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PERSPEKTIVEN | 28 5/18 Dafür bist du noch zu jung! Adultismus, eine Diskriminierungsform, die wir Wenn junge Menschen in einer Umgebung aufwachsen sollen, die von Res- pekt und Achtung für sie als Individuen geprägt ist, ist es wichtig, dass Fach- kräfte sich des Machtverhältnisses in der Beziehung Erwachsener – Kind be- wusst werden und die eigene Haltung und Handlungspraxis kontinuierlich reflektieren. Adultismus – Was ist das? Adultismus beschreibt die Machtungleichheit zwischen Kin- dern und Erwachsenen und infol- gedessen die Diskriminierung jün- gerer Menschen allein aufgrund ih- res Alters. Dies geschieht zumeist in der Konstellation Erwachsener – Kind, kann jedoch ebenso zwischen älteren und jüngeren Kindern auf- treten. „Wenn Erwachsene davon ausgehen, dass sie intelligenter, reifer, kompetenter als Kinder und Jugendliche sind und daher über junge Menschen ohne deren Ein- verständnis bestimmen können, dann ist das Adultismus.“ (NCBI 2004, S. 10) Diese Ungleichbehand- lung wird von Institutionen, Geset- zen und Traditionen unterstützt. Die Vielzahl der Menschen betrach- tet Adultismus noch immer als ge- geben und so alltäglich, dass die Ungleichbehandlung nicht hinter- fragt wird. Erscheinungsformen und Entstehung Die Situationen, in denen adultis- tisches Verhalten auftritt, sind viel- Gestaltung einer „kindgerechten“ Umwelt sich zumeist auf einzelne Elemente beschränkt. Treppen sind für Kinder beschwerlich zu steigen, Türklinken oder Lichtschalter schwer zu erreichen oder auch Re- gale viel zu hoch. Kinder sind auf- grund dieser Normierungen länger als tatsächlich notwendig in den alltäglichsten Situationen des Le- bens von Erwachsenen abhängig (vgl. Ritz 2008, S. 129). Auswirkungen von Adultismus Junge Menschen sind auf die Fürsorge und Unterstützung ihrer Bezugspersonen angewiesen. Sie erleben jedoch immer wieder, wie Erwachsene in einer Art über ihr Leben bestimmen, die ihre eigenen Interessen, Bedürfnisse und Emp- findungen nicht einbezieht oder abwertet und ihnen nur wenig Re- aktionsalternativen bietet (vgl. Ritz 2008, S. 134 f.). Somit erfahren sie, dass ihre Stimme nicht ernst ge- nommen wird und ihre Ansichten keine oder weniger Bedeutung ha- ben als die der Erwachsenen. Be- reits die Jüngsten lernen so, dass sie keine Macht haben bzw. haben dürfen, sondern diese im Bereich der Älteren bzw. Erwachsenen liegt (vgl. NBCI 2004, S. 11). Weil adultistisches Verhalten all- gegenwärtig ist, beginnen Kinder, dies zu verinnerlichen (verinner- lichter Adultismus). Das heißt, sie beginnen selbst zu glauben, dass Erwachsene in jeglichen Bereichen über mehr Wissen und Macht ver- fügen und somit das Recht haben, über sie zu bestimmen: „Jede Dis- kriminierungsform birgt die Gefahr, dass definierte „Normabweichun- gen“, Bilder, die sich die Domi- nanzgesellschaft über die fokus- sierte Personengruppe macht, und die Gefühle, die dadurch ent- stehen, verinnerlicht werden. Im Kontext von Adultismus spielt sich die Verinnerlichung auf beiden Seiten ab – auf Seiten der Kinder ebenso wie bei den Erwachsenen. AUTORIN Sandra Richter ist Frühpädagogin (B.A.) und in der Fachstelle Kinderwelten/ISTA als Projektkoordinatorin tätig. Zudem ist sie freiberufliche Referentin und Auto- rin, begleitet Kitateams bei der internen Evaluation und führt externe Evaluationen zum Berliner Bildungspro- gramm durch. Ihre Themenschwerpunkte sind vorur- teilsbewusste Bildung und Erziehung, Inklusion, Adultismus, Rassismus/Anti-Rassismus-Arbeit sowie Kritische Weißseinsforschung. Kontakt E-Mail: [email protected] fältig. Es beginnt schon dann, wenn Erwachsene einem Kind un- gefragt über die Haare streicheln, es berühren oder küssen, obwohl das Kind dies offensichtlich nicht möchte. Solche Grenzüberschrei- tungen werden seit Jahrzehnten praktiziert und zumeist unreflek- tiert hingenommen. Kinder, die aufgrund der ungewollten Berüh- rung zurückzucken oder ihr Un- wohlsein begründen, gelten nicht selten als unhöflich und ihre Hand- lung wird mit Sätzen wie „Jetzt stell dich doch nicht so an!“ kom- mentiert. Am offensichtlichsten tritt Adultismus im sprachlichen Bereich auf. So ist zum Beispiel das Wort „kindisch“ eindeutig negativ besetzt. Auch Sätze wie „Du be- nimmst dich wie ein kleines Kind!“ oder „Wir sind hier doch nicht im Kindergarten!“ verdeutlichen die abwertende Sichtweise. Adultismus in pädagogischen Einrichtungen In Kitas, Schulen und Horten herrscht häufig noch wenig tat- sächliche Demokratie. In einer Viel- zahl von Einrichtungen haben Kin- der bis heute keinen oder nur ge- ringen Einfluss auf Bereiche wie die Raumgestaltung, die Materialaus- wahl, die Tagesplanung oder auch die Inhalte, die ihnen vermittelt werden. Weite Teile unserer Gesellschaft sind für Menschen konstruiert, die „groß“ sind. Pädagogische Einrich- tungen scheinen dabei auf den ers- ten Blick eine Ausnahme zu bilden: Dort gibt es kleinere Möbel, niedrige Waschbecken oder tiefere Toilet- ten. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass diese

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Dafür bist du noch zu jung!Adultismus, eine Diskriminierungsform, die wir alle kennenWenn junge Menschen in einer Umgebung aufwachsen sollen, die von Res-pekt und Achtung für sie als Individuen geprägt ist, ist es wichtig, dass Fach-kräfte sich des Machtverhältnisses in der Beziehung Erwachsener – Kind be-wusst werden und die eigene Haltung und Handlungspraxis kontinuierlichreflektieren.

Adultismus –Was ist das?

Adultismus beschreibt dieMachtungleichheit zwischen Kin-dern und Erwachsenen und infol-gedessen die Diskriminierung jün-gerer Menschen allein aufgrund ih-res Alters. Dies geschieht zumeistin der Konstellation Erwachsener –Kind, kann jedoch ebenso zwischenälteren und jüngeren Kindern auf-treten. „Wenn Erwachsene davonausgehen, dass sie intelligenter,reifer, kompetenter als Kinder undJugendliche sind und daher überjunge Menschen ohne deren Ein-verständnis bestimmen können,dann ist das Adultismus.“ (NCBI2004, S. 10) Diese Ungleichbehand-lung wird von Institutionen, Geset-zen und Traditionen unterstützt.Die Vielzahl der Menschen betrach-tet Adultismus noch immer als ge-geben und so alltäglich, dass dieUngleichbehandlung nicht hinter-fragt wird.

Erscheinungsformen undEntstehung

Die Situationen, in denen adultis-tisches Verhalten auftritt, sind viel-

Gestaltung einer „kindgerechten“Umwelt sich zumeist auf einzelneElemente beschränkt. Treppen sindfür Kinder beschwerlich zu steigen,Türklinken oder Lichtschalterschwer zu erreichen oder auch Re-gale viel zu hoch. Kinder sind auf-grund dieser Normierungen längerals tatsächlich notwendig in denalltäglichsten Situationen des Le-bens von Erwachsenen abhängig(vgl. Ritz 2008, S. 129).

Auswirkungen von Adultismus

Junge Menschen sind auf dieFürsorge und Unterstützung ihrerBezugspersonen angewiesen. Sieerleben jedoch immer wieder, wieErwachsene in einer Art über ihrLeben bestimmen, die ihre eigenenInteressen, Bedürfnisse und Emp-findungen nicht einbezieht oderabwertet und ihnen nur wenig Re-aktionsalternativen bietet (vgl. Ritz2008, S. 134 f.). Somit erfahren sie,dass ihre Stimme nicht ernst ge-nommen wird und ihre Ansichtenkeine oder weniger Bedeutung ha-ben als die der Erwachsenen. Be-reits die Jüngsten lernen so, dasssie keine Macht haben bzw. habendürfen, sondern diese im Bereichder Älteren bzw. Erwachsenen liegt(vgl. NBCI 2004, S. 11).

Weil adultistisches Verhalten all-gegenwärtig ist, beginnen Kinder,dies zu verinnerlichen (verinner-lichter Adultismus). Das heißt, siebeginnen selbst zu glauben, dassErwachsene in jeglichen Bereichenüber mehr Wissen und Macht ver-fügen und somit das Recht haben,über sie zu bestimmen: „Jede Dis-kriminierungsform birgt die Gefahr,dass definierte „Normabweichun-gen“, Bilder, die sich die Domi-nanzgesellschaft über die fokus-sierte Personengruppe macht,und die Gefühle, die dadurch ent-stehen, verinnerlicht werden. ImKontext von Adultismus spielt sichdie Verinnerlichung auf beidenSeiten ab – auf Seiten der Kinderebenso wie bei den Erwachsenen.

AUTORIN

Sandra Richter ist Frühpädagogin (B.A.) und in derFachstelle Kinderwelten/ISTA als Projektkoordinatorintätig. Zudem ist sie freiberufliche Referentin und Auto-rin, begleitet Kitateams bei der internen Evaluation undführt externe Evaluationen zum Berliner Bildungspro-gramm durch. Ihre Themenschwerpunkte sind vorur-teilsbewusste Bildung und Erziehung, Inklusion,Adultismus, Rassismus/Anti-Rassismus-Arbeit sowieKritische Weißseinsforschung.

KontaktE-Mail: [email protected]

fältig. Es beginnt schon dann,wenn Erwachsene einem Kind un-gefragt über die Haare streicheln,es berühren oder küssen, obwohldas Kind dies offensichtlich nichtmöchte. Solche Grenzüberschrei-tungen werden seit Jahrzehntenpraktiziert und zumeist unreflek-tiert hingenommen. Kinder, dieaufgrund der ungewollten Berüh-rung zurückzucken oder ihr Un-wohlsein begründen, gelten nichtselten als unhöflich und ihre Hand-lung wird mit Sätzen wie „Jetztstell dich doch nicht so an!“ kom-mentiert. Am offensichtlichstentritt Adultismus im sprachlichenBereich auf. So ist zum Beispiel dasWort „kindisch“ eindeutig negativbesetzt. Auch Sätze wie „Du be-nimmst dich wie ein kleines Kind!“oder „Wir sind hier doch nicht imKindergarten!“ verdeutlichen dieabwertende Sichtweise.

Adultismus in pädagogischenEinrichtungen

In Kitas, Schulen und Hortenherrscht häufig noch wenig tat-sächliche Demokratie. In einer Viel-zahl von Einrichtungen haben Kin-der bis heute keinen oder nur ge-ringen Einfluss auf Bereiche wie dieRaumgestaltung, die Materialaus-wahl, die Tagesplanung oder auchdie Inhalte, die ihnen vermitteltwerden.

Weite Teile unserer Gesellschaftsind für Menschen konstruiert, die„groß“ sind. Pädagogische Einrich-tungen scheinen dabei auf den ers-ten Blick eine Ausnahme zu bilden:Dort gibt es kleinere Möbel, niedrigeWaschbecken oder tiefere Toilet-ten. Bei genauerer Betrachtungwird jedoch deutlich, dass diese

Adultistische Verinnerlichung fin-det in erster Linie dann statt, wennKinder Attribute, die Erwachsenefür sie finden, annehmen und in ihrSelbstbild integrieren.“ (Ritz 2008,S. 134)

Auch innerhalb der Peers sinddie Auswirkungen von Adultismuszu spüren. Die jungen Menschennehmen einander nicht ernst undverhalten sich untereinander adul-tistisch, so geben zum Beispiel äl-tere Kinder Befehle an Jüngere(vgl. NBCI 2004, S. 12).

Eine der vielleicht weitläufigstenund gefährlichsten Auswirkungenvon Adultismus ist, dass er dieGrundlage für verschiedene weite-re Diskriminierungsarten bildet.„Kinder lernen früh – und zwar vonden Menschen, die sie lieben –dass Unterdrückung in Ordnungist.“ (NBCI 2004, S. 12) Dieses Mus-ter wird dann auf andere Gruppenübertragen und angewandt.

Adultismus erkennen undvermeiden

Um Adultismus zu erkennen, istes notwendig, sich mit gängigenVorurteilen gegenüber Kindernauseinanderzusetzen, das traditio-nelle Bild vom Kind zu hinterfragenund persönliche wie auch gesell-schaftliche Werte und Normen neuzu definieren. Ebenso ist die Refle-xion von selbst erlebtem Adultis-mus Voraussetzung dafür, sich dereigenen Macht gegenüber Kindernbewusst zu werden. Der zweiteSchritt ist zu lernen, adultistischeVerhaltensweisen zu benennenund konstruktiv zu beenden. Be-reits die Jüngsten können lernen,selbst zu handeln und ihre Mei-nung und Rechte durchzusetzen.Erwachsene, die die Problematikerkannt, verstanden und für sichselbst reflektiert haben, sind dabeihilfreiche Mitstreiter/-innen.

Projekte zum Thema Partizipati-on können Lernfelder sein, die Kin-dern verdeutlichen, dass sie in al-len sie betreffenden Lebensberei-

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Dafür bist du noch zu jung!Adultismus, eine Diskriminierungsform, die wir alle kennen

Gestaltung einer „kindgerechten“Umwelt sich zumeist auf einzelneElemente beschränkt. Treppen sindfür Kinder beschwerlich zu steigen,Türklinken oder Lichtschalterschwer zu erreichen oder auch Re-gale viel zu hoch. Kinder sind auf-grund dieser Normierungen längerals tatsächlich notwendig in denalltäglichsten Situationen des Le-bens von Erwachsenen abhängig(vgl. Ritz 2008, S. 129).

Auswirkungen von Adultismus

Junge Menschen sind auf dieFürsorge und Unterstützung ihrerBezugspersonen angewiesen. Sieerleben jedoch immer wieder, wieErwachsene in einer Art über ihrLeben bestimmen, die ihre eigenenInteressen, Bedürfnisse und Emp-findungen nicht einbezieht oderabwertet und ihnen nur wenig Re-aktionsalternativen bietet (vgl. Ritz2008, S. 134 f.). Somit erfahren sie,dass ihre Stimme nicht ernst ge-nommen wird und ihre Ansichtenkeine oder weniger Bedeutung ha-ben als die der Erwachsenen. Be-reits die Jüngsten lernen so, dasssie keine Macht haben bzw. habendürfen, sondern diese im Bereichder Älteren bzw. Erwachsenen liegt(vgl. NBCI 2004, S. 11).

Weil adultistisches Verhalten all-gegenwärtig ist, beginnen Kinder,dies zu verinnerlichen (verinner-lichter Adultismus). Das heißt, siebeginnen selbst zu glauben, dassErwachsene in jeglichen Bereichenüber mehr Wissen und Macht ver-fügen und somit das Recht haben,über sie zu bestimmen: „Jede Dis-kriminierungsform birgt die Gefahr,dass definierte „Normabweichun-gen“, Bilder, die sich die Domi-nanzgesellschaft über die fokus-sierte Personengruppe macht,und die Gefühle, die dadurch ent-stehen, verinnerlicht werden. ImKontext von Adultismus spielt sichdie Verinnerlichung auf beidenSeiten ab – auf Seiten der Kinderebenso wie bei den Erwachsenen. ©

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Adultistische Verinnerlichung fin-det in erster Linie dann statt, wennKinder Attribute, die Erwachsenefür sie finden, annehmen und in ihrSelbstbild integrieren.“ (Ritz 2008,S. 134)

Auch innerhalb der Peers sinddie Auswirkungen von Adultismuszu spüren. Die jungen Menschennehmen einander nicht ernst undverhalten sich untereinander adul-tistisch, so geben zum Beispiel äl-tere Kinder Befehle an Jüngere(vgl. NBCI 2004, S. 12).

Eine der vielleicht weitläufigstenund gefährlichsten Auswirkungenvon Adultismus ist, dass er dieGrundlage für verschiedene weite-re Diskriminierungsarten bildet.„Kinder lernen früh – und zwar vonden Menschen, die sie lieben –dass Unterdrückung in Ordnungist.“ (NBCI 2004, S. 12) Dieses Mus-ter wird dann auf andere Gruppenübertragen und angewandt.

Adultismus erkennen undvermeiden

Um Adultismus zu erkennen, istes notwendig, sich mit gängigenVorurteilen gegenüber Kindernauseinanderzusetzen, das traditio-nelle Bild vom Kind zu hinterfragenund persönliche wie auch gesell-schaftliche Werte und Normen neuzu definieren. Ebenso ist die Refle-xion von selbst erlebtem Adultis-mus Voraussetzung dafür, sich dereigenen Macht gegenüber Kindernbewusst zu werden. Der zweiteSchritt ist zu lernen, adultistischeVerhaltensweisen zu benennenund konstruktiv zu beenden. Be-reits die Jüngsten können lernen,selbst zu handeln und ihre Mei-nung und Rechte durchzusetzen.Erwachsene, die die Problematikerkannt, verstanden und für sichselbst reflektiert haben, sind dabeihilfreiche Mitstreiter/-innen.

Projekte zum Thema Partizipati-on können Lernfelder sein, die Kin-dern verdeutlichen, dass sie in al-len sie betreffenden Lebensberei-

chen entsprechend ihres individu-ellen Entwicklungsstandes dieMöglichkeit haben, Planungs- undEntscheidungsprozesse verbind-lich zu beeinflussen. So könnenKinder zum Beispiel in die Raumge-staltung, die Neuanschaffung vonMaterialien und die Tagesgestal-tung einbezogen werden. Auch be-reits für junge Kinder geeignete Be-teiligungsmöglichkeiten sind einfest installiertes Kinderparlamentoder eine Beschwerdestelle.

Was darf ich dann überhauptnoch?

Bei der Auseinandersetzung mitdem Thema Adultismus geht esnicht darum, jegliche erzieheri-schen Handlungen in Abrede zustellen. Es ist für Kinder sehr wich-tig, Dinge von anderen, zunächstzumeist älteren Menschen, zu ler-nen, da noch nicht zu jedem Sach-verhalt ausreichend Informationenvorliegen, um eigene Entscheidun-gen zu treffen. Doch dieses Lernensollte immer auf respektvoller, frei-williger Basis verlaufen und nichtvon Kommandos oder Gehorsamgeprägt sein. Der Spielraum, indem Kinder in ihrer Entwicklung

und mit ihren Bedürfnissen ernst-genommen werden können, isthäufig deutlich größer als ange-nommen.

In Interviews (vgl. Ritz 2008,S. 36) antworteten Kinder auf dieFrage: „Wann ist es für dich einfachschön, mit Erwachsenen zusam-men zu sein?“ u.a.: Immer dann,wenn die Erwachsenen „vernünftigund gerecht sind und Kinder nichtwie Babys behandeln“; „wenn siedie Kinder fragen, was sie machenwollen“; „mich wie sich selbst be-handeln“. An den aufgeführtenWünschen von Kindern wird deut-lich, dass sie Adultismus sehrwohl – sei es bewusst oder unbe-wusst – wahrnehmen und sich Teil-habe und Wertschätzung als Indivi-duen wünschen. Sie wollen dieChance haben, Regeln abzulehnen,so wie Erwachsene das auch tun,Schein-Partizipation können sieschnell dekodieren.

Entwicklung von Handlungsalter-nativen

Es bedarf der bewussten Ent-scheidung eines jeden Erwachsenen,existierende Regeln und Hand-lungsweisen entweder unreflektiert

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beizubehalten und damit adultis-tisch geprägte Praxis zu stabilisie-ren oder sie zu hinterfragen undneue, weniger adultistische, Hand-lungsalternativen zu entwickeln.Dies erfordert das Hinterfragen je-der einzelnen Regel, ihres Ur-sprungs und Ziels. Folgende Fragenkönnen dabei unterstützend wir-ken (vgl. Ritz 2008, S. 133 f.):▶ Dient die jeweilige Regel der ei-

genen Bequemlichkeit?▶ Soll mit ihr die Überlegenheit

Erwachsener demonstriert wer-den?

▶ Soll ein Machtkampf dem Kindseine Machtlosigkeit verdeutli-chen?

▶ Oder dient die Regel wirklichdem Schutz des Kindes?

Wenn es ein nicht adultistischgeprägtes Zusammenleben vonKindern und Erwachsenen gebensoll, müssen Regeln und Grenzensowohl für Kinder als auch für Er-wachsene nachvollziehbar underklärbar sein und mit zunehmen-dem Alter der Kinder gemeinsamausgehandelt anstatt durch Er-wachsene gesetzt werden (vgl. Ritz2008a, S. 134).

Eine Zuschreibung, die Erwach-sene häufig im Zusammensein mitKindern verwenden, ist die Aussage„Kinder hören nie zu.“ Um einenPerspektivwechsel zu ermöglichen,lohnt sich folgende Übung (vgl. Ritz2008, S. 132 f.): Geben Sie den Kin-dern, mit denen Sie arbeiten, einbis zwei Stunden die Möglichkeit,die Tagesgestaltung zu überneh-men. Sie werden erleben, zu wievielen Aktivitäten und Spielen sieaufgefordert werden. Halten Siesich strikt an die Spielregeln undfolgen Sie den Anweisungen derKinder. Vermutlich werden Siemerken, wie anstrengend es ist,sich ausschließlich auf die Wün-sche einer anderen Person einzu-stellen, die möglicherweise weitvon Ihren eigenen Bedürfnissenentfernt sind. Stellen Sie sich nunvor, Ihr ganzer Tag wäre so struktu-riert: Es gäbe jemanden, der darü-ber bestimmt, wann Sie aufstehen,was Sie anziehen sollen und in wel-chem Tempo dies zu geschehenhat, rasch gefrühstückt, egal, obSie Hunger haben oder nicht, in ei-

nem Tempo, das möglicherweiseweit von Ihrem entfernt ist, ausdem Haus und in Ihr Arbeitsum-feld. Dort angekommen geht esweiter, Morgenkreis, der Tagespla-nung folgen, wieder eine festgeleg-te Mahlzeit, Mittagsruhe oder -pau-se, weiter nach Plan. Der Tagesab-lauf von Kindern ist zumeist gefülltvon und strukturiert durch Anwei-sungen und Aufgaben, die Erwach-sene an sie richten – dies am eige-nen Leib zu erleben, wenn auchnur für einen kurzen Moment, er-höht die Empathie und Verände-rungsbereitschaft zumeist deutlich.

Einhergehend mit der Abhängig-keit junger Kinder von ihren er-wachsenen Bezugspersonen, ist esohne deren Bereitschaft, sich mitder Thematik auseinanderzusetzennahezu unmöglich, ein Aufwachsenohne adultistisch geprägte Erfah-rungen zu gewährleisten. Wenn je-doch bereits die Jüngsten erlebenund erkennen dürfen, dass sie fürdas, was sie sind und tun, respek-tiert und wertgeschätzt werden,wird sich auch die Art und Weise,wie sie selbst auf ihrem weiterenLebensweg mit anderen Menschenumgehen, verändern und sich in ei-ne Richtung entwickeln, die vonRespekt, Achtsamkeit und Wert-schätzung geprägt ist: „Vielleichtist es mehr denn je wahr, dass dieArt, wie wir mit unseren Kindernumgehen, bestimmend sein wirdfür die Zukunft der Welt.“ (Juul2003, S. 12) • Sandra Richter

LITERATUR ZUM ARTIKEL:▶ Ein anti-adultistisches Netzwerk:

https://www.naiv-kollektiv.org▶ NCBI Schweiz & Kinderlobby Schweiz (2004): Not 2

young 2 – Alt genug um. Rassismus und Adultismusüberwinden. Schaffhausen: K2-Verlag

▶ Richter, Sandra (2013): Adultismus: Die erste erlebteDiskriminierungsform? Theoretische Grundlagen undPraxisrelevanz. Online verfügbar unter:https://www.kita-fachtexte.de/uploads/media/KiTaFT_richter_2013.pdf

▶ Ritz, ManuEla (2008): Adultismus – (un)bekanntesPhänomen: Ist die Welt nur für Erwachsene gemacht?In: Handbuch Kinderwelten. Vielfalt als Chance –Grundlagen einer vorurteilsbewussten Bildung undErziehung (S. 128–136). Freiburg: Herder

▶ Juul, Jesper (2003): Das kompetente Kind. Reinbek:Rowohlt

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