Abhaltung geistloser und lärmender Mas-sengelage, die Ausübung einer unfreiheitl ichen Vereinsdiszipl in unddas öffentl iche Tragen von Farben.« – Westdeutsche Rektorenkonfe-renz, 1 949

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Nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs verboten die al l i ierten Mil i-tärregierungen Student_innenverbindungen. In der BRD wurde dieses Ver-bot 1 950 aufgehoben. Restriktionen an vielen Universitäten hiel ten – mitAusnahme von Couleurtrageverboten auf Universitätsgeländen – gerichtl i-chen Überprüfungen meist nicht stand. Um 1 960 waren 20-30% al lerStudenten1 0 korporiert. An der Student_innenbewegung der 1 960er Jahrehatten die Korporationen wenig Anteil , waren sie doch von ihrer Gesel l -schafts- und Traditionskritik direkt betroffen.

In der DDR bl ieben Student_innenverbindungen bis in die 1 980er verbo-ten. Manche bestanden oder gründeten sich im Geheimen, viele zogen inden Westen, einige kehrten nach 1 989 zurück oder fusionierten.

Fairerweise muss erwähnt werden, dass die Korporationen in der Weima-rer Republ ik sowohl qual itativ als auch quantitativ durchaus repräsentativfür die Student_innenschaft waren. Bis zu zwei Drittel der Studenten ge-hörten einer Verbindung an1 1 . Gerade aus diesem Grund jedoch fäl l t ih-nen eine Vorreiter- und Wegbereiterrol le des Nationalsozial ismus zu. WerWert auf studentische und korporative Tradition legt, muss sich damit kon-frontieren lassen und darf die Verantwortung nicht auf die Gesel lschaftoder den »Zeitgeist« abwälzen.

Unter diesem Aspekt handelte z.B. die »Burschenschaft Normannia zuLeipzig« nur konsequent, als sie 2009 auf dem »Burschentag«, der jährl i-chen Mitgl iederversammlung des rechten Korporationsverbands »Deut-sche Burschenschaft«, zusammen mit 1 6 weiteren Burschenschaften bean-tragte, einen »Ausschuss zur Vorbereitung der 200- Jahr-Feiern derGründung der Jenaischen Burschenschaft 1 81 5 und des Wartburgfestes1 81 7« einzusetzen. 1 2

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»In einer Zeit, in der Bel iebigkeit und Gleichgültigkeit die Gesel lschaftprägen, geben wir stabile Bindungen, bieten Zugehörigkeit zu einer[…] Gemeinschaft und stehen als Corpsstudenten in Treue zueinander.Wir stehen seit fast 200 Jahren für Identität und Beständigkeit.«1 3

Besser als mit diesen Worten des »Corps Thuringia Leipzig« lässt sich derheutige Sinn einer Korporation nicht ausdrücken. Ihr tritt bei, wer Identitätnicht bei sich selbst, sondern in einer Gemeinschaft sucht, in der »couleur-studentischen« Szene, in Traditionen, »Heimat« oder »Vaterland« und inder Verbindung, deren äußeres uniformähnl iches Erscheinungsbild (»Cou-leur«) zumindest bei farbtragenden Verbindungen das auffäl l igste Integra-tionsmittel ist. Beständigkeit sucht, wer sich nicht selbstbewusst durch eineschnel lebige, moderne Welt bewegen kann. Individuel le Freiheiten werdenals Oberflächl ichkeit, »Bel iebigkeit und Gleichgültigkeit« verungl impft, ih-nen stel l t man Verpfl ichtungen durch »Treue« und »Bindungen« gegenüber.Man lehnt das Zeital ter der Unverbindl ichkeit und der Global isierung abund ersetzt es durch ein »sicheres Zwangssystem«1 4, ein Korsett aus Tradi-tionen und Pfl ichten. Hier bestehen dezente Paral lelen zum »pol itischenSoldatentum« organisierter Nazis. Der Beitritt zu einer Korporation ist oft-mals nicht nur eine Frage pol itischer Einstel lung, sondern auch sozialerund Ego-Schwäche.

Seit den 1 960ern leiden die meisten Student_innenverbindungen an Mit-gl iedermangel . Von harten Aufnahmebedingungen ist nicht mehr viel zuspüren. So kommt es, dass beispielsweise die »Burschenschaft Normanniazu Leipzig« Studenten sucht, »die Studienerfahrungen fernab der Mas-senuniversität anstreben«1 5. Doch es ist eine konformistische Rebel l ion,denn es kommen diejenigen, die sich an der »Massenuniversität« nicht zu-recht finden und eine Überwindung des Ichs, einen Rückschritt vom selbst-ständigen Individuum zum Gemeinschaftswesen, vol lziehen. Das Werte-system des Individual ismus wird mit seinen eigenen Waffen angegriffen,wenn das Individuel le gerade darin bestehen sol l , nach einem größerenMaß an Kol lektivismus zu streben.

Identität, Gemeinschaft, Traditionen:die Verbindung als Selbsthilfegruppe

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Regelwerke wie der »Biercomment« ritual isieren das Vergnügen, das »Le-bensbundprinzip« ritual isiert die Freundschaft. Man bildet eine Leidensge-nossenschaft, die sich l ieber zur gegenseitigen Freundschaft verpfl ichtet,als sich dem unüberschaubaren vermeintl ichen Markt der sozialen Bezie-hungen zu stel len. Man hat Angst vor einer mangelhaften Entfal tung dereigenen Persönl ichkeit und entfl ieht dieser, indem man sich freiwil l ig inden Dienst von Traditionen und Regelwerken stel l t und in eine Gemein-schaft einreiht, deren Selbstzweck einen erfül l t. Aus Angst, sich in seinerFreizeit zu langweilen, ersetzt man sie durch eine geregelte Zeitverschwen-dung.

Die Burschenschaft »Roter Löwe Leipzig« beispielsweise distanziert sich inseinem Selbstverständnis von NPD & Co. und propagiert »Unabhängig-keit« und »geistige Freiheit«1 6. Der Widerspruch lauert im nächsten Absatzin der Wertschätzung des »freien Wil lens des einzelnen Mitgl iedes, sich fürdie Gemeinschaft einzusetzen«. Am Ende steht wieder die Hil fe bei derunwahren Selbstentfal tung: »Bleib eine anonyme Nummer oder mach wasaus den wahrscheinl ich besten Jahren Deines Lebens.«

Als Gemeinschaft, Identität und Selbstbewusstsein stiftende Elemente –und darin l iegt auch der Unterschied zu harmlosen Bräuchen und Tradi-tionen wie z.B. Silvesterfeiern – einer derartigen Leidensgenossenschaftbieten sich das Christentum, das deutsche »Vaterland«, »studentische Tra-dition« und die Traditionen des eigenen Bundes einschl ießl ich der stetsheldenhaften Verdienste von »Bundesbrüdern« bzw. »Bundesschwestern«an. Ihnen gemein ist die Legitimation durch ein Kol lektiv und der Respektvor dem Alter, der – ebenso wie das Lebensbundprinzip – Reflektion, Kritikund damit die Weiterentwicklung eigener Meinungen behindert. Esschwingt eine diffuse Angst vor dem Abbruch einer Tradition und damitvor dem Verlust eines Stücks Geschichte mit, als gäbe es keine Archiveund keine Historiker_innen, als müssten Traditionen um ihrer selbst Wil lenam Leben erhalten werden, nur weil das Korporationswesen seit über 200Jahren besteht.

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»Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn erverrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuel len Eigen-schaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem grei-fen würde, was er mit so vielen Mil l ionen teil t. […] Aber jeder erbärmli-che Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte,ergreift das letzte Mittel , auf die Nation, der er gerade angehört, stolzzu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarl ich bereit, al le Fehlerund Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidi-gen.« – Arthur Schopenhauer

Die »Burschenschaft Alemannia zu Leipzig« bezeichnet ihre Mitgl ieder als»Patrioten«, von denen sie »die Liebe zum Vaterland«1 7 erwartet. »Freiheit– Ehre – Vaterland« lautet das Motto der »Burschenschaft Arminia zu Leip-zig« und der »Leipziger Burschenschaft Germania«. Letztere übt sich dabeiin Ethnoplural ismus und argumentiert mit einer »Gemeinschaft der Vater-länder« gegen »die Auflösung der Souveränitätsrechte unseres Volkes«1 8.Erkennbar ist hier wieder die Unfähigkeit, die Welt auch ohne klare Hier-archien zu verstehen, und der zum Scheitern verurteil te Versuch, die un-vermeidbare Global isierung abzuwenden, die den vermeintl ichen Marktder sozialen Kontakte vergrößert und es Ich-schwachen Menschen schwe-rer macht, sich zu unterscheiden. Indes ist die vielbeschworene »Identität«doch eher ein Zufal lsprodukt der Selbstentfal tung und des »pursuit of hap-piness«, und schon in der Rede von irgendeiner kol lektiven »Identität«schlummert der Zweifel an der eigenen Einzigartigkeit.

»Freiheit heißt nicht, tun und lassen können, was man wil l , sondernwas man sol l .« – CV-Handbuch1 9

Unter »Freiheit« verstehen insbesondere Burschenschaften nicht individuel-le, sondern »verantwortungsgerechte Freiheit«. Zugeständnisse machtman nur bei äußerem Druck. Beispielsweise begründete die »Plessavia«auf dem »Burschentag« 2008 die beantragte Würdigung eines »reform-burschenschaftl ichen« Verbands mit »Imageproblemen« der DB und mitKonkurrenz innerhalb der »burschenschaftl ichen Bewegung«. Daher seien»Bekenntnisse zum Liberal ismus im herrschenden Zeitgeist angebracht«.20

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In verschieden starker Ausprägung ist die korporierte Erziehung integralesMerkmal einer jeden Verbindung. Sie formt autoritätshörige Menschen mitdem Bedürfnis nach fester Ordnung und klaren Regeln. Teils unbemerkt,tei ls freiwil l ig unterwerfen Korporierte sich einem Geflecht aus Hierarchi-en, Regelwerken und Bräuchen. Diese Unterwerfung trägt oftmals leidens-und schicksalsgenossenschaftl iche Züge und steht den Idealen der Aufklä-rung feindl ich gegenüber. Zu dieser Erziehung zählt der hierarchische Mit-gl iedschaftsverlauf wie auch die Erziehungsmethoden des »Convents« undder »Kneipe«. Bei schlagenden Verbindungen, zu denen die Turner- undLandsmannschaften des »Coburger Convents«, die Corps sowie viele Bur-schenschaften zählen, kommt das »akademische Fechten« hinzu, seit dasEhrenhändel mit potentiel l tödl ichen Waffen (Duel l , Satisfaktion) im Jahr1 953 endgültig abgeschafft wurde. Diese Verbindungen nehmen teils nurMenschen auf, die Wehrdienst abgeleistet haben.

»Dieser Formungsprozess vol lzieht sich in der Regel weitgehend un-merkl ich für das einzelne Mitgl ied« – CV-Handbuch21

Die »Karriere« eines Korporierten und damit die Integration in die Ge-meinschaft beginnt am unteren Ende der Hierarchie als »Fuchs« – oftmalsgeködert durch quasi-verpfl ichtende Gaben wie etwa ein günstiges Zim-mer auf der gemeinsamen »Etage« bzw. im Verbindungshaus. Mancher-orts heißen »Füchse« treffend auch »Renoncen« (frz. renoncer – aufgeben),weil sie ihre Freiheit aufgeben und sich der korporierten Erziehung unter-werfen und unterwerfen lassen – inklusive Gehorsam, festgeschriebenerUmgangsformen und zahlreicher Rituale. Nach übl icherweise zwei Semes-tern erfolgt die endgültige Aufnahme in die Verbindung und damit in den»Lebensbund«. In Burschenschaften und Corps darf man sich nun »Bur-sche« bzw. »Corpsbursche« nennen. Spätestens jetzt wird die korporierteErziehung und die »emotionale Vereinnahmung«22 zur Selbstläuferin. Diedritte Phase schl ießl ich entbindet das dann »inaktive« Mitgl ied von einigenPfl ichten, um es nach Abschluss des Studiums in die »Altherrenschaft« auf-zunehmen, welche im Gegensatz zur »Aktivitas« übl icherweise in derRechtsform eines Vereins organisiert ist und letztere unterstützt. Austritts-

Härte, Ehre, Männlichkeit, Elite:die korporierte Erziehung

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wil l igen werden meist weniger Steine in den Weg gelegt als al lgemein er-wartet, sind Korporationen doch freiwil l ige Zwangsgemeinschaften.

»Schnel l bekommen wir ein Bild der herrschenden Hierarchie: Die ›Fü-xe‹ als Anwärter bringen das Bier, die ›Alten Herren‹, die ihr Studiumschon beendet haben, bezahlen es und die ›Aktiven‹ genießen beides.«– Fel ix Martel l23

Das von al len Verbindungen geteil te »Conventsprinzip« wird oft als Argu-ment für Basisdemokratie angeführt. Doch in der Real ität gibt es verschie-dene Formen der »Convent« genannten Mitgl iederversammlung, diesämtl iche Gewalten vereint und bei denen nur die jeweils Teilnahmebe-rechtigten eine Stimme haben. So gibt es den »Aktivenconvent«, den »Alt-herrenconvent«, den »Burschenkonvent/Corpsburschen-Convent« oderden »Chargenconvent«, der die Versammlung der »Chargen« darstel l t, al-so des Aktiven-Vorstands. Einzeln betrachtet sind al l diese »Convente« ba-sisdemokratisch, in ihrer Gesamtheit ist es eher die Hierarchie, die »basis-demokratisch legitimiert« ist. Zudem hemmen Convente die Streitkul tur,wenn der Einzelne seinen Standpunkt nur so weit vertritt, wie er dafürnicht von der Gemeinschaft – die immerhin auf Lebenszeit ausgelegt ist –sanktioniert wird.

Große Teile des Zusammenlebens und des Auftretens nach außen regle-mentieren Verbindungsstudent_innen mit einem »Comment« genanntenumfangreichen Regelwerk. So finden sich »Chargiercomment«, »Couleur-comment«, »Duzcomment«, »Fahnencomment«, »Kneipcomment«, »Wichs-comment« usw. Der »Biercomment« beispielsweise gibt Verhalten, Rituale,Trinkspiele und Strafen einer »Kneipe« oder eines »Kommerses« detail l iertvor24. Er verfolgt den erzieherischen Zweck, ihn auch nach einigen Bierennoch diszipl iniert einzuhalten. Diese Diszipl inierung und die damit verbun-dene Festigung der Gemeinschaft ist das eigentl iche Ziel , daher sind Stu-dent_innenverbindungen deutschen Typs mitnichten harmlose Saufclubs.Ebenso wie beim Convent ist der Einzelne angehalten, sich in einem vor-gegebenen Rahmen »frei« und vermeintl ich ungezwungen zu bewegenund gerade deshalb keine Perspektive zu suchen, die über diesen Rahmen

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hinausweist. Nur dann erkennt die Gemeinschaft ihn an.

»Als er immer noch keine Diszipl in zeigt, erlegt ihm das Präsidium auf,sein nächstes Bier in einem Zug zu trinken. Die eine Hälfte schafft ertatsächl ich, die andere landet auf seinem Sakko. Ich möchte von ihmwissen, ob ihm dieses Besäufnis angenehm sei. Darauf antwortet er:›Das Trinken ist schon ein Zwang, entweder du trinkst oder du gehst. ‹«– Fel ix Martel l25

Ein weiteres Beispiel für diese Diszipl inierung findet sich in den internenDokumenten der »Deutschen Burschenschaft«, die im Sommer 201 1 andie Öffentl ichkeit gelangten26. Während einer Tagung des »Ausschussesfür burschenschaftl iche Arbeit« in einem Pilgerheim in Sankt Annabergkam es u.a. zu »einer ›Flurparty‹ mehrerer Verbandsbrüder«. Ein Unter-suchuntsbeauftragter teil te mit, dass »gegen 03:00 bis 03:30 Uhr nachtsca. 9-1 0 Verbandsbrüder auf der Empore der Hauskapel le im 3. Stockdes Altbaumittel traktes lauthals gesungen haben und teilweise dabei Bierund Zigaretten in der Hand hiel ten«. Die »Teilnahme an dem Trinkgelage«wurde als »strafwürdig, ›nicht im entferntesten der Bundl inie entsprechendund skandalös‹« angesehen. Beteil igte wurden u.a. durch »Alkoholverbotauf unbestimmte Zeit« und »mehrwöchigen Bandentzug« bestraft. 27

Ihren Höhepunkt erreicht das »Ideal der Härte«28 in der »Mensur«. Als eh-renvol ler, »männl icher« und integrativer als Sieg oder Niederlage geltendie Verletzungen, die man beim »akademischen Fechten« erleidet, und dieBereitschaft, selbstlos mit der Waffe für die Gemeinschaft zu kämpfen. ImEinklang mit der gemeinschaftsstärkenden Funktion geschieht die Abgren-zung nach außen, insbesondere die Abwertung der Frau, und teils eineAbwertung der als weibl ich und daher schwach empfundenen Demokra-tie. In Zusammenhang mit der »Mensur« steht auch das von einigen Ver-bindungen vertretene Prinzip der »Ehre«, die sowohl die »studentischeStandesehre« als auch die »Korporationsehre« umfasst und die Grundlagefür Fecht-Duel le und Fechtfolgen darstel l t. Ursprung der »Ehre« ist stets dieIdentifikation mit dem Kol lektiv und dementsprechend schnel les persönl i-che Beleidigtsein.

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»Für das Al lerwichtigste gegenüber der Gefahr einer Wiederholunghalte ich, der bl inden Vormacht al ler Kol lektive entgegenzuarbeiten,den Widerstand gegen sie dadurch zu steigern, dass man das Problemder Kol lektivierung ins Licht rückt. Das ist nicht so abstrakt, wie es an-gesichts der Leidenschaft gerade junger, dem Bewusstsein nach pro-gressiver Menschen, sich in irgend etwas einzugl iedern, kl ingt. An-knüpfen l ieße sich an das Leiden, das die Kol lektive zunächst al lenIndividuen, die in sie aufgenommen werden, zufügen. […]

Anzugehen wäre gegen jene Art folkways, Volkssitten, Initiationsritenjegl icher Gestal t, die einem Menschen physischen Schmerz – oft biszum Unerträgl ichen – antun als Preis dafür, dass er sich als Dazugehö-riger, als einer des Kol lektivs fühlen darf. Das Böse von Gebräuchen[…] ist eine unmittelbare Vorform der nationalsozial istischen Gewalttat.Kein Zufal l , dass die Nazis solche Scheußl ichkeiten unter dem Namen»Brauchtum« verherrl icht und gepflegt haben. […]

In dieser gesamten Sphäre geht es um ein vorgebl iches Ideal , das inder traditionel len Erziehung auch sonst eine erhebl iche Rol le spiel t, dasder Härte. […] Ich erinnere daran, dass der fürchterl iche Boger wäh-rend der Auschwitz-Verhandlung einen Ausbruch hatte, der gipfel te ineiner Lobrede auf Erziehung durch Diszipl in durch Härte. Sie sei not-wendig, um den ihm richtig erscheinenden Typus vom Menschen her-vorzubringen. Dies Erziehungsbild der Härte, an das viele glauben mö-gen, ohne darüber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. DieVorstel lung, Männl ichkeit bestehe in einem Höchstmass an Ertragen-können, wurde längst zum Deckbild eines Masochismus, der – wie diePsychologie dartat – mit dem Sadismus nur al lzu leicht sich zusammen-findet. Das gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden sol l , be-deutet Gleichgültigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wirdzwischen dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest un-terschieden. Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hartauch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessenRegungen er nicht zeigen durfte, die er verdrängen musste.« – TheodorW. Adorno: Erziehung nach Auschwitz

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Oftmals wird StudentInnenverbindungen eine El itenbildung vorgeworfen.Korrekt müsste argumentiert werden, dass die meist offen beworbenen,aus dem »Lebensbundprinzip« hervorgehenden Seilschaften die »natürl i-che« El itenbildung zugunsten weniger qual ifizierter »Bundesbrüder« oder»Farbenbrüder« verfälschen können. Derzeit erreichen die letzten mitgl ie-derstarken »Altherren«- Jahrgänge das Rentenalter. Es bleibt das Standes-dünkel, der besondere korporative Habitus und der damit einhergehendeFührunganspruch des Korporationswesens, den ein Mitgl ied der »Bur-schenschaft Arminia zu Leipzig« auf einer Diskussionsveranstal tung imHerbst 201 0 treffend beschrieb:

»Ich bastle an dem Model l einer Gemeinschaft, die die deutsche Ge-sel lschaft in mögl ichst kurzer Zeit zum Guten umkrempeln kann.«

Die geschmiedete Gemeinschaft fühlt sich zu Höherem berufen, daherentmündigt sie die »gewöhnl ichen« Menschen. Der parlamentarischen De-mokratie, die einen Mittelweg zwischen Basisdemokratie und Aristokratiefindet und mittels Repräsentation eine Balance zwischen Mitbestimmungund schnel ler Entscheidungsfindung schafft, dem selbstständigen Denkenund dem gesel lschaftl ichen Diskurs stel l t der Zitierte sein Model l einer Cl i-que von Aristokraten gegenüber.

Feierl iche Immatrikulation 201 0: Mitgl ieder u.a. der »Burschenschaft Arminia zu Leipzig«im Gespräch mit Gerd Fritzsche (Kreisrat mit NPD-Mandat im Landkreis Leipzig)

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Politisches Spektrum und Fraktionender Leipziger Verbindungsszene

Korporationen definieren den Begriff »pol itisch« in der Regel sehr eng. Diein bürgerl ich-konservativer Tradition stehenden Corps betrachten sich als»unpol itisch«, indem sie »al le pol itischen und dergleichen Angelegenhei-ten«29 außen vor lassen. Hinterfragt werden sol l te in jedem einzelnen Fal l ,ob ihr »Toleranzprinzip« zu al lseitigem zwischenmenschl ichen Respekt führtoder ledigl ich als »Toleranz« gegenüber neonazistischen Einstel lungen in-terpretiert wird.

Burschenschaften hingegen betrachten sich gewöhnl ich selbst als pol itisch.Werden sie mit einem berechtigten oder unberechtigten Vorwurf des»Rechtsextremismus« konfrontiert, betonen sie oft, ein breites pol itischesSpektrum zu repräsentieren. Dieses Spektrum erstreckt sich von »l iberal«bis »konservativ«, parteipol itisch betrachtet beginnt es meist bei der FDPund erstreckt sich nach rechts. Hier zeigt sich wieder einmal der histori-sche Hintergrund der Burschenschaften: die al le Differenzen in sich verei-nende Querfront-Tradition, die ihren Höhepunkt in der nationalsozial isti-schen »Volksgemeinschaft« fand. Ausdruck dieses ehemal igenAl leinvertretungsstrebens ist auch die Zusammenarbeit der vier im Korpo-rationsverband »Deutsche Burschenschaft« organisierten Leipziger Bur-schenschaften »Arminia«, »Germania«, »Normannia« und »Plessavia« un-ter dem Label der »Örtl ichen Burschenschaft«. Insbesondere bei»konservativen« Burschenschaften sind Überschneidungen mit organisier-ten neonazistischen Kreisen keine Seltenheit. Gegenseitig begrüßt mansich auch schonmal mit »Heil«.

»Das Lied der Deutschen in al len drei Strophen, angefangen mit:›Deutschland, Deutschland über al les…‹. Als der Gesang abgeklungenist, werden die Füxe von einigen Älteren barsch ermahnt. Es sei einebesondere Ehre für jeden Deutschen, dieses Lied zu singen und eineSchande, wenn dies nicht im geeigneten Rahmen stattfinde.« – Fel ixMartel l30 über eine »Kneipe« bei der »Burschenschaft Arminia zu Leip-zig«

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Unter den Mitgl iedern der »Burschenschaft Arminia zu Leipzig« befindet31

sich auch der Chemnitzer Rechtsanwalt Karl Martin Kohlmann. Dieser sitztseit 2009 für »Pro Chemnitz« im Chemnitzer Stadtrat und fungierte am05.03.2009 als Anmelder des al l jährl ichen neonazistischen »Trauermar-sches« in Chemnitz. Nach einer Auseinandersetzung um Burschenschaftenwährend einer Jura-Vorlesung l ieß der Leipziger Jura-Professor Bernd-Rü-diger Kern sich zunächst von Kohlmann anwaltl ich vertreten32. Zu demZeitpunkt war Sebastian Schermaul, damal iger Sprecher der »Arminia«,bei Kern als Hil fskraft angestel l t33. Daneben pflegt die »Arminia« auchKontakte zu neu-rechten Kreisen. So fanden sich am 1 9.03.201 1 Vertreterdes rechten Magazins »Blaue Narzisse« zum gemeinsamen Abendessen inden Räumen der »Arminia« ein34. Das verwundert nicht, hat SebastianSchermaul, derzeitiger »Fechtwart« der »Arminia«, die Zeitung doch 2004mitgegründet. Zusammen mit weiteren »Blaue-Narzisse«-Autoren gehörtSchermaul der mittlerweile inaktiven »Pennalen Burschenschaft TheodorKörner zu Chemnitz« an35.

Einige spätere Mitgl ieder dieser »Pennal ie« mussten sich bereits im Jahr2002 mit dem Vorwurf antisemitischer Äußerungen konfrontieren las-sen36. Und auch die Leipziger »Arminia« berichtete37 im Dezember 2003stolz von der »Verteilung eines ›Offenen Briefes‹ der Deutschen Burschen-schaft« beim CDU-Bundesparteitag. Dieser Offene Brief38 nimmt den da-mal igen CDU-Abgeordneten Hohmann für seine antisemitsche, den Holo-caust relativierende Rede in Schutz. Da die DB selbstverständl ich »al leFormen von Judenfeindschaft und Antisemitismus« ablehne – al les anderekäme heutzutage einem pol itischen Selbstmord gleich –, bestreitet sie ein-fach, dass Hohmanns Rede antisemitisch war – mit einem Buchtitel einerjüdischen Autorin als Kronzeugin. Perfide argumentiert die DB zudem mitdem Recht auf freie Meinungsäußerung.

In der Altherrenschaft der »Leipziger Burschenschaft Germania« befandsich ein Leipziger FDP-Stadtrat bis Herbst 2009 in Gesel lschaft mit GerdFritzsche, der 2008 für die NPD in den Kreistag des Landkreises Leipzigeinzog und von 2002 bis 2006 sogar stel lvertretender Vorsitzender des

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»Verein Alter Herren der Leipziger Burschenschaft Germania e.V.« war. Einanderer, mittlerweile ausgetretene »Germane« war in den Neunzigern angewaltsamen Übergriffen durch Neonazis im Muldental beteil igt. WeiteresMitgl ied39 der »Leipziger Burschenschaft Germania« ist Maik O., der imWintersemester 2008/09 sogar als Sprecher fungierte und über den »Re-cherche Ost« im März 201 0 schrieb:

»Der Chemnitzer Maik O. sprach hier unter dem Pseudonym MaikRichter über die Bombardierung am 05. März 1 945. Eine KriegsschuldDeutschlands blendete auch er völ l ig aus. O. ist führendes Mitgl ied der›IG Chemnitzer Stadtgeschichte‹, einem völkisch orientierten Ablegerder ›Nationalen Sozial isten Chemnitz‹. Er war noch 2009 für die unterStadtrat Martin Kohlmann in ›PRO Chemnitz/DSU‹ umbenannten Repu-bl ikaner zur Stadtratswahl angetreten. Kohlmann selbst, der mehrfachneonazistische Trauerveranstal tungen in Chemnitz angemeldet hatte,zog dieses Jahr seine Anmeldung zugunsten der NPD zurück.«40

Dass auf der »Etage« der »Leipziger Burschenschaft Germania« ein Kron-leuchter in Form einer »Schwarzen Sonne«41 , einem originär nationalso-zial istischen Symbol, hängt, beschrieb zuletzt Fel ix Martel l42. Er zitiert zu-dem einen »Germanen«, der im Kreise seiner »Bundesbrüder« äußerte,»dass 1 5 Mil l ionen Ausländer zu viel seien: ›Die müssen al le raus. Sonstgeht unsere Kultur verloren‹«, und erwähnt eine mehrbändige Hitler-Bio-graphie, die deutl ich zwischen den anderen Büchern im Regal des Ge-meinschaftsraumes hervorsteche. Kurze Zeit später habe man ihm erzählt,der deutsche Angriff auf die Sowjetunion sei ein reiner Präventivschlag ge-wesen.

Martel l recherchiert weitere Unappetitl ichkeiten: die »Germanen« hättendie Burschenschaft »Roter Löwe« als »Vaterlandsverräter« bezeichnet. Undein »Germane« und angehender Jurist43 habe sich geweigert, mit demdamal igen Vorsitzenden des »Corps Saxonia« ein Bier zu trinken, weil die-ser einen »jüdischen Vornamen« habe. In einer Zeit, in der unverhohlenerHass auf Juden weder der eigenen Karriere noch dem »Vaterland« zuträg-

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l ich ist, pflegen selbst »konservative« Verbindungsstudenten eigentl ich an-dere Feindbilder, z.B. das des vermeintl ichen verschwörerischen l inkenMainstreams, als dessen Opfer sie sich betrachten. Daraus speist sichauch die ständige Forderung nach Errungenschaften, die es längst gibt:»Meinungsfreiheit« und »Demokratie im Sinne der Volkssouveränität«44.

Im »Waffenring Hal le-Leipzig« findet sich neben Verbindungen aus dem»Coburger Convent«45 u.a. die »Hal le-Leobener Burschenschaft Germa-nia«, die in den vergangenen Jahren durch intensive Kontakte zu organi-sierten Neonazis auffiel , die »Burschenschaft Normannia zu Jena«46,47, dieder Thüringer Verfassungsschutz als »Sammelbecken für rechtsextremeStudenten und Neonazis« bezeichnete48, und die »Leipziger Burschen-schaft Germania«. Bei der Leipziger »Germania« fand der erste Mensur-tag des Waffenringes im November 2008 statt49. Nummer zwei folgte amMorgen des 1 4. Februar 2009 bei der »Turnerschaft Germania Dresden«,sodass interessierten Teilnehmer_innen danach noch die Mögl ichkeit derTeilnahme am al l jähl ichen neonazistischen »Trauermarsch« gegeben war.

Al lgemein hil ft insbesondere bei Burschenschaften ein Bl ick auf ihre Ver-anstal tungen und eingeladenen Referent_innen sowie auf befreundeteVerbindungen. Auch der Einfluss der »Alten Herren« ist nicht zu unter-schätzen. Die »Burschenschaft Normannia zu Leipzig« pflegt beispielswei-se gute Kontakte zur »Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg«,die in den vergangenen zwanzig Jahren durch diverse rechtsradikale Um-triebe auffiel . 50

In der Öffentl ichkeit zeichnete sich eine Spaltung der Leipziger Korporati-onsszene deutl ich im Oktober 2009 ab. Die »Germania« saß dem Aus-schuss vor, der eine »korporierte Festwoche« anlässl ich des 600-jährigenBestehens der Universität Leipzig vorbereitete. Höhepunkt sol l te ein »Fest-kommers« am 31 .1 0.2009 sein. Daraufhin kündigte das »Corps Thurin-gia« an, diesem Kommers fernzubleiben – al lerdings nicht aus inhaltl ichenGründen, sondern damit nicht al le Verbindungen über einen Kamm ge-schert werden. Beim ursprüngl ichen Kommers erschienen schl ießl ich u.a.

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die Burschenschaften »Germania«, »Arminia«, »Normannia« und »Ale-mannia«, die »DV Minerva«, das »Jagdcorps Hubertia«, die Initiatoren derReaktivierung der »Landsmannschaft im CC Plavia-Arminia«51 sowie dierechte Hälfte der »Plessavia«. Deren l iberalere Fraktion, die später teilsaustrat oder ausgeschlossen wurde, besuchte zusammen mit der »KDStVGermania« und der »ADV Zenobia« einen alternativen Festkommers beim»Corps Saxonia«. Vom ursprüngl ichen Kommers wird auch berichtet, beimSingen al ler drei Strophen des »Deutschlandl iedes« seien nur wenige Teil -nehmer demonstrativ auf ihren Plätzen sitzen gebl ieben52.

Zur selben Zeit begannen die Bestrebungen von »KDStV Germania«, »ADVZenobia« und »Corps Saxonia«, einen »Leipziger Korporationsring« zugründen als Arbeitsgruppe von Verbindungen, die sich expl izit von Ge-schichtsrevisionismus, Holocaustleugnung, Diskriminierung und Gewaltdistanziert und seine Mitgl iedsverbindungen auffordert, »sich aktiv undweltoffen gegen jede Form von Extremismus einzusetzen«.

Im März 201 1 l ieß der »Convent Deutscher Akademikerverbände« (CDA)seinen Stand auf der Leipziger Buchmesse u.a. vom oben erwähnten GerdFritzsche betreuen, der auch im Rahmen des CDA-Abendprogrammseinen Vortrag halten sol l te 53. Der CDA ist ein Zusammenschluss von Kor-porationsverbänden, in dem von der rechten »Deutsche Burschenschaft«bis zum christl ichen »Wingolfsbund« und der eher »l iberalen« »NeuenDeutschen Burschenschaft« (NeueDB), die sich 1 996 von der DB abspalte-te, fast al le wichtigen Korporationsverbände mit Ausnahme der Corps-Verbände vertreten sind54.

Ob dieser Zusammenschluss noch lange Bestand haben wird, ist fragl ich.Auf dem Eisenacher »Burschentag« der DB im Juni 201 1 sol l te über denAusschluss einer Verbindung aus dem Korporationsverband abgestimmtwerden, weil diese sich nicht an den »Ariernachweis«55 gehalten habe –denn ein Mitgl ied habe »eine nichteuropäische Gesichts- und Körpermor-phologie«. Die Gretchenfrage ist hier der »volkstumsbezogene Vaterlands-begriff«, demzufolge die Zugehörigkeit zur imaginierten »deutschen Nati-

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on« nicht auf Staatsangehörigkeit oder auf Freiwil l igkeit beruhe, sondernauf der Abstammung. Derartige Kl ippen werden oft auch umschifft mitder Behauptung, »Ausländer« (wahlweise definiert als ausländische Staats-bürger_innen oder als Nicht-»Volksdeutsche«) würden der entsprechendenVerbindung ohnehin nicht beitreten wol len.

»Die Burschenschaft bekennt sich zum deutschen Vaterland als dergeistig-kulturel len Heimat des deutschen Volkes. Unter dem Volk ver-steht sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtl iches Schick-sal , gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbun-den ist. Pfl icht der Burschenschaften ist das dauernde rechtsstaatl icheWirken für die freie Entfal tung deutschen Volkstums in enger Verbun-denheit al ler Teile des deutschen Volkes, unabhängig von staatl ichenGrenzen in einem einigen Europa in der Gemeinschaft freier Völker.« –Grundsätze in der Satzung der Deutschen Burschenschaft, Artikel 956

»Der Verband vertritt ein Weltbild, das man schon als rechtsextrem be-zeichnen kann« – Dietrich Heither über die DB57

So gehören der DB, deren Zeitschriftsredaktion von einem ehemal igenFAP-Funktionär58 geleitet wird, auch österreichische und chilenische Ver-bindungen an. Wer das von der DB ausgeschriebene »Chile-Stipendiumdes Bundes Chilenischer Burschenschaften« bekommt, muss u.a. »einenBericht über das Deutschtum in Chile« verfassen.59

Zum strittigen Artikel 9 stel l te ein verbindl iches Rechtsgutachten vom1 2.02.201 1 fest: »Maßgebl ich ist die Abstammung«. Als dies im Juni be-kannt wurde, distanzierten60 sich al le bedeutenden Korporationsverbändesowie der CDA von diesem Gutachten. Einige dieser Distanzierungen bl ie-ben aber im »Völker«- und »Kulturkreis«-Denken verhaftet.

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Damenverbindungen

Seit dem Ende des 1 9. Jahrhunderts erlaubten deutsche Universitäten al l -mähl ich die Immatrikulation von Frauen. Die damals existierenden Korpo-rationen entschieden sich bewusst gegen die Aufnahme von Frauen. InDeutschland gründeten sich ab 1 899 »Damenverbindungen«. Reine »Da-menverbindungen« lassen sich keiner tradierten Verbindungsform zuord-nen – ihr Al leinstel lungsmerkmal ist das Geschlecht, was sie im männl ichgeprägten Verbindungswesen auszeichnen sol l . Von den etwa 1 000 akti-ven Verbindungen in Deutschland sind ungefähr 45 »Damenverbindun-gen«, circa 1 20 weitere nehmen Männer und Frauen als gleichberechtigteMitgl ieder auf. Letztere waren bei ihrer Gründung meist Männerbünde,die sich im Laufe der Zeit öffneten.61

In Leipzig gibt es derzeit eine aktive »Damenverbindung«. Die »DV Miner-va zu Leipzig« bezeichnet sich als »unpol itisch«, umgibt sich aber meist mitden rechtskonservativen Verbindungen der »Deutschen Burschenschaft«.Zwei von sechs »Minerven« sind mit Mitgl iedern der »Burschenschaft Nor-mannia zu Leipzig« verheiratet.

Keine »Damenverbindung« würde nicht von sich behaupten, »selbstbe-wusste« Frauen hervorzubringen. Dennoch sind traditionel le Rol lenbilder,»Damenhaftigkeit« und eine Reduzierung der Frau oft an der Tagesord-nung. Aus diesem Grund wird auch nicht gefochten, wie z.B. auf der Web-seite der Corps-Verbände begründet wird:

»Corps sind nun einmal traditionel l Männerbünde. Ich kann mir auchbeim besten Wil len keine Frau auf der Mensur vorstel len. Doch kannich mir andererseits keine Fete, keinen Bal l oder auch nur ein gemütl i-ches Beisammensein auf dem Corpshaus ohne Damen vorstel len.«62

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1 Die »Damenverbindung Minerva zu Leipzig« ist »offen für Abiturientinnen, Studentinnen und Berufstätige der verschiedensten Fachrichtungen«2 Vgl. Krebs, Felix / Kronauer, Jörg: Studentenverbindungen in Deutschland, Münster 2009, unter Berufung auf Zahlen der Korporationsverbände3 Vgl. Dr. Peters, Stephan: Elite sein – Ziel korporationsstudentischer Erziehung, S. 1

http://free.pages.at/antifaakhd/archiv/Stephan%20Peters%20-%20Elite%20sein.pdf4 Vgl. http://www.frankfurter-verbindungen.de/faq/5 Vgl. http://jungle-world.com/artikel/201 1 /23/43352.html6 Vgl. Dr. Peters, Elite sein, S. 17 »Wer sozial sein will, der muß vor allem die Juden bekämpfen, das unproduktive Volk, das nicht arbeiten, aber führen will.« –

VDSt-Mitglied von Gerlach am 26.02.1 894 vor 2.000 sozialdemokratischen Arbeitern in Berlin8 Peters, Elite sein, S. 29 Im Jahr 1 942 sammelten sich die »Arminen« in ihrer eigenen Kameradschaft »Heinrich von Treitschke«.1 0 Vgl. Hug, Stefan: Kritik der Korporationskritik, http://www.vvab.de/pdf/korporationskritik.pdf (Abruf 7.1 0.2007)1 1 Ebenda.1 2 Protokoll des Burschentages 2009, Punkt 9.3.3, http://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/201 1 /07/7451 061 234.pdf1 3 http://www.thuringia-leipzig.de/index.php/wir.html1 4 Stephan Peters (Hrsg.): Intellektuelle Tiefgarage, Darmstadt 2005, S. 1 71 5 http://www.normannia-zu-leipzig.de/wir-ueber-uns1 6 http://www.roter-loewe-leipzig.de1 7 http://www.alemannia-leipzig.de/index.php?target=361 8 http://www.leipziger-burschenschaft.de/ueber-uns/1 9 Cartellverbands-Handbuch 1 990, S. 360, via Peters (Hrsg.), Intellektuelle Tiefgarage, S. 1 720 Tagungsunterlagen des Burschentages 2008, Punkt 1 0.4, http://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/201 1 /07/1 86443601 4.pdf21 CV-Handbuch 1 990, S. 1 59, via Peters (Hrsg.), Intellektuelle Tiefgarage, S. 1 522 Peters, Intellektuelle Tiefgarage, S. 1 723 Martell, Felix: Unter Männern, http://www.weissaufschwarz.com/?go=artikel&nummer=5724 Vgl. z.B. http://www.turnerschaft-asciburgia.de/allgemeiner-deutscher-bier-comment/25 Martell, Unter Männern26 http://linksunten.indymedia.org/node/4289927 Protokoll ü. Verhandlungen des Burschentages 2002, Pkt. 4, http://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/201 1 /07/1 51 381 8364.pdf28 Adorno, Theodor W.: Erziehung nach Auschwitz29 http://www.thuringia-leipzig.de/index.php/wir.html30 Martell, Unter Männern31 Stand: April 201 132 Vgl. http://www.chronikle.org/ereignis/professor-kern-beauftragt-anwalt-verbindungen-neonazi-szene33 Vgl. http://www.l-iz.de/Politik/Leipzig/201 0/01 /Deutschtuemelei-im-Hoersaal-oder-Verleumdung.html34 Vgl. http://www.chronikle.org/ereignis/leipziger-buchmesse-burschenschaften-rechtes-magazin-gerd-fritzsche35 Stand Juli 201 0, Vgl. Limbach, Patrick: Leipziger Burschenschafter und ihre Verbindungen nach rechtsaußen,

http://npd-blog.info/201 0/07/1 0/leipziger-burschenschafter/36 Vgl. http://www.kulturbuero-sachsen.de/dokumente/1 4Burschen.pdf37 Vgl. DB-Schnell info Nr. 05, 2003, Punkt 4, http://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/201 1 /07/1 081 283561 .pdf38 Offener Brief der DB an die Delegierten des CDU-BPT: http://www.burschenschaft.de/fileadmin/user_upload/Pressedienst/01 -1 2-2003.pdf39 Stand: Juni 201 040 http://www.recherche-ost.com/content/view/1 1 3/2/41 Vgl. Limbach, Leipziger Burschenschafter42 Vgl. Martell, Unter Männern43 Vgl. Limbach, Leipziger Burschenschafter44 http://www.leipziger-burschenschaft.de/ueber-uns/45 Vgl. StuRa TU Dresden (Hrsg.): Ein alter Hut, S. 43, http://www.stura.tu-dresden.de/webfm_send/1 01 246 Vgl. http://www.jg-stadtmitte.de/index.php/index.php?option=com_content&task=view&id=98&Itemid=1 4 (Abruf: 23.5.201 1 )47 Vgl. http://nico-packt-aus.host.sk/images/stories/Mails/messages/20090206-2.o.%20Mensurtag-6701 95.html48 Vgl. Frankfurter Rundschau, 29.5.201 0, http://www.fr-online.de/politik/burschenschafter-in-eisenach-urtyp--dunkel,1 472596,4466732.html49 Vgl. http://nico-packt-aus.host.sk/images/stories/Mails/messages/20081 1 21 -1 .o.%20Mensurtag%20am%2029.1 1 .2008-23409567.html50 Vgl. Broschüre »verbindungen kappen«, Marburg 2004,

http://www.nadir.org/nadir/archiv/Antifaschismus/Burschenschaften/verbindungen-kappen/artikel/1 5-normannia-leipzig.htm51 Vgl. »CC-Blätter« 2/201 0, http://www.coburger-convent.de/fileadmin/user_upload/redakteur/CC-Blaetter/CC-Blaetter_201 0-2.pdf52 Vgl. Limbach, Patrick / Müller, Markus: Leipziger Studentenverbindungen feiern auf ihre Weise 600 Jahre Uni, 5.1 1 .2009

http://www.l-iz.de/Leben/Gesellschaft/2009/1 1 %20%282%29/Deutschland-Deutschland-Leipziger-Studentenverbindungen-feiern.html53 Vgl. http://www.chronikle.org/ereignis/leipziger-buchmesse-burschenschaften-rechtes-magazin-gerd-fritzsche54 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Convent_Deutscher_Akademikerverb%C3%A4nde55 Diekmann, Florian: Burschenschafter streiten über »Ariernachweis«, 1 5.6.201 1 ,

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1 51 8,767788,00.html56 http://www.burschenschaft.de/die-burschenschaft.html57 via Martell, Unter Männern58 Dabei handelt es sich um Norbert Weidner, vgl. http://www.burschenschaft.de/impressum.html59 Stand: 2003, DB-Nachrichtenblatt 286, Punkt 8, http://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/201 1 /07/21 1 571 7861 .pdf60 Vgl. http://www.lassalle-kreis.de/sites/default/files/Dokumentation%20Burschentag%20201 1 %20(Lassalle-Kreis).pdf61 Vgl. http://www.lassalle-kreis.de/content/frauen-verbindungen62 http://www.die-corps.de/Frauen_und_Corps.1 72.0.html

Fußnoten

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Gremien-Check

In transparent arbeitenden Student_innenparlamenten und Student_in-nenräten ist sie Standard, in anderen wird sie Menschen, die für ein Amtoder ein Gremium kandidieren, vereinzelt gestel l t: die Frage nach derMitgl iedschaft in einer Korporation. Strittig ist, inwieweit »Füchse« schonals Mitgl ieder gelten. Aus diesem Grund empfiehlt sich, die Frage um denSatz

»Eine Anwärterschaft steht in diesem Sinne einer Mitgl iedschaft gleich.«

zu erweitern.

Impressum:

1 . Auflage, 1 000 Exemplare

Redaktionsschluss: 01 .08.201 1

Druck: Druckerei Steier, Arndtstraße 63, 04275 Leipzig, www.druckerei-steier.de

V.i.S.d.P.: Kasimir Wansing

Kontakt: Referat für Antirassismusarbeit, StudentInnenRat der Universität Leipzig,

Universitätsstraße 1 , 041 09 Leipzig, [email protected]

Eigentumsvorbehalt (für Gefangene): Diese Broschüre bleibt bis zur Aushändigung an

den_die Adressat_in Eigentum des/der Absender_in. »Zur-Habe-Nahme« ist keine

Aushändigung im Sinne dieses Vorbehalts. Nicht ausgehändigte Broschüren sind unter

Angabe von Gründen an den_die Absender_in zurückzusenden.

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