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V Vaginalabstrich W. G. Guder Englischer Begriff vaginal smear Denition Abstrich aus dem hinteren Drittel der Scheiden- wand zur Bestimmung mikrobiologischer (bei Vaginitis) oder zytologischer Bestandteile (z. B. zur Vorsorge von Vaginal- und Zervixkarzinom). Beschreibung In der Diagnostik verwendetes Verfahren zur Gewinnung von abschilfernden Zellen der Scheidenwand und des Muttermundes zum Zwecke der mikrobiologischen Dia- gnostik oder der Vorsorgeuntersuchung auf Portiokarzinom. Vakuolisierung H. Baum Englischer Begriff vacuoles Denition Nachweis von Vakuolen in Granulozyten. Die Abbildung zeigt die Vakuolisierung (Pfeil) eines neu- trophilen Granulozyten bei einem Patienten mit Sepsis; gleichzeitig erscheint das Zytoplasma leicht basophil und es ist eine verstärkte Granulierung zu beobachten (1000, May-Grünwald-Giemsa-Färbung): Beschreibung In der morphologischen Differenzierung können in den Granulozyten manchmal Vakuolen nachgewie- sen werden. Diese Vakuolisierung tritt meist zusammen mit dem Nachweis einer toxischen Granulierung und Döhle- Körperchen in Erscheinung. Sie ist somit, wie die toxische Granulierung und der Nachweis von Döhle-Körperchen, ein Hinweis auf eine schwere Infektion. Abgegrenzt werden muss diese spezische Vakuolisierung jedoch durch In-vitro- Artefakte, wie sie beim längeren Stehen des Blutes vor der Analyse vorkommen können, wobei morphologisch dies nicht voneinander abgegrenzt werden kann. Literatur Bain BJ (2001) Blood cell morphology in health and disease. In: Lewis SM, Bain BJ, Bates I (Hrsg) Dacie and Lewis practical haematology, 9. Au. Churchill Livingstone, London, S 288289 # Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. M. Gressner, T. Arndt (Hrsg.), Lexikon der Medizinischen Laboratoriumsdiagnostik, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-48986-4

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V

Vaginalabstrich

W. G. Guder

Englischer Begriff vaginal smear

Definition Abstrich aus dem hinteren Drittel der Scheiden-wand zur Bestimmung mikrobiologischer (bei Vaginitis) oderzytologischer Bestandteile (z. B. zur Vorsorge von Vaginal-und Zervixkarzinom).

Beschreibung In der Diagnostik verwendetes Verfahren zurGewinnung von abschilfernden Zellen der Scheidenwand unddes Muttermundes zum Zwecke der mikrobiologischen Dia-gnostik oder der Vorsorgeuntersuchung auf Portiokarzinom.

Vakuolisierung

H. Baum

Englischer Begriff vacuoles

Definition Nachweis von Vakuolen in Granulozyten.Die Abbildung zeigt die Vakuolisierung (Pfeil) eines neu-

trophilen Granulozyten bei einem Patienten mit Sepsis;gleichzeitig erscheint das Zytoplasma leicht basophil und esist eine verstärkte Granulierung zu beobachten (1000�,May-Grünwald-Giemsa-Färbung):

# Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019A. M. Gressner, T. Arndt (Hrsg.), Lexikon der Medizinischen Laboratoriumhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-48986-4

Beschreibung In der morphologischen Differenzierungkönnen in den Granulozyten manchmal Vakuolen nachgewie-sen werden. Diese Vakuolisierung tritt meist zusammen mitdem Nachweis einer toxischen Granulierung und ▶Döhle-Körperchen in Erscheinung. Sie ist somit, wie die toxischeGranulierung und der Nachweis von Döhle-Körperchen, einHinweis auf eine schwere Infektion. Abgegrenzt werdenmuss diese spezifische Vakuolisierung jedoch durch In-vitro-Artefakte, wie sie beim längeren Stehen des Blutes vor derAnalyse vorkommen können, wobei morphologisch diesnicht voneinander abgegrenzt werden kann.

Literatur

Bain BJ (2001) Blood cell morphology in health and disease. In: LewisSM, Bain BJ, Bates I (Hrsg) Dacie and Lewis practical haematology,9. Aufl. Churchill Livingstone, London, S 288–289

sdiagnostik, Springer Reference Medizin,

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Vakuumröhrchen, Tab. 1 Übersicht über Farbcodes und Zusätze

Zusätze (Buchstabencode) Farbcode Verwendungszweck Firmen

Ohne Zusatz (Z) Rot/(Weiß) Serum BD, Greiner Bio One,Kabe

Ohne Zusatz mit Trenngel Gold/(Hellbraun) Serum BD, Greiner Bio One,Kabe

Heparinat-Lithium, -Natrium (LH, NH) Grün/(Orange) Heparinplasma BD, Greiner Bio One,Kabe

Heparinate mit Trenngel Hellgrün/(Orange) Heparinplasma BD, Greiner Bio One,Kabe

EDTA, Di-und Tri-Kalium (K2E, K3E) Lila/(Rot) EDTA-Blut und -Plasma BD, Greiner Bio One,Kabe

Trinatriumzitrat (4NC) Schwarz, Lila Blut fürBlutkörperchensenkungsgeschwindigkeit

BD, Greiner Bio One,Kabe

Trinatriumzitrat (9NC) Hellblau/(Grün) Zitratplasma für Gerinnungstests BD, Greiner Bio One,Kabe

Zusätze (Fluorid, Iodazetat) zurGlykolysehemmung (FX, FE, FH)

Grau/(Gelb) Plasma für Laktat, Glukose BD, Greiner Bio One,Kabe

Zusätze von Gerinnungsaktivatoren (Thrombin,Kaolin, Silikat)

Orange/Gold/Rot Serum BD, Greiner Bio One ,Kabe

Spurenfreie Röhrchen Königsblau Serum, Plasma (Metallspurenfrei) BD, Greiner Bio One

Urinröhrchen Hellbraun/Gelb/Olivgrün

Urinprobe aus Entnahmebehälter BD, Greiner Bio One

2424 Vakuumröhrchen

Vakuumröhrchen

W. G. Guder

Synonym(e) Evakuierte Röhrchen

Englischer Begriff evacuated tube

Definition Luftdicht verschlossenes Röhrchen, das durchErzeugung eines Vakuums in der Lage ist, bei Anlegen einerKanüle Flüssigkeit einer definierten Menge aufzunehmen.

Beschreibung Auf der Basis eines Patents von Becton Dick-inson (BD) wurden evakuierte Röhrchen für die Blutent-nahme entwickelt, die eine definierte Füllung und damit einestandardisierte Mischung mit vorgelegten Mengen von Anti-koagulans (▶Antikoagulanzien in vitro) erlauben. 2017 hatman sich entschlossen, auch in Deutschland eine einheitlicheFarbkennzeichnung für alle Blut- Probenröhrchen zu empfeh-len. Eine Zusammenstellung von Herstellern, Codes und Zu-sätzen für Vakuumröhrchen findet sich in der Tabelle. InZukunft nicht mehr empfohlene Farbcodes sind in Klammerngesetzt (Tab. 1).

Die Buchstabencodes für einige Zusätze wurden in einerISO und DIN-Euronorm festgelegt, während für die Farb-codes derzeit keine gültigen Normen im europäischenBereich gelten. BD und Greiner Bio One bieten auch für UrinVakuumröhrchen an.

Literatur

ISO/EN/DIN 14820 (2004) Gefäße zur einmaligen Verwendung für dievenöse Blutentnahme beim Menschen. Genf/Brüssel/Berlin:Beuth-Verlag

Von Meyer A, Cadamuro J, Streichert T,Gurr E, Fiedler GM, Leichtle A,Petersmann A, Pick K-H, Orth M, Riesch L, Sonntag O, Schmitt Y,WiegelB, Töpfer G, Guder WG (2017) Standard - Arbeitsanleitungzur peripher venösen Blutentnahme für die laboratoriumsmedizini-sche Diagnostik. J Lab Med 41:333–40

Vakuumsublimation

▶ Sublimation

Val

T. Arndt

Synonym(e) Äquivalent; Grammäquivalent

Englischer Begriff Val

Definition Historische, heute obsolete Einheit zur Konzen-trationsangabe von Ionen.

Beschreibung Die dem Äquivalentgewicht numerisch ent-sprechende Grammmenge heißt „1 Grammäquivalent“ oder

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Validität 2425

auch kurz „1 Val“. Dabei ist das Äquivalentgewicht als Quo-tient aus Formelgewicht (Summe der relativen Atommassenlt. Formel einer Substanz) dividiert durch die Wertigkeit(Ladung) definiert. Hierdurch sollte der Tatsache Rechnunggetragen werden, dass mehrwertige Ionen, z. B. Sulfat-Ionen(SO4

2–), Phosphat-Ionen (PO43–) oder Kalzium-Ionen (Ca2+)

eine 2- bzw. 3-mal stärkere „wirksame“ Konzentration ineiner Lösung entfalten als eine identische Einwaage einwer-tiger Ionen wie z. B. Cl–, Na+ oder K+.

Lösungen, die je Liter 1 Val einer Substanz enthalten,werden „1-normale Lösungen“ genannt. In einer 1-normalenSulfatlösung sind demnach 96,006:2 = 48,033 g SO4

2–, ineiner 1-normalen Phosphatlösung sind 94,978:3 = 31,656 gPO4

3– gelöst.Ältere Publikationen z. B. zu Normalbereichen (heute

Referenzbereichen) von Ionen in Blut und Urin geben diesehäufig mit der Einheit mVal/L (engl.: mEq/L) an. Nacho. g. Ausführungen sind diese Angaben mit der Wertigkeitder betrachteten Ionen zu dividieren, vorausgesetzt, die Wer-tigkeit ist eindeutig definiert (wie z. B. für Kalzium- undSO4

2–-Ionen) und es liegen nicht unterschiedliche Oxidati-onsstufen parallel vor (z. B. Phosphat, das in der FormH2PO4

–, HPO42– und PO4

3– vorliegt). Für einwertige Ionenwie z. B. Cl–, Na+ oder K+ entspricht der Zahlenwert derKonzentrationsangabe in mVal/L jenem der Konzentrations-angabe in mmol/L (Division durch „1“).

Querverweise ▶Valin

Literatur

Wiberg N (1995) Holleman-Wiberg Lehrbuch der Anorganischen Che-mie, 101. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin/New York, S 163–164

Validation technisch

▶ Freigabe

Validierung

V

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff validation

Definition Verifizierung, wobei die spezifizierten Anforde-rungen für den beabsichtigten Zweck angemessen sind(Brinkmann 2012). Für Beispiele s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Validität

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff validity

Definition Die Validität einer Messung bezeichnet das Aus-maß, zu dem eine Messung mit dem „wahren“ biologischenWert oder einem akzeptierten „Goldstandard“ übereinstimmt.

Beschreibung Validität impliziert die Minimierung von sys-tematischen Messfehlern (▶Messabweichung, systematische)im Messprozess. Insofern setzt Validität eine valide Messme-thode und einen validen Beobachter voraus. Falls der wahreWert (▶wahrer Wert einer Größe) unbekannt ist und durcheinen ▶Goldstandard ersetzt wird, lässt sich die Validitätoffensichtlich nur indirekt bewerten. In diesem Fall dif-ferenziert man zwischen mehreren Teilaspekten der Validität.So spricht man von „face validity“, um das Ausmaß derÜbereinstimmung zwischen den beiden Messmethoden(▶Übereinstimmung zweier Messmethoden) zu beschreiben.Ferner bezeichnet die „content validity“ das Ausmaß, zu demdie einzelnen Komponenten einer Messmethode „passend“sind. Als „concurrent validity“ bezeichnet man den Grad, zudem die Messmethode mit anderen Messmethoden korreliert(▶Korrelation, statistische). Die Vorhersagefähigkeit (▶Vor-hersagewert, negativer; ▶Vorhersagewert, positiver) einerMessmethode für die Ergebnisse einer anderen Methodebezeichnet man als „predictive criterion validity“. Schließlichbezeichnet man als „construct validity“ das Ausmaß, zu demdie zu betrachtende messbare Eigenschaft an sich valide ist.Die vielschichtigen Facetten des Validitätsbegriffs reflektie-ren die Schwierigkeiten beim praktischen Nachweis dieserEigenschaft. In der Statistik würde man Validität mit demBegriff „Accuracy“ (▶Accuracy, diagnostische) oder „Kon-sistenz“ übersetzen

Literatur

Kramer MS (1988) Clinical epidemiology and biostatistics. Springer,Berlin/Heidelberg/New York

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2426 Validität, diagnostische

Validität, diagnostische

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff diagnostic test validity

Definition Die diagnostische Validität (Validität eines dia-gnostischen Tests) beschreibt, wie gut die Testresultate einesdiagnostischen Tests (▶Test, diagnostischer) mit einem ob-jektiven diagnostischen Standard übereinstimmen.

Beschreibung. Offensichtlich hängt die Frage der Bewer-tung der diagnostischen Validität eng von den diagnostischenFähigkeiten des verwendeten Goldstandards (▶Goldstan-dard) ab.

Literatur

Kramer MS (1988) Clinical epidemiology and biostatistics. Springer,Berlin/Heidelberg/New York

Valin

A. C. Sewell

Synonym(e) Val

Englischer Begriff valine

Definition Valin (lat. validus: kräftig, gesund) ist eine essen-zielle, verzweigtkettige, proteinogene a-Aminosäure, die ingeringen Mengen in allen wichtigen Proteinen vorkommt.Valin wurde erst im Jahr 1901 von Hermann Emil Fischer(1852–1919) aus Kasein isoliert.

Struktur ▶Aminosäuren.

Molmasse 117,15 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Val kannnicht synthetisiert und muss mit der Nahrung aufgenommenwerden. Val wird durch ▶Transaminierung und Dekarboxy-lierung zu Propionyl-CoA abgebaut.

Funktion – Pathophysiologie Val dient als Brennstoff undwird vor allem in Muskel, Fett, Nieren und Gehirn oxidiert.Die Ahornsirupkrankheit stellt einen Defekt in der Oxidationvon Val (sowie ▶Leucin und ▶ Isoleucin) dar.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum,Plasma, Liquor, Urin, Trockenblut.

Analytik ▶Aminosäuren.

Referenzbereich – Erwachsene ▶Aminosäuren.

Indikation Ahornsirupkrankheit

Literatur

Duran M (2008) Amino acids. In: Blau N, Duran M, Gibson KM (Hrsg)Laboratory guide to the methods in biochemical genetics. Springer,Berlin, S 53–90

Valproinsäure

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Synonym(e) Dipropylessigsäure; Propylvaleriansäure

Englischer Begriff valproic acid

Definition Antiepileptikum.Strukturformel:

Molmasse 144,22 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Valproat(Salz der Valproinsäure) wird oral appliziert. Es wird in derLeber weitgehend abgebaut, sodass nur 5 % der Dosis unver-ändert im Urin erscheint.

Halbwertszeit 18 Stunden.

Funktion – Pathophysiologie Als unerwünschte Wirkun-gen wurden unter der Therapie gastrointestinale Störungen,Benommenheit, Thrombozytopenie, Pankreatitis sowie He-patotoxizität beobachtet.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum(S), Plasma (P).

Analytik Immunoassay, HPLC, GC-MS, LC-MS/MS.

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Vanadium 2427

Indikation Therapeutisches Drug Monitoring.

Interpretation Therapeutischer Bereich (S, P): 50–100mg/L;toxisch ab 120 mg/L (Hiemke et al. 2012); komatös/letal ab556–720 mg/L (Fallberichte, Schulz et al. 2012).

Literatur

Hannak D, Külpmann WR, Hallbach J (2009) Anticonvulsants. In:Külpmann WR (Hrsg) Clincial toxicological analysis. Wiley-VCH,Weinheim, S 287–300

Hiemke C et al (2012) AGNP-Konsensus-Leitlinien für therapeutischesDrug-Monitoring in der Psychiatrie: Update 2011. Psychopharma-kotherapie 19:91–122

Schulz M, Iwersen-Bergmann S, Andresen H, Schmoldt A (2012) The-rapeutic and toxic blood concnetrations of nearly 1,000 drugs andother xenobiotics. Crit Care 16:R136

Vanadin

▶Vanadium

Vanadium

D. Meißner und T. Arndt

V

Synonym(e) Vanadin

Englischer Begriff vanadium

Definition Vanadium (chemisches Symbol: V) gehört zu den▶Übergangsmetallen, hat die Atomnummer 23 und ist für Tiereein essenzielles Ultraspurenelement (▶Ultraspurenelementen).Für den Menschen ist die Essenzialität jedoch noch nicht erwie-sen. Darüber hinaus zeigt Vanadium toxische Wirkungen.

Struktur Vanadium kommt in verschiedenen Oxidations-stufen von �1 bis +5 vor. In den Zellen des menschlichenKörpers liegt es hauptsächlich 4-wertig als Vanadyl-(VO2+-)oder 5-wertig als Vanadat-(VO4

3�-)Ion vor. Im Plasma ist esan ▶Transferrin gebunden.

Molmasse Relative Atommasse: 50,9415.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Vanadiumwird über Nahrung und Getränke zugeführt und enteral miteiner Absorptionsrate von 10–25 % aufgenommen. Aus derAtemluft wird es ebenfalls rasch absorbiert. Vom Blut ausverteilt es sich im Körper, hohe Konzentrationen werden in

Skelett, Nieren, Ovarien, Uterus, Milch und Haar gefunden.Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich mit dem Stuhl, nur2–6 % mit dem Urin. Stillende scheiden 15 % mit derMuttermilch aus.

Bedarf: <10 mg/Tag. Tolerierbare Aufnahme pro Tag:100 mg/kg KG. Vanadiumreich sind Kakao, Tee, Pilze, blatt-reiches Gemüse, Küchenkräuter, Bier.

Funktion – Pathophysiologie Beim Menschen ist ein Va-nadiummangel bisher nicht nachgewiesen worden. Im Tier-versuch wurden bei vanadiumarmer Ernährung Wachstums-retardierung, Störungen in der Fortpflanzung und weitereStörungen beobachtet. Beim Menschen soll Vanadium eineninsulinomimetischen Effekt haben. Es erhöht die Expressionvon Glukosetransportern in Leber und Fettgewebe und stimu-liert die Insulinsekretion und trägt somit zu einer Reduktionder Hyperglykämie bei. Es ist versucht worden, verschiedeneVanadiumverbindungen zur Senkung der Blutzuckerkonzen-tration therapeutisch einzusetzen.

Hohe Vanadiummengen >10 mg/Tag sind für den Men-schen gefährlich. Je nach Menge, Aufnahmedauer und Auf-nahmeweg sind Bronchial-, Lungen- und Darmerkrankungensowie Ohrensausen, Sehstörungen, Herzrhythmusstörungen,Abgeschlagenheit oder Übelkeit beobachtet worden.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum,Urin.

Probenstabilität 20 �C 7 Tage, 4–8 �C 14 Tage, �20 �C1 Jahr.

Präanalytik Spurenelementfreie Abnahmegeräte (Kanülen!)und Aufbewahrungsgefäße verwenden. Hohe Kontaminations-gefahr.

Analytik Elektrothermische ▶Atomabsorptionsspektrome-trie, Neutronenaktivierungsanalyse.

Konventionelle Einheit mg/L, mg/d.

Internationale Einheit nmol/L, nmol/d.

Umrechnungsfaktor zw. konv. u. int. Einheit nmol/L(d) = 19,6304 � mg/L (d); mg/L (d) = 0,05094 � nmol/L(d).

Referenzbereich – Erwachsene Blut: 0,021–0,103 mg/L.Urin: <0,166 mg/L (Heitland und Köster 2006a, b).

Referenzbereich – Kinder Blut: s. Erwachsene. Urin:<0,1 mg/L (Heitland und Köster 2006b).

Indikation Verdacht auf erhöhte Zufuhr oder Exposition.

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2428 Vancomycin

Interpretation Die Serumkonzentrationen liegen nahe ander Nachweisgrenze der Methoden. Sie sind von der Analy-senmethode, der Vorbehandlung der Probe und von Konta-minationen abhängig und schwanken bei Normalpersonenvon Autor zu Autor zwischen 0,7 und 0,02 mg/L.

Diagnostische Wertigkeit Diagnose einer Intoxikation.

Literatur

Blotcky AJ, DuckworthWC, Hamel FG et al (1994) Vanadium. In: SeilerHG, Sigel A, Sigel H (Hrsg) Handbook on metals in clinical andanalytical chemistry. Marcel Dekker, New York/Basel/Hong Kong,S 651–663

Heitland P, Köster HD (2006a) Biomonitoring of 37 trace elements inblood samples from inhabitants of northern Germany by ICP-MS.J Trace Elem Med Biol 20:253–262

Heitland P, Köster HD (2006b) Biomonitoring of 30 trace elements inurine of children and adults by ICP-MS. Clin Chim Acta365:310–318

Vancomycin

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff vancomycin

Vancomycin, Abb. 1Strukturformel

Definition Glykopeptid-Antibiotikum (Abb. 1).

Molmasse 1449,22 g.

Synthese –Verteilung –Abbau –Elimination Vancomycinwird i.v. appliziert und zu über 90 % unverändert renaleliminiert.

Halbwertszeit 4–11 Stunden (Plasma).

Funktion – Pathophysiologie Vancomycin hemmt dieMembransynthese von Bakterien. Als unerwünschte Wirkun-gen treten auf: Interstitielle Nephritis, Reduktion des Hörver-mögens und Schwindel. Außerdem wurden anaphylaktoideReaktionen beobachtet.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum(S), Plasma (P).

Analytik ▶ Immunoassay, ▶GC-MS, LC-MS/MS.

Indikation Therapeutisches Drug Monitoring.

Interpretation Therapeutischer Bereich (S, P): 4–10 mg/L;toxisch: >30 mg/L, Talspiegel >5 mg/L; komatös/letal:unbekannt.

Bei Niereninsuffizienz ist die Vancomycinausscheidungreduziert. Die Dosis muss unter Überwachung der Vancomy-cinkonzentration im Plasma herabgesetzt werden.

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Van-der-Waals-Kräfte 2429

Literatur

Bircher J, Sommer W (1998) Klinisch-pharmakologische Datensamm-lung, 2. Aufl. Wiss. Verlagsges, Stuttgart

Schulz M, Schmoldt A (2003) Therapeutic and toxic blood concentrati-ons of more than 800 drugs and other xenobiotics. Pharmazie58:447–474

Van-den-Bergh-Methode

▶Van-den-Bergh-Test

Van-den-Bergh-Reaktion

▶Van-den-Bergh-Test

Van-den-Bergh-Test

A. M. Gressner und O. A. Gressner

V

Synonym(e) Van-den-Bergh-Methode; Van-den-Bergh-Re-aktion

Englischer Begriff van den Bergh method; van den Berghtest

Definition Selektive kolorimetrische Quantifizierung vondirekt reagierendem konjugierten und indirekt, nach Zugabeeines Akzelerators reagierendem, Albumin-gebundenemBilirubin unter Anwendung der Diazoreaktion (diazotierteSulfanilsäure) nach Ehrlich (▶Ehrlich, Paul).

Beschreibung Die von demniederländischenArztA.A.H. vanden Bergh (1869–1943, von 1918–1942 Leibarzt des im hol-ländischen Exil lebenden letzten deutschen KaisersWilhelm II.)entwickelte Methode der selektiven kolorimetrischen Bestim-mung (▶Kolorimetrie) von konjugiertem (wasserlöslichen) undnichtkonjugiertem (Albumin-gebundenen) Bilirubin mit diazo-tierter Sulfanilsäure (4-Aminobenzolsulfonsäure, Reagenz nachEhrlich) basiert auf der spezifischen Erfassung der unkonjugier-ten Fraktion erst nach Freisetzung aus der Albuminbindungdurch Zugabe eines sog. Akzelerators (▶Bilirubin). Der alsAkzelerator dienende Alkohol (Methanol) bewirkt eine Präzipi-tation der Serumproteine und somit eine Freisetzung von Bili-rubin aus der Albuminbindung. Die konjugierte Fraktion

reagiert (direkt) innerhalb von 30 Sekunden zum blauen Azo-farbstoff. ZahlreicheModifikationen derMischung/Verdünnungvon Serum, Diazoreagenz undMethanol (50%) führten zu einerOptimierung der Methode ohne Proteinpräzipitation und zurAnwendung der ▶Photometrie. Damit hat van den Bergh diespezifische Erfassung der beiden differenzialdiagnostisch wich-tigen Typen des Bilirubins möglich gemacht.

Literatur

Malloy HT, Evelyn KA (1937) The determination of bilirubin with thephotoelectric colorimeter. J Biol Chem 119:481–490

Van den Bergh AAH, Müller P (1916) Über eine direkte und eineindirekte Diazoreaktion auf Bilirubin. Biochem Zschr 77:90–103

Van-der-Waals-Kräfte

T. Arndt

Englischer Begriff Van der Waals forces

Definition Nach dem Physiker Johannes Diderik van derWaals (1837–1923) benannte Anziehungskräfte (Bindungs-kräfte) zwischen inerten Atomen bzw. gesättigten Molekülenmit einem temporär auftretenden (oszillierenden) Dipol.

Beschreibung Durch die Elektronenbewegungen in derAtomhülle kommt es zu zeitlich variierenden, unsymmetri-schen Ladungsverteilungen im Atom. Die Folge ist ein tem-porärer Überschuss an negativer Ladung auf der einen undgleichzeitig ein Überschuss an positiver Ladung auf der ande-ren Seite des Atoms. Das Atom bildet einen temporärenDipol. Die Van-der-Waals-Kraft ist die elektrische Anzie-hungskraft zwischen zwei temporären Dipolen. Da die Dipol-momente sehr klein sind, ist die resultierende elektrischeAnziehung sehr schwach und hat nur eine äußerst geringeReichweite. Damit die Van-der-Waals-Kräfte überhaupt wirk-sam werden können, müssen sich zwei Atome bzw. zweiMoleküle sehr nahe kommen. Diese Annährung ist umso„schwieriger“ (statistisch unwahrscheinlicher) je mehr kine-tische Energie diese haben, also je höher die Temperatur ist.Mit steigendermolarerMasse und/oder Oberfläche nehmen dieVan-der-Waals-Kraft bzw. der Einfluss der Van-der-Waals-Bindung auf die Wechselwirkung von Molekülen zu. Deshalbsind innerhalb und zwischen großen Molekülen wie Peptidenund Proteinen z. T. ausgeprägte Van-der-Waals-Bindungen zubeobachten. Sie sind oft von großem Einfluss für die Strukturdes Einzelmoleküls oder von Molekülaggregaten.

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2430 Vanillinmandelsäure

Literatur

Falbe J, RegitzM (Hrsg) (1992) Römpp Chemie Lexikon. Georg ThiemeVerlag, Stuttgart/New York

Vanillinmandelsäure

▶Katecholamine

Van-Kampen-Zijlstra-Lösung

▶Transformationslösungen zur Hämoglobinbestimmung

Van Slyke, Donald Dexter

O. Müller-Plathe

Lebensdaten Niederländischstämmiger amerikanischer Bio-chemiker, geboren am 29.März 1883 in Pike, NewYork, USA,gestorben am 4. Mai 1971 in Garden City, New York, USA.

Verdienste Direktor des Labors am Rockefeller Institute forMedical Research in New York. Bedeutendster Vertreter derKlinischen Chemie (▶Klinische Chemie) in den USA in derersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Entwickelte eine Fülle vonanalytischen Methoden, unter anderem den bekannten„Manometrischen Apparat“ für die O2- und CO2-Bestim-mung im Blut, und erarbeitete grundlegende Ergebnisse aufdem Gebiet des Säure-Basen- und Elektrolytstoffwechsels(▶ Säure-Basen-Stoffwechsel; ▶Elektrolyte).

Literatur

Peters JP, van Slyke DD (1931) Quantitative clinical chemistry.I. Interpretations, 1. Aufl. Bailliére, Tindall & Cox, London,S 1–1173

Peters JP, van Slyke DD (1932) Quantitative clinical chemistry.II. Methods, 1. Aufl. Williams and Wilkins, Baltimore, S 1–981

Rosenfeld L (1999) Donald Dexter van Slyke (1833–1971). An oralbiography. Clin Chem 45:703–713

V-Antigen

K. Kleesiek, C. Götting, J. Diekmann, J. Dreier undM. Schmidt

Synonym(e) Ces; Hrv; ISBT 004.010; RH10

Englischer Begriff Vantigen

Beschreibung V-Antigen gehört zum ▶Rhesus-Blutgrup-pensystem und hat eine Antigenfrequenz von 1 %(Kaukasier) bzw. 30 % (Menschen mit dunkler Hautfarbe).Das Antigen ist auf dem RHCE-Polypeptid lokalisiert. Anti-V-Antikörper treten meist im multispezifischen Serum auf,meist in Assoziation mit Anti-D-Antikörpern (▶Anti-D-Prophylaxe).

Van Weemen, Bauke

▶Engvall, Eva

Variabilität

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Synonym(e) Dispersion; Streuung

Englischer Begriff dispersion; variability

Definition Die Variabilität bezeichnet das Auftreten vonUnterschieden zwischen Individuen einer ▶Grundgesamt-heit bzw. in der ▶ Stichprobe.

Beschreibung Die Variabilität bezeichnet die Eigenschaft,dass beobachtete Messwerte (▶Messwert) voneinanderabweichen. Die Größe der Variabilität erfasst man durchStreuungsmaße. Es sollte deutlich zwischen der Streuung imSinne von Variabilität und ihrem Maß (z. B. der ▶ Standard-abweichung oder der ▶Varianz) unterschieden werden.

Literatur

Rasch D (1988) Biometrisches Wörterbuch. Verlag Harri Deutsch,Frankfurt am Main

Variabilität, interindividuelle

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff interindividual variability; between-groups variability

Definition Die interindividuelle Variabilität beschreibt die▶Variabilität zwischen Individuen verschiedener Gruppen.

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Varianz, gepoolte 2431

Variabilität, intraindividuelle

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff intraindividual variability; within varia-bility

Definition Die intraindividuelle Variabilität beschreibt die▶Variabilität wiederholter Messungen innerhalb eines Indi-viduums.

Variable

▶Merkmal

Variable number of tandem repeats(VNTRs)

J. Arnemann

V

Synonym(e) VNTR

Englischer Begriff variable number of tandem repeats;VNTR

Definition In den nicht kodierenden Bereichen der DNAfinden sich u. a. repetitive DNA-Abschnitte, die hochrepetitivals Satelliten-DNA oder mittelrepetitiv als Mikrosatelliten-oder Minisatelliten-DNA definiert sind.

Beschreibung Wenn Minisatelliten tandemartig angeordnetsind und in der Anzahl der Wiederholungen variieren,bezeichnet man diese als „variable number tandem repeats“(VNTR; variable Anzahl an ▶Tandem Repeats). Die eigent-lichen Basis-Repeats sind meist recht kurz und bestehenz. B. aus 6–8 einfachen Nukleotidabfolgen, die sich dannvariabel wiederholen und in der Gesamtlänge intraindividu-elle Unterschiede ergeben können.

Eine Abfolge von mehreren unterschiedlichen VNTR-Typen ergibt somit für eine Person ein individuenspezifischesMuster, was als DNA-Fingerprint bezeichnet wird und fürforensische Fragestellungen Anwendung findet.

Literatur

Roewer L (2013) DNA fingerprinting in forensics: past, present, future.Investig Genet 4:22–32

Variantenblock

▶Haplotyp

Varianz

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff variance

Definition Die Varianz ist definiert als die mittlere quadrati-sche Abweichung der Messergebnisse vom arithmetischenMittelwert.

Beschreibung Die Varianz ist ein ausreißeranfälliges Maßfür die Stärke der ▶Variabilität in den Messergebnissen(▶Messergebnis). Die Einheit der Varianz ist gegeben alsdas Quadrat der Einheit der ursprünglichen Messergebnisse.Da eine Maßzahl mit der gleichen Maßeinheit wie dieursprünglichen Messergebnisse wünschenswert ist, wird anStelle der Varianz häufig deren Quadratwurzel, die ▶ Stan-dardabweichung, verwendet.

Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass formal die mittlerequadratische Abweichung in der Form

1

n

Xn

i¼1

xi � �xð Þ2

angegeben werden kann. Aus statistischen Gründen istjedoch statt durch n durch (n�1) zu teilen. Bei großen Stich-proben wird sich kaum ein numerischer Unterschied ergeben;bei kleinen Stichproben kann der Unterschied jedoch erheb-lich sein.

Literatur

Hilgers R-D, Bauer P, Scheiber V (2002) Einführung in dieMedizinischeStatistik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Varianz, gepoolte

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff pooled variance

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2432 Varianzanalyse

Definition Die gepoolte Varianz misst die gemeinsame▶Variabilität innerhalb von 2 oder mehr Stichproben(▶Stichprobe), deren Messergebnisse (▶Messergebnis) mit-einander kombiniert werden sollen.

Beschreibung Im allgemeinen Fall von k Stichproben mitStichprobenumfängen n1, . . ., nk ergibt sich die gepoolteVarianz als eine Art „fallzahlgewichtete Mittelung“der Stich-probenvarianzen s21 , . . ., s2k (▶Varianz) der k einzelnenStichproben:

S2p ¼n� 1ð Þ � s2x þ m� 1ð Þ � s2y

nþm� 2

Literatur

Glantz SA (1992) Primer of biostatistics, 3. Aufl. McGraw-Hill, NewYork

Varianzanalyse

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Synonym(e) ANOVA

Englischer Begriff analysis of variance

Definition Die Varianzanalyse ist ein statistisches Verfahren,das den Einfluss eines oder mehrerer Einflussfaktoren, derenAusprägungen in Kategorien vorliegen, auf eine stetige Ziel-variable, untersucht.

Beschreibung Die beobachteten Werte der Zielvariablenwerden durch ein lineares statistisches Modell (▶Modell,statistisches) beschrieben, in dem neben den zufälligen Feh-lern der beobachtetenWerte die Haupteffekte (▶Haupteffekt)der Einflussfaktoren sowie die Wechselwirkungseffekte(▶Wechselwirkungseffekt) der Kombinationen der Einfluss-faktoren modelliert werden.

In der Varianzanalyse wird die Gesamtvarianz aufgeteilt indie ▶Varianz, die sich durch das statistische Modell,d. h. durch die Unterschiede zwischen den verschiedenenKategorien der Einflussvariablen, erklären lässt und die rest-liche Varianz, die nicht durch das statistische Modell erklärtwerden kann. Die restliche Varianz schließt die Varianz inner-halb der Kategorien einer Einflussvariable ein.

Das Ziel der Varianzanalyse besteht darin, zumeist mithilfeeines statistischen Tests (▶Test, statistischer) nachzuweisen,ob die verschiedenen Kategorien eines oder mehrerer Ein-

flussfaktoren eine statistisch signifikante Wirkung auf dieZielvariable haben.

Als ▶ Prüfgröße für die Varianzanalyse wird der Quotientaus der Varianz, die durch das Modell erklärt wird und derrestlichen Varianz herangezogen.

Literatur

Hartung J, Elpelt B, Klösener KH (1995) Statistik, Lehr- und Handbuchder angewandten Statistik. Oldenbourg Verlag, München

Variationskoeffizient

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff coefficient of variation

Definition Der Variationskoeffizient (VK) ist definiert alsQuotient von ▶Standardabweichung sx und Absolutbetragdes arithmetischen Mittelwerts �x der Messergebnisse:

VK ¼ sx�Xj j

Beschreibung Der Variationskoeffizient ist ein auf den arith-metischen Mittelwert (▶Mittelwert, arithmetischer) bezoge-nes dimensionsloses Maß für die Stärke der ▶Variabilität inden Messergebnissen. Er wird in der Regel als Prozentzahlangegeben. Der Variationskoeffizient eignet sich insbeson-dere zum Vergleich der relativen Genauigkeit verschiedenerMessreihen und wird daher gelegentlich auch als relativeStandardabweichung bezeichnet.

Literatur

Hilgers R-D, Bauer P, Scheiber V (2002) Einführung in dieMedizinischeStatistik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Varizella-Zoster-Viren

W. Stöcker

Synonym(e) VZV

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Varizella-Zoster-Viren 2433

Englischer Begriff Varizella-zoster virus

Beschreibung des Erregers Familie:Herpesviridae; Subfa-milie: Alphaherpesviridae; Art: Varicella-Zoster-Virus. VZVwird auch als humanes Herpes-Virus 3 (HHV-3) bezeichnet.

V

Erkrankungen Varizellen (Windpocken) und Herpes zoster(Gürtelrose). Die ▶Viren werden durch Tröpfchen- oderSchmierinfektion von Mensch zu Mensch übertragen. VZVgelten als besonders kontagiös („Windpocken“), deshalb istdie natürliche Durchseuchung sehr hoch (bei 20-Jährigen80–90 %). In Deutschland infizieren sich jedes Jahr 700.000Menschen.

Bei der Erstinfektion mit VZV kommt es zu einerReplikation der Viren in den regionalen Lymphknoten, undnach 4–6 Tagen zu einer ersten Virämie. Eine zweite virämi-sche Phase leitet das Prodromalstadium ein, mit unspezifi-schen Symptomen wie Kopfschmerzen, Fieber und Abge-schlagenheit. Durch Befall der Haut und Schleimhäutekommt es anschließend zu einem schubweise auftretendenExanthem (makulös, papulös, vesikulös, verkrustet; typischist das Vorliegen aller Stadien nebeneinander, im Gegensatzzu den Pocken mit gleichförmigen Effloreszenzen). Vielfälti-ge Komplikationen:

• Cerebellitis (1:4000)• Enzephalitis (1:25.000)• Meningitis• Thrombozytopenie• Pneumonie• Bakterielle Sekundärinfektionen

Die Komplikationsrate ist besonders hoch bei Kindern �1Jahr, sie sinkt im Kleinkindalter ab und steigt mit dem viertenLebensjahr wieder an. Für abwehrgeschwächte Patientenkönnen Varizellen lebensbedrohlich sein. Die Therapie er-folgt bei leichten Verläufen symptomatisch, bei Bedarf auchmit Virostatika.

Infizieren sich seronegative Frauen (Prävalenz um 5 % inEuropa) in den ersten 20 Schwangerschaftswochen (SSW),kommt es bei 2 % der Kinder dieser Frauen (600 Fälle proJahr in Deutschland!) zu einem fetalen (kongenitalen) Vari-zellen-Syndrom, mit Mikrozephalie, Katarakt, Mikroph-thalmie, Chorioretinitis, Hypoplasie der Extremitäten, Haut-defekten, Fehlbildungen des Intestinal- und Urogenitaltraktssowie Skelett- und Muskelhypoplasien.

Konnatale (neonatale) Varizellen entwickeln das Neuge-borene in den ersten 2 Lebenswochen, wenn die Mutterinnerhalb der letzten 3 SSW an Varizellen erkrankt war. DieErkrankung wird durch fehlende mütterliche Antikörpersowie ein unreifes Immunsystem des Neugeborenen begüns-tigt. Unbehandelt besteht eine Letalität von bis zu 30 %.

In Deutschland ist jährlich mit etwa 40–90 Fällen konnatalerVarizellen zu rechnen.

Postnatale Varizellen treten nach dem 12. Lebenstag auf.Während bei reifgeborenen Kindern meist keine Komplika-tionen zu erwarten sind, können sie bei Frühgeborenen in denersten Lebenswochen einen schweren Verlauf nehmen.

Herpes zoster (Gürtelrose) entsteht durch die Reaktivie-rung persistierender Viren in den Nervenganglien, mit derFolge einer lokalisierten Neuritis in Verbindung mit typischenEffloreszenzen und Schmerzen im entsprechenden Dermatom(75 % Thoraxbereich). Komplikationen sind Post-Zoster-Neuralgien, Zoster-Meningoenzephalitis und bakterielle Su-perinfektionen. Bei Immunsupprimierten kann der Zosterlangwierig verlaufen und rezidivieren.

Seit 2004 wird in Deutschland von der Ständigen Impf-kommission die aktive Immunisierung gegen VZV empfoh-len. Der attenuierte Lebendimpfstoff wird einzeln oder alsKomponente derMasern-Mumps-Röteln-Varizellen-Impfungverabreicht. Auch Erwachsene mit negativem Serostatus kön-nen sich immunisieren lassen, insbesondere Frauen mitKinderwunsch. Für die Impfung werden abgeschwächte Wild-typen eingesetzt, und man muss mit gelegentlichen Durch-bruchsinfektionen rechnen, die untypische Symptome bietenund milder verlaufen, aber dennoch kontagiös sein können.Sind seronegative Schwangere mit einer Infektionsquelle inBerührung gekommen, sollten sie innerhalb 96 (besser 48)Stunden passiv immunisiert werden. Frauen im gebärfähigenAlter ohneVZV-Immunität sollten nicht in einemKindergartenarbeiten (Abhilfe: aktive Schutzimpfung vor Beginn einerSchwangerschaft).

Analytik Direktnachweis: Möglich ist die elektronenmi-kroskopische Darstellung der Viren. Die Virusanzüchtungist aufgrund der Labilität des VZV zeitaufwendig (1–4Wochen) und schwierig. Die ▶ PCR (Polymerase-Kettenre-aktion) zeichnet sich demgegenüber durch bessere Sensitivi-tät (90 %;▶ Sensitivität, diagnostische) und Spezifität (99 %;▶ Spezifität, diagnostische) aus.

Serologie: Etabliert sind indirekte Immunfluoreszenz(▶ Immunfluoreszenz, indirekte) und▶Enzymimmunoassay(u. a. ▶Enzyme-linked Immunosorbent Assay, Chemilu-minszenz-Immunoassays). Die Quantifizierung erfolgt ininternationalen Einheiten eines WHO-Standardserums.

Untersuchungsmaterial – Probenstabilität Direktnach-weis undKultur:Untersucht werden Bläscheninhalt, Gewebe,Fruchtwasser, bronchoalveoläre Lavageflüssigkeit (bei Pneu-monie) und Liquor (bei Verdacht auf Varizellen-Enzephalitis),für die PCR auch Abstriche aus untypischen Läsionen, insbe-sondere bei Immunsupprimierten. Das Material sollte bis zurWeiterverarbeitung bei +4 bis +8 �C aufbewahrt werden.Direktnachweise sind innerhalb von 24 Stunden durchzuführen.Bei längerer Transportzeit ist das Material einzufrieren.

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2434 Vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor

Serologie: Serum oder Plasma für den Nachweis der Anti-körper sind bei +4 �C bis zu 2 Wochen lang beständig, bei�20 �C über Monate und Jahre hinweg. Zur Tiefkühlkonser-vierung des IgM kann man den Proben 80 % gepuffertesGlyzerin beifügen.

Diagnostische Wertigkeit Spezifische Antikörper lassensich bei Varizellen etwa 3–4 Tage nach dem Ausbruch desExanthems nachweisen. Bei primären Infektionen findet manin der Regel zunächst spezifische Antikörper der Klassen IgMund IgA. Eine Serokonversion oder ein signifikanter Titeran-stieg des spezifischen IgG innerhalb von 7–10 Tagen bestäti-gen die Diagnose. Bei einer Reaktivierung kommt es meist zueinem starken Anstieg spezifischer Antikörper der KlasseIgA. Die Bestimmung der Avidität des spezifischen IgG istebenfalls etabliert und hilft, primäre von sekundären Infek-tionen serologisch zu differenzieren.

In die Differenzialdiagnose sind Infektionen mit anderenneurotropen Viren, Herpes-simplex-Viren (▶Herpes-sim-plex-Viren 1 und 2), Pocken und blasenbildenden Autoim-mundermatosen einzubeziehen. Die Serologie spielt einewichtige Rolle bei der Immunitätsbestimmung vor und wäh-rend der Schwangerschaft.

Akute Erkrankungen an Varizellen sind laut Infektions-schutzgesetz meldepflichtig.

Literatur

Marre R, Mertens Th, Trautmann M, Zimmerli W (Hrsg) (2008) Vari-zellen (Windpocken). Klinische Infektiologie, 2. Aufl. Urban undFischer, München, S 715–718

Robert-Koch-Institut Berlin. RKI-Ratgeber für Ärzte (2016) Herpeszoster (Gürtelrose), 30.03.2016, Windpocken. http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.html.Zugegriffen am 15.03.2017

Wutzler P (2002) Herpesviren: Herpes-simplex-Virus Typ1 und 2, Vari-cella-Zoster-Virus. In: Doerr HW, Gerlich WH (Hrsg) MedizinischeVirologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischerKrankheitsbilder, 1. Aufl. Thieme Verlag, Stuttgart, S 378–381

Vaskulärer endothelialerWachstumsfaktor

H. Fiedler

Synonym(e) VEGF

Englischer Begriff vascular endothelial growth factor, vas-cular permeability factor

Definition Der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor(VEGF oder auch VEGF-A) gehört zur „Platelet-derivedgrowth factor“-Familie (mit einem Zystinknoten) und zusam-men mit dem plazentaren Wachstumsfaktor (▶PlazentarerWachstumsfaktor) und VEGF-B, VEGF-C und VEGF-D zueiner eigenen Subfamilie. VEGF(-A) existiert in 5 Spliceva-rianten, wovon VEGF121 und VEGF165 zirkulierende For-men sind. Andere Isoformen (145, 189 und 219Aminosäuren)sind gebunden an ▶Heparansulfat-Proteoglykane und anKorezeptoren, wie Neuropilin. VEGF-C und VEGF-D sindüber die VEGF-Rezeptoren-2 und -3 an der Lymphangioge-nese beteiligt (Mutationen führen zu Lymphangiomyomatosemit Lymphödem).

Beschreibung VEGF(-A) wird in fast allen Organen, beson-ders auch in Tumorzellen, sowie besonders unter dem Ein-fluss von Hypoxie (stimuliert durch den „hypoxia-induciblefactor-1“) und von Entzündungen exprimiert. Es bindet mithoher Affinität an 2 Rezeptortyrosinkinasen: VEGFR-1(Flt-1) und den funktionell wichtigeren Kinasedomänrezeptor(KDR, Flk-1, CD309 oder VEGFR-2). Die extrazelluläreSpliceform von VEGFR-1 wird als sFlt-1 (▶ Fms-like tyro-sine kinase 1, lösliche) sezerniert und blockiert als Decoy-Rezeptor die Funktionen von VEGF-A.

Neben antiapoptotischen, mitogenen und permeabilitätser-höhenden Aktivitäten, wirkend auf das vaskuläre Endothel,fördert VEGF die embryonale Vaskulogenese und später dieadulte Angiogenese unter physiologischen und pathophysio-logischen (Sauerstoffmangel, paraneoplastische Syndrome)Bedingungen: Proliferative und Neugeborenenretinopathienach Absetzen der Sauerstoffbeatmung, diabetische Retino-pathie, feuchte Altersmakuladegeneration, rheumatoide Ar-thritis, Tumoren und deren Metastasen. Erhöhte Konzentra-tionen sollen beimMammakarzinom und Nierenzellkarzinomfür eine schlechtere Prognose sprechen. Das seltene POEMS-Syndrom mit erhöhtem VEGF umfasst Polyradikuloneuropa-thie, Plasmazellenneoplasie, Sklerose der Knochen und Me-galie von Organen. In der Schwangerschaft wird VEGF durchsFlt-1 gebunden, wodurch es zu Schwellungen der Endothel-zellen im Glomerulum kommt und die Entwicklung einerPräeklampsie begünstigt wird. Da vor und während einerPräeklampsie sFlt-1 stark ansteigt, werden durch die Bindungvon VEGF und PlGF deren ungebundenen Konzentrationenreduziert. In der Gefäßwand fördert VEGF die Produktionvon Stickstoffmonoxid und damit die Vasodilatation.

Die Messsung der Konzentration von zirkulierendemVEGF ist bisher nicht standardisiert und stark abhängig vonPräanalytik und vom verwendeten Test wegen Antikörper-spezifität, Isoformen von VEGF und Interferenz mit VEGF-bindenden Molekülen (sFlt-1, Heparin, a2-Makroglobulin).Konzentrationen im Serum sind wesentlich höher als imPlasma, weil bei der Gerinnung VEGF freigesetzt wird. ZurVermeidung der Sekretion von VEGF aus Thrombozyten,

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Vasoaktives intestinales Polypeptid 2435

Granulozyten und Monozyten sollte CTAD-Lösung bei derBlutentnahme eingesetzt werden. Neben RIA und ELISA fürGesamt-VEGF kann mit Capture-Assays das freie VEGFbestimmt werden: Gesamt-Plasma-VEGF etwa 3–25 mg/L,freies VEGF 9–15 ng/L, Urin Median ca. 2,0 ng/mg Krea-tinin. Rezeptorbindungsassays und Bioassays (Wachstumendothelialer Zellen in vitro) sind auf die Forschung begrenzt.

Monoklonale Antikörper (Bevacizumab, Avastin) gegenVEGF wurden seit 2004 für die antiangiogenetische Behand-lung von Metastasen bei Kolon-, Lungen- und Brustkrebszugelassen und in abgewandelter Form (Lucentis) bei derfeuchten Makuladegeneration angewendet. Andere Therapie-möglichkeiten sind Inhibitoren von Tyrosinkinasen (Axitinib,Sunitinib).

Proangiogenetische Therapien mit VEGF, „fibroblastgrowth factor“ und PDGF („platelet-derived growth factor“)werden zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit und derperipheren Verschlusskrankheit erprobt.

Literatur

Jelkmann W (2001) Pitfalls in the measurement of circulating vascularendothelial growth factor. Clin Chem 47:617–623

Meo S, Dittadi R, Gion M (2005) Biological variation of vascularendothelial growth factor. Clin Chem Lab Med 43:342–343

Okamoto Y, Nagai T, Nakajo I et al (2008) Determination of age-relatedchanges in human vascular endothelial growth factor in the serumand urine of healthy subjects. Clin Lab 54:173–177

Shibuga M (2013) Vascular endothelial growth factor and its receptorsystem: physiological functions and pathological roles in variousdiseases. J Biochem 153:13–19

Vaskulärer endothelialerWachstumsfaktor-Rezeptor-1

▶ fms-like tyrosine kinase 1, lösliche

Vasoaktives intestinales Polypeptid

A. M. Gressner und O. A. Gressner

V

Synonym(e) VIP

Englischer Begriff vasoactive intestinal polypeptide

Definition Niedermolekulares, mit höchsten Konzentratio-nen in ZNS und Gastrointestinaltrakt vorkommendes Neuro-peptid, das ein breites Spektrum systemischer und gas-trointestinaler Wirkungen und klinische Relevanz für die

Differenzialdiagnose persistierender profuser Diarrhoe, Ver-ner-Morrison-Syndrom und VIP-Tumoren (VIPom) besitzt.

Molmasse 3,326 kDa.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Das ubiqui-tär verteilte VIP ist ein saures, lineares Polypeptid von28 Aminosäuren (Molmasse 3,326 kDa), das aufgrundN-terminaler, struktureller Homologien Mitglied der Se-kretin-Glukagon-Peptid-Familie (▶ Sekretin; ▶Glukagon)ist. Es kommt mit höchsten Konzentrationen in ZNS undGastrointestinaltrakt vor, dort in Nervenfasern vom Ösopha-gus bis zum Kolon in allen Gewebsschichten. Höchste Gewe-bekonzentrationen im distalen Dünndarm und Kolon. Weite-res Vorkommen in Herz, Lunge, Hypophyse, Niere und Milz.Synthese in neuroendokrinen Zellen und pankreatischenD-Zellen. Die Regulationsmechanismen sind nicht genaubekannt, wahrscheinlich führen Nahrungsaufnahme (salz-,fettreiche Kost, Alkohol) und Vagusreizung zur Freisetzung.Inaktivierung während einer Leberpassage.

Halbwertszeit Ca. 1 Minute.

Funktion – Pathophysiologie VIP besitzt ein breites Spek-trum parakriner und neuroendokriner, intestinaler undextraintestinaler Wirkungen, die folgende Tabelle fasst dieStoffwechselwirkungen des vasoaktiven intestinalen Poly-peptids zusammen:

Intestinal

Extraintestinal

" Wasser- undIonensekretion

" Pankreassekretion" Gallefluss" Chloridsekretion# Gastrinsekretion#Magensäure-sekretion# Natriumresorption

" Lipolyse" Glykogenolyse" Relaxation der glatten Muskulatur derGefäße, des Darm- und Urogenitaltrakts

" Immunglobulinsynthese" HormonsekretionNeurotransmitterfunktion (Kotransmitter

von Acetylcholin)

Überproduktion bei VIP-sezernierenden Tumoren (VIPome)führt zu persistierenden profusen Durchfällen mit Stuhlmengenvon 1–10 L und Hypokaliämie, demVerner-Morrison-Syndrom(bekannt als pankreatische Cholera oder WDHA=Wasserdiar-rhoe mit Hypokaliämie und Achlorhydrie).

Untersuchungsmaterial –Entnahmebedingungen EDTA-Plasma mit Proteaseinhibitor-(Aprotinin-)Zusatz (0,5 mLTra-sylol auf 10 mL Blut), eisgekühlt.

Präanalytik Nüchternplasma, sofortige Kühlung in Eis,Zentrifugation unmittelbar nach Blutentnahme bei 4 �C undLagerung bei �20 �C.

Analytik ▶ Immunoassay, Variationskoeffizient ca. 15 %.

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2436 Vasopressin

Referenzbereich – Erwachsene <50 ng/L (<15 pmol/L),im Liquor etwa 10-fach höhere Konzentration.

Referenzbereich – Kinder S. Erwachsene

Indikation

• Differenzialdiagnose der persistierenden profusen Diarrhoemit Hypokaliämie

• Diagnose des Verner-Morrison-Syndroms (WDHA-Syndrom)

• Diagnostik und therapeutische Verlaufskontrolle des VIPoms

Interpretation Extreme Erhöhung der Plasmakonzentrationbei VIPomen (0,6–9,0 mg/L), Konzentrationserhöhungen beiVerner-Morrison-Syndrom (WDHA-Syndrom), Ganglioneu-roblastom, pankreatischer Inselzellhyperplasie, medulläremSchilddrüsenkarzinom, multipler endokriner Neoplasie, Le-berzirrhose.

Diagnostische Wertigkeit VIP-Plasmakonzentration hat diebestmöglichen diagnostischen Kriterien für die Diagnostik desVerner-Morrison-Syndroms (WDHA-Syndrom) bzw. des VI-Poms. In der Differenzialdiagnostik der profusen, permanentenwässrigen Diarrhoe in Verbindung mit Hypokaliämie, Hypo-chlorhydrie, Dehydratation, Hypotonie und Haut-Flushing(Vasodilatation) kommt der VIP-Bestimmung entscheidendeBedeutung zu. Das sehr seltene VIPom ist zu über 80 % imPankreas lokalisiert, der Rest hat ein Glioneuroblastom oderVIP-sezernierende Phäochromozytome, Neurofibrome undkleinzellige Bronchialkarzinome zur Ursache.

Literatur

Deng G, Jin L (2017) The effect of vasoactive intestinal peptide inneurodegenerative disorders. Neurol Res 39(1):65–72

Mekhjian HS, O’Dorisio TM (1987) VIPoma Syndrome. Semin Oncol14:282–291

Vasopressin

▶Antidiuretisches Hormon

Vaspin

T. Arndt

Englischer Begriff visceral adipose tissue-derived serinprotease inhibitor

Definition Ein zu den Adipokinen (▶Adipokine) gehö-rendes, endokrin wirksames, die Zielzellen gegenüberInsulin sensibilisierendes Produkt des weißen Fett-gewebes.

Beschreibung Vaspin wurde u. a. aus viszeralem Fettge-webe von Ratten eines Typ-II-Diabetes-Modells beschrieben.Es sensibilisiert Zielzellen gegenüber Insulin. Vaspingabenlösten im mesenteralen und subdermalen weißen Fettgewebeobeser Mäuse eine verminderte Expression von ▶Tumorne-krosefaktor-a, ▶Leptin und ▶Resistin aus. Vaspin wird imMenschen eine Bedeutung für die Entwicklung von Fettsuchtund Stoffwechselstörungen zugeschrieben. Hohe Vaspinkon-zentrationen sollen protektiv bzgl. Ausbildung einer Insulin-resistenz sein. Ein Zusammenhang zwischen der Vaspinpro-duktion in periaortalem Fettgewebe und der Ausbildung einerAtherosklerose werden diskutiert. Aktuelle Studien untersu-chen u. a. die Relevanz von Serum-Vaspinkonzentrationenzur Detektion einer Insulinresistenz oder für die Ausbildungatherosklerotischer Plaques in den Blutgefäßen. Vaspinmes-sungen waren nicht zur Detektion einer Insulinresistenz innichtschwangeren und schwangeren Frauen geeignet. Patien-ten mit instabiler Angina pectoris zeigten im Vergleich zusolchen mit stabiler Angina pectoris um etwa die Hälfteverminderte Plasma-Vaspinkonzentrationen (Mittelwerte 0,4vs. 0,9 ng/mL; Methode ▶Enzymimmunoassay) und zusätz-lich eine reduzierte Vaspin-mRNA-Expression der mononu-klearen Zellen des peripheren Blutes. Die Plasma-Vaspin-konzentration korrelierte zusätzlich negativ mit der Schwereder Koronararterienerkrankung. Es bleibt abzuwarten, ob sichVaspin als Kenngröße (▶Kenngröße, klinisch-chemische)zur Detektion und Schweregradabschätzung einer atheroskle-rotischen Herz-Kreislauf-Erkrankung oder als Marker(▶ State-Marker) einer Insulinresistenz (und/oder Obesitasri-sikos) etablieren kann.

Literatur

Giomisi A et al (2011) Serum vaspin levels in normal pregnancy incomparison with non-pregnant women. Eur J Endocrinol164:579–583

Li H et al (2011) Vaspin plasma concentrations and mRNA expressionsin patients with stable and unstable angina pectoris. Clin Chem LabMed 49:1547–1554

Vaterschaftsnachweis

▶Vaterschaftstest

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Vel-Antigen 2437

Vaterschaftstest

J. Arnemann

V

Synonym(e) Vaterschaftsnachweis

Englischer Begriff paternity testing

Definition BeimVaterschaftstestwerden vonminimal 2 Indi-viduen, dem Kind und einem potenziellen biologischen Vaterdefinierte, variable STRs (▶Short Tandem Repeat (STR)) alsDNA-Fingerprinting getestet und die DNA-Profile hinsicht-lich Übereinstimmung miteinander verglichen.

Beschreibung Während in den Anfängen der Vaterschafts-testung noch recht unsichere Verfahren wie AB0- und HLA-Typisierung oder gar anthropometrische Verfahren eingesetztwurden, führte die DNA-Typisierung zu größter Zuverlässig-keit und Aussagekraft. Für die DNA-Typisierung, auch gene-tischer Fingerabdruck genannt, werden weltweit definierteVNTRs („variable number tandem repeats“) und STRs(„short tandem repeats“) zur Testung eingesetzt. In der Regelwerden 8–15 VNTRs/STRs mittels ▶ PCR (Polymerase-Kettenreaktion) amplifiziert und meist mittels▶Kapillarelek-trophorese auf die Fragmentlänge getestet. Die ermitteltenFragmentlängen sind zwischen den unterschiedlichen Labo-ren vergleichbar und werden neben der Vaterschaftsermitt-lung auch in der Forensik zur Täterermittlung eingesetzt. Dieeingesetzten Marker sind hinreichend variabel, um ein Indi-viduum mit einer nahezu absoluten Sicherheit zu typisieren.Bei der Auswertung des Vaterschaftstests muss in der DNAdes Kindes jeweils ein paternales Allel jeden Markers alsBestätigung der Paternität nachweisbar sein.

In Deutschland unterliegt die DNA-Vaterschaftstestungmit Veröffentlichung des Gendiagnostikgesetzes von 2009(s. ▶Gendiagnostikgesetz (GenDG)) starken Einschränkun-gen. So darf eine entsprechende DNA-Testung nur von spe-zialisierten und nach ISO/IEC 17025 zertifizierten Expertendurchgeführt werden. Die Probenentnahme, z. B. als Mund-schleimhautabstrich, muss unter Aufsicht, beispielsweisedurch einen Arzt, erfolgen, um juristisch verwendet werdenzu können. Für die Durchführung muss obligat das Einver-ständnis beider Elternteile vorliegen, ansonsten droht eineGeldstrafe. Eine vorgeburtliche Vaterschaftstestung ist verbo-ten, Ausnahmen hierbei sind sexueller Missbrauch und Ver-gewaltigung. Ein Mann, bei dem die Vaterschaft ausgeschlos-sen wurde, hat nach deutschem Recht gegenüber dem Kindkeine rechtlichen Verpflichtungen und keine Unterhaltsleis-tungen mehr.

Formell kann auch ein Mutterschaftstest in gleicher Weisedurchgeführt werden.

Literatur

Brinkmann B (2004) Forensische DNA Analytik. Dtsch Arztebl101:34–35

VAW

▶Verfahrensanweisung

VDGH

▶Verband der Diagnostica-Industrie e.V.

Vea

▶Vel-Antigen

Ve-Antigen

▶Vel-Antigen

VEGF

▶Vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor

VEGFR-1

▶ fms-like tyrosine kinase 1, lösliche

Vel-Antigen

K. Kleesiek, C. Götting, J. Diekmann, J. Dreier undM. Schmidt

Synonym(e) ISBT 901.001; Vea

Englischer Begriff Vel antigen

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2438 Venter, Craig John

Definition Das Vel-Antigen gehört zu den hochfrequentenAntigenen („public antigen“) und wird in der „901 series ofhigh incidence antigens“ geführt.

Beschreibung Vel-Antigen-negative Erythrozyten werdenmit einer Frequenz von 1:4000 Personen und 1:1500 Norwe-ger und Schweden gefunden. Die Expression des Vel-Antigens auf adulten Erythrozyten ist variabel, wobei eineschwache Vel-Expression als Vel-negativ fehlinterpretiertwerden kann. Das Vel-Antigen ist bei der Geburt noch nichtvoll entwickelt. Es sind sowohl Vel-Antikörper vom IgG- alsauch vom IgM-Typ beschrieben worden. Hämolytische Trans-fusionsreaktionen sind in der Literatur beschrieben worden.Das Vel-Antigen konnte als ein integrales Membranproteinmit einer molekularen Masse von 8,7 kDa identifiziert werden,das von dem SMIM1-Gen auf Chromosom 1 kodiert wird.

Venter, Craig John

A. M. Gressner und O. A. Gressner

Lebensdaten Amerikanischer Biochemiker, geboren am 14.Oktober 1946 in Salt Lake City, Utah, USA.

Verdienste Craig John Venter publizierte bereits währendseiner Promotion über 10 hochrangige wissenschaftlicheArbeiten. Er gründete im Jahr 1998 das Biotechnologieunter-nehmen Celera Corp., das sich u. a. mit der vollständigenSequenzierung des menschlichen Genoms beschäftigte. 2001publizierte Venters Arbeitsgruppe eine vorläufige Gesamtse-quenz und Kartierung des humanen Genoms (▶Whole-Genome Sequenzierung (WGS)) und hat damit den internenWettstreit mit dem seit 1990 laufenden, staatlich finanzierteninternationalen Humangenomprojekt (HGP) gewonnen. Zudiesem Erfolg trug auch die von Venter eingesetzte, sichvom Vorgehen des HGP unterscheidende Strategie der Hoch-durchsatzsequenzierung (Shotgun-Sequenzierung) bei. In dievon Venter im Jahr 2005 gegründete Firma Synthetic Geno-mics Inc. brachte er mehrere Tausend Patente ein, um sichu. a. der Nutzung der Ergebnisse in den Biowissenschaftenund Medizin zu widmen. Venter gelang es auch, 2007 einkomplettes bakterielles Genom zu synthetisieren. Für diesewissenschaftlichen Leistungen erhielt er zahlreiche Auszeich-nungen, u. a. den World Health Award (2002), den Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstädter-Preis (2002) und die Nati-onal Medal of Science USA (2009).

Literatur

Venter CJ (2009) Entschlüsselt: Mein Genom, mein Leben. S.FischerVerlag, Frankfurt am Main

Ventil-Filter

▶Trennhilfen

Ventrikelliquor (V-Liquor)

▶Liquor cerebrospinalis

Veraschung

T. Arndt

Synonym(e) Schwefelsäure-Aufschluss

Englischer Begriff ashing

Definition Bezeichnet die oxidative Zerstörung von organi-schen Substanzen wie Kohlenhydraten und Proteinen durchErhitzen bis zur Aschebildung.

Beschreibung Hierfür werden die organischen Bestandteilevon Gewebsproben, Blut oder Urin, unter definierten Bedin-gungen, d. h. bei relativ niedrigen Temperaturen unter Zusatzvon oxidierenden Substanzen in sauerstoffhaltiger Atmo-sphäre, aufgeschlossen („verascht“). Eine klassische Anwen-dung der Veraschung ist die Bestimmung des Stickstoffge-halts der Nahrung (Stickstoffaufnahme) sowie in Stuhl, Urinund Haaren (Stickstoffverlust) im Rahmen von Stickstoff-bilanzuntersuchungen (▶Kjeldahl-Methode). Eine weitereAnwendung ist die Bestimmung des Aschegehalts in Lebens-mitteln.

Literatur

di Giorgio J (1974) Nonprotein nitrogenous constituents. In: Henry RJ,Cannon DC,Winkelman JW (Hrsg) Clinical chemistry principles andtechnics. Harper & Row Publishers, Hagerstown

Verband der Diagnostica-Industrie e.V.

A. M. Gressner und O. A. Gressner

Synonym(e) VDGH

Page 17: 00000A5033 2423..2488 - link.springer.com · Vakuumröhrchen W. G. Guder Synonym(e) Evakuierte Röhrchen Englischer Begriff evacuated tube Definition Luftdicht verschlossenes Röhrchen,

Vereinbarter Wert 2439

V

Englischer Begriff German Association of the DiagnosticsIndustry

Definition Der VDGH dient als Wirtschaftsverband der Ver-tretung und Förderung der gemeinsamen Interessen seinerMitglieder aus der Diagnostica-Industrie.

Beschreibung Der Verband wurde im Juni 1977 von 13 inDeutschland tätigen Diagnostica-Firmen gegründet. Gegen-wärtig hat er rund 100Mitgliedsfirmen, die mehr als 90 % desin Deutschland getätigten Diagnostica-Umsatzes auf sich ver-einigen. Der VDGH dient als Wirtschaftsverband sowohl derVertretung wie auch Förderung der gemeinsamen Interessenseiner Mitglieder. Diese sind

• Entwicklung und Produktion von In-vitro-Diagnostica,Reagenzien und Analysengeräten,

• Hersteller von Tests/Geräten zur Qualitätskontrolle in derPharma- und Lebensmittelindustrie,

• Zulieferer von Vorprodukten für die Diagnostica-Industrie,auch von Software,

die einen Sitz in Deutschland haben und selbst oder durcheine Mutterfirma im industriellen Ausmaß produzieren.

Seit seiner Gründung setzt sich der VDGH ein für Pla-nungssicherheit durch transparente undmittelfristig konstanteRahmenbedingungen, ein demBedarf der Patienten angemes-senes Volumen an Laborleistungen, eine der Leistung derIndustrie angemessene Bezahlung der Produkte und Dienst-leistungen und Raum für Innovationen. Dies erfolgt durchInteressenvertretung gegenüber Politik, Selbstverwaltung,Fachgesellschaften, Darstellung des Nutzens der In-vitro-Diagnostica gegenüber der Öffentlichkeit, kompetente Bera-tung und Unterstützung der Mitglieder bei allgemeinen wirt-schaftlichen und regulatorischen Fragen, Beobachtungen despolitischen und wirtschaftlichen Umfeldes und Informationder Mitglieder über relevante Entwicklungen und die Be-schaffung detaillierter Marktdaten. Ein wichtiges Anliegenseiner Tätigkeiten und satzungsgemäßen Aufgaben ist vonBeginn an auch der Austausch mit den Vertretern der wissen-schaftlichen Fachgesellschaften im Bereich der ▶Laborato-riumsmedizin und Klinischen Chemie (▶Klinische Chemie)sowie den einschlägigen Berufsverbänden.

Adresse:VDGH Verband der Diagnostica-Industrie e.V.Neustädtische Kirchstraße 8D-10117 BerlinTel: 030 20059940Fax: 030 20059949E-Mail: [email protected]

Literatur

http://www.vdgh.de

Verdichtetes Chromatin

▶Heterochromatin

Verdoglobin

▶ Sulfhämoglobin

Verdünnungsreihe, arithmetische

G. Schumann

Englischer Begriff arithmetical serial dilution

Definition Verfahren zur Verdünnung einer gelösten Sub-stanz. Entsprechend einer arithmetischen Reihe ist die Diffe-renz der Konzentration zweier aufeinanderfolgender Verdün-nungsstufen konstant.

Beschreibung Bei der arithmetischen Verdünnung werdenalle Verdünnungsstufen direkt aus der Stammlösung herge-stellt.

Verdünnungsreihe, geometrische

G. Schumann

Englischer Begriff geometrical serial dilution

Definition Verfahren zur Verdünnung einer gelösten Sub-stanz. Entsprechend einer geometrischen Reihe ist der Quo-tient der Konzentration zweier aufeinanderfolgender Verdün-nungsstufen konstant.

Beschreibung Nach der Herstellung der ersten Verdünnungs-stufe aus einer Stammlösung wird jede weitere Verdünnungs-stufe aus der vorhergehenden Verdünnungsstufe hergestellt.

Vereinbarter Wert

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff conventional quantity value; conventio-nal value of a quantity; conventional value

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2440 Vererbung, X-chromosomale rezessive und dominante

Definition Größenwert, der durch Vereinbarung einer Größefür einen vorgegebenen Zweck zugewiesen wird (Brinkmann2012). Beispiel: Normalfallbeschleunigung gn= 9,80665m/s2.Für Anmerkungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Vererbung, X-chromosomale rezessiveund dominante

▶X-chromosomale Vererbung

Verfahrensanweisung

U. Zimmermann und A. Steinhorst

Synonym(e) VAW; Verfahrensrichtlinien

Englischer Begriff (standard-)procedure; SOP

Beschreibung Verfahrensanweisungen sind verbindlicheRichtlinien mit der Zielsetzung, die allgemeinen Festlegun-gen im ▶Qualitätsmanagement (QM)-Handbuch im Detaildarzulegen und zu ergänzen. Es handelt sich dabei häufig umeine Beschreibung von abteilungsübergreifenden Maßnah-men/Abläufen, die das Funktionieren und die Wirksamkeitdes Qualitätsmanagementsystems sicherstellen sollen.

Sie haben häufig den Charakter von Durchführungsbestim-mungen für die im QM-Handbuch gemachten Festlegungenund gehören, neben dem QM-Handbuch und den Arbeitsan-weisungen, zu den 3 Dokumentationsebenen eines Qualitäts-sicherungssystems.

Literatur

Hocheimer N (2002) Das kleine QM-Lexikon. Wiley-VCH, Weinheim

Verfahrensrichtlinien

▶Verfahrensanweisung

Verfälschungsstoffe

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff adulterants

Definition Substanzen, die von Probanden/Patienten meistbenutzt werden, um den Nachweis von Drogen (▶Dro-genscreening) zu erschweren bzw. um trotz Abusus einennegativen Untersuchungsbefund zu erzeugen.

Beschreibung Verfälschungsstoffe spielen eine bedeutendeRolle beim ▶ Immunoassay zum Drogennachweis. Es wer-den u. a. eingesetzt: Seife, WC-Reiniger, Chromatverbindun-gen, Nitrit. Manche Verfahren erlauben eine Prüfung auf dasVorliegen von Verfälschungsstoffen („sample check“). BeiVerdacht ist zumindest die Bestimmung von pH (Sei-fenzusatz?), Kreatinin oder Osmolalität (verdünnter Urin?)und Temperaturmessung der angeblich frisch gelassenenUrinprobe (s. ▶Urinproben) (mitgebrachte Probe: Tempera-tur <32 �C) erforderlich.

Literatur

Külpmann WR (2004) Drug screening: Actual status, pitfalls and sug-gestions for improvement. J Lab Med 28:317–325

Verfügbarkeit

O. Colhoun

Englischer Begriff availability

Definition Merkmal des ▶Labor-EDV-Systems, seinerGeräte und Komponenten, zur Nutzung bereitzustellen undNutzern Zugang zu gewähren.

Beschreibung Im medizinischen Labor spielt vor allem dieDauer der Verfügbarkeit eine Rolle. Nach der allgemeinenDefinition der Verfügbarkeit von EDV-Systemen, wonachdiese mindestens der Zeitspanne entsprechen soll, in der dieKomponente tatsächlich benötigtwird, dürfte imKrankenhaus-zentrallabor kein Ausfall der Labor-EDV vorkommen. In derPraxis ist daher eine Ausfallsicherung bereitzustellen (gespie-gelter Server, mindestens doppelte Auslegung wichtiger Hard-warekomponenten wie Festplatten, Netzteile, Netzkarte).

Querverweise ▶Uptime

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Vergiftungszentralen in Deutschland 2441

Vergewaltigungsdrogen(-tropfen)

▶KO-Tropfen

Vergiftungszentralen in Deutschland

A. M. Gressner und O. A. Gressner

Synonym(e) Giftzentralen; Giftinfozentralen; Giftnotruf-zentralen

Englischer Begriff poison information centers in Germany

Definition Die Vergiftungszentralen in Deutschland beratenund informieren bei Vergiftungs- und Vergiftungsverdachts-fällen an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr. Es ist einService für Apotheker, Ärzte und Laien.

V

Adressen:1. Berlin (Berlin und Brandenburg)Giftnotruf BerlinGiftnotruf der Charité Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin FranklinHindenburgdamm 30D-12203 BerlinTel.: 030 19240Internet: http://www.giftnotruf.de2. GöttingenGiftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Ham-burg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (GIZ-Nord)Zentrum Pharmakologie und ToxikologieUniversitätskliniken GöttingenRobert Koch-Str. 40D-37075 GöttingenTel.: 0551 19240 (für die Bevölkerung), 0551 383180 (fürmed. Fachpersonal)Fax: 0551 3831881E-Mail: [email protected]: http://www.giz-nord.de3. BonnInformationszentrale gegen VergiftungenZentrum für KinderheilkundeAdenauerallee 119D-53113 BonnTel.: 0228 2873 2111 oder 0228 2873 333Fax: 0228/2873 314E-Mail: [email protected]: www.meb.uni-bonn.de/giftzentrale

4. MainzBeratungsstelle bei VergiftungenII. Medizinische Klinik und Poliklinik der UniversitätMainzLangenbeckstr. 1D-55131 MainzTel.: 06131 19240 und 232467Fax: 06131 176605E-Mail: [email protected]: www.giftinfo.uni-mainz.de5. HomburgUniversitätsklinikenKlinik für Kinder- und JugendmedizinInformations- und Beratungszentrum für VergiftungsfälleKirrberger StraßeD-66421 Homburg/SaarTel.: 06841 19240Fax: 06841 164017 oder 1168314E-Mail: [email protected]: www.uniklinikum-saarland.de6. ErfurtGemeinsames Giftinformationszentrum der LänderMecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt undThüringenNordhäuser Straße 74D-99089 ErfurtTel.: 0361 73073.Fax: 0361 7307317E-Mail: [email protected]: www.ggiz-erfurt.de7. FreiburgUniversitätskinderklinikInformationszentrale für VergiftungenMathildenstr. 1D-79106 FreiburgTel.: 0761 19240 oder 2704361Fax: 0761 2704457E-Mail: [email protected]: www.ukl.uni-freiburg.de/kinderkl/viz/homede.htm8. MünchenGiftnotruf MünchenToxikologische Abteilung der II. Medizinischen KlinikIsmaninger Str. 22D-81675 MünchenTel.: 089 1924.Fax: 089 41402467E-Mail: [email protected]: www.toxinfo.org9. NürnbergToxikologische Intensivstation der II. Medizinischen Kli-nik im Städt. KlinikumFlurstr. 17D-90419 Nürnberg

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2442 Vergleichsbedingung

Fax: 0911 3982205E-Mail: [email protected]: www.giftinformation.de

Vergleichsbedingung

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff intermediate precision condition of mea-surement; intermediate precision condition

Definition Messbedingung bei Vorliegen einer Menge vonBedingungen, die dasselbe ▶Messverfahren, denselbenMessort und wiederholte Messungen (▶Messung) an dem-selben Objekt oder ähnlichen Objekten über ein längeresZeitintervall umfasst, aber auch andere sich ändernde Bedin-gungen einschließen kann (Brinkmann 2012). Für Anmer-kungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Vergleichsbedingung, erweiterte

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff reproducibility condition of measure-ment; reproducibility condition

Definition Messbedingung bei einer Menge von Bedingun-gen, die unterschiedliche Messorte, Bediener, Messsysteme(▶Messsystem) und wiederholte Messungen (▶Messung)an demselben oder an ähnlichen Objekten umfasst(Brinkmann 2012). Für Anmerkungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Vergleichsgrenze

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff reproducibility limit

Definition Wert, unter dem oder gleich dem der Betrag derDifferenz zwischen zwei unter Vergleichsbedingungen(▶Vergleichsbedingung) gewonnenen Ermittlungsergebnis-sen mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % erwartet werden-kann.

Literatur

DIN 58985 (2003) Entscheidungsgrenzen. Beuth-Verlag, Berlin

Vergleichspräzision

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff intermediate measurement precision

Definition ▶Messpräzision bei einer Menge von Ver-gleichsbedingungen (▶Vergleichsbedingung) (Brinkmann2012). Für Anmerkungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

DIN ISO 5725-2: 1994/Cor.1: 2002

Vergleichspräzision, erweiterte

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff measurement reproducibility; repro-ducibility

Definition ▶Messpräzision unter erweiterten Vergleichsbe-dingungen (▶Vergleichsbedingung) (Brinkmann 2012). FürAnmerkungen s. Literatur.

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Verlust, neutraler 2443

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Vergleichswert

▶Vorwert

Verhältnis-Skala

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Synonym(e) Ratio-Skala

Englischer Begriff ratio scale

Definition Eine Verhältnis-Skala besteht aus einem geord-neten Satz von Werten. Jeder Wert besteht aus einem Zahlen-wert multipliziert mit einer Maßeinheit. Der Nullpunkt derSkala entspricht dem natürlichen Nullwert der Messgröße,sodass ein gleich großes Verhältnis zwischen 2 Skalenwerteneinem gleichen Größenverhältnis der Messgrößen entspricht.Beispiel: Skala der Stoffmengenkonzentration von Natri-umionen im Blutplasma.

Literatur

Rigg JC, Brown SS, Dybkaer R et al (1995) Compendium of termino-logy and nomenclature of properties in clinical laboratory sciences.International Union of Pure and Applied Chemistry and InternationalFederation of Clinical Chemistry/Blackwell, Oxford

Verifizierung

V

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff verification

Definition Erbringung eines objektiven Nachweises, dasseine Betrachtungseinheit die spezifizierten Anforderungenerfüllt (Brinkmann 2012). Für Anmerkungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

VerifyNow

▶Ultegra rapid platelet function assay

Verlaufskontrolldiagnostik

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff trend-monitoring diagnosis

Definition Diagnostik, bei der die Messergebnisse(▶Messergebnis) von Proben (▶ Probe) aus dem gleichenSystem (z. B. Urin, venöses Blut) von ein und derselbenPerson, die in zeitlichem Abstand gewonnen wurden, daraufhin geprüft werden, ob sie sich statistisch signifikant unter-scheiden.

Anmerkung: Die Messergebnisse gelten als signifikantverschieden, wenn ihre absolute Differenz größer als diekritische Differenz (▶Differenz, kritische) ist (s. a. ▶Longi-tudinalbeurteilung).

Literatur

DIN 58985 (2003) Entscheidungsgrenzen. Beuth-Verlag, Berlin

Verlaufskontrolle klinisch-chemischerMessgrößen

▶Longitudinalbeurteilung

Verlust, neutraler

B. Güssregen

Englischer Begriff neutral loss

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2444 Vermeidung von Harnsteinbildung

Beschreibung In der ▶Massenspektrometrie wird dieAbspaltung ungeladener Moleküle wie z. B. H2O oder COals neutraler Verlust bezeichnet.

Vermeidung von Harnsteinbildung

▶ Steinmetaphylaxe

Verordnung über den Schutz vorSchäden durch ionisierende Strahlen

▶ Strahlenschutzverordnung

Verordnung über Sicherheit undGesundheitsschutz bei Tätigkeiten mitbiologischen Arbeitsstoffen

▶Biostoffverordnung

Verordnungen und Vorschriften in dermedizinischenLaboratoriumsdiagnostik

W. G. Guder

Englischer Begriff order/decree; regulations; directives

Definition Durch Gesetze oder übergeordnete Instanzengeregelte Direktiven zur Durchführung eines Vorgangs (hierin der Laboratoriumsmedizin).

Beschreibung Die in der präanalytischen Phase (▶ Prä-analytische Phase) der ▶Laboratoriumsmedizin geltendengesetzlichen Regelungen und Vorschriften betreffen imWesentlichen den Umgang mit potenziell infektiösem Mate-rial beim Bearbeiten, Versand und der Weitergabe (▶Versandvon Proben) sowie die Gefahrenstoffverordnungen zurVermei-dung von Schädigungen der damit betrauten Personen (▶Ge-fahrstoffpiktogramme).

Die in der Präanalytik verwendeten Materialien unterlie-gen Vorschriften der Standardisierung und Normen, die durchEN-Normen beschrieben sind. ImBereich des Qualitätsmana-gements (▶Qualitätsmanagement) sind ebenso wie bei derDurchführung der externen Qualitätssicherung (▶Qualitäts-

sicherung, externe) EN-Normen zur Durchführung auch prä-analytischer Prozesse enthalten.

Bei Bluttransfusionen sind die Richtlinien zur Immunhä-matologie und das Transfusionsgesetz, bei allen anderenmedizinischen Untersuchungen die ▶Richtlinie der Bundes-ärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizini-scher Untersuchungen relevant.

Literatur

Bundesärztekammer (1992) Richtlinien der Bundesärztekammer zurQualitätssicherung in der Immunhämatologie, in der Mikrobiologie.http://www.bundesaerztekammer.de/Richtlinien/Labor (Jan 2018)

Bundesärztekammer (2008) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qua-litätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. DtÄrztebl 105:C301–C315

DIN, EN, ISO 15189 (2007) Medizinische Laboratorien – BesondereAnforderungen an die Qualität und Kompetenz. Beuth-Verlag, Berlin

EN 829 (1996) ) In vitro diagnostic systems. Transport packages formedical and biological specimens. Requirements, tests. EuropeanCommittee for Standardization (CEN), Brüssel

Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (2012). http://www.gesetze-im-internet.de/tfg/. Zugegriffen im Jan 2018

Versand von Proben

W. G. Guder

Synonym(e) Blutversand; Probenversand; Postversand vonProben; Urinversand

Englischer Begriff mailing samples; posting samples

Definition Vorschriften, die beim Versand von diagnosti-schen Proben über Land, in der Luft und mit der Post zubeachten sind.

Beschreibung Beim Versand von diagnostischen oder ande-ren biologischen oder medizinischen Untersuchungsgüternsind die Vorschriften bezüglich der Verpackung und Beschrif-tung zu beachten. Die Absender von Untersuchungsgut(▶Untersuchungsgut, biologisches) müssen sicherstellen,dass die Sendungen derart verpackt sind, dass sie den Bestim-mungsort in gutem Zustand erreichen und während des Trans-ports keinerlei Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt darstel-len. Bei Sendungen von infektiösem Material muss auf derAufschriftseite links neben der Anschrift der auffällige Ver-merk „Untersuchungsgut – Vorsicht infektiös“ angebrachtsein. Für grenzüberschreitenden Verkehr ist diese Aufschriftin französischer Sprache „Matières Biologiques Perissables“erforderlich. Die haftrechtlichen Folgen trägt grundsätzlich

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Verschlusskappe 2445

der Absender. Das Versand- und Transportwesen akzeptiertnur Verpackungen, die folgendem Inhalt entsprechen:

• Innenverpackung für das Untersuchungsgut• Aufsaugendes Material• Außenverpackung als Schutzgefäß für das Probengefäß• Versandhülle, die mit den entsprechenden Zeichen für

medizinisches oder biologisches Untersuchungsgut be-zeichnet sind

Über Mehrverpackungen in Kisten und Metallbehälterninformiert die Gefahrstoffverordnung Straße und EisenbahnGGVS oder GGVE (▶Gefahrstoffpiktogramme).

Dazu gibt es noch ein allgemeines Zeichen für „Gefahr durchbiologisches Material“, das auch beim Versand von menschli-chem Untersuchungsmaterial anzubringen ist. Dies ist durchEuropäische Gesetzgebung einheitlich in Europa gültig.

Literatur

Deutsche Post AG (2010) Regelungen über den Postversand von medizi-nischem und biologischem Untersuchungsgut. http://www.suesse.de/service/postversand-medizinisches-biologisches-untersuchungsgut/2017

EN 829 (1996) In vitro diagnostic systems. Transport packages formedical and biological specimens. Requirements, tests. EuropeanCommittee for Standardization (CEN), Brüssel

Guder WG, Narayanan S (Hrsg) (2015) Sample transport, treatment afterarrival, storage and disposal. In: Preexamination Procedures in Labo-ratory Medicine. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, S 251–263

Thurm V, Tschäpe H (2001) Gefahrgutrechtliche Voraussetzungen fürden Versand von Diagnostischen Proben, Bakterienkulturen u. a. in-fektiösen Materialien. Bundesgesundheitsbl. Gesundheitsforsch Ge-sundheitsschutz 44:823–828

United Nations (2005) Recommendations on the transport of dangerousgoods. Model regulations, 14th rev edn. UN, New York/Geneva

Versandverpackungen

▶Versand von Proben

Verschachtelte PCR

V

▶Nested-PCR

Verschleppung

G. Schumann

Englischer Begriff carry-over

Definition Übertragung von Probenbestandteilen zwischenverschiedenen Proben (▶Probe) oder die unbeabsichtigteÜbertragung von Reagenzien auf die Proben (DIN 58936-2).

Beschreibung Die Verschleppung von Probenmaterial oderReagenzien (probenbezogene und/oder probenunabhängigeVerschleppung) kann entweder aufgrund des verschlepptenMaterials (Probe, Diluent, Reagenzien) oder nach demOrt, andem die Verschleppung stattfindet (Probengefäß, Waschsta-tion, Probenaufnahmesystem, Pipettiersystem), klassifiziertwerden. Verschleppung von Reagenz oder Probenmaterialkann zu falsch niedrigen (z. B. durch Verdünnungseffekt),falsch hohen (z. B. durch Analyteintrag) und/oder darausresultierend falsch negativen oder falsch positiven Mess-ergebnissen führen. Die Messsysteme sind deshalb regelmä-ßig und dokumentiert auf Verschleppung zu prüfen.

Literatur

Haeckel R (1988) Recommendations for the definition and determi-nation of carry-over effects. J Autom Chem 10:181–183

Haeckel R (1993) Evaluation Methods in Laboratory Medicine. VCH,Weinheim, S 259–264

Qualitätsmanagement in der Laboratoriumsmedizin (2001) Teil 2:Begriffe zur Qualität und Anwendung von Untersuchungsverfahren.Beuth-Verlag, Berlin. DIN 58936-2, 3.1.2.1

Verschlusskappe

W. G. Guder

Synonym(e) Deckel; Stopfen; Schraubverschluss

Englischer Begriff closure; stopper; screw closure

Definition Vorrichtung zum Verschluss von ▶ Probenröhr-chen und -behältern, auch zum Verschluss nach Öffnung desersten Verschlusses.

Beschreibung Verschlüsse von Probengefäßen erfüllen fol-gende Funktionen und sollten folgende Bedingungen erfüllen:

• Abdichtung der Proben gegenüber Kontaminationen vonaußen

• Abdichtung gegen Verluste der Proben durch Verdunstungund Undichtigkeit

• Vermeidung von Zusätzen, die das Ergebnis der Messungbeeinflussen (weder Störgrößen noch Kontaminationen)

• Stabilität während einer maximal zulässigen Zentrifuga-tion und Lagerung

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2446 Versilberung

• Durchstechbarkeit an entsprechenden Analysegeräten mitWiederverschluss bei Entfernung der Nadel

Dies wurde durch verschiedene Verschlüsse erreicht: Gum-mistopfen mit Dach, Gummistopfen mit umgebender Kappe,Schraubverschlussmit durchstechbarerMembran,Aluminium-folie mit aufklebendem Rand (inzwischen zurückgezogen).

Literatur

Kataloge der Firmen BD, Kabe, Greiner-Bio One, Sarstedt, Terumo

Versilberung

▶Gomori-Färbung

Verstärker-Mutation

▶Driver-Mutation

Verteiler

▶Hub

Verteilerliste

▶Verteilung von Proben

Verteilinformationen

▶Verteilung von Proben

Verteilung, statistische

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Englischer Begriff distribution

Definition Eine statistische Verteilung beschreibt dasgehäufte und nicht gehäufte Auftreten von Messergebnissen(▶Messergebnis) in der ▶Grundgesamtheit.

Beschreibung Statistische Verteilungen bilden die Grund-lage für die Berechnung von Konfidenzintervallen (▶Konfi-denzintervall) bzw. für die Durchführung statistischer Tests(▶Test, statistischer) im Rahmen der induktiven Statistik(▶ Statistik, induktive). Man unterscheidet 2 Klassen vonVerteilungen: diskrete Verteilungen und stetige Verteilungen.

Diskrete Verteilungen sind dadurch charakterisiert, dassdie Anzahl der möglichen verschiedenen Messergebnisseabzählbar ist. Das bekannteste Beispiel für eine diskrete Ver-teilung ist die ▶Binomialverteilung.

Stetige Verteilungen hingegen zeichnen sich dadurch aus,dass in einem bestimmten Messbereich zumindest theoretischjeder beliebige Wert ein Messergebnis sein kann. Zu denwichtigsten stetigen Verteilungen zählen die▶Normalvertei-lung sowie die ▶Log-Normalverteilung (logarithmischeNormalverteilung).

Literatur

Glantz SA (1992) Primer of biostatistics, 3. Aufl. McGraw-Hill, NewYork

Verteilung von Proben

O. Colhoun

Englischer Begriff distribution

Definition Direktion der▶Primärprobe, Herstellung, Kenn-zeichnung und Verteilung der Aliquots auf unterschiedlicheArbeitsplätze und Organisation der Arbeitslisten (s. ▶Ar-beitsliste) bzw. Arbeitsplätze.

Beschreibung Im Laboratorium mit zentraler Probenvertei-lung kommt die vom Einsender befüllte Primärprobe(Mutterprobe) zunächst an den zentralen Probenverteilplatz.Nach Scannen des Probenbarcodeetiketts werden für alleArbeitsplätze, die Anforderungen aus diesem Muttergefäßabzuarbeiten haben, Arbeitslisten und Beschickungssequen-zen durch die ▶Labor-EDV entsprechend der Arbeitsplatz-definitionen in den Stammdaten aufgebaut. Entsprechend derbenötigten Menge können Probenbarcodes für Tochtergefäße(Tochterproben nach Aliquotierung der Mutterprobe) ge-druckt werden. Bei Bedarf lassen sich parallel zu den Arbeits-listen oder an Stelle dieser Verteilungslisten drucken, welchedie Informationen für die zentrale Probenverteilung zusam-menfassen.

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Very low density lipoprotein 2447

Verteilungsvolumen

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff volume of distribution

Definition Das Verteilungsvolumen (V) ist das Volumen, indem sich die Prüfsubstanz verteilt, wenn man die fiktiveAnfangskonzentration im Plasma zugrunde legt:

V ¼ D

y

D: Dosis; y: fiktive Anfangskonzentration.Das Verteilungsvolumen ist größer als das Gesamtkörper-

volumen, wenn die Prüfsubstanz sich in Geweben anreichert.

Literatur

Gladtke E, von Hattingberg HM (1973) Pharmakokinetik. Springer,Berlin/Heidelberg/New York

Verträglichkeit, metrologische vonMessergebnissen

C. Vidal und W.-R. Külpmann

Englischer Begriff metrological compatibility of measure-ment results; metrological compatibility

V

Definition Eigenschaft einer Menge von Messergebnissen(▶Messergebnis) für eine ▶Messgröße in der Weise, dassder Absolutwert der Differenz eines beliebigen Paares derMesswerte (▶Messwert) aus 2 unterschiedlichen Messergeb-nissen kleiner ist als ein gewähltes Vielfaches der Standard-messunsicherheit dieser Differenz (Brinkmann 2012). FürAnmerkungen s. Literatur.

Literatur

Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie (VIM)Deutsch-englische Fassung. ISO/IEC-Leitfaden 99:2007, 4. Aufl.Beuth-Verlag, Berlin

Vertrauensintervall

▶Konfidenzintervall

Vervielfältigung

▶Gen-Amplifikation

Verwahrstück

▶Asservat

Verwaltungssystem

▶KIS

Verwerfungsbereich

▶Ablehnbereich

Very low density lipoprotein

K. J. Lackner und D. Peetz

Synonym(e) Lipoproteine sehr niedriger Dichte; Prä-b-Lipoproteine; VLDL

Englischer Begriff very low density lipoprotein

Definition VLDL sind triglyzeridreiche Lipoproteine miteiner Dichte <1,006 g/mL.

Struktur VLDL bestehen aus bis zu ca. 10 % Protein undca. 90 % Lipiden, vorwiegend Triglyzeriden. Das Hauptpro-tein des VLDL ist das Apolipoprotein B-100.

Molmasse 5–100 � 106 Da.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination VLDL wer-den in der Leber synthetisiert und sezerniert. Sie bestehen zu5–10% aus Protein, hauptsächlich ApoB-100. Daneben kom-

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2448 Vielelementanalyse

men noch C-Apolipoproteine und ApoE in relevanten Men-gen in den VLDL vor. Die Lipide bestehen hauptsächlich ausTriglyzeriden (▶Triglyzeride). ▶ Phospholipide, Cholesteri-nester und ▶Cholesterin kommen in geringen Mengen vor.Insulin hemmt die Produktion und Sekretion von VLDL. ImPlasma werden VLDL unter der Wirkung verschiedenerEnzyme, vor allem der▶Lipoproteinlipase, und Transferpro-teine zu IDL und LDL (▶Low density lipoprotein) umge-wandelt.

Halbwertszeit Die Halbwertszeit beträgt unter normalenUmständen 6–12 Stunden, kann aber in Abhängigkeit vonden Versuchsbedingungen stark variieren.

Funktion – Pathophysiologie VLDL dienen dem Transportendogener Lipide von der Leber zu peripheren Organen.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen VLDL-Cholesterin wird üblicherweise aus Serum oder Plasma, dasnach 12 Stunden Nahrungskarenz abgenommen wurde,bestimmt. Zu beachten ist, dass die Werte bei Blutentnahmeim Sitzen wegen Volumeneffekten um 5–10 % höher seinkönnen als bei Entnahme im Liegen.

Probenstabilität Bei Raumtemperatur ist Serum/Plasmaetwa 12 Stunden stabil, bei 4 �C ca. 7 Tage. EingefrorenesMaterial ist wegen möglicher Aggregation der Partikel für dieAnalytik nicht geeignet.

Analytik Die Bestimmung der VLDL ist üblicherweise eineBestimmung des VLDL-Cholesterins. Sie erfolgt mittelsUltrazentrifugation (▶Ultrazentrifuge) bei einer Dichte(▶Dichte, spezifische und relative) von 1,006 g/mL(Serumdichte) (▶Dichtegradientenzentrifugation). Choles-terin kann entweder direkt in der Fraktion mit d <1,006 g/mL, also dem Überstand, bestimmt oder aus der Differenzzwischen Gesamtcholesterin und der Cholesterinkonzentra-tion in der Fraktion mit d>1,006 g/mL errechnet werden. Dadie quantitative Gewinnung der VLDL aus dem Überstandschwierig ist, wird üblicherweise der zweite Weg gewählt. Zuberücksichtigen ist, dass beide Ansätze ▶Chylomikronenmiterfassen. Elektrophoretische Methoden zur quantitativenBestimmung von VLDL bzw. VLDL-Cholesterin existieren,haben sich aber nicht allgemein durchgesetzt.

Konventionelle Einheit mg/dL.

Internationale Einheit mmol/L.

Umrechnungsfaktor zw. konv. u. int. Einheit 0,02586.

Referenzbereich – Erwachsene <40 mg/dL.

Referenzbereich – Kinder Keine validen Angaben; aberaußer in der Neugeborenenphase nicht grundsätzlich ver-schieden von den Erwachsenenwerten.

Indikation Diagnostik der familiären Dysbetalipoprotein-ämie (Typ-III-Hyperlipoproteinämie).

Interpretation Neben der Serumtriglzyeridkonzentrationbietet die VLDL-Cholesterinkonzentration mit Ausnahmeder Patienten mit familiärer Dysbetalipoproteinämie keinezusätzliche klinische Information. Bei diesen Patienten istder Quotient von VLDL-Cholesterin zu Triglyzeriden erhöht(>0,3 für die Einheit mg/dL), was dann zur Bestätigung derDiagnose durch eine Phäno- oder Genotypisierung des Apo-lipoprotein E führen sollte.

Vielelementanalyse

▶Multielementanalyse

Vierfeldertafel

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Synonym(e) Kreuztabelle; Kontingenztafel

Englischer Begriff cross tabulation; 2 � 2 table

Definition Eine Vierfeldertafel ist eine Tabelle zur Darstel-lung des Zusammenhangs zwischen 2 dichotomen Merkma-len (▶Merkmal), d. h., jedes der Merkmale nimmt nur je2 unterschiedliche Ausprägungen an.

Beschreibung Die möglichen Entscheidungen eines dia-gnostischen Tests (▶Test, diagnostischer) lassen sich in einerVierfeldertafel zusammenfassen (s. folgende Tabelle):

Testergebnis

Realität

Krank

Gesund

PositivT+

Richtige Entscheidung

Falsche EntscheidungFalsch-positiv

Negativ T�

Falsche EntscheidungFalsch-negativ

Richtige Entscheidung

Liegen etwa im Rahmen eines Screenings die Ergebnisseeines diagnostischen Tests für eine geeignete ▶Stichprobevon Patienten sowie die zugehörigen Informationen über dentatsächlichen Zustand der Erkrankung vor, beschreibt man die

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Vigneaud, Vincent du 2449

beobachteten Häufigkeiten der möglichen Kombinationen ineiner Vierfeldertafel (s. folgende Tabelle).

Beobachtete Häufigkeiten eines diagnostischen Tests:

Testergebnis (T)

Realität

Gesamt

Krank Gesund

Positiv T+

a b a + b

Negativ T–

c d c + d

Gesamt

a + c b + d n

Literatur

Hilgers R-D, Bauer P, Scheiber V (2002) Einführung in dieMedizinischeStatistik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Vigabatrin

C. Vidal und W.-R. Külpmann

V

Englischer Begriff vigabatrin

Definition Antiepileptikum.

Struktur Strukturformel:

O

OH

NH2

Molmasse 129,16 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Vigabatrinwird im Gastrointestinaltrakt rasch und vollständig resorbiertund zum größten Teil unverändert im Urin ausgeschieden.

Halbwertszeit 5–8 Stunden.

Pathophysiologie Vigabatrin wird zur Behandlung infantilerSpasmen sowie in Kombination mit anderen Antiepileptikazur Behandlung von Patienten mit fokalen Anfällen einge-setzt, wenn andere Arzneimittelkombinationen nicht ausrei-chend wirksam waren. Als Nebenwirkungen werden u. a.Benommenheit, Kopfschmerz, Psychosen und Verwirrtheitangegeben. Lebensbedrohliche toxische Effekte bei Überdo-sierung wurden bisher nicht beschrieben.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum(S), Plasma (P).

Analytik ▶Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie,▶GC-MS, LC-MS/MS.

Indikation Therapeutisches Drug Monitoring, Verdacht aufIntoxikation.

Interpretation Therapeutischer Bereich (S, P): 2–10 mg/L;toxisch: ab 20 mg/L (Hiemke et al. 2012); komatös-letal:unbekannt.

Literatur

Hiemke C et al (2012) AGNP-Konsensus-Leitlinien für therapeutischesDrug-Monitoring in der Psychiatrie: Update 2011. Psychopharma-kotherapie 19:91–122

Sabril®. Stand der Information 02/2014. In: FachInfo-Service. Rote ListeService GmbH, Berlin

Vigneaud, Vincent du

W. Hubl

Lebensdaten Amerikanischer Biochemiker, geboren am 18.Mai 1901 in Chicago, gestorben am 11. Dezember 1978 inWhite Plains (New York). Vigneaud begann sein Studium imJahr 1918 an der University of Illinois und wechselte 1926 andie Johns Hopkins University in Rochester und promoviertedort ein Jahr später. 1932 erhielt er den Ruf als Professor fürBiochemie an die Washington University in St. Louis. Ab1938 leitete er die biochemische Abteilung der Cornell Uni-versity am Medical College (Ithaca, New York). Vigneaudarbeitete amAufbau des Insulins (▶ Insulin) und identifizierte▶Biotin als Vitamin H, dessen Synthese ihm im Jahre 1942gelang. 1950 konzentrierte er sich auf die Arbeiten zu denHormonen des Hypophysenhinterlappens. Er ermittelte dieAminosäuresequenzen und konnte die Ringstruktur aufklä-ren. 1967 emeritierte er.

Verdienste Vincent du Vigneaud isolierte und synthetisiertedie Hypophysenhinterlappenhormone Oxytocin und Vaso-pressin (▶Antidiuretisches Hormon). Im Jahr 1955 wurdeihm der Nobelpreis für Chemie für seine Arbeiten über diebiochemisch bedeutsamen Schwefelverbindungen, insbeson-dere für die erste Synthese eines Polypeptidhormons (Oxy-tocin) verliehen. Er erhielt daneben im selben Jahr die Ehren-doktorwürde der Universitäten New York und Yale sowie1960 der University of Illinois, ferner mehrere Ehrenmitglied-schaften, z. B. in der Royal Society of Edinburgh, in derChemical Society und dem Royal Institute of Chemistry inLondon. Im Jahre 1948 erhielt er den Albert Lasker Award for

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2450 VIM

Basic Medical Research, 1955 die Chandler Medal derColumbia University und 1956 die Willard Gibbs Medal derAmerican Chemical Society.

Literatur

Hofmann, K (1987) Vincent du Vigneaud. A Biographical Memoir.National Academy of Sciences, Washington. S 543–595

Nobel Lectures (1964) Chemistry 1942–1962. Elsevier Publishing Com-pany, Amsterdam

The Columbia Encyclopedia (2008) Vincent du Vigneaud. 6th edn.Columbia University Press, New York

VIM

▶ Internationales Wörterbuch der Metrologie

Vimentin

S. Holdenrieder und P. Stieber

Englischer Begriff vimentin

Definition Vimentin ist ein Filamentprotein, das in Zellenmesenchymalen Ursprungs Bestandteil des Zytoskeletts ist.

Struktur Das etwa 54 kDa schwere Vimentin gehört wie dieKeratinfilamente, Neurofilamente und Lamine zur Gruppeder intermediären Filamente. Sie sind seilartige, widerstands-fähige Faserproteine mit einem Durchmesser von 8–10 nmund liegen zwischen den Aktinfilamenten und Mikrotubuliund bilden mit diesen das Zytoskelett.

Molmasse 54 kDa.

Indikation Histopathologische Diagnose von malignen Kar-zinomen mesenchymalen Ursprungs.

Interpretation Vimentin kann neben Zytokeratinen (▶Zy-tokeratin) und Lamininen (▶Laminine) als immunhistologi-scher Marker für die Charakterisierung und Differenzierungvon verschiedenen malignen Tumoren, insbesondere von epi-thelialen, Adenokarzinomen und Sarkomen eingesetzt werden.

Die Bestimmung von Vimentin im Serum oder Plasmawird zur Tumordiagnostik nicht durchgeführt.

Literatur

Fallert-Müller A (2000) Lexikon der Biochemie. Spektrum-Verlag, Hei-delberg

Lamerz R, Dati F, Feller AC et al (1988) Tumordiagnostik: Tumormarkerbei malignen Erkrankungen. Behringwerke AG, Marburg

VIP

▶Vasoaktives intestinales Polypeptid

Virales Kapsidantigen

▶Hepatitis B-Virus (HBV)

Virchow, Rudolf Ludwig Karl

A. M. Gressner und O. A. Gressner

Lebensdaten Deutscher Arzt, geboren am 13.Oktober 1821in Schivelbein (Hinterpommern), gestorben am 5. September1902 in Berlin.

Verdienste Studium der Medizin an der MilitärärztlichenAkademie (Pépinière) in Berlin. Professor für pathologischeAnatomie in Würzburg (1849–1856) und Berlin (ab 1856),entwickelte die Zellenlehre und begründete die Zellularpa-thologie. Stellte den Grundsatz auf, dass die Zelle das letzteund kleinste Formelement aller lebendigen Erscheinungen imGesunden wie im Kranken ist. Krankheit wird damit aufZellveränderungen zurückgeführt. Mit der Zellularpathologiewurden die herrschenden humoral- und neuropathologischensowie vitalistischen Theorien überwunden und Krankheitenals Veränderungen physikalisch-chemischer Prozesse der Zel-len aufgefasst. Zusätzlich viele Untersuchungen zur Throm-bose und Embolie, zu malignen Tumoren, zur Anthropologie,Ethnologie und prähistorische Forschungen. Politische Akti-vitäten als Abgeordneter im preußischen Landtag und alsStadtverordneter mit Schwerpunkten im kommunalen Ge-sundheitswesen, Schulwesen, Museumsaufbau u. a. Virchowgehört zu den universellsten Gelehrten der Geschichte.

Literatur

Goschler C (2003) Rudolf Virchow – Mediziner – Anthropo-loge – Politiker. Böhlau Verlag, Köln

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Viren 2451

Viren

W. Stöcker und C. Krüger

V

Englischer Begriff viruses

Definition Viren sind obligate Zellparasiten, die keinen eige-nen Stoffwechsel besitzen und für ihre Vermehrung auflebende Wirtszellen angewiesen sind. Reife, extrazelluläreViruspartikel werden als Virionen bezeichnet.

Beschreibung Mit einer Größe von 20–300 nm sind Virio-nen filtrierbar und lichtmikroskopisch unsichtbar. Virionenenthalten stets nur einen Typ von Nukleinsäure (DNA oderRNA) als Träger der genetischen Information. Die Nuklein-säure ist umgeben von einer Proteinhülle, dem Kapsid, dassich aus viruskodierten Kapsomeren zusammensetzt undgemeinsam mit dem Virusgenom das Nukleokapsid bildet.Bei einigen Virusarten ist das Nukleokapsid von einer Hülleaus einer Lipiddoppelmembran und viruskodierten Glykopro-teinen umgeben. Häufig lagern sich die Glykoproteine zuOligomeren zusammen und ragen als sog. Spikes ausder Hülle heraus. Zusätzliche Proteine mit struktureller, regu-latorischer oder enzymatischer Funktion kommen nur inbestimmten Viren vor. Komplexe Strukturelemente (Kern,Mitochondrien, Ribosomen) bzw. Stoffwechselsysteme zuProteinsynthese oder Energiegewinnung sind nicht vorhanden.

Zur Vermehrung beanspruchen Viren daher den Stoff-wechselapparat lebender Zellen, wobei die erforderlichenSyntheseprogramme durch das Virusgenom kodiert werden.Die Virusreplikation umfasst folgende Schritte: Adsorptiondes Virus an Rezeptoren der Wirtszelloberfläche, Penetrationin die Zelle, Freisetzung der viralen Nukleinsäure, Syntheseviraler Nukleinsäuren und Proteine, Assemblierung des Nuk-leokapsids, Freisetzung von Viruspartikeln durch Exozytoseoder Lyse der Wirtszelle.

Viren sind häufig hoch spezialisiert auf bestimmte Organis-men, Zellen oder Gewebe. Sie sind Auslöser zahlreicher Infek-tionskrankheiten (z. B. Influenza, Röteln, Masern, AIDS), zudenen auch bestimmte Krebserkrankungen gehören (z. B. Zer-vixkarzinom, Burkitt-Lymphom, Kaposi-Sarkom).

Die Klassifikation der Viren basiert u. a. auf folgendenKriterien:

• Art der Nukleinsäure: RNA, DNA• Konfiguration der Nukleinsäure: einzelsträngig, doppel-

strängig• Symmetrie des Nukleokapsids: kubisch, helikal, komplex• Ort der Replikation: Zellkern, Zytoplasma• Vorhandensein einer Hülle• Größe des Virions

• Antigene Eigenschaften der Kapsid- und Hüllproteine• Anwesenheit viraler Enzyme, z. B. Neuraminidase, Poly-

merase, reverse Transkriptase• Vorkommen spezifischer Nukleinsäuresequenzen• Wirtsspektrum: Menschen, Tiere, Pflanzen, Algen, Pilze,

Protozoa, Bakterien• Gewebetropismus: respiratorisch, enterotrop, neurotrop

Analytik Viruspartikel können elektronenmikroskopischvisualisiert und identifiziert werden. Virale Nukleinsäurensind mittels PCR (DNA), RT-PCR (RNA) oder In-situ-Hy-bridisierung diagnostizierbar. Zum Nachweis von Viruspro-teinen werden Antigen-ELISA, direkte Immunfluoreszenz,▶Western blot, Hämagglutination oder Enzymbestimmun-gen eingesetzt. Die Anzüchtung von Viren ist in Zellkulturen,bebrüteten Hühnereiern oder Versuchstieren möglich. Ggf.kann bei infizierten Kulturzellen eine verstärkte Proliferationoder ein zytopathischer Effekt (Einschlusskörperchen, Synzy-tienbildung, Zellabrundung, Lyse) beobachtet werden. Derindirekte Virusnachweis erfolgt über die Bestimmung virus-spezifischer Antikörper im Wirtsorganismus durch indirekteImmunfluoreszenz (▶ Immunfluoreszenz, indirekte), ELISA(▶Enzyme-linked Immunosorbent Assay), ▶ Immunblot(Western Blot, Linienblot),▶Neutralisationstest, Hämaggluti-nationshemmtest, Komplementbindungsreaktion, ▶Radio-immunoassay oder ▶ Immunpräzipitation. Für den Nachweisvirusinfizierter Zellen können Lymphozytentransformations-tests durchgeführt werden.

Diagnostische Wertigkeit Durch den direkten Nachweisund die Isolierung von Viren können akute Virusinfektionenoft schon vor der Etablierung einer Immunantwort und demAusbruch der Krankheit diagnostiziert werden. Direkte Nach-weismethoden werden auch angewandt, um unklare serolo-gische Befunde abzuklären oder den Erfolg einer antiviralenTherapie zu beurteilen. Der Nachweis virusspezifischerIgM-Antikörper ist ein wesentlicher Hinweis auf eine akutePrimärinfektion, ebenso wie die Serokonversion oder einsignifikanter Titeranstieg des spezifischen IgG. Das Vorliegenniedrig avider IgG-Antikörper ist charakteristisch für frischeInfektionen. Die Bestimmung von Antikörpern der KlasseIgA ist nur bei Infektionen mit bestimmten Virusarten dia-gnostisch relevant (z. B. mit Enteroviren, Influenza, RSV).

Indirekte Immunfluoreszenz und ▶Enzymimmunoassaystellen aufgrund ihrer hohen Sensitivität, einfachen Handha-bung und Automatisierbarkeit wichtige Standardverfahren inder Infektionsserologie dar und ermöglichen quantitative An-tikörperbestimmungen. Western Blots haben wegen ihrerhohen Spezifität einen besonderen Stellenwert als Bestäti-gungstests. Bei einer Virusinfektion des ZNS kann man denErreger oft direkt im Liquor nachweisen, oder man findetintrathekal synthetisierte erregerspezifische Antikörper.

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2452 Virionen

Literatur

Strauss JH, Strauss EG (2002) Viruses and human disease, 1. Aufl.Academic, San Diego, S 1–374

Virionen

▶Viren

Virologie und Infektionsepidemiologie

▶Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie,Fachärztin/Facharzt für

Virozyten

▶Lymphozyten, gereizte

Virtuelle Maschine (VM)

▶Virtueller Server

Virtueller Server

O. Colhoun

Synonym(e) Virtuelle Maschine (VM)

Englischer Begriff virtual server; virtual machine

Definition Nachbildung eines Rechnersystems.

Beschreibung Der Begriff virtueller Server oder auch virtu-elle Maschine bezeichnet die Erstellung einer softwarebasier-ten (virtuellen) Komponente anstatt einer hardwarebasierten(physischen). Es lassen sich auf diese Weise z. B. Server desLaborinformationssystems virtualisieren. Vorteile sind diegeringeren Kosten für Hardware und deren Pflege: VieleServer sind nicht ausgelastet, was zu Serverwildwuchs undunnötiger Komplexität führt. Die Servervirtualisierung er-laubt eine Ausführung mehrerer Betriebssysteme auf einemeinzigen physischen Server als virtuelle Maschinen, von

denen jede Zugriff auf die zugrunde liegenden Ressourcendes Servers hat. Die Virtualisierung ermöglicht eine schnel-lere Workload-Bereitstellung, dadurch gesteigerte Anwen-dungsperformance und eine höhere Verfügbarkeit.

Viruslast bei Hepatitis

▶Hepatitis B-Virus (HBV)▶Hepatitis C-Virus (HCV)

Visfatin

A. M. Gressner und O. A. Gressner

Synonym(e) PBEF; Pre-B-cell colony enhancing factor

Englischer Begriff visfatin

Definition Zu den Adipo(zyto)kinen gehörendes, hormonellwirksames, bevorzugt im viszeralen Fettgewebe des Körpersexprimiertes und in das Blut sezerniertes Glykoprotein mitInsulin-mimetischer Wirkung, das vermutlich an der Patho-genese des metabolischen Syndroms beteiligt ist.

Beschreibung Das kürzlich isolierte, besonders im viszera-len und nicht im subkutanen Fettgewebe exprimierte Adipo(zyto)kin Visfatin korrespondiert zu dem früher isolierten„pre-B-cell colony-enhancing factor“ (PBEF), ein 52 kDagroßes Zytokin (▶Zytokine) der Lymphozyten (▶Lympho-zyt). In Abhängigkeit vom Umfang des viszeralen Fettgewe-bes steigen seine Expressionsstärke und die Plasmakonzen-tration an, so dass die zirkulierende Visfatinkonzentration dieintraabdominale Obesitas widerspiegelt. Neben der bevor-zugten Expression im viszeralen Fettgewebe ist es auch nach-gewiesen worden in Skelettmuskel, Leber, Knochenmark undLymphozyten (hier PBEF). Die Expressionsstärke wird durchZytokine wie Interleukin-1b (▶ Interleukin-1); ▶Tumorne-krosefaktor-a und ▶ Interleukin-6 sowie durch Lipopolysac-charide verstärkt, was eine mögliche Bedeutung von Visfatinim Rahmen der Sepsis nahe legt. Funktionell weist VisfatinInsulin-mimetische Wirkungen mit ▶Glukose-senkendemEffekt auf. Es bindet an den Insulinrezeptor und verstärktdie Insulinwirkung. Neben dieser möglichen endokrinenFunktion werden Visfatin auch lokale (autokrine/parakrine)Funktionen zugeschrieben, die möglicherweise in der Regu-lation des Zellzyklus (Zellproliferation) bestehen. Intra-zellulär ist Visfatin sowohl im Zellkern als auch im Zyto-plasma anwesend. Eine pathogenetische Rolle bei der

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Viskosimetrie 2453

Entwicklung des metabolischen Syndroms wird postuliert.Eine klinisch-diagnostische Wertigkeit als Surrogatkenngrö-ße der viszeralen Fettmasse (abdominale Adipositas) als kar-diovaskulärer Risikofaktor und/oder Pathogenesefaktor fürdas metabolische Syndrom befindet sich in den Anfängen.

Literatur

Fukuhara A, Matsuda M, Nishizawa M et al (2005) Visfatin: a proteinsecreted by visceral fat that mimics the effects of insulin. Science307:426–430

Sawicka K, Krasowska D (2016) Adipokines in connective tissue disea-ses. Clin Exp Rheumatol 34(6):1101–1112

Sethi JK, Vidal-Puig A (2005) Visfatin: the missing link between intra-abdominal obesity and diabetes? Trends Mol Med 11:344–347

Viskosimetrie

H. Fiedler

V

Englischer Begriff viscosimetry

Definition In der Medizin wird die Viskosimetrie zur Mes-sung der inneren Reibung und des Fließens (Fluidität, einreziproker Parameter der Viskosität) von Plasma, Vollblut(Hämorheologie) und Synovialflüssigkeit verwendet. Experi-mentell wurde die Abhängigkeit des Flussvolumens in dün-nen Kapillaren von der Viskosität von Jean Léonard MariePoiseuille (1797–1869) und Gotthilf Heinrich Ludwig Hagen(1797–1884) untersucht (Gesetz von Hagen-Poiseuille).

Physikalisch-chemisches Prinzip Auf das Blut wirkt durchdie Pumpkraft des Herzens eine Schubkraft oder Schubspan-nung ein, es kommt zu einer „viskösen Deformation“, die zueiner Scherung führt (Verschiebung der Ebenen in einemFlussprofil). Plasma ist annähernd eine Newtonsche Flüssig-keit, in der die Schergeschwindigkeit proportional zurSchubspannung ist, der Proportionalitätsfaktor ist die dyna-mische Viskosität Z, gemessen in mPa�s (SI-Einheit) bzw. incP (centipoise). Blut verhält sich rheologisch anders alsPlasma, im Wesentlichen als Nicht-Newtonsche Flüssigkeit.In den verschiedenen Gefäßregionen strukturiert sich das Blutin unterschiedlicher Weise, bei höherer Schubkraft sinkt dieBlutviskosität unter Verminderung der Erythrozytenaggrega-tion. Bei gegebener Schergeschwindigkeit wird die dynamischeViskosität vorwiegend durch die Zellzahl (▶Hämatokrit)bestimmt. Auch Strukturveränderungen und geänderte Oberflä-cheneigenschaften der Erythrozyten steigern die Viskosität(▶Sphärozyt, Sichelzellenkrankheit, intrazelluläre Dehydra-tion).

EinsatzgebietPlasmaviskosität:

• Hyper- und Dysproteinämien bei akuten und chronischenInfektionskrankheiten sowie bei Tumoren. BesondersPlasmozytome, M. Waldenström Kryoglobuline und Hy-perfibrinogenämien können zu einemHyperviskositätssyn-drom führen (Blutdrucksteigerung, Seh- und neurologischeStörungen, Schleimhautblutungen, Durchblutungsstörun-gen). Aus den Konzentrationswerten der Plasmaproteinekannman die Viskosität nicht quantifizieren, dazu bedarf esder Messung.

• Erfolgskontrolle der Plasmapherese

Blutviskosität:

• Einsatz bei Mikrozirkulationsstörungen, Venenthrombo-sen, Durchblutungsstörungen bei Plasmozytom und M.Waldenström (s. oben).

Synovialflüssigkeit:

• Nachweis der Viskositätsminderung bei entzündlichen Pro-zessen (Abnahme von ▶Hyaluronan), ▶Viskosität derSynovialflüssigkeit.

Abschätzung der Achsenverhältnisse von Molekülen: Diespezifische ViskositätZsp=Z–1= 2,5j (j=Volumenanteilin der Lösung) hat bei kugelförmigen Teilchen einen Visko-sitätsfaktor von 2,5; bei einem Achsenverhältnis 1:30 (Fibri-nogen) steigt der Faktor auf 75 an.

Instrumentierung Plasmaviskosität:• Kugelfallmethode (kaum verwendet)• Ubbelohde-Viskosimeter (umständliche Reinigung)• Kapillarschlauchviskosimeter (Passagezeitmessung, Einweg-

material, üblicheLabormethode). Referenzbereich: 1,14–1,38mPa�s; relativ (bezogen auf Wasser) 2,01� 0,17

Blutviskosität (Hämorheologie):• Rotationsviskosimeter (Platte/Kegel oder Zylinder/Zylinder

oder Kapillarviskosimeter) mit variablen Scherkräften (ab-hängig von ▶Hämatokrit, ▶Erythrozyten-Aggregation und-deformierbarkeit). DieMessung kann bei nativem oder stan-dardisiertem Hämatokrit erfolgen. Die Referenzbereichesind abhängig von Schergeschwindigkeit und Methode.Der Anstieg des Hämatokrits um eine Einheit erhöht dieViskosität um 4 %. Temperaturerhöhung senkt die Blutvis-kosität, was umgekehrt bei Hypothermie zu beachten ist.Referenzbereich: ca. 3–4 mPa.s.

Fehlermöglichkeit Einhaltung von standardisierten Bedin-gungen bei der Blutentnahme: keine Stauung, Nüchternbe-

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2454 Viskosität der Synovialflüssigkeit

dingungen. Konstante Temperatur 25 oder 37 �C bei derMessung. Intraassay-VK <2 %.

Praktikabilität–Automatisierung –Kosten Mechanisiertebzw. automatisierte computergestützte Geräte stehen zur Ver-fügung. Die Anwendung und Interpretationsqualität ist vomSpezialisierungsgrad der klinischen Einrichtung abhängig.

Bewertung –Methodenhierarchie (allg.) Eine Berechnungder Viskosität aus anderen klinisch-chemischen und physio-logischen Kenngrößen ist nicht oder nur angenähert möglich.Die Plasmaviskosität ist ein gut reproduzierbarer globalerParameter mit geringer intraindividueller Variabilität (VKi

<2 %) und ist für Therapieentscheidungen und Verlaufskon-trollen gut geeignet. Außerdem ist sie ein unabhängiger Risi-koindikator für die koronare Herzkrankheit.

Ähnliche Aussagen zur Dysproteinämie, besonders zuErhöhungen von ▶Fibrinogen und ▶ a2-Makroglobulin,und bei einer▶Akute-Phase-Reaktion, liefert die Blutkörper-chensenkungsgeschwindigkeit(s. ▶Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit nach Wester-gren). Bedeutung für die Synovialflüssigkeit s. ▶Viskositätder Synovialflüssigkeit.

Literatur

Alexy T, Pais E, Wenby RB et al (2005) Measurement of whole bloodviscosity profiles via an automated viscosimeter: technical details andclinical relevance. Clin Lab 51:523–529

Koenig W, Sund M, Filipiak B et al (1998) Plasma viscosity and the riskof coronary heart diesease. Results from the MONICA-AugsburgCohort Study, 1984 to 1992. Arterioscler Thromb Vasc Biol18:768–772

Schuff-Werner P (1996) Methoden zur Messung rheologischer Kenn-größen und ihre klinische Bewertung. DG Klin Chem Mitteil27:133–137 und (1997) 28:83–86

Viskosität der Synovialflüssigkeit

H.-D. Haubeck

Synonym(e) Synovialflüssigkeits-Viskosität

Englischer Begriff viscosity

Definition Die Messung der Viskosität in der Synovialflüs-sigkeit erfolgt zur Differenzialdiagnose von entzündlichenund degenerativen Gelenkerkrankungen.

Beschreibung Die Viskosität einer Flüssigkeit ist eineEigenschaft, die auf die innere Reibung, d. h. die Wechsel-

wirkung von Molekülen der Flüssigkeit untereinander, zu-rückzuführen ist. Blut und Synovialflüssigkeit sind Nicht-Newtonsche Flüssigkeiten, d. h., die Viskosität ist von derFließgeschwindigkeit abhängig.

Die Viskosität der Synovialflüssigkeit ist unter standardi-sierten Bedingungen (25 �C) im Wesentlichen abhängig vonder Hyaluronankonzentration und der Molmassenverteilungdes Hyaluronans (mittlere Molmasse 6–7� 106 Da). Bei ent-zündlichen Gelenkerkrankungen kommt es insbesonderedurch die Wirkung von Sauerstoffradikalen, die von neutro-philen Granulozyten und Monozyten/Makrophagen freige-setzt werden, zurDepolymerisation desHyaluronans und einerstarken Abnahme der Viskosität. Bei der Osteoarthrose/-arthritis findet sich dagegen eine normale oder erhöhte Vis-kosität.

Die Viskosität in der Synovialflüssigkeit lässt sich mitverschiedenen Verfahren messen (▶Viskosimetrie). Nebenden Kapillarviskosimetern nach Ostwald und Ubbelohde wer-den häufig Rotationsviskosimeter eingesetzt, bei denen einMesskörper in der zu untersuchenden Substanz rotiert. DieKalibration erfolgt mit Ölen definierter Viskosität.

Die Einheit (SI) der Viskosität ist die Pascal-Sekunde(Pas): Einheit Z = Pas = Nsm�2 = kg/ms. Häufig findet sichnoch die alte Angabe in Poise (P). 1 P = 0,1 Pas.

Eine grobe Abschätzung der Viskosität lässt sich auch mitdem Mucin-Faden-Test gewinnen. Hierbei wird ein TropfenSynovialflüssigkeit zwischen Daumen und Zeigefinger gege-ben, beim Spreizen der Finger kommt es zur Fadenbildung.Die Länge des Fadens bis zum Reißen ist abhängig von derViskosität. Der subjektive ▶Mucin-Clot-Test, bei dem durchZugabe von Essigsäure das ▶Hyaluronan gefällt wird unddas Aussehen des sog. Mucin-Clots bewertet wird, solltenicht mehr verwendet werden.

Literatur

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VIS-Photometrie, -Spektrometrie, -Spektroskopie

▶UV/VIS-Spektrometrie

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Vitamin A 2455

Visuelle Betrachtung von Liquorcerebrospinalis (CSF)

▶Liquor-Betrachtung, makroskopisch

Vitamin A

H. Jomaa

V

Synonym(e) Retinol

Englischer Begriff vitamin A; retinol

Definition Fettlösliches Vitamin. Als Vitamin A bezeichnetwird Retinol, das frei oder mit einer Fettsäure verestert(Retinylester) vorliegen kann und nur in tierischen Lebens-mitteln vorkommt. Die aktiven Formen Retinal und Retin-säure sind notwendig für den Sehvorgang bzw. die Genregu-lation. Unspezifische Symptome bei Unterversorgung, beiausgeprägtem Mangel Nachtblindheit, Xerosis und Kerato-malazie.

Molmasse 286,46 g/mol (Retinol).

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Der BegriffVitamin A oder präformiertes Vitamin A steht für die SubstanzRetinol, die frei oder als Retinylester (verestert mit einer Fett-säure, meist Palmitinsäure) vorliegen kann. Als ProvitaminA werden Carotinoide bezeichnet, die in Retinol umgewandeltwerden können. Retinol besteht aus 4 Isopreneinheiten, vondenen die Atome 1–6 zu einem Iononring geschlossen sind(Abb. 1). Der azyklische Teil enthält 4 Doppelbindungen undist am Ende mit einer Hydroxygruppe modifiziert.

Präformiertes Vitamin A (hauptsächlich als Retinylesterdes all-trans-Retinols) ist nur in Lebensmitteln tierischenUrsprungs enthalten. Besonders reichhaltig ist Leber. Pro-vitamin A (hauptsächlich als b-Carotin) kommt in allenpflanzlichen Lebensmitteln vor.

Vitamin A und Provitamin Awerden nach Einlagerung ingemischte Mizellen hauptsächlich im oberen Dünndarmresorbiert. Retinylester werden durch synergistische Wirkungder Enzyme „pancreatic triglycerid lipase“ und „pancreaticlipase-related protein 2“ sowie der Mukosa-assoziierten„intestinal phospholipase B“ gespalten. Fettreiche Nahrungbegünstigt den Aufschluss durch Anregung der Produktionvon Gallensäuren und Lipasen sowie die Bereitstellung vonLipidkomponenten der Mizellen. Freies Retinol gelangtdurch Diffusion in die Enterozyten. b-Carotin wird über den„scavenger receptor class B type I“ (SCARB1) aufgenommen

und teilweise in 2 Moleküle Retinal gespalten, die zu Retinolreduziert werden. Als Komplex mit dem in Enterozyten hochexprimierten zelluläre Retinolbindeprotein 2 (CRBP2) wirdRetinol durch das Zytoplasma zum endoplasmatischen Reti-kulum transportiert. Dort erfolgt die Bildung von Retinyles-tern durch die Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT; hoheSubstratspezifität, ca. 90 % des Umsatzes) und Diacylglyce-rol-O-Acyltransferase 1 (DGAT1; geringe Substratspezifität,ca. 10 % des Umsatzes). Die neu gebildeten Retinylesterwerden zusammen mit nicht gespaltenem b-Carotin in Chylo-mikronen eingelagert und in die Lymphe sezerniert.

Ca. 30%derChylomikronen-assoziiertenRetinylesterwerdenunter Beteiligung der Lipoproteinlipase in verschiedene periphereGewebe aufgenommen. Die verbleibenden 70 %werden mit denChylomikronenrestkörpern vermittelt durch den Low-density-Lipoprotein-(LDL-)Rezeptor durch Hepatozyten endozytiert.Durch Hydrolyse der internalisierten Retinylester wird Retinolfreigesetzt. Verschiedene Leberenzyme (Carboxylesterlipasen,Carboxylesterasen und hepatische Lipasen) zeigen Retinylestera-seaktivität; die genaue Bedeutung der einzelnen Enzyme für denVitamin-A-Stoffwechsel ist unbekannt. Das Retinol gelangt übereinen nicht vollständig verstandenen Mechanismus in die Ito-Zellen (Stern-Zellen), wird dort durch LRAT erneut verestertund in Lipidtröpfchen, die 90–95 % des hepatischen VitaminA enthalten, gespeichert. Zur Mobilisierung der Vitamin-A-Speicher wird das Retinol aus den Retinylestern freigesetzt(möglicherweise durch die Carboxylesterasen 2, 4 und 10), indie Hepatozyten zurück transportiert und gebunden an das21-kDa-Retinolbindeprotein (RBP,RBP4) in dasBlut abgegeben.Das mit Retinol beladene RBP (holo-RBP) assoziiert mit Trans-thyretin. Der Komplex ist ausreichend groß, um eine glomeruläreFiltration weitgehend zu verhindern. Apo-RBP (RBP nachAbgabe des Retinols) wird glomerulär filtriert, im proximalenTubulus über den Megalin-Cubulin-Rezeptorkomplex endozy-tiert und degradiert.

In peripheren Geweben wird Retinol durch den auf denmeisten Zellen (nicht in der Leber und auf Adipozyten) expri-mierten RBP-Rezeptor (STRA6) aus der Bindung an RBPgelöst und zunächst in die Zellmembran der Zielzelle einge-lagert. Über einen nicht vollständig bekannten Mechanismuswird das Retinol unter Beteiligung des zellulären Retinolbin-deproteins 1 (CRBP1) zum endoplasmatischen Retikulumtransportiert und durch LRAT verestert. Die entstandenenRetinylester werden als Lipidtröpfchen gespeichert.

Ca. 90 % der Vitamin-A-Körperreserven liegen als Reti-nylester in der Leber vor. Die Kapazität des Leberspeichersliegt bei 300–1000 mg/g und reicht für ca. 6 Monate. ZurAusscheidung wird Vitamin A in der Leber hydroxyliert(Cytochrom-P450-Monooxygenasen) und glukuronidiert.

Funktion – Pathophysiologie All-trans-Retinol wird inaktive Derivate umgewandelt, die für 2 biologische Funktio-nen notwendig sind:

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Vitamin A, Abb. 1 ProvitaminA (b-Carotin), VitaminA (all-trans-Retinol) und aktiveDerivate (ARAT, Acyl-CoA:Retinol-Acyltransferase; LRAT,Lecithin:Retinol-Acyltransferase)(aus: Heinrich et al. 2014)

2456 Vitamin A

1. Retinal mit den Isomeren all-trans-Retinal und 11-cis-Retinal ist essenziell für den Sehvorgang.

2. All-trans-Retinsäure (Retinoat) ist an der Genregulationbeteiligt.

Sehvorgang Das Sehpigment Rhodopsin der Stäbchenzellender Retina besteht aus der Proteinkomponente Opsin und 11-cis-Retinal, das mit der e-Aminogruppe eines Lysinrests alsSchiff-Base kovalent verbunden ist. Die Sehpigmente der Zap-fenzellen (Iodopsin L, M und S) unterscheiden sich durchStrukturvariationen der Proteinkomponente. Bei Belichtungisomerisiert 11-cis- zu all-trans-Retinal. Eine damit einherge-hende Konformationsänderung der Proteinkomponente führtzum Ablösen des all-trans-Retinals. Ein kurzlebiges Zwi-

schenprodukt aktiviert eine Reaktionskaskade, die ein neuro-nales Signal auslöst. Das all-trans-Retinal wird in den Foto-rezeptorzellen durch die all-trans-Retinol-DehydrogenasenRDH8 und 12 zu all-trans-Retinol reduziert, das in die Zellendes retinalen Pigmentepithels unter Beteiligung von CRBP1transportiert wird. Durch Wirkung der LRAT entstehen Reti-nylester, die in Lipidtröpfen (Retinosomen) eingelagert werdenund als schnell verfügbarer Vitamin-A-Pool im Auge dienen.Die Isomerohydrolase RPE65 („retinal pigment epithelium-specific 65 kDa protein“) katalysiert die gleichzeitige Spaltungder Esterbindung und Isomerisierung des all-trans- zu11-cis-Retinol. Das 11-cis-Retinol wird durch die Retinol-Dehydrogenasen RDH5, 10 und 11 zu 11-cis-Retinal oxidiertund unter Beteiligung des zellulären Retinalbindeproteins

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Vitamin A 2457

V

(CRALBP) wieder in die Fotorezeptorzellen transportiert, woes zur Regeneration der funktionalen Sehpigmente dient.

Genregulation Die an der Genregulation beteiligte all-trans-Retinsäure entsteht durch Oxidation von all-trans-Retinol durchAlkohol- und Aldehyd-Dehydrogenasen. Als relevante Aldehyd-Dehydrogenasen identifiziert wurden dieGenprodukte vonALD-H1A1, ALDH1A2 und ALDH1A3.

Im Zytoplasma bindet all-trans-Retinsäure an das zelluläreRetinsäurebindeprotein II (CRABPII). Der Komplex gelangtin den Zellkern und übergibt die all-trans-Retinsäure an denRetinsäurerezeptor RAR (Isoformen RARa, b und g). Bin-dung des mit all-trans-Retinsäure beladenen RAR an einspezifisches DNA-Sequenzelement im Promotorbereich akti-viert die Transkription der zugehörigen Gene.

Ein weiterer Mechanismus besteht darin, dass all-trans-Retinsäure im Zytoplasma mit dem FettsäurebindeproteinFABP5 assoziiert. Nach Translokation dieses Komplexes inden Zellkern wird die all-trans-Retinsäure an den Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptor PPAR b/d übergeben. Dermit all-trans-Retinsäure beladene PPAR b/d bindet ebenfallsan ein spezifisches Promotor-Sequenzelement.

Beide Rezeptoren (RAR und PPAR b/d) binden als Hetero-dimermit demRetinsäure-X-Rezeptor RXR (IsoformenRXRa,b und g) an die DNA. Experimentell kann RXR durch 9-cis-Retinsäure aktiviert werden; die Relevanz von 9-cis-Retinsäureals physiologischer Ligand ist unklar. Wahrscheinliche physio-logische Liganden sind Ölsäure und andere ungesättigte Fett-säuren.

All-trans-Retinsäure wird durch Cytochrom-P450-Mono-oxygenasen der Familie CYP26 inaktiviert (Hydroxylierungzu 4-Hydroxyretinsäure). Die Subtypen CYP26A1, CYPB1und CYPC1 sind gewebsspezifisch exprimiert.

Über 500 Gene werden durch Retinsäure reguliert. Retin-säure spielt eine besondere Rolle bei der Zelldifferenzierung.Vitamin A ist notwendig für das Immunsystem und die Inte-grität epithelialer Barrieren im Gastrointestinaltrakt, in derLunge und im Genitaltrakt. In der Embryogenese werdendie Polarisierung der Körperachse und die Ausbildung derExtremitäten durch Retinsäuregradienten gesteuert. Die Ent-wicklung von Herz, Lunge, Skelett, Gefäß- und Nerven-system ist retinsäureabhängig.

Vitamin-A-Mangel Weltweit ist Vitamin-A-Mangel die häu-figste Hypovitaminose. Betroffen sind v. a. Schwangere undKinder unter 5 Jahren in Entwicklungsländern. Neben man-gelnder Zufuhr (v. a. bei veganer Ernährung) können Störun-gen der Gallen- und Pankreasfunktion die Resorption vermin-dern. Lebererkrankungen und Zinkmangel verringern dieRBP-Synthese. Infektionskrankheiten (v. a. Masern) führenzu erhöhtem Vitamin-A-Verbrauch und Verlust von RBP überdie Niere. Frühgeburten haben häufig geringe Leber- undOrganspeicherkapazitäten (v. a. der Lunge). Unterversorgung

ist mit zahlreichen unspezifischen Symptomen assoziiert.Ausgeprägter Mangel führt zu Nachtblindheit, Xerosis undKeratomalazie. Xerophthalmie ist eine Hauptursache fürBlindheit bei Kindern in Entwicklungsländern.

Vitamin-A-Aufnahme mit natürlichen Lebensmitteln(Ausnahme: Eisbären-, Robben-, Haifischleber) führt typi-scherweise nicht zu Hypervitaminosen. Synthetische Retin-säurederivate (z. B. Isotretinoin = 13-cis-Retinsäure), wie sieu. a. zur Behandlung von Akne eingesetzt werden, sindteratogen (Neuralrohrdefekte, Missbildung des Herz-Kreis-lauf- und Urogenitalsystems); eine Kontrazeption musssichergestellt sein.

Die Vitamin-A-Zufuhr wird in Retinoläquivalenten (RE)angegeben. 1 RE entspricht 1 mg all-trans-Retinol, 2 mgb-Carotin in Supplementen, 12 mg b-Carotin in Lebensmittelnoder 24 mg anderer Provitamin-A-Carotinoiden. Alternativerfolgt die Angabe in Internationalen Einheiten (IE); 1 IEentspricht 0,3 mg all-trans-Retinol. Die empfohlene Tageszu-fuhr liegt bei 500 RE für Säuglinge, 1000 RE für Erwachsene,1100 RE für Schwangere und 1500 RE für Stillende. DieMaximalmenge, die ohne Gesundheitsgefährdung pro Tagaufgenommen werden kann („upper level“, UL) beträgt800 RE für Kleinkinder (1–3 Jahre) und 3000 RE für Erwach-sene. Eine Überschreitung soll insbesondere bei Kinder-wunsch oder Schwangerschaft vermieden werden. Als akuttoxisch (Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen) gelten660.000 IE (Kinder 330.000 IE). Tägliche Einnahme von33.000 IE (Kinder 12.500 IE) führt zur chronischen Hyper-vitaminose (trockene Lippen, Eintrocknen der Nasenschleim-haut, Xerosis, Hyperkeratose).

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serumoder Plasma.

Präanalytik

• Nüchternblutentnahme• Nicht zentrifugierte Probe bei Raumtemperatur nicht stabil• Im Serum haltbar für 30 Tage lichtgeschützt bei +2 bis

+8 �C, darüber hinaus Lagerung tiefgefroren (�20 �C) imDunkeln

Analytik Retinolkonzentrationsbestimmung durch HPLCmit fotometrischer, elektrochemischer oder massenspektro-metrischer Detektion.

Referenzbereich – Erwachsene Retinol im Serum/Plasma:1,0–2,1 mmol/L.

Referenzbereich – Kinder Retinol im Serum/Plasma: Neu-geborene 0,35–1,0 mmol/L, Kleinkinder bis 1 Jahr 0,53–1,4 mmol/L, Kinder bis 10 Jahre 0,66–1,7 mmol/L, Jugendli-che 1,0–2,1 mmol/L.

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2458 Vitamin B1

Indikation

• Verdacht auf Vitamin-A-Mangel– Bei chronischer Mangel- und Fehlernährung– Bei parenteraler Ernährung über längere Zeit– Bei Maldigestion und Malabsorption– In der Diagnostik und Therapie Vitamin-A-Mangel-

bedingter Erkrankungen in der Ophthalmologie undHNO-Heilkunde

• Verdacht auf Zinkmangel• Nierenfunktionsstörungen, Lebererkrankungen

Interpretation

• <0,35 mmol/L schwerer Mangel• <0,7 mmol/L Mangel• 0,7–1,0 mmol/L marginaler Mangel• >5 mmol/L toxisch

DiagnostischeWertigkeit Eingeschränkte Aussagekraft derRetinolbestimmung zur Beurteilung der Vitamin-A-Versor-gung, da die Konzentration im Blut erst bei annähernd voll-ständiger Erschöpfung des Leberspeichers sinkt.

Bestimmung des Transportproteins RBP zur Differenzie-rung der Ursache eines Mangels (Zink-Mangel, Lebererkran-kungen).

Hohe Retinolblutkonzentrationen können auf eine Nieren-funktionsstörung hindeuten, da apo-RBP unzureichend kata-bolisiert wird. Zirkulierendes apo-RBP stimuliert die Leberzu Ausschleusung größerer Vitamin-A-Mengen. Dies kannzur raschen Entleerung des Leberspeichers führen und damiteine Vitamin-A-Unterversorgung drohen. Niedrige Retinol-blutwerte sind ein Mortalitätsprädiktor bei Hämodialyse-Patienten.

Mutationen des RBP4-Gens sind beschrieben. Die Reti-nol- und RBP-Spiegel homozygoter Träger sind sehr niedrigbis nicht nachweisbar bei einem Vollbild der Vitamin-A-Hypovitaminose (Nachtblindheit, degenerative Veränderun-gen bis zur Erblindung). Bei heterozygoten Trägern normalebis erhöhte Serumkonzentrationen der Retinylester undca. 50 % verringerte RBP-Konzentration.

Genetische Polymorphismen des b-Carotin-spaltendenEnzyms BCMO können zur Verringerung oder Erhöhungder Retinolkonzentration führen.

Literatur

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Vitamin B1

H. Jomaa

Synonym(e) Aneurin; Thiamin

Englischer Begriff thiamine; thiamin

Definition Wasserlösliches Vitamin. In Form von Thiamindi-phosphat (TDP) Kofaktor der Enzyme Pyruvat-Dehydrogenase,a-Ketoglutarat-Dehydrogenase, Verzweigtkettige-a-Ketosäuren-Dehydrogenase und Transketolase mit Funktionen im Ener-giestoffwechsel, dem Aminosäureabbau und dem Pentose-phosphatweg.

Molmasse 337,27 g/mol (Thiamin-Hydrochlorid).

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Thiaminbesteht aus einem substituierten Pyrimidinring, der über eineMethylengruppe mit einem substituierten Thiazolring ver-bunden ist.

In der folgenden Abbildung ist Thiamin dargestellt. Derfür den Reaktionsmechanismus wichtige Teil desMoleküls istrot hervorgehoben (aus: Heinrich et al. 2014):

Bei der als Kofaktor aktiven Form Thiamindiphosphat(TDP) (Synonym: Thiaminpyrophosphat, TPP) ist die Hy-droxygruppe des Substituenten in Position 5 des Thiazolringsmit einer Diphosphatgruppe verestert. Für den katalytischen

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Vitamin B1 2459

V

Mechanismus TDP-abhängiger Enzyme entscheidend ist dieAusbildung eines mesomeriestabilisierten Carbanions durchAbgabe des Protons an Position 2 des Thiazolrings.

Die meisten Lebensmittel enthalten Vitamin B1. Für dietägliche Bedarfsdeckung von Bedeutung sind Vollkornpro-dukte, Hülsenfrüchte, Kartoffeln und Schweinefleisch. ImGetreidekorn ist Vitamin B1 vor allem im Keim und in derAleuronschicht enthalten. Deshalb sind fein gemahlene Meh-le und polierter Reis schlechte Quellen. In Lebensmitteln liegtVitamin B1 in Form von Thiamin und Thiamindiphosphatsowie geringen Mengen Thiaminmono- und -triphosphat vor.

Die Mechanismen der Resorption und Verteilung sind unvoll-ständig geklärt. Beteiligt sind der Thiamintransporter-1 (THTR1,kodiert durch das Gen SLC19A2) und der Thiamintransporter-2(THTR2, kodiert durch das Gen SLC19A3). Für die intestinaleResorption essenziell ist THTR2, während THTR1 wichtig fürdie Aufnahme in periphere Gewebe ist. Bei polarisiertenZellen (Darmmukosa, proximaler Nierentubulus) ist THTR2in der apikalen und THTR1 in der basolateralen Membraneingelagert. Thiaminphosphate werden vor der Resorptionenzymatisch im Darm gespalten. Die Resorption ist imJejunum am höchsten, gefolgt vom Duodenum und Ileumund am geringsten im Magen und Kolon. Intrazellulär liegtThiamin hauptsächlich als Thiamindiphosphat vor, im Blut-plasma, in der Muttermilch und in der Zerebrospinalflüssig-keit hauptsächlich als Monophosphat und freies Thiamin. DieThiaminverteilung im Vollblut ist inhomogen (10 % imPlasma, 15 % in den Leukozyten und 75 % in den Erythro-zyten). Thiamin wird in geringen Mengen in der Lebergespeichert bei einer biologischen Halbwertszeit von 10–20Tagen.

Funktion – Pathophysiologie Thiamindiphosphat ist (zu-sätzlich zu Liponsäure, Coenzym A, FAD und NAD+) Kofak-tor folgender a-Ketosäure-Dehydrogenasen:

• Pyruvat-Dehydrogenase (Umwandlung von Pyruvat inAcetyl-CoA zur Einspeisung in den Citratzyklus)

• a-Ketoglutarat-Dehydrogenase (Umwandlung von a-Ke-toglutarat in Succinyl-CoA im Citratzyklus)

• Verzweigtkettige-a-Ketosäuren-Dehydrogenase (BCKD,essenziell für den Abbau der Aminosäuren Leucin, Isoleu-cin und Valin)

Außerdem ist Thiamindiphosphat Kofaktor der Transke-tolase (essenziell beteiligt am nicht oxidativen Teil des Pen-tosephosphatwegs).

Die Symptomatik eines Vitamin-B1-Mangels wird vorallem mit einer Störung des Energiestoffwechsels in Zusam-menhang gebracht und ist bei marginaler Unterversorgungwenig spezifisch. Frühe Anzeichen sind Laktatazidose, Nys-tagmus und neurologische Symptome wie periphere Neuro-pathie und Ataxie, im weiteren Verlauf Beeinträchtigung des

Kurzzeitgedächtnisses, Muskelschwäche und kardiovasku-läre Symptome. Beriberi als klassisches Vitamin-B1-Man-gelsyndrom mit schweren kardiovaskulären und neurologi-schen Störungen kommt heute noch in Gegenden vor, indenen polierter Reis das Hauptnahrungsmittel ist. Ein ähnli-ches Krankheitsbild (Wernicke-Korsakoff-Syndrom) tritt beichronischem Alkoholismus auf. Ätiologisch ist neben Man-gelernährung ein Ethanol-induzierter THTR1-Mangel vonBedeutung. Seltene genetische Ursachen für Thiaminmangelsind Mutationen der Gene für THTR1 (Rodger-Syndrom,Thiamin-responsive megaloblastäre Anämie) und THTR2(Biotin-responsive Basalganglienerkrankung).

Empfohlen wird eine tägliche Thiaminzufuhr von 0,2 mgfür Säuglinge <4 Monate, 0,4 mg für Säuglinge <1 Jahr undca. 1,2 mg für Erwachsene, Schwangere und Stillende. EineHypervitaminose ist unbekannt (gute Verträglichkeit von täg-lichen Dosen bis zu 500 mg). Bei parenteraler Gabe wurdenselten akute allergische Reaktionen beobachtet. Für die Sub-stitution stehen wasserlösliche Salze (Thiaminhydrochlorid,-nitrat) und lipophile Prodrugs (Benfotiamin, Fursultiamin)zur Verfügung.

Untersuchungsmaterial –Entnahmebedingungen EDTA-Vollblut.

Präanalytik Nüchternblut. Thiamin ist licht-, wärme- undoxidationsempfindlich, daher Probentransport und -aufbewah-rung lichtgeschützt. Stabilität bei Raumtemperatur 5 Stunden,bei 4–8 �C nur 1 Tag, daher rasche Aufarbeitung der Proben.Vollblut tiefgefroren (�20 �C) bis 14 Tage.

Analytik Bestimmung von TDP im Vollblut mit HPLC-Verfahren mit fluorimetrischer oder massenspektrometrischerDetektion.

Referenzbereich – Erwachsene Thiamindiphosphat (TDP)im Vollblut 28–85 mg/L (66,5–200 mmol/L).

Referenzbereich – Kinder Nicht verfügbar.

Indikation Neurologische Störungen, chronischer Alko-holismus (alkoholtoxische Kardiomyopathie, Wernicke-Enze-phalopathie, Korsakow-Syndrom), Schwere Mangel- und Fehl-ernährung, parenterale Ernährung über lange Zeit, Nulldiät,Hämodialyse,Malabsorption, schwere akute Leberfunktionsstö-rung (Leberkoma, fulminante Hepatitis), Thyreotoxikose,gesteigerter Bedarf, z. B. in der Schwangerschaft und Stillzeit.

Diagnostische Wertigkeit Die Bestimmung des Gehalts anTDP im Vollblut ist standardisierbar und robust. Diese Be-stimmung ist im klinischen Alltag am ehesten geeignet, denThiaminstatus zu beurteilen und sollte vor Beginn einer Sub-

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2460 Vitamin B2

stitutionstherapie durchgeführt werden, da die TDP-Wertesich kurzfristig erholen.

Die Bestimmung der Transketolaseaktivität nach Thiamin-diphosphatzugabe im Hämolysat und der Thiaminausschei-dung im Urin spielen im klinischen Alltag keine Rolle mehr.

Querverweise ▶Vitaminoide

Literatur

Bässler KH, Golly I, LoewD et al (2007) Vitaminlexikon, 4. Aufl. Urbanund Fischer, München

Biesalski HK (2016) Vitamine und Minerale. Thieme, StuttgartHeinrich PC, Müller H, Graeve L, Löffler G, Petrides PE (Hrsg)

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Vitamin B2

H. Jomaa

Synonym(e) FMN; Ovoflavin; Riboflavin; Uroflavin; Vita-min G

Englischer Begriff riboflavin

Definition Riboflavin (7,8-Dimethyl-10-Ribityl-Isoalloxa-zin) ist eine wasserlösliche Verbindung, die in pflanzlichenund tierischen Lebensmitteln vorkommt; teils als freies Ribo-flavin, hauptsächlich als die aktiven Derivate Flavinmononu-kleotid (FMN) und Flavinadenindinukleotid (FAD).

Molmasse Riboflavin: 376,4 g; FMN: 456,3 g; FAD:785,6 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination WichtigeRiboflavinnährstoffquellen sind Fleisch, Milchprodukte,Eier, Brot und Gemüse. Vitamin B2 und Derivate sind relativhitzestabil, sind aber in Lösung lichtempfindlich. Die von derDeutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Zufuhr fürRiboflavin hängt vom Energieumsatz ab und ist mit 0,4 mgpro Tag bei Säuglingen von 4 bis unter 12 Monaten amgeringsten und mit 1,6 mg pro Tag bei 15- bis unter 19-jäh-rigen männlichen Jugendlichen am höchsten. Riboflavin giltals toxikologisch unbedenklich und wird als Lebensmittel-farbstoff (E101) eingesetzt. Selbst bei sehr hoher Dosierung

(100- bis 200-faches der Empfehlung) zeigen sich keine uner-wünschten Wirkungen.

Die an Proteine gebundenen Koenzyme FMN und FADwerden nach Aufnahme mit der Nahrung vom Protein freige-setzt. FMN und FAD werden durch unspezifische Phospha-tasen des Bürstensaums zu freiem Riboflavin dephosphory-liert. Die Aufnahme erfolgt im proximalen Dünndarm übereinen sättigbaren Carrier-vermittelten Transport. Bei einerZufuhr von bis zu 25–30 mg beträgt die Resorptionsquotevon Riboflavin 95%. Eine kleine Menge Riboflavin zirkuliertüber den enterohepatischen Kreislauf.

Freies Riboflavin wird in den Enterozyten durch die zyto-solische Flavokinase zu FMN phosphoryliert und anschlie-ßend durch die FAD-Synthetase in FAD umgewandelt. Ausdem Dünndarm gelangt Riboflavin nach Dephosphorylierungdurch Phosphatasen der basolateralen Membranen der Ente-rozyten in das Plasma. Der Transport des freien Riboflavinsund seiner Derivate FMN und FAD erfolgt an Albumin undImmunglobuline gebunden. Im Plasma wie in Erythrozytenbildet FAD das Hauptderivat. Freies Riboflavin kommt in denErythrozyten nur in Spuren vor.

Ein Teil des Riboflavins wird bei der ersten PassageCarrier-vermittelt von den Leberzellen aufgenommen. Wiein den Erythrozyten liegt auch im Gewebe Riboflavin vor-wiegend als FAD und FMN vor. Die Synthese von FAD ausRiboflavin wird durch den FAD-Gehalt der Gewebe kontrol-liert und durch einen FAD-Überschuss gehemmt. Nicht anEnzyme gebundenes FAD und FMN wird im Gewebe hydro-lysiert, um Riboflavin freizusetzen. Dieses diffundiert aus denZellen und wird mit dem Urin ausgeschieden, wobei ein Teilvorher zu zahlreichen Metaboliten wie 7-Hydroxyme-thylriboflavin und Lumiflavin abgebaut wird.

Riboflavin macht etwa 60–70 % aller Urinflavine aus,Riboflavinmetaboliten, einschließlich 7a-Hydroxyriboflavin,8a-Sulfonylriboflavin, Lumiflavin, 8a-Hydroxyriboflavin und10-Hydroxyethylflavin 28–39 %. Die Riboflavinaufnahmekorreliert positiv mit der Tagesausscheidung von Riboflavinund seinen Metaboliten im Urin.

Riboflavin wird in die Muttermilch sezerniert. Die durch-schnittlicheKonzentration in derMuttermilch von Frauen ohneSupplementierung beträgt etwa 364 mg/L. Bei Supplementie-rung steigt die Konzentration in der Muttermilch.

Funktion – Pathophysiologie FMN und FAD sind als Pro-tonenträger bei Redoxreaktionen vieler Flavoproteine/Fla-voenzyme wie Glutathionreduktase oder Pyridoxaminphos-phatoxidase (PPO) beteiligt. Glutathionreduktase verwendetFAD als Kofaktor, um die Reduktion der oxidierten FormGlutathiondisulfid (GSSG) zur Sulfhydrylform ▶Glutathion(GSH) zu katalysieren. Die Pyridoxaminphosphatoxidase istFMN-abhängig und an der Bildung des Koenzyms Pyridoxal-phosphat aus Pyridoxamin oder Pyridoxin (s. ▶Vitamin B6)beteiligt.

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Vitamin B2 2461

FAD wird auch als Kofaktor für die Reaktion der ▶ 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) im ▶Folsäure-Zyklus benötigt und damit für die Remethylierung von▶Homocystein zu ▶Methionin. Ein Polymorphismus desGens, das für das Enzym MTHFR kodiert, MTHFR C677T,zeigt bei Homozygotie für das T-Allel eine Abnahmeder MTHFR-Enzymaktivität um bis zu 70 %, was zu ho-hen Gesamt-Homocysteinkonzentrationen im Plasma führt(s. ▶ 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase-Mutation). Eswird angenommen, dass die reduzierte Enzymaktivität verur-sacht wird durch eine erhöhte Neigung des Enzyms zur Dis-soziation von seinem FAD-Kofaktor. In klinischen Studienführte die tägliche Supplementierung mit 1,6 mg Riboflavinbei Personen mit TT-Genotyp zu einer Abnahme der Homo-cysteinkonzentration im Plasma. Bei Personen mit CC- undCT-Genotypen zeigte sich kein Einfluss auf die Homocystein-konzentration. Es wird angenommen, dass diese Riboflavin-wirkung durch die Stabilisierung des TT-Variantenenzymsund der Wiederherstellung der MTHFR-Aktivität erreicht wird.

Ein Vitamin-B2-Mangel ist selten und wird vor allem imRahmen einer Fehl- oder Mangelernährung in Kombinationmit einem Mangel an anderen Vitaminen gesehen. DieSymptome sind unspezifisch und umfassen Halsschmerzen,Hyperämie und Ödeme der pharyngealen und oralen Schleim-häute, Glossitis, seborrhoische Dermatitis und normochromenormozytische Anämie. Die Prävalenz von Riboflavinmangelist bei chronischen Alkoholikern hoch; es wird angenommen,dass hierbei die Freisetzung von Riboflavin aus FMN und FADaus der Nahrung und dessen Absorption im Dünndarm ge-hemmt wird.

Bei Neugeborenen kann ein Riboflavinmangel im Rahmender Fototherapie einer Hyperbilirubinämie auftreten, da Ribo-flavin durch das eingesetzte Licht zerstört wird.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Anti-koaguliertes Vollblut (EDTA) bzw. Erythrozytenhämolysate,Spontan- oder Sammelurin.

Präanalytik Luftdicht verschlossen und lichtgeschützt trans-portieren und aufbewahren.

V

Analytik Es stehen verschiedene Verfahren zur Beurteilungdes Riboflavinhaushalts zur Verfügung, u. a. HPLCund LC-MS.

Die Konzentration von Riboflavin und seinen Derivatenkann direkt im Blut (Plasma, Hämolysat) oder im Urin(Spontan- oder Sammelurin) mit fluorimetrischen Methodenoder mit HPLC-Methoden mit fluorimetrischer Detektionbestimmt werden. Andere Verfahren erlauben indirekt die Beur-teilung des Riboflavinhaushalts über eine Bestimmung der Akti-vitätsänderungRiboflavin-abhängiger Enzyme.Hierbei wird dieAktivität der Glutathionreduktase mit und ohne Zugabe von

FAD gemessen oder alternativ die Aktivität der Pyridoxamin-phosphatoxidase mit und ohne Zugabe von FMN. Das Ergebniswird jeweils als Quotient aus der Aktivität mit und Aktivitätohne Zugabe des Kofaktors angegeben. Ein Erythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivierungsquotient von 1 zeigt eine voll-ständige Sättigung, währendWerte größer 1 eine unvollständigeSättigung des Enzyms durch intrazelluläres FAD anzeigen.

Referenzbereich – Erwachsene Riboflavin in Erythrozy-ten: 100–500 mg/L (266–1330 nmol/L).

Riboflavin im Plasma: 40–240 mg/L (106–638 nmol/L).Riboflavinausscheidung im Urin: >80 mg/g Kreatinin

(>24 mmol/mol Kreatinin).Erythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivierungsquotient:

<1,3.

Referenzbereich – Kinder Erythrozyten-Glutathionreduk-tase-Aktivierungsquotient: <1,3.

Indikation Schwere Fehl- und Mangelernährung, chronischerAlkoholismus, chronische Dünndarmentzündung, Hämodia-lyse.

Interpretation Ein Riboflavinmangel liegt vor bei einerRiboflavinausscheidung im Urin kleiner 40 mg/g Kreatininoder bei einem Erythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivie-rungsquotient größer 1,3; die Entscheidungsgrenze von 1,3kann auch bei jüngeren Erwachsenen, Kindern, Säuglingen,Schwangeren und stillenden Frauen angewendet werden.

Diagnostische Wertigkeit Die Messung der Riboflavinaus-scheidung im Urin eignet sich zur Beurteilung des Riboflavin-status. Die kürzliche Riboflavineinnahme hat starke Einflüsseauf die Riboflavinwerte im Blut/Plasma und im Urin, was beider Interpretation dieser Werte beachtet werden sollte. DerErythrozyten-Glutathionreduktase-Aktivierungsquotient zeigtden geringsten Einfluss nach kürzlicher Riboflavineinnahme.Die Bestimmung des Erythrozyten-Glutathionreduktase-Akti-vierungsquotients kann nicht bei Personen mit ▶Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase (G6PD)-Mangel angewendet wer-den, da ihre Glutathionreduktase eine erhöhte Avidität fürFAD aufweist. Dies führt zu einer In-vitro-Aktivität, die etwa1,5- bis 2-mal höher als bei Erythrozyten mit normaler G6PD-Aktivität sein kann.

Literatur

Rifai et al (2018) Tietz textbook of clinical chemistry and moleculardiagnostics, 6. Aufl. Elsevier, St. Louis

Truck et al EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Dietetic Products,Nutrition and Allergies) (2017) Scientific opinion on dietary refe-rence values for riboflavin. EFSA J 15(8):4919

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2462 Vitamin B3

Vitamin B3

▶Niacin

Vitamin B5

▶ Pantothensäure

Vitamin B6

H. Jomaa

Englischer Begriff pyridoxine

Definition Der Begriff Vitamin B6 umfasst eine Gruppe vonsechs 2-Methyl-, 3-Hydroxy-, 5-Hydroxymethylpyridinderivaten,die die biologische Aktivität von Pyridoxin aufweisen.

Molmasse Pyridoxin 169,18 g, Pyridoxamindihydrochlorid241,1 g, Pyridoxal 167,16 g, Pyridoxinphosphat 249,16 g,Pyridoxalphosphat 247,14 g, Pyridoxaminphosphat 247,1 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Vitamin B6

schließt Pyridoxin, Pyridoxal und Pyridoxamin und ihreentsprechenden an der 5’-Position phosphorylierten FormenPyridoxinphosphat, Pyridoxalphosphat und Pyridoxaminphos-phat ein. Alle 6Verbindungen sind in pflanzlichen und tierischenLebensmitteln enthalten. Einige Pflanzen enthalten glykosylier-tes Vitamin B6 in Form von Pyridoxin-5’-b-d-glucosid. Pyrido-xinhydrochlorid ist die am häufigsten verwendete synthetischeForm von Vitamin B6 zur Nahrungsergänzung.

Vitamin-B6-Derivate sind in wässrigen, sauren Lösungenstabil, jedoch labil in neutralen und alkalischen Lösungensowie empfindlich gegen Tageslicht bzw. UV-Licht. Sie wer-den nach Aufnahme enzymvermittelt im Darm, in der Leberund in anderen Geweben in die aktiven Formen Pyridoxal-phosphat und Pyridoxaminphosphat umgewandelt.

Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernäh-rung für die tägliche Zufuhr beträgt 1,2 mg für Frauen, 1,5 mgfür Männer und 1,9 mg für Schwangere und Stillende. Beieiner Einnahme von 100 mg/Tag über einen längeren Zeit-raum können neurologische Symptome wie Ataxie, Muskel-schwäche und Taubheitsgefühl als Zeichen einer Überdosie-rung auftreten.

Die Resorption von Vitamin B6 erfolgt im Jejunum durchpassive Diffusion. Vor der Aufnahme werden phosphorylierteVitamin-B6-Derivate durch eine alkalische Phosphatase dephos-

phoryliert. Pyridoxin, Pyridoxal und Pyridoxamin zeigen eineähnliche Bioverfügbarkeit. Pyridoxin-5’-b-d-glucosid hat imVergleich zu Pyridoxin eine 50 % niedrigere Bioverfügbarkeit.Pyridoxin aus Nahrungsergänzungsmitteln wird fast vollständig(95 %) aufgenommen.

Vitamin B6 wird nach Aufnahme in die Enterozyten durchdas Enzym Pyridoxalkinase phosphoryliert und damit in derZelle zurückgehalten. Um die Zellmembran zu passieren undin den Pfortaderkreislauf zu gelangen, ist eine erneuteDephosphorylierung notwendig.

In der Leber werden Vitamin-B6-Derivate in Pyridoxal-phosphat überführt und in das Blut abgegeben. Pyridoxal undPyridoxalphosphat bilden die Hauptformen im Plasma, wobeiPyridoxalphosphat 70–90 % des gesamten Vitamin B6 imPlasma ausmacht. Der Transport im Plasma erfolgt an Albu-min gebunden.

Die Umwandlung der verschiedenen Vitamin-B6-Formenineinander ist abhängig von Riboflavin (s. ▶Vitamin B2),▶Niacin und ▶Zink. Riboflavin ist ein Kofaktor für diePyridoxin-(Pyridoxamin-)Phosphatoxidase und die Aldehyd-oxidase, Niacin ein Kofaktor für die Aldehyddehydrogenaseund Zink ein Kofaktor für die Pyridoxalkinase.

Auch im Gewebe liegt Vitamin B6 vor allem als Pyrido-xalphosphat vor. Der Vitamin-B6-Gehalt des menschlichenKörpers beträgt etwa 15 nmol/g Gewebe. Hiervon liegt derGroßteil (75–80 %) im Muskelgewebe als an der Muskelgly-kogenphosphorylase gebundenes Pyridoxalphosphat vor.Etwa 5–10 % des Vitamin B6 im Körper befinden sich inder Leber, kleinere Mengen in Plasma, Erythrozyten undanderen Organen. Erythrozyten sind in der Lage, alleVitamin-B6-Derivate aufzunehmen und in Pyridoxalphosphatund Pyridoxal umzuwandeln, die an ▶Hämoglobin gebun-den werden.

Die hohe Vitamin-B6-Konzentration in der NabelschnurNeugeborener lässt einen aktiven Transport von der Mutterauf den Fötus annehmen. Vitamin B6 wird in die Muttermilchsezerniert, wobei die Konzentration abhängig ist von derAufnahme der Mutter. Die durchschnittliche Konzentrationin der Muttermilch beträgt 130 mg/l.

Die Ausscheidung von Vitamin B6 erfolgt hauptsächlichals 4-Pyridoxinsäure über den Urin. Die metabolisch inaktivePyridoxinsäure ist das Endprodukt der Oxidation allerVitamin-B6-Derivate. Im Urin lassen sich in niedrigerKonzentration auch aktive Formen von Vitamin B6 nach-weisen.

Funktion – Pathophysiologie Pyridoxalphosphat und Pyri-doxaminphosphat wirken als Kofaktoren für mehr als100 Enzyme und sind damit u. a. beteiligt am Aminosäure-metabolismus, der Glykogenolyse und Glukoneogenese,C1-Reaktionen, der Hämsynthese, der Niacinbildung sowieam Lipidmetabolismus und der Neurotransmittersynthese. ImAminosäurestoffwechsel sind Pyridoxalphosphat und Pyrido-

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Vitamin B12 2463

V

xaminphosphat z. B. an Decarboxylierungs-, Transaminie-rungs- und Racemisierungsreaktionen beteiligt.

Vitamin-B6-Mangel ist selten und tritt am ehesten bei einerFehl- oder Mangelernährung auf. Es kann zur Entwicklungeiner hypochromen mikrozytischen Anämie und neurologi-schen Störungen wie Krampfanfällen und abnormalem Elek-troenzephalogramm kommen.

Kinder mit Gendefekten der Enzyme, die an der Synthesedes Kofaktors Pyridoxalphosphat beteiligt sind (z. B. Pyrido-xalkinase), zeigen neonatale epileptische Anfälle. Diese sindresistent gegen die klassische antikonvulsive Therapie, spre-chen jedoch auf pharmakologische Dosen von Pyridoxal-phosphat an (10–85 mg/kg KG pro Tag).

Der ▶Tryptophan-Abbauweg beinhaltet mehrere Pyrido-xalphosphat-abhängige Enzyme. Bei einem Mangel kommtes zur vermehrten Urinausscheidung von Tryptophanmetabo-liten wie Xanthuren- und Kynurensäure.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Anti-koaguliertes Vollblut, Plasma.

Präanalytik Proben luft- und lichtgeschützt aufbewahren.

Analytik Direkte Analyseverfahren beruhen auf der Bestim-mung der Konzentration der Vitamin-B6-Derivate im Plasma.Indirekte Verfahren beruhen auf der Überprüfung Vitamin-B6-abhängiger Prozesse.

Direkte Verfahren (enzymatische und HPLC- und LC-MS-Methoden): Bestimmung der Pyridoxalphosphatkonzentra-tion im Plasma.

Indirekte Verfahren (enzymatische Methoden): Bestim-mung des Aktivierungskoeffizienten der Erythrozyten-Aspar-tat-Aminotransferase (AST; s.▶Aspartat-Aminotransaminase)mit und ohne Pyridoxalphosphatzugabe in vitro.

Referenzbereich – Erwachsene Pyridoxalphosphat in Plas-ma: 5–50 mg/L (20–202 nmol/L). Aktivitätskoeffizient derAST in Erythrozyten: bis 1,5.

Referenzbereich – Kinder Nicht verfügbar.

Indikation Fehl- oder Mangelernährung, Alkoholkrankheit,chronische Hämodialyse. hypochrome mikrozytäre Anämie,Homocystinurie, Cystathioninurie, Hyperoxalurie (Typ I).

Interpretation Eine Pyridoxalphosphatkonzentration imPlas-ma kleiner als 7,5 mg/L (30 nmol/L) ist ein Indikator füreine Vitamin-B6-Unterversorgung. Werte kleiner als 2,5 mg/L(10 nmol/L) gelten als Mangel. Diese Entscheidungsgrenzengelten für alle Alters- und Geschlechtsgruppen.

Bewertung Zur Beurteilung des Vitamin-B6-Status eignetsich am besten die Bestimmung der Konzentration von Pyri-

doxalphosphat im Plasma. Die 4-Pyridoxinsäureausscheidungim Urin reagiert schnell auf Veränderungen der Vitamin-B6-Zufuhr. Sie spiegelt die jüngste Vitamin-B6-Einnahme widerund erlaubt keine Rückschlüsse auf den Vitamin-B6-Status.

Erythrozyten-Aminotransferase-Enzyme, wie Erythrozyten-Aspartat-Aminotransferase und Erythrozyten-Alanin-Amino-transferase, erfordern Pyridoxalphosphat als Kofaktor. DerSättigungsgrad dieser Enzyme mit Pyridoxalphosphat liefertindirekt Informationen über den Vitamin-B6-Status. Der Sät-tigungsgrad wird bestimmt durch Messung des Aktivierungs-koeffizienten, ausgedrückt als das Verhältnis der Enzymakti-vität mit und ohne Zugabe von Pyridoxalphosphat.

Literatur

EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition andAllergies) (2016) Scientific opinion on dietary reference values forvitamin B6. EFSA J 14(6):4485

Rifai et al (2018) Tietz textbook of clinical chemistry and moleculardiagnostics, 6. Aufl. Elsevier, St. Louis

Vitamin B7

▶Biotin

Vitamin B9

▶ Folsäure

Vitamin B11

▶ Folsäure

Vitamin B12

H. Jomaa

Synonym(e) Antiperniziosa-Faktor; Cobalamin; ExtrinsicFaktor

Englischer Begriff vitamin B12; cobalamin

Definition Vitamin B12 ist ein wasserlösliches, nur in tieri-schen Lebensmitteln enthaltenes Vitamin. Es ist an nur2 Reaktionen des menschlichen Stoffwechsels beteiligt

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2464 Vitamin B12

(Methylierung von ▶Homocystein zu ▶Methionin, Umla-gerung von L-Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA) undessenziell für den Folatstoffwechsel. Eine Unterversorgungführt zu einer megaloblastären Anämie und Neuropathie.

Molmasse 1355,37 g/mol (Cyanocobalamin); 1346,37g/mol (Hydroxycobalamin).

Synthese –Verteilung –Abbau – Elimination Als VitaminB12 oder Cobalamin wird eine Gruppe eng verwandter Mole-küle bezeichnet, die als charakteristisches Strukturelementein Corrinringsystem mit zentral gebundenem Kobaltatomenthalten (s. folgende Abbildung).

Struktur von Vitamin B12 (Cobalamin) (aus: Heinrich et al.2014):

Das Corrinringsystem besteht aus 4 reduzierten Pyrrolrin-gen, von denen (im Gegensatz zu ▶ Porphyrine) 2 direktmiteinander verbunden sind. Das Kobaltatom wird durchdie Stickstoffatome der 4 Pyrrolringe gebunden; eine fünfteBindung besteht zu einem Stickstoffatom eines Benzimida-zolderivats, das über eine Seitenkette mit dem Corrinring-system verbunden ist. Eine sechste Koordinationsstelle kann

durch unterschiedliche Liganden besetzt sein. Als Kofaktorenaktiv sind 5’-Desoxyadenosylcobalamin und Methylcobala-min. Die Bindung einer Hydroxygruppe führt zum Hydroxo-cobalamin, das in wässriger Lösung im Gleichgewicht stehtmit Aquocobalamin und als Speicher- und Transportformeine Rolle spielt. Cyanocobalamin ist eine besonders stabileForm, die technisch aus bakteriell produziertem Hydroxoco-balamin hergestellt wird. Als Supplemente und Pharmakawerden Cyanocobalamin und in zunehmendem UmfangHydroxocobalamin (u. a. zur Vermeidung der Cyanidfreiset-zung im Körper) verwendet. Hydroxocobalamin in hohenDosen wird auch als Antidot bei Cyanidvergiftungen einge-setzt. Der Begriff Vitamin B12 wird manchmal speziell fürCyanocobalamin gebraucht.

Cobalamin wird ausschließlich von Bakterien syntheti-siert. Im Gegensatz zu vielen Tieren wird beim Menschendas durch die Darmflora synthetisierte Cobalamin nur unzu-reichend resorbiert. In praktisch allen tierischen Lebensmit-teln ist Cobalamin enthalten; besonders reichhaltig in Leber,Niere und Muscheln. Pflanzliche Lebensmittel enthaltenallenfalls Spuren und sind zur Bedarfsdeckung ungeeignet.

Der Hauptanteil des Cobalamins in der Nahrung ist anProteine gebunden und wird durch proteolytische Prozesseim Magen und vor allem im Duodenum freigesetzt. Anschlie-ßend wird Cobalamin durch den Intrinsic Faktor (IF)gebunden, der durch die Belegzellen der Magenschleimhautgebildet wird und durch Glykosylierung mit hohem Sialinsäu-reanteil vor Degradation durch Pankreasproteasen geschütztist. Bereits in der Nahrung frei vorliegendes Cobalamin bindetim Speichel an Haptocorrin (R-Protein, Transcobalamin I,TCN1) und wird nach Degradation des Haptocorrins durchPankreasproteasen im Duodenum an IF übergeben.

Der Cobalamin-IF-Komplex wird im unteren Ileum durchrezeptorvermittelte Endozytose aufgenommen. Als Rezeptordient ein Komplex aus dem löslichen Protein Cubilin unddem Transmembranprotein Amnionless. Der Cobalamin-IF-Komplex dissoziiert in den frühen Endosomen, und IF wird inden Lysosomen abgebaut. Unter Beteiligung der ProteineLMBD1/CblF und ABCD4/CblJ gelangt Cobalamin aus denLysosomen ins Zytoplasma und wird über verschiedeneTransporter (u. a. ABCC1/MRP1) basolateral sezerniert.

Im Blut bildet Cobalamin mit Transcobalamin (Transco-balamin II, TC) den Komplex Holotranscobalamin, der vonden meisten Zellen über den Rezeptor TCblR/CD322 aufge-nommen werden kann. Der Rezeptor ist auf schnell prolife-rierenden Zellen besonders hoch exprimiert. Nur ein kleinerTeil (10–30 %) des Plasmacobalamins ist an Transcobalamingebunden; der überwiegende Teil ist an Haptocorrin gebun-den, das nicht nur im Speichel, sondern auch im Plasmavorkommt. Der Cobalamin-Haptocorrin-Complex wird überden Asialoglykoproteinrezeptor in die Leberzellen aufge-nommen. Seine Funktion ist unklar; Haptocorrindefizienz istasymptomatisch, trotz verringerter Gesamtcobalamin-Plasma-spiegel. Möglich erscheint eine Funktion bei der Akkumulation

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Vitamin B12 2465

V

von Cobalamin in der Leber zur Speicherung, außerdem bei derBeseitigung von biologisch inaktiven Corrinoidderivaten.

Das als Komplex mit Transcobalamin durch rezeptorver-mittelte Endozytose in periphere Zellen aufgenommeneCobalamin wird durch Proteolyse des Transcobalamins inden Lysosomen freigesetzt und über den gleichen Mechanis-mus wie in den Enterozyten (Beteiligung von LMBD1/CblFund ABCD4/CblJ) ins Zytoplasma transportiert. Dort besei-tigt das Enzym CblC (MMACHC, „methylmalonic aciduriatype C and homocysteinuria“) die unterschiedlichen, in dersechsten Bindungsposition vorhandenen Liganden (Methyl-,Adenosyl-, Hydroxy- oder Cyanoxygruppen). Das entstan-dene Co(II)-Cobalamin-Derivat dient als gemeinsamer Vor-läufer für die Synthese der Kofaktoren Methylcobalamin(im Zytoplasma) und 5’-Desoxyadenosylcobalamin (in denMitochondrien). Für die weitere Prozessierung des Vorläufersüber einen unbekannten Mechanismus ist das Protein CblD(MMADHC) sowohl im Zytoplasma als auch in den Mito-chondrien erforderlich.

Im Zytoplasma bindet Co(II)-Cobalamin an die Apo-Methioninsynthase (CblG). Nach Reduktion zur Co(I)-Formdurch die Methioninsynthase-Reduktase (CblE) führt dieÜbertragung einer Methylgruppe von S-Adenosylmethioninzur Bildung des Methylcobalamins. Die Methioninsynthase-Reduktase dient auch der Reaktivierung der Methioninsyn-thase, wenn durch oxidative Schädigung der Kofaktor in dieCo(II)-Form übergegangen ist.

In die Mitochondrien gelangt Co(II)-Cobalamin übereinen unbekannten Transporter und bindet an die Adenosyl-transferase CblB. Zunächst erfolgt eine Reduktion zu Co(I)-Cobalamin (Reaktionspartner unbekannt, in vitro Reduktiondurch Ferredoxin oder Flavodoxin), anschließend wird einAdenosylrest von ATP übertragen. Der entstandene Kofaktor5’-Desoxyadenosylcobalamin wird mithilfe des G-ProteinsMeaB (ClbA) in die Methylmalonyl-CoA-Mutase eingela-gert. MeaB dient auch der Erneuerung des Kofaktors im Fall,dass der Adenosylrest während des Reaktionszyklus aus demaktiven Zentrum verloren gegangen ist.

Der Cobalamin-Gesamtkörperspeicher wird auf 2–5 mg ge-schätzt, davon entfallen ca. 50 % auf die Leber. Die Aus-scheidung erfolgt hauptsächlich biliär. Ca. 75 % des mit derGalle in den Darm gelangten Cobalamins werden durch den IFgebunden und rückresorbiert. Der tägliche Verlust beträgt3–5 mg. Cobalaminwird in der Niere aus dem Primärharn unterBeteiligung von Transcobalamin II und Megalin rückresor-biert. Eine Ausscheidung mit dem Harn erfolgt erst nach Auf-nahme unphysiologisch hoher Dosen. Die Plazenta passiertCobalamin wahrscheinlich unter Beteiligung von Megalin.

Funktion – Pathophysiologie Im menschlichen Stoffwech-sel sind nur 2 Cobalamin-abhängige Enzyme bekannt:

• Die im Zytoplasma lokalisierte Methioninsynthase benötigtMethylcobalamin als Cofaktor und katalysiert die Bildung

von Methionin durch Übertragung einer Methylgruppe vonN5-Methyl-Tetrahydrofolat auf Homocystein (▶Folsäure).Die Reaktion ist wichtig als Teil des Methionin-Zyklus zurBereitstellung von S-Adenosylmethionin als universellenMethylgruppen-Donator. Außerdem erlaubt die Reaktiondie Umwandlung von N5-Methyl-Tetrahydrofolat in andereFolat-Derivate, die für die Nukleotidsynthese benötigt wer-den. Eine Methylierung von Homocystein zu Methionin istauch Vitamin-B12-unabhängig durch die Betain-Homo-cystein-Methyl-Transferase möglich. Dabei liefert das ausdem Cholinabbau stammende Betain die Methylgruppe,sodass kein N5-Methyl-Tetrahydrofolat umgesetzt wird.

• Die in den Mitochondrien lokalisierte Methylmalonyl-CoA-Mutase benötigt 5’-Desoxyadenosylcobalamin als Cofaktorund katalysiert die Umlagerung von L-Methylmalonyl-CoAzu Succinyl-CoA (s. folgende Abbildung). Diese Reaktion istv. a. wichtig beim Abbau ungeradzahliger Fettsäuren undbestimmter Aminosäuren. Als letztes Produkt der vollständi-gen b-Oxidation ungeradzahliger Fettsäuren entsteht einMolekül Propionyl-CoA. Dieses wird zu D-Methylmalonyl-CoA carboxyliert. Nach Isomerisierung zu L-Methylmalonyl-CoA erfolgt die Umlagerung zu Succinyl-CoA, das in denCitratzyklus eingespeist wird. Propionyl-Co entsteht auchbeim Abbau von Isoleucin, Valin, Threonin und Methioninsowie der Nukleobase Thymin und der Seitenkette des Cho-lesterins.

Die Abbildung zeigt die Stellung der Vitamin-B12-abhän-gigen Methylmalonyl-CoA-Mutase im Stoffwechsel:

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2466 Vitamin B12

Vitamin-B12-Mangel manifestiert sich als makrozytäre,hyperchrome Anämie und ist hämatologisch nicht von einemFolatmangel zu unterscheiden. Bei einem Vitamin-B12-Mangel zeigen sich jedoch zusätzlich neurologische Symp-tome, die als funikuläre Myelose mit dem Auftreten vonEntmarkungsherden im Rückenmark einhergehen können.Als Ursache der makrozytären Anämie gilt ein funktionellerFolatmangel aufgrund verminderter Aktivität der Methionin-synthase. Die resultierende eingeschränkte Nukleotidsyntheseverursacht eine Reifestörung aller blutbildenden Zelllinien desKnochenmarks. Megaloblasten sind ein Kennzeichen dieserReifestörung, die zu einer ineffektiven Erythropoese verbun-den mit intramedullärem Zelluntergang führt. Zusätzlich zuranfänglichen Retikulozytopenie und Auftreten hypersegmen-tierter Granulozyten zeigt das Blutbild bei fortschreitenderErkrankung eine Granulozytopenie und Thrombopenie. DieErythrozyten zeigen eine erhöhte Rigidität der Zellmembran,die eine deutliche (um bis zu 50 %) Verkürzung der Lebens-dauer dieser Erythrozyten zur Folge hat. Sowohl die ineffektiveErythropoese als auch die vermehrte Hämolyse führen zu einerZunahme der Hämolyseparameter ▶Bilirubin und LDH(▶Laktatdehydrogenase).

Die Ätiologie der Neuropathie ist unklar. Diskutiert wer-den 3 Mechanismen, die zu einer Veränderung der Myelin-scheiden führen

• Durch den Mangel an S-Adenosylmethionin ist die Phos-phatidylcholinsynthese vermindert und damit die Lipidzu-sammensetzung der Myelinscheiden verändert.

• Akkumulierende Propionyl-CoA und Methylmalonyl-CoA werden durch die Fettsäuresynthase (zusätzlich zuden regulären Substraten Acetyl-CoA und Malonyl-CoA)umgesetzt, sodass vermehrt ungeradzahlige bzw. methyl-verzweigte Fettsäuren entstehen, die ebenfalls zu einerVeränderung der Lipidzusammensetzung der Myelin-scheiden führen.

• Mangel an S-Adenosylmethionin vermindert die reguläreMethylierung des basischen Myelinproteins an Arginin.

Vitamin-B12-Mangel resultiert u. a. aus unzureichenderAufnahme mit der Nahrung (Vegetarier, Veganer, Alkoholi-ker), geringer Freisetzung von proteingebundenem VitaminB12 (z. B. bei verminderter Magensäureproduktion durchAntazida) und Störung der Resorption (z. B. durch Zerstörungder Intrinsic-Faktor-produzierenden Belegzellen durch Auto-immunreaktion bei perniziöser Anämie). Vegane Ernährungwährend der Schwangerschaft und der Stillzeit kann zu teilsirreversiblen neurologischen Schäden des Kindes führen, ins-besondere bei Ersatz von Kuhmilch durch Sojamilch. DieTagesempfehlungen für die Vitamin-B12-Aufnahme liegenbei 3 mg für Erwachsene, 3,5 mg für Schwangere, 4 mg für

Stillende und 0,4 mg für Säuglinge unter 4 Monate. Neben-wirkungen aufgrund einer Überdosierung sind nicht bekannt.

Ein Vitamin-B12-Mangelzustand aufgrund einer veränder-ten Ernährung entwickelt sich sehr langsam, da 75 % des mitder Galle ausgeschiedenen Cobalamin an Intrinsic Faktorgebunden rückresorbiert wird. Bei intakter Synthese desIntrinsic Factors reichen die Cobalamin-Reserven der Leberbis zu 2 Jahre.

Abklärung eines Vitamin-B12Mangels.Vitamin B12 liegtim Blut an den Proteinen Haptocorrin und Transcobalamingebunden vor. Nur das an Transcobalamin gebundene VitaminB12 (Holotranscobalamin) steht für die 2 Vitamin-B12-abhän-gigen Reaktionen im Menschen zur Verfügung. Assays zurBeurteilung des Vitamin-B12-Status erfassen entweder dieGesamt-Vitamin-B12-Menge im Blut (an Haptocorrin- und anTranscobalamin gebundenes Vitamin B12) oder ausschließlichdas Holotranscobalamin. Durch die Bestimmung der Substrate(▶Methylmalonsäure und ▶Homocystein) der Vitamin-B12-abhängigen Enzyme kann eine Aussage darüber gemacht wer-den, ob diese Reaktionen ausreichend ablaufen.

Untersuchungsmaterial – Probenstabilität Gesamt-Vit-amin B12: Serum und Plasma. Stabilität bei Raumtemperatur72 Stunden, bei 4 �C 7 Tage, bei –20 �C >12 Monate.

Holotranscobalamin: Serum und Plasma. Stabilität beiRaumtemperatur 1 Tag, bei 2–8 �C 28 Tage, bei –20 �C>16 Monate.

Methylmalonsäure: Serum; ▶Methylmalonsäure.Homocystein: NaF-Plasma; ▶Homocystein.

Präanalytik Nüchtern, Absetzen der Vitamin-B12-Medi-kation am Vortag. Anti-Intrinsic-Faktor-Antikörper könnenzu falsch hohen Werten bei der Anwendung der kompetitivenProteinbindungsassays führen.

Analytik Gesamt-Vitamin B12: Die direkte Bestimmungvon Vitamin B12 erfolgt im Serum oder Heparin-Plasma mitmikrobiologischen oder mit kompetitiven Radioligandenas-says (immunometrische Assays) wie auch kompetitiven Pro-teinbindungsassays, z. B. unter Anwendung unterschiedlicherChemilumineszenztechnologien (CMIA, ECLIA). Hierbeikonkurrieren Vitamin B12 in der Patientenprobe mit markier-tem Vitamin B12 um eine begrenzte Menge an gereinigtemIntrinsic Faktor. Chemilumineszenzassays haben inzwischendie Radioassays weitgehend abgelöst.

Holotranscobalamin: ELISA, Radio- und Chemilumines-zenzimmunoassays.

Methylmalonsäure: GC-MS, LC-MS/MS; ▶Methylma-lonsäure, ▶Massenspektrometrie.

Homocystein: Immunoassay, LC-MS/MS, ▶Homocys-tein.

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Vitamin B12 2467

Referenzbereich – Erwachsene Vitamin B12 (kompetitiverImmunoassay mit direkter Chemilumineszenz): 211–911 ng/L(156–672 pmol/L).

Holotranscobalamin: Serum 36–129 pmol/L (RIA).Methylmalonsäure: Serum/Plasma 53–376 nmol/L ▶Me-

thylmalonsäure.Homocystein: ▶Homocystein.

Referenzbereich – Kinder Dargestellte Werte (Hicks et al.1993) für Kinder und Jugendliche wurden mit RIA ermittelt.Aktuelle mit ECLIA ermittelte Werte aus der KIGGS-Studiestehen weitgehend im Einklang.

Alter (Jahre)

Weiblich

Männlich

ng/L

ng/L

<1

228–1515 293–1210

2–3

414–1210 264–1215

4–6

313–1410 245–1075

7–9

247–1175 271–1170

10–12

196–1020 183–1090

13–18

182–820 214–864

Referenzwerte für Holotranscobalamin für Kinder sindnicht bekannt; für ▶Methylmalonsäure und ▶Homocysteins. dort.

V

Indikation

• Lang anhaltende Mangel- und Fehlernährung durch strengvegetarische Ernährung oder durch Malabsorption infolgegastrischer Ursachen (Mangel an Intrinsic Faktor, totalebzw. partielle Gastrektomie, Hypochlorhydrie, Achlorhy-drie, Pankreasinsuffizienz, Erkrankungen im Endabschnittdes Ileum (Resektion, Sprue, Morbus Crohn, Zollinger-Ellison-Syndrom, Imerslund-Gräsbeck-Syndrom)

• Chronischer Alkoholmissbrauch• Behandlung mit Antazida (verminderte Freisetzung von

proteingebundenem Vitamin B12), Metformin (verringerteDarmmotilität)

• Makrozytäre Störungen, perniziöse Anämie (Biermer-Anämie)

• Megaloblastäre (makrozytäre) Anämie• Neurologische und psychiatrische Störungen (funikuläre

Myelose)• Hyperhomocysteinämie• Bakterielle Fehlbesiedlung des Darms (Blind-loop-Syn-

drom)• Wurminfektion (Fischbandwurm Diphyllobothrium latum)

Interpretation Die Beurteilung des Vitamin-B12-Statusbeinhaltet Veränderungen des Blutbilds, Gesamt-Vitamin

B12 im Serum oder Plasma, Holotranscobalamin im Serumoder Plasma, Methylmalonsäure im Serum oder Urin undHomocystein im Plasma.

Blutbild: MCV-Erhöhung, hypersegmentierte Granulo-zyten und eine makrozytäre Anämie sind sensitive, jedochnicht spezifische Blutbildmarker für das Vorliegen einesVitamin-B12-Mangels.

Gesamt-Vitamin B12: Werte unter 200 ng/L (148 pmol/L)werden als Vitamin-B12-Mangel bewertet. Werte über300 ng/L (221 pmol/L) schließen in der Regel einen Vitamin-B12-Mangel aus. Liegt der Wert zwischen 200–300 ng/Lerfolgt die weitere Abklärung durch Bestimmung der Methyl-malonsäure im Serum. Bei Gesamt-Vitamin-B12-Werten grö-ßer als 650 ng/L und entsprechender Klinik sollte eine dia-gnostische Abklärung einer Lebererkrankung und einerhämatologischen Erkrankung erfolgen.

Holotranscobalamin: Werte unter 35 pmol/L werden alsVitamin-B12-Mangel oder Depletion interpretiert. Werte über50 pmol/L sprechen für eine gute Versorgung mit Vitamin B12.Bei Werten zwischen 35–50 pmol/L wird die anschließen-de Methylmalonsäurebestimmung im Serum empfohlen.Dies ist auch zu beachten bei Patienten mit einer Nieren-funktionsstörung, da Holotranscobalamin bei Nieren-insuffizienz ansteigt.

Methylmalonat: Werte unter 271 nmol/L machen das Vor-liegen eines funktionellen Vitamin B12 unwahrscheinlich.Werte über 271 nmol/L sind mit einem funktionellen Vitamin-B12-Mangel vereinbar. Methylmalonsäure ist bei Patientenmit Nierenfunktionsstörungen erhöht, daher sollte bei erhöh-ten Methylmalonsäurewerten die Nierenfunktion überprüftwerden. Für diese Patienten sollte der Methylmalonsäurewert2 Wochen nach Substitutionsbeginn kontrolliert werden. Beiausreichender Versorgung kann davon ausgegangen werden,dass der Wert sich innerhalb dieser kurzen Frist normalisiert.

Homocystein:Werte unter 12 mmol/Lmachen das Vorliegeneines Vitamin-B12-Mangels unwahrscheinlich. Die Interpreta-tion eines hohen Homocysteinwerts als Surrogate-Marker fürdie Versorgung mit Vitamin B12 ist nur bei Kenntnis derNierenfunktion, Folsäure und Vitamin-B6-Status möglich, daHomocystein auch bei nicht ausreichender Versorgung mitgenannten Vitaminen nicht zu Methionin abgebaut wird undakkumuliert.

Bei der Abklärung einer makrozytären Anämie erfolgtzusätzlich die Bestimmung der Folatkonzentration, da häma-tologisch ein Folatmangel nicht von einem Vitamin-B12-Mangel unterschieden werden kann. Bei Folatmangel fehltaber meist die für einen Vitamin-B12-Mangel typische Neu-ropathie.

Vor allem bei Kindern sollten seltene genetische Formendes Vitamin-B12-Mangels in Erwägung gezogen werden,z. B. das Imerslund-Gräsbeck-Syndrom, bei dem aufgrund

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2468 Vitamin-B12-Resorptionstest

einer Mutation des Cubilin- oder Amnionless-Gens keinfunktioneller IF-Rezeptor gebildet wird.

Diagnostische Wertigkeit Die Bestimmung des Gesamt-Vitamin B12 ist meistverbreitet. Sie besitzt eine limitierteSensitivität und Spezifität für die Identifizierung einesVitamin-B12-Mangels. Gesamt-Vitamin B12 umfasst Holo-haptocorrin und Holotrancobalamin. Holotranscobalaminhat eine Halbwertszeit von 60–90 Minuten. Holohaptocorrinist mit einer Halbwertszeit von mehreren Tagen wenigerVeränderungen unterworfen. In Patienten mit Symptomeneines Vitamin-B12-Mangels kann das Gesamt-Vitamin B12

im Referenzbereich liegen, und ein niedriger Gesamt-Vitamin-B12-Wert ist nicht gleichzusetzen mit einemVitamin-B12-Mangel. Denn in bis zu 50 % der Patienten miteinem niedrigen Gesamt-Vitamin B12 zeigen sich MCV,Methyl-malonsäure und Homocystein im Referenzbereich. ÄhnlicheLimitierungen besitzt auch die Holotranscobalaminbestimmung.Die Gesamt-Vitamin-B12- und die Holotranscobalaminbestim-mung haben eine ähnliche diagnostische Aussagekraft alsFirst-line-Bestimmung in der Beurteilung des Vitamin-B12-Sta-tus. Jedoch ist die Gesamt-Vitamin-B12-Bestimmung aufgrundder niedrigeren Kosten meistverbreitet.

Beide Bestimmungen besitzen einen Graubereich, der eineweitere Abklärung durch Hinzunahme weiterer Tests notwen-dig macht. Hier spielt Methylmalonsäure als Second-line-Bestimmung eine wesentliche, Homocystein eine untergeord-nete Rolle. Beide Algorithmen (Gesamt-Vitamin B12 undMethylmalonsäure oder Holotranscobalamin und Methylma-lonat) besitzen eine ähnliche diagnostische Aussagekraft.

In den meisten klinischen Fällen reicht die Einzelbestim-mung von Gesamt-Vitamin B12 oder Holotranscobalaminoder die Zweierkombination mit Methylmalonsäure aus, umeine ausreichende Beurteilung des Vitamin-B12-Status zuerreichen.

Dreierkombinationen besitzen eine höhere Aussagekraft,wobei die kombinierte Bestimmung von Gesamt-VitaminB12, Holotranscobalamin und Methylmalonsäure die höchsteAussagekraft besitzt. Auch in der Dreierkombination spieltHomocystein eine untergeordnete Rolle.

Literatur

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Vitamin-B12-Resorptionstest

H. Jomaa

Synonym(e) Schilling-Test

Englischer Begriff vitamin B12 absorption (Schilling) test

Definition Verfahren zum Nachweis einer gestörten Auf-nahme als Ursache eines ▶Vitamin B12-Mangels und zurIdentifizierung von Patienten mit Vitamin-B12-Mangel, dievon einer oralen Vitamin-B12-Therapie profitieren können.

Durchführung Um die Vitamin-B12-Aufnahme zu überprü-fen, wurden verschiedene Verfahren beschrieben. Allen istgemeinsam, dass nach Gabe einer definierten Vitamin-B12-Menge spezifische Veränderungen im Blut oder im Uringemessen werden.

Schilling-Test: Dieses Verfahren von historischem Inte-resse beruht auf der Gabe von radioaktiv markiertem VitaminB12 mit anschließender Bestimmung der Radioaktivität imStuhl, Urin oder Blut. Die Bestimmung der Radioaktivitätim 24-Stunden-Sammelurin war meistverbreitet. 2 Stundennach oraler Gabe einer 57Co- bzw. 58Co-Vitamin-B12-Kapselmit einer Aktivität von etwa 20 kBq erfolgte die intramusku-läre Injektion einer hohen Dosis von 1 mg Vitamin B12

(Cobalamin) als Ausschwemmdosis. Die ausgeschiedeneRadioaktivität im 24-Stunden-Sammelurin wurde bestimmt.Bei verminderter Aktivitätsausscheidung wurde der Test zurDifferenzierung zwischen enteraler Aufnahmestörung undIntrinsic-Faktor-Mangel wiederholt, wobei zusätzlich zumradioaktiv markierten Vitamin B12 Intrinsic Faktor oral ver-abreicht wurde.

Cobasorb: Dieser Test beruht auf der Messung der Verän-derung der Konzentration des Holotranscobalamins imSerum/Plasma einen Tag nach oraler Gabe von insgesamt27 mg Vitamin B12:

• Tag 0: Holotranscobalaminbasisbestimmung im postpran-dialen Zustand

• Tag 1 und 2: dreimalige Einnahme von 9 mg Vitamin B12

alle 6 Stunden• Tag 3: Holotranscobalabinbestimmung

Funktion – Pathophysiologie Siehe ▶Vitamin B12.

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Vitamin C 2469

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen 24-Stunden-Sammelurin ohne Zusatz (Schilling-Test), Serum,EDTA-Plasma (Cobasorb).

Präanalytik Schilling-Test: Nüchtern, Absetzen der Vita-min-B12-Medikamente 10 Tage vor dem Test.

Analytik Messung der Radioaktivität (57Co = g-Strahler;58Co = b- und g-Strahler) im Sammelurin mit prozentualerAngabe des Verhältnisses von im Urin ausgeschiedener Akti-vität zu oral verabreichter Dosis (Schilling-Test). Holotrans-cobalaminbestimmung mit EIA (Cobasorb).

V

Referenzbereich – Erwachsene Schilling-Test: Radioakti-vitätsausscheidung >7 % der verabreichten Dosis.

Cobasorb: Holotranscobalaminanstieg nach Vitamin-B12-Einnahme absolut um >10 pmol/L und relativer Anstiegum 22 %.

Referenzbereich – Kinder Siehe Erwachsene.

Indikation

• Vitamin-B12-Mangel• Unterscheidung zwischen Intrinsic-Faktor-Mangel und

intestinaler Malabsorption• Entscheidung über die Therapie mit Vitamin B12 (orale

vs. parenterale Substitution)

Interpretation Schilling-Test: Eine verminderte Radioaktivi-tätsausscheidung nach alleiniger Gabe des Radiopharmakonsweist auf eine Aufnahmestörung hin. Ein Intrinsic-Faktor-Mangel als Ursache lässt sich bestätigen oder ausschließendurch die Wiederholung des Tests, wobei markiertes VitaminB12 und Intrinsic Faktor gleichzeitig dem Patienten verabreichtwerden. Bei Patienten mit einem Intrinsic-Faktor-Mangel nor-malisiert sich danach die Radioaktivitätsausscheidung.

Cobasorb: Ziel dieses Tests ist die Auswahl der Patienten,die im Rahmen der Therapie eines Vitamin-B12-Mangels voneiner oralen Formulierung profitieren könnten. Ein Anstiegdes Holotranscobalaminwerts am Tag 3 des Tests um wenigerals 22 % zeigt eine beeinträchtigte enterale Absorption. DiesePatienten sollten parenteral mit Vitamin B12 behandelt wer-den. Bei Patienten mit einem Anstieg größer 22 % ist aucheine orale Vitamin-B12-Substitution effektiv.

Diagnostische Wertigkeit Bedingt durch Fortschritte in derDiagnostik (z. B. Bestimmung der Autoantikörper gegenIntrinsic Faktor und gegen Parietalzellen bei Verdacht aufPerniziosa) als auch durch die Weiterentwicklung der Thera-pie (parenterale und orale Hochdosis-Vitamin-B12-Zuberei-tungen) spielen Vitamin-B12-Resorptionstests kaum eineRolle im klinischen Alltag.

Literatur

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Vitamin B13

▶Vitaminoide

Vitamin B15

▶Vitaminoide

Vitamin Bc

▶ Folsäure

Vitamin C

H. Jomaa

Synonym(e) Ascorbinsäure; L-(+)-Ascorbinsäure; 3-Oxo-L-Gulonsäure-g-Lacton; (5R)-5-[(1S)-1,2-Dihydroxyethyl]-3,4-dihydroxy-5-hydrofuran-2-on; E 300

Englischer Begriff vitamin C; ascorbic acid

Definition Wasserlösliches Vitamin, das hauptsächlich mitpflanzlichen Nahrungsmitteln aufgenommen wird. Wirkt alsunspezifisches Antioxidans und Radikalfänger, zusätzlich alsessenzieller Kofaktor von Enzymen bei der Synthese vonNoradrenalin, Adrenalin, mehreren Peptidhormonen, Kolla-gen und Carnitin sowie beim Abbau des Tyrosins. Weiterhinbeteiligt an Systemen zur O2-abhängigen Genregulation undepigenetischen Modifikation des Chromatins. AusgeprägterMangel führt aufgrund gestörter Kollagensynthese zu Skor-but (bei Kindern auch bezeichnet als Moeller-Barlow-Krankheit).

Molmasse 176,12 g/mol (Ascorbinsäure).

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Ascorbin-säure entstammt dem Glukosestoffwechsel und kann von denmeisten Tieren, nicht jedoch durch den menschlichen Orga-nismus, synthetisiert werden. Aufgrund der sauren Endiol-

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2470 Vitamin C

struktur (pK = 4,2) liegt Ascorbinsäure bei physiologischempH-Wert hauptsächlich als Ascorbatanion vor (s. Abbildung).

Die Abbildung zeigt Struktur und Reaktionen der Ascor-binsäure (aus: Heinrich et al. 2014):

Als physiologisches Reduktionsmittel geht Ascorbinsäuredurch schrittweise Abgabe zweier Elektronen über das As-corbylradikal in die oxidierte Form Dehydroascorbinsäure(DHA) über.

Vitamin C ist in den meisten Lebensmitteln enthalten.Hohe Konzentrationen finden sich in pflanzlichen Produkten,insbesondere in Hagebutten, Johannisbeeren, Sanddornbee-ren, Kiwis, Paprika, Broccoli, Kohl, Spinat und Zitrusfrüch-ten. Aufgrund der Oxidationsempfindlichkeit und Wasserlös-lichkeit können bei der Lagerung und Zubereitung erheblicheVerluste auftreten. In Lebensmittelen ist neben Ascorbinsäureauch Dehydroascorbinsäure enthalten, die volle Vitaminwirk-samkeit besitzt.

Die intestinale Resorptionsrate von Ascorbinsäure beträgtbei einer Dosis von 200 mg ca. 80 %, bei 1000 mg nur nochca. 50 %. Ebenso nimmt die Reabsorptionsrate in der Nierebei hohen Dosen ab. Die Gewebekonzentration von Ascor-binsäure ist in verschiedenen Organen unterschiedlich (Ne-benniere: 550 mg/kg; Gehirn: 140 mg/kg; Leber: 125 mg/kg;Skelettmuskel: 35 mg/kg). Die Ausscheidung erfolgt renal alsAscorbinsäure, Dehydroascorbinsäure, Oxalsäure und andereMetaboliten.

Die Mechanismen der Resorption und Verteilung sindnicht vollständig bekannt. Beteiligt sind die Zwei-Natrium-

Ascorbat-Kotransporter SVCT1 und SVCT2, kodiert durchdie Gene SLC23A1 und SLC23A2. SVCT1 kommt auf Epi-thelzellen (u. a. in der apikalen Membran der Enterozyten)vor; SVCT2 zeigt weniger ausgeprägte Gewebespezifität.Dehydroascorbinsäure passiert Zellmembranen durch er-leichterte Diffusion über Glukosetransporter (GLUT).

Funktion – Pathophysiologie Ascorbinsäure besitzt unspe-zifische antioxidative Eigenschaften und wirkt als Radikal-fänger. Außerdem ist Ascorbinsäure an verschiedenen en-zymkatalysierten Reaktionen als Kofaktor beteiligt.

In der Nahrung enthaltene Ascorbinsäure verhindert dieOxidation von Fe2+ zu Fe3+ und verbessert dadurch die Eisen-resorption im Duodenum. Bei nicht enzymatischen Reaktio-nen mit verschiedenen Radikalen wird Ascorbat in das relativreaktionsträge Ascorbyl-Radikal umgewandelt (s. Abbil-dung). Das Ascorbylradikal wird enzymatisch zur Dehydro-ascorbinsäure reduziert. Außerdem können 2 Moleküle desAscorbylradikals zu Ascorbat und Dehydroascorbinsäure dis-proportionieren. Dehydroascorbinsäure wird durch verschie-dene biologische Redoxsysteme zu Ascorbat regeneriert.

Vitamin-C-abhängige Enzyme umfassen 3 Gruppen vonOxygenasen:

1. Cu2+-haltige Monooxygenasen, die ein Atom eines O2-Moleküls in das Produkt einbauen und das andere durchstöchiometrischen Umsatz von Ascorbinsäure zu H2Oreduzieren. Vertreter sind die Dopamin-b-Hydroxylase(Synthese von Noradrenalin und Adrenalin) und die Pep-tidylglycin-a-hydroxylierende Monooxygenase (Erzeugungder C-terminalenAmidgruppe der Peptidhormone Corticotro-pin-releasing-Hormon,Wachstumshormon-releasing-Hormon,Thyreotropin-releasing-Hormon,Oxytocin, antidiuretischesHormon,a- und g-Melanotropin, Gastrin-releasing-Peptid,Gastrin, Cholecystokinin, Calcitonin u. a.).

2. Fe2+-haltige Dioxygenasen, die beide Atome eines O2-Moleküls in das Produkt einbauen. Ascorbinsäure ist nichtdirekt am Reaktionsmechanismus beteiligt, sondern verhin-dert durch Rückreduktion von Fe3+ zu Fe2+ eine oxidativeInaktivierung des Enzyms. Vertreter sind die am Tyrosinab-bau beteiligten Enzyme 4-Hydroxy-Phenylpyruvate-Dioxy-genase und Homogentisinsäure-1,2-Dioxygenase.

3. Fe2+-haltige Dioxygenasen, die a-Ketoglutarat als Co-substrat benötigen. Ein Atom eines O2-Moleküls wird indas Produkt eingebaut, das andere wird durch Umsatz desa-Ketoglutarats in Succinat und CO2 verbraucht. Ascor-binsäure dient ebenfalls dazu, Fe2+ im reduzierten Zustandzu halten. Vertreter sind die an der Kollagensynthese betei-ligte Prolyl-4-Hydroxylase, Prolyl-3-Hydroxylase und Ly-sylhydroxylase; außerdem die an der Carnitinsynthesebeteiligte N-Trimethyl-L-Lysin-Hydroxylase und g-Buty-robetain-Hydroxylase. Die HIF-Prolylhydroxylase (HPH)hydroxyliert O2-abhängig die a-Untereinheit des Hypo-xie-induzierten Faktors (HIF) und ist damit an der

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Vitamin D 2471

V

O2-abhängigen Genregulation beteiligt. „Ten-eleventranslocation“-(TET-)Methylcytosin- Dioxygenasen sindbeteiligt am Austausch von 5-Methylcytosin gegen Cyto-sin in der DNA; Dioxygenasen mit einer Jumonji-C-(JmjC-)Domäne dienen der Demethylierung von Lysin-und Argininresten in Histonen. Damit spielt VitaminC eine Rolle bei epigenetischen Modifikationen des Chro-matins.

Vitamin-C-Mangel wird beobachtet bei ausgeprägt einsei-tiger Ernährung, Alkoholismus, schwerer Malabsorption,Tumorkachexie sowie bei Dialysepatienten und Kindern, diemit abgekochter Kuhmilch ernährt werden. Unterversorgungist mit gegen andere Ursachen schwer abzugrenzenden Symp-tomen verbunden wie Müdigkeit, Appetitverlust, erhöhteKörpertemperatur und erhöhte Infektbereitschaft.

Skorbut als Krankheitsbild eines massiven Mangels tritt inEinzelfällen (Anorexia nervosa, soziale Isolation) auch in denentwickelten Ländern auf. Symptome sind Gingivitis, perifol-likuläre Hämorrhagie, petechiale Blutungen, Blutungen imBereich der Gelenke, gestörte Wundheilung und Ecchymo-sen. Als frühe Zeichen gelten Gelenkveränderungen mit Be-wegungseinschränkungen. Ätiologisch ist v. a. die gestörteKollagensynthese von Bedeutung.

Polymorphismen des SLC23A1-Gens können zu ernied-rigten Vitamin-C-Spiegeln in Blut und Gewebe bei erhöhterrenaler Ausscheidung führen. SLC23A2-Genpolymorphis-men haben wenig Einfluss auf die Plasmaspiegel, könnenaber durch erniedrigte Gewebespiegel das Krankheitsrisikoerhöhen.

Die empfohlene Tageszufuhr liegt bei 20 mg für Säuglingeunter 1 Jahr, 110 mg für erwachsene Männer, 95 mg fürerwachsene Frauen, 105 mg für Schwangere und 125 mg fürStillende. Vor der Einnahme von >1 g/Tag wird wegen derprinzipiellen Gefahr der Bildung von Calciumoxalatsteinengewarnt.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Plasma,Serum, 24-Stunden-Sammelurin.

Präanalytik Die Haltbarkeit von Vitamin C in nicht stabili-sierten Proben bei 4 �C beträgt maximal 3 Stunden. Dahersollte die Entnahme mit Röhrchen, die einen Stabilisatorenthalten, vorgenommen werden, oder die Zugabe des Stabi-lisators (z. B. Metaphosphorsäure) sollte kurz nach der Ent-nahme erfolgen. Im Serum und im Plasma, bei�20 �C bis zu3 Wochen. Versand von Proben nur tiefgefroren.

Analytik Neben fotometrischen Bestimmungsmethoden ste-hen HPLC mit UV-, elektrochemischer oder massenspektro-metrischer Detektion.

Referenzbereich – Erwachsene Gesamt-Vitamin C (As-corbinsäure + Dehydroascorbinsäure) im Plasma: 4–15 mg/L

(23–85 mmol/L). Vitaminmangel bei Konzentrationen <2 mg/L(11 mmol/L). Urinausscheidung von Ascorbinsäure (Erwach-sene): 8–27 mg/24 Stunden.

Referenzbereich – Kinder Nicht verfügbar.

Indikation Fehl- und Mangelernährung, parenterale Ernäh-rung, Präskorbut, Skorbut, Moeller-Barlow-Krankheit, Hä-modialyse.

Interpretation Plasma- oder Serumspiegel von Ascorbin-säure unter 2 mg/L sind als manifeste Mangelsituation zu inter-pretieren, Spiegel von 2–3 mg/L als latente Mangelsituation.Spiegel über 3 mg/L sind akzeptabel, bei optimaler Vitamin-zufuhr werden Vitamin-C-Konzentrationen von 4–15 mg/Lgefunden.

Diagnostische Wertigkeit Die Konzentration von VitaminC im Plasma/Serum zeigt eine Abhängigkeit von der Zufuhr.Die Konzentration im Urin hat eine eingeschränkte Aussage-kraft zum Versorgungsstatus, da die renale Elimination nichtlinear verläuft.

Literatur

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McCormick DB, Klee GG (2001) Tietz fundamentals of clinical chemis-try, 5. Aufl. WB Saunders, Philadelphia

Vitamin D

H. Jomaa

Synonym(e) Calciol (Vitamin D3); Cholecalciferol (VitaminD3); Colecalciferol (Vitamin D3); Ergocalciferol (Vitamin D2)

Englischer Begriff ergocalciferol; cholecalciferol; colecal-ciferol; calciol

Definition Vitamin D ist ein fettlösliches Vitamin. Physio-logisch wichtig ist Vitamin D3 (Cholecalciferol), das mit tieri-

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2472 Vitamin D

schen Lebensmitteln aufgenommen und bei ausreichender Son-nenexposition im Menschen auch de novo synthetisiert wird.Cholecalciferol wird in der Leber in 25-Hydroxycholecalciferolund anschließend in der Niere in die aktive Form 1,25-Dihydroxycholecalciferol umgewandelt. Hauptfunktion ist dieRegulation des Calciumhaushalts und des Knochenwachstums.Mangel führt bei Kindern zu Rachitis und bei Erwachsenen zuOsteomalazie. Vitamin D2 (Ergocalciferol) spielt v. a. als tech-nisch hergestelltes Supplement eine Rolle.

Molmasse Cholecalciferol 384,64 g/mol, Ergocalciferol396,65 g/mol.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Unter demBegriff Vitamin D werden die Substanzen mit ähnlichenphysiologischen Wirkungen Ergocalciferol (Vitamin D2) undCholecalciferol (Vitamin D3) zusammengefasst. Beide Sub-stanzen sind Secosteroide, d. h. Steroide, deren B-Ring aufge-brochen ist (s. Abbildung).

Synthese von 1,25-Dihydroxycholecalciferol aus 7-De-hydrocholesterin (aus: Heinrich et al. 2014):

Ergocalciferol und Cholecalciferol entstehen unter Einwir-kung von UV-Strahlung aus Ergosterin bzw. 7-Dehydro-cholesterin. Ergocalciferol unterscheidet sich vom Cholecalcife-rol durch eine zusätzliche Doppelbindung und Methylgruppe inder Seitenkette.

Da Ergosterol hauptsächlich als Bestandteil der pilzlichenZellmembran vorkommt, sind Pilze, die UV-Strahlung aus-gesetzt waren (z. B. sonnengetrocknete Shiitake), die einzigerelevante natürliche Ergocalciferol-Quelle. Technisch wirdErgocalciferol als Nahrungssupplement durch UV-Bestrah-lung von Ergosterin aus Hefen gewonnen.

Unter der Voraussetzung ausreichender Sonnenexpositionkann Cholecalciferol im menschlichen Organismus syntheti-siert werden. Die Klassifikation als Vitamin ist daher nurbedingt berechtigt. In der Zellmembran eingelagertes 7-De-hydrocholesterin (Provitamin D3, ein Zwischenprodukt derCholesterin-de-novo-Synthese) wird im Stratum basale undspinosum der Haut durch UV-Strahlung (UVB: 290–315 nm)zu Prävitamin D gespalten, das sich durch thermische Isome-risierung zu Cholecalciferol umlagert. Fortgesetzte UV-Ein-strahlung führt zu weiteren, biologisch inerten Spaltproduk-ten, sodass maximal 10–15 % des 7-Dehydrocholesterins zuPrävitamin D umgesetzt werden. Cholecalciferol gelangt alsKomplex mit dem Vitamin-D-Bindeprotein (DBP) in dieZirkulation. Peak-Level treten 24–48 Stunden nach UV-Exposition auf bei einer Plasmahalbwertszeit von 36–78Stunden. Durch Einlagerung in das Fettgewebe beträgt dieGesamtkörperhalbwertszeit ca. 2 Monate.

Alimentär wird Cholecalciferol mit allen tierischen Pro-dukten aufgenommen. Allerdings enthalten nur wenigeLebensmittel (fetter Fisch, Schrimps) hohe Konzentrationen.Cholecalciferol wird im Ileum aufgenommen (Resorptions-rate 62–91%) und in Chylomikronen eingelagert. Ein Teil desCholecalciferols wird an DBP übergeben, ein anderer Teilwird mit den Chylomikronenrestkörpern durch Endozytosein Hepatozyten aufgenommen.

Der aktive Metabolit 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Sy-nonyme: 1a,25-Dihydroxycholecalciferol; 1,25-Dihydroxy-vitamin D3; 1,25(OH)2D3; Calcitriol; Vitamin-D-Hormon)wird in 2 Schritten durch Hydroxylierung von Cholecalciferolan Position 25 und 1 gebildet (s. Abbildung).

Die Hydroxylierung von Cholecalciferol zu 25-Hydroxy-cholecalciferol (Synonyme: 25-Hydroxyvitamin D; 25(OH)D3; Calcidiol) erfolgt in der Leber durch die mikrosomaleCytochrom-P450-Monooxygenase CYP2R1. Die in vitronachweisbaren Vitamin-D-25-Hydroxylase-Aktivitäten wei-terer CYPs sind wahrscheinlich nicht physiologisch relevant;die als erste Vitamin-D-25-Hydroxylase klonierte mitochon-driale CYP27A1 ist evtl. an der Metabolisierung syntheti-scher Vitamin-D-Analoga beteiligt. 25-Hydroxycholecalcife-rol zirkuliert im Blut als Komplex mit DBP.

Die Hydroxylierung von 25-Hydroxycholecalciferol zu1,25-Dihydroxycholecalciferol findet hauptsächlich in der

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Vitamin D 2473

V

Niere statt. Der 25-Hydroxycholecalciferol-DBP-Komplexwird glomerulär filtriert und im proximalen Tubulus, vermit-telt durch den Megalin-Cubilin-Rezeptorkomplex, endozy-tiert. Nach lysosomaler Degradation des DBP gelangt ein Teildes 25-Hydroxycholecalciferols unmodifiziert über die Baso-lateralmembran der Tubuluszellen zurück in das Blut.Ein anderer Teil wird in den Mitochondrien durch CYP27B1(1a-Hydroxylase) in 1,25-Dihydroxycholecalciferol umge-wandelt, das ebenfalls basolateral ins Blut abgegeben wird.1,25-Dihydroxycholecalciferol bindet im Blut ebenso wie dieanderen Vitamin-D-Metaboliten an DBP.

Praktisch die Gesamtmenge des zirkulierenden 1,25-Dihydroxycholecalciferols stammt aus der Niere und entfaltetseine Wirkung an verschiedenen peripheren Geweben (en-dokrine Wirkung). Zusätzlich können CYP27B1-exprimie-rende Zellen in peripheren Geweben 25-Hydroxycholecalci-ferol in 1,25-Dihydroxycholecalciferol umwandeln, dasdirekt auf die Produzentenzellen oder benachbarte Zellenwirkt (autokrine und parakrine Wirkung).

Die meisten physiologischen Wirkungen von VitaminD werden durch Aktivierung spezifischer Gene vermittelt.In den Zielzellen bindet 1,25-Dihydroxycholecalciferol anden nukleären Vitamin-D-Rezeptor (VDR), der als Heterodi-mer mit dem Retinsäure-X-Rezeptor (RXR) an ein spezifi-sches Sequenzelement im Promotorbereich der jeweiligenGene bindet. Auch sind sog. nicht genomische Effekte durchBindung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol an denmembran-assoziierten Rezeptor 1,25D3-MARRs beschrieben.

Für die Inaktivierung und Ausscheidung von Vitamin D istdie mitochondriale CYP24A1 (24-Hydroxylase) notwendig.CYP24A1 hydroxyliert sowohl 25-Hydroxycholecalciferol(in den Nierentubuluszellen) als auch 1,25-Dihydroxychole-calciferol (in den Vitamin-D-sensitiven Zielzellen) in Position24. Weitere ebenfalls durch CYP24A1 katalysierte Oxida-tionsschritte führen u. a. zur Calcitronsäure, die mit der Galleausgeschieden wird.

Funktion – Pathophysiologie 1,25-Dihydroxycholecalcife-rol ist an der Regulation von über 1000 Genen beteiligt.Entsprechend vielfältig sind die Wirkungen. Als wichtigsteFunktionen gelten die Regulation des Calciumhaushalts unddes Knochenwachstums. Eine Erhöhung des Calciumspiegelswird erreicht durch Steigerung der

1. intestinalen Calciumabsorption,2. renalen Calciumreabsorption und3. Calciummobilisierung aus dem Knochen.

Zu 1: Die intestinale Calciumaufnahme findet im gesamtenDarm statt; am besten untersucht ist der Mechanismus imDuodenum. Calcium passiert die Apikalmembran der Ente-rozyten über den Calciumkanal TRPV6, bindet im Zyto-plasma an Calbindin-D9k und wird basolateral durch die

Calcium-ATPase PMCA1b sezerniert. Diese Proteine werdendurch 1,25-Dihydroxycholecalciferol induziert. Außerdemwird die Synthese mehrerer Proteine, die mit einem parazel-lulären Calciumtransport in Verbindung gebracht werden,durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol reguliert.

Zu 2: Aufgrund der Bindung an Plasmaproteine werdennur ca. 60 % des Blutcalciums renal filtriert; davon gelangen1–2% in den Endharn. Ca. 65 % des renal filtrierten Calciumswerden im proximalen Tubulus Vitamin-D-unabhängig pas-siv reabsorbiert. Die Reabsorption im distalen Tubulus erfolgtdurch einen aktiven transzellulären Mechanismus, der durch1,25-Dihydroxycholecalciferol und Parathormon (PTH) sti-muliert wird. Die Apikalmembran der distalen Tubuluszellenpassiert Calcium über den Calciumkanal TRPV5 und bindetim Zytoplasma an Calbindin-D9k und Calbindin-D28k. Baso-lateral wird Calcium durch die Calcium-ATPase PMCA1bund den Natrium-Calcium-Austauscher NCX1 sezerniert.

Zu 3: Im Fall einer negativen Calciumbilanz fördert 1,25-Dihydroxycholecalciferol die Osteoklasten-vermittelte Kalzi-umfreisetzung aus dem Knochen. Für die Entstehung vonOsteoklasten ist ein direkter Zellkontakt zwischen Osteoblas-ten und Osteoklastenvorläuferzellen erforderlich. 1,25-Dihy-droxycholecalciferol induziert die Expression von RANKLauf der Zelloberfläche der Osteoblasten. Bindung vonRANKL an RANK auf der Oberfläche der Osteoklastenvor-läuferzellen stimuliert die Osteoklastendifferenzierung und-aktivierung. Die Mechanismen, die bei einer positivenCalciumbilanz zur Knochenbildung beitragen, sind unvoll-ständig verstanden. In Osteoblasten induziert 1,25-Dihy-droxycholecalciferol verschiedene Proteine, die an derKalzifizierung und dem Aufbau der Knochenmatrixbeteiligt sind.

Die Kontrolle der 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Plasma-konzentration ist Bestandteil verschiedener Regelkreise desCalcium- und Phosphathaushalts. Schlüsselenzyme sindCYP27B1 (Umwandlung von 25-Hydroxycholecalciferol in1,25-Dihydroxycholecalciferol) und CYP24A1 (Inaktivie-rung von 25-Hydroxycholecalciferol und 1,25-Dihydroxy-cholecalciferol). Reprimiert wird CYP27B1 durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol (direkte Rückkopplung), außerdemdurch Anstieg der Calciumkonzentration im Plasma und denFibroblastenwachstumsfaktor FGF23. Die Bildung vonFGF23 (Syntheseort: Knochen; Hauptwirkung: Hemmungder Phosphatrückresorption in der Niere) wird durch 1,25-Dihydroxycholecalciferol stimuliert. Induziert wird CYP27B1durch Parathormon (Ausschüttung in der Nebenschilddrüse beiAbfall der Calciumkonzentration im Plasma). Die CYP24A1-Expression wird reziprok reguliert.

Als sog. nicht klassische Aktivitäten von Vitamin Dbeschrieben sind u. a. Wirkungen auf die Zelldifferenzierung,das kardiovaskuläre System, die Muskelfunktion und dasImmunsystem. In myeloiden und epithelialen Zellen induziert1,25-Dihydroxycholecalciferol das antimikrobielle Peptid

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2474 Vitamin D

Cathelicidin (hCAP18/LL-37). Die klinische Relevanz dieserAktivitäten ist unklar.

Aufgrund geringer Sonnenexposition und der üblichenVerzehrgewohnheiten ist davon auszugehen, dass eine Vita-min-D-Unterversorgung in Deutschland besonders in denWintermonaten weit verbreitet ist. Zu den besonderen Risi-kogruppen zählen Schwangere, Neugeborene, Kleinkinder,Übergewichtige, alte Menschen, Menschen mit dunkler Haut-farbe, Vegetarier und Menschen in stationärer Behandlung.Vitamin-D-Mangel äußert sich bei Kindern als Rachitis, beiErwachsenen als Osteomalazie.

Eine Hypervitaminose durch Fehlernährung oder Sonnen-einstrahlung ist unbekannt, kann aber bei Überdosierung vonVitamin-D-Präparaten vorkommen. Toxische Effekte sind beiDosierungen von 500–1000 mg/Tag über einen längeren Zeit-raum bei Erwachsenen und über 150 mg/Tag bei Kindernbeschrieben und äußern sich in Hyperkalzämie, Übelkeit,Erbrechen, Anorexie, Kopfschmerzen, Durchfall, Lähmungs-erscheinungen, Nervosität, Nephrokalzinose, Polyurie undOsteoporose.

Die Vitamin-D-Zufuhr wird in mg angegeben, alternativ inInternationalen Einheiten (1 mg = 40 IE). Als angemesseneVitamin-D-Versorgung gelten 10 mg/Tag für Säuglinge unter1 Jahr und 20 mg/Tag für alle anderen Altersgruppen,Schwangere und Stillende. Nicht überschritten werden sollten150 mg/Tag.

Für die Supplementierung wird in Europa v. a. Cholecalci-ferol (Vitamin D3) und in den USA Ergocalciferol (VitaminD2) verwendet. Bei SupplementierungsempfehlungenwerdenVitamin D3 und D2 meist als gleichwertig betrachtet. DieVergleichbarkeit der beiden Formen hinsichtlich Bio-verfügbarkeit und Wirksamkeit ist wissenschaftlich nicht ab-schließend geklärt. Für vegane Ernährung ist aus Flechtengewonnenes Vitamin D3 verfügbar.

Genmutationen können Ursachen eines funktionellenVitamin-D-Mangels sein. Mutationen des CYP27B1-Gens(1a-Hydroxylase) führen zur Vitamin-D-abhängigen RachitisTyp I mit Hypokalzämie, sekundärem Hyperparathyreo-idismus, erhöhter alkalischer Phosphatase und sehr niedrigem1,25-Dihydroxycholecalciferol. Mutationen des VDR-Gens(Vitamin-D-Rezeptor) führen zur Vitamin-D-resistentenRachitis Typ II mit normalen bis deutlich erhöhten Vitamin-D-Serumwerten.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serumoder Plasma.

Präanalytik Nüchternblutentnahme, Stabilität bei Raum-temperatur und bei 4 �C gegeben. Zur längeren Aufbewah-rung tiefgefrieren bei –20 �C.

Analytik Der Versorgungsstatus durch Zufuhr von VitaminD mit der Nahrung als auch durch die endogene Bildung in

der Haut lässt sich durch die Bestimmung der Konzentrationvon 25-Hydroxy-Vitamin D abbilden. Die Bestimmung von1,25-Dihydroxy-Vitamin D erfasst Metabolisierungsstörun-gen im Vitamin-D-Stoffwechsel, am ehesten in Patientenmit einer chronischen Nierenerkrankung.

Die gleichzeitige Erfassung der D2- und D3-Formen derhydroxylierten Metabolite wird empfohlen. Es stehen ver-schiedene kommerzielle RIA, EIA, die GC und die HPLCzur Verfügung. Eine Differenzierung in D2 und D3-Formen istam ehesten mit der MS/MS-Detektion möglich.

Referenzbereich – Erwachsene Die Versorgung mit Vita-min D ist stark abhängig von der endogenen Synthese in derHaut. Ergebnisse von Vitamin-D-Bestimmungen zeigen signi-fikante Einflüsse von Migrationshintergrund (Hautfarbe) undder Jahreszeit (UV-Licht-Angebot). Bei den Referenzberei-chen für Calcidiol wird daher zwischen Sommer- und Winter-halbjahr unterschieden. Bei den Angaben zum Calcitriol isteine Altersabhängigkeit bekannt.

25-Hydroxy-Vitamin D (Calcidiol):

• Sommer: 20–120 mg/L (50–300 nmol/L)• Winter: 10–50 mg/L (25–125 nmol/L)

1,25-Dihydroxy-Vitamin D (Calcitriol):

• Erwachsene: 30–80 ng/L (75–200 pmol/L)• Ältere Erwachsene: 25–60 ng/L (63–125 pmol/L)• Schwangere: 40–130 ng/L (100–325 pmol/L)

Referenzbereich – Kinder 1,25-Dihydroxy-Vitamin D(Cal-citriol): 40–100 ng/L (100–250 pmol/L).

Indikation 25-Hydroxy-Vitamin D (Calcidiol):

• Verdacht auf Vitamin-D-Mangel (ernährungsbedingterVitamin-D-Mangel, z. B. bei besonderen Ernährungsge-wohnheiten (Veganer), geringe Sonnenexposition, längerestationäre Behandlung)

• Verminderte intestinale Aufnahme bei Fettmalabsorption,biliärer Zirrhose, exokriner Pankreasinsuffizienz, zysti-scher Fibrose, Zöliakie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa,nach bariatrischer Chirurgie

• Erhöhter Stoffwechsel von Vitamin D durch Medikamente(z. B. Antikonvulsiva) und bei primärem Hyperpara-thyreoidismus

• Erhöhter Verlust an Vitamin D (nephrotisches Syndrom,Peritonealdialyse)

• Abklärung einer Hypokalziämie, Hypophosphatämie, Hy-pokalziurie, erhöhten alkalischen Phosphatase oder eineserhöhten PTH

• Verminderter Knochenmineralgehalt

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Vitamin-D-Epimere 2475

• Behandlung mit Medikamenten, für die eine Interaktionmit der Aufnahme, Synthese und Ausscheidung vonVitamin D bekannt ist (Antiepileptika, Glukokortikoide,HIV-/AIDS-Medikamente, Antimykotika, Cholestyramin,Orlistat, Heparine)

• Lebererkrankungen (eingeschränkte 25-Hydroxylierung)• Verdacht auf Vitamin-D-Überdosierung

1,25-Dihydroxy-Vitamin D (Calcitriol):

• Nierenerkrankungen (eingeschränkte 1-Hydroxylierungund Verlust über die Niere)

• Abklärung von Hyperkalziämien• Therapiekontrolle nach Vitamin(-Metabolit)-Substitution• Abklärung von Hyperkalziurien• Abklärung von Hypokalziämien, z. B. bei Vitamin-D-

abhängiger Rachitis und Differenzierung von RachitisTyp I und Typ II

• Abklärung von Hypo- und Hyperphosphatämien• Granulomatöse Erkrankungen, z. B. Sarkoidose• Lymphome

Interpretation 25-Hydroxy-Vitamin-D-Werte <10 nmol/Lwerden als schwerer, 10–25 nmol/L als mittelschwerer und25–50 nmol/L als leichter Mangel angesehen. VerschiedeneStudien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Plasmawert von75 nmol/l und mehr anzustreben ist. Werte >220 nmol/L mitHyperkalziämie werden als Vitamin-D-Intoxikation interpre-tiert.

Diagnostische Wertigkeit Die Bestimmung von 25-Hy-droxy-Vitamin D bildet sehr gut die zur Verfügung stehendenVitamin-D-Reserven ab. 1,25-Dihydroxy-Vitamin D ist einguter Indikator der Metabolisierung im Vitamin-D-Stoff-wechsel.

V

Literatur

Bässler KH, Golly I, LoewD et al (2007) Vitaminlexikon, 4. Aufl. Urbanund Fischer, München

Biesalski HK (2016) Vitamine und Minerale. Thieme, StuttgartChristakos S, Dhawan P, Verstuyf A et al (2016) Vitamin D: metabolism,

molecular mechanism of action, and pleiotropic effects. Physiol Rev96:365–408

Heinrich PC, Müller H, Graeve L (Hrsg) (2014) Löffler G, PetridesPE. Biochemie und Pathobiochemie, 9. Aufl. Springer, Heidelberg

Vitamin D3

▶Vitamin D

Vitamin-D-Bindungsprotein

▶Gc-Globulin

Vitamin-D-Epimere

H. Jomaa

Englischer Begriff vitamin D epimers

Definition Vitamin-D-Epimere sind Stereoisomere, die sichin der Konfiguration in nur einem asymmetrischen Kohlen-stoffatom unterscheiden. Bei der Nomenklatur wird einemdes Epimeren-Paars der Präfix epi- hinzugefügt.

Molmasse C3-epi-25(OH)D3 400,64 g/mol.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination MehrereVitamin-D-Epimere, 3-epi-1,25(OH)2D3, 3-epi-24,25(OH)2D3,3-epi-24,25(OH)2D3-24-glucoronid und 3-epi-25(OH)D3, wur-den bisher nachgewiesen. Die Epimere 3-epi-25(OH)D3 und 25(OH)D3 unterscheiden sich nur in der Konfiguration der Hy-droxylgruppe am C3-Kohlenstoffatom (C-3a- und C-3-b-Hydroxy). Die Herkunft der Vitamin-D-Epimere ist nochnicht geklärt. In-vitro- und In-vivo-Studien bieten Evidenzen,dass Epimere endogen produziert werden. Enzyme, die an derEntstehung beteiligt sind, wurden bisher nicht beschrieben.Vitamin-D-Epimerewerden in allen Altersgruppen nachgewie-sen. C3-epi-25(OH)D-Konzentration zeigt eine positive Kor-relation mit der 25(OH)D3-Konzentration und ein ähnlichessaisonales Verhalten mit einer Zunahme in den Sommermona-ten. Studien zeigen höhere Konzentrationen der C3-Epimereim Neugeborenen als im Serum der Mutter, wobei die Kon-zentration mit einer möglichen Supplementierung der Muttermit Vitamin D während der Schwangerschaft positiv korreliert.Auch hier wird eine endogene Synthese im Neugeborenenangenommen.

Ergebnisse aus Untersuchungen über Epimere-Konzentrati-onen divergieren zum Teil stark, weil in verschiedenen Popula-tionen durchgeführt und weil sich Bestimmungstechnik mitaufkeimenden Interesse an Vitamin-D-Epimeren rapide entwi-ckelt. So wurden in einer ersten Studie das 3-epi-(OH)D3 mitKonzentrationen zwischen 5–92 ng/mL (zwischen 8,7–61,1 %vom Gesamt-25(OH)D) in 22,2 % der untersuchten Säuglingenachgewiesen. Untersuchungen mit Nabelschnurblut zeigen dasVorkommen des C3-epi-25(OH)D3 in allen untersuchten Probenmit einer Konzentration von 5,2 nmol/L (Median) und einemAnteil von 6,6 % am Gesamt-25(OH)D. Die Angaben überC3-Epimere-Nachweise in Erwachsenen schwanken zwischen

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2476 Vitamin E

0–100 % der Teilnehmer. In einer größeren Kohorte wurden bei33,4 % der weißen und 15 % der schwarzen Teilnehmer Anteiledes C3-epi-25(OH)D mit 3,23 % und 2,25 % am Gesamt-25(OH)D bestimmt. Über den Nachweis von Vitamin-D2-Epimeren gibt es diskrepante Berichte.

Funktion – Pathophysiologie Zur Funktion der Epimere,insbesondere zu den C3-Epimeren von 25(OH)D3 und1,25(OH)2D3 gibt es nur wenige Untersuchungen im Zellmodellund imRattenmodell. Dort zeigen die eingesetzten Epimere keinesignifikanten Unterschiede bezüglich der untersuchten biologi-schen Funktionen.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum.

Präanalytik Nüchternblutentnahme. Stabilität bei Raum-temperatur und bei 4 �C gegeben. Zur längeren Aufbewah-rung tiefgefrieren bei �20 �C.

Analytik LC-MS/MS-Verfahren.

Referenzbereich – Erwachsene Nicht verfügbar.

Referenzbereich – Kinder Nicht verfügbar.

Indikation Gegenstand der Forschung.

Diagnostische Wertigkeit Epimer-Paare zeigen zumeistähnliche Verhalten in der Chromatographie. In der Massen-spektrometrie können Epimere aufgrund der gleichen Massenicht unterschieden werden. Auch ergeben sich in der MS/MS-Tandemdetektion keine Unterschiede, da in der Regel gleicheFragmentierungsmuster vorliegen. In Abhängigkeit vom ver-wendeten Antikörper/Bindungsprotein zeigen Epimere in derRegel unterschiedliches Verhalten in den Immunoassays. Sowird 3-epi-25(OH)D3 in 25(OH)-Vitamin-D-Immunoassaysnicht, jedoch in LC-MS/MS-basierten Gesamt-25(OH)D-Bestimmungen zumeist mit erfasst. Mit dem zunehmenden Inte-resse, den Vitamin-D-Status unabhängig von der Konzentrationder Epimere zu bestimmen, wurden LC-MS/MS-Tandemver-fahren etabliert, die eine parallele Bestimmung von 10 Vitamin-D-Analoga erlauben. Mit der fortschreitenden Entwicklung derVerfahren zur Vitamin-D-Epimer-Bestimmung zeigen aktuelleStudien, dass Vitamin-D-Epimere nicht zu einer Fehlbeurteilungdes Vitamin-D-Status führen.

Literatur

Cooke et al (2016) 25-Hydroxyvitamin D C3-epimer is universallypresent in neonatal Western Australian samples but is unlikely tocontribute to diagnostic misclassification. Ann Clin Biochem53(5):593–598

Karras SN, Kotsa K, Angeloudi E, Zebekakis P, Naughton DP(2017) The road not so travelled: should measurement of vitaminD epimers during pregnancy affect our clinical decisions? Nutrients9:90

Lutsey PL, Eckfeldt JH, Ogagarue ER, Folsom AR, Michos ED, GrossM (2015) The 25-hydroxyvitamin D C-3 epimer: distribution, corre-lates, and reclassification of 25-hydroxyvitamin D status in thepopulation-based Atherosclerosis Risk in Communities Study(ARIC). Clin Chim Acta 442:75–81

Vitamin E

H. Jomaa

Synonym(e) Tocopherol

Englischer Begriff vitamin E

Definition Vitamin E ist ein Oberbegriff für eine antioxida-tive Gruppe von Tocochromanolen, die mehrfach ungesät-tigte Fettsäuren in den Zellmembranen gegen die Lipidpe-roxidation schützen.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination VitaminE wird nur von Pflanzen und anderen photosynthetischenOrganismen produziert. Es umfasst 4 Tocopherole (a, b, g, d)und 4 Tocotrienole (a, b, g, d). Tocopherole bestehen auseinem Hydroxychromankern, an dem eine gesättigte Phytyl-kette aus 16 Kohlenstoffatomen fixiert ist. Die Tocopheroleunterscheiden sich durch die Anzahl und die Position der amHydroxychromankern gebundenenMethylgruppen. Da 3 Koh-lenstoffe der Phytylkette asymmetrisch sind, gibt es jeweils8 Stereoisomere eines Tocopherols. Die wichtigste und häu-figste in der Natur vorkommende Form ist RRR-a-Tocopherol(Molmasse 430,71 g). In biologischen Tests zeigt RRR-a-Tocopherol die höchste „Vitamin-E-Wirkung“, b- und g-Toco-pherol eine geringere Vitaminaktivität (15–30 %), undd-Tocopherol ist fast inaktiv. Die 4 Tocotrienole sind charak-terisiert durch 3 in der Seitenkette vorhandene Doppelbindun-gen. Nur a- und b-Tocotrienol scheinen eine signifikante Vi-taminaktivität aufzuweisen.

Vitamin E liegt in der Nahrung frei vor als Tocol undTocotrienol oder verestert, z. B. mit Essigsäure. VitaminE ist eine lipophile Verbindung, die leicht löslich ist in Fettenund Ölen sowie in organischen Lösungsmitteln und unlöslichin Wasser. Die Vitamin-E-Ester werden im Duodenum durchPankreashydrolasen hydrolysiert.

Wie bei anderen lipophilen Verbindungen beinhaltet dieVitamin-E-Aufnahme im proximalen Dünndarm eine Emulgie-rung und Einbau in Mizellen. Eine effiziente Vitamin-E-

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Vitamin E 2477

V

Aufnahme erfordert die Anwesenheit von Fett in der Nahrung,Gallensäuren und Pankreasesterasen. Nach Transport durch dieapikale Membran in die Enterozyten erfolgt der Einbau inChylomikronen und die Abgabe in die Lymphe. Im extrahepa-tischen Gewebe wird ein Teil des Vitamin E aus den Chylomi-kronen aufgenommen; der verbliebene Rest wird in die Lebertransportiert. Die Bioverfügbarkeit von Vitamin E aus der Nah-rung beträgt etwa 75 %.

Derzeit wird nur RRR-a-Tocopherol als das physiologischaktive Vitamin E angesehen.

90–99 % des Gesamt-Vitamin-E-Pools ist im Fettgewebeenthalten, wobei die Vitamin-E-Mobilisationsrate aus demFettgewebe sehr niedrig ist. Ein Teil des Vitamin E liegt anAfamin gebunden im Plasma vor.

Von den Vitamin-E-Derivaten erreicht RRR-a-Tocopheroldie höchsten Konzentrationen im peripheren Gewebe. Grundhierfür ist die hohe Affinität des RRR-a-Tocopherol zuma-Tocopherol-Transferprotein in den Hepatozyten und damitder bevorzugte Einbau in VLDL. Vitamin-E-Derivate mitniedrigerer Affinität zum a-Tocopherol-Transferprotein, dienicht in die VLDL eingebaut werden, werden in den Leber-zellen durch o-Hydroxylierung, gefolgt von b-Oxidation undKonjugation abgebaut und in die Galle abgegeben. Es wurdenverschiedene Metaboliten von Tocopherolen und Tocotrien-olen identifiziert. a-Tocopherol wird abgebaut zu 2,5,7,8-Tetramethyl-2-(20-carboxyethyl)-6-hydroxychroman(a-CEHC). Die Ausscheidung der Metaboliten erfolgt haupt-sächlich fäkal.

In dieMuttermilchwerden 4–5mgVitaminE (a-Tocopherol)abgegeben.

Funktion – Pathophysiologie Vitamin E ist ein wichtigerBestandteil Teil des antioxidativen Netzwerks. Es verhindertals lipidlösliches, unspezifisches, kettenbrechendes Anti-oxidans die Ausbreitung von Reaktionen mit freien Radika-len. Das Vitamin ist ein Peroxylradikalfänger und schütztinsbesondere mehrfach ungesättigte Fettsäuren in der Zell-membran. Werden Peroxylradikale gebildet, reagieren diese1000-mal schneller mit a-Tocopherol als mit ungesättigtenFettsäuren. Durch den Schutz von ungesättigten Fettsäurenbewahrt a-Tocopherol die intrazelluläre und zelluläre Mem-branintegrität und -stabilität. Es spielt zum Beispiel einewichtige Rolle bei der Stabilisierung von Erythrozyten undder Leitfähigkeit in zentralen und peripheren Nerven. Entfälltdieser Schutz bei Mangel-Patienten, dann entstehen hämoly-tische Anämien und neurologische Störungen (Ataxie, peri-phere Neuropathie, Myopathie).

Es bestehenWechselwirkungen zwischen den Antioxidan-zien a-Tocopherol und ▶Vitamin C; Vitamin C kann dieoxidierte Form von a-Tocopherol reduzieren. Auch ▶ Selenund ▶Niacin sind über die Glutathionperoxidaseaktivität ander Reduktion des Tocopheroxylradikals zurück zu Tocophe-rol beteiligt.

Die sichere Höchstmenge für die a-Tocopherolaufnahmewird für Erwachsene mit 300 mg/Tag angegeben. Dieser Wertgilt auch für schwangere und stillende Frauen.

Zwischen Tocopherolchinon und Phyllochinonhydrochi-non wurde eine kompetitive Hemmung für die Vitamin-K-abhängige g-Carboxylase beschrieben. Diese Carboxylase istfür die g-Carboxylierung der▶Gerinnungsfaktoren FaktorenII, VII, IX und X und von ▶ Protein C und ▶ Protein Serforderlich. Daher wird angenommen, dass die Einnahmevon Vitamin E in hohen Dosen zu Gerinnungsstörungenführen kann.

Ein Vitamin-E-Mangel bei Menschen ist selten. Patientenmit Mutationen im a-Tocopherol-Transferprotein-Gen habensehr niedrige a-Tocopherolkonzentrationen und entwickelnneurologische Symptome einschließlich Ataxie.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum,Heparin-Plasma.

Präanalytik Blutentnahme morgens nüchtern. Lichtge-schützt lagern. Längere Lagerung sollte bei �20 �C erfolgen.

Analytik Der Vitamin-E-Haushalt wird über die Bestim-mung der a-Tocopherolkonzentration untersucht. Hierfür ste-hen kolorimetrischeMethoden und GC-, HPLC- und LC-MS-basierte Methoden zur Verfügung.

Referenzbereich – Erwachsene 5,5–18 mg/L.

Referenzbereich – Kinder Frühgeborene 2,5–3,7 mg/L,Kinder (1–12 Jahre) 3–9 mg/L, Jugendliche (13–19 Jahre)6–10 mg/L.

Indikation Hämolytische Anämie unklarer Genese insbe-sondere bei Früh- und Neugeborenen, Malabsorptionssyn-drom.

Interpretation Serum- oder Plasmakonzentrationen kleinerals 5 mg/L (11,6 mmol/L) bei Erwachsenen deuten auf eineVitaminmangel hin.

Diagnostische Wertigkeit Nüchtern-Plasma- oder Serum-a-Tocopherolkonzentrationen eignen sich, um den a-Tocopherol-status zu bestimmen.

Literatur

EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition andAllergies) (2015) Scientific opinion on dietary reference values forvitamin E as a-tocopherol. EFSA J 13(7):4149

Rifai et al (2018) Tietz textbook of clinical chemistry and moleculardiagnostics, 6. Aufl. Elsevier, St. Louis

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2478 Vitamin F

Vitamin F

▶Vitaminoide

Vitamin G

▶Vitamin B2

Vitamin H

▶Biotin

Vitamin K

H. Jomaa

Synonym(e) Antihämorrhagisches Vitamin; Koagulations-vitamin; Vitamin K1 (Phytomenadion, Phyllochinon); Vita-min K2 (Menachinon); Vitamin K3 (Menadion)

Englischer Begriff vitamin K

Definition Vitamin K umfasst fettlösliche Verbindungen derGrundstruktur 2-Methyl-1,4-Naphthochinon, die an der Syn-these von Proteinen der Blutgerinnung, Knochenmineralisie-rung undmöglicherweise der Kontrolle derWeichgewebever-kalkung beteiligt sind.

Molmasse Phyllochinon: 450,7 g; MK-4 (s. unten): 444,7 g;MK-7 (s. unten): 648,9 g.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination NatürlichesVitamin K aus der Nahrung umfasst Phyllochinon (VitaminK1) und die Menachinone (Vitamin K2). Menadion (VitaminK3) wird synthetisch hergestellt. Vitamin-K-Verbindungenunterscheiden sich in der Seitenkette am C3 des 2-Methyl-1,4-Naphthochinonkerns. In Europa erfolgt die Vitamin-K-Bedarfsdeckung über die Nahrung überwiegend mit VitaminK1.

Vitamin K1 (Phyllochinon) enthält eine Phytylgruppe amC3 und wird in Pflanzen gebildet. Es kommt hauptsächlich ingrünen Blattgemüsen (z. B. Spinat und Salat) und Kohl vor.

Vitamin K2 (Menachinone) ist eine Gruppe von Verbin-dungen mit unterschiedlich langen Seitenketten am C3,bestehend aus 4–13 Isoprenyleinheiten (MK4 bis MK13).

Das MenachinonMK4 wird imMenschen bakterienunabhän-gig aus Phyllochinon in der Darmschleimhaut und anderenOrganen hergestellt. Die Mehrheit der Menachinone wirdjedoch von Bakterien der humanen Darmflora hergestellt.Bei gestillten Säuglingen kommt es erst mit dem Entwöhnenzu einer fortschreitenden Kolonisierung des Darms mitMenachinon-produzierenden Bakterien. Zur Resorptionsquo-te der von der Darmflora hergestellten Menachinone gibt eskeine belastbaren Daten. Wie Vitamin K1 wird auch VitaminK2 über die Nahrung aufgenommen; wichtigste Quellen sindtierische Produkte wie Fleisch, Käse und Ei.

Vitamin K3 (Menadion), das unsubstituierte 2-Methyl-1,4-Naphthochinon, ist eine wasserlösliche synthetische Form. Eswurde für die Behandlung eines Vitamin-K-Mangels zugelas-sen, wird aber aufgrund eines ungünstigen Nebenwirkungs-profils (hämolytische Anämie, Lebertoxizität etc.) nicht mehrbeim Menschen eingesetzt.

Die Vitamine K1 und K2 werden als lipophile Verbindun-gen in Gegenwart von Nahrungsfetten, Gallensalzen undPankreaslipasen im Jejunum resorbiert. Nach Bildung vonMizellen und Aufnahme in die Enterozyten erfolgt der Einbauin die Chylomikronen, die mit der Lymphe über den Ductusthoracicus in die Blutbahn gelangen. Das wasserlösliche Vita-min K3 wird über die Darmschleimhaut resorbiert und gelangtdirekt in die Blutbahn.

Vitamin K1 wird im Blut vor allem durch triglyceridreicheLipoproteine transportiert (etwa 75–90 % des Phyllochinonsim Plasma), Vitamin K2 auch durch andere Lipoproteine. DieAnreicherung der Vitamine K1 und K2 erfolgt vor allem in derLeber und zum Teil in Knochen und anderen Geweben. DieGröße des Körperpools von Vitamin K ist nicht bekannt. Beieinem Vitamin-K1-Körperpool von etwa 0,55 mg/kg Körper-gewicht bei gesunden Erwachsenen gibt es keine Anzeicheneines Vitamin-K-Mangels. Vitamin K1 und K2 werden in derLeber zu den gleichen Metaboliten abgebaut und über dieGalle und den Urin ausgeschieden.

Vitamin K1 wird diaplazentar transportiert. Die Blutkon-zentration beim reifen Neugeborenen ist etwa halb so hochwie bei der Mutter. Die Konzentration in der Muttermilch beiFrauen ohne Supplementierung liegt zwischen 1,2–9,2 mg/L.

Funktion – Pathophysiologie Vitamin K (sowohl VitaminK1 als auch Vitamin K2) wirkt als Kofaktor bei der posttrans-lationalen g-Carboxylierung verschiedener Vitamin-K-ab-hängiger Proteine. Hierbei werden Glutaminsäurereste zug-Carboxyglutaminsäureresten carboxyliert. Diese Reaktionfindet statt unter Beteiligung einer mikrosomalen Carboxy-lase, einer Vitamin-K-Epoxid-Reduktase und einer Chinon-Reduktase. Die modifizierten Proteine sind in der Lage, Cal-cium zu binden. Zu den Proteinen, die Vitamin-K-abhängigmodifiziert werden, zählen die ▶Gerinnungsfaktoren II, VII(▶Gerinnungsfaktor VII), IX (▶Gerinnungsfaktor IX) undX (▶Gerinnungsfaktor X) (s. jeweils dort) sowie▶Protein C,

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Vitamin K 2479

V

▶ Protein S und ▶Osteocalcin. Sie sind an der Blutgerin-nung, Knochenmineralisierung und möglicherweise der Kon-trolle der Weichgewebeverkalkung beteiligt. Die aktuelleDatenlage zeigt für die g-Carboxylierung, dass MenchinonMK-7 eine 2,5-fach höhere Bioaktivität im Vergleich zuVitamin K1 besitzt. Die g-carboxylierten Gerinnungsfaktorenwerden über Ca2+-Ionen an Phospholipidoberflächen gebun-den und aktiviert. Osteocalcin ist eines der am häufigsten vor-kommenden nicht kollagenen Proteine im Knochen und ist ander Knochenmineralisierung beteiligt. 1,25-(OH)2-VitaminD (▶Vitamin D) reguliert die Expression von Osteocalcin.Andere Proteine wie das Matrix-g-Carboxyglutaminsäure-Protein und das Growth-Arrest-Specific-Protein 6 werden inder glatten Gefäßmuskulatur synthetisiert und sind vermutlichan der Hemmung der Weichteilkalzifizierung beteiligt. Säug-linge mit Vitamin-K-Epoxid-Reduktase-Mutationen könnenschwere Blutungen und/oder Skelettdefekte zeigen.

Während der g-Glutamylcarboxylierung Vitamin-K-ab-hängiger Proteine wird die reduzierte aktive Form vonVitamin K (Hydrochinon) in die oxidierte Form (Vitamin-K-Epoxid) umgewandelt, die anschließend durch die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase wieder zu Hydrochinon reduziert wird.Dieser Redoxzyklus, genannt Vitamin-K-Zyklus, findet inverschiedenen Geweben statt, insbesondere in der Leber undim Knochen. Die Vitamin-K-Epoxid-Reduktase kann durch▶Cumarine blockiert werden, worauf deren Antikoagula-tionsaktivität beruht. Steht Vitamin K in unzureichenderMen-ge zur Verfügung, so werden unwirksame untercarboxylierteVorstufen der Vitamin-K-abhängigen Proteine gebildet. Diesewerden auch als PIVKA („protein induced by vitaminK absence or antagonists“) bezeichnet (s. ▶ Proteine, indu-ziert durch Vitamin-K-Mangel).

Vitamin-K-Mangel bei Erwachsenen ist selten. Gemäß derNationalen Verzehrstudie II liegt die mediane Vitamin-K1-Aufnahme bei 76 mg/Tag. Dies entspricht dem Schätzwertfür eine angemessene Vitamin-K1-Zufuhr für Erwachsene.Der Vitamin-K-Mangel bei Erwachsenen ist mit einem Man-gel an Gerinnungsfaktoren und damit einer Beeinträchtigungder normalen hämostatischen Kontrolle verbunden. Es kannsowohl zu Blutungen als auch zu Thrombosen kommen. DerMangel an Gerinnungsfaktoren führt außerdem zur Abnahmedes Quick-Werts (▶Thromboplastinzeit). Ein Vitamin-K-Mangel findet sich insbesondere bei einer gestörten Lipidauf-nahme bei Darmentzündungen oder Pankreasfunktionsstörun-gen. Vitamin-K-Mangelsymptome finden sich auch nach derEinnahme von Vitamin-K-Antagonisten (z. B. Cumarine).Eine Beeinträchtigung der hämostatischen Kontrolle entwi-ckelt sich bei gesunden Erwachsenen, wenn ein Vitamin-K-Mangel länger als 2–3 Wochen anhält.

Aufgrund des niedrigen Vitamin-K-Gehalts der Mutter-milch sind gestillte Säuglinge anfällig für einen Vitamin-K-Mangel. Die Verabreichung von Vitamin K1 bei Neugebore-nen ist übliche Praxis zur Prävention von Blutungen.

Es wurde keine tolerierbare obere Aufnahmemenge fürVitamin K1 festgelegt.

Vitamin K und ▶Vitamin E (a-Tocopherol) teilen gemein-same Stoffwechselwege und die biliäre Exkretion sowie denTransport über ▶Lipoproteine. Die Aufnahme hoher Vitamin-E-Konzentrationen führt zur Hochregulierung der Abbauwegebeider Vitamine, was zu einem Vitamin-K-Mangel führen kann.Auch wurde eine kompetitive Hemmung zwischen Tocopherol-chinon und dem Phyllochinonhydrochinon für die Vitamin-K-abhängige g-Carboxylase beschrieben. Beide Mechanismenführen zu einer Erhöhung der Blutungsneigung bei der Ein-nahme hoher Vitamin-E-Mengen.

In der Supplementierung finden neben Vitamin K1

(Phyllochinon) auch die Menachinone MK-4 und MK-7zunehmend Anwendung. Eine Empfehlung zur tolerierbarenoberen Aufnahmemenge gibt es hierfür nicht.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Serum.

Präanalytik Vitamin K ist lichtempfindlich. Proben sollenlichtgeschützt transportiert und aufbewahrt werden.

Analytik In der Routine finden HPLC-basierte Verfahrenmit massenspektrometrischer Detektion Anwendung. Es ste-hen verschiedene weitere kolorimetrische, spektrophotome-trische und fluorometrische Methoden zur Verfügung.

Referenzbereich – Erwachsene Vitamin K1: 100–2200 ng/L(0,22–4,88 nmol/L); Vitamin K2 (MK-4) und (MK-7): nichtverfügbar.

Referenzbereich – Kinder Nicht verfügbar.

Indikation Blutungen insbesondere bei niedrigem Quick-wert, akute und chronische gastrointestinale Erkrankungen,parenterale Ernährung sowie längerfristige Antibiotikaan-wendung.

Interpretation Konzentrationen <0,1 nmol/L werden alsVitamin-K1-Mangel eingestuft.

Diagnostische Wertigkeit In Europa ist Vitamin K1 dasVitamin-K-Derivat mit der höchsten Einnahmekonzentrationaus der Nahrung. Vitamin K1 bildet auch den größten Anteilam Vitamin-K-Pool im Menschen und die größte Vitamin-K-Fraktion im Blut. Die Bestimmung der Vitamin-K1-Kon-zentration im Serum hat sich daher in der klinischen Routineetabliert. Die Vitamin-K1-Bestimmung im Serum ist ein Bio-marker für die kürzliche Vitamin-K1-Einnahme. Die Konzen-tration nimmt bei Vitamin-K-Diät ab und mit einer Vitamin-K1-Supplementierung zu. Die Bestimmung der MenachinoneMK-4 und MK-7 dient hauptsächlich der Kontrolle unterSupplementierung. Neben der direkten Messung von Vitamin

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2480 Vitamin K1 (Phytomenadion, Phyllochinon)

K im Serum geben die Bestimmung des Quick-Werts, dieBestimmung der ▶ Prothrombin-Konzentration und des un-tercarboxylierten Prothrombins (PIVKA-Prothrombin) mitimmunologischen Methoden Hinweise auf einen Vitamin-K-Mangel.

Literatur

EFSA NDA Panel (EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition andAllergies), Turck et al (2017) Scientific opinion on the dietary refe-rence values for vitamin K. EFSA J 15(5):4780

Rifai et al (2018) Tietz textbook of clinical chemistry and moleculardiagnostics, 6. Aufl. Elsevier, St. Louis

Vitamin K1 (Phytomenadion,Phyllochinon)

▶Vitamin K

Vitamin K2 (Menachinon)

▶Vitamin K

Vitamin K3 (Menadion)

▶Vitamin K

Vitamin-K-Belastungstest

▶Koller-Test

Vitamin M

▶ Folsäure

Vitamin P

▶Vitaminoide

Vitamin PP

▶Niacin

Vitamin U

▶Vitaminoide

Vitamin-ähnliche Stoffe

▶Vitaminoide

Vitaminantagonisten

▶Antivitamine

Vitamine

H. Jomaa

Englischer Begriff vitamins

Definition Vitamine sind essenzielle organische Stoffe, dieim menschlichen Organismus eine lebenswichtige Funktionbesitzen, aber nicht oder nicht in ausreichender Menge syn-thetisiert werden. Daher sind Menschen auf die exogeneZufuhr von Vitaminen oder deren Vorstufen angewiesen.Unter diese Definition fallen 13 Vitamine, die in wasserlösli-che und fettlösliche Vitamine eingeteilt werden. Zu den fett-löslichen Vitaminen gehören die Vitamine A, D, E und K, zuden wasserlöslichen Vitamin B1, B2, B6, B12, C, Niacin,Panthotensäure, Biotin und Folsäure. Siehe auch unter denEinträgen zu den individuellen Vitaminen.

Literatur

Bässler KH, Golly I, LoewD et al (2002) Vitaminlexikon, 3. Aufl. Urbanund Fischer, München

Vitaminoide

H. Jomaa

Synonym(e) Pseudovitamine; Vitamin-ähnliche Stoffe

Englischer Begriff vitaminoids; vitamin-like substances

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VNTR 2481

Definition Gelegentlich eingesetzter Begriff für irrtümlichals Vitamine klassifizierte Stoffe. Hierzu zählen L-Carnitin,essenzielle Fettsäuren (z. B. Linolsäure), Laetril (VitaminB17), Pagamsäure (Vitamin B15), Orotsäure (Vitamin B13),a-Liponsäure, Methylmethioninsulfoniumchlorid (VitaminU), Ubichinon/Coenyzm Q, Bioflavonoide (Vitamin P) undmyo-Inosit. Diese Stoffe werden mit Ausnahme der essenzi-ellen Fettsäuren im menschlichen Organismus hergestellt undsind damit nicht essenziell.

Literatur

Bässler KH, Golly I, LoewD et al (2002) Vitaminlexikon, 3. Aufl. Urbanund Fischer, München

Vitronectin

H.-D. Haubeck

V

Synonym(e) Complement S-protein; Epibolin

Englischer Begriff vitronectin; serum spreading factor

Definition Vitronectin ist ein wichtiges Zelladhäsionsmole-kül im Blutplasma, das darüber hinaus auch an der Regulationdes Komplement- und Gerinnungssystems beteiligt ist.

Beschreibung Das multifunktionale Glykoprotein Vitronec-tin, mit einer Molmasse von 75 kDa, wird hauptsächlich vonHepatozyten synthetisiert und ins Blut abgegeben. Die Plas-makonzentration von Vitronectin beträgt 200–400 mg/mL.Vitronectin, das ursprünglich als „serum spreading factor“beschrieben wurde, ist ein Zelladhäsionsmolekül, das übereine Arg-Gly-Asp-(RGD-)Sequenz die Integrin-Rezeptoren(u. a. avb3-Integrin; s. ▶ Integrine) zahlreicher Zellen bindet.

Neben seiner Funktion als Zelladhäsionsmolekül istVitronectin auch für die Regulation der Immunabwehr vonBedeutung. Vitronectin ist mit dem S-Protein des Komple-mentsystems identisch, das den C5b-Komplement-Komplex(▶Komplement) bindet und die Insertion des Membranan-griffskomplexes in unbeteiligte Nachbarzellen verhindert.Vitronectin-C5b-7-Komplexe werden rasch aus der Zirkula-tion entfernt.

Eine weitere wichtige Aufgabe besitzt Vitronectin über dieInteraktion mit Faktoren des Gerinnungssystems in der Kon-trolle von Thrombose und Fibrinolyse. Vitronectin ist einnicht kompetitiver Inhibitor der Inaktivierung von ▶Throm-bin durch ▶Antithrombin-3, möglicherweise über eineScavenger-Funktion für Heparin/Heparansulfat. Die intrava-sale Fibrinolyse wird primär durch den Plasminogenaktivator

t-PA initiiert, durch den Plasmin aus ▶ Plasminogen in einerfibrinspezifischen Weise gebildet wird. Die Kontrolle derPlasminbildung erfolgt durch ▶ Plasminogen-Aktivator-Inhibitor 1 (PAI-1), das einen stabilen inaktiven Komplexmit t-PA bildet. Eine erhöhte PAI-1-Serumkonzentration bil-det dementsprechend einen Risikofaktor für thromboemboli-sche Ereignisse wie den Myokardinfarkt. Umgekehrt korre-liert eine erniedrigte PAI-1 mit einem Blutungsrisiko. PAI-1bindet hochaffin an Vitronectin und wird in diesem Komplexfunktionell stabilisiert. Dementsprechend führt ein erniedrig-tes Vitronectin zu einer erniedrigten PAI-1-Aktivität und viceversa.

Für die Bestimmung der Vitronectinkonzentration imSerum steht ein Enzymimmunoassay zur Verfügung.

Literatur

Eitzman DT, Westrick RJ, Nabel EG et al (2000) Plasminogen activatorinhibitor-1 and vitronectin promote vascular thrombosis in mice.Blood 95:577–580

Preissner KT (1991) Structure and biological role of vitronectin. AnnuRev Cell Biol 7:275–310

Zheng X, Saunders TL, Camper SA et al (1995) Vitronectin is notessential for normal mammalian development and fertility. Proc NatlAcad Sci U S A 92:12426–12430

VLCFA

▶Überlangkettige Fettsäuren

VLDL

▶Very low density lipoprotein

b-VLDL

▶Beta-VLDL

VMA, VMS

▶Katecholamine

VNTR

▶Variable number of tandem repeats (VNTRs)

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2482 Vocabulaire international de métrologie

Vocabulaire international demétrologie

▶ Internationales Wörterbuch der Metrologie

Volhard-Konzentrationsversuch

W. G. Guder

Synonym(e) Durstversuch; Konzentrationsversuch nachVolhard

Englischer Begriff urine specific weight after timed lack offluid intake

Definition Nach dem deutschen Nephrologen Franz Volhard(1872–1950) benannte Messung des spezifischen Gewichtsdes Urins (▶Gewicht, spezifisches des Urins) nach 8–12Stunden, ggf. nach 24 Stunden ohne Flüssigkeitszufuhr.

Durchführung Dem Patienten werden evtl. im Anschlussan einen Wassertrinkversuch am Morgen ab Mittag keineflüssige Kost und Getränke mehr gegeben. Der Harn wirdzweistündig entleert und das spezifische Gewicht und oderdie Osmolalität gemessen.

Funktion – Pathophysiologie Bei ausbleibender Flüssig-keitszufuhr steigt die Konzentration des Urins an.

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Je einePortion nach 2, 4, 6 und 8 Stunden Durst.

Analytik ▶Osmometrie mit ▶Gefrierpunktserniedrigungoder spezifisches Gewicht mit ▶Urometer.

Konventionelle Einheit mosmol/kg (Osmolalität) oderMasse Dichte Urin/Masse Dichte von Wasser ohne Benen-nung (spezifisches Gewicht).

Internationale Einheit mosmol/L (Osmolarität).

Umrechnungsfaktor zw. konv. u. int. Einheit Meist keinUnterschied.

Referenzbereich – Erwachsene Anstieg auf >1,03,>1000 mosmol/kg.

Referenzbereich – Kinder (Wird bei Kindern nicht durch-geführt.)

Indikation Bei Polyurie mit niedriger Osmolalität ohne Dia-betes mellitus zur Abgrenzung von pathologischen Ursachender renalen Konzentrierungsschwäche.

Interpretation Bleibt die Konzentration unter 300 mosmol/kg oder unter 1,01 spezifischem Gewicht, spricht man voneiner Hyposthenurie, die durch renale Defekte der Harnkon-zentrierung im Sammelrohr (Mangel an Vasopressinrezeptoroder seiner Wirksamkeit) oder durch fehlende Freisetzungvon Vasopressin bedingt ist.

Bei Hyposthenurie ist eine inadäquate Vasopressin-(Adi-uretin-)Freisetzung, ein zentraler oder ein renaler Diabetesinsipidus durch Messung von Vasopressin im Plasma zudifferenzieren. Bei Isosthenurie zwischen 1,008 und 1,012liegt eine fehlende Reaktivität der renalen Vasopressinre-zeptoren vor.

Diagnostische Wertigkeit Durch die Osmometrie und kon-tinuierliche Messverfahren wird der Durstversuch nur nochselten durchgeführt.

Literatur

Hallmann L (1980) Klinische Chemie und Mikroskopie, 11. Aufl. GeorgThieme Verlag, Stuttgart

Vollblut

W. G. Guder

Synonym(e) Blut

Englischer Begriff whole blood

Definition Vollblut ist die Summe aus Plasma und Blutzellen.

Beschreibung Blut, das aus dem Kreislauf als arterielles,kapilläres oder venöses Material zur Untersuchung gewonnenwird, stellt das Vollblut dar, das sich rasch durch Gerinnungs-vorgänge zu ▶ Serum und Blutkuchen trennt. Das Vollblutkann als ▶Probe nur durch Zusatz von ▶Antikoagulanzienerhalten werden.

Vollständigkeitskontrolle

O. Colhoun

Englischer Begriff completeness check

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Voltammetrie, zyklische und inverse 2483

Definition Funktion der ▶Labor-EDV zur Sicherstellungder kompletten Abarbeitung eines Laborauftrags vor Rech-nungsstellung.

Beschreibung Vor Generierung einer Rechnung für einenLaborauftrag ist sicherzustellen, dass dieser komplett abgear-beitet wurde, d. h. für jeden angeforderten Parameter einvalides Ergebnis eingetragen wurde.

Voltametrie

T. Arndt

Synonym(e) Polarisationstitration, galvanostatische; Polari-sationsspannungstitration; Polarovoltrie; Titration, voltame-trische

Englischer Begriff voltametry; controlled-current potentio-metric titration

Definition Elektrochemisches Indikationsverfahren vonTitrationsendpunkten, das die Konzentrationsabhängigkeitvon Elektrodenpotenzialen bei konstanter Stromstärke aus-nutzt.

V

Beschreibung In die Probenlösung tauchen mindestenszwei Elektroden von denen wenigstens eine polarisierbar ist.Durch Anlegen einer Spannung fließt ein konstanter Strom inder Probenlösung. Während der ▶Titration ändert sich diePotenzialdifferenz zwischen den Elektroden. VoltametrischeTitrationskurven zeichnen die Potenzialdifferenz gegen dasverbrauchte Volumen an Titrationslösung auf. Der Äquiva-lenzpunkt der Titration wird durch eine sprunghafte Span-nungsänderung angezeigt. Die Methode ist auf solche Umset-zungen anwendbar, an denen wenigstens ein reversiblesIonenpaar beteiligt ist, das an einer Elektrode in einembestimmten Spannungsbereich oxidier- oder reduzierbar ist.Sie wird eingesetzt zu Endpunktbestimmungen bei Fällungs-,Komplexbildungs- und Redoxtitrationen. Im Vergleich zurpotenziometrischen Titration ist der Endpunkt im Allgemei-nen besser zu erkennen. Wichtig ist die Abtrennung zurVoltammetrie (▶Voltammetrie, zyklische und inverse),einem elektrochemischen Analysenverfahren, bei demStrom-Spannungs-Kurven (Voltammogramme) und nichtSpannungs-Volumen-Kurven aufgezeichnet werden.

Die Voltametrie hat im klinisch-chemischen Routinelaborpraktisch keine Bedeutung.

Literatur

Falbe J, RegitzM (Hrsg) (1992) Römpp Chemie Lexikon. Georg ThiemeVerlag, Stuttgart/New York

Latscha HP, Linti GW, Klein HA (2004) Analytische Chemie.Chemie – Basiswissen III. Springer, Heidelberg/New York

Voltammetrie, zyklische und inverse

T. Arndt

Synonym(e) Dreiecksspannungs-Voltammetrie;Gleichstrom-Voltammetrie

Englischer Begriff voltammetry; cyclic voltammetry; strip-ping voltammetry; triangular wave voltammetry

Definition Bezeichnung für ein elektrochemisches Analy-senverfahren, bei dem Strom-Spannungs-Kurven (Voltam-mogramme) zur qualitativen und quantitativen Analyseerzeugt werden.

Beschreibung Bei der Voltammetrie (nicht zu verwechselnmit der▶Voltametrie, einem elektrochemischen Verfahren zurTitrations-Endpunkterkennung) benutzt man eine in die Pro-benlösung eintauchende, polarisierte Elektrode und misst diebei Spannungsänderung gegen eine unpolarisierte Bezugs-elektrode auftretenden Ströme. Die resultierenden Strom-Spannungs-Kurven sind durch eine Stromspitze bei einembestimmten Potenzial geprägt. Diese Spitzenpotenziale sindanalytspezifisch und in Tabellenwerken gesammelt. Der Spit-zenstrom ist wiederum ein quantitatives Maß für die Konzen-tration des sog. Polarisators in der Analysenlösung.

Bei der zyklischen Voltammetrie wird das Potenzial inner-halb weniger Sekunden linear verändert und nach Erreichendes Maximalwertes linear zurück auf den Ausgangspunktgebracht. Trägt man das Potenzial gegen die Zeit auf, ergibtsich eine Dreiecksform, weshalb die Methode auch alsDreieckspannungs-Voltammetrie (nach der IUPAC-Nomen-klatur „[cyclic] triangular wave voltammetry“) bezeichnetwird. Diese Variante der Voltammetrie wird zur Untersuchungder Reversibilität von Reaktionen eingesetzt.

Die Voltammetrie unterscheidet sich von der verwandten▶ Polarographie dadurch, dass die Indikatorelektrode einhängender Quecksilbertropfen, also stationär ist, währendbei der Polarographie der Quecksilbertropfen wirklich tropft(und dadurch die Elektrodenoberfläche regelmäßig erneu-ert wird).

Zu Einzelheiten und den vielfältigen Variationen der Vol-tammetrie s. Lehrbücher der Analytischen Chemie.

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2484 Volumenmessvorrichtungen

Die Voltammetrie hat im klinisch-chemischen Routinela-bor keine Bedeutung. Sie erlaubt jedoch, wie viele elektro-chemische Analyseverfahren, äußerst sensitive und spezifi-sche Analysen von Ionen. Ihr Hauptanwendungsgebiet istdeshalb die Spurenanalytik, z. B. in der Wasser- und Umwelt-chemie. Sie kann hier als ein von der zumeist eingesetztenAtomabsorptions- und Atomemissionspektrometrie unabhän-giges Analyseverfahren für Gegenanalysen (analog zu denBestätigungsanalysen in der Drogenanalytik) herangezogenwerden.

Literatur

Falbe J, RegitzM (Hrsg) (1992) Römpp Chemie Lexikon. Georg ThiemeVerlag, Stuttgart/New York

Latscha HP, Linti GW, Klein HA (2004) Analytische Chemie. Chemie –Basiswissen III. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Volumenmessvorrichtungen

▶Messvorrichtungen, volumetrische

Volumenregulation

▶Wasserhaushalt

Von-Willebrand-Faktor

T. Stief und P. Kiefer

Synonym(e) VWF

Englischer Begriff von Willebrand factor; vWF

Definition Hochmolekulares Adhäsionsprotein, das insbe-sondere die Bindung der Thrombozyten an das Kollagen desSubendothels vermittelt und durch Bindung an den ▶Gerin-nungsfaktor VIII (F8) dessen vorzeitigen Abbau verhindert.

Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination Das VWF-Gen ist auf dem kurzen Arm des Chromosoms 12p13 lokali-siert und umspannt 178 kb genomische DNA und 52 Exons.Das primäre Translationsprodukt besteht aus 2813 Amino-säuren. VWF wird in Endothelzellen und in Megakaryozytensynthetisiert. Im endoplasmatischen Retikulum wird vom

primären Translationsprodukt ein 22 Aminosäuren langesSignalpeptid abgespalten. Das reife VWF-Monomer – nachProzessierung des Prä-Propeptides – besteht aus 2050 Ami-nosäuren und enthält vier zueinander ähnliche Repeat-Sequenzen (N-D1-D2-D’-D3-A1-A2-A3-D4-B1-B2-B3-C1-C2-COOH), wie folgende schematische Darstellung zeigt(modifiziert nach Keeney und Cumming 2001):

Der multimere VWF besteht aus C-terminal dimerisiertenHomodimeren (Molmasse VWF-Dimer: ca. 800 kDa), dieüber N-terminale Disulfidbrücken zu Multimeren (Mol-masse bis zu ca. 20 Mio. Da) zusammengesetzt sind. ImGolgi-Apparat werden die N-Glykosylierungen des VWFmodifiziert, die C-terminal (über Disulfidbrücken) dimerisier-ten Formen N-terminal (über Disulfidbrücken) multimerisiertund diese dann in Weibel-Palade-Granula (Endothelzellen)gespeichert und nach Aktivierung der Endothelzelle freigesetzt.In Thrombozyten wird VWF in den a-Granula gespeichert undvon dort freigesetzt. Die mittlere Plasmakonzentration beträgt10 mg/L. Plasma-VWF kann durch Trypsin-ähnliche Proteasenwie Plasmin und Elastase oder insbesondere durch die Metal-loprotease ADAMTS-13 abgebaut werden.

Funktion – Pathophysiologie VWF hat eine zentrale Funk-tion in der primären Hämostase. VWF vermittelt die Adhä-sion von Blutplättchen an das geschädigte Gefäßsubendothelund fördert auch die Adhäsion der Plättchen untereinander.Die adhäsive Funktion des VWF ist besonders ausgeprägtunter hohen Scherkräften, wie sie in den kleinen Gefäßenauftreten. Die Bindung des Plättchenrezeptors GPIb an sub-endothelial Kollagen-gebundenen konformationsverändertenVWF aktiviertu die Thrombozyten (vWF = Brücke zwischensubendothelialem Kollagen und Thrombozyt). Wenn dielokale Konzentration an VWF hoch ist, bindet VWF auchan den GPIIb-IIIa-Plättchenrezeptor, der physiologischenBindungsstelle für▶ Fibrinogen. Die VWF-Bindung an GPIbwird auch durch das nicht mehr therapeutisch eingesetzteAntibiotikum Ristocetin (dem Vancomycin verwandt) indu-ziert. ADP, Adrenalin (epinephrin) oder ▶Thrombin sti-mulieren die Bindung von VWF an den GPIIb-IIIa-Rezeptor.Patienten mit einer reduzierten Größe der Multimere (Typ 2A)haben in der Regel eine höhere Blutungsneigung als Patientenmit einer normalen Verteilung der Multimere aber reduzierterAntigenkonzentration (Typ 1).

Endothelzellen und Plättchen geben ultragroße hochadhä-sive VWF-Multimere in die Zirkulation ab. Sie werden dort

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Von-Willebrand-Faktor 2485

oder an der Zelloberfläche der Endothelzellen von einer spezi-fischen Plasmaprotease gespalten, der VWF-cleaving Protease(ADAMTS-13, „a zinc and calcium dependent disintegrin andmetalloprotease with thrombospondin type 1 domains“). EinMangel an der VWF-cleaving Protease resultiert in unprozessier-te sehr hochmolekulare VWF-Multimere im Plasma. Diese un-gewöhnlich großen VWF-Multimere können zu einer erhöhtenPlättchenaggregation führen mit konsekutiver Thrombosierungvon Mikrogefäßen und ischämischer Organschädigung. Bei dervererbten Form der thrombotisch-thrombozytopenischen Pur-pura (TTP) finden sich Defekte des ADAMTS13-Gens, währendbei der erworbenen Form der TTP zirkulierende Autoantikörperdie Aktivität der Metalloprotease ADAMTS-13 inhibieren.

Zur Klassifizierung des angeborenen Mangels oderDefekts des VWF (Von-Willebrand-Syndroms) vgl. Tab. 1.

Ursachen eines erworbenen Mangels an VWF könnenHemmkörper sein, die vWF inhibieren oder einen beschleu-nigten Abbau des Faktors bewirken können. Ein erworbener

Von-Willebrand-Faktor, Tab. 1 Klassifizierung des angeborenenMangels oder Defekts des Von-Willebrand-Faktors (Von-Willebrand-Syndrom, VWS). (Beschreibung nach Keeney und Cumming 2001)

Typ Defektbeschreibung

Typ 11–30:1000 >70 %von VWS

Partieller quantitativer VWF-Defekt. Erbgangtypischerweise autosomal dominant mitreduzierter Penetranz und variablerExpressivität des Genotyps. Charakteristischeine gleichsinnige Minderung des VWF:Agund der VWF-Aktivität. Verteilung derMultimere ist normal. Vielzahl von Mutationenbeschrieben, kein einheitlicher Defekt

Typ 2A10–15 % von VWS

Qualitativer VWF-Defekt, gekennzeichnetdurch den Verlust hochmolekularer Multimereund durch eine VWF:RCo-Aktivität zu VWF:Ag-Relation <0,7. Autosomal dominant,Mutationen im A2-Repeat, verursachen einengestörten intrazellulären Transport oderbeschleunigten Abbau im Plasma

Typ 2B<5 % von VWS

Qualitativer VWF-Defekt, in der Regelassoziiert mit einer Verminderung derhochmolekularen Multimere. Autosomaldominant vererbt. Agglutination auslösbar mitniedrigen Ristocetin-Konzentrationen.Mutationen im A1-Repeat können in einererhöhten Bindungsaffinität an GPIb resultieren

Typ 2M Qualitativer VWF-Defekt, autosomal dominantvererbt, Mutationen und Deletionen imA1-Repeat, Verteilung der Multimere normal

Typ 2N Qualitativer VWF-Defekt, der zu einerreduzierten Bindung an FVIII führt und damitzum beschleunigten Abbau des zirkulierendenFVIIIs; Erbgang ist autosomal rezessiv

Typ 31–5:1.000.000

Klinisch schwerste Form des VWS mit einerdeutlich verminderten oder fehlendenVWF-Aktivität und einer hieraus starkverminderten FVIII-Aktivität. Autosomalrezessiver Erbgang, gelegentlich auchhomozygotes oder compound heterozygotesVWS Typ 1

V

Mangel kann auch Folge eines vermehrten Abbaus durchProteolyse durch Plasmin oder Elastase (Hyperfibrinolyse,Sepsis, Promyelozytenleukämie) sein oder der Verlust anhochmolekularen Multimeren durch hohen Scherstress (z. B.an stenosierten Aortenklappen).

Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen Citrat-plasma.

Präanalytik Citratplasma (<2 h alt; gelagert bei Raumtem-peratur).

Analytik Mögliche Analysetechniken sind:

Bestimmung des Ristocetinkofaktors (VWF:RCo „VWF-Akti-vität“) Ristocetin begünstigt die Bindung des konforma-tionsveränderten VWF an den GPIb-Rezeptor (z. B. vonfixierten normalen) Blutplättchen. Die Rictocetin-vermittelteThrombozytenagglutination ist insbesondere von dem Vor-handensein der hochmolekularen VWF-Multimere abhängigund Zeigt damit die Aktivität des VWF. Während in quanti-tativen VWF-Defekten VWF:Ag und VWF:Rco sich parallelverhalten, findet sich bei VWF Typ 2 ein deutlich verminder-ter VWF:RCo/VWF:Ag-Quotient.

Bestimmung des VWF-Antigens (VWF:Ag) Die Plasmakon-zentrationen des VWF-Antigens können durch immunologi-sche Methoden (EIA oder Partikel-verstärkte Turbidimetrie)gemessen werden.

Bestimmung der Kollagenbindungsaktivität (VWF:CB)Hierbei wird die Fähigkeit des VWF, an immobilisiertesKollagen zu binden, mithilfe eines ELISA gemessen. Unteroptimierten Bedingungen (Konzentration von VWF zu Kolla-gen und Typ und Struktur des Kollagens) korreliert dieMengedes gebundenen VWF direkt mit der Menge der zur Verfü-gung stehenden großen VWF-Multimere. Ein erniedrigterQuotient VWF:CB/VWF:Ag gibt dann einen Hinweis aufdas Fehlen großer Multimere.

Bestimmung der Verteilung der VWF-Multimere Das multi-mere Verteilungsmuster des VWF wird in nicht reduzierendenSDS-Agarosegelen untersucht. Die VWF-Multimere werdenentsprechend ihrer Molekülgröße aufgetrennt und z. B. densi-tometrisch ausgewertet. Die Bestimmung der Multimerever-teilung ist die Grundlage der VWS-Klassifizierung. Inkubationvon aufgereinigten VWF mit Patientenproben und anschlie-ßender Immunblotanalyse kann auch eingesetzt werden, umdie ADAMTS-13-Aktivität zu bestimmen.

Bestimmung der FVIII-Bindungskapazität (VWF: FVIIIB)VWF des Patienten wird hierzu durch Immunadsorptionimmobilisiert und die Bindungskapazität des VFW für gerei-

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2486 Vorbefund

nigten FVIII mithilfe eines ELISA oder eines chromogenenTests gemessen. Der Test ist entscheidend für die Diagnoseeines VWS Typ 2N zur Unterscheidung von einer mildenHämophilie A.

Bestimmung der Ristocetin-induzierten Plättchenaggregation(RIPA) Der Test wird mit Plättchen-reichem Plasma (PRP)des Patienten, wenn möglich zeitnah zur Blutentnahme,durchgeführt. Er dient zur Unterscheidung einer erhöhtenoder verminderten Bindung des VWF an den Plättchenrezep-tor GPIb (Typ 2B und Platelet-Type-VWS).

Molekulargentische Untersuchungen Eine molekulargeneti-sche Diagnostik ist insbesondere bei klinisch ausgeprägterenVWS-Typ-2-Varianten zu empfehlen. Da in einem wesent-lichen Umfang auch beim VWS Typ 1 Mutationen nachge-wiesen werden können, die zu qualitativen Defekten führen,ist zu erwarten, dass molekulargenetische Analysen dieKlassifizierung des VWS verändern werden.

Referenzbereich – Erwachsene Hohe physiologischeintraindividuelle Schwankungen (▶Akute-Phase-Proteine):40–240 %, Individuen mit der Blutgruppe 0 haben eine um25 % niedrigere Aktivität. Während der Schwangerschaftsteigt die VWF-Aktivität kontinuierlich an. Ebenso steigtVWF mit dem Alter an.

Referenzbereich –Kinder Beim Neugeborenen finden sichhohe Werte, im Mittel um 150 %.

Indikation ᅟ

• Diagnose eines angeborenen VWF-Mangels• Diagnose eines erworbenen VWF-Mangels• Überwachung einer Substitutionstherapiemit VWF-haltigen

Konzentraten oder Therapie mit dem Vasopressinanalogon1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin (DDAVP, Minirin).

Interpretation Ein VWS lässt sich mit den herkömmlichenGruppentests nur sehr bedingt (aPTT) oder gar nicht (Quick-Test) erfassen. Die Verdachtsdiagnose muss sich aus derKlinik ergeben. Die erhebliche intraindividuelle Variationder VWF-Aktivität erschwert eine sichere Beurteilung einesmilden VWS (kann in operativen Situationen zu Blutungenführen). Zur sicheren Bewertung eines möglichen VWS soll-ten Tests zur Antigen- und Aktivitätsbestimmung mit Funk-tionstests des VWF kombiniert werden. Faktorenkonzentra-tionen unter 5 % werden in der Regel beim Typ 3 des VWSgefunden.

Diagnostische Wertigkeit Hereditäre Dysfunktionen desVWF sind die häufigsten kongenitalen Blutungsleiden. Wahr-

scheinlich wird die Häufigkeit des VWS unterschätzt, weileine spezifische Diagnostik in den Routinelabors oftmalsnicht zur Verfügung steht.

Literatur

Favaloro EJ (2000) Detection of von Willebrand disorder and identifi-cation of qualitative von Willebrand factor defects. Am J Clin Pathol114:608–618

Keeney S, Cumming AM (2001) Themolecularbiology of von Wille-brand disease. Clin Lab Haematol 23:209–230

Vorbefund

▶Teilbefund

Vorfallprotokoll

▶Meldungsdatei

Vorfeldanalytik, toxikologische

T. Arndt

Definition Bezeichnung für die schnelle, mitunter vor Ortdurchgeführte, zumeist qualitative oder semiquantitativeAnalyse von z. B. Atemluft, Blut- oder Urinproben, auchMedikamentenrückständen auf Drogen, Pharmaka oder sons-tige Giftstoffe.

Beschreibung Beispiele hierfür sind der▶Drogennachweismit Teststreifen im Urin oder mit sog. Wischtests im Achsel-schweiß, Atemalkoholkontrollen und der Nachweis von gas-förmigen oder leicht flüchtigen Verbindungen mit Dräger-Prüfröhrchen.

Vorhersagewert, negativer

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Synonym(e) Prädiktiver Wert des negativen Testresultats

Englischer Begriff negativ predictive value

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Vormilch 2487

Definition Der negative Vorhersagewert oder prädiktiveWert des negativen Testresultats ist definiert als die(bedingte) Wahrscheinlichkeit, gesund zu sein, falls ein nega-tives Testergebnis vorliegt.

Beschreibung Der negative Vorhersagewert wird geschätztdurch den Quotienten aus der Zahl der Gesunden mit negati-vem Test und der Gesamtzahl der testnegativen Fälle(d. h. durch den Quotienten d / (c + d); Bezeichnungens. Tabelle im Eintrag ▶Vierfeldertafel).

Der prädiktive Wert des negativen Testresultats lässt sichmithilfe des Satzes von Bayes (▶Bayes, Satz von) aus derSensitivität (Se; ▶Sensitivität, diagnostische), der Spezifität(Sp; ▶ Spezifität, diagnostische) und der ▶ Prävalenz (prev)berechnen:

PV� ¼ Sp� 1� prevð ÞSp� 1� prevð Þ þ 1� Seð Þ � prev

Für den Zusammenhang zwischen dem negativen Vorher-sagewert der Prävalenz und der Sensitivität gilt, dass derVorhersagewert sinkt, wenn die Prävalenz steigt bzw. dassder negative Vorhersagewert bei hoher Sensitivität hoch ist.

Literatur

Hilgers R-D, Bauer P, Scheiber V (2002) Einführung in dieMedizinischeStatistik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Vorhersagewert, positiver

R.-D. Hilgers, N. Heussen und S. Stanzel

Synonym(e) A-posteriori-Wahrscheinlichkeit; PrädiktiverWert des positiven Testresultats;

Englischer Begriff positive predictive value

V

Definition Der positive Vorhersagewert gibt die (bedingte)Wahrscheinlichkeit an, krank zu sein, falls ein positives Test-ergebnis vorliegt.

Beschreibung Der positive Vorhersagewert wird geschätztdurch den Quotienten aus der Zahl der Erkrankten mit posi-tivem Test und der Gesamtzahl der testpositiven Fälle (d. h.durch den Quotienten a/(a + b); Bezeichnungen s. Tabelle imEintrag ▶Vierfeldertafel).

Da der positive Vorhersagewert die diagnostische Fähig-keit eines positiven Testergebnisses widerspiegelt, wird erzuweilen auch als A-posteriori-Wahrscheinlichkeit für dasAuftreten einer Erkrankung bezeichnet. Sind ▶ Prävalenz(prev), Sensitivität (Se; ▶ Sensitivität, diagnostische) undSpezifität (Sp; ▶ Spezifität, diagnostische) eines Testverfah-rens bekannt, lässt sich der positive Vorhersagewert mittelsdes Satzes von Bayes (▶Bayes, Satz von) berechnen:

PVþ ¼ Se� prev

Se� prevþ 1� Spð Þ � 1� prevð Þ

Anhand dieses Zusammenhangs lässt sich erkennen, dassder positive Vorhersagewert bei zunehmender Prävalenzsteigt bzw. dass der positive Vorhersagewert bei hoher Spezi-fität ebenfalls hoch ist. Dieser Zusammenhang bedingt, dassbei der Anwendung eines diagnostischen Tests (▶Test, dia-gnostischer) in einem Risikokollektiv höhere positive Vorher-sagewerte zu erwarten sind.

Literatur

Hilgers R-D, Bauer P, Scheiber V (2002) Einführung in dieMedizinischeStatistik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

Vorkommen einer Genkopie

▶Hemizygotie

Vorläufer-Ion

▶ Precursor Ion Scan

Vorläufig Tolerable WöchentlicheAufnahme (PTWI-Wert)

▶ PTWI-Wert

Vormilch

▶Kolostrum

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2488 Vorsäule

Vorsäule

T. Arndt

Englischer Begriff guard column; precolumn

Definition Kleine, wenige Millimeter lange, preiswerte,zumeist in der▶Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographieeingesetzte Säule, die unmittelbar vor der Hauptsäule(analytischen Säule) eines chromatographischen Systemsplatziert dem Schutz der analytischen Säule dient.

Beschreibung Dieser beruht auf zwei Effekten: Bei der Pas-sage von Eluent und Probe durch die Vorsäule werden makro-skopische Teilchen zurückgehalten, sodass ein Verstopfen dersehr dicht gepackten analytischen Säule verhindert wird.Gleichzeitig wird die mechanische Belastung der analyti-schen Säule durch Abrieb reduziert, indem der Eluent schonmit feinem (säulengängigem) Abrieb aus dem Material derstationären Phase angereichert in die analytische Säule ein-tritt.

Ein erwünschter Zusatzeffekt einer Vorsäule kann die Vor-trennung der Probenbestandteile sein, in deren Folge einenoch effizientere Trennleistung auf der analytischen Säulemöglich werden kann.

Vortest odds

▶A priori odds

Vortest-Wahrscheinlichkeit

▶ Prävalenz

Vorwert

O. Colhoun

Synonym(e) Vergleichswert

Englischer Begriff previous value

Definition Archivierung der Laboranforderungen und La-borergebnisse für einen Patienten, um bei erneuter Anforde-rung oder Ausgabe des aktuellen Messwertes (s.▶Messwert)auf dem ▶Befund als Vorwert angezeigt werden zu können.

Beschreibung Die Einsicht in Vorwerte ist eine wichtigeFunktion bei der elektronischen Laborauftragsanforderung(s. ▶Laborauftrag). Wird ein Analyt aktuell vom Einsenderzur Anforderung angewählt, sollen die vorhandenen Vorwertedieses Patienten für die Messgröße sofort sichtbar sein, umunnötige Redundanzen etwa bei teuren Untersuchungen zuvermeiden. Vorwerte sind ein wichtiges Kriterium zur Ent-scheidung bei der Messwertfreigabe in technischer und medi-zinischer Validation. Für die Entscheidung zur Aufnahmeeines Messwerts in die medizinische Validation dient derDelta-Check, eine Kontrolle der ▶ Plausibilität der Verände-rung des aktuellen Messwerts im Vergleich mit dem Vorwertüber die Zeit (Vorwertkontrolle). Auf dem Laborbefund sindebenso die bekannten Vorwerte der Messgrößen jeweilszusammen mit dem aktuellen Wert sichtbar.

VWF

▶Von-Willebrand-Faktor

VZV

▶Varizella-Zoster-Viren