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Texte und Materialien für den Unterricht

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MaschinenmenschenVon Golems, Robotern und Cyborgs

Für die Sekundarstufe IIherausgegeben von Jutta Kähler

Reclam

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reclams universal-bibliothek Nr. 150802020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH,Siemensstraße 32, 71254 DitzingenGestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich ForssmanDruck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG,Am Buchweg 1, 87452 Altusried-KrugzellPrinted in Germany 2020reclam, universal-bibliothek undreclams universal-bibliothek sind eingetragene Markender Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgartisbn 978-3-15-015080-1www.reclam.de

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Inhalt 5

Inhalt

Vorwort 9

i. Die Weisheit im alten Mythos 151. Michael Köhlmeier: Prometheus der

Menschen bildner 172. Platon: Epimetheus und Prometheus 223. Arnold Gehlen: Der Mensch als Mängelwesen

und Prometheus 244. Ovid: Pygmalion 27

ii. Der Zauberlehrling 311. Johann Wolfgang Goethe: Der Zauberlehrling 332. Günther Anders: Der verwandelte Zauber-

lehrling 37

iii. Der Golem 401. Wolf Pascheles: Sage der Prager Juden 422. Clemens Brentano: Erklärung der sogenannten

Golem in der Rabbinischen Kabbala 443. Harry Mulisch: Die Prozedur 464. Gustav Meyrink: Der Golem 505. Stanislaw Lem: Also sprach Golem 55

iv. Frankenstein – das Monster 601. Mary Shelley: Frankenstein oder Der neue

Prometheus 622. Michel Foucault: Die Anormalen 703. Michel de Montaigne: Von einer sonderbaren

Missgeburt 724. Jeanette Winterson: Frankissstein 73

Inhalt

Inhalt

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6 Inhalt

v. Automaten und Maschinenmenschen 781. Julien Offrey de La Mettrie: Der Mensch

eine Maschine 792. E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann 823. Oskar Panizza: Die Menschenfabrik 89

vi. Roboter und Androide 931. Isaac Asimov: Die Grundregeln der Robotik 942. Isaac Asimov: Geliebter Roboter 953. Julian Nida-Rümelin / Nathalie Weidenfeld:

Kommunikation zwischen Mensch und KI 984. Philip K. Dick: Blade Runner 1025. Alan M. Turing: Können Maschinen denken? 1086. Julian Nida-Rümelin / Nathalie Weidenfeld:

Digitale Simulation von Gefühlen 111

vii. Seelenverpflanzung und vertauschte Körper 1151. Théophile Gautier: Avatar 1162. Charlotte Kerner: Kopflos 1203. Mary E. Pearson: ZweiundDieselbe 125

viii. Chimären 1311. Herbert George Wells: Doktor Moreaus Insel 1322. Deutscher Ethikrat: Mensch-Tier-Mischwesen

in der Forschung. Stellungnahme 135

iX. Cyborgs: Mensch – Maschinen oder die Digitalisierung des Körpers 1391. Paul Virilio: Die Eroberung des Körpers 1402. Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs 1443. Gero von Randow: Cyborgs und andere

Phantasien 146

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Inhalt 7

X. Die Ware Liebe oder Das Frauenbild 1501. Das Sennentuntschi. Eine Alpensage 1512. Oskar Kokoschka: Die Alma-Puppe 1543. Alexander Glück: Archäologin mit Biss 1564. Michela Marzano: Das Ich als Skulptur 159

Xi. Und weiter? Der Mensch als Möglichkeits-wesen 1651. Günther Anders: Prometheische Scham 1662. Stefan Klein / Margaret Boden: Wir werden uns

in Roboter verlieben 1703. Nick Bostrom: Transhumanisten versus

Biokonservative 1734. Peter Weibel: Renaissance 2.0: Der Mensch

als Möglichkeitswesen 1755. Hans Lenk: Prometheisches Philosophieren 178

Quellenverzeichnis 180

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Vorwort 9

Vorwort

»Dies hier bin ich, ich und sonst niemand, mit meinen Lungen, Nieren, Erinnerungen. Hier bin ich, hier und sonst nirgends; also bin ich das einzige hier, was sich von selber versteht. Wenn aber nun eben diese Lungen, Nieren, Erinne-rungen Artefakte wären, hergestellt in einem völlig natür lichen doch ebenso völlig künstlichen Verfahren, von fremder Hand? Wie theatralisch fremd kämen mir dann meine eige-nen Bewegungen vor! Ich – eben dies hier bin ich und sonst nichts. Was für ein sonderbarer Gedanke, es könn-te ein anderer sein! Wenn ich dir nun aber sage, daß dei-ne Existenz etwas völlig Natürliches ist, ebenso zufällig wie die Verteilung der Steine auf dem Boden, wie die Bewegung der Blätter, die vom Baum herab schweben? Wenn ich dir sage, daß du aus einem Kunststück hervor-gegangen bist und durch ein anderes Kunststück ver-schwinden wirst? Daß es sich so verhält und nicht an-ders? Du würdest sagen: Das macht keinen Unterschied. Und eben so verhält es sich, anders verhält es sich nicht.«1

Gibt es nicht Selbstverständlichkeiten, unbezweifelbar, nicht zu hinterfragen? »Dies hier bin ich.« So beginnt der Text Homunculus des Schriftstellers und promovierten Philosophen Lars Gustafsson. Eine kurze, knappe, apodik-

1 Lars Gustafsson, »Homunculus«, in: L. G., Die Maschinen. Gedich-te, übers. von Hans Magnus Enzensberger, München 1980, S. 24 .

Vorwort

Vorwort

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10 Vorwort

tische Aussage. Braucht man für dieses selbstgewisse »Dies hier bin ich« überhaupt den Blick in den Spiegel? Ist es nicht eher so, dass die Betrachtung des eigenen Spiegelbildes we-niger zur tiefgreifenden Selbstvergewisserung taugt, viel-mehr Anlass gibt zu Zweifel und einer verstörenden Erfah-rung von Fremdheit? Noch einmal also: »Dies hier bin ich.« Dazu gehören meine inneren Organe genauso wie meine Erinnerungen. Eine seltsame Kombination ist es, die Gus-tafsson vornimmt.

Drehen wir den Eingangssatz mit Gustafsson um: »Hier bin ich.« Wo ich bin, kann kein anderer sein. Das muss doch ein Anlass zur Selbstgewissheit sein: Ich bin hier. An die-sem Ort das einzig Selbstverständliche. Plötzlich und über-raschend der Bruch, der uns aus dieser Selbstgewissheit herausreißt: Was wäre wenn? Was wäre, wenn alles ganz anders wäre? Üben wir uns im kontrafaktischen Denken. Schärfen wir unseren Möglichkeitssinn. Wenn nun das bis-her Selbstverständliche, meine Körperlichkeit wie meine Erinnerungen, künstlich hergestellt wäre, »von fremder Hand«. Wie seltsam, in sich widersprüchlich ist die Annah-me, dieser Akt der Herstellung könnte ebenso natürlich wie künstlich sein. Gustafsson verweigert hier Antworten, auch die auf die Frage, wem diese fremde Hand gehört. Ist sie menschlich oder ein künstliches Gebilde und welcher Instanz gehorcht diese Hand, die wohl nicht selbstständig zu handeln vermag? Lasse ich mich auf den Gedanken ein, ich sei tatsächlich ein Artefakt, dann erscheinen die eige-nen Bewegungen plötzlich »theatralisch fremd«, vielleicht wie von einem Regisseur vorgegeben. Ist das Ich dann nicht ein Anderer? Mein Denken wird vor eine Alternative ge-stellt. Wie will ich mich selbst verstehen: Halte ich fest an

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Vorwort 11

der gewohnten Vorstellung einer natürlichen Existenz oder akzeptiere ich mich als Kunststück, das genauso, wie es hervorgebracht (denn »entstanden« kann man nicht sagen) wurde, auch wieder zum Verschwinden gebracht werden kann? Das die Vernunft Irritierende und zum Weiterden-ken Anstoßende, wahrhaft Anstößige steht am Schluss. Der oder die durch das Gedankenexperiment Angespro-chene setzt die Pointe. »Das macht keinen Unterschied.« Ist damit das Gedankenexperiment zu einem schlüssigen En-de geführt oder lässt der Konjunktiv »Du würdest sagen« doch noch weitere Optionen zu?

Die Textauswahl, die sich diesen Fragen widmet, behan-delt eine ganze Bandbreite an Themen: Sie reicht von der mythischen Figur des Prometheus bis zu den Robotern, die uns schon bald im Alltag begegnen können, als niedliche Lernhelfer mit großen Kulleraugen für Kinder, als Pflege- oder Sexroboter.2 Sie haben Einzug gehalten in Filme, Computerspiele, in die Popkultur.3 Kaum jemand denkt dann noch daran, dass wir den Begriff Roboter dem Thea-terstück R. U. R.  – Rossum Universal Robots, das 1921 ur-aufgeführt wurde, verdanken.4 Hier lehnen sich die Robo-ter, biomechanische Schöpfungen, gegen die Menschen auf. Das Verhältnis Mensch – Maschinenmensch ist span-nungsgeladen und ambivalent. Die Reaktionen schwanken zwischen Zukunftsoptimismus, gepaart mit Glücksverhei-

2 Sophie Wennerscheid, Sex Machina. Zur Zukunft des Begehrens, Berlin 2019.

3 Museum Folkwang, I was a Robot. Science Fiction und Popkultur, Göttingen 2019.

4 Karel Capek, Karel Capeks R. U. R. – Rossum Universal Robots, ins Dt. übers. und aktual. von Yehuda Shenef, Norderstedt 2016.

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12 Vorwort

ßung, und Angst. Sollen wir alle Cyborgs, Transspezien werden, wie es der farbenblinde Cyborgkünstler Neil Har-bison vorschlägt? Er hat sich eine Antenne in seinen Schä-del implantieren lassen und kann nun Farben hören, seine Sinneswahrnehmung verändern: Bodyhacking.5

Vom Titanen Prometheus, seiner Auflehnung gegen die Götter, seiner Hybris spannt sich der Bogen bis zum »Ho-mo Deus«, dem göttlichen Menschen.6 Hans Jonas sprach bereits 1979 angesichts der Verheißungen moderner Tech-nik vom »endgültig entfesselten Prometheus« und verwies in seinen Überlegungen auf die Möglichkeiten und Gefah-ren genetischer Manipulation. Über vierzig Jahre nach dem Erscheinen seines Buches Das Prinzip Verantwortung (1979) müssen wir uns der Frage stellen, was aus dem »ehr-geizigen Traum des homo faber« geworden ist, der »seine eigene Evolution in die Hand nehmen will, mit dem Ziel nicht bloß der Erhaltung der Gattung in ihrer Integrität, sondern ihrer Verbesserung und Veränderung nach eige-nem Entwurf.«7 Werden wir Maschinen-Menschen oder Mensch-Maschinen sein – etwas ontologisch Neues? Gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden Varianten?

Gedankenexperiment und Realität: Dieses Spannungs-feld lädt zum eigenständigen Philosophieren ein. Dass lite-

5 Siehe z. B. Els Verweire, »Man muss keine Angst haben, weniger Mensch zu werden«, in: Spektrum.de (25. 3. 2019), zit. nach: www.spektrum.de/news/man-muss-keine-angst-haben-weniger- mensch-zu-werden/1622562 (Stand: 29. 6. 2020).

6 Siehe z. B. Yuval Noah Harari, Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen, München 52019.

7 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1984. S. 52

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Vorwort 13

rarische Texte dabei ihren didaktischen Stellenwert haben, ist längst selbstverständlich. Sie fungieren als Dialogpart-ner, sind »anstößig« im wahrsten Sinne des Wortes, regen zum Nach- und Weiterdenken an, ohne unverbrüchliche Antworten zu liefern. Die Grundfragen der Philosophie, wie sie Kant formulierte, begleiten und strukturieren die-sen Denkprozess: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Die Textauswahl lässt immer wieder Querverbindungen zu, von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart. Zum selbstständigen Recherchieren, auch über aktuelle Entwicklungen, regen die in den Arbeitsvorschlägen zu den einzelnen Texten aufgeführten Links an.

Was Adolf Muschg in seiner Dankesrede bei der Verlei-hung des Büchner-Preises 1994 über die Kunst sagte, sei hier auf die vorliegende Textauswahl und auf die Anregung, mit literarischen Texten zu philosophieren, übertragen:

»Die Kunst leistet gar nichts, aber so viel leistet sie viel-leicht doch: sie kann das dumme Spiel vom Ausge-schlossenen Dritten, das wir mit immer klügeren Appa-raten spielen, ablösen durch ein Spielwissen, das nicht nur eine Alternative, sondern auch das ganz Andere kennt. Sie kann unseren Möglichkeitssinn so weit stär-ken, dass er uns sogar das nicht Mögliche deutlicher se-hen lässt – und sogar möglich macht, dass wir uns dage-gen entscheiden.«8

8 Adolf Muschgs »Dankrede« ist nachzulesen unter www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/adolf-muschg/dankrede (Stand 29. 6. 2020).

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I. Die Weisheit im alten Mythos 15

i. Die Weisheit im alten Mythos

»Die Alten berichten, die Menschen seien von Prometheus aus Lehm erschaffen worden, nur dass er darunter Teile von verschiedenen Tieren mischte. Um sein Werk zu befördern und zu beschützen und um nicht nur als Begründer, sondern auch als Verbesserer und Vermehrer des Menschenge-schlechts zu gelten, schlich er mit einem Bündel Birkenreiser in der Hand in den Himmel, entzündete es am Sonnenwa-gen, brachte das Feuer zur Erde und zeigte den Menschen sei-nen Gebrauch.«1 Prometheus als Menschenbildner, Feuer-bringer, der dem Menschen Emanzipation von den Göttern ermöglicht, aber auch als der Listenreiche und auf seinen ei-genen Ruhm Bedachte: Das Bild ist vielfältig. Pro-Metheus ist der Vorausdenkende, der Vorausschauende. »Prometheus repräsentiert klar und eindeutig, was die Alten als das beson-dere und eigentümliche der Vorsehung betrachtet haben, nämlich die Erschaffung und Begabung des Menschen«.2

Die Erschaffung des Menschen durch Prometheus stellt Michael Köhlmeier (1) in den Mittelpunkt. Durch die Zitate aus Goethes berühmtem Gedicht »Prometheus« setzt er dar-über hinaus weitere Akzente. Der unsterbliche Titan ist Re-bell und Erlöserfigur. Platon lässt in seinem frühen Dialog den Sophisten Protagoras (2) die Geschichte des Prometheus erzählen und stellt ihm seinen Bruder Epimetheus gegen-über. Epi-Metheus: der Zu-spät-Denkende, der erst im Nach-hinein Denkende, der Unüberlegte. Prometheus gibt dem

1 Francis Bacon, Die Weisheit der Alten, hrsg. und mit einem Essay von Philipp Rippel, aus dem Lat. und Engl. übertr. und mit Anm. vers. von Marina Münkler, Frankfurt a. M 1990, S. 60 f.

2 Bacon (s. Anm. 1), S. 62 f.

I. Die Weisheit im alten My-thosI. Die Weisheit im alten My-thos