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Pfister Philosophie

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PfisterPhilosophie

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Jonas Pfister

PhilosophieEin Lehrbuch

Reclam

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Dieser Band ergänzt den Band Klassische Texte der Philosophie.Ein Lesebuch (UB18838)

Meinen Eltern

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 187672006, 2011 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,

Siemensstraße 32, 71254 DitzingenDruck und Bindung: Canon Deutschland Business Services GmbH,

Siemensstraße 32, 71254 DitzingenPrinted in Germany 2018

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK undRECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, StuttgartISBN 978-3-15-018767-8

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

III. Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171. Was ist Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . 172. Ist Philosophie nutzlos? . . . . . . . . . . . . . 233. Wozu soll man philosophieren? . . . . . . . . 26

III. Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321. Gewissensethik. . . . . . . . . . . . . . . . . . 332. Pragmatische Theorie . . . . . . . . . . . . . . 373. Hedonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451. Inkompatibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . 492. Kompatibilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 533. Pessimismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

IV. Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661. Das Wunderargument . . . . . . . . . . . . . . 662. Der teleologische Gottesbeweis. . . . . . . . . 703. Der kosmologische Gottesbeweis . . . . . . . 724. Der ontologische Gottesbeweis. . . . . . . . . 745. Ein Argument gegen die Existenz Gottes . . . 776. Pascals Wette oder Ockhams Rasiermesser? . . 79

Neuzeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

V. Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891. Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902. Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

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6 Inhalt

3. Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984. Transzendentaler Idealismus. . . . . . . . . 1015. Ein Ausweg aus dem Skeptizismus?*. . . . 103

VI. Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1081. Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102. Klassischer Empirismus . . . . . . . . . . . 1133. Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1164. Logischer Empirismus* . . . . . . . . . . . 1195. Naturalismus – das Ende der Philosophie?* 123

VII. Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1281. Substanzdualismus . . . . . . . . . . . . . . 1312. Logischer Behaviorismus* . . . . . . . . . . 1353. Identitätstheorie und Funktionalismus* . . 1394. Anomaler Monismus* . . . . . . . . . . . . 143

VIII. Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1491. Eigeninteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . 1502. Naturrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1553. Gemeinwille. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1574. Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

IX. Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1671. Kantische Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . 1682. Utilitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

X. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1911. Referentielle Theorie . . . . . . . . . . . . . 1922. Ideationale Theorie . . . . . . . . . . . . . . 1943. Propositionale Theorie . . . . . . . . . . . . 1954. Gebrauchstheorie* . . . . . . . . . . . . . . 1975. Intentionalistische Theorie* . . . . . . . . . 2006. Wahrheitskonditionale Theorie* . . . . . . 203

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Inhalt 7

XI. Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2101. Das Problem der Erklärung . . . . . . . . . 2102. Das Problem der Bestätigung* . . . . . . . 2153. Wissenschaftliche Theorien* . . . . . . . . 218

XII. Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2251. Physikalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 2262. Produktionsmentalismus. . . . . . . . . . . 2293. Rezeptionsmentalismus . . . . . . . . . . . 2314. Kausalhistorische Theorie . . . . . . . . . . 232

XIII. Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2371. Das rationale Wesen . . . . . . . . . . . . . 2392. Das soziale Wesen . . . . . . . . . . . . . . 2413. Das moralische Wesen . . . . . . . . . . . . 244

XIV. Angewandte Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . 2481. Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2482. Abtreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2513. Armut und Reichtum . . . . . . . . . . . . 254

Anhang: Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2591. Bausteine der Logik . . . . . . . . . . . . . 2602. Gültige Argumentationsformen . . . . . . . 2663. Kritik von Argumenten . . . . . . . . . . . 276

Begriffslexikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299Zum Autor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

Die mit einem Sternchen * gekennzeichneten Abschnitte sind etwasanspruchsvoller.

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Vorwort zur ersten Auflage

Dieses Buch möchte den neugierigen Leser auf eine wahr-scheinlich ungewohnte Weise in die Philosophie einfüh-ren: Antworten auf die großen Fragen der Philosophie –Antworten berühmter Philosophen von Sokrates und Pla-ton über Descartes, Hume und Kant bis zu Wittgensteinund Quine – werden kurz dargestellt. Im Anschluss wer-den die Antworten Einwänden ausgesetzt. Und nun istder Leser gefragt: Treffen die Einwände zu? Gibt es zudiesem oder jenem Einwand eine Entgegnung? Ließe sichnicht auch noch ein anderer Einwand vorbringen? Eineendgültige Antwort auf die Fragen wird dabei nicht gelie-fert. Jeder ist vielmehr gefordert, die Argumente genau zuprüfen und sich eine eigene Meinung zu bilden, eine Mei-nung, die er oder sie auf dem gegenwärtigen Stand der Er-kenntnis mit gutem Grund vertreten kann.Wo soll man beginnen? Zum Beispiel am Anfang: histo-risch und systematisch – in der Antike und bei der Philo-sophie. Aber das muss nicht sein. Wer sich für ein Themabesonders interessiert, der kann gleich im entsprechendenKapitel einsteigen. Die Kapitel sind als eigenständige Tex-te konzipiert und können somit in jeder beliebigen Rei-henfolge gelesen werden. Auch die Positionen innerhalbder Kapitel können grundsätzlich einzeln bearbeitet wer-den, wenngleich hier die Kenntnis der anderen Positionenjeweils wichtige Bezüge schaffen kann. Einige der Ab-schnitte sind anspruchsvoller als andere. Sie sind mit ei-nem Sternchen gekennzeichnet.Wie kann man das Buch einsetzen? Auf nahezu beliebigeWeise. Man kann es einfach durchlesen. Oder man kann esals Einstieg in die Lektüre eines Primärtextes benutzen.Ebenfalls sinnvoll kann es sein, die Darstellung und die Ein-wände im Buch erst nach der Lektüre eines Primärtextes zulesen, um damit das Verständnis zu vertiefen und die Gedan-ken anzuregen. Wer sich hingegen einen Überblick über die

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10 Vorwort

Philosophiegeschichte verschaffen möchte, der kann die Ein-wände bei einer ersten Lektüre auslassen und nur die Dar-stellung der Positionen lesen. Allerdings dient die Auseinan-dersetzung mit den Einwänden nicht nur dem Nachdenkenüber die jeweilige Position, sondern kommt auch deren Ver-ständnis zugute.Noch ein Wort zum Anhang: Wer sich mit philosophischenArgumenten auseinandersetzt, der wird früher oder späterauf Fragen der logischen Form treffen. Was ein gültiges Ar-gument ist und wie man ein solches erkennt, wird im Kapi-tel »Logik« erläutert.Nun wünsche ich dem Leser eine lehrreiche Lektüre. Ganzherzlich bedanken möchte ich mich bei Thomas Ruprechtfür den unabsichtlichen Anstoß zur Idee dieses Buches undfür Kommentare zu einer ersten Version; bei Klaus Petrusfür Hinweise und Anregungen, wie sie kein anderer gebenkann; bei Verena Thaler für die konstruktive Kritik seitSchreibbeginn und Unzähliges mehr; bei Andreas Graeserfür die konstante Unterstützung; bei Annina Schneller fürdie Lektüre einer früheren Fassung; bei meinen Schülerin-nen und Schülern am Gymnasium Bern-Neufeld, die einefrühere Version lesen mussten; bei Andreas Bächli, Sarah-Jane Conrad, Martina Fierz, Andreas Hohn, Guido Löh-rer, David Lüthi, Laura Mercolli und nicht zuletzt beiDietrich Klose für wertvolle Hinweise.

Bern, im April 2006 J. P.

Vorwort zur zweiten Auflage

Für die zweite Auflage wurden kleinere Fehler korrigiert,einige Literaturhinweise ergänzt und zwei neue Kapitelhinzugefügt, »Mensch« und »Angewandte Ethik«.

Bern und Freiburg i.Br., im August 2010 J.P.

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Antike

Die Anfänge

Mit dem Übergang vom Mythos zum Logos beginnt inder Antike die Philosophie. Der Mythos ist die sagenhafteErzählung, das Märchen. Der Logos ist die Vernunft, dievernünftige, wissenschaftliche Erklärung. Was den antikenPhilosophen zunächst der Erklärung zu bedürfen scheint,ist das Problem des Einen und des Vielen: Wie ist dieVielheit der natürlichen Formen durch ein einziges Prin-zip zu erklären? Für Thales von Milet (um 624–546v. Chr.), der als einer der ersten Philosophen gilt, ist derUrstoff, aus dem alles hervorgegangen ist, das Wasser.Andere sehen den Urstoff in der Luft und wieder anderebehaupten, das grundlegende Prinzip sei das Unendliche.Heraklit (um 550 – um 480 v. Chr.) sagt: »Alles fließt«(panta rhei) und betont damit die Vielfalt und Veränder-lichkeit des Vielen auf Kosten des Einen, während Parme-nides (um 540 – um 470 v. Chr.) die Realität von Erschei-nungen als bloßen Schein entlarvt und stattdessen eineWirklichkeit setzt, die eins ist, zusammenhängend undunveränderlich.Wanderlehrer, die ihr Wissen für Geld verkaufen, soge-nannte Sophisten, zum Beispiel Gorgias (485 – um 380v. Chr.) und Protagoras (um 480 – um 410 v. Chr.), lenkendie philosophische Diskussion von der Natur auf denMenschen und machen das Denken und die Sprache selbstzum Gegenstand der Untersuchung. Die meisten Sophis-ten vertreten einen starken Relativismus. Der Relativismusbehauptet, dass alle Meinungen und Aussagen relativ sind,dass es keine objektive Wahrheit gibt. Protagoras verkün-det, der Mensch sei das Maß aller Dinge (Homo-mensura-

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12 Antike

Satz), was üblicherweise als die These interpretiert wird,dass die Wahrheit einer Aussage über die Welt vom Men-schen abhängt. Dieser Relativismus führt viele Sophistenzu einem falschen Verständnis der Philosophie (s. S. 23f.):Da es keine objektive Wahrheit gibt, gehe es in der Philo-sophie nur darum, den Gesprächspartner durch geschickteRhetorik von der eigenen Meinung zu überzeugen. Mitder Überwindung dieser These durch Sokrates beginnt dieklassische Periode der antiken griechischen Philosophie.

Klassische griechische Philosophie

Zentrum der klassischen Periode der griechischen Philo-sophie (4. Jahrhundert v. Chr.) ist Athen. In diesem Stadt-staat (polis) ist die Demokratie organisch gewachsen undstrahlt auf andere Stadtstaaten aus. Die freien Männer ha-ben Muße, sich dem philosophischen Gespräch zu wid-men, während den Frauen der Zugang dazu verwehrtbleibt. Drei Denker beherrschen die philosophische Szene:Sokrates, Platon und Aristoteles.Sokrates, geboren um 470 v. Chr. in Athen, von dem manwenig weiß, weil er selbst nichts geschrieben hat, ist nochheute für viele ein Vorbild, sowohl in philosophischer alsauch in menschlicher Hinsicht. In philosophischer Hin-sicht ist besonders seine Auseinandersetzung mit den So-phisten zu nennen. Davon überzeugt, dass es die objektiveWahrheit gibt, strebt Sokrates unermüdlich nach Erkennt-nis. In menschlicher Hinsicht ist die mit dem Streben nachErkenntnis verbundene Bescheidenheit zu nennen. Diesedrückt sich in seiner Einsicht aus, nichts zu wissen: »Ichsehe ein, dass ich nichts weiß.« Doch möchte er gerne wis-sen, was Wissen (oder Weisheit) ist. Auch auf diese Frageerhält er von niemand eine befriedigende Antwort. LautPlaton und anderen erklärt die heilige Pythia, die Prieste-rin beim Orakel zu Delphi, in ihrer gewohnt geheimnis-

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Antike 13

vollen Art auf die Frage, wer der weiseste Mensch sei, So-krates sei der Weiseste.Sokrates versteht diese Antwort zunächst nicht. Er inter-pretiert sie dann dahingehend, dass er deshalb der Weises-te sei, weil er erkenne, dass er über die Einsicht in seinUnwissen hinaus keine Erkenntnis besitze. Diese Er-kenntnis führt zu einer neuen Interpretation der Inschriftbeim delphischen Orakel: »Erkenne dich selbst« (gnothiseauton). Traditionell wurde die Inschrift so verstanden,dass der Mensch seine sterbliche Natur erkennen soll, dieihn von den Göttern, den Unsterblichen, unterscheidet.Zieht man die Erkenntnis von Sokrates hinzu, besagt dieInschrift, dass der Mensch auch erkennen soll, dass ernicht zur vollkommenen Erkenntnis gelangen kann, denndiese besitzen nur die Götter.Sokrates hält am Grundsatz fest, dass Unrecht zu tunschlimmer sei als Unrecht zu leiden. Höchstes Ziel im Le-ben ist das Glück, und dieses besteht darin, eine gerechteSeele zu besitzen (s. S. 33–35). Diese Einstellung wird ihmzum Verhängnis. Von der athenischen Regierung 399v. Chr. der Gottlosigkeit und Jugendverführung angeklagtund zum Tode verurteilt, unterlässt es Sokrates, zu flie-hen. Aufgrund der Einsicht, dass er mit einer Flucht Un-recht täte, nimmt er den Tod durch den Schierlingsbecherfreimütig an.Von diesem Ereignis erschüttert, entschließt sich Platon(427–347), der begabteste Schüler von Sokrates, die Ge-danken seines Lehrers niederzuschreiben. Das Resultat,eine Sammlung von etwa dreißig Dialogen, gehört zumKanon der großen Werke der abendländischen Philoso-phie. In den frühen Dialogen Protagoras, Menon, Gorgiasund anderen wird hauptsächlich die Frage nach dem gutenLeben diskutiert. In den Werken der mittleren Periode, zudenen die Meisterwerke Phaidon, Symposion und Phaidroszählen, geht es im Hintergrund immer um die Frage, wiesich die unveränderlichen abstrakten Formen des Seins,

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14 Antike

die platonischen Ideen, erkennen lassen, ebenso wie in dervon vielen als Hauptwerk angesehenen Politeia, derenzentrale Frage die nach dem gerechten Staat ist. In seinenspäten Werken, zum Beispiel im Theaitetos, Sophistes undPolitikos, entwickelt Platon seine Gedanken weiter. Ne-ben dem Schreiben ist Platon vor allem als Lehrer tätigund gründet 387 v. Chr. in Athen eine Schule, die als »Pla-tonische Akademie« bekannt und noch jahrhundertelangbestehen wird.Platons bekanntester Schüler ist Aristoteles (384–322v. Chr.). Kurz nach Platons Tod zieht er nach Mazedonien,betätigt sich dort als Lehrer Alexanders des Großen undkehrt 335 v. Chr. nach Athen zurück. Hier gründet er dieperipatetische Schule (so benannt nach dem Umherwan-deln – peripatein – während der gemeinsamen Diskussion).Seine Hauptwerke sind die Schriften zur Logik (bekanntals Organon), die Metaphysik und die NikomachischeEthik. Im Organon entwickelt Aristoteles den Syllogis-mus, die Form des logischen Schlusses, die für Jahrtausen-de maßgebend sein wird. In der Metaphysik argumentiertAristoteles gegen Platons Annahme von Ideen, die losge-löst von den Einzeldingen existieren, und dafür, dass dasWesen der Dinge in ihnen selbst liege. In der Nikoma-chischen Ethik legt er eine Theorie des guten Lebens vor,welche die Ausbildung eines tüchtigen Charakters fordert.Wie Platon hatte auch Aristoteles einen sehr großen Ein-fluss auf die Philosophie.

Hellenismus

Das Ende der klassischen Zeit der griechischen Philosophiemit dem Tod von Aristoteles ist zugleich das Ende der grie-chischen Stadtstaaten. Diese verschwinden nach dem Auf-stieg des Reiches von Alexander dem Großen ab 323v. Chr. Die sich anschließende Periode des Hellenismus

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Antike 15

(3. Jahrhundert v. Chr. bis 3. Jahrhundert n. Chr.) zeichnetsich in der Philosophie vor allem durch zwei rivalisierendeSchulen aus: die der Stoiker (Stoa) und die von Epikur.Die Stoiker teilen die Philosophie in Logik, Physik undEthik ein. In der Logik erweitern sie die Syllogistik vonAristoteles. In der Physik lassen sie nur wahrnehmbareGegenstände als wirklich gelten und vertreten einen strik-ten Determinismus, d. h., sie sind der Ansicht, dass die ge-genwärtige Situation durch die vorherige bestimmt ist. Inder Ethik entwickeln sie Sokrates’ Gedanken weiter zu ei-ner Askese, die sich auf das Wesentliche konzentriert. Ge-gründet wird die Stoa von Zenon von Kition (um 332 – um265 v. Chr.), systematisiert von seinem Schüler Chrysipp(um 281 – um 206 v. Chr.). Zu den späten Stoikern zählendie römischen Philosophen Seneca (4 v. Chr – 65 n. Chr.)und Epiktet (50–138 n. Chr.).Epikur (um 342 – 271 v. Chr.) und seine Jünger, die Epi-kureer, vertreten in der Physik die These, dass einige derkleinsten sich bewegenden Teile ihre Richtung durch Zu-fall verändern. Sie lehnen den Determinismus der Stoikerab und glauben, damit die Willensfreiheit des Menschenzu retten (s. S. 49–53). In der Ethik vertreten sie einen He-donismus, d. h., sie sind der Ansicht, das einzige Ziel seidie Lust. Auch damit stehen die Epikureer im Gegensatzzu den Stoikern. Allerdings sind diese Unterschiede nichtzu überschätzen, denn beide Schulen sehen das höchsteGut in der Tüchtigkeit, nur ist dieses für die Epikureerdeshalb das höchste Gut, weil es die höchste Lust dar-stellt, für die Stoiker, weil es ein Wert an sich ist.Die skeptische Akademie, eine dritte hellenistische Schule,wurde von Pyrrhon von Elis (um 365 – um 275 v. Chr.)gegründet. Der Römer Sextus Empiricus (um 200 – 250n. Chr.) hat seine Gedanken dann systematisiert. DieSkeptiker behaupten, es gebe zu jedem Urteil ein gleichstarkes Gegenurteil. Daraus ziehen sie den Schluss, nurdie Urteilsenthaltung führe zur ersehnten Seelenruhe.

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16 Antike

Das Ende der antiken Philosophie markiert Plotin (um204 – 270 n. Chr.), dessen neuplatonische Lehre von ei-nem geistigen Weg zur höchsten Idee (Gott) zugleich denÜbergang zum Mittelalter weist.

Literaturhinweise

Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie,Frankfurt a. M.: Fischer, 1997.Diese Geschichte der Philosophie ist spannend, leicht verständ-lich und bietet dem Einsteiger einen guten Überblick.

Wolfgang Röd (Hrsg.), Geschichte der Philosophie, 12 Bde., Mün-chen: Beck, 1986 ff.Diese Reihe enthält ausführliche Darstellungen zu einzelnenEpochen der Philosophiegeschichte, geschrieben von ausgewie-senen Kennern.

Ansgar Beckermann / Dominik Perler (Hrsg.), Klassiker der Philo-sophie heute, Stuttgart: Reclam, 2004.Dieses Buch bietet einen Überblick über die Geschichte der Phi-losophie in 37 Einzelkapiteln, in denen jeweils ein Philosophund sein Denken anhand eines für ihn bedeutsamen Problemsvorgestellt wird.

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I. Philosophie

Was ist Philosophie? Im Sinn der ursprünglichen altgrie-chischen Begriffe philein ›lieben‹ und sophia ›Weisheit‹ istPhilosophie die Liebe zur Weisheit, oder – freier über-setzt – die Suche nach Erkenntnis. Damit ist jedoch nochwenig gesagt, denn dies unterscheidet die Philosophienicht von anderen Wissenschaften, etwa der Physik, derPsychologie oder der Geschichtswissenschaft. Die Frage,was die Philosophie auszeichnet, ist wiederum eine philo-sophische Frage. Und wie in der Philosophie so üblich,besteht auch in Bezug auf diese scheinbar fundamentaleFrage keine Einigkeit. Diese Uneinigkeit mag ein Grunddafür sein, dass sich einige Vorurteile in Bezug auf diePhilosophie und ihren Wert herausgebildet haben: Wennkeine Einigkeit besteht, dann zeigt dies, dass man garnichts wissen kann; dass Philosophieren eine nutzlose Tä-tigkeit ist, bei der man nur um Meinungen streitet; dass esalso sinnlos ist, sich überhaupt mit ihr abzugeben. Wer sospricht, weiß oft gar nicht, was Philosophie ist. Deshalbsoll zunächst geklärt werden, was Philosophie ist, oderzumindest, was man darunter verstehen kann. Danachsollen die Vorurteile als Kritikpunkte noch einmal aufge-nommen und genau untersucht werden. Abschließendwird versucht, die Frage zu beantworten, wozu Philoso-phieren gut ist.

1. Was ist Philosophie?

Einer der einflussreichsten Denker überhaupt, der grie-chische Philosoph Platon (427–347 v. Chr.), stellt in sei-nem Werk Politeia den Beginn der Philosophie mit einemGleichnis dar, dem sogenannten »Höhlengleichnis«. Man

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18 Philosophie

denke sich Menschen, die angekettet in einer Höhle aufeine Wand schauen und nur Schatten von Dingen sehen,von denen sie jedoch glauben, sie seien die Wirklichkeit,weil sie nichts anderes kennen. Wird einer dieser Men-schen von den Ketten befreit und wagt es, aus der Höhleherauszutreten, so wird er die wahren Ursachen derSchatten erkennen. Kehrt er zurück und will den anderenvon seiner Entdeckung erzählen, so wird er von diesenverlacht, da seine Erzählung nicht dem entspricht, was sietäglich wahrnehmen.Das Gleichnis stellt den Beginn der Philosophie dar: Phi-losophieren beginnt damit, dass man Gedanken über dieWelt hinterfragt, seien es die eigenen oder die von ande-ren. Eine bestimmte Meinung wird nicht mehr bloß hin-genommen, sie wird hinterfragt. Doch was genau heißt»hinterfragen«? Wer eine Meinung hinterfragt, der ver-langt zweierlei: Er oder sie will wissen, was die Meinunggenau bedeutet, und will wissen, ob die Meinung auch gutbegründet ist. Mit Fragen dieser Art beschäftigt sich diePhilosophie hauptsächlich: mit Bedeutungsfragen und mitBegründungsfragen.

Bedeutungsfragen

Solange nicht klar ist, was die Begriffe in einer geäußertenMeinung bedeuten, ist nicht klar, was die Meinung genaubesagt. Äußert eine Person die Meinung, Philosophierensei nutzlos, fragt die Philosophin oder der Philosophnach: Was ist Philosophie? Was heißt »Philosophieren«?1

Solange diese Frage nicht geklärt ist, kann man die Mei-

1 Wird ein Begriff nicht gebraucht, sondern erwähnt, um über ihn zu reden,werden Anführungszeichen gesetzt. Der Unterschied wird an folgendenSätzen deutlich: »Bern ist die Hauptstadt der Schweiz«; »›Bern‹ bezeichnetdie Hauptstadt der Schweiz«; »Bern hat einige hunderttausend Einwoh-ner«; »›Bern‹ hat vier Buchstaben«.

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Was ist Philosophie? 19

nung auch nicht beurteilen, denn man weiß nicht einmal,worüber man spricht.Bedeutungsfragen sind Fragen nach der Bedeutung vonBegriffen. Doch nicht nach der Bedeutung irgendwelcherBegriffe fragt die Philosophie. Es geht ihr nicht um dieBedeutung von »Nähmaschine«, »Fußball« oder »Spazier-stock«. Der Grund dafür ist jedoch nicht, dass diese Din-ge zu weltlich wären oder dass sich über diese Begriffenicht auch philosophieren ließe, sondern dass dies Begriffesind, die zu wenig allgemein sind. Die Philosophie ist amAllgemeinen interessiert, oder, wie man auch sagen kann,am Prinzipiellen. Zum Beispiel fragt die Philosophie: Wasist ein materielles Objekt? Was ist der Geist? Wann ist derMensch frei? Was gilt als ein Kunstwerk? Wann ist eineGesellschaft gerecht? Was unterscheidet ein Zeichen, dasBedeutung hat, von einem, das keine Bedeutung hat?Worin besteht ein glückliches Leben? – Dies sind Fragen,mit denen sich die Philosophie beschäftigt.Wie untersucht die Philosophie solche Bedeutungsfragen?Zum einen kann die Philosophie eine Definition für einenallgemeinen Begriff setzen. Sie kann zum Beispiel sagen:Wir nennen »materielles Objekt« etwas, das eine Ausdeh-nung hat. In diesem Fall ist die Definition weder richtignoch falsch, sie wird einfach gesetzt. Welche Definitioneiner anderen vorgezogen werden soll, hängt dann davonab, wie leistungsfähig der Begriff in einer bestimmtenTheorie ist, d. h. innerhalb einer Gruppe von Aussagen,die dazu dient, die Welt zu erklären. Zum anderen – unddies ist häufiger der Fall – versucht die Philosophie einenbestehenden Begriff zu analysieren, d. h., ihn in einfachereBegriffe zu zerlegen. Im Idealfall führt eine solche Be-griffsanalyse zu einer Definition des Begriffs, die genaubestimmt, was unter den Begriff fällt. Leider ist ein sol-ches Resultat eher selten. Dies ist einer der Gründe, wes-halb auch die Begriffsanalyse umstritten ist.Worin eine Begriffsanalyse genau besteht und auf welchen

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Grundlagen sie beruht, sind schwierige Fragen. Meistwird angenommen, dass mit der Begriffsanalyse unsereIntuitionen in Bezug auf die korrekte Anwendung des Be-griffs herausgearbeitet werden. Wir tragen die Lösung be-reits in uns und müssen sie nur ausformulieren oder, wiePlaton schreibt, uns an sie wieder erinnern. Die Richtig-keit der Begriffsanalyse wird somit unter anderem an derÜbereinstimmung mit unseren Intuitionen geprüft. Diesekönnen sich durch Nachdenken auch ändern. Die Analyseist dann entsprechend anzupassen.Selbst dann, wenn nicht genau bestimmt werden kann,was das Resultat einer Begriffsanalyse sein soll, lässt sichdennoch sagen, wie es nicht aussehen darf. Zwei wichtigeBedingungen sind hier zu nennen: Eine Begriffsanalysedarf nicht zirkulär sein. Zirkulär ist eine Analyse dann,wenn sie einen Begriff mit demselben Begriff zu erklärenversucht. Eine zirkuläre Definition ist deshalb schlecht,weil sie nichts aussagt. Beispielsweise zu sagen, mit »Phi-losophie« sei die »philosophische Tätigkeit« gemeint, hilftnicht weiter. Zweitens darf eine Begriffsanalyse keine Wi-dersprüche enthalten. Wenn eine Theorie einen Wider-spruch enthält, lässt sich aus ihr jede Aussage ableiten.Wenn sich jede Aussage ableiten lässt, dann lässt sich mitder Theorie alles erklären. Mit einer Theorie, die einenWiderspruch enthält, ließe sich somit auch zeigen, dasssich die Erde um die Sonne dreht und Gras blau ist. Einesolche Theorie wäre witz- und nutzlos.Die Philosophie besteht also in der Analyse von Begriffen,wobei die Resultate weder zirkulär noch widersprüchlichsein dürfen. Doch was ist zu tun, wenn es mehrere Analy-sen gibt, wenn verschiedene Meinungen bestehen, die alledie beiden Bedingungen erfüllen? Dann ist zu untersu-chen, ob die Meinungen auch gut begründet sind. Damitrückt die zweite Art philosophischer Fragen ins Blickfeld.

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Begründungsfragen

Begründungsfragen sind Fragen nach der Begründung vonMeinungen. Gesucht sind gute Gründe für die Annahmeeiner bestimmten Meinung. Solange eine Meinung nichtdurch eine Begründung gestützt wird, ist sie eine bloßeMeinung und kein Wissen. Und da die Philosophie nachWissen strebt, verlangt sie nach Begründungen.Das Wissen, nach dem die Philosophie sucht, ist allerdingskein Faktenwissen. Sie vermag auch gar kein solches zu lie-fern, da sie keine empirische Wissenschaft ist, d. h. keineWissenschaft, die zu ihren Erkenntnissen mit Hilfe derErfahrung gelangt. Sie untersucht die Welt nicht direkt,sondern indirekt. Philosophieren ist nicht primär ein Nach-denken über die Welt, sondern ein Nachdenken über dasDenken über die Welt. Die Art, wie wir über die Welt nach-denken, muss begründet werden. Wie macht man das?Man begründet eine Meinung, indem man ein Argumentzur Stützung dieser Meinung vorlegt. Ein Argument be-steht aus Aussagen, von denen aus argumentiert wird(Prämissen), und aus einer Aussage, für die argumentiertwird (Konklusion). Die Verbindung zwischen Prämissenund Konklusion ist derart, dass derjenige, der die Prämis-sen akzeptiert, auch verpflichtet ist, die Konklusion zu ak-zeptieren. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das Ar-gument auch gültig ist. Ein Argument ist gültig, wenn dieKonklusion logisch aus den Prämissen folgt, d. h., wenndie Konklusion wahr sein muss, sofern die Prämissenwahr sind.Nun gibt es jedoch auch Argumente, bei denen die Kon-klusion nicht logisch aus den Prämissen folgt. Solche Ar-gumente sind ungültig. Die Logik ist die philosophischeDisziplin, welche die Frage untersucht, wie gültige vonungültigen Argumentationsformen unterschieden werdenkönnen. Sie bietet deshalb ein wichtiges Hilfsmittel beider Beantwortung von Begründungsfragen (s. Anhang).

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Über die Gültigkeit hinaus muss ein gutes Argument auchstichhaltig sein, d. h., es muss von wahren oder zumindestvon als wahr anerkannten Prämissen ausgehen. Nur wennauch dies der Fall ist, kann von einem stichhaltigen Argu-ment gesprochen werden.Wie bei Bedeutungsfragen ist die Philosophie auch bei Be-gründungsfragen am Allgemeinen interessiert. Sie suchtnicht in erster Linie nach Begründungen, die diese oderjene Meinung stützen, sondern nach Begründungen vonallgemeinen Meinungen, d. h. von Aussagen, die generellgelten. An zwei Beispielen sei dies veranschaulicht:Wenn eine Naturwissenschaftlerin ihre Ergebnisse damitbegründet, dass sie diese mit dem vor ihr stehenden In-strument gemessen habe, so wird ein Philosoph zum Bei-spiel fragen, ob die Messung verlässlich sei. Er will nichtwissen, ob genau das von ihr gebrauchte Instrument einenFehler aufweise, sondern er will wissen, ob Messinstru-mente und überhaupt unsere Sinne eine verlässliche Quel-le für Wissen sein können.Wenn jemand ein Stück Fleisch essen will und diesen Wil-len damit begründet, dass er Lust darauf habe, so wirdeine Philosophin zum Beispiel fragen, ob dies ein guterGrund sei. Sie will nicht wissen, ob es der tatsächlicheGrund ist, warum er so handelt, sondern ob der Grundauch gut ist, d. h., ob der Grund diese Handlung in jedervergleichbaren Situation rechtfertigen würde.

Zusammenfassend kann man sagen:

»Philosophieren« heißt, mit Hilfe der Begriffsanalyse nachder Bedeutung von allgemeinen Begriffen und mit Hilfeder Logik nach der Begründung von allgemeinen Meinun-gen zu suchen.

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2. Ist Philosophie nutzlos?

Angenommen, man akzeptiert diese Definition von Philo-sophie, dann muss man damit noch nicht zugestehen, dassPhilosophieren auch eine nützliche Tätigkeit ist. Gegendie These, Philosophieren sei nützlich, lassen sich mindes-tens folgende drei Einwände vortragen.

Einwand 1. Philosophie ist lediglich ein Streit umMeinungen. Wer philosophiert, der äußert seine eigeneMeinung und streitet mit einer Person, die ihre Mei-nung vertritt. Ein Streit um Meinungen ist sinnlos, dajeder seine eigene Meinung hat. Es mag sein, dass ichdie Meinung eines anderen nicht teile, aber das heißtnicht, dass seine Meinung falsch wäre. Es ist seine Mei-nung und sie ist ebenso wahr wie die meinige. Jede Mei-nung ist gleich wahr wie jede andere; es gibt keine ob-jektive Wahrheit; es gibt kein Kriterium, das zeigenkönnte, dass die eine Meinung wahr, die andere falschist. Dies ist die These des radikalen Relativismus. Wennes keine objektiven Wahrheiten gibt, dann gibt es auchkein Wissen. Danach zu suchen, was es nicht gibt, istsinnlos. Also ist Philosophieren eine sinnlose Tätigkeit.Erwiderung. Wenn es so ist, dass jede Meinung wahrist, dann müsste auch die Meinung wahr sein, dass dieMeinung »Jede Meinung ist wahr« falsch ist. Dies ist einWiderspruch: Wenn die Behauptung, dass jede Meinungwahr ist, wahr ist, dann ist die Behauptung falsch, denn esgibt eine Meinung, die besagt, dass diese Meinung falschist. Eine Meinung kann aber nicht zugleich wahr undfalsch sein. Es ist deshalb gar nicht möglich zu behaupten,dass jede Meinung wahr ist, ohne sich in einen Wider-spruch zu verstricken. Der Relativismus ist in dieser ra-dikalen Form nicht haltbar. Der Einwand, Philosophiesei lediglich ein Streit um Meinungen, von denen allewahr seien, ist deshalb entschieden zurückzuweisen.

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Dass es eine objektive Wahrheit gibt, heißt noch nicht,dass wir sie auch erkennen können. So kann es sein,dass zwei Personen in einem philosophischen Gesprächan einen Punkt kommen, an dem sie ihre Ansichtennicht mehr weiter begründen können, aber auch nichtbereit sind, die Ansicht des anderen zu übernehmen.Und dies hat seinen Grund: Die grundsätzlichsten An-sichten können nicht weiter begründet werden undhängen von Wertungen ab, die von Mensch zu Menschverschieden sind. Es gibt einen Punkt, an dem die Fragenach einer weiteren Begründung keinen Sinn mehrmacht.Dass man in einem philosophischen Gespräch auch zueinem Punkt kommen kann, an dem man seine Mei-nung nicht mehr weiter begründen kann, heißt jedochnicht, dass die Gesprächspartner nicht doch in vielenFällen zu einer Einigung kommen. Auch ist darausnicht zu schließen, dass die nun erreichte Situation derursprünglichen Situation gleichzusetzen ist. Die alte Si-tuation war unreflektiert. In der neuen Situation hatman ein Bewusstsein dessen, worum es geht und wasauf dem Spiel steht. Dieses Bewusstsein macht einenUnterschied aus. Auch hat dazwischen ein Prozessstattgefunden, der selbst einen Wert hat. Welcher Wertgemeint ist, wird noch erläutert werden.

Einwand 2. Philosophinnen und Philosophen stellenhirnverrückte Fragen, Fragen, auf die es keine Antwor-ten gibt. Sie stellen alles in Frage, vor allem das, was je-dem klar ist und erst durch die Frage zum Problemwird. Ohne die Philosophie gäbe es diese Probleme garnicht. Sie führen zu einer unnötigen Verunsicherungund halten uns dadurch vom Handeln ab. Wenn es we-nigstens objektive Antworten gäbe, dann könnte mansich daran halten. Aber solche Antworten gibt es nicht.Und so steht man nach dem Philosophieren schlechter

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Ist Philosophie nutzlos? 25

da als zuvor: Ist man sich zunächst seiner Überzeugun-gen und Wünsche sicher, ist man nach dem Philoso-phieren verunsichert und weiß nicht mehr, was tun.Philosophieren ist somit nicht nur nutzlos, sondern so-gar schädlich.Erwiderung. Eine der Begründungen für diesen Ein-wand lautet, die Philosophie stelle alles in Frage. Es istrichtig, dass im Prinzip alles hinterfragbar ist. Das heißtjedoch nicht, dass alles zugleich hinterfragt würde. Dieswäre auch weder theoretisch noch praktisch möglich.Otto Neurath (1882–1945), der sich vor allem für Wis-senschaftstheorie interessierte, hat dies mit einem ein-drucksvollen Bild umschrieben: »Wie Schiffer sind wir,die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne esjemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestand-teilen neu errichten zu können.«2 Das heißt, jede Plankekann ausgewechselt werden, doch nicht alle Planken aufeinmal. Das Gleichnis veranschaulicht, dass im Prinzipjede Meinung oder Überzeugung hinterfragbar ist, je-doch nicht alle zugleich.Mit dem Gleichnis lässt sich noch mehr zeigen, zumBeispiel, dass die Philosophie nicht etwas ist, das keinenBezug zum Leben hätte. Das Schiff auf offener See sindwir. Wenn wir philosophieren, dann geht es um uns,um unsere Meinungen. Auch dass Philosophie in jedesLeben gehört. Die Schiffe sind nicht von Anfang anperfekt und für alle Ewigkeiten gebaut. Also muss ge-prüft und immer wieder geprüft werden, ob die Plankenetwas taugen und nicht morsch geworden sind. Wir ha-ben immer wieder zu prüfen, ob das, was wir glauben,auch kritischen Einwänden standhält.Der Einwand verfehlt somit die Tätigkeit der Philoso-phie. Denn Philosophieren ist keine Tätigkeit, die uns

2 Otto Neurath, »Protokollsätze«, in: Erkenntnis 3 (1932/33) S. 204–214,hier S. 206.