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    Selbstliebe und

    Selbstannahme?

    Kritische Betrachtungen anhand der Bibel

    Els Nannen

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    Der Aufsatz erschien zuerst in Bibel und Gemeinde

    1985-4 und wurde bereits mehrfach nachgedruckt. Wir ge -ben ihn im neuen Satz noch einmal heraus.

    Anschrift der Verfasserin:

    Frau Els Nannen

    Prins Bernhardlaan 45

    3972 AW Driebergen

    NIEDERLANDE

    Nachdruck aus Bibel und Gemeinde 1985-4

    Bestellnummer: 0152

    Preisgruppe 11

    Bibelbund-Verlag: Hammerbrcke 2004

    Druck: Satz- und Digitaldruckzentrum

    Seidel+Seidel GbR 08269 Hammerbrcke

    Ihre Bestellungen richten Sie bitte an:Bibelbund e.V. Geschftsstelle

    Postfach 470268

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    Selbstliebe und Selbstannahme?Kritische Betrachtungen anhand der Bibel

    1. Erich Fromm und die Selbstliebe

    In den letzten Jahren breitet sich diehumanistische Ideologie der Selbstliebegewaltig aus, auch unter Christen undvor allem unter der christlichen Jugend.Sie ist wie eine Epidemie und bt einenstarken Einfluss aus auf solche Ausbil-dungsrichtungen, die mit Menschen zutun ha ben, sowohl im beruflichen wieauch im christlichen Bereich, z.B. in(Heil)Pdagogik, Psychologie, Psychia-trie, Sozialar beit oder Seelsorgeausbil-dung und Mitarbeiterschulung.

    Von ihren Befrwortern und Ver-breitern wird allerdings die Selbstliebenicht als ansteckende Krankheit ange-

    sehen, sondern gerade als Heilmittel ge -gen so mancherlei psychische Krank-heiten wie Frustration, Depression,Schte, Arbeitsunlust und Feindselig-keit.

    Was ist nun die Ursache der bereit-willigen Aufnahme dieser weltweitenBotschaft der Selbstlie be? Bevor wirGottes Wort zu Rate ziehen, mchtenwir uns kurz mit zwei der bekanntestenVertreter der Selbstlie be befassen: Mit

    Erich Fromm und Walter Trobisch.Es war vor allem Erich Fromm, der

    die humanistische Ideologie der Selbst -liebe populr machte, in die Psychoana-lyse integrierte und damit pseudowissen-schaftlich legitimierte. Schon 1939 be-fasste er sich mit diesem Thema in einemAufsatz:

    Selbstsucht und Selbstliebe in derZeitschrift Psychiatry. Die gleichenGedanken arbeitete dann Fromm nheraus in Furcht vor der Freiheit (1941),Psychoanalyse und Ethik (1947),Wege aus einer kranken Gesellschaft(1955) und Die Kunst des Liebens(1971). Wiederholungen lieen sich an -scheinend dabei nicht vermeiden.

    1.1 Wer war Erich Fromm?

    Erich Fromm (1900-1980) studiertePsychologie, Philoso phie und Soziolo-gie. 1926-1929 absolvierte er sein psy-choanalytisches Training in Mnchenund war anschlieend Schler von Hans

    Sachs und Theodor Reik am Institut frPsychoanalyse in Berlin. Nicht nurFreuds Psychoanalyse, sondern auch dieIdeen von Johann Jakob Bachofen(1815-1887) in Das Mutterrecht prg-ten Fromms Denken.

    1930 war er Mitbegrnder des Sd-deutschen Instituts fr Psychoanalyse inFrankfurt am Main und auerdem bis1932 Mitglied und Dozent am Institut frSozialforschung, aus dem die sog.

    Frankfurter Schule hervorgegangen ist,zu der Hork-heimer, Adorno, Haberma,Bloch und Marcuse gerechnet werden.Sie alle standen unter dem Einfluss vonHegel, Marx und Freud. Der grte Teilvon ihnen stammte aus jdischen Fami-lien (1)1. Als 1933 das Institut fr Sozial-forschung von der nationalsozialistischen

    Selbstliebe und Selbstannahme 3

    1 Die Zahlen in den Klammern beziehen sich auf die Quellen am Schluss der Abhandlung.

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    Regierung aufgelst wurde, wanderten

    die einflussreichsten Mitarbeiter, darunterFromm, nach Amerika aus. Dort wurdedie Einrichtung 1934 der Colum-bia-University angeschlossen. 1934-1938hielt Fromm Vorlesungen an verschiede-nen amerikanischen Instituten. 1951-1965 war er dann Professor an der Natio-nal Autonmous University of Mexico, woer den Lehrstuhl fr Psychoanalyse leite-te. Neben seiner Lehrttigkeit war er auchSupervisor und Lehranalytiker und unter-hielt auerdem eine psychoanalytischePraxis. 1980 starb Fromm im Tessin inder Schweiz, wo er seine letzten Lebens-jahre verbracht hatte.

    Wie viele Psychoanalytiker stammteauch Fromm aus jdischem Elternhaus.Seine Eltern waren fromme, orthodoxeJuden, was ihn prgte.Bis zu seinem 26. Le-bens jahr war Fromm

    selbst praktizierenderJude, der sich auch in-tensiv mit dem AltenTestament beschftigte. Besonders fas-zinierten ihn die Verheiungen einesweltweiten Friedens bei den ProphetenJesaja, Hosea und Amos (2).

    Als Jugendlicher lernte er bei Rab bi J.Horowitz den Talmud kennen. Whrendseines Studiums war er Schler vonSchneur Rabinkov in Heidel berg sowie

    von Nehemia Nobel und Ludwig Kraus inFrankfurt. Der Einfluss dieser Lehrer aufihn ist insofern von weittragender Bedeu-tung, als sich die sozialistische Ausrich-tung von Rabinkov und die mystische vonNobel thematisch in den Schriften und In-

    teressengebieten von Fromm niederge-

    schlagen haben (3).Als Fromm spter die Werke von

    Karl Marx kennenlernte, versuchte er,eine Synthese zwischen Marx und Freudzu konstruieren, aus der seine Sozialpsy-chologie entstand. Vor ihm hatte schonWilhelm Reich versucht, Marx mit psy -choanalyti-schen Theorien zu ergnzen,wenn auch vergeblich.

    Als etwa 26jhriger kam Fromm mitdem Buddhismus in Berhrung. Spterbeschftigte er sich auch mit dem Zen-buddhismus, wie wir es auch bei FritzPerls (1893-1970), einem anderen Psy-chologen und Psychiater jdischer Her -kunft sehen.

    Erich Fromms Weg der Religion, seineKritik an jedem Verweis auf irrationale

    Offenbarung und Autorittund seine Vorliebe fr dieVerbindung von Vernunf-

    terkenntnis und Mystik ha- ben hier eine wesentlichePrgung erhalten (3,19)2.

    Fromms Abneigung gegen die ber -natrliche Offenbarung, d. h. gegen die -jenige in Gottes Wort und gegen die Au-toritt mag aber viel mehr zu tun habenmit dem wesentlichen Einfluss von Sieg-mund Freud bzw. mit dessen Ha gegenGott, Gottes Wort, Autoritt und jeglicheNormen. Freud hat Fromms Psychoana-

    lyse entscheidend geprgt. Das Studiumdieser anti-theistischen Psychoanalyseund vor allem die eigene Lehranalysesind nicht wertneutral.

    Die religisen Voraussetzungen sei-nes Denkens beschrieb Fromm am aus -

    4 Els Nannen:

    Fromm, der bis zu seinem 26. Le-

    bensjahr hr praktizierender Jude

    war, atte eine Abneigung gegenjede bernatrliche Offenbarung

    2 Die erste Zahl in der Klammer bezieht sich auf die Quellen am Schluss der Abhandlung,die zweite Zahl hinter dem Komma gibt die Seitenzahl in den betreffenden Bchern an.

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    fhrlichsten in seinem Buch Ihr werdet

    sein wie Gott (4).Wie des fteren bei Psychologen j -

    discher Herkunft zu beobachten ist, z. B.auch bei Abraham Maslow, dem Be-grnder der Humanistischen Psycholo-gie, bleibt auch Fromm nicht beim Glau- ben seiner Vter stehen, sondern wirdHumanist, und zwar im Sinne eines radi-kalen Humanismus. Auerdem mussman sich beim Lesen von Fromms Deu -tungen und Lsungsversuchen stndigvor Augen halten, dass er durch unddurch Evolutionist mit einem unwirkli-chen Entwicklungsoptimismus war, wiees z. B. in seinem Buch Ha ben oderSein (5) zum Ausdruckkommt. Weil FrommsBcher so durchtrnktsind von seinem marxis-tisch-freudianischen, hu-manistisch-evolutionisti-

    schen Ansatz, ist es nicht recht verstnd-lich, wenn man heute von vielen zutref-fenden und wegweisenden Analysenspricht, oder davon, dass Fromm funk -tional die Vernderung des Menschen sosieht, wie sie auch in der Bibel beschrie- ben wird, und dass Fromms Seins-mensch in Analogie zu dem neuen Men-schen aus Gott stehen wrde (2). Wennbibeltreue Christen aufgefordert werden, bei Fromms Entwurf des neuen Men-

    schen das Kind nicht mit dem Bade-wasser auszuschtten (2), so kommt ei-nem die Frage, was wohl das Kindsein soll in der Analyse und im Entwurfeines Menschen, der die Offenbarungdes Wortes Gottes nicht nur verwirft,sondern auch zum Teil verflscht (z.B. 1.Mose 3), und der Gott und Christus, dentotalen Sndenfall und Christi Shneop-

    fer leugnet? Dass Gedanken des (evolu-

    tionistischen, humanistischen) Frommin der Analyse meist hilfreich und zumTeil brauch bar fr den nach Wahrheitund echtem Le ben suchenden Men-schen (2) sein sollen, erinnert uns anden Stand punkt des PsychoanalytikersPaul Tournier. Viele Christen, die sichan Tournier orientieren, denken ebenso,dass zwar die Hilfe von oben kommenmuss, wir aber in bezug auf die Analyseund Diagnose so manches von der(durch und durch atheistischen, evolutio-nistischen) Psychoanalyse lernen knn-ten.

    Wir sollten nicht vergessen, dass vie-le uns bekannte Wortewie Gott, Lie be, Ehr-furcht, Selbsterkenntnis,Freiheit usw. beiFromm einen ganz an-deren, d. h. humanisti-

    schen Inhalt ha ben. Dazu gehrt auchsein Begriff der Selbstliebe.Gem seiner Orientierung am

    Buddhismus versteht es sich, dass daserste Zitat des Humanisten Fromm inseinem Buch Psychoanalyse undEthik eines von Buddha ist. Es steht so-gar vor dem Vorwort und heit:

    Seid euer eigenes Licht,Seid eure eigene Zuversicht.Haltet euch an die Wahrheit in euch selbst

    als das einzige Licht.Auch von dem rmisch-katholischen

    Mystiker und Gnostiker Meister Ecke-hart (1250-1327) zitiert Fromm das, wasin sein humanistisches Konzept passt. Ermeint, es sei nur konsequent, dass Gottfr Meister Eckehart das absoluteNichts ist, genau so wie Er fr die Kab-bala En Sof (gttliche Energie im Uni-

    Selbstliebe und Selbstannahme 5

    Worte wie Gott, Liebe,

    Ehrfurcht, Selbsterkenntnis,

    Freiheit usw. haben bei Fromm

    einen ganz anderen Inhalt

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    versum) ist (6,94). Er scheint sich mit der

    Kabbala (jdische, mystisch-theoso-phische Geheimlehre) beschftigt zu ha-ben (7).

    1.2 Psychoanalyse und Ethik vonFromm

    Am Anfang dieses Buches Man ForHimself (1947) weist Fromm daraufhin, dass die Psychologie bzw. die Psy -choanalyse nicht zu trennen ist von derPhiloso phie und Ethik. Die Trennung,die nach seiner Meinung aber bestand,fhrt Fromm auf Freud zurck, der nichtber die Kritik an falschen ethischenNormen hinaus kam und auerdem ver -suchte, die Psychoanalyse in eine Natur-wissenschaft umzuwandeln (6,19).

    Fromm sieht fr die Psychoanalysedie Dringlichkeit, objektive, gltigeNormen der Lebensfhrung aufzustel-

    len, darin, dass die moderne Psycholo-gie zum Relativismus neigt (6, 7). DieAufklrung hatte gelehrt, dass derMensch seiner eigenen Vernunft und ih-rer Fhrung vertrauen kann und soll,auch im Blick auf die Aufstellung glti-ger ethischer Normen. Um zu wissen,was gut oder bse ist, bedrfe es keinerOffenbarung und keiner kirchlichen Au-toritt. Die Antwort auf die Aufklrungaber war der sog. Realismus, der nach

    Frommnur ein anderer Ausdruck fr das Fehlenjeglichen Glaubens an den Menschen ist...Der wachsende Zweifel an der menschli-chen Vernunft und Autonomie schuf einenZustand moralischer Verworrenheit. DerMensch sieht sich sowohl der Fhrungdurch die Offenbarung als auch der Fh -rung durch die Vernunft beraubt. Das Er -

    gebnis ist die Annahme eines relativisti-

    schen Standpunkts (6,17).Fromm wehrt sich nun gegen die

    Vorstellung, als gbe es nur eine einzigeWahl zwischen Religion und Relativis-mus. Er mchte eine andere Alternativeanbieten:

    Gltige ethische Normen knnen von dermenschlichen Vernunft, und zwar von ihrallein, aufgestellt werden. Der Mensch hatdie Fhigkeit, zu unterscheiden und Wert-urteile zu bilden ... Die groe Tradition deshumanistischen Denkens hat die Grundla-ge fr die Wertsysteme geschaffen, die aufder menschlichen Autonomie und Ver-nunft beruhen. Alle diese Systeme gingenvon der Voraussetzung aus, man mssedas Wesen des Menschen kennen, um zuwissen, was fr ihn gut oder schlecht sei ...Der Fortschritt der Psychologie ist ... in derRckkehr zu der groen Tradition der hu-manistischen Ethik. Diese ... vertrat die

    Auffassung, dass es die Bestimmung desMenschen sei, er selbst zu werden. DieVoraussetzung dafr ist, dass der MenschSelbstzweck sein kann (6,18-19).

    Mit diesem Buch, das so wichtig istzum Verstndnis der Selbstliebe-Ideo-logie, will Fromm

    die Gltigkeit der humanistischen Ethikerneut unter Beweis stellen, indem ich zei-ge, dass unsere Kenntnis vom Wesen desMenschen nicht zum ethischen Relativis-

    mus fhrt, sondern ganz im Gegenteil zuder berzeugung, dass die Normen einersittlichen Lebensfhrung in der menschli-chen Natur selbst begrndet sind. EthischeNormen beruhen auf Eigenschaften, diedem Menschen inhrent (innewohnend)sind ... Ferner werde ich zu zeigen versu-chen, dass die charakterliche Struktur derzu sich selbst gelangten Persnlichkeit,

    6 Els Nannen:

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    der produktive Charakter also, Ursprung

    und Grundlage der Tugend ist. Im Gegen-satz hierzu ist Laster nichts anderes alsGleichgltigkeit gegenber dem eigenenIch, also Selbstverstmmelung. Die hch-sten Werte der humanistischen Ethik sindweder Preisga be des eigenen Ich nochSelbstsucht, sondern Bejahung des eigent-lich Menschlichen. Soll der Mensch Ver -trauen in Werte haben, dann muss er sichselbst und seine guten und kreativen Ei-genschaften kennen (20).

    Im nchsten Kapitel des genanntenBuches behandelt Fromm die humanisti-sche Ethik. Sie kann mittels formalerund materieller Kriterien erfasst werden.Formal beruht sie aufdem Prinzip, dass nur derMensch selbst das Krite-rium fr Gut und Bsebestimmen kann, niemals aber eine Au-toritt, die ihn transzendiert. Das mate-

    riale Kriterium beruht auf dem Prinzip:,gut ist das, was fr den Menschen gutist, und ,bse was ihm schadet.

    Das Wohl des Menschen ist also,das einzige Kriterium fr ethische Wer -te ... Humanistische Ethik ist anthropo-zentrisch ... so zu verstehen, dass seineWerturteile, wie alle seine Urteile undauch sein Wahrnehmungsvermgen, inder Besonderheit seiner Existenz ihrenUrsprung ha ben... Der Mensch ist tat-

    schlich ,das Ma aller Dinge. Vom hu-manistischen Stand punkt aus gibt esnichts Hheres und nichts Erhabeneresals die menschliche Existenz (6, 26-27).

    Als Gegensatz zu dieser humanisti-schen Ethik mit ihrer rationalen Auto-ritt sieht Fromm die autoritre Ethikmit ihrer irrationalen Autoritt, die

    hilflos, abhngig und ngstlich ma-

    che. In der autoritren Ethik bestimmteine Autoritt, was fr den Menschengut ist.

    Nach einem ausfhrlichen Kapitelber die Natur und den Charakter desMenschen kommt Fromm nun zu demfr das Thema Selbstliebe wichtigstenKapitel, nmlich zu dem vierten.

    1.3 Das Menschenbild Erich Fromms

    Schon aus den obengenannten Zita-ten wird deutlich, dass Fromm in seinemDenken, Deuten und Bestre ben vllighumanistisch ausgerichtet ist. Aber auch

    schon der ursprngli-che Titel des BuchesMan For Himselfspricht fr sich. Der

    Mensch fr sich selbst ist der Menschin seiner Beziehung zu sich selbst, der

    Mensch pour-soi des Existentialis-mus. Er ist der Mensch, der sich selbstbestimmen will und sich autonomwhnt, der meint, er knne erst er selbstsein, wenn (und solange) er keine irra-tionale Autoritt und keine autoritreEthik anerkennt. Deshalb wettertFromm auch gegen die Doktrin, Selbst-sucht sei ein Grundbel und sagt dazu:

    ,Sei nicht selbstschtig schlietein: tue nicht, was du selbst mchtest,

    gib deinen eigenen Willen zugunsten ei-ner Autoritt auf... Von seinem offen-kundigen Sinn abgesehen, bedeutetes,liebe dich nicht, ,sei nicht du selbst,sondern unterwirf dich einem Etwas, daswichtiger ist als du selbst, unterwirf dicheiner auer dir liegenden Macht oder ih -rem inneren Gegenstck, der Pflicht...(6,141).

    Selbstliebe und Selbstannahme 7

    Der Mensch ist tatschlich ,das

    Ma aller Dinge

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    Es handelt sich hier um den in sich

    gengsamen und auf sich angewiesenenMenschen mit seinen schlummerndenFhigkeiten und ungeahnten menschli-chen Mglichkeiten und Krften. Alshumanistische Variante zu Ps 87, 7knnte ein solcher Mensch sagen: Allemeine Quellen sind in mir. Er hat z. B.in sich selbst die Fhigkeit zum Gu-ten, d. h. die Fhigkeit, zu erkennen,was gut ist, und zu handeln gem sei-ner natrlichen Fhigkeiten und seinerVernunft (6, 228). Allerdings begreiftFromm, der die Bibel kennt, gut:

    Dieser Stand punkt der humanisti-schen Ethik wrde un-halt bar, wenn das Dog-ma von der angeborenennatrlichen Schlechtig-keit des Menschen rich -tig wre... (6,228).

    Um die humanistische Ethik zu ret -

    ten, muss darum der biblische Berichtber den historischen Sndenfall ver-flscht werden. Dar ber spter mehr.Dieser humanistische Mensch hat dieFhigkeit, zu lieben. Die Liebe ist eineihm eigene Kraft (6, 27) - und die F -higkeit, zu werden, was man potentiellist (Spinoza; 6, 41). Ob diese oder an -dere der menschlichen Natur inhrenten(innewohnenden) Eigenschaften und F-higkeiten, der Mensch findet einfach Ge-

    fallen an sich selbst und liebt sich selbst.Es ist der Mensch, der Sinn und Ziel

    seines Lebens in sich selbst hat und darumin sich selbst suchen und finden muss. Die-ser Mensch ist Selbstzweck (6,19). Er istder sich frei whnende Mensch der sichselbst treu sein will und sich selbst ver -antwortlich fhlt. Das uert sich z. B.darin, dass er zu seiner Selbstentfaltung

    und Selbstverwirklichung bzw. zum

    Wachstum und zur vollkommenen Entfal-tung und Verwirklichung seiner Persn-lichkeit mit seinen dem menschlichen We-sen eigenen Mglichkeiten kommt. BeiFromm sind das u. a. die (humanistischen)Mglichkeiten der Vernunft, Lie be undProduktivitt, wobei der Begriff Produk-tivitt eine Erweiterung des Begriffs derSpontaneitt (d. h. des gefhlsmigenHandelns und Reagierens) darstellt. Be-dingung dazu sind (humanistische) Selbst-erkenntnis, Selbstliebe und Selbstinteresse,d. h. Interesse an der Verwirklichung dereigenen Mglichkeiten. Nach Fromm ist

    das humanistische Ge-wissen ein Ausdruck derInteressiertheit des Men-schen an sich und an sei -ner Integritt (6, 174).Handlungen, Gedanken

    und Gefhle, die ein richtiges Funktionie-

    ren und die Entfaltung unserer Gesamtper-snlichkeit frdern, rufen ein Gefhl derinneren Zustimmung der Richtigkeit her-vor... Gewissen ist also die Re-Aktion un -seres Selbst auf uns selbst (6,173). Undum die Stimme unseres Gewissens zuhren, mssen wir auf uns selbst hren ...(6,175).

    Der Mensch ist auch darber hinausseinem Wesen nach der gute Mensch,der Mensch mit seinen Fhigkeiten

    zum Guten.Wir ha ben dargelegt, dass der Menschnicht zwangslufig bse ist, sondern nurdann bse wird, wenn die fr sein Wachs-tum geeigneten Bedingungen fehlen. DasBse fhrt kein unabhngiges Eigenleben;es ist... das Scheitern eines Verwirkli-chungsversuches (6,236).

    8 Els Nannen:

    Das humanistische Gewissen sei

    ein Ausdruck der Interessiertheit

    des Menschen an sich und an

    seiner Integritt

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    So kann Fromm nicht anders als

    durch seine humanistische Brille se-hen. Durch seinen humanistischen undvor allem evolutionistischen Ansatz mitseinem Entwicklungsoptimismus kommter letztlich zur Verflschung des WortesGottes in bezug auf den Sndenfall desMenschen und natrlich zur dement-sprechenden Leugnung der Tatsache,dass der Mensch ein gefallener Menschist. Erich Fromm polemisierte leiden-schaftlich gegen die angeborene Snd-haftigkeit des Menschen (7).

    Die Bemerkung Erich Fromms Bildvom Christentum ist eine Karikatur (7)ist berechtigt. Diese Karikatur des Chris-tentums bzw. die Ver-achtung des Christen,der sich an Gottes Worthlt, sich seiner Snd-haftigkeit und Ohnmacht bewusst ist,sich darum aus Gnade von Jesus Chris -

    tus erretten lie und nun dank bar undfreiwillig dem Herrn gehorsam ist unddient, diese Verachtung hngt wohl engmit der traurigen Tatsache zusammen,dass Fromm sich von seinem ortho-dox-jdischen Hintergrund absetzte unddafr einen radikalen Humanismuswhlte. Besonders Calvin und Luther be-kommen das zu spren. Die Theologie,fr die der Mensch von Grund auf einbses und machtloses Wesen ist, irri-

    tierte Fromm malos. Er meinte:Selbstverachtung und Selbstha sinddie Wurzeln einer solchen Doktrin (6,135).

    Dieses humanistische MenschenbildFromms kann in einem humanistischenGlaubensbekenntnis zusammenge-fasst werden: Ich glau be an den Men-schen, an seine Wrde, Integritt, Tu-

    gend, Macht usw. Oder: Ich glau be an

    mich selbst! Die Entthronung Gottes, diebewusste Abweisung seiner Autorittund Normen einerseits und die Vergot-tung des Menschen sowie des Menschli-chen andererseits sind die Schlssel zumVerstndnis der Selbstliebe-Ideologie.Wenn man die Grundlage, nmlich diehumanistische Anthropologie des sichvon Gott und Gottes Wort emanzipier-ten, gefallenen Menschen, nicht (genug)kennt oder sie nicht ernst nimmt, stehtman unweigerlich in der Gefahr, sichvon der humanistischen Ideologie derSelbstliebe faszinieren und mitreien zulassen, so dass man meint, es stecke et-

    was Wahres darin,etwas Hilfreichesund Brauchbares.Wir aber wollen uns das

    biblische Zeugnis nicht nehmen lassen,das da lautet: Ich wei, dass in mir, das

    ist in meinem Fleisch, nichts Guteswohnt (R 7, 18); Aber durch GottesGnade bin ich, was ich bin ..., nicht aberich, sondern Gottes Gnade! (1Kor.15.10).

    1.4 Fromms humanistische Problem-analyse

    Es sind vor allem V. Frankl, Profes-sor der Neurologie und Psychiatrie in

    Wien und Vater der humanistischen Lo -gotherapie, und E. Fromm, die sich mitdem Gefhl der Selbstentfremdungund der Sinnlosigkeit beschftigt haben.Beide betrachten das menschliche Ver-halten als ein Suchen nach der eigenenIdentitt und nach dem Sinn des Lebens.

    Neben bei sei bemerkt: Wenn manmeint, dass die Identittsfrage das Zen-

    Selbstliebe und Selbstannahme 9

    Erich Fromms Bild vom Christen-

    tum ist eine Karikatur

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    tralpro blem der heutigen Studentenge-

    neration sei (8), so ist man, vielleichtunbewusst, beeinflusst von humanisti-scher Psychologie. Die Leitgedankensind dann folgende:

    Wenn man nicht mehr wei, werder Mensch in sich selbst ist, dann solldas seine Rckwirkung auf den Re-spekt vor der Wrde und Integritt desMenschen und auf die Nchstenliebehaben. Denn die in der Liebe enthalteneBejahung gilt dem geliebten Menschenals einer Inkarnation wesentlich mensch-licher Eigenschaften. Die Lie be zu ei-nem einzigen bedeutet Liebe zum Men -schen an sich (6, 144). Ebenso schlimmist es nach Fromm, wenn der Menschnicht mehr wei, wer er in sich selbstist und wie er die in ihm schlummern-den gewaltigen Krfte freilegen knnte.Ebenso wenig wei er, wie diese Krfteproduktiv eingesetzt werden knnten

    (6, 16-17). Und Mangel an (humanisti-scher) Selbsterkenntnis hat Mangel anSelbstrespekt und Selbstliebe, an Liebezum eigenen Ich (6,143) zur Folge, waswiederum der Selbstentfaltung undSelbstverwirklichung im Wege steht.

    Das Versagen unserer Kultur liegt nichtim Individualismus ..., nicht darin, dasssich die Menschen zu sehr mit ihren Inter-essen beschftigen, sondern dass sie sichnicht genug mit den Interessen ihres wah -

    ren Ich beschftigen; nicht darin, dass siezu selbstschtig sind, sondern dass sie sichselbst nicht genug lieben (6,153)

    Ferner habe der Mensch bei seinerzunehmenden Macht ber die Materieden Blick auf das Ziel verloren, das al -lein all dem einen Sinn zu geben vermag.Das ist der Mensch selbst (6,16). Dar-ber hinaus habe die von Calvin und Lu-

    ther vertretene Auffassung, die Selbst -

    lie be ist identisch mit Selbstsucht undschliet die Nchstenliebe aus,

    einen ungeheuren Einfluss... Sie (die bei-den Reformatoren) ga ben damit dieGrundlagen fr eine Verhaltensweise, diedas Glck des Menschen nicht als Lebens-zweck betrachtete; er wurde zum Mittelvon Zwecken, die jenseits seiner selbst lie-gen: eines allmchtigen Gottes oder nichtweniger mchtiger verweltlichter Autori-tten und Normen ...(6,136).

    Fromm schtzte dagegen z. B. Nietz-sche und Max Stirner, die radikalstenVerfechter des Rechts des Einzelnenauf Glck. Diese richteten sich gegen dieAuffassung der christlichen Theologie,die fordern wrde, der Einzelne habesich einer Macht oder einem Prinzip au -erhalb seines Ich zu beugen und dortsein Zentrum zu finden (6,138).

    1.5 Fromms humanistische Probleml-sung

    Logischerweise bestimmt Frommsvorwissenschaftliche Vorentscheidungeines humanistischen Menschenbildesnicht nur seine Deutung, sondern auchseine Lsung der Probleme der Men-schen. Das Pro blem der (humanisti-schen) Selbstentfremdung und Identi-ttskrise soll sich durch (humanistische)

    Selbsterkenntnis und Selbstfindung l-sen lassen, die dann zum Selbstrespektund zur Selbstliebe fhren. Das Problemder Sinnlosigkeit lse sich durch das Er-kennen des (humanistischen) Sinnes desLebens, d.h. Selbstentfaltung und Selbst-verwirklichung in autonomer Selbstbe-stimmung und Selbstverantwortung.

    10 Els Nannen:

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    Der Mensch muss die Verantwortung fr

    sich selbst bernehmen und sich damit ab-finden, dass er seinem Leben nur durch dieEntfaltung seiner eigenen Krfte Sinn ge -ben kann ... Sieht er der Wahrheit furchtlosins Auge, dann erfasst er, dass sein Lebennur den Sinn hat, den er selbst ihm gibt, in-dem er seine Krfte entfaltet (Hervorhe- bung im Original): indem er produktivlebt... Nur wenn er die menschliche Situa-tion, die seiner Existenz innewohnendenWidersprche und seine Fhigkeit derEntfaltung erfasst, kann er seine Aufgabelsen: er selbst und umseiner selbst willen zu seinund glcklich zu werdendurch die volle Verwirkli-chung der ihm eigenenMglichkeiten - der Vernunft, der Liebeund der produktiven Arbeit (6,60).

    Als Hilfe zur Erreichung dieserSelbstentfaltung und Selbstverwirkli-

    chung fhrt Fromm nun die humanisti-sche Ethik ein und pldiert fr ihre Inte-gration in die Psychoanalyse. Das ist dasZiel des obengenannten Buches:

    ... so errtere ich hier das Pro blem derEthik, der Normen und jener Werte, diedem Menschen zur Verwirklichung seinesWesens und der in ihm schlummerndenMglichkeiten verhelfen sollen (6,7).

    1.5.1 Fromms humanistische Deutung der

    SelbstliebeDas (humanistische) Selbst, das zu

    verwirklichen ist, d. h. das, was man alsMensch in sich selbst ist und hat, gilt es,zu lieben. Wo der Mensch an sich, d. h.das Ich mit seiner Wrde und seinenMglichkeiten, Krften und Eigenschaf-ten, sowohl in mir als im anderen, Ge-genstand der Lie be ist, gibt es, nach

    Fromm, keinen Gegensatz zwischen

    Selbstliebe und Nchstenliebe. Bei die-sem Gedankengang, der prinzipiell denSndenfall und damit die sndige Naturdes Menschen leugnet, ist die AussageFromms so zu verstehen, als sei es einlogischer Fehlschluss, zu meinen,Selbstlie be und Nchstenlie be wrdeneinander ausschlieen. Im Gegenteil,Selbstliebe schliee immer Nchstenlie-be und Nchstenliebe immer Selbstliebeein. Das (humanistische) Menschlicheist ja unteilbar, in mir und im Nchsten.

    Darum, so Fromm,kann man berhauptnicht lieben, wenn mannur andere lieben kannbzw. nur das Menschli-

    che im anderen und nicht in sich selbst.Auch die Lie be zum menschlichen

    Ich ist nach Fromm unteilbar:

    Ist es eine Tugend, wenn ich meinenNchsten als ein menschliches Wesen lie - be, so muss es auch eine Tugend, nichtaber ein Laster sein, wenn ich mich selbstliebe, da auch ich ein menschliches Wesenbin.Es gibt keinen Begriff des .Menschen, dermich selbst nicht einschlsse. Eine Dok-trin, die mich ausschlieen wrde, enthiel-te einen Widerspruch. Der Gedanke Lie-be deinen Nchsten wie dich selbst, wie

    er in der Bibel steht, bedeutet nichts ande-res, als dass Achtung vor der eigenen Un-antastbarkeit und Einmaligkeit, Liebe zumeigenen Ich und ein Begreifen des eigenenIchs nicht trennbar ist von der Achtung vordem anderen, der Liebe zum ndern unddem Begreifen des ndern. Die Liebe zumeinem Ich ist untrennbar mit der Liebezu jedem anderen Ich verbunden.

    Selbstliebe und Selbstannahme 11

    Selbstliebe schliee immer

    Nchstenliebe und Nchstenlie-

    be immer Selbstliebe ein

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    Somit sind wir zu der grundlegenden psy -

    chologischen Voraussetzung gekommen,auf der die Schlussfolgerung unserer Be -weisfhrung aufge baut ist. Ganz allge-mein handelt es sich um folgende Voraus-setzung: Nicht nur die ndern, sondernauch wir selbst sind das Objekt unsererGefhle und Verhaltensweisen. Zwischendem Verhalten zu uns selbst und dem Ver-halten anderen gegenber besteht kein Wi-derspruch..., sondern ein fundamentalerZusammenhang... Im Prinzip ist Liebe un-teilbar, soweit es den Zusammenhang zwi-schen anderen Objekten und dem eigenenIch betrifft ... Liebe ist Ausdruck der eige-nen Liebesfhigkeit. Die Liebe zu einemeinzigen Menschen be-deutet Liebe zum Men -schen an sich... Darausfolgt, dass mein eigenesIch prinzi piell ebensoGegenstand meiner Liebe sein muss wie

    ein anderer Mensch. Die Bejahung des ei-genen Lebens, des Glcks, der Entfaltungund der Freiheit wurzelt in meiner eigenenLiebesfhigkeit ... Ein Mensch, der pro-duktiv lieben will, liebt auch sich selbst.Kann er nur andere lie ben, so kann erberhaupt nicht lieben (6, 143-144).

    Damit beantwortet Fromm die Frage,die er vorher stellte, ob die psychologi-sche Beobachtung die These besttigt,dass Selbstliebe und Nchstenliebe ein -

    ander ausschlieen. Er bersieht dabei,dass seine, wie auch jede psychologi-sche Beobachtung nicht wertneutral ist,sondern geprgt wird von dem zugrun-deliegenden Menschenbild.

    Im brigen ist die Nchstenliebenach Fromm nicht nur ein Gedanke inder Bibel. Entsprechend der humanisti-schen Ethik besteht eines der typischen

    Eigenschaften des Menschseins darin,

    dass der Mensch Erfllung und Glcknur in bezug auf seine Mitmenschen undauf die Solidaritt mit ihnen findet (6,27). So scheint diese Nchstenliebe dochwieder Mittel zum Zweck zu sein. Au-erdem sei die Nchstenliebe auch einGe bot der humanistischen Ethik, ausdem Verantwortungsbewusstsein seinerselbst gegenber (6,182).

    1.5.2 Fromms humanistische Deutung der

    Selbstsucht

    Im Rahmen seines humanistischenMenschenbildes macht Fromm einenUnterschied zwischen echter Selbst-

    lie be und Selbstsucht.Fr ihn sind Selbstliebeund Selbstsucht nichtidentisch, sondern Ge-genstze. Wohl gbe es

    einen Zusammenhang zwischen beiden.

    Mangel an echter Selbstliebe sei die ei -gentliche Ursache der Selbstsucht.Der Selbstschtige ist nur an sich selbstinteressiert, will alles fr sich und hat nuram Nehmen Freude, nicht aber am Geben.Seine Umwelt betrachtet er nur daraufhin,was sich aus ihr herausholen lsst. Die Be-drfnisse der anderen interessieren ihnnicht, es fehlt ihm an Respekt vor derWrde des Menschen und seiner Integri-tt... Sich selbst liebt der Selbstschtige

    nicht etwa zu sehr, sondern zu wenig; tat -schlich hasst er sich selber. Dieser Man -gel an Lie be fr sich selbst... macht ihnleer und unbefriedigt...(6,145).

    Seine Theorie ber die Natur, dasWesen der Selbstsucht, sieht Frommdeutlich besttigt durch die psychoana-lytischen Erfahrungen in bezug auf neu -rotische .Selbstlosigkeit (6, 146), z. B.

    12 Els Nannen:

    Mangel an echter Selbstliebe sei

    die eigentliche Ursache der

    Selbstsucht

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    die Selbstlosigkeit der Mutter ihren Kin-

    dern gegenber, gegen die Fromm wet -tert. Wohl dem Kind, das eine Muttervoller Selbstliebe hat:

    Wer die Wirkung einer von echterSelbstlie be erfllten Mutter beobachtenkann, wird feststellen, dass es fr ein Kindkeine gnstigeren Bedingungen gibt, umzu erfahren, was Liebe, Freude und Glckist, als wenn es von einer Mutter geliebtwird, die sich selbst liebt (6,147).

    Diese Aussage ist ein Beispiel vor-eingenommener Beobachtung eineshumanistischen Psychologen (Psycho-analytikers). Es erinnert uns an die ge-frbte Beobachtung eines anderen j -dischen Humanisten, der der Begrnderder Humanistischen Psychologie wurde:Abraham Maslow (1908-1970). Er warvon Fromm beeinflusst und fhlte sichbesonders zu dessen politischer Orien-tierung hingezogen. Maslow schrieb

    1965, es sei eine empirische Aussage,dass der Mensch bzw. die menschlicheNatur gut ist (9). Fr Fromm bedeutenSelbstlosigkeit und Selbstaufopferungwie Pflicht, Gehorsam oder eines ande-ren Werkzeug zu sein, soviel wieSelbstverkrppelung und Selbstver-stmmelung. Selbstsucht bedeutet nachFromm, wenn es nicht mehr heit: Ichbin, was ich denke, sondern: Ich bin, wasich habe (Besitz) oder wonach ich strebe

    (Geld, Erfolg). Er weist dann auf IbsensPeer Gynt hin, der allen Reichtmernnachjagte, aber dabei seine Seele oder -wie ich es ausdrcken wrde - sein Ichverlor (6, 152). Denn das Ich, das Selbstmit seinen wichtigsten eigenen Mglich-keiten blieb unverwirklicht...

    Hier sehen wir, wie gefhrlich einehumanistische Umdeutung einer bibli-

    schen Aussage ist. Geht es dem Herrn

    Jesus um die ewige Errettung des Men -schen (Mt 16, 26), so handelt es sich beiFromm um die zeitliche und vergngli-che Verwirklichung des (humanisti-schen) Selbst.

    1.6 Die Kunst des Liebens

    Das Buch The Art of Loving(1956) ist ebenfalls ganz und gar geprgtvon Fromms humanistisch-evolutionis-tischem Menschenbild und nur von die -sem Ansatz her zu betrachten. Liebe ist bei Fromm eine Kunst, genauso wieMusik, Malerei, Medizin oder Technik(10,15).

    Liebe ist eine dem Menschsein inh-rente Fhigkeit, die voll entwickeltwerden muss (10,9). Die eigene Lie-besfhigkeit entwickeln bedeutet, seinePersnlichkeit entwickeln und umge-

    kehrt.Die Liebe ist nach Fromm eine akti-ve Kraft im Menschen (10,31). Sie ist

    eine Aktivitt und kein passives Gefhl.Sie ist etwas, was man in sich selbst entwi-ckelt... Sie ist in erster Linie ein Geben undnicht ein Empfangen ... Fr den produkti-ven Charakter ist das Geben hchster Aus-druck seines Vermgens. Gerade im Aktdes Schenkens erle be ich meine Strke,meinen Reichtum, meine Macht... Dieses

    Erlebnis meiner gesteigerten Vitalitt undPotenz erfllt mich mit Freude. Ich erlebemich selbst als berstrmend, hergebend,lebendig und voll Freude. (10,33)

    So wie man etwas tun muss, um z. B.die eigene musikalische Fhigkeit zuentwickeln und Klavierspielen zu lernen,so muss man etwas tun, wenn man ler -nen will, zu lieben. Als drei notwendige

    Selbstliebe und Selbstannahme 13

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    Schritte nennt Fromm: a) die (humanisti-

    sche) Theorie und b) die Praxis der Liebebeherrschen (lernen), whrend dieMeisterschaft uns mehr als alles am Her-zen liegen muss; nichts auf der Welt darfuns wichtiger sein als diese Kunst(10,16). Und c), wenn sich in mir dieFhigkeit zu lieben entwickelt hat, kannich gar nicht umhin, meinen Nchsten zulieben, so meint Fromm.

    Er ist auch der berzeugung, dassLie be Antwort auf das Pro blem dermenschlichen Existenz ist. Das klingtalles sehr schn, fast wie eine skulareVariation auf 1Kor 13, vor allem, wennman diese Aussage aus seinem (huma-nistisch-evolutionistischen) Zusammen-hang lst, sie isoliert zitiert und kom-mentiert. Es folgen einige Erwgungenzu Fromms Aussage:

    a) Welche Liebe ist es eigentlich, dieAntwort auf das Problem der menschli-

    chen Existenz sein soll? Das ist dieKernfrage eines Christen. Wir drfen nieaus dem Auge verlieren, dass FrommsBegriff Liebe humanistisch gefllt ist.Diese sog. Liebe stammt aus den eigenenMglichkeiten des (gefallenen) Men-schen und fhrt zur stolzen Freudeber den eigenen Reichtum. Ich brau -che dabei nicht in erster Linie Liebe zuempfangen, um sie weitergeben zu kn -nen, sondern ich habe in mir selbst et-

    was, was ich zu geben imstande bin. Au-erdem dient die Entwicklung der eige-nen Liebesfhigkeit der eigenen Selbst -entfaltung und Selbstverwirklichung,also mir selbst!

    So steht Fromms Liebe der Liebein R 14,8-10 oder 1Kor 13 diametralentgegen. Die biblische Lie be hat einevllig andere Quelle, fhrt zu einem

    ganz anderen Ergebnis und dient einem

    anderen Zweck. Ihre Quelle liegt auer-halb des (gefallenen) Menschen. Siestammt aus Gott (1. Joh. 4,8-10; Joh.3,16). Nur nach der biblischen Bekeh-rung und Wiedergeburt wird die gttli-che, die echte Liebe ins Herz ausgegos-sen (R 5, 1 und 5). Man muss also erstGottes Liebe in Jesus Christus empfan-gen ha ben, um Lie be weiterge ben zuknnen. Jedes Kind Gottes, das zur bibli-schen Selbsterkenntnis kommt, wei:In mir... nichts Gutes, auch keine ei -gene Fhigkeit zu lieben (R 7, 18). Dieerfahrene und empfangene Liebe Gottesfhrt zur demtigen Freude an JesusChristus, den Erretter, und zur Hingabedes Lebens, damit auch andere gerettetwerden (1. Kor. 5,14-15 und 20). Siedient zur Ehre Gottes, zum Lob seinerherrlichen Gnade (Eph. 1,5-6).

    b) Wie wichtig auch die (biblische)

    Liebe ist, sie darf niemals von der Persondes dreieinigen Gottes losgelst und ver-selbstndigt werden. Liebe darf keinskularer oder frommer Ersatz fr denHerrn werden! Was der (gefallene)Mensch in erster Linie braucht, ist einePerson, ist der, der von Gottes Gerichtrettet: Jesus Christus. Wer den Sohnhat, hat das Leben; wer den Sohn Gottesnicht hat, hat das Leben nicht und derZorn Gottes bleibt auf ihm (1Joh 5, 12;

    Joh 3, 36). Nur mit und in Jesus Christushat Gott alles geschenkt (Eph. 1,3).

    c) Welches ist das Pro blem dermenschlichen Existenz, auf das die Lie-be die Antwort sein soll? Fromm meint:Jede Theorie der Liebe muss mit einerTheorie des Menschen beginnen. Unddann entfaltet er, zusammen mit einermassiven Verflschung der biblischen

    14 Els Nannen:

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    Offenbarung ber die Schpfung und

    den Sndenfall des Menschen, eine haar-strubende evolutionistische Deutungder Quelle von Angst, Scham undSchuldgefhl und des dem entspre-chenden strksten Strebens des Men-schen, der Wunsch nach zwischen-menschlicher Vereinigung.

    Fromm philoso phiert also: DerMensch ist ein Teil der Natur. Darauf be-ruht die Gleichheit aller Menschen.Alle Menschen sind gleich, weil sie alleKinder der Mutter Erde sind (10,77).Im sog. Paradies gab es ursprnglichdas Einssein des Menschen mit der Na -tur, das Kindheitsstadium bzw. die in-fantile Periode der menschlichen Rasse.Dann kam die notwendige Durch-gangsphase in der Evolution, die Ver-trei bung aus dem Paradies (Ausfhrli-cher darber auch im Literaturverzeich-nis Nr. 11). Nach ihrer Ge burt als

    menschliche Wesen (1. Mose 3, 7) er-kannten die Menschen, dass sie nacktwaren, und schmten sich. Das heit:

    Sie wurden sich selber und ihres Partnersbewusst und damit ihrer Getrenntheit undUnterschiedlichkeit. Sie ... blei ben sichfremd, weil sie noch nicht gelernt haben,sich zu lieben ... Das tiefste Bedrfnis derMenschen ist demnach, ihre Abgetrennt-heit zu berwinden und aus dem Gefng-nis der Einsamkeit herauszukommen. Der

    Mensch sieht sich vor das Problem der L-sung der einen Frage gestellt, wie er seinAbgetrenntsein berwinden..., wie er dasEinswerden erreichen kann (10,19).

    In diesem Evolutionsprozesskann der Mensch nur vorwrtsschreiten,indem er seine Vernunft entwickelt, indemer eine neue, eine menschliche Harmonie

    findet anstelle der vormenschlichen Har -

    monie (10,17).Solange die Menschen im vor-

    menschlichenStadium eins mit derNatur waren, waren sie auch unterein-ander eins. Die Ursache der menschli-chen Trennung liegt also in der evolutio-nren Abtrennung von der MutterErde begrndet. In diesem besonderenKontext muss wohl die Aussage gelesenwerden:

    Die Nchstenliebe enthlt die Erfahrungder Einheit mit allen Menschen, dermenschlichen Solidaritt, des menschli-chen Einswerdens. Die Nchstenliebegrndet sich auf die Erfahrung, dass wiralle eins sind (10,58).

    Und diese Lie be soll also, nachFromm, Antwort sein auf das Problemder Trennung des Menschen von der Na-tur bzw. von der Mutter Erde und ih -ren Folgen. Als ehemaliger orthodoxer

    Jude wei Fromm nur zu gut, dass essich in 1. Mose 3 um den Sndenfall desMenschen seinem Gott und Schpfer ge-genber handelt. Er wei nur zu gut, dassdas Hauptpro blem des Menschen seineTrennung von Gott ist, aus der dannAngst, Scham, Schuldbewusstsein undzwischenmenschliche Trennung resul-tieren. Welch eine Torheit, wenn mandie Wahrheit Gottes uminterpretiert unddie unverdiente Lie be Gottes und sein

    Heil in Jesus Christus, die einzige Ant -wort auf das einzige Hauptproblem desMenschen, abweist und durch Selbster-lsung ersetzt! Der Mensch kann sichselbst finden und sich durch seine eigeneAnstrengung, und ohne Akt der Gnadevon Gott, erlsen. (7; vgl. aber Hebr2,1-3).

    Selbstliebe und Selbstannahme 15

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    Menschen, und dieser Mensch ist Gott

    und Mensch.So steht es recht mit einem solchen

    Menschen, der sich selbst liebhat undalle Menschen so lieb wie sich selbst,und mit dem ist es gar recht bestellt(12).

    1.7 Zusammenfassung

    Aus den obengenannten Ausfhrun-gen mag deutlich geworden sein, dassFromms Ideologie der Selbstlie be einAspekt des einen Paradigmas (Muster-beispiels) ist: des humanistisch-evolu-tionistischen Menschenbildes. Es drehtsich alles um den Menschen ohne Bezugzu Gott und ohne innewohnende Snde,um das sog. Menschliche, das Ich, dasSelbst im humanistischen, evolutionisti-schen Sinne.

    Ob es sich um Selbsterkenntnis (Er -

    kenntnis dessen, was ich angeblich inmir selbst bin und habe, aus mir selbstheraus wei und kann) und Selbstfin-dung handelt, um Selbstbejahung,Selbstrespekt, Selbstgefallen und Selbst-liebe in Verbindung mit den sog. eigenenMglichkeiten, Fhigkeiten und positi-ven Eigenschaften als Mensch, um dem-entsprechendes Selbstvertrauen, umSelbstinteresse, dass es in Selbstbestim-mung und Selbstverantwortung zur

    hchsten Selbstentfaltung und Selbst-verwirklichung kommt -, es sind allesFrchte der gleichen Wurzel: einer anti-biblischen, humanistischen Anthropolo-gie (Lehre vom Menschen), die unzer-trennlich damit verbunden ist. Wie dieWurzel - so die Frucht! Diese Selbstlie-beideologie ist also nicht wertneutral.Sie ist weder zu neutralisieren noch zu

    christianisieren. Selbstlie be stammt

    aus der gefallenen Natur und ist Snde.Die neue Natur liebt Gott, den Bruderund den Nchsten (1. Joh. 4,19; 5,1-2; 2.Petr. 1, 7; R 13,8-10; Matth. 5,44).

    2. Walter Trobisch und die Selbst-liebe

    In einem warnenden Artikel bemerktDr. John Stott (von dem wir nicht allesunterschrei ben knnen, was er ander-weitig sagt. Siehe auch Bibel und Ge-meinde 4/1982, Seite 373ff.), dass

    ein vielstimmiger Chor heute einstimmigsingt, ich msse mich um jeden Preis lie -ben, dass Selbstliebe ein Gebot ist, das ammeisten vernachlssigt wird, und der dieLiebe zu Gott und zum Nchsten hinzuge-fgt werden muss. Wenn ich mich hierzuverweigere, werden mich schrecklicheFolgen berfallen: Frustration, Depressi-

    on, Feindschaft, Trgheit und vieles ande-re mehr. Eine ganz neue Literatur ist umdieses Thema entstanden (13, 24).

    Und dann weist Stott hin auf Bchervon CeciI G. Osborne (1976), RayAshford, Bryan Jay Cannon und WalterTro bisch (1977). Wir wollen uns nun-mehr mit dem Buch von Trobisch Lie -be dich selbst auseinandersetzen (14).

    So wie fr Fromms Buch Man ForHimself das Anfangszitat von Buddha

    kennzeichnend ist, wird in diesem Bch-lein von Tro bisch zu Anfang bezeich-nenderweise der unglubige HermannHesse zitiert (Aus Steppenwolf):

    ...denn das Liebe deinen Nchsten warihm so tief eingeblut wie das Hassen sei-ner selbst, und so war sein ganzes Lebenein Beispiel dafr, dass ohne Liebe zu sichselbst auch die Nchstenliebe unmglich

    Selbstliebe und Selbstannahme 17

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    ist, dass der Selbsthass genau dasselbe ist

    und am Ende genau dieselbe grausige Iso-liertheit und Verzweiflung erzeugt wie dergrelle Egoismus.

    Hermann Hesse war der Sohn glubi-ger Eltern, bei dem aber der groe Ok-kultist und Illuminat Johann Wolfgangvon Goethe und nicht Jesus Christus einezentrale Stellung einnahm, und der diehinduistische Religion weit verlocken-der fand als die frohe Botschaft JesuChristi. Einige Hinweise auf seine innereAusrichtung kann man bei G. Meskem-per finden (15).

    Und so wie Erich Fromm Spinoza,Max Stirner, Nietzsche und ein in seinKonzept passendes Zi-tat von Meister Ecke-hart als Kronzeugen frseine Selbstliebeideolo-gie heranzieht, beruft sich W. Trobischauf den Psychoanalytiker Dr. Guido

    Groeger, auf den rmisch-katholischenHumanisten und Philoso phen RomanoGuardini und auf Josef Piper, um seineIdeen ber Selbstliebe und Selbstannah-me zu untermauern.

    Es ist schon traurig, wenn ein ortho-doxer Jude, wie Fromm, Gott und GottesWort den Rcken kehrt und sich am Hu-manismus bzw. an Humanisten orien-tiert. Noch trauriger ist es aber, wennsich einer, der sich Christ nennt, in der

    Frage der Selbstlie be an der atheisti-schen, evolutionistischen Tiefenpsycho-logie und an einem rmisch-katho-lischen Humanisten orientiert. Am be-denklichsten dabei ist, dass Trobisch dieIdee aus atheistischer, humanistischerQuelle zu christianisieren versucht unddiese Mischung in die Gemeinde JesuChristi bewusst hineintragen will.

    Liebe dich selbst (14)

    Trobischs Sicht auf die Selbstliebe isteine Variante der humanistischen Selbst-liebe-Ideologie.

    1. Im ersten Kapitel geht der Verfasservon folgenden Thesen aus:

    dass keiner sich selbst liebt bzw. dieSelbstliebe nicht angeboren ist, dass dieSelbstliebe Bedingung fr die Liebe zuanderen ist, und dass die Selbstannah-me Grundlage alles Existierens (Guar-dini) ist. Indem sich Trobisch auf Groe -ger und Guardini beruft, behauptet er, essei eine bewiesene Tatsache, dass nie-mand mit der Fhigkeit zur Selbstliebe

    geboren wird (14, 8),und dass darum dieSelbstlie be erworbenwerden muss ... Er meint

    weiter, dass dieses Erkenntnis der mo -dernen Tiefenpsychologie ist, und be-

    nutzt als Grundlage ein Zitat aus einemunverffentlichten Brief von Groeger. Wir aber mssen vom biblischen Men-schenbild ausgehen. Danach gehrt dieSelbstlie be zur alten Natur des gefalle-nen Menschen und ist damit angeboren.

    Groeger meint weiter, dass, wer dieSelbstliebe nicht (gengend) erwirbt, istauch nicht (gengend) zur Liebe anderenwie auch Gott gegenber fhig. Ist nachbiblischem Verstndnis die erfahrene

    und empfangene Liebe Gottes in ChristoJesu durch den Heiligen Geist dieGrundlage unserer Lie be zu Gott undden Mitmenschen (1.Joh.4; R 5, 5), soist demgegenber fr den Tiefenpsycho-logen Groeger und mit ihm auch fr Tro-bisch die sog. erworbene Selbstliebe diegrundlegende Basis!

    18 Els Nannen:

    Selbstliebe sei Bedingung fr die

    Liebe zu anderen

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    Tro bisch stellt die Selbstlie be der

    Selbstannahme gleich. Dagegen assozi-iert der Psychiater Dr. Erwin Scharrer(Hohe Mark) die Selbstlie be mehr mitSelbstvershnung (Wie bekommeich ein gndiges Selbst?). Die Bibelsagt jedoch das Gegenteil: Die Annahmedes Gnadenangebotes Gottes, des HerrnJesus Christus, ist die Grundlage allesExistierens (Joh. 1,12; 1. Kor. 3,11),niemals aber eine (humanistische)Selbstannahme.

    2. Der erste Satz des zweiten Kapitels istein Schlssel zum Verstndnis des Irr-weges von W. Trobisch. Nachdem er dieZitate von Groeger und Guardini bejahthat, schreibt er weiter:

    Von hier aus fllt nun ein ganz neuesLicht auf das Gebot Jesu Du sollst deinenNchsten lie ben wie dich selbst (Mt22,39ff.).

    Fr einen bibeltreuen Christen giltgenau das Gegenteil: Gottes Wort ist dieeinzige Wahrheit, Autoritt und Normund gibt uns Licht und Klarheit in denmenschlichen Vorstellungen und Mei-nungen. Das tun nicht die Hypothesender gngigen Psychologie und Philoso-phie. Die prinzipiell atheistische, evolu-tionistische Psychoanalyse und der Hu-manismus, die den Bezug auf Gott unddie sndige Natur des Menschen leug-

    nen, knnen tatschlich ein ganz neuesLicht auf das alttestamentliche Gebotder Nchstenliebe werfen. Das kann aberimmer nur ein Irrlicht sein. Genau diesesbeweist gerade das Bchlein von W.Trobisch.

    Als nchstes ist aufschlussreich, dassTrobisch nur diejenigen drei Bibelstellenin den neutestamentlichen Briefen er-

    whnt, die das Gebot der Nchstenliebe

    aus dem Alten Testament zitieren:Gal.5,14; Jak.2,8; R13,9. Dabei lsst erden unmittelbaren Kontext weg, z. B.Die Liebe tut dem Nchsten nichts B -ses (R 13,10) und Seid niemand ir-gend etwas schuldig, als nur einander zulieben; denn wer den anderen ... liebt, hatdas Gesetz erfllt (R 13, 8). Darin istkein Hinweis und erst recht kein Befehlzur Selbstlie be zu entdecken. Das Ge-genteil ist der Fall. Da die kontextuelleBedeutung dieser drei Bibelstellen nichtin das Konzept der Selbstliebe-Ideologiehineinpat, lsst Trobisch sie dann auchauer acht. Wenn dort auch das ganzealttestamentliche Gebot zitiert wird, gehtes nun gerade um den Nchsten oder denBruder, den es zu lieben gilt, und nicht,wie Trobisch es meint, um den schwer-wiegenden Zusatz: wie dich selbst. Imbrigen gilt schon das Gleiche fr die

    erste alttestamentliche Stelle ber dieNchstenliebe in 3. Mose 19,18 im Zu -sammenhang mit den Versen 11-18.

    Dass in den obengenannten drei neu-testamentlichen Bibelstellen dieser an-geblich schwerwiegende Zusatz bei derAufforderung zur Nchstenlie be niefehlt, ist logisch, weil diese Stellen jaeine alttestamentliche Bibelstelle zitie-ren. Dass der Zusatz wie dich selbstein schwerwiegender sein soll, ist also

    hineininterpretiert. Auerdem gibt esviele andere Bibelstellen ber die Liebe,in denen dieser alttestamentliche Zusatzfehlt. Diese Bibelstellen passen nicht inTro bischs Konzept der Selbstlie be. Erlsst sie einfach weg. Das ist schuldhafteUnterlassung.

    Man muss immer Schrift mit Schriftvergleichen. Nur ein grndliches Bibels-

    Selbstliebe und Selbstannahme 19

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    tudium wirft ein ganz neues Licht auf

    das Thema der sog. Selbstliebe. Nehmenwir z. B. Joh. 13, 34, wo der Herr Jesusden Vergleich aus dem alten Testamentwie (griechisch hoos) dich selbstdurch ein neues Kriterium ersetzt:gleichwie (kathoos) ich euch geliebthabe. Deshalb spricht der Herr hier voneinem neuen Ge bot. Das ist ein GebotJesu (Joh. 13,34a), whrend Er in Matth.22,36 das grte Gebot im Gesetz zi -tiert. Rienecker schreibt zum griechi-schen Wort kathoos (gleichwie): Eshat begrndende und vergleichendeBedeutung: der vergleichende Hinweisauf Christus enthlt fr christliches Han-deln stets eine Begrn-dung und ist damit vonverpflichtender Bedeu-tung (16, 453-454).Dieses Wort kathooshat eine strkere Bedeutung als die Ver -

    gleichspartikel hoos aus Mt 22, 39. Esist so schwerwiegend, dass es immerdort gebraucht wird, wo Jesus Christusals Beispiel und Mastab vor Augen ge -malt wird (Vgl. Jo 13,34; 15,12;

    Eph 5, 2.25.29; Kol 3,13). Der einfa-che unbetonte Vergleich wie dichselbst dagegen fngt nie mit kathoosan.

    Andere Bibelstellen, welche die bi-blische Liebe betreffen, stehen in 1Kor

    13; 1. Jo 3,16; 1Jo 4; Gal. 5, 22; 1Tim 1,5; 1Pt. 4,8; 2Pt 1, 7 usw. Dort ist vonSelbstliebe nie die Rede. Auch von daherist Trobischs Folgerung aus dem alttesta-mentlichen Ge bot, es gbe keineNchstenliebe ohne Selbstliebe, grund-falsch. Diese aus dem Humanismusstammende Selbstliebetheorie ist nuneinmal nicht zu christianisieren.

    Gerade das alttestamentliche Kriteri-

    um wie dich selbst macht deutlich,dass die Heilige Schrift die Selbstliebeals eine jedem Menschen angeboreneTatsache voraussetzt. Sie entlarvt undwiderlegt damit die Hypothese der nichtangeborenen Selbstlie be und zeigt auf,dass gerade die Bruder- und Nchsten-liebe keine angeborene Sache ist. Sie istein Geschenk von oben (R 5, 5), eineFrucht des Geistes (Gal. 5, 22). Von da -her heit das neutestamentliche Gebot:Lie bet einander (Jo 13, 34; 15, 12usw.) und Stre bet nach der Liebe(1Kor 14, 1; 1. Tim. 6, 11). Statt nunfremde und eigene falsche Vorstellun-

    gen unter den Gehor-sam Christi gefangenzu nehmen (2Kor 10,5-6), versucht Trobischsie durch Hineininter-

    pretieren zu retten (14,13). Er macht die

    gefhrliche Aussage, dass das Kriteriumwie dich selbst auch einen zweitenBefehl enthlt (14,14). Wir kommen inKapitel III noch darauf zu sprechen.

    3. An Hand von 1Sam 18,1 und Eph. 5,21-33 versucht Trobisch ebenfalls zu be-weisen, dass die Selbstliebe die Voraus-setzung fr die Nchstenlie be ist. Somacht er aus einem Vergleich eine Be-dingung. Was steht aber in 1. Sam. 18, 1

    geschrie ben? Und es geschah, als er(David) aufgehrt hatte, mit Saul zu re -den, ver band sich die Seele Jonathansmit der Seele Davids. Den gleichenAusdruck verknpfen, verbinden, fes-seln, anhngen (kaschar) finden wir in1Mo 44,30 hinsichtlich der Seele desVaters Jakob zur Seele seines jngstenSohnes Benjamin. Bei David und Jonat-

    20 Els Nannen:

    Die aus dem Humanismus stam-

    mende Selbstliebetheorie ist

    nicht zu christianisieren

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    han heit es dann weiter: Und Jonathan

    liebte ihn (David) wie seine Seele(1Sam 18,1; vgl. auch 19,1; 20,17).Wenn wir Trobisch richtig verstehen, someint er nun folgendes: Jonathan liebtesein Herz, und das machte ihn fhig zueiner tiefen Freundschaft. Er liest also:Jonathan liebte David, weil er seine eige-ne Seele liebte. Die Bibel aber sagt: Jo-nathan liebte David wie seine eigeneSeele. Wie bedeutet bekanntlichnicht weil.

    Als Beispiel und Mastab fr dieLiebe, die der Ehemann seiner Ehefraugegenber hegen sollte, fhrt die Bibelin Eph 5, 25-38 die Liebe Christi zu sei-ner Gemeinde an. InVers 25 heit es gleich-wie Christus und inVers 28 also die Mn -ner. Das Wesen undKennzeichen dieser Lie be ist die sich

    verleugnende Selbsthingabe (zu Vers 25vgl. Eph 5, 2 und 1Jo 3,16). So ist auchdie Ehe eine Dauerschule sich verleug-nender, selbstloser Selbsthinga be. Derneue Mastab gleichwie Christus, dender Herr Jesus schon in Jo 13, 34 fr dieLie be zu den geistlichen Geschwisterngebraucht, wird in Eph 5, 25, 26, 28-29auch auf das besondere Verhltnis vonMann und Frau in der Ehe bertragen.Das Wesentliche dieses Abschnitts ist

    auch hier der verstrkte Ausdruckgleichwie (griechisch kathoos) Chris-tus.

    Entsprechend seinem Vorverstnd-nis betont Tro bisch dagegen, dass inEph. 5 nicht weniger als dreimal auf dieSelbstliebe hingewiesen wird (14, 14).Das nimmt er als Aufforderung. Er meintauch, es sei interessant, dass Paulus

    ausdrcklich auf die leibliche Dimensi-

    on der Selbstannahme hinweist... Ich fra-ge mich (so Trobisch): Liebe ich meineneigenen Leib? (14,16).

    Von Selbstannahme ist aber weder inEph 5 noch sonstwo in der Bi bel dieRede. Die leibliche Dimension in denVersen 28 und 29 hat wohl mit Vers 31zu tun. Das ist ein Vers, den Trobischzum Schaden der Auslegung auer achtlsst. Vers 31 ist ein Zitat aus 1. Mose 2,24. Dieser Text beginnt mit Deswe-gen. Das heit also, dass er im Zusam-menhang mit den vorangegangenen Ver-sen (2, 21-23) steht. Die Ehefrau ist vonGott erschaffen, aber nicht wie Adam

    aus der Erde, sondernaus dem Leib ihresMannes. Darum sagteAdam: Diese istFleisch von meinem

    Fleisch. Und in der Ehe sind Mann und

    Frau zu einem Fleisch zusammengefgt.Darum sollen Ehemnner ihre Ehefrau-en lie ben wie ihre eigenen Leiber,(auch als). Weil Mann und Frau in derEhe ein Fleisch sind, ist es logisch, dassder Mann, der seine Ehefrau liebt, sichselbst liebt (Vers 28b), d.h. sein eige-nes Fleisch (Vers 29: Denn).

    Die Feststellung Wer sein Weibliebt, liebt sich selbst. Denn ... (Vers 28)bedeutet weder einen Befehl noch eine

    Bedingung noch einen Erweis, abgese-hen davon, dass es hier nicht um(Selbst-)Lie be im allgemeinen Sinnegeht, sondern um das spezifische Ver-hltnis von Mann und Frau in der Ehe.Wenn Selbstliebe eine Bedingung wre,msste Vers 28 gerade umgekehrt lau-ten: Wer sich selbst liebt, liebt seineFrau. Trobisch verwendet nmlich die -

    Selbstliebe und Selbstannahme 21

    Jonathan liebte sein Herz, und

    das machte ihn fhig zu einer

    tiefen Freundschaft

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    sen Abschnitt im Zusammenhang mit

    seiner These: Nur wer sich selbst liebt,kann den anderen lieben.

    Es ist also eine Deutung, die nicht zu-lssig ist, wenn der Autor zu Vers 28schreibt:

    Wer seine Frau liebt, erbringt damit denErweis, dass er die Fhigkeiten erlernt hat,sich selbst zu lieben (14, 16). Die Frage:Liebe ich meinen eigenen Leib?

    ist hier wohl nicht am Platze. Es geht hiergar nicht im allgemeinen um das Ver-hltnis eines Menschen zu seinem Kr -per. Paulus beschreibt nur die BeziehungChristi zu seiner Gemeinde, die seinLeib ist (Eph. 1, 22-23; 5, 23), und zwarals Beispiel und Mastab fr das spezifi-sche Verhltnis des Ehemanns zu seinerEhefrau, mit der dieser ein Fleisch ist.Vers 33 beginnt mit den Worten Jeden-falls (griechisch plen). Dieser Aus-druck bedeutet die Errterung abschlie-

    end und das Wesentlich hervorhebend(17). Der Vers steht somit in engem Zu -sammenhang mit den vorangehendenVersen (25-32) und hat mit der Selbstlie-be-Ideologie nichts zu tun.

    Der Ansporn, die Ehefrau (5, 25 und33) nach dem Vorbild Christi zu lieben,zeigt, dass diese Lie be nicht selbstver-stndlich ist. Die Liebe zur Ehefrau wirdals eine heilige Pflicht dargestellt, dieSelbstliebe aber niemals.

    4. In Kapitel 3 macht Trobisch den glei-chen unbiblischen Unterschied zwischenSelbstlie be und Selbstsucht wieErich Fromm. Was Fromm echteSelbstlie be nennt, heit bei Trobischselbstlose Selbstliebe. Einerseits weiTrobisch um Jesu eigene Worte in Jo 12,25; Lk 14, 26 und Mt 16, 24, die er am

    Anfang dieses Kapitels zitiert. Anderer-

    seits wagt er anschlieend gewisserma-en verchtlich zu schreiben: Wir sindso auf Selbstaufgabe, Selbstaufopferung,Selbstverleugnung getrimmt, die Angstvor jeglicher vermeintlichen .egoisti-schen Regung ist uns so eingeimpft.Die gleiche Gesinnung gegen Selbstver-leugnung und Selbstaufopferung findenwir beim Humanisten Erich Fromm.

    Trobisch macht hier den gleichen ver-heerenden Fehler, der ihm bei seiner Deu-tung von Mt 22 auf Grund des neuenLichtes durch einen Psychoanalytikerund Humanisten unterlaufen ist: Er orien-tiert sich an Josef Pi per, der in seinerSchrift Zucht und Ma eine selbstlo-se und eine selbstische Selbstliebe un-terscheidet. Der Ausdruck selbstloseSelbstliebe ist jedoch ein Widerspruchin sich selbst. Er hngt mit der Ideologieder Selbstfindung (Identittsfindung) und

    Selbstannahme eng zusammen. Trobischunterscheidet also auch die Selbstliebe,die erworben werden muss (ich liebemich selbst und bin fhig, von mir weg -zusehen), von dem Auto-Erotismus, derangeboren ist (ich liebe nur mein Ichund blicke stndig auf mich selbst zu-rck). Eine solche Unterscheidung ist je -doch unzutreffend. Selbstliebe ist immerauf sich selbst konzentriert. Im Humanis-mus (vgl. Erich Fromm) meint man, dass

    es eine Lie be zum eigenen Ich, zum(humanistischen) Selbst gbe, welchesimstande wre, von all dem wegzusehen,was der Selbstentfaltung und Selbstver-wirklichung im Wege steht. Nach der Bi-bel aber ist das eigene Ich rechtmig mitChristus mitgekreuzigt (R 6, 6), und beiPaulus auch im praktischen Leben (Gal2,20).

    22 Els Nannen:

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    Nachdem Tro bisch ber die Selbst-

    findung und die Selbstannahme hnli-ches wie Erich Fromm aussagt, kommter auch offensichtlich zu der gleichenfalschen Analyse: Unsere Zeit ist soschtig, so selbstschtig, weil es so we -nig Selbstliebe, Selbstfindung, Selbstan-nahme gibt (14,19). Die Heilige Schriftnennt aber dagegen andere Grnde: weiles an Lie be zu Gott und zur gesundenLehre fehlt, und weil man nur uerlichreligis ist (2Tim 3,1-4; 4, 3-4). Trobischwiederholt dagegen Fromms These, dassSelbstlie be und Selbstsucht einanderausschlieen (14,19). Gefhrlicher abernoch ist seine Uminterpretierung von1Kor 13,5, womit er sei -ne These biblisch zu un -termauern versucht:Denn die Lie be suchtnicht das Ihre. Sie hat esgefunden. Darum kann sie es verschen-

    ken.

    5. In Kapitel 4 meint Trobisch dann, dassdie Verklammerung von Selbstliebeund Selbstlosigkeit, von Selbstannahmeund Selbstentuerung besonders deut-lich bei Jesus Christus zu beobachten ist(14, 23). In Jo 13,1 handelteessich, nachTro bisch, um die totale Selbstannah-me und dann sagt er: Auf diesem Hin-tergrund ... erfolgt die Beschreibung sei-

    ner (Jesu) Selbsterniedrigung undSelbstentuerung. Noch schlimmer istdie Umdeutung des Abschnitts aus Phil2,6-7! Fr einen bibeltreuen Christen istdieses eine Gotteslsterung, die man ei -gentlich nicht wiederzugeben wagt.

    Andererseits ist es vielleicht gut, ein-mal zu sehen, wohin man (auch alsChrist) kommen kann, wenn man Gottes

    Wort seinen eigenen Ideen unterordnen

    und anpassen mchte:Jesus wusste, wer er war, und war einver-standen mit sich selbst. Er hatte die .An -nahme seiner selbst vollzogen. Darumkonnte er sein Selbst loslassen und derSelbstlose schlechthin werden.Darum brauchte er auch sein Selbst, seineIdentitt, sein Gleichsein mit Gott nichtkrampfhaft festzuhalten wie einen Raub ...Pointiert knnte man es so sagen: Weil Je-sus sich selbst liebte, war er selbstlos undkonnte uns lie ben, ,wie sich selbst(14,24-25).

    Durch seine eigenmchtige Deutungdieser Bibelstelle, in die er eine Selbst -

    lie be und Selbstan-nahme hineinliest,kommt Trobisch zu derFolgerung:Durch diese enge Ver-

    klammerung (Selbstannahme und Selbst -

    losigkeit Jesu) sagt die Bibel aus: Es gibtkeine Nchstenliebe ohne Selbstliebe.Biblische Tatsache ist aber, dass uns

    in dem einmaligen, wunderbaren Ab-schnitt von Phil 2, 5-8 die innere Gesin-nung Jesu Gott gegenber zum Vorbildund als Mastab vor Augen gefhrt wird.Von einer Selbstliebe und Selbstannah-me Jesu ist weder hier noch sonst wo inder Bi bel die Rede, geschweige denn,dass beides die Grundlage und Bedin-

    gung fr seine Retterliebe zu uns Sn-dern war. Wer so etwas denkt, hat wohlweder von dem Herrn Jesus Christusnoch von seinem Gehorsam dem Vatergegenber noch von seiner Liebe zu unsetwas verstanden. Das humanistischeVorverstndnis von Trobisch fhrt nichtnur zur falschen Deutung des Wortes inPhil. 2, sondern auch zu weiteren fal-

    Selbstliebe und Selbstannahme 23

    Weil Jesus sich selbst liebte,

    war er selbstlos und konnte uns

    lieben, ,wie sich selbst

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    schen Folgerungen, dass Phil 2,5 eine

    Aufforderung sowohl zur Selbstannah-me als auch zur Selbstverleugnung ent-halten wrde, ja, dass Nachfolge Jesunicht ohne Selbstlie be bzw. Selbstan-nahme mglich sei:

    Ist Jesus aber unser Leben, dann bedeutetdas, dass die Selbstannahme tatschlich ineinem, letzten und tiefsten Sinn, ,dieGrundlage alles Existierens ist. Nachfol-ge ist ohne sie nicht mglich. Der Gehor-sam der Selbstverleugnung setzt den Ge -horsam der Selbstannahme voraus(14,25).

    Hinsichtlich der Nachfolge einesJngers Jesu redet aber der Herr vonSelbstverleugnung und vom Kreuz, dasjeder tglich auf sich nehmen soll (Lk9,24-25; 14, 26-27 und 33; vgl. auch Gal2,20). Allerdings ist die Selbstverleug-nung eines Jngers Jesu dem Wesennach etwas grundlegend anderes als die

    Selbstentuerung Jesu. Gott mge inuns die Gesinnung Jesu bewirken! Er be-wahre uns jedoch vor der humanisti-schen Gesinnung der Selbstliebe und derSelbstannahme!

    6. In den folgenden Kapiteln versuchtTrobisch nun die fr ihn so bedrngen-de Frage zu beantworten: Wie kann ichlernen, mich selbst zu lieben? Seine Ant-wort lautet: Indem ich lerne, mich lie -

    ben zu lassen. Ich kann mich nur anneh-men, wenn ich angenommen bin, michnur lieben, wenn ich geliebt werde undmich selbst lieben lasse (14,26-27).

    Man fragt sich dann, wie nach Deu -tung durch Trobisch unser Herr Jesus zurSelbstannahme kommen konnte, denner kam in das Seinige, aber die Seinennahmen ihn nicht auf (Joh. 1,11). Und

    wie soll der Herr Jesus Selbstliebe ler-

    nen, wo er doch von vielen gehat, vonJudas verraten und von den Jngern ver-lassen wurde, whrend er sein ganzesLe ben einen so groen Widerspruchgegen sich erdulden musste (Jo 15,20-25; Mt 26, 56; Hebr 12, 3; siehe auchJes 52, 13-14; Jes 53)?

    Das Bedenkliche ist auerdem, dassfr Trobisch das Sich lieben lassen oftdas Gleiche ist wie Sich loben lassen,also lieben das Gleiche wie loben.Er meint sogar, ein Mensch knne nichtleben, wenn er von Menschen nie ge-lobt wird (14, 32). Wre das nichtfurcht bar, wenn unser Leben vom Lobder Menschen abhngig wre? GottesWort sagt in Kol. 3, 17 und 23-24 etwasganz anderes! Trobisch dagegen geht so-gar so weit, dass er sagt, wir alle brau-chen Anerkennung wie das tglicheBrot. Das wre dann eine Umdeutung

    von Mrt 4,4. Weiterhin behauptet er inbezug auf Luther, der eine schwere, lieb-lose Kindheit erlebt hatte: Deshalb ranger sein Leben lang mit der Selbstannah-me (14,32). Auch wird Tro bisch hierwieder einmal von seinem humanisti-schen Vorverstndnis bestimmt, wenn ermancherlei Snden wie Schte, Abtrei-bung, Fresucht etc. als Folgen man-gelnder Selbstliebe deutet (Kap. 8). DerHerr Jesus dagegen sagt: Aus dem Her-

    zen kommen ... (Mk 7,20-23). W. Tro -bisch behauptet: Aus mangelnder Selbst-liebe kommen

    7. In Kapitel 7 bringt dann Trobisch eineKorrektur an. In den ersten sechs Ka -piteln wurden die Worte Lie be undAnnahme bewusst im Austauschverwendet und miteinander gleichge-

    24 Els Nannen:

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    setzt (14, 35). Aber wen Christus an -

    nimmt, der wird verndert. Von daherist dem Autor der wichtige Vers Jo 1,12ganz neu aufgegangen:

    Ich will diesen Vers hier umschriebenwiederge ben: ,Wer Christus aufnimmt,wer langsam lernt, ihm immer mehr seinLeben zu berlassen, sich von ihm liebenzu lassen, der erhlt Macht, geschenkteKraft, an sich zu arbeiten, um ein Gottes-kind zu werden, um in das Bild hineinzu-wachsen, das Gott mit ihm gemeint hat.

    Das ist aber keine Umschreibungmehr, sondern Bibelkritik! Der Start-punkt fr die Selbstvernderung ist nachTrobisch Selbstannahme.

    Darum ist die Selbstannahme nur der ers-te Schritt, der Startpunkt, der notwendige,ein Not wendender Ansatzpunkt. Sie ent -bindet mich aber nicht von der Arbeit anmir selbst. Im Gegenteil: Sie beauftragtmich damit und macht sie mir mglich

    (14,36).Zur Bekrftigung seiner Selbsterl-sungsvorstellung zitiert Tro bisch Dr.Theodor Bovet:

    Wenn ich mich richtig selbst liebe, dannist es mir unmglich, stehen zu bleiben,sondern ich will mich ndern, bis ich derbin, den Gott haben will. Nach dem biblischen Verstndnis

    aber ist biblische Bekehrung und Wie-dergeburt der Anfang des neuen Lebens.

    Das ist der Startpunkt und Ansatz-punkt fr Vernderung und Heiligungdes Lebens. Was fr einen humanistischorientierten Christen die Selbstannah-me und Selbstvernderung ist, ist freinen an der Bibel orientierten Christendie Person und das Werk Jesu Christi.Gottes Wort sagt, dass Jesus Christusuns von Gott geworden ist zur Rechtfer-

    tigung, Erlsung und Heiligung (1. Kor.

    1,30).Am Rande sei bemerkt, dass die

    Handauflegung zum Segnen, die Walterund Ingrid Trobisch als einen wesentli-chen Bestandteil im Beratungsvorgangansehen und ausben, nicht unproblema-tisch ist (14, 70-71), auch deshalb schonnicht, weil Frau Tro bisch als Rednerinim Programm des kumenisch-charis-matischen Zentrums Schlo Craheim zusehen war. Es ist eine Frage, ob sich einBerater als Mittler zwischen Gottes Se-gen und den Ratsuchenden ausgebendarf oder ob er nur auf Jesus Christus,den einzigen Mittler, hinweisen soll. InJesus hat uns Gott mit jeder geistlichenSegnung gesegnet (Eph. 1,3)! Auerdemhaben wir uns die Warnung aus 1. Tim.5, 22 zu Herzen zu nehmen.

    Das Thema Selbstliebe und Selbstan-nahme scheint wie ein roter Faden durch

    fast alle Bcher von Walter und IngridTrobisch zu gehen. Wenn auch manchesRichtige darin stehen mag, die Gefahr istgro, dass unbemerkt die Mentalitt unddas Denken unter den Einfluss des Zeit -geistes bzw. des humanistischen Ansat-zes geraten. Gottes Wort aber sagt, dasswir uns in unserem Denken, Streben, Re-den usw. nicht dieser Welt anpassen,sondern von Gottes Wort her korrigierenund erneuern lassen sollen (R 12, 2; 2.

    Kor. 10, 4-6). Falls wir uns von derSelbstlie be-Ideologie (vielleicht unbe-wusst) haben faszinieren lassen, sagt unsGottes Wort:

    Da wir nun diese Verheiungen haben,Geliebte, so lasst uns reinigen von jederBefleckung des Fleisches und des Geistes,die Heiligung vollendend in der FurchtGottes (2. Kor. 6,14-7,1).

    Selbstliebe und Selbstannahme 25

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    3. Selbstliebe das Gebot der Stun-

    de?

    Beim Durchdenken der Selbstlie- be-Ideologie, die im deutschsprachigenRaum vor allem durch Walter TrobischsBchlein Liebe dich selbst in christli-chen Kreisen verbreitet wurde, hat mirder Kommentar von Dr. John Stott hilf -reiche Hinweise gegeben (13). Obwohlschon manches in den vorangegangenenKapiteln l und II ber die Selbstlie-be-Theorie ausgesagt worden ist, soll imfolgenden zusammenfassend noch eini-ges ergnzt werden.

    3.1 Die uerung ber die Selbstliebe inMatth. 22,29 ist kein Gebot der Bibel

    3.1.1 Der grammatikalische Aspekt

    Das alttestamentliche Ge bot lautetnicht: Liebe sowohl deinen Nchsten als

    auch dich selbst. Sondern es heit: Liebedeinen Nchsten wie dich selbst! Tro-bisch und andere Vertreter der Selbstlie-be machen praktisch aus den zwei Gebo-ten drei:

    Lie be Gott, lie be deinen Nchstenund liebe dich selbst. Der Herr Jesus sagtdagegen in Vers 39: Das Zweite aber,ihm gleich und nicht: Das zweite unddritte, ihm gleich. Und in Vers 40 heites: An diesen zwei Geboten hngt das

    ganze Gesetz, nicht: An diesen dreiGeboten. Es gab im Alten Testament jaauch nur zwei Tafeln des Gesetzes, einefr unser Verhltnis zu Gott und eine frdas Verhltnis zu unserem Nchsten.

    3.1.2 Der linguistische Aspekt

    Das griechische Wort, das hier frlieben gebraucht wird, heit bekannt-

    lich agapao und ist bedeutsam. Aga-

    pao schliet immer Opfer und Dienst inSelbstverleugnung ein. Das SubstantivAgape bedeutet: Totaler Einsatz, Hin-ga be des Selbst im Dienst an anderen(Vgl. 1.Joh.3,16; Eph. 5,2 und 25; Gal2,20; Joh 15,13). Statt sagt, dass Agapenie auf sich selbst gerichtet sein kann:Wie kann ich mich selbst dahingehen imDienst an mir selbst?! Die Agapeschliet die Selbstliebe aus! Selbstliebeist niemals Selbsthingabe im Dienst frGott und den Nchsten. Selbstlie be istSelbstdienst in Selbstgefallen undSelbstverehrung.

    3.1.3 Der historische Aspekt

    Mt 22, 37-40 steht in direktem Zu-sammenhang mit den Versen 34-36, mitdenen der Text eine Einheit bildet. DerHerr zitiert 5Mo 6, 5 als Antwort auf dieFangfrage eines Pharisers nach dem

    Verhltnis Jesu zum Gesetz.Den weiteren Kontext bilden dieStreitgesprche der Hohenpriester, l-testen, Phariser, Herodianer und Saddu-zer mit Jesus im Tem pel (Matth. 22,23-24,1). Der Herr entlarvt die Hohen-priester und ltesten in drei Gleichnis-sen. Daraufhin halten die Phariser Rat,wie sie Jesus in eine Falle locken knnen(22, 15). Auf die dreimalige Entlarvungdurch den Herrn folgt ein dreimaliger

    Angriff der Phariser und Sadduzer aufihn.

    Die Frage nach dem Hauptgebot isteine bewusst versucherische Frage (22,35). Wie in Matth. 4 kmpft hier der HerrJesus mit der geistlichen Waffe des Wor-tes Gottes: Es steht geschrie ben, undzwar in 5Mose 6, 5. Jesu Antwort ist alsoweder eine Lehre, eine Predigt noch ein

    26 Els Nannen:

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    Ge bot, sondern eine Antwort auf eine

    Versuchung vonseiten der Frommen! Esstimmt also nicht, was Trobisch aussagt,die Selbstliebe sei ein Gebot Jesu. Ab-gesehen davon, dass auch in 5. Mose 6, 5keine Rede von einem Gebot der Selbst-liebe ist, handelt es sich doch nur um einZitat aus dem Alten Testament. Jesu Ge-bot lesen wir dagegen in Jo 14,34; 15,12.

    Im brigen ist Jesu Antwort auf diekonkrete Frage sehr aufschlussreich. Esgab viele Gebote und die Phariser tatennoch weit mehr hinzu. Man konnte un-mglich alle Gebote halten. So hatte mandie vielen Gebote in wichtige und wenigerwichtige eingestuft. Aber welcherMastab war nun der absolute und feste,um zwischen wichtig undunwichtig zu unterschei-den? Im Alten Testamentheit es ja: Wer das Gesetz tut, wird le -ben (3Mo 18, 5). Andererseits steht da:

    Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in al -lem, was im Buche des Gesetzes geschrie-ben ist, um es zu tun (5. Mose 27, 26; Gal.3, 10). Jesu Antwort auf die versucherischeFrage war nun ausgerechnet das Gebot derLie be, d. h. der Mastab soll die Agapesein, die Gesinnung der sich selbst ver-leugnenden, dienenden, sich opferndenLiebe! Die verborgene, innere Einstellungder Liebe zu Gott und zum Nchsten istwichtiger als das bloe uere Tun. Alles

    sollte von der dankbaren Liebe zum Herrnund von der barmherzigen Lie be zumNchsten (damals in erster Linie Zugeh-rige zum Volke Israel nach 3. Mose 19,18,dann auch der Fremdling, der in Israelweilt nach 19,34) durchdrungen und getra-gen sein. Und dieses Agape-Kriterium istvon bleibender Art (vgl. R 13,10; 1Kor16,14; Gal 5,13; Phil 2,1-2).

    3.1.4 Der theologische Aspekt

    ...wie dich selbst ist Mastab desGesetzes (Mt 22,36). Dazu kommt Mt7,12: Wie wir mchten, dass man mituns umgeht, sollen wir mit ihnen tun. EinGe bot Liebe dich selbst ist berfls-sig, denn die Selbstliebe gehrt ja zur al-ten Natur des gefallenen Menschen. Sieist angeboren. Auch ist die SelbstliebeUngehorsam gegen Gott und GottesWort; denn das Gebot lautet ja gerade:Lie be Gott und deinen Nchsten! DieSelbstlie be ist somit in doppelter Hin-sicht Snde vor Gott. Sie ist Abgttereides (humanistischen) Selbst und imGrunde Selbstvergottung.

    Selbstlie be ist Gtzendienst. Die inJesus Christus erfahre-ne und empfangeneLiebe Gottes fhrt da-

    gegen zum Gottesdienst (R 12, 1-2;1-Kor. 6, 19-20; 1Thes 1,9-10).

    Selbstliebe ist nach 2Tim 3,2 das ers-te Kennzeichen des Menschen der End -zeit! Warum wird die Endzeit eineschwere, gefahrvolle Zeit sein? Weil dieMenschen eigenlie big (philautoi) seinwerden, geldliebend (philarguroi)... Ver-gngen lie bend (philedonoi)... anstattvielmehr Gott zu lieben (philotheoi). Dasgriechische Wort fr anstatt vielmehrheit malion e. Es schliet das ande-re ganz aus, betont aber, dass es (d. h. die

    Gotteslie be) eigentlich sein sollte; Gottliebend tritt nachdrucksvoll am Schluss,sich selbst liebend an der Spitze gegen-ber (16, 504). Das heit also, dassSelbstliebe und Liebe zu Gott einanderausschlieen.

    In der Reihe der endzeitlichen Kenn-zeichen steht ne ben Selbst-, Geld- undVergngungslie be (eigentlich: die Lust

    Selbstliebe und Selbstannahme 27

    Selbstliebe ist Gtzendienst.

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    lie bend, nach dem Lustprinzip lebend)

    noch etwas anderes, das man nicht liebt:das Gute (aphilagatos bedeutet demGuten feind). Selbstliebe macht intole-rant sowohl gegenber dem Guten(nach biblischem Mastab) als auch ge -genber der gesunden Lehre der Bi-bel, ob das nun im bibelkritischen, psy -chologischen oder charismatischen Sin -ne geschieht (2. Tim. 4, 2-4). Die Liebezu Gott aber ist eng verbunden mit derLiebe zu seinem Wort und mit dem Ge -horsam (Jo 14, 15 und 21; 15, 10; 1Jo 5,2-3). Es ist bezeichnend, dass alle dieseEigenschaften des Menschen der End-zeit zwischen den beiden sich ausschlie-enden Fakten stehen: Zwischen Selbst-liebe und Gottesliebe. Es ist ein Entwe-der-Oder! Dass wir uns ja nicht am Ab -fall von Gott und Gottes Wort mitschul-dig machen, indem wir die Selbstliebetolerieren, propagieren und praktizieren!

    3.2 Selbstliebe ist niemals Vorausset-zung zur Nchstenliebe und Gottes-liebe

    Die Basis ist nicht meine Lie be zumir selbst, sondern Gottes unverdienteLiebe in Jesus Christus zu mir, die er aufGolgatha bewiesen hat (R 5, 8; I.Joh.4, 9-11.16.19; 3.16). Erst aber, wenn wirdas Gnadenange bot Gottes in Jesus

    Christus annehmen und aus Gott gebo-ren werden, knnen wir im biblischenSinne lieben. Die Agpe kommt ja ausder neuen Natur und ist eine Frucht desGeistes (1. Joh. 4, 7b; R 5, 5; Gal. 5,22). Die Liebe ist aus Gott, darum lasstuns einander lie ben (I.Joh. 4, 7a). Esheit nicht: Die Liebe aus mir selbst zumir selbst macht mich fhig, dich zu lie-

    ben; sondern es heit: Christus hat mich

    geliebt und sich selbst fr mich hingege-ben. Darum kann ich dich lieben (Gal. 2,20; 2. Kor. 5, 1415). Die Vorausset-zung und die Quelle liegen also vlligauerhalb von mir und meinen sog.menschlichen Mglichkeiten.

    Schte, Feindschaft usw. sind alsonicht Folgen einer mangelnden Selbst -liebe, sondern Werke des Fleisches undFolgen der sndigen Natur (Gal5,19-21). Aus dem sndigen Herzen,nicht aus mangelnder Selbstliebe, kom -men sie (Mk 7, 20-23).

    3.3 Es gibt nicht zwei Arten von Selbst -liebe

    Selbstlose Selbstliebe ist, wie be-reits erwhnt, ein Widerspruch in sich.Selbstlie be ist immer selbstschtig.Zwar kann die alte Natur in uns verschie-

    dene Formen annehmen. Sie kann ein-mal selbstschtig und ein anderes Malscheinbar selbstlos sein. Aber es gibt nureinen alten Menschen. Und dieser alteAdam ist von Gott gerichtet, mit Chris -tus mitgekreuzigt (R 6).

    3.4 Die Ideologie der Selbstliebe

    steht in engem Zusammenhang mitdem humanistischen Welt-, Menschen-

    und Selbstbild mit der Irrlehre des auto-nomen Menschen mit seinen eigenenMglichkeiten und positiven Eigen-schaften und mit der Selbstverwirkli-chung, die ohne Selbstliebe nicht mg-lich ist. Die Selbstliebe-Theorie ist nichtzu trennen von ihrer humanistischenWurzel! Und dieses unbiblische Men-schenbild ist, wie bereits erwhnt, weder

    28 Els Nannen:

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    neutral noch zu neutralisieren, geschwei-

    ge denn zu christianisieren.

    4. ber die Selbstannahme

    Im Vokabularium des Humanismusgibt es viele Wrter mit der Anfangssilbeselbst, z.B. Selbstentfremdung, Selbst -findung, Selbst(wert)gefhl, Selbstbeja-hung, Selbstbesttigung, Selbstbewah-rung, Selbstinteresse, Selbstgefallen,Selbstliebe, Selbstrespekt, Selbstvertrau-en, Selbstbestimmung, Selbstentfaltung,Selbstverwirklichung, Selbstwert, Selbst -zweck, Sich-selbst-werden bzw. Sich-selbst-sein.

    Biblische Begriffe wie Selbstver-leugnung um Jesu und des Evangeliumswillen (Lk 9, 23-25; 14, 26.27.33),Selbsthingabe (1Jo 3, 16; Apg 20, 24; 21,13; Phil 2, 17) und Selbstbeherrschungals Frucht des Heiligen Geistes (Gal 5,

    22; 2Pt 1, 6) fehlen verstndlicherweisein jener Reihe. Denn das biblische Men -schen bild geht von der OffenbarungGottes ber den Menschen in GottesWort aus: Der Mensch wurde von Gottzu Gott hin geschaffen. Er fiel jedochvon Gott ab und wurde so ein durch unddurch sndiger Mensch. Bei der bibli-schen Bekehrung und Wiedergeburt ei -nes Menschen bekommt dieser aber eineneue Natur und wird Teilhaber der gtt-

    lichen Natur (2Pt 1,4). Diese ist auf Gottund Gottes Sohn, auf Gottes Wort undGottes Willen hin ausgerichtet, im Ge-gensatz zur alten Natur, die auch noch ineinem Kind Gottes steckt. Die Letztereist immer auf sich selbst konzentriert, ansich interessiert und orientiert.

    Zu der humanistischen Begriffsweltgehrt auch die sog. Selbstannahme, d.

    h. die Annahme des humanistischen

    Selbst mit seiner vermeintlichen Wrdeund Wrdigkeit, Autonomie und Frei-heit, mit seinen eigenen ungeahntenMglichkeiten und Fhigkeiten (sittli-chen) Krften und positiven, kreativenEigenschaften, um das Beste und Hch -ste aus seinem Leben zu machen, an sichzu arbeiten und mit den Problemen fertigzu werden.

    Die Idee der Selbstannahme istwie diejenige der Selbstliebe untrenn-bar mit dem humanistischen Menschen- bild verbunden, das der von Gott ge-trennte, sich selbstndig und mn-dig whnende Mensch erfunden hat.Dieser emanzipierte Mensch meint inseiner Verblendung, in sich als Menschalles zu sein, zu haben, zu wissen und zuknnen. Er ist es, der mit Erich Fromm inSelbstberhebung und Selbstvergottungbehauptet, dass es nichts Hheres und

    Erhabeneres als die menschliche Exis-tenz gibt (6). Ja, er spricht es sogar aus:Gott, das bin ich, insofern ich mensch -lich bin ... (10).

    Bei Erich Fromm wie auch bei ande-ren Humanisten, auch unter Juden undChristen, steht die Selbstannahme imDienst der Selbstentfaltung und Selbst-verwirklichung und schlielich der Ver -vollkommnung der menschlichen Art imhumanistisch-evolutionistischen Sinne.

    Hierfr ist die Selbstannahme zusam-men mit Selbstrespekt, Selbstliebe,Selbstvertrauen usw. Grundlage und Be-dingung. Fehlende bzw. mangelndeSelbstannahme soll die Ursache vieler,wenn nicht aller Probleme sein.

    Eine weltweite, alarmierende Ten-denz unter den Evangelikalen ist, dassman sich in zunehmendem Mae an der

    Selbstliebe und Selbstannahme 29

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    Psychologie mit ihrem atheistischen,

    evolutionistischen und humanistischenMenschen bild orientiert. Noch proble-matischer wird es, wenn Christen versu-chen, Begriffe aus diesem antibiblischenMenschen bild bi blisch zu legitimierenund zu integrieren, womit sie notwendi-gerweise Bibelstellen uminterpretierenund biblische Verkndigung und Seel-sorge umfunktionieren mssen. DieseBegriffe sind aber nicht wertneutral,auch nicht der humanistische BegriffSelbstannahme. Sein ihm zugrunde-liegendes Menschenbild ist nicht zu har-monisieren und nicht zu vereinen mitdem biblischen Menschenbild (2Kor 6,14; 10, 3-6). Merken wir berhauptnoch, wie sehr sich heute schon dieSchlagworte wie Selbstliebe und Selbst-annahme in Ausbildung und Zurstung,in Kinder- und Jugendarbeit, in Verkn-digung und Seelsorge eingebrgert ha-

    ben? Knnen wir noch darber erschre-cken ?

    4.1 Walter Trobisch und die Selbstan-nahme

    Walter Trobisch orientiert sich u.a.an dem rmisch-katholischen Priesterund humanistischen KulturphilosophenProf. Romano Guardini und dessenSchrift:

    Die Annahme seiner selbst (1969).Tro bisch be jaht dessen Aussage, dassdie Selbstannahme die Grundlage allesExistierens ist (14, 10). Fr Trobisch istSelbstannahme eine Voraussetzung, jasogar eine Bedingung:

    Wir knnen den anderen nicht an-nehmen, wie er ist, wenn wir uns nichtselbst angenommen ha ben, wie wir

    sind (14, 11). Und nur wenn ich mein

    Selbst angenommen habe, kann ich esauch loslassen, kann ich selbstlos wer-den. Habe ich mein Selbst aber nicht ge -funden, bin ich nicht zu meiner .Identi-tt gelangt, dann muss ich stndig su-chen und werde ... selbst-schtig, ich-schtig (14,18).

    Dagegen heit es nach biblischemVerstndnis: Nur wenn ich das Gnaden-ange bot Gottes in seinem Sohne JesusChristus als Heiland und Herrn mir zu ei-gen mache und bejahe, dass mein Ich mitChristus mitgekreuzigt ist, kann ichselbstlos werden (Joh.3,16; 1,12;Gal.2,20). Wenn ich mich aber nicht vom gu-ten Hirten finden lasse und dadurch vomLeben aus Gott entfremdet bleibe, bleibeich in meinem alten Wesen, das selbst -schtig ist (Luk. 19, 10; Eph. 4, 17-18).Nur wenn ich stndig aus der Gnade undVergebung Jesu und nach Gal, 2,20 lebe,

    kann ich den anderen in seiner alten Na -tur tragen und ertragen, allerdings auchmit dem stillen Gebet zum Herrn, dass eram anderen arbeite. Dann kann ich ihnauch in Lie be und Weisheit ermahnen(Kol. 3,12-14; 1,28-29).

    Als Vor bild der Selbstannahmenennt Trobisch Jesus Christus, den ein-zig Selbstlosen, der sich selbst voll an-nahm. Das IdentittsbewusstseinJesu, das der Autor aus Joh. 5, 58 und

    Joh. 10,30 herausliest, wird, wie auch dietotale Selbstannahme Jesu, die er inden Bericht des Apostels Johannes inJoh. 13, 3 und in den des Apostels Paulusin Phil. 2, 6a hineinliest, uns zur Nachah-mung hingestellt. Beides soll die Vor-aussetzung der SelbstverleugnungJesu sein (14, 23-25).

    30 Els Nannen:

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    Von seinem Vorverstndnis geprgt,

    verwechselt offensichtlich Trobisch JesuSelbstoffenbarung mit der humanisti-schen Selbstannahme. Ebenso interpre-tiert er in nahezu blasphemischer Art,dass Jesus einverstanden mit sichselbst war (14, 24), anstatt eins mit Got-tes Willen (Joh. 4, 34; 5, 30; Hebr. 10,7)und Gottes Gebot, sein Leben fr uns zulassen (Joh. 10,18; 18,11). Trobisch ver-sucht auch, diesen humanistischen Be-griff der Selbstannahme, den er inte-grieren mchte, mit R 15,7 biblisch zubelegen und schreibt:

    Christus ist derjenige, der uns annimmt,wie wir sind, brutto, mit Verpackung, undder es uns dadurch ermglicht, uns selbstanzunehmen und auch einander anzuneh-men (14,32).

    Auf diese Falschinterpretation vonR 15, 7 als Vorverstndnis der huma-nistischen Selbstannahme-Theorie kom-

    me ich in Abschnitt IV, 3 zurck. Tro-bisch schreckt auch bei dem Kapitel berGottes Liebe zu uns nicht davor zurck,einen Vers seinem Vorverstndnis ent-sprechend zu verflschen, nmlich in dieUmdeutung: Lasst uns ihn annehmen,denn er hat uns zuerst angenommen.Dieser Vers in 1Jo 4,19, der fr KinderGottes geschrieben ist, besagt, dass sieGott lieben sollen, weil er sie zuerst ge -liebt hat. Kinder Gottes ha ben schon

    lngst den Herrn Jesus als ihren Heilandund Herrn in ihrem Herzen und knnennicht noch einmal (durch Trobisch) dazuangespornt werden, Ihn anzunehmen.Darber hinaus ist es unbiblisch, zu ver-knden, dass man Gott annehmen soll.Zu solchen und anderen Umdeutungenund willkrlichen Korrekturen vonBibelstellen kommt man, wenn man

    Gottes Wort seinem Vorverstndnis un -

    terordnen und anpassen will, anstatt sichunter Gottes Wort zu beugen und sichvon diesem korrigieren zu lassen.

    Das Angenommensein durch Gottversteht allerdings Tro bisch nicht so,dass man so bleiben muss oder kann, wieman ist, sondern:

    Ich nehme dich an, wie du bist, aber nunbeginnt die Arbeit der Liebe, die allerdingsauch deine Mitar beit erfordert, deineSelbstliebe (14,36).

    Jedoch nach welchem Mastab undzu welchem Ziel man verndert werdenmuss bzw. sich ndern soll, wird nichterwhnt.

    Dass die angepriesene Selbstliebeim Dienst der Heiligung stehen soll, isteigentlich eine christliche Variante zudem Thema Selbstlie be als Bedingungfr Selbstentfaltung und Selbstverwirkli-chung. Wir sind als Kinder Gottes zwar

    kein toter, sondern ein lebendiger Ton inder Hand des himmlischen Tpfers undknnen die Umgestaltung in Jesu Bildbewusst bejahen oder erschweren, ja so -gar verhindern. Es ist aber Gott, der so -wohl das Wollen als auch das Vollbrin-gen in uns wirkt, und es ist Christus, derdas Werk in uns, das er anfing, auch voll-enden wird (Phil. 2,13; 1, 6). UnsereMitarbeit besteht lediglich darin, dasswir uns tglich in dankbarer Liebe und

    im Glaubensgehorsam dem Herrn JesusChristus bergeben, d. h. ja sagen zu sei-nem Willen und Weg und nein sagen zuunserer alten Natur und zur Welt. Unddas ist gerade das Gegenteil von Selbst -liebe!

    Es fllt auf, dass die Theorie Gotthat dich angenommen und Nimm dichselbst an verbunden ist mit einer Ver-

    Selbstliebe und Selbstannahme 31

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    harmlosung der Heiligkeit Gottes, der

    Sndhaftigkeit des Menschen und desErnstes des Opfertodes Jesu am Kreuz.Von der Heiligkeit Gottes und dem ho -hen Preis, den Gott in Christus bezahlte,um uns rechtfertigen, vergeben, heiligenund vollenden zu knnen, lesen wir imTro bisch-Bchlein berhaupt nichts.Der Satz Gott hat uns (dich) angenom-men wird nur einfach als gegeben hin -gestellt. Auch wird nie darauf hingewie-sen, welche Folgen es hat, wenn wir dasteure Heil in Christus vernachlssigenoder abweisen (Hebr 2, 3; Jo 3, 36). DieBibel sagt aber: Furchtbar ist es, in dieHnde des lebendigen Gottes zu fallen(Hebr 10, 31). Der Ausdruck Gott hatuns angenommen ist ein allzu billiges,verkrztes Evangelium.

    Kann die These Gott hat uns ange-

    nommen berhaupt richtig sein?

    Das Wesen des gefallenen Menschen istRebellion, Emanzipation, Feindschaftgegen Gott und sein Wort. Christus starbstellvertretend fr uns, als wir nochFeinde waren, nicht, als wir an man-gelnder Selbstlie be und fehlenderSelbstannahme litten. Wo Feindschaftist, muss Vershnung geschehen. Amschrecklichen Fluchholz von Golgathahat Gott uns mit sich selbst vershnt.Darum lautet die ernste biblische Bot-

    schaft: ...als ob Gott durch uns ermahn-te; wir bitten an Christi statt: Lasst euchvershnen mit Gott! (2Kor 5, 11 und18-21). Das ist weit mehr, ja, etwas ganzanderes als der Satz: Gott hat uns ange-nommen - lasst uns nun ihn annehmen. Nein, Gott hat uns mit sich selbst ver-shnt, uns gerechtfertigt, erlst, gerei-

    nigt, geheiligt usw. in Christo Jesu.

    Welch ein Reichtum!Auch von einem anderen Standpunkt

    aus ist es fr