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31 missio 6/2020 | 30 | missio 6/2020 VOR ORT BURKINA FASO Bei uns ist noch Platz! Lange wurde Burkina Faso gepriesen als Vorbild für das gute Zusammenleben von Völkern und Religionen. Doch jetzt erschüttern Gewalt und Terror das Land in Westafrika. Die Zahl der Flüchtlinge hat die Millionengrenze überschritten. Was haben sie erlebt? Und wo sollen sie hin? TEXT: CHRISTIAN SELBHERR | FOTOS: JÖRG BÖTHLING

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Page 1: 02-52 mm 2020-06 · 2020. 10. 14. · Besonders für die französischsprachigen LänderAfrikasgilt1960als„DasJahr,in demAfrikaerwachte“.Damalserkämpften sichnichtwenigerals18afrikanischeLän

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VOR ORT BURKINA FASO

Bei uns ist noch Platz!Lange wurde Burkina Faso gepriesen als Vorbild für das gute Zusammenlebenvon Völkern und Religionen. Doch jetzt erschüttern Gewalt und Terror dasLand in Westafrika. Die Zahl der Flüchtlinge hat die Millionengrenzeüberschritten. Was haben sie erlebt? Und wo sollen sie hin?

TEXT: CHRISTIAN SELBHERR | FOTOS: JÖRG BÖTHLING

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Polizei und Militär versuchen die Terroristen aufzuspüren. Aber die Gefahr wächst und die Menschen verlassen ihre Dörfer.

wieder da. Ihr Blick schweift ins Leere,wie an einen fernen Ort. Es scheint, alssehe sie das alles noch ganz deutlich vorsich. „Wir sangen gerade im Kirchen-chor“, berichtet sie. „Gerade fingen wirmit der zweiten Strophe an.“ Da hörtensie Lärm von draußen – Motorräder, dieauf den Dorfplatz vor der Kirche heran-rauschten. Und dann, was war das?Schüsse, wahrscheinlich. „Wir liefen nachdraußen“, sagt Marie Swadogo.Aber sie konnten den Angreifern nicht

mehr entkommen, die Kirche war schonumzingelt. Sie mussten sich in einer Reiheaufstellen und ihre Ausweise herzeigen.Die Terroristen kontrollierten ihre Na-men: Klingen sie eher christlich, wie Ma-rie oder Jean-Paul? Oder muslimisch, wieFatouma oder Mamadou? „Ich denke,dass sie uns töten wollten“, sagt Marie Sa-wadogo heute. Und tatsächlich: FünfMänner wurden umgebracht. Außerdemder Pfarrer der Gemeinde, der eben nochdie Messe gelesen hatte. Dann sollten dieFrauen an die Reihe kommen.Marie Sawadogo bricht mit ihrer Er-

zählung ab. Es soll genügen für den Mo-ment.Wichtig ist ja ohnehin nur, dass sieüberlebt hat. Und dass sie sich jetzt eini-germaßen in Sicherheit befindet.Weil ihrentfernter Onkel Jean Bruno Ouédraogosagte: „Ja, kommt herein, ich helfe euch.“Mehr als eine Million solcher Schick-

sale kennt das Land Burkina Faso inzwi-schen, in nicht einmal zwölf Monatensind sie alle heimatlos geworden, Flücht-linge im eigenen Land. Ihre Dörfer undGemeinden sind nicht mehr sicher genugvor den Angriffen der verschiedenen ter-roristischen Gruppen, sowie der bewaff-

ER REDET SO VIEL, weil er nichtweiß, was er sagen soll. Idrissa Jean BrunoOuédraogo fehlen schlicht und ergreifenddie richtigen Worte. Am Ende läuft allesauf den einen Satz hinaus: „Es war fürmich selbstverständlich, den anderen zuhelfen.“ Herr Ouédraogo wird „PapaJean“ genannt, und wie ein Vater küm-mert er sich um diejenigen, die vor kur-zem bei ihm angeklopft haben. Über drei-ßig Menschen – Frauen wie Männer undKinder – standen am rostbraunen Eisen-tor und fragten: „Bitte, Papa Jean, kannstdu uns helfen? Wir wissen nicht, wohinwir gehen sollen.“Herr Ouédraogo ließ sie herein. Er

hatte ja schon gehört, was geschehen war.Ein Überfall auf das kleine Dorf Dablo,weiter oben im Norden ihres Heimat-landes Burkina Faso. Und das mitten amTag, ja sogar an einem Sonntag!Eine, die an diesem schrecklichen Tag

mit dabei war, ist Marie Sawadogo.Wennsie an die Ereignisse vom Mai 2019 zu-rückdenkt, sind die Erinnerungen sofort

DAS TRAUMA IST ALLGEGENWÄRTIG.

„ZU HELFEN WAR FÜR MICH SELBSTVERSTÄNDLICH.“

VOR ORT BURKINA FASO

Jean Bruno Ouédraogo („Papa Jean“) nahm über

30 Flüchtlinge bei sich zu Hause auf.

Marie Sawadogo war am Tag des Überfalls

in der Kirche. Sie sang im Chor, als die Angreifer kamen.

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VOR ORT MALI

neten Milizen, die Vergeltung üben unddamit die Gewalt nur weiter anheizen.Wie hat es nur so weit kommen kön-

nen? Burkina Faso galt doch immer alsMusterbeispiel für ein gutes Zusammen-leben zwischen Christen und Muslimen,zwischen den Stämmen und Volksgrup-pen. Das war auch keine Utopie, sondernganz praktischer Alltag.Experten sehen mehrere Gründe: Die

Krisen in den Nachbarländern Mali undNiger sind inzwischen so groß geworden,dass sich das kleine Land Burkina nichtmehr davor schützen kann.Wenn inMalidie Truppen Frankreichs, der VereintenNationen und auch der deutschen Bun-deswehr immer schwerere Geschütze ge-gen Islamisten und andere Rebellen auf-fahren – ist es dann nicht naheliegend,dass sich die unzähligen Splittergruppeneinfach über die Grenze zurückziehen, wosie vor dem Zugriff ausländischer Ar-meen sicher sind? Wenn Mali für sie zugefährlich wird, dann verbreiten sie ihrenTerror eben in Burkina Faso.Aber es wäre

zu kurz gedacht, würde man den Terro-rismus immer nur als ausländisches Phä-nomen betrachten. Nach dem Motto:Unsere Leute würden in Frieden leben,wenn nur nicht die Ausländer wären. Dasstimmt nirgendwo auf derWelt, also auchnicht hier.Denn woher sollen Terrorkämpfer aus

Mali oder Niger wissen, wann genau ineinemDorf wie Dablo die Sonntagsmesse

stattfindet? Oder an welcher Stelle manvon der Hauptstraße abbiegen muss, umüber holprige, verschlungene Seitenwegedas besagte Dorf zu erreichen? Dafürbraucht es einheimische Verbündete –Menschen, die Informationen haben undsie weitergeben.Das muss gar nicht unbedingt aus

Bosheit geschehen, oder aus religiösemFanatismus. Es reichen schon Gefühle wie

Enttäuschung, Angst, Verzweiflung. Diesind weit verbreitet, gerade in den abge-legenen Regionen der Sahelzone. Dort,wo das Wasser immer knapper wird, wodie Ernten immer spärlicher ausfallen,und die Weidegründe für Kühe, Schafeund Ziegen immer weiter schrumpfen.„Kommt mit uns!“ So lautet die einfa-

che Botschaft der Terrorgruppen. JungenMännern werden Gewehre versprochen,undMotorräder, und vielleicht sogar eineFrau als Braut. Auch Frauen schließensich dem Tross des Terrors an – sie ver-dienen Geld als Händlerinnen, als Köchinfür die Kämpfer, als Bräute der heiligenKrieger.Wobei, mit der religiösen Botschaft ist

es nicht so weit her – das betonen eigent-lich alle, die jemals eine solche Gruppe inAktion erlebt haben. Wie ein Mann na-mens Issa Moussa Sawadogo aus demDorf Léré. Auch dort fielen Terroristenein, griffen die Polizeistation und dasHaus des Bürgermeisters an, verbreitetenAngst und Schrecken.„Sie haben geraucht, sie haben getrun-

ken,“ sagt Issa Moussa Sawadogo. „Ersthaben sie gebetet, aber dann haben sieunsere Tiere gestohlen.“ Und fügt leise,aber doch voller Abscheu hinzu: „Daszeigt mir, dass sie keine gläubigen Men-schen waren.“Wer da nicht mitmachen will, muss

weg. Wie Issa Moussa und Marie Sawa-dogo, die nicht verwandt sind, sondernnur einen der besonders häufigen burki-nischen Familiennamen teilen. Jetzt ha-

Nach Kaya gekommen: Die kleine Stadt scheint einigermaßen friedlich und sicher. Aber kann sie den Ansturm der Flüchtlinge bewältigen?

„WIE WIRD DIE ZUKUNFTFÜR UNS WERDEN?“

Drei Frauen aus der Gemeinde Dablo.

Im Mai 2019 wurde dort ein schwerer Anschlag verübt.

Flüchtlingskinder in der Schule von Kaya:

Jeden Tag kommen neue hinzu.

„IN UNSEREM DORF LEBT NIEMAND MEHR.“

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Besonders für die französischsprachigenLänder Afrikas gilt 1960 als „Das Jahr, indem Afrika erwachte“. Damals erkämpftensich nicht weniger als 18 afrikanische Län-der die Unabhängigkeit: Von Kongo bis Ka-merun, über Elfenbeinküste und Senegalbis nach Obervolta. Aus diesem „Obervolta“wurde dann in den 1980er-Jahren BurkinaFaso, übersetzt: „Land der Aufrechten“oder „Anständigen“. 60 Jahre später mussman zunächst einmal betonen: Trotz Krie-gen und Krisen, und manch anderem Übel,das mit „K“ beginnt (Korruption und Krank-heiten zum Beispiel) haben die jungen afri-

kanischen Länder viele Herausforderungenbewältigen können. Dennoch bereiten vorallem die Entwicklungen der vergangenenfünf bis zehn Jahre Sorge. Beispiel BurkinaFaso: Lange waren die Menschen zu Rechtstolz auf das friedliche Zusammenlebender Volkgsruppen und Religionsgemein-schaften. Christen und Muslime lebtennicht nur neben- sondern miteinander.2014 wurde das Land seinen Langzeitherr-scher Blaise Compaoré los. Doch allmählichsickerte die Gefahr herein: Islamistisch mo-tivierte Anschläge zielten zunächst aufwestliche Ausländer in Cafés und Hotels.Bald drangen immer mehr gewalttätigeGruppen aus den Krisenländern Mali undNiger herein und fanden einheimische Ver-bündete. Mehr als das halbe Land gilt nun-mehr als „Zone Rouge“, rote Gefahrenzone.Wo gibt es noch Hoffnung? Mit Friedens-initiativen wie UFC wollen Christen undMuslime der Gewalt begegnen. Einen Kurz-film darüber gibt es im Youtube-Kanal vonmissio München und aufwww.missio.com

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ben sie, wie viele andere, Zuflucht gefun-den in kleinen Städten wie Kaya undDori. Manche kommen bei Verwandtenunter, andere stranden in provisorischenLagern.Auch die katholischen Priester vieler

Pfarrgemeinden haben zusammen mitihren Gläubigen fliehen müssen. Eigent-lich gelten Geistliche, ob christliche Pries-

ter oder muslimische Imame, als Res-pektspersonen und bleiben meist vonAngriffen verschont. Nicht so in diesenZeiten in Burkina Faso. Es scheint keinZufall, dass in den vergangenenMonatenimmer mehr dieser lokalen Führungs-personen attackiert wurden. Als obdie Angreifer ihre Stärke noch einmaleigens beweisen wollten.

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„Land der Aufrechten“ bedeutet Burkina Faso übersetzt. Der „Platz der Cineasten’“ ist ein Wahrzeichen der Hauptstadt Ouagadougou. Doch auch das Hotel „Splendid“ hat Bekanntheit erlangt – weil dort der erste Terroranschlag verübt wurde.

Zwei Beispiele: Der Pfarrer der Ge-meinde Djibo, Abbé Joel Yougbaré, warim März 2019 auf dem Heimweg von ei-ner Sonntagsmesse. Doch er kam nie an.Wo ist er, wer hat ihn entführt? Bis heutegibt es keine Meldung seiner Entführer,keine Forderung nach Lösegeld. Nur einspärliches Lebenszeichen: Westliche Gei-seln berichteten nach ihrer Freilassung,dass sie den Priester in der Gefangen-schaft gesehen hätten. Es gehe ihm denUmständen entsprechend gut, er sei nocham Leben.Anders der muslimische Imam von

Djibo. El Hadji Souaibou Cissé galt alsmutiger Mann. Er hatte die immer häufi-ger werdenden Angriffe offen verurteilt.Als er im August 2020 mit einem öffent-lichen Bus fuhr, wurde dieser angehalten.Man befahl dem Imam auszusteigen. Erwurde mitgenommen.Wenig später fandman seine Leiche.A

„DIALOG HEISST FRIEDEN BEWAHREN.“François Paul Ramdé und Imam Mahamoudou Yaya Cissé

von der Friedensinititative UFC aus Dori

DAS AFRIKANISCHE JAHR