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0 Unbekannter Künstler, Grasende Menschen, o.J. »Oft zählte man in einer einzigen Wiese, zur gleichen Stunde 30 bis 40 Menschen, die unter dem Vieh ihre Nahrung aufsuchten. (…) Da diese Nahrung den Menschen nicht dienten, starben (…) in vielen Gemeinden wöchentlich 10–14 erwachsene Personen« (Beschreibung auf der Hungertafel von 1816/17, Museum der Brotkultur Ulm). Toggenburger Museum Lichtensteig

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0 unbekannter künstler, grasende Menschen, o.J. »Oft zählte man in einer einzigen Wiese, zur gleichen Stunde 30 bis 40 Menschen, die unter dem Vieh ihre Nahrung aufsuchten. (…) Da diese Nahrung den Menschen nicht dienten, starben (…) in vielen Gemeinden wöchentlich 10–14 erwachsene Personen« (Beschreibung auf der hungertafel von 1816/17, Museum der Brotkultur ulm). Toggenburger Museum lichtensteig

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Durchmesser von sechs Kilometern, die Aschewolke ragte ca. 25 km in die Höhe, es wurden rund 150 km3 Gestein und Asche in die Stra-tosphäre geschleudert und auf dem achtstufigen Vulkanischen Ex-plosivitäts-Index erreichte die Eruption die Stärke 7. Nicht zuletzt deshalb spricht Clive Oppenheimer, einer der führenden Vulkano-logen, vom größten Ausbruch in »historischer Zeit«.1

Sir Thomas Stamford Raffles, ein Naturforscher, der gleich-zeitig Vizegouverneur der britischen Kolonie war, sammelte Be-richte über den Ausbruch, weil »eine amtliche und ausführliche Zusammenstellung aller der Beobachtungen, welche über ein so ausserordentliches und wundervolles Ereigniss aufzutreiben seyn mögten, […], von grossem Interesse und Nutzen seyn müsse«.2 Besonders der Augenzeugenbericht des Herrschers von Sanggar, einem anderen Fürstentum auf Sumbawa, verlieh dem Ausbruch des Tambora deutlichere Konturen. Bei der Eruption am 10. April 1815 schossen drei Flammensäulen aus dem Krater hervor, die den Berg innert kürzester Zeit mit flüssigem Feuer überzogen. Begleitet wurden die rasend schnellen Glutwolken (Pyroklastische Ströme)

Der untergang eines Fürstentums

Die »Benares«, ein schwer bewaffnetes Segelschiff der britischen East India Company, ankerte am 5. April 1815 im Hafen von Makas-sar, Indonesien. Am Nachmittag zerrissen gewaltige Explosionen die Stille in der Meerenge. Was Kapitän Eatwell an Kanonendon-ner und Gewehrsalven erinnerte und an einen Angriff von Piraten glauben ließ, waren die Vorboten einer der größten Vulkaneruptio-nen in den letzten 20.000 Jahren. Nicht nur die »Benares« stach an diesem Tag auf der Suche nach Freibeutern vergeblich in See. Als am Abend des 10. April 1815 erneut Explosionen zu vernehmen wa-ren, versetzte Eatwell die Besatzung erneut in Gefechtsbereitschaft. Erst als es am kommenden Morgen nicht hell wurde und Eatwell selbst während des Tages kaum die Hand vor Augen sehen konn-te, erkannte er bei Kerzenlicht die Ursache der Explosionen: Einer der zahlreichen Vulkane in der Region war ausgebrochen. An den Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien dachte er nicht – der Vulkan galt als erloschen.

Als die sichtbare Dunkelheit nachließ und die »Benares« von einer 30 cm hohen Schicht aus Asche und Bimssteinen befreit war, segelte Eatwell am 13. April 1815 nach Süden und erreichte fünf Tage später Sumbawa. Der Besatzung bot sich in ein Bild des Schreckens: Ganze Dörfer waren zerstört und die Ernten waren unter Schlamm und Asche begraben. Vier Monate später hatte sich die Lage noch nicht verbessert, im Gegenteil. Die »Benares« kehrte nach Berich-ten über eine Hungersnot mit einer Schiffsladung Reis auf die Insel zurück. Leutnant Owen Philips berichtete von verlassenen Dör-fern, von Straßen, die von Leichen und Gräbern gesäumt wurden und von Überlebenden, die auf der Suche nach Nahrungsmitteln umherirrten. Insgesamt dürften allein auf Sumbawa rund 70.000 Menschen an der Naturkatastrophe und ihren Folgen gestorben sein. Zehntausende von Überlebenden wurden in den Monaten danach zu Opfern einer zweiten Tragödie. Sie verkauften sich aus Armut und Verzweiflung an Sklavenhändler. Es war der Untergang des kleinen Fürstentums Tambora.

Die Eruption des Tambora war in vielerlei Hinsicht außerge-wöhnlich. Der Berg schrumpfte durch den Ausbruch von rund 3.900 Metern auf 2.850 m Höhe, der Krater erreichte einen

Der ausbruch des Tambora und das »Jahr ohne Sommer« 1816

Daniel Kr ämer

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enden wollten, regnete es auf der iberischen Halbinsel gar nicht. Im Baltikum und in der Region um das Schwarze Meer traten hin-gegen keine Klimaanomalien auf und die Ernten fielen gut aus. Auf der anderen Seite des Globus, in Nordamerika, war es wiederum ungewöhnlich kalt und trocken. Die monatlichen Temperaturen lagen im Sommer 1816 global betrachtet zwischen 2,3 und 4,6 Grad Celsius unter dem langjährigen Mittel. Der Ausbruch des Tambora hatte großen Teilen von Europa das bislang letzte und den Vereinig-ten Staaten von Amerika das bisher einzige »Jahr ohne Sommer« gebracht.

Vulkane sind Schwefelschleudern, die das globale Klima vorü-bergehend stark verändern können. Mit der Eruptionssäule wur-den im April 1815 große Mengen von Vulkanasche und magmati-schen Gasen in die Atmosphäre geschleudert. Langfristig erweist sich allerdings nicht die Asche als Problem – Aschepartikel ha-ben durch ihre hohe Dichte eine rasche Fallgeschwindigkeit und

von Wirbelwinden und von Tsunamis, die alles mitrissen, was nicht niet- und nagelfest war und »Menschen, Pferde, Ochsen, und was sonst in seine Gewalt kam«, in die Luft hoben.3 Obwohl die Kraft der Eruption am Mittag des folgenden Tages nachließ, waren klei-nere Explosionen bis zum 15. Juli 1815 zu hören und aus dem Krater stiegen im August 1815 noch immer große Rauchschwaden auf.

Von Schwebeteilchen und ihrem einfluss auf das »Jahr ohne Sommer«

Raffles kehrte im Frühling 1816 in seine Heimat zurück. Er erlebte hautnah, weshalb der Ausbruch des Tambora ein »glokales« Phäno-men war: eine lokale Naturkatastrophe mit globalen Auswirkungen, die sich regional sehr unterschiedlich äußerten. Während in Mit-tel- und Westeuropa kein Sommer kam, weil Nässe und Kälte nicht

1 J. M. William Turner (1775–1851), Sonnenuntergang, um 1820/30. Spektakuläre Sonnenuntergänge tauchten den himmel weltweit in buntes licht, doch der grund dafür, der ausbruch des Tambora, war unbekannt. gouache auf Papier, Tate london

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Erträgen. Lediglich Bauern, die ihre Überschüsse verkaufen konn-ten, vermochten von der Krise zu profitieren.

Das »Jahr ohne Sommer« setzte der Bevölkerung zu einem ungünstigen Zeitpunkt zu. Sie hatte nach dem Ende der Napole-onischen Kriege (1792 –1815) auf eine Friedensdividende gehofft. Ihre Vorräte waren in großen Teilen Europas nach den ständigen Einquartierungen, Requisitionen und Plünderungen erschöpft. Die Wirtschaftsblockaden hatten die Handelswege während der Kriegsjahre verändert, die Mechanisierung der Webstühle hatte zu einem tiefgreifenden Strukturwandel in der Textilindustrie geführt, die Rückkehr von Zehntausenden demobilisierten Soldaten hatte die Arbeitsmärkte gesättigt und die Armutsgrenze angehoben, die Transportwege waren meist in einem schlechten Zustand und die Staatschulden waren durch die Kriege enorm gestiegen. Verschärft wurde die Nachkriegsdepression durch die Ertragseinbußen in der

werden innerhalb von ein bis zwei Wochen durch Niederschläge ausgewaschen –, sondern das ausgestoßene Schwefeldioxid. In der Stratosphäre verbindet sich Schwefeldioxid mit Wasserdampf zu Schwefelsäure und bildet ein Gemisch aus festen und flüssigen Schwebeteilchen (Aerosole). Sie werden von Höhenwinden um den ganzen Globus verteilt und bilden einen Schleier, der das Sonnen-licht teilweise reflektiert und dadurch die natürliche Sonnenein-strahlung reduziert. Weil die Aerosole über den Wolken schweben und nur langsam absinken, können sie einige Jahre um den Globus kreisen und eine Abkühlung verursachen. Im Falle des Tambora dauerte diese rund zwei Jahre.

Aerosole tragen allerdings nicht nur in der Stratosphäre zur Ab-kühlung bei. Sie regen auch die Bildung von Wolken an, wenn sie zu sinken beginnen. Weil sie kleiner sind als normale Kondensa-tionskerne, bestehen die Wolken nicht nur aus mehr und feineren Tröpfchen, sie werfen auch mehr Sonnenlicht zurück als üblich und verstärken die Abkühlungseffekte in Regionen, in welchen der Himmel häufig bedeckt ist. Eine optische Folge des Dunstschleiers waren nach dem Ausbruch des Tambora spektakuläre Sonnenun-tergänge, wie sie auf den Gemälden von Caspar David Friedrich, William Turner oder John Constable zu sehen sind.

Der Ausbruch des Tambora fiel in Europa in eines der kältes-ten Jahrzehnte der letzten 500 Jahre. Zwischen 1810 und 1820 waren alle Jahreszeiten viel zu kalt und zu trocken. Verstärkt wurde die globale Abkühlung nach der Eruption des Tambora von mehreren klimatischen Phänomenen. Einerseits hatte sich die Sonnenaktivi-tät bereits in den beiden Jahrzehnten zuvor abgeschwächt (Dalton Minimum), andererseits waren dem Ausbruch des Tambora bereits die Eruptionen des Soufrière in St. Vincent 1812 und des Mayon auf den Philippinen 1814 vorausgegangen. Umrahmt wurde der Aus-bruch des Tambora zudem von starken Schwankungen des Luft-drucks über dem Atlantik und dem Pazifik. Nicht zuletzt deshalb wiesen die Jahre 1812 bis 1817 klimatisch einen beinahe eiszeitlichen Charakter auf.

Das »Jahr ohne Sommer« – mehr als eine laune der natur

Das »Jahr ohne Sommer« war mehr als eine Laune der Natur – die Klimaanomalie zog in Mittel- und Westeuropa eine Krise des »alten Typs« nach sich. Die schlechte Witterung verursachte im Sommer 1816 erhebliche Ernteausfälle, die die Getreidepreise in die Höhe schnellen ließen und »die letzte große Subsistenzkrise des Westens« auslösten.4 Die anschließende Teuerungswelle öffnete die Schere zwischen Arm und Reich weiter und wirkte sich auf alle Zweige der Wirtschaft aus: Die Unter- und Mittelschichten konnten sich au-ßer Lebensmitteln kaum noch etwas leisten, in der Landwirtschaft schwanden durch die Missernten die Verdienstmöglichkeiten für Tagelöhner, und Handel und Gewerbe litten durch die Teuerung sowohl unter leeren Auftragsbüchern als auch unter sinkenden

2 unbekannter künstler, Der Kornwucherer, um 1820. Der kornwucherer hortete das getreide, um in Zeiten von Warenknappheit einen höheren Preis dafür zu erzielen. Dadurch provozierte er die Wut der hungernden und wurde zur Strafe erhängt. kupferstich, koloriert, Museum der Brotkultur ulm

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nichts zu spüren. In Frankreich, das nach dem Niedergang von Napoleon Bonaparte teilweise noch von alliierten Truppen besetzt war, kam es immer wieder zu Plünderungen, Tumulten und Bett-lerzügen. Noch dramatischer waren die Auswirkungen der Miss-ernten in den süddeutschen Staaten und in der Eidgenossenschaft. Während Baden allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 1817 rund ein Fünftel seiner Bevölkerung durch Auswanderung verlor, brach in der Ostschweiz eine Hungersnot aus. Berichte von gra-senden Menschen wie auf der anonymen Federzeichnung waren keine Seltenheit.

Die Erinnerung an die Hungerjahre wurde nicht nur in Bildern wachgehalten. Sie floss in Erzählungen und Berichte ein, sie wurde in Kupfer gestochen und auf Gedenkmünzen geprägt, sie wurde auf Gedenkblättern und Preistafeln, auf bemalten Hungerkästen und an Häusern mit Inschriften festgehalten. Zur Kultur der Erinnerung an die Not dieser Jahre gehören auch die Cannstadter Wasen, die 1818 als »Landwirthschaftliches Fest« zum ersten Mal durchgeführt wurden und als landwirtschaftliche Leistungsschau neuerliche Hungerkrisen verhindern sollten.

Sonnenflecken oder geister? Wissenschaftliche und mythische erklärungen der Zeit

Raffles stellte nach seiner Rückkehr nach London im Frühjahr 1816 seine »History of Java« fertig – er widmete dem Ausbruch des Tam-bora nur eine Fußnote, weil Vulkanausbrüche bei der Vielzahl der aktiven »Feuerherde« in der Region nichts Besonderes waren5 – und bereiste im Sommer 1817 den Kontinent. Einen Zusammenhang zwi-schen dem Elend nach den Missernten des »Jahres ohne Sommer« und der Eruption des Tambora stellte er allerdings wie alle anderen Naturforscher der Zeit nicht her. Zwar war ein lange anhaltender Dunstschleier im Sommer 1783 in zahlreichen Schriften auf den »fürchterlichen Ausbruch eines feuerspeienden Berges in Island« (Laki)6 zurückgeführt worden, was Benjamin Franklin neben Mete-oriten als eine mögliche Ursache für den extrem kalten Winter je-nes Jahres betrachtete. Resonanz fand die These von Franklin aber nicht, auch wenn der schwedische Botaniker Göran Wahlenberg in seiner Theorie der Erdgeschichte 1818 Vulkanausbrüchen eine kli-maverändernde Kraft zuschrieb. Er orientierte sich wohl eher an der Klimatologie, die in ihren Anfängen mit der Temperaturvertei-lung auf der Erde beschäftigt war.

Die Naturforscher diskutierten eine ganze Reihe von möglichen Ursachen für das »Jahr ohne Sommer«. Einige führten die Kälte auf Sonnenflecken zurück, weil diese die Einstrahlung der Sonne re-duzierten und eine Abkühlung verursachten. Die Erklärung wurde allerdings zurückgewiesen, weil die Effekte nicht global waren und Sonnenflecken früher nicht immer mit Abkühlungen einhergingen. Andere glaubten, die Sonnenflecken beeinflussten die Umlaufbahn des Mondes und die veränderte Gravitation habe Auswirkungen auf die Windsysteme und das Klima. Dritte vertraten die Auffassung,

Landwirtschaft, der nicht nur zusätzliche Frondienste und Abgaben auferlegt worden waren, sondern die seit 1812 auch unter den quasi eiszeitlichen Klimaverhältnissen zu leiden hatte. Erschwert wur-de die Bewältigung der Krise überdies durch die politischen Rah-menbedingungen. Einerseits hatten die meisten Staaten nach den Missernten rasch Exportverbote für Getreide verhängt, sodass der grenzüberschreitende Getreidehandel zusammenbrach. Anderer-seits hatten die Siegermächte beim Wiener Kongress 1814/1815 und bei der Friedenskonferenz in Paris 1815 die politische Landkarte neu gezeichnet und den veränderten Staatswesen fehlten teilweise noch Erfahrungen im Umgang mit Hungerkrisen.

Die Klimaanomalie hatte nicht in allen Regionen die gleichen Auswirkungen. In den Vereinigten Staaten und auf den britischen Inseln führten die Missernten zwar zu steigenden Preisen und so-zialen Spannungen, von Hunger im eigentlichen Sinne war aber

3 anonym, Teuerung und Hungersnot im Kanton Zürich 1816/17, 1817. Museum der Brotkultur ulm

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religiösen Kreisen weiter, obwohl sein Einfluss im Schwinden be-griffen war. Gleichwohl spottete Heinrich Zschokke, ein einfluss-reicher Volksaufklärer, Endzeitpropheten würden den Zorn Got-tes predigen »während doch die Türken und Heiden nicht halb so fromm sind, als wir Schweizer und dabei das schönste Wetter von der Welt genießen«.7

In Indonesien waren mythische Erklärungen ebenfalls präsent. Nach dem Ausbruch des Tambora wurden die Bewohner der Insel Java auf der Suche nach den Ursachen der Katastrophe in der Geis-terwelt fündig: Ratu Kidul, die berüchtigte Meereskönigin, habe bei der Hochzeitsfeier eines ihrer Kinder zahlreiche Salven aus einem übernatürlichen Geschütz abgefeuert. Die Überreste der Munition seien anschließend in Form von Asche auf die Erde geregnet. Als sich Heinrich Zollinger 1847 aufmachte, den Tambora zum ersten Mal seit der Eruption zu besteigen, erwähnte er die javanische Mee-reskönigin nur noch am Rande. Sie war auf Sumbawa von der Sage

das beobachtete Vordringen des arktischen Eises im Nordatlantik sei für die kühle Witterung verantwortlich. Vierte vermuteten, die großflächige Abholzung der Wälder habe Wärme in die Atmosphä-re entweichen lassen. Fünfte mutmaßten schließlich, die zahlrei-chen Erdbeben in den Jahren zuvor hätten das elektrische Gleich-gewicht zwischen Erde und Atmosphäre gestört. Andere Vertreter der Elektrizitätslehre argwöhnten, die 1752 von Benjamin Franklin erfundenen Blitzableiter würden das Innere der Erde elektrisch aufheizen und den natürlichen Wärmefluss stören.

Außerhalb des naturwissenschaftlichen Zirkels erfreuten sich übernatürliche Erklärungen weiterhin großer Beliebtheit. Viele Zeitgenossen sahen keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glauben – für sie drehte sich das Rad der Vorsehung auch nach der Aufklärung weiter. Kosmische Erscheinungen wie Ko-meten galten weiterhin als himmlische Vorboten von (Natur-)Ka-tastrophen und der strafende Gott des Alten Testaments lebte in

4 Johann hans, Feier des Erntefestes in Ulm am 5. August 1817. kolorierte radierung, Museum der Brotkultur ulm

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Anmerkungen

1 Oppenheimer 2003, S. 231.2 Raffles 1825, S. 27.3 Raffles 1825, S. 33.4 Post 1977, S. 68.

5 Raffles 1825, S. 25.6 Pfister 1975, S. 88.7 Krämer 2013, S. 59.8 Zollinger 1855, S. 8.

eines himmlischen Strafgerichts verdrängt worden. Der Herrscher des Fürstentums Tambora habe sich den Zorn Gottes zugezogen, weil er einem Haddsch – ein Ehrentitel für einen Pilger nach seiner Reise nach Mekka – zuerst unreines Hundefleisch zu essen gegeben und ihn anschließend getötet habe. Noch hatte der Islam den Glau-ben an Geister aber nicht völlig zum Verschwinden gebracht, baten die Einheimischen Zollinger doch inständig, er möge »die Berggeis-ter nicht wecken oder gar herausfordern«.8

Nach Zollingers Besteigung des Tambora sollte es noch gut 60 Jahre dauern, bis die Wissenschaft den Zusammenhang zwi-schen dem Ausbruch des Tambora und dem »Jahr ohne Sommer« erkannte. Erst als große Vulkanausbrüche zu Beginn des 20. Jahr-hunderts (wieder) als mögliche Ursache der Eiszeit betrachtet

wurden, untersuchte William J. Humphreys die Auswirkungen von großen Eruptionen auf die globale Durchschnittstemperatur. Er war schließlich 1913 der erste, der den Ausbruch des Tambora mit den denkwürdigen Ereignissen von 1816 in Verbindung brach-te. Obwohl die zeitgenössischen Naturforscher die Ursachen der Klimaanomalie nicht entschlüsselt hatten, profitierte Humphreys von den Auswirkungen des »Jahres ohne Sommer« auf die Natur-wissenschaft: Einerseits hatte die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft 1817 mit der Preisfrage, ob sich die Gletscher durch das rauere Klima in den Alpen tatsächlich ausdehnten, die Entwicklung der Eiszeittheorie angestoßen. Andererseits hatten die Klagen über fehlende meteorologische Daten zur Errichtung neuer Beobach-tungsstationen geführt.