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1.130 die IKB Deutsche Industriebank AG. Sie ist insolvenzfähig. Dies wird in § 1 des Gesetzes über die Industriekreditbank 1 als selbstverständlich unterstellt.Erster Teil: Übersicht über das InsolvenzrechtEröffnungsvoraussetzungen 1.131 Die Deutsche Bundesbank und die Landeszentralbanken können als bundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 1 BBankG) nur durch Gesetz aufgelöst werden (§ 44 BBankG). Bis dahin wird der Bund als verpflichtet angesehen, deren Funktionsfähigkeit auf- rechtzuerhalten 2 , so daß eine Insolvenz praktisch ausgeschlossen ist. b) Insolvenzgründe 1.132 Soweit die juristischen Personen des öffentlichen Rechts insolvenzfähig sind, bilden sowohl die drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit als auch die Überschuldung einen Insolvenzgrund (§ 19 Abs. 1 InsO). Wegen der geringen praktischen Bedeutung der Insolvenz von Anstalten und Kör- perschaften öffentlichen Rechts soll auf eine weitere Darstellung hier ver- zichtet werden. III. Begriff der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung 1.133 Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß zwischen drohender Zah- lungsunfähigkeit, schon eingetretener Zahlungsunfähigkeit und Über- schuldung zu unterscheiden ist. Diese Begriffe bedürfen daher einer nähe- ren Erläuterung: 1. Zahlungsunfähigkeit 1.134 Nach der Definition des Gesetzgebers in § 17 InsO ist der Schuldner zah- lungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Damit ist der Gesetzgeber weitgehend der Rechtsprechung 3 Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht 32 1 BGBl. III 7627-1; Namensänderung in IKB Deutsche Industriebank AG im Jahre 1990. 2 Spindler/Becker/Starke, Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl. 1973, § 44 Anm. 2. 3 St. Rspr. des RG seit RG vom 22.2.1882 – I 668/81 – RGZ 6, 96, zuletzt RG vom 28.2.1920 – VII 93/20 – RGZ 100, 65; BGH vom 5.11.1956 – III ZR 139/55 – WM 1957, 67; BGH vom 27.11.1968 – VIII ZR 204/66 – WM 1969, 98; BGH vom 10.1.1985 – IX ZR 4/84 – WM 1985, 396 = WuB VI B § 30 KO 2.85 – Uhlenbruck; BGH vom 22.11.1990 – IX ZR 103/90 – ZIP 1991, 39; BGH vom 11.7.1991 – IX ZR 230/90 – ZIP 1991, 1014; BGH vom 17.5.2001 – IX ZR 188/98 – ZInsO 2001, 617; OLG Düsseldorf vom 5.11.1982 – 5 Ss 418/82 – 315/82 I – DB 1983, 168.

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1.130 1.130– die IKB Deutsche Industriebank AG. Sie ist insolvenzfähig. Dies wird in§ 1 des Gesetzes über die Industriekreditbank1 als selbstverständlichunterstellt.Erster Teil: Übersicht über das InsolvenzrechtEröffnungsvoraussetzungen

1.131 1.131– Die Deutsche Bundesbank und die Landeszentralbanken können alsbundesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 1BBankG) nur durch Gesetz aufgelöst werden (§ 44 BBankG). Bis dahinwird der Bund als verpflichtet angesehen, deren Funktionsfähigkeit auf-rechtzuerhalten2, so daß eine Insolvenz praktisch ausgeschlossen ist.

b) Insolvenzgründe

1.132 1.132Soweit die juristischen Personen des öffentlichen Rechts insolvenzfähigsind, bilden sowohl die drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit alsauch die Überschuldung einen Insolvenzgrund (§ 19 Abs. 1 InsO). Wegender geringen praktischen Bedeutung der Insolvenz von Anstalten und Kör-perschaften öffentlichen Rechts soll auf eine weitere Darstellung hier ver-zichtet werden.

III. Begriff der Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung

1.133 1.133Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß zwischen drohender Zah-lungsunfähigkeit, schon eingetretener Zahlungsunfähigkeit und Über-schuldung zu unterscheiden ist. Diese Begriffe bedürfen daher einer nähe-ren Erläuterung:

1. Zahlungsunfähigkeit

1.134 1.134Nach der Definition des Gesetzgebers in § 17 InsO ist der Schuldner zah-lungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichtenzu erfüllen. Damit ist der Gesetzgeber weitgehend der Rechtsprechung3

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

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1 BGBl. III 7627-1; Namensänderung in IKB Deutsche Industriebank AG im Jahre1990.

2 Spindler/Becker/Starke, Die Deutsche Bundesbank, 4. Aufl. 1973, § 44 Anm. 2.3 St. Rspr. des RG seit RG vom 22.2.1882 – I 668/81 – RGZ 6, 96, zuletzt RG vom

28.2.1920 – VII 93/20 – RGZ 100, 65; BGH vom 5.11.1956 – III ZR 139/55 – WM1957, 67; BGH vom 27.11.1968 – VIII ZR 204/66 – WM 1969, 98; BGH vom10.1.1985 – IX ZR 4/84 – WM 1985, 396 = WuB VI B § 30 KO 2.85 – Uhlenbruck;BGH vom 22.11.1990 – IX ZR 103/90 – ZIP 1991, 39; BGH vom 11.7.1991 – IX ZR230/90 – ZIP 1991, 1014; BGH vom 17.5.2001 – IX ZR 188/98 – ZInsO 2001, 617;OLG Düsseldorf vom 5.11.1982 – 5 Ss 418/82 – 315/82 I – DB 1983, 168.

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gefolgt, die die Zahlungseinstellung, aus der sich die Zahlungsunfähigkeitergibt, als das

,,auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögendes Schuldners, seine fälligen Geldschulden im wesentlichen zu berich-tigen“,

definiert hat.

1.135 1.135Den genauen Zeitpunkt zu ermitteln, in dem die Zahlungsunfähigkeiteingetreten ist, fällt oft nicht leicht. Am ehesten ist die Zahlungsunfähig-keit zwar an einer Zahlungseinstellung zu erkennen. Für die Prüfung derZahlungseinstellung gelten aber nicht allein die betriebswirtschaftlichenGrundsätze, nach denen eine Zahlungseinstellung schon dann anzuneh-men ist, wenn die fälligen Schulden an einem Tage die zur Verfügungstehenden Mittel übersteigen1. Bei der Zahlungsunfähigkeit im Rechtssin-ne handelt es sich nämlich nicht um eine Frage der Liquidität, denn auchein Schuldner, dessen Passiva überwiegen, kann durch Kredite in die Lageversetzt werden, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen und demnachzahlungsfähig zu bleiben2.

1.136 1.136Ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt, ist vielmehr eine Tatfrage, die sich nuraus der Gesamtlage des Schuldners, dem Gesamtverhalten seiner Gläubigerim kritischen Zeitpunkt und der in Zukunft zu erwartenden Entwicklungbeurteilen läßt3. Starke Indizien für eine Zahlungseinstellung sind z.B.Wechselproteste oder das Unterlassen von Zahlungen, die für die Auf-rechterhaltung des Betriebes von größter Bedeutung sind wie Energieliefe-rungen, Löhne und Gehälter, aber auch von Zahlungen an solche Gläubi-ger, von denen bekannt ist, daß sie mit Insolvenzanträgen sehr schnell beider Hand sind wie der Fiskus und die Krankenkassen und Sozialversiche-rungsträger.

1.136a 1.136aDer Annahme einer Zahlungsunfähigkeit steht andererseits nicht der Um-stand entgegen, daß der Schuldner noch einzelne, für die Aufrechterhal-tung des Betriebes unverzichtbare Zahlungen leistet, wenn andere Gläu-biger ihre unbestrittenen Ansprüche ernsthaft und monatelang vergeblicheinfordern4. An das Merkmal des Einforderns sind geringe Anforderungen

Eröffnungsvoraussetzungen

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1 Papke DB 1969, 735.2 Uhlenbruck, Die GmbH & Co. KG in Krise, Konkurs und Vergleich, 2. Aufl. 1988,

Kap. 8 I.3 RG vom 5.12.1905 – VII 114/05 – JW 1906, 92; RG vom 1.6.1911 – VII 582/10 – JW

1911, 724.4 BGH vom 16.3.1995 – IX ZR 72/94 – ZIP 1995, 630; BGH vom 25.9.1997 – IX ZR

231/96 – ZIP 1997, 1926.

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zu stellen; es dient lediglich der Abgrenzung zu gestundeten Forderungen1.Insbesondere darf ein Gläubiger, der selbst den Insolvenzantrag gestellt hatund anschließend von dem betroffenen Schuldner Zahlungen erhält, aufGrund dieser Zahlungen nicht etwa davon ausgehen, daß auch die anderenGläubiger vergleichbarer Weise Zahlungen erhalten hätten2. Vielmehr mußer zunächst annehmen, daß sein Schuldner unter dem Druck3 des Insol-venzantrags stehend alles unternommen hat, den Antrag zu beseitigen, unddeshalb zu Lasten anderer Gläubiger den Antragsteller befriedigt hat. Dasgleiche gilt, wenn der Schuldner einem Vollzugsbeamten einen Scheckgibt, diesen nicht einlöst und den fälligen Betrag dann per ,,Blitzüberwei-sung“ entrichtet4. Die Beweislast, daß der Schuldner die Zahlungsunfähig-keit überwunden hat, trifft den antragstellenden Gläubiger5. Andererseitssteht das bloße ,,Einfrieren“ einer Kreditlinie einer Kündigung nicht gleichund kann schon deshalb für sich allein die Annahme, der Kreditnehmerhabe damit seine Zahlungen eingestellt, nicht begründen6. Vielmehr dürfennach einer solchen Erklärung lediglich die nicht ausgenutzten Teile einerKreditlinie nicht mehr in Anspruch genommen werden; dies bedeutet abernicht, daß auch die schon ausgezahlten Kredite zurückgefordert werden.

a) Zahlungsstockung

1.137 1.137Zahlungsunfähigkeit ist noch nicht anzunehmen, wenn der Schuldner zwarvorübergehend seine Zahlungen einstellen muß, aber erwarten darf, nachwenigen Tagen seine Gläubiger befriedigen zu können7. Dann handelt essich nur um eine Zahlungsstockung; Zahlungsunfähigkeit tritt erst ein,wenn feststeht, daß der Mangel an Zahlungsmitteln andauern wird8, etwaweil erhoffte Kredite nicht gewährt werden oder Außenstände nicht einge-zogen werden können. Daran ändern auch vereinzelt noch geleistete Zah-lungen nichts9. Die Aussicht auf den Zufluß weiterer Zahlungsmittel muß,

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

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1 BGH vom 25.9.1997 – IX ZR 231/97 – ZIP 1997, 1926; BGH vom 8.10.1998 – IXZR 337/97 – ZIP 1998, 2008; Groß/Hess WPg 1999, 422.

2 BGH vom 20.11.2001 – IX ZR 48/01 – ZInsO 2002, 29; BGH vom 25.10.2001 – IXZR 17/01 – ZInsO 2001, 1150.

3 Zu den sogenannten ,,Druckanträgen“ von Sozialversicherungsträgerns. Frind/Schmidt ZInsO 2001, 1133.

4 BGH vom 20.11.2001 – IX ZR 159/00 – ZIP 2002, 228.5 BGH vom 20.11.2001 – IX ZR 48/01 – ZInsO 2002, 29.6 BGH vom 17.1.2002 – IX ZR 170/00 – ZInsO 2002, 200.7 RG vom 17.12.1901 – VII 386/01 – RGZ 50, 42.8 RG vom 17.12.1901 – VII 386/01 – RGZ 50, 41; RG vom 12.5.1908 – VI 401/07 –

JW 1908, 459; RG vom 6.7.1909 – VII 85/09 – JW 1909, 466; RG vom 23.11.1909 –VII 39/09 – JW 1910, 29; RG vom 24.9.1926 – VI 185/26 – JW 1927, 386.

9 BGH vom 13.4.2000 – IX ZR 144/99 – ZIP 2000, 1016; BGH vom 17.5.2001 – IXZR 188/98 – ZInsO 2001, 617.

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um lediglich eine Zahlungsstockung und nicht schon eine Zahlungsein-stellung annehmen zu können, hinreichend konkret sein1; die bloße Be-hauptung des Schuldners, er könne sich durch außerordentliche Maßnah-men neue Mittel verschaffen, reicht nicht aus2. Es müßte also beispielswei-se eine Kreditzusage einer Bank vorliegen, die nur deshalb noch nichtausgenutzt werden konnte, weil bestimmte Auszahlungsvoraussetzungenwie die Bestellung von Grundpfandrechten noch nicht erfüllt sind, oder derSchuldner müßte mit Zahlungseingängen von Seiten seiner Debitoren zu-verlässig rechnen3. Dauert eine solche Zahlungsstockung, in der keine odernur unwesentliche Zahlungen geleistet werden, mehr als einen Monat, sowird man in der Regel von einer Zahlungsunfähigkeit ausgehen müssen4.

b) Deckungslücke

1.138 1.138Die Zahlungsunfähigkeit setzt weiterhin voraus, daß die fälligen Schuldendie liquiden Vermögenswerte wesentlich übersteigen. Das von der Recht-sprechung aufgestellte Merkmal der Wesentlichkeit5 hat das Gesetz inseiner Definition in § 17 InsO nicht übernommen. Dies soll aber nichtdazu führen, daß schon ganz geringe Liquiditätslücken zur Annahme derZahlungsunfähigkeit genügen6. Es sollte lediglich den Tendenzen einerAuflockerung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit entgegengewirkt undverhindert werden, daß Zahlungsunfähigkeit erst angenommen wird, wennder Schuldner gewisse, der Auslegung durch die Rechtsprechung zugängli-che Bruchteile seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann7. So gabes z.B. Entscheidungen, die die Zahlungsunfähigkeit ,,spätestens“ bejahten,wenn der Betrag der ungedeckten Schulden 50 % der gesamten Schuldenerreicht8, und damit andeuteten, daß ein erheblicher Prozentsatz an Unter-

Eröffnungsvoraussetzungen

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1 BGH vom 24.11.1998 – XI ZR 113/98 – WM 1999, 15; BGH vom 27.4.1995 – IX ZR147/94 – ZIP 1995, 929; RG vom 26.9.1902 – II 150/02 – JW 1902, 546 Nr. 13.

2 BGH vom 27.4.1995 – IX ZR 147/94 – ZIP 1995, 929; RG vom 20.12.1901 – VII388/01 – Recht 1902, Nr. 371; RG vom 1.6.1911 – VII 582/10 – JW 1911, 724Nr. 33; RG vom 19.12.1916 – VII 319/16 – WarnR 1917 Nr. 96.

3 BGH vom 25.9.1997 – IX ZR 231/96 – ZIP 1997, 1926.4 BGH vom 24.11.1998 – XI ZR 113/98 – WM 1999, 15; BGH vom 4.10.2001 – IX ZR

81/99 – ZInsO 2001, 1049; etwas weiter gehend Papke DB 1969, 736, der alsOrientierungsdatum einen Zeitraum von 6 Wochen vorschlägt.

5 Vgl. BGH vom 30.4.1959 – VIII ZR 179/58 – LM § 30 KO Nr. 6; BGH vom10.1.1985 – IX ZR 4/84 – ZIP 1985, 363; BGH vom 27.4.1995 – IX ZR 147/94 – ZIP1995, 929.

6 BT-Dr. 12/2443 S. 114; einschränkend auf Liquiditätslücken, die sich im Bereichder Pauschalwertberichtigung bewegen, Reck ZInsO 1999, 195.

7 BT-Dr. 12/2443 S. 114.8 RG vom 14.4.1908 – VII ZS 393/07 – LZ 1908, 703.

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deckung, z.B. 25 % noch nicht genügen soll1. Noch als Zahlungsstockunggelten mag eine Deckungslücke von 5 % für die Dauer von höchstens2 Wochen2.

c) Zahlungsunwilligkeit

1.139 1.139Hingegen liegt Zahlungsunfähigkeit noch nicht vor, wenn ein Schuldnernur zahlungsunwillig ist oder sich scheut, seine Vermögenswerte zur Be-friedigung seiner Gläubiger zu versilbern3.Eröffnungsvoraussetzungen

2. Drohende Zahlungsunfähigkeit

1.140 1.140Um dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, in einem frühen Stadium, indem Sanierungsbemühungen noch größere Aussichten auf Erfolg haben,ein Insolvenzverfahren einzuleiten, gestattet die InsO in § 18 dem Schuld-ner auch schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag.Dritten steht dieses Antragsrecht nicht zu. Dadurch soll vermieden wer-den, daß Außenstehende den Schuldner schon im Vorfeld der Insolvenzunter Druck setzen können4.

1.141 1.141Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlichnicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeit-punkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). Bei der Prüfung, obdie Zahlungsunfähigkeit droht, kann der Schuldner auch diejenigen Ver-bindlichkeiten berücksichtigen, die zwar bestehen, aber noch nicht fälligsind5. Im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit liegt bei der drohenden Zah-lungsunfähigkeit das Übergewicht der Zahlungspflichten nicht in der Ge-genwart, sondern in der Zukunft und verlangt somit eine zeitraumbezo-gene Betrachtung der künftigen Vermögenslage6. Anders als die auf ei-nen bestimmten Zeitpunkt bezogene Betrachtung bei der Frage, ob dieZahlungsunfähigkeit schon eingetreten ist, kommt es hier also auf diekünftige Entwicklung innerhalb eines Zeitraumes an, für den die gesamteEntwicklung unter Gegenüberstellung der vorhandenen Mittel und der zuerwartenden Einnahmen einerseits und der bestehenden, wenn auch nichtfälligen sowie der künftigen, nicht vermeidbaren Verbindlichkeiten auszu-

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

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1 BayObLG vom 14.4.1987 – RReg 4 St 34/87 – BB 1988, 1840.2 AG Köln vom 9.6.1999 – 73 IN 16/99 – ZInsO 1999, 724.3 OLG Düsseldorf vom 5.11.1982 – 5 Ss 418/82 – 315/82 I – DB 1983, 168.4 Schwemer WM 1999, 1155.5 S. Prüfungsschema des IDW FN-IDW 1999, Nr. 3 S. 85.6 Groß/Hess WPg 1999, 422.

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werten ist1. Als Prognosezeitraum wird man etwa 1 Jahr annehmen kön-nen2.

1.142 1.142Diese Regelung stellt für diejenigen Schuldner, die nur wegen Zahlungsun-fähigkeit einen Insolvenzantrag stellen können, einen Fortschritt gegen-über der Konkursordnung dar. Allerdings erleichtert sie auch Mißbräuchedurch Schuldner, die wissen, wie man ,,gekonnt pleite geht“3. Für Unter-nehmen, die auch wegen Überschuldung die Eröffnung eines Insolvenzver-fahrens beantragen können, ändert sich nichts Wesentliches. Denn wennein Unternehmen bei der Aufstellung des Überschuldungsstatus die dro-hende Zahlungseinstellung erkennt, kann es bei der Bewertung seiner Ak-tiva nicht mehr ohne weiteres die Fortbestandswerte zugrunde legen. Eskommt dann meist schon durch den Wechsel des Bewertungsmaßstabs zueiner Überschuldung und damit zu einem Insolvenzgrund4.

3. Überschuldung

1.143 1.143Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehen-den Verbindlichkeiten nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 InsO). Eine etwaigeÜberschuldung wird durch eine Gegenüberstellung der Vermögenswerteund der Verbindlichkeiten in dem sogenannten Überschuldungsstatus er-mittelt5.

a) Bewertungsmaßstab

1.144 1.144Bei Aufstellung des Überschuldungsstatus kann der Schuldner – im Gegen-satz zum Insolvenzgericht bei der Prüfung des Insolvenzantrages – von denFortbestandswerten ausgehen, wenn die Fortführung des Unternehmensnach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist (§ 19 Abs. 2 Satz 2InsO). Das ist dann der Fall, wenn die Unternehmensleitung aufgrund einersorgfältigen, betriebswirtschaftlichen Analyse der Rentabilität des Unter-nehmens, seiner Finanzierung sowie fundierter Erwartungen für seinekünftige Entwicklung zu der Überzeugung gelangt, daß die Gesellschaft

Eröffnungsvoraussetzungen

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1 Zum Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit s. Möhlmann WPg 1998, 947.2 Bittmann wistra 1999, 10.3 S. den Beispielsfall bei BGH vom 28.6.1996 – VI ZR 252/93 – AfP 1994, 218.4 Schwemer WM 1999, 1155.5 BGH vom 8.1.2001 – II ZR 88/99 – ZIP 2001, 235; BGH vom 18.12.2000 – II ZR

191/99 – ZIP 2001, 242; Meyer-Landrut, Großkommentar zum AktG, 3. Aufl.1973, § 92 Rn 7; vgl. Übersicht bei Bilo, GmbHR 1981, 73; Bönkhoff, Die Kredit-würdigkeitsprüfung, 1983, S. 29 ff.; OLG Düsseldorf vom 25.11.1996 – 5 Ss303/96 – 93/96 I – DB 1997, 418; zur Rechnungslegung im eröffneten Verfahren s.Heni ZInsO 1999, 609.

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mit überwiegender Wahrscheinlichkeit lebensfähig ist und in absehbarerZeit mit ihrer Liquidation nicht gerechnet werden muß1. Wenn sich abertrotz der Bewertung anhand der Fortbestandswerte noch immer eine Über-schuldung ergibt, verbleibt es bei dem Insolvenzgrund2. Verfügt das Unter-nehmen dagegen nicht über genügend Zahlungsmittel, so ist, falls nichtschon der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit vorliegt, bei der Auf-stellung des Überschuldungsstatus von dem Liquidationswert auszugehen.

1.145 1.145Zwar ist im einzelnen umstritten, wie ein zur Feststellung der Überschul-dung im Sinne von § 64 GmbHG erforderlicher Status aufzustellen ist3.Einigkeit besteht darüber, daß die Ansätze der Jahresbilanz Ausgangspunktfür eine Feststellung der Überschuldung sein können4. Allerdings reichteine Anknüpfung allein an eine Unterbilanz nach fortgeführten Buchwer-ten nicht aus, vielmehr kommt es darauf an, ob das Vermögen der Gesell-schaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung von stillenReserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerischeÜberschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegenderWahrscheinlichkeit nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht(negative Fortführungsprognose)5. Stille Reserven können nämlich nichtnur eine buchmäßige Überschuldung neutralisieren, sondern auch der An-nahme der Kreditunwürdigkeit der Gesellschaft entgegenstehen, soweit sievon einem externen Gläubiger als hinreichende Kreditsicherheit angesehenwerden6. Daher müssen die Ansätze der Jahresbilanz berichtigt werden.

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

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1 Sog. zweistufige Prüfungsmethode, vgl. BGH vom 13.7.1992 – II ZR 269/91 – WM1992, 1650; OLG Düsseldorf vom 23.9.1994 – 17 U 210/93 – ZIP 1995, 465; Mox-ter WPg 1980, 345 ff.; Bönkhoff, Die Kreditwürdigkeitsprüfung, 1983, S. 29 ff.;Drukarczyk WM 1994, 1737; Zilias WPg 1977, 448; Auler DB 1976, 2170; Mühl-berger GmbHR 1977, 149; Pribilla KTS 1958, 6; Menger GmbHR 1981, 221;kritisch Kupsch WPg 1982, 273; eingehende Darstellung bei Karsten Schmidt inScholz, GmbHG, 8. Aufl. 1995, § 63 Rn 10 ff., der eine modifizierte zweistufigePrüfungsmethode vertritt (AG 1978, 337); gegen die von Möhlmann (DStR 1998,1843) vorgeschlagene 3-stufige Prüfungsmethode Drukarczyk/Schüler DStR 1999,646; zum Inhalt der Fortbestandsprognose s. Bork ZIP 2000, 1709; Abgrenzungskri-terien enthält die Empfehlung Nr. 4 der Union Européenne des Experts Compta-bles Economiques et Financiers (UEC) abgedruckt in FN 1978, 289.

2 Breuer DStR 1998, Beilage zu Heft 47 S. 5.3 Uhlenbruck, Die GmbH & Co. KG in Krise, Konkurs und Vergleich, 2. Aufl. 1988,

S. 321 ff.; Kohlmann/Giemulla GmbHR 1978, 53 ff.4 Uhlenbruck, Die GmbH & Co. KG in Krise, Konkurs und Vergleich, 2. Aufl. 1988,

S. 303; BGH vom 18.12.2000 – II ZR 191/99 – ZIP 2001, 242; BGH vom 2.4.2001 –II ZR 261/99 – WM 2001, 959; wohl auch BGH vom 16.5.1958 – 2 StR 103/58 – BB1958, 891; OLG Hamburg vom 23.12.1981 – 7 U 67/79 – BB 1981, 1441.

5 BGH vom 12.7.1999 – II ZR 87/98 – WM 1999, 1828.6 BGH vom 2.4.2001 – II ZR 261/99 – WM 2001, 959.

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b) Passiva

1.146 1.146Beim Passivvermögen sind lediglich die echten Schulden, also ohneStammkapital und Rücklagen aufzuführen1. Auch die nachrangigen Ver-bindlichkeiten, zu denen vor allem die kapitalersetzenden Gesellschafter-darlehen gehören, zählen grundsätzlich zu den Passiva im Überschuldungs-status2. Um die Rückstellungen ist die Passivseite nicht zu berichtigen, daes sich bei Rückstellungen nicht um Rücklagen handelt, die aus demPassivvermögen auszuscheiden hätten, sondern um Mittel zur Abdeckungentstehender Verbindlichkeiten. Sie können nur dann gekürzt werden,wenn sie zu hoch angesetzt sind3. In gleicher Weise sind auch die auf derPassivseite aufgeführten Wertberichtigungen zu behandeln4.

c) Aktiva

1.147 1.147Auf der Aktivseite dürfen die Wirtschaftsgüter in einem Bilanzstatus nichtmit ihrem um die normalen Abschreibungen für Anlagen vermindertenAnschaffungswert angesetzt werden, denn dies gibt nicht die ,,wahren“Werte wieder, die sie am Bewertungsstichtag tatsächlich hatten und die fürden Überschuldungsstatus maßgeblich sind. Dies wird schon daran deut-lich, daß andernfalls sogenannte Abschreibungsgesellschaften in der Regelüberschuldet wären, da sie gerade den Zweck haben, aufgrund von Ab-schreibungen bestehende Verluste ihren Gesellschaftern zuzuweisen. Viel-mehr sind die Vermögensgegenstände unter Berücksichtigung der konkre-ten Verwertungsmöglichkeiten aufzunehmen5.

4. Wege zur Früherkennung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

1.148 1.148Die Literatur hat sich zwar intensiv bemüht, Ansatzpunkte zur Früherken-nung von Insolvenzen zu entwickeln6. Auch hat der Gesetzgeber den Vor-

Eröffnungsvoraussetzungen

39

1 Kohlmann/Giemulla GmbHR 1978, 55; vgl. auch BayObLG vom 30.7.1981 –RReg 3 St 83/81 – ZIP 1982, 444.

2 Einzelheiten s.u. Rn 5.355.3 Uhlenbruck, Die GmbH & Co. KG in Krise, Konkurs und Vergleich, 2. Aufl. 1988,

S. 303.4 OLG Hamburg vom 23.12.1981 – 7 U 67/79 – BB 1981, 1441.5 Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl. 1973, §§ 207, 208 Anm. 20.6 Vgl. z.B. Jährig/Rösler, Handbuch des Kreditgeschäfts, 5. Aufl. 1990, S. 519 ff.;

Dietrich Die Bank 10/1977, 34; Stein Bank-Betrieb 1975, 170; Rödl Bank-Betrieb1976, 358; Baetge WPg 1980, 651; Mischon ZIP 1981, 1392; Steiner, Ertragskraft-orientierter Unternehmenskredit und Insolvenzrisiko, 1980, S. 153; Oehler DerSchweizer Treuhänder 1981, Heft 8, 10; Bea/Kötzle DB 1983, 565; Hohner BI 1982,Heft 4, 6; wegen Überlegungen zur Insolvenzprophylaxe durch Wirtschaftsaufsichts. Karsten Schmidt DB 1982, 1044; Munsch/Borkenhagen ZInsO 1999, 209.

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ständen von Aktiengesellschaften die Einführung sogenannter Früherken-nungssysteme auferlegt (§ 91 Abs. 2 AktG)1. Es ist jedoch nicht gelungen,für außenstehende Gläubiger wirklich zuverlässige Kriterien zu ermitteln2.Für die drohende Zahlungseinstellung gibt es viele Anzeichen, die aber fürsich allein selten zu dem Schluß zwingen, daß der Schuldner sich wirklichin einer existenzbedrohenden Krise befindet. Dabei sind die Erkenntnis-möglichkeiten der Geschäftspartner sehr unterschiedlich, je nachdem, wel-chem Wirtschaftszweig sie angehören. So gibt es beispielsweise für Waren-lieferanten umfangreiche Indizienkataloge3, die für das Kreditgewerbe nurgeringe Bedeutung besitzen.

a) Indizien für Kreditinstitute

1.149 1.149Banken sollten vielmehr folgenden Erscheinungen Beachtung schenken4:– saisonal nicht bedingte andauernde Kontoüberziehungen,– plötzlicher Kreditmehrbedarf etwa wegen der Forderungen der Lieferan-

ten nach Vorkasse5,– plötzlicher Wechsel der Zahlungsart gegenüber Lieferanten, z.B. Ver-

zicht auf bisher übliche Ausnutzung von Skonti oder Umstellung vonScheck- auf Wechselzahlung,

– vordatierte Schecks,– Verschlechterung der Qualität der zum Diskont eingereichten Wechsel,– zusätzliche Aufnahmen von Wechselkrediten (wenn auch Wechsel- und

Scheckproteste selbst bei einem Kaufmann nicht immer dessen Zah-lungsunfähigkeit bedeuten6),

– Rückholung von Eigentumsvorbehaltsware durch Lieferanten7),– zunehmende Anzahl von Auskunftsanfragen,– steigende Vorräte ohne gleichzeitiges Ansteigen der Außenstände,

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

40

1 Einzelheiten s. Drygala/Drygala ZIP 2000, 297.2 Vgl. insoweit die umfassende Darstellung bei Jährig/Rösler, Handbuch des Kredit-

geschäfts, 5. Aufl. 1990, S. 519 ff.; Woeste Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1977,226; lehrreich ist insofern der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall über dieErkennbarkeit einer Zahlungsunfähigkeit (7.8.1996 – 12 U 123/95 – WM 1997, 278).

3 Vgl. z.B. Schimmelpfeng-Checkliste, abgedruckt bei Steiner, Ertragskraftorientier-ter Unternehmenskredit und Insolvenzrisiko, 1980, S. 155 und Bönkhoff, DieKreditwürdigkeitsprüfung, 1983, S. 53; Rau, Mitteilungen der IHK Frankfurt 1982,854; Woeste, Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1977, 226.

4 Vgl. insoweit die umfassende Darstellung bei Jährig/Rösler, Handbuch des Kredit-geschäfts, 5. Aufl. 1990, S. 761 f.

5 OLG Karlsruhe vom 7.8.1997 – 12 U 318/96 – ZIP 1997, 1712.6 BGH vom 8.10.1971 – I ZR 12/70 – NJW 1972, 102.7 OLG Stuttgart vom 22.1.1997 – 9 U 138/96 – ZIP 1997, 652.

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– Unklarheiten in der Buchhaltung,– Verzögerung in der Aushändigung des Jahresabschlusses, der Statuszah-

len oder Inventur,– vermehrte Grundbucheintragungen (namentlich auf Privatbesitz),– Veränderungen in der Rechtsform einschließlich Betriebsaufspaltung.

1.150 1.150Für die meisten dieser Umstände kann es jedoch glaubhafte Erklärungengeben, die der Schuldner in der Regel auch anführt. So können z.B. gestie-gene Vorräte nicht auf Absatzstockungen hindeuten, sondern statt dessenden Schluß auf eine erhöhte Produktivität zulassen; verringerte Warenbe-stände können einerseits durch größeren Umsatz verursacht worden sein –wenn gleichzeitig die Debitoren mitgewachsen sind –, andererseits kanndies auch das erste Anzeichen für einen beginnenden Preisverfall oder fürUnterbeschäftigung sein. Ein Ansteigen der Außenstände kann auf Zah-lungsschwierigkeiten der Abnehmer beruhen, während geringere Außen-stände auf einen Umsatzrückgang hindeuten.

1.151 1.151Dies zeigt, wie schwer es ist, aus den Indikatoren auf die Insolvenzreifeeines Unternehmens zu schließen. Es zeigt aber auch, wie wenig das vonanderen Gläubigern gegenüber der Bank oft verwendete Schlagwort vom,,Informationsvorsprung der Banken“1 sachlich begründet ist. Die Beurtei-lung wird daher stets dem Einzelfall überlassen bleiben müssen, ohne daßder Bank eindeutige Richtlinien gegeben werden können.

b) Indizien für Lieferanten

1.152 1.152Interessant, wenn auch für Banken nur bedingt verwendbar, ist der Indi-zienkatalog, der den Lieferanten zur Verfügung steht2:– Kurzarbeit,– hohe Fluktuation,– Einstellungsstopp,– vorzeitige Versetzungen in den Ruhestand,– Streichung geplanter Investitionen,– fehlende Ersatzinvestitionen,– mangelnde Investitionsüberlegungen,– hohe Lagerbestände,– schlechte Produktqualitäten,– Auslastung von Leerkapazitäten durch Übernahme von Fremdarbeiten,

Eröffnungsvoraussetzungen

41

1 Siehe dazu Hopt Zeitschrift für Betriebswirtschaft 1984, 743 (754).2 Handelsblatt vom 18. 1. 1983, S. 15.

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– häufige Sonderangebote, verbunden mit extrem hohen Nachlässen,– Bindung an einen Kunden (kumulative Insolvenz),– fehlende Bonität der Abnehmer des Kunden,– häufige Kleinaufträge bei der Beschaffung,– häufiger Wechsel der Zulieferer,– gute Mitanbieter beliefern die Firma nicht mehr,– anormal häufige Reklamationen,– Stillegung von Betriebsteilen, Aufgabe von Arbeitsplätzen.

1.153 1.153Auch diese Indikatoren sind stets darauf zu überprüfen, ob es nicht plausi-ble Erklärungen gibt. So sind insbesondere in einer Zeit, in der die Kosten-kontrolle die Maxime ist und den Mangel an Erfindungsgeist zu kompen-sieren versucht1, Maßnahmen zur Einsparung von Mitarbeitern anders zubewerten als in einer prosperierenden Phase.

c) Insolvenzprognose durch Diskriminanzanalyse und Financial Covenants

1.154 1.154Ein wesentliches Verfahren zur Früherkennung von Insolvenzen kann dieDiskriminanzanalyse2 bieten. Sie geht davon aus, daß die Jahresabschlüsseinsolventer Unternehmen gewisse gemeinsame Merkmale aufweisen, die sievon den wirtschaftlich gesunden Unternehmen unterscheiden. Als Unterschei-dungsmittel verwendet man eine Kennzahl, deren mathematischer Ausdruckdie sogenannte Diskriminanzfunktion darstellt, zu deren Ermittlung eineStichprobe insolventer und solventer Unternehmen gezogen und mit Hilfeeines statistisch-mathematischen Verfahrens untersucht wird. Daraus werdenKennzahlenwerte ermittelt, die die Trennlinie zwischen solventen und insol-venten Unternehmen darstellen. Das Verfahren mag zwar umstritten sein,seine Erfolgsquote kann sich jedoch mit den traditionellen Methoden messen3.

1.154a 1.154aManche Kreditinstitute versuchen, sich durch die Vereinbarung sogenann-ter Financial Covenants zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten über eine

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

42

1 Kath, Die Kostenknechte, 1994, S. 96 f.2 Einzelheiten s. Drukarczyk WM 1992, 1136 (1142) m.w.N. und Jährig/Rösler,

Handbuch des Kreditgeschäfts, 5. Aufl. 1990, S. 514 f.3 Jährig/Rösler, Handbuch des Kreditgeschäfts, 5. Aufl. 1990, S. 515; der Beweis

dürfte Drukarczyk gelungen sein, der anläßlich seiner Untersuchung über dieAuswirkungen der Insolvenzrechtsreform auf die Kreditvergabepraxis (WM 1992,1136) insgesamt 475 Kreditengagements von 3 Kreditinstituten mit der Diskrimi-nanzanalyse untersucht hat und seine Untersuchungsergebnisse den Bewertungendurch Kreditfachleute, die nach herkömmlicher, nicht im Detail festgelegter Me-thodik vorgingen, gegenübergestellt hat, und dabei zu vergleichbar guten Ergebnis-sen gekommen ist.

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Erhöhung ihres Kreditrisikos zu verschaffen. Diese aus dem anglo-amerikani-schen Rechtskreis übernommenen Klauseln schreiben dem Kreditnehmervor, sein Unternehmen so zu führen, daß festgelegte finanzielle Rahmenbe-dingungen erfüllt, insbesondere bestimmte Bilanzrelationen eingehaltenwerden1. Der Wert dieser Covenants als Mittel zur Früherkennung einerKrise muß jedoch schon deshalb als äußerst zweifelhaft angesehen werden,weil sich die Covenants auf das Rechnungswesen des Kunden stützen, dasbestenfalls Aussagen für die mehr oder weniger weit zurückliegende Vergan-genheit zuläßt, während krisenhafte Entwicklungen erfahrungsgemäß erst sospät Eingang in dieses Rechenwerk finden, daß kaum noch Raum für eineeffektive Reaktion des Kreditgebers auf eine Verletzung der Covenants bleibt.

5. Wege zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung

1.155 1.155Die Zahlungsunfähigkeit kann am ehesten durch die Stundung fälliger unddie Bereitstellung neuer Kredite beseitigt werden.

1.156 1.156Auf eine etwa eingetretene Überschuldung hat die Aufnahme von Kreditenkeinen Einfluß. Denn dem dadurch entstehenden Aktivposten muß auf derPassivseite der Bilanz eine entsprechende Verbindlichkeit gegenüberge-stellt werden. Zur Beseitigung der Überschuldung sind daher andere Wegeeinzuschlagen. In Betracht kommen Kapitalmaßnahmen, Forderungsver-zichte von Gläubigern in den verschiedensten Variationen und manchmalauch sog. Bilanzierungshilfegarantien.

1.157–1.161frei

1.162 1.162Wege zur Sanierung von Unternehmen sind unten unter Rn 1.940 ff. aus-führlich dargestellt. Im Privatkundengeschäft kommen dagegen lediglichStundungen oder Verzichte, seltener Forderungsbeschränkungsverträgeoder Vollstreckungsbeschränkungsverträge in Betracht.

a) Forderungsverzicht

1.163 1.163Zivilrechtlich stellt der Forderungsverzicht einen Erlaßvertrag (§ 397 BGB)zwischen der Bank und ihrem Kunden dar. Der Verzicht wird, wenn nichtsanderes vereinbart ist, mit Abschluß des Vertrages wirksam. Waren Sicher-heiten für die Forderung bestellt, so bedeutet der Erlaß, daß die Bank dieseinsoweit nicht mehr beanspruchen kann. Akzessorische Sicherheiten(Bürgschaften, Pfandrechte) erlöschen automatisch; abstrakte (Sicherungs-

Eröffnungsvoraussetzungen

43

1 Wittig BuB, 1996, Rn 4/3139 ff.; ders. WM 1996, 1361; Thießen ZBB 1996, 19; s.Fleischer ZIP 1998, 313 zur Bedeutung von Covenants für die Qualifizierungderart unterlegter Kredite als Kapitalersatz.

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abtretungen, Sicherungsübereignungen, Grundschulden) sind zurückzu-übertragen. Die Bank muß die Forderung ausbuchen.

1.164 1.164Der Forderungsverzichtsvertrag kann zwar auch formlos geschlossen wer-den, wird jedoch fast ausnahmslos schriftlich niedergelegt. Er kann auchdurch widerspruchslose Annahme einer Teilzahlung zustandekommen,wenn Vorverhandlungen über den Erlaß der darüber hinausgehenden Forde-rungen stattgefunden haben und der Schuldner darauf bezogen seine Teil-zahlung als Ablösungsumme schriftlich angekündigt hat.

1.165 1.165Banken müssen darauf achten, daß sie durch ihr Schweigen auf das Ansin-nen eines Schuldners, auf ihre Forderungen fast vollständig zu verzichten,nicht in die sogenannte Erlaßfalle1 geraten. Vereinzelt haben nämlichSchuldner versucht, sich von ihren Verbindlichkeiten durch die Übersen-dung eines ,,Vergleichsangebots“ an die Bank zu befreien. In dem Schreibenan die Bank schildern die Schuldner ausführlich ihre desolate finanzielleSituation und bieten der Bank eine einmalige Zahlung zur Abgeltung sämt-licher Ansprüche an, deren Höhe in keinem Verhältnis zu den ausstehen-den Restforderungen steht. In dem Schreiben selbst wird in der Regel aufeinen Verrechnungsscheck hingewiesen, mit dem die Vergleichssummebezahlt werden soll. Dieser Verrechnungsscheck ist entweder dem Schrei-ben beigefügt oder wird separat zum Einzug eingereicht. Der Schuldner gibtaußerdem zu verstehen, daß er die Angelegenheit als erledigt ansehe undauf eine Antwort der Bank verzichte. Des öfteren sollen die Mitarbeiter derBank einen solchen Scheck ohne nähere Prüfung des Anschreibens desSchuldners und ohne genaue Berücksichtigung des Verwendungszweckseingelöst haben. In der widerspruchslosen Einlösung eines solchen Scheckserblickt die Rechtsprechung teilweise2 die Annahme eines Erlaßvertragsüber den noch ausstehenden Restbetrag der Forderung.

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

44

1 Randow ZIP 1995, 445; Eckardt BB 1996, 1945; Lange WM 1999, 1301; SchönfelderNJW 2001, 39; Kleinschmidt NJW 2002, 346.

2 BGH vom 18.12.1985 – VIII ZR 297/84 – WM 1986, 322; BGH vom 28.3.1990 –VIII ZR 258/89 – NJW 1990, 1655; dagegen beginnt sich jedoch die Auffassungdurchzusetzen, daß bei einem krassen Mißverhältnis zwischen Schuld und Ab-standszahlung selbst aus der Einlösung eines Schecks nicht unzweifelhaft auf einEinverständnis der Bank geschlossen werden könne. So sah AG Ebersberg vom15.5.1997 – 4 C 66/97 – WM 1997, 1569 und LG Lübeck vom 14.4.1997 – 12 O137/97 – WM 1997, 2223 ein ,,Abfindungsangebot“ von DM 150,– auf eine Forde-rung von ca. DM 190.000,– bzw. von 0,18433 % als nicht ernstzunehmendeScherzerklärung an; im gleichen Sinn auch LG München I vom 13.3.1997 – 22 O1048/97 – WM 1997, 2213; LG München I vom 24.6.1997 – 23 O 1860/97 – WM1997, 2214; LG Bayreuth vom 1.9.1997 – 2 O 348/97 – WM 1998, 1446; LG Walds-hut-Tiengen vom 17.10.1998 – 1 150/97 – WM 1998, 1448; OLG Dresden vom22.4.1998 – 12 U 175/98 – WM 1999, 949; OLG Dresden vom 31.8.1998 – 17 W

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1.166 1.166Folgende Formulierung genügt:

Erlaßvertrag

zwischen der

-Bank

– im folgenden ,,Bank“ genannt –

und der

Firma

– im folgenden ,,Kreditnehmer“ genannt –

Der Bank stehen gegen den Kreditnehmer aus Darlehen und Krediten ein-schließlich Avalkrediten unbedingte und bedingte Forderungen in Höhe voninsgesamt

Eurozu.

Bank und Kreditnehmer sind sich darüber einig, daß Forderungen

– aus den Darlehen und Krediten in Höhe von Euro und

– aus den Avalen (im Fall ihrer Inanspruchnahme) in Höhe von %des in Anspruch genommenen Avalbetrages

erlöschen.

Die für diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmerin gesonderten Vereinbarungen zurückübertragen, soweit sie nicht ohnehinkraft Gesetzes erlöschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarung an ihnzurückfallen und nicht auch andere, nicht erlöschende Forderungen sichern.

Ort/Datum

Unterschrift(en) der Bank Unterschrift(en) des Kreditnehmers

Eröffnungsvoraussetzungen

45

1185/98 – WM 1999, 487; OLG Dresden vom14.10.1998 – 8 U 2209/98 – WM1999, 488; OLG Karlsruhe vom 12.6.1998 – 9 U 127/97 – ZIP 1998, 1879; OLGKarlsruhe vom 16.9.1999 – 8 U 224/98 – WM 2000, 414; BGH vom 10.5.2001 – VIIZR 60/99 – NJW 2001, 2324; BGH vom 10.5.2001 – VII ZR 356/00 – NJW 2001,2325; zu den Voraussetzungen, unter denen die Berufung auf einen solchen ,,Er-laß“ sittenwidrig ist, s. BGH vom 10.10.1997 – V ZR 74/96 – WM 1998, 513; zurAbgrenzung s. OLG Köln vom 8.9.1999 – 13 U 42/99 – NJW-RR 2000, 1073.

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b) Forderungsbeschränkungsvertrag

1.167 1.167Anstelle eines Forderungsverzichts oder eines Besserungsversprechenskommt auch ein Forderungsbeschränkungsvertrag in Betracht. Darin ver-pflichtet sich die Bank, ihre persönlichen Forderungen nur in dem Maßgeltend zu machen, wie sie durch den Wert bestimmter Sicherheiten ge-deckt sind1. Dies kann zur Beseitigung einer Zahlungseinstellung ausrei-chen, denn die Fälligkeit der Forderung ist damit auf den Zeitpunkt derSicherheitenverwertung hinausgeschoben mit der Maßgabe, daß sie nurund insoweit zu tilgen ist, als der Sicherheitenerlös dazu ausreicht.

1.168 1.168In Betracht kommt folgender Text:

Forderungsbeschränkungsvertrag

zwischen der

-Bank

– im folgenden ,,Bank“ genannt –

und der

Firma

– im folgenden ,,Kreditnehmer“ genannt –

Der Bank stehen gegen den Kreditnehmer aus Darlehen und Krediten ein-schließlich Avalkrediten unbedingte und bedingte Forderungen in Höhe voninsgesamt

Euro

zu. Für diese Kredite sind der Bank folgende Sicherheiten bestellt worden:

1.

2.

3.

Bank und Kreditnehmer sind sich darüber einig, daß Forderungen aus denDarlehen und Krediten nur noch insoweit bestehen, als sie aus dem Erlös derunter Nr. 1–3 genannten Sicherheiten befriedigt werden können. Im übrigenerlöschen die Forderungen.

Ort/Datum

Unterschrift(en) der Bank Unterschrift(en) des Kreditnehmers

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

46

1 OLG Köln vom 27.2.1981 – 22 U 117/79 – WM 1981, 1238.

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c) Vollstreckungsbeschränkungsvertrag

1.169 1.169Ähnlich verhält es sich mit einem Vollstreckungsbeschränkungsvertrag, indem sich die Bank verpflichtet, die Zwangsvollstreckung aus der Forderungnicht zu betreiben1. Von der Formulierung der Vereinbarung hängt es ab, obdie Fälligkeit erhalten bleibt oder aufgeschoben wird, bis der Schuldnersich zur Zahlung bereit findet.

1.170–1.189frei

6. Sofortmaßnahmen bei bevorstehender Insolvenz

1.190 1.190Gelingt es dem Kunden nicht, die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldungabzuwenden, so muß sich auch die Bank auf das ihm drohende Insolvenz-verfahren vorbereiten. Dazu ist eine Reihe von Sofortmaßnahmen zu emp-fehlen:

a) Erfassung des Gesamtengagements

1.191 1.191Als erstes muß sich die Bank einen Überblick über das gesamte Engage-ment verschaffen, das sie bzw. ihre Tochtergesellschaften mit dem insol-venzbedrohten Kunden bzw. dessen Tochtergesellschaften eingegangen ist.Dazu gehört eine Übersicht über– Kredite,– Sicherheiten,– Guthaben,– Depots,– Daueraufträge,– Wechselobligen,– Lastschriftrisiken (Einzugsermächtigungsverfahren) des Kunden der letz-

ten 6 Wochen,– Umfang der Lieferantenlastschriften (Einzugsermächtigungsverfahren)

der letzten 6 Wochen,– Linien anderer Banken,– Linien der Kreditversicherer.

Eröffnungsvoraussetzungen

47

1 OLG München vom 24.9.1997 – 7 U 2402/97 – WM 1999, 317; Emmerich ZZP 82,413.

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b) Auskünfte

1.192 1.192Die Auskünfte, die die Bank Dritten über den Kreditnehmer erteilt, sindlaufend einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und den sich ändern-den Verhältnissen anzupassen.

1.193 1.193Eine Bankauskunft muß stets der Wahrheit d.h. dem tatsächlichen Infor-mationsstand der Bank1 entsprechen und vollständig sein, so daß der Anfra-gende keine falschen Rückschlüsse ziehen kann2. Daher kann eine Aus-kunft über einen Kunden, dessen Zahlungseinstellung oder Überschuldungdroht, nur negativ ausfallen. Grundsätzlich ist zwar auch die Erteilungnegativer Auskünfte von dem generellen Einverständnis des Kunden ge-deckt3; dies gilt jedoch nicht, wenn für die Bank offenkundig ist, daß siemit der Auskunfterteilung den Interessen ihres Kunden zuwiderhandelt4.Diese Lage wird bei einer Auskunft, die im Zeitpunkt drohender Zahlungs-einstellung oder Überschuldung des Kunden erbeten wird, in der Regelgegeben sein. Deshalb ist eine Rückfrage bei dem Kunden notwendig undim Verhältnis zu dem Auskunftssuchenden auch zulässig, es sei denn, daßsich aus der Rückfrage auf die Person des Anfragenden schließen läßt5. DerKunde muß sich dann entscheiden, ob er die nachteilige Auskunft tolerie-ren oder den unter Umständen noch negativeren Eindruck einer Auskunfts-verweigerung in Kauf nehmen will.

1.194 1.194Sofern die üblichen Auskunftsformulare verwendet werden können, sindRubriken wie z.B.

,,Die finanziellen Verhältnisse erscheinen uns angespannt“ und

,,Wir raten zur Vorsicht“

anzukreuzen, damit sich die Bank nicht einer Haftung gegenüber Drittenaussetzt.

1.195 1.195Frühere zutreffend erteilte Auskünfte muß die Bank nicht nachträglichergänzen. Eine Pflicht, den Anfragenden später über eine inzwischen einge-tretene Verschlechterung der Verhältnisse seines Vertragspartners zu un-

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

48

1 BGH vom 5.12.2000 – XI ZR 340/99 – WM 2001, 134.2 Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Bearb. 1988, Anm. 79 f; wegen der Haftungsrisiken

vgl. BGH vom 8.12.1998 – XI ZR 50/98 – ZIP 1999, 275.3 Bruchner/Stützle, Leitfaden zu Bankgeheimnis und Bankauskunft, 2. Aufl. 1990,

S. 101.4 Stützle in Anmerkung zu LG Mönchengladbach vom 13.11.1980 – 1 O 596/79 –

WM 1981, 290.5 Bruchner/Stützle, Leitfaden zu Bankgeheimnis und Bankauskunft, 2. Aufl.

1990, S. 103.

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terrichten und vor weiterer Kreditgewährung zu warnen, läßt sich aus demVerhältnis zwischen einer Bank und ihrem Kunden nicht herleiten1.

c) Überprüfung der Sicherheiten

1.196 1.196Die Sicherheiten sind auf formelle Richtigkeit und Vollständigkeit zuüberprüfen.

aa) Zessionen

1.197 1.197Anhand neuer Zessionslisten, die ggf. zu beschaffen sind, sind Umfang derZessionen, Zusammensetzung der Drittschuldner nach Inland/Ausland,Alter der Forderungen, notleidenden Forderungen, Einwendungen derDrittschuldner und vereinbarten Zahlungszielen zu überprüfen. Insbeson-dere ist zu klären,ob– Blankozessionsanzeigen in genügender Anzahl vorhanden sind,– Abtretungen von Lebensversicherungen bei Versicherungen angezeigt

sind,– Abtretungen von Entschädigungsansprüchen aus Kreditversicherungen

angezeigt sind und Kreditversicherer zugestimmt haben,– bisher nicht angezeigte Einzelabtretungen jetzt angezeigt werden kön-

nen und sollen.

1.197a 1.197aSoweit der Kunde für die Forderungen gegen seine Debitoren Kreditversi-cherungen abgeschlossen und die Ansprüche, die er gegen den Kreditversi-cherer bei Insolvenz seiner Debitoren erwirbt, der Bank abgetreten hat,muß die Bank beachten, daß der Kreditversicherer diese Versicherung beiZahlungsunfähigkeit des versicherten Kunden kündigen kann und daß derVersicherungsvertrag erlischt, wenn das Insolvenzverfahren über das Ver-mögen des Versicherten eröffnet wird. Wenn die Bank den Versicherungs-schutz für die ihr abgetretenen Forderungen erhalten will, muß sie überle-gen, ob sie mit dem Kreditversicherer einen Anschlußvertrag abschließensoll.

bb) Sicherungsübereignungen

1.198 1.198Bei Listenverträgen über die Sicherungsübereignung von Maschinen undBetriebseinrichtungen sind anhand der Maschinennummern des Siche-

Eröffnungsvoraussetzungen

49

1 BGH vom 21.12.1955 – VI ZR 192/54 – WM 1956, 283; BGH vom 5.7.1962 – VIIZR 199/60 – WM 1962, 1110; OLG München vom 16.12.1979 – 23 U 2521/79 –WM 1980, 505.

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rungsübereignungsvertrages Existenz, Zustand und Wert von Maschinenund sonstigen übereigneten Gegenständen zu überprüfen.

1.199 1.199Bei der Sicherungsübereignung von Warenlägern sind anhand neuer Be-standslisten Umfang, Zusammensetzung und Werthaltigkeit (auftragsbezo-gen, Lagerproduktion, unverwertbare Altbestände, zurückgenommene Wa-ren wegen Reklamationen) zu ermitteln. Die Rechtsposition der Lieferan-ten ist daraufhin zu überprüfen, ob deren Lieferbedingungen oder eigeneEinkaufsbedingungen des Kunden gelten.

cc) Grundschulden

1.200 1.200Die Verwertbarkeit des Objekts ist zu prüfen und zu überlegen, ob Be-schlagnahmen wegen der Zubehörhaftung notwendig sind1. Ferner ist fest-zustellen, ob– notariell beglaubigte Abtretungen bei abgetretenen Briefgrundschulden

vorhanden sind,– Abtretungen von Buchgrundschulden im Grundbuch eingetragen sind,– eine vollstreckbare Ausfertigung für die Bank und gegen den derzeitigen

Eigentümer vorliegt, um unverzüglich die Beschlagnahme veranlassenzu können2,

– der Versicherungsschutz angepaßt werden muß,– Sicherungsscheine vorhanden sind.

dd) Bürgschaften

1.201 1.201Damit an Vermögenswerten des Bürgen ein Pfandrecht nach Nr. 14Abs. 2 Satz 2 AGB Banken bzw. Kreditgenossenschaften (Nr. 21 Abs. 3Nr. 3 AGB Sparkassen) geltend gemacht werden kann, ist zu überprüfen, obdie Forderungen gegen den Kunden fällig sind oder in ausreichender Höhefällig gestellt werden können.

d) Maßnahmen gegenüber dem Kunden

aa) Sicherheitenverstärkung und -erhaltung

1.202 1.202Die Forderung nach Bestellung zusätzlicher Sicherheiten (Nr. 13 Abs. 2AGB Banken) durch Kunden oder Dritte und erforderlichenfalls auf Unter-

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

50

1 S. dazu u. Rn 6.365.2 Zur Glaubhaftmachung der Forderung für einen etwa geplanten Insolvenzantrag

reicht die vollstreckbare Ausfertigung allein allerdings nicht (OLG Frankfurt vom11.5.2001 – 26 W 37/01 – WM 2001, 1629).

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legung von Bürgschaften kann nur dann noch erhoben werden, wenn sichder Kunde damit nicht der Gefahr einer Gläubigerbegünstigung aussetzt1.

1.203 1.203Zweckmäßigkeit und geeigneter Zeitpunkt der Offenlegung von Zessio-nen2 sind zu klären.

1.204 1.204Die Kennzeichnung und Sicherung übereigneter Gegenstände kann vorbe-reitet werden durch Bereitstellung von Aufklebern, Ketten, Schlössern undHereinnahme von Kfz-Scheinen und Kfz-Schlüsseln. Eine Auslagerung desSicherungsguts kann nicht nur zur Sicherung gegen Zugriffe Dritter, son-dern auch zur Abwehr der Inbesitznahme durch den Verwalter zweckmäß-ig sein, der sonst das Verwertungsrecht erwirbt3. Der Widerruf der Einzugs-ermächtigung, der Verkaufserlaubnis und der Benutzungsermächtigung istauszusprechen.

bb) Vorbereitung der Kreditkündigung

1.205 1.205Ob eine ausdrückliche Kreditkündigung zulässig und zweckmäßig ist, mußüberprüft werden4.

1.205a 1.205aZwangsvollstreckungsmaßnahmen sind dagegen nicht zu empfehlen, da sienur Kosten verursachen, wegen der Rückschlagsperre des § 88 InsO5 abernicht mehr zum Erfolg führen, wenn es zur Eröffnung des Verfahrenskommt. Eine Bank, die aus diesen Gründen von Zwangsvollstreckungs-maßnahmen absieht, sollte jedoch das Verhalten anderer Gläubiger kritischbeobachten; es besteht nämlich die Gefahr, daß diese Pfändungen ausbrin-gen und die Rückschlagsperre, die nur den Monat vor und die Zeit nachdem Eröffnungsantrag erfaßt, wegen einer Verzögerung des Eröffnungsan-trags nicht greift.

cc) Zahlungsverkehr

1.206 1.206Der Zahlungsverkehr des Kunden ist strikt zu beobachten, damit je nachder Entwicklung seiner wirtschaftlichen Situation sofort die notwendigenSchritte unternommen werden können. Grundsätzlich gilt:– Eingänge sind weiter gutzuschreiben;– Ausgänge sind

Eröffnungsvoraussetzungen

51

1 Einzelheiten s.u. Rn 6.109.2 Einzelheiten s.u. Rn 6.257 ff.3 Einzelheiten s.u. Rn 6.320.4 Einzelheiten s.u. Rn 5.51 ff.5 Einzelheiten s. Rn 1.395.

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– ab Verfahrenseröffnung oder Kenntnis vom Verfügungsverbot unzu-lässig,

– vor Verfahrenseröffnung oder Kenntnis vom Verfügungsverbot ausGuthaben auszuführen, wenn kein Pfandrecht geltend gemacht wirdund keine Retouren – Schecks, Lastschriften (Lastschriftenrisiko imEinzugsermächtigungsverfahren 6 Wochen) – mehr möglich sind, je-doch grundsätzlich nicht zu Lasten eines Kredits.

1.207 1.207Eine Überprüfung, ob der Rückruf ausgeführter Verfügungen zu Lastendebitorischer Konten rechtlich zulässig und technisch noch möglich ist (imEinzelfall kann die Rückgabe von Lieferantenlastschriften im Einzugser-mächtigungsverfahren berechtigt sein1), kann lohnend sein.

1.208 1.208Ein Wechselprotest ist vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über dasVermögen des Bezogenen wegen des Rückgriffs auf Aussteller und Indos-santen erforderlich, nach Verfahrenseröffnung dagegen entbehrlich (Art. 44Abs. 6 WG).

1.209 1.209Kreditkarten und Scheckvordrucke sind einzuziehen.

e) Beratung des Kunden

1.210 1.210Bei der Beratung des Kreditnehmers sollte die Bank darauf hinwirken, daßder Kunde alle Vorsorgemaßnahmen trifft, die geeignet sind, einen ord-nungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten und die Vermögenswer-te der Masse möglichst weitgehend zu erhalten. Von größter Bedeutung istdie Entwicklung eines Krisenplans, in dem die wichtigsten Maßnahmenaufgezählt werden, die in der Hektik der ersten Tage nach der Veröffentli-chung des Insolvenzantrags zu treffen sind.

1.211 1.211Es ist oft zu empfehlen, daß der Kunde sich der Mitarbeit eines versiertenFachmanns versichert, der dem Gericht später als Insolvenzverwalter vor-geschlagen werden kann; wird er vom Gericht ernannt, so tritt er sein Amtnicht mehr unvorbereitet an. Bedauerlicherweise lehnen manche Gerichteeinen Insolvenzverwalter, den das Unternehmen oder dessen Gläubigeranbieten, prinzipiell ab.

1.212 1.212Wegen der erfahrungsgemäß in den ersten Tagen einer Insolvenz beson-ders kritischen Liquiditätsenge müßte rechtzeitig überlegt werden, ob dieBank bereit ist, unter Zustimmung des vorläufigen Verwalters einen neuenKredit einzuräumen2 oder ob Insolvenzausfallgeld vorfinanziert werden

Erster Teil: Übersicht über das Insolvenzrecht

52

1 Einzelheiten s.u. Rn 3.443 ff.2 Vgl. im einzelnen Rn 5.222.

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soll1. Vom Kreditnehmer ist – eventuell in Zusammenarbeit mit derBank – ein kurzfristiger Zahlungsplan zu erstellen mit dem Ziel, gewissePrioritäten zu setzen, um Kettenreaktionen zu vermeiden, die z.B. aus derNichtbezahlung von Betriebsstoffen (Rohmaterial, Energie etc.) für die we-nigstens vorübergehende Fortführung des Betriebes entstehen können. BeiSteuern und Sozialabgaben ist zu bedenken, daß die Nichtabführung einbe-haltener Abzüge unter Umständen zu einer persönlichen Haftung der Ge-schäftsführer des Unternehmens führt (vgl. z.B. §§ 34, 69 AO 1977).

1.212a 1.212aEs kann empfehlenswert sein, gemeinsam mit dem Unternehmen eineErklärung gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere der Arbeitnehmer-schaft abzugeben, in der bestätigt wird, daß die notwendigen Gelder füreine jedenfalls vorläufige Fortführung des Betriebes gesichert sind2.

f) Compliance-relevante Informationen

1.213 1.213Wenn die Bank als Wertpapierdienstleisterin im Sinne des § 1 WpHG mitInsiderpapieren im Sinn des § 12 WpHG handelt, muß sie vor Einleitungder oben beschriebenen Sofortmaßnahmen prüfen, ob die Informationen,die den Anlaß für ihre Aktionen geben, überhaupt ausnutzen darf oder obsie daran durch das Verbot von Insidergeschäften gehindert ist. So kann esgeschehen, daß eine Bank aufgrund ihrer Kreditbeziehungen von dem Un-ternehmen über dessen Überschuldung oder bevorstehenden Insolvenzan-trag unterrichtet wird und vor der gebotenen Ad-hoc-Mitteilung3 des Kun-den ihre Handelsabteilungen nicht in Kenntnis setzen darf. Dies trägt ihrnaturgemäß den Vorwurf der Verletzung von Beratungspflichten durchsolche Kunden ein, die zu diesem Zeitpunkt noch Wertpapiere des insol-venten Unternehmens über die Bank erworben haben. Dem kann die Bankjedoch unter Hinweis auf die sogenannten Chinese Walls, also die nach derCompliance-Richtlinie4 intern zu schaffenden Vertraulichkeitsbereicheentgegentreten5.

1.214–1.219frei

Eröffnungsvoraussetzungen

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1 Vgl. im einzelnen Rn 5.237 ff.2 Vgl. beispielsweise die Erklärung des vorläufigen Vergleichsverwalters der AEG in

der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. 8. 1982, S. 9.3 Einzelheiten s. Rn 8.128e.4 Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel zur Konkretisie-

rung der Organisationspflichten von Wertpapierdienstleistungsunternehmen ge-mäß § 33 WpHG (BAnz Nr. 210 vom 6.11.1999).

5 Claussen, Insiderhandelsverbot und Ad hoc-Publizität, 1996, Rn 78.