1 Einleitung 1.1 Vorbemerkung und Aufgabestellung Die distale ...

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1 Einleitung 1.1 Vorbemerkung und Aufgabestellung Die distale Radiusfraktur ist schon heute eine der häufigsten Frakturen überhaupt, sie wird in der Literatur mit 15-25% aller Frakturen angegeben [1, 17, 61, 70]. Die Anzahl und Bedeutung dieser Verletzung wird in den nächsten Jahren durch eine weitere Veränderung der Altersstruktur unserer Bevölkerung zunehmen [25, 29, 47, 49, 59]. In beiden Geschlechtern werden unterschiedliche Altersgipfel ihres Auftretens beobachtet. Beim männlichen Geschlecht liegt der Häufigkeitsgipfel um das 30. Lebensjahr, hier dominieren Rasanztraumen und Stürze aus größerer Höhe [41]. Bei Frauen liegt der Altersdurchschnitt um das 60. Lebensjahr [1, 41, 80, 90], als Ursache führt hier der Sturz in der Ebene. Dieser zweiten, älteren Gruppe widmet sich diese Arbeit. In den letzten 20 Jahren hat ein Wandel in der Behandlung von distalen Radiusfrakturen stattgefunden. Lange Zeit war sie eine Domäne der konservativen Frakturbehandlung, jedoch wurden oft nur schlechte Behandlungsergebnisse erreicht [6, 41, 67, 79]. Mit dem zunehmenden Anspruch an ein gutes funktionelles Behandlungsergebnis erfolgte ein Verfahrenswechsel hin zu operativen Behandlungsverfahren. So werden seit dem Ende der 90’er Jahre bevorzugt palmare winkelstabile Plattenosteosynthesen eingesetzt und zahlreiche Autoren berichten über gute und sehr gute Ergebnisse [31, 35, 36, 37, 50, 57, 72]. Somit wurde auch die Indikation für die palmaren Plattensysteme erweitert. Verschiedene Autoren favorisieren die palmare Plattenosteosynthese bei allen operationspflichtigen distalen Radiusfrakturen [31, 36, 57, 67]. Die Kirschner-Draht- Spickung stellt als minimalinvasives Verfahren den Mittelweg zwischen konservativer Behandlung und Plattenosteosynthese dar. An der Universitätsklinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Martin-Luther-Universität Halle – Wittenberg am Standort der BG Kliniken „Bergmannstrost“ Halle konnten in der Vergangenheit gute Behandlungsergebnisse mit diesem Verfahren erreicht werden [46, 63], auch anderen Autoren berichtet über gute Ergebnisse mit diesem Verfahren [4, 58, 86]. Aus diesem Grund wurden im Zeitraum vom 01.10.2004 bis zum 31.12.2006 an der Universitätsklinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Martin Luther Universität Halle - Wittenberg am Standort Halle-Kröllwitz und am Städtischen Krankenhaus Martha- Maria Halle - Dölau 40 Patienten ab dem 65. Lebensjahr mit distalen Radiusfrakturen 1

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1 Einleitung

1.1 Vorbemerkung und Aufgabestellung

Die distale Radiusfraktur ist schon heute eine der häufigsten Frakturen überhaupt,

sie wird in der Literatur mit 15-25% aller Frakturen angegeben [1, 17, 61, 70]. Die

Anzahl und Bedeutung dieser Verletzung wird in den nächsten Jahren durch eine

weitere Veränderung der Altersstruktur unserer Bevölkerung zunehmen [25, 29, 47,

49, 59]. In beiden Geschlechtern werden unterschiedliche Altersgipfel ihres

Auftretens beobachtet. Beim männlichen Geschlecht liegt der Häufigkeitsgipfel um

das 30. Lebensjahr, hier dominieren Rasanztraumen und Stürze aus größerer Höhe

[41]. Bei Frauen liegt der Altersdurchschnitt um das 60. Lebensjahr [1, 41, 80, 90],

als Ursache führt hier der Sturz in der Ebene. Dieser zweiten, älteren Gruppe widmet

sich diese Arbeit. In den letzten 20 Jahren hat ein Wandel in der Behandlung von

distalen Radiusfrakturen stattgefunden. Lange Zeit war sie eine Domäne der

konservativen Frakturbehandlung, jedoch wurden oft nur schlechte

Behandlungsergebnisse erreicht [6, 41, 67, 79]. Mit dem zunehmenden Anspruch an

ein gutes funktionelles Behandlungsergebnis erfolgte ein Verfahrenswechsel hin zu

operativen Behandlungsverfahren. So werden seit dem Ende der 90’er Jahre

bevorzugt palmare winkelstabile Plattenosteosynthesen eingesetzt und zahlreiche

Autoren berichten über gute und sehr gute Ergebnisse [31, 35, 36, 37, 50, 57, 72].

Somit wurde auch die Indikation für die palmaren Plattensysteme erweitert.

Verschiedene Autoren favorisieren die palmare Plattenosteosynthese bei allen

operationspflichtigen distalen Radiusfrakturen [31, 36, 57, 67]. Die Kirschner-Draht-

Spickung stellt als minimalinvasives Verfahren den Mittelweg zwischen konservativer

Behandlung und Plattenosteosynthese dar.

An der Universitätsklinik und Poliklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der

Martin-Luther-Universität Halle – Wittenberg am Standort der BG Kliniken

„Bergmannstrost“ Halle konnten in der Vergangenheit gute Behandlungsergebnisse

mit diesem Verfahren erreicht werden [46, 63], auch anderen Autoren berichtet über

gute Ergebnisse mit diesem Verfahren [4, 58, 86]. Aus diesem Grund wurden im

Zeitraum vom 01.10.2004 bis zum 31.12.2006 an der Universitätsklinik und Poliklinik

für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Martin Luther Universität Halle -

Wittenberg am Standort Halle-Kröllwitz und am Städtischen Krankenhaus Martha-

Maria Halle - Dölau 40 Patienten ab dem 65. Lebensjahr mit distalen Radiusfrakturen

1

vom Typ AO 23 A2, A3 und C1 behandelt und in die vorliegende randomisierte,

prospektiv-klinische Studie eingeschlossen. Bei diesen Frakturentypen werden in der

internationalen Literatur beide Behandlungsverfahren als möglich erachtet [16, 50,

58, 61, 63, 81]. Ziel dieser Arbeit ist der Vergleich der Behandlungsergebnisse und -

verläufe zwischen diesen beiden Verfahren im ersten postoperativen Jahr bei den

oben genannten Frakturentypen.

1.2 Funktionelle Anatomie des distalen Unterarmes

Zwischen den Unterarmknochen Ulna und Radius spannt sich die Membrana

interossea antebrachii aus. Der Radius weist im distalen Schaftbereich eine

dreieckige Form auf, die ulnarseitig scharf in die Margo interosseus ausläuft. Die

begrenzenden Flächen des Radius sind die Facies posterior, die Facies anterior und

die Facies lateralis. Am distalen Ende verbreitert sich der Radius zur Facies

articularis carpalis. Am ulnaren Rand befindet sich die Incisura ulnaris radii. Sie bildet

die radiale Gelenkfläche der Articulatio radioulnaris distalis (DRUG). Die Facies

articularis carpalis unterteilt sich in zwei Abschnitte, die Fossa scaphoidea und die

Fossa lunata, deren beide Gelenkflächen konkav sind. Die sagittale Ebene der

Gelenkfläche neigt sich in der Frontalebene um etwa 23 Grad nach ulnar (Abb.1). In

der Sagittalebene ist die Gelenkfläche etwa um ca. 12 Grad nach palmar geneigt

(Abb.2). Diese Inklination ist für die Kraftübertragung zwischen Carpus und Radius

von großer Bedeutung. Dorsal am Radius befindet sich eine Erhebung, das

Tuberculum Listeri, welches dem M. extensor pollicis als Hypomochlion dient.

Abb. 1: Ulnarinklination, Norm 23° [19]

Das Caput ulna endet in einem kleinen Fortsatz, dem Processus styloideus (2-6mm)

ulnae und weist zwei Gelenkflächen auf, eine zu den Handwurzelknochen und eine

zum distalen Radius. Eine intakte Basis des Processus styloideus ulnae ist für die

Stabilität des distale Radioulnargelenkes aufgrund der ansetzenden Bandstrukturen

bedeutsam [48]. Zwischen dem Caput ulnae und dem Carpus liegt der Discus

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articularis, dieser wird im neueren Sprachgebrauch als TFC (triangular fibrocartilage)

bezeichnet. Er wird von extrinsischen Bändern, die von der Ulna zum Carpus ziehen,

stabilisiert. Für die freie Beweglichkeit des Handgelenkes sollte die Ulnarvarianz,

nicht größer als +4/-4 mm sein (Abb.3) [19].

Abb. 2: Palmarinklination, Abb. 3: Ulnarvarianz,

Norm 12° [19] Norm +4/-4 mm [19]

Die Umwendebewegung des Handgelenkes wird durch die Articulatio radioulnaris

proximalis und die Articulatio radioulnaris distalis (DRUG) ermöglicht. Die

artikulierenden Gelenkflächen der Articulatio radioulnaris distalis sind die Incisura

ulnaris radii und die Circumferentia articularis ulnae.

Für die Pronation ist der M. pronator terres und der M. pronator quatratus

verantwortlich. Der Musculus supinator und der M. biceps brachii ermöglichen die

Supination des Unterarmes. Das Bewegungsausmaß von Pronation und Supination

beträgt etwa 160 Grad [83].

Die Extensoren der Finger und des Handgelenks befinden sich auf der Dorsalseite

des Unterarmes und werden vom sechs Fächer umfassenden Retinaculum

extensorum umspannt.

1. Fach: M. abductor pollicis longus, M. extensor pollicis brevis.

2. Fach: M. extensor radialis longus, M. extensor radialis brevis.

3. Fach: M. extensor pollicis longus.

4. Fach: M. extensor digitorum M. extensor indicis.

5. Fach: M. extensor digiti minimi.

6. Fach: M. extensor carpi ulnaris.

Die Strecksehnenruptur ist eine bedeutsame Komplikation der operativen

Behandlung und wird durch die Arrosion der Sehnen durch Kirschner-Drähte oder

überragende Schrauben verursacht.

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Die Palmarflexion des Handgelenks wird sowohl von den Mm. flexores carpi radialis

und ulnaris, als auch vom M. palmaris longus und von den Mm. flexores digitorum

ausgeführt. Der Bewegungsumfang von Extension und Flexion im Handgelenk

beträgt etwa 120 Grad [19, 83, 84].

Der M. flexor carpi radialis und der M. extensor carpi radialis sind für die

Radialabduktion verantwortlich. Die Ulnarabduktion wird vom M. flexor carpi ulnaris

und vom M. extensor carpi radialis ausgeführt. Der Bewegungsumfang von Radial-

/Ulnardeviation beträgt etwa 50 Grad [11, 19, 84].

Die Muskeln des Unterarmes werden von der Fascia antebrachii umhüllt. Diese dient

im proximalen Anteil den Extensoren und zugleich den Flexoren als Ursprung. Die

drei Muskelgruppen werden untereinander nochmals durch Fascien getrennt.

Die Leitungsbahnen des Unterarmes ziehen durch vorgegebene Gefäß-Nerven-

Straßen. Das dorsale Gefäßnervenbündel endet an der Handwurzel, es führt die A.

interossea antebrachi posterior und den Ramus profundus des N. radialis.

Die radiale Unterarmstraße wird vom M. flexor carpi radialis, M. pronator terres und

vom M. brachioradialis begrenzt. Sie führt die A. radialis, Vv. radiales und den R.

superficialis des N. radialis. Die Unterarmmittelstraße liegt zwischen oberflächlichen

und tiefen Flexoren. Sie beherbergt den N. medianus und die ihn begleitende A.

comitans n. mediani. Diese Straße setzt sich durch den Karpaltunnel in die Hohlhand

fort.

Die ulnare Unterarmstraße wird vom M. flexor digitorum und dem M. flexor carpi

ulnaris begrenzt. Sie führt die A. ulnaris, V. ulnaris und den N. ulnaris. Dieses

Gefäßnervenbündel gelangt durch die Guyon-Loge zur Hohlhand. Durch die

beugeseitige Zwischenknochennervenstraße zieht die A. interossea antebrachi und

der N. interosseus antebrachii auf der Membrana interossea distalwärts.

Vom Hamulus ossis hamati und Os pisiforme zum Os scaphoideum spannt sich das

Retinaculum flexorum aus. Es überspannt den Canalis carpi. Durch diesen ziehen

die Sehnen des M. flexor pollicics longus, des M. flexor digitorum profundus und

superficialis, sowie der N. medianus mit begleitender Arterie. Die Einengung des N.

medianus führt zum Karpaltunnelsyndrom, einer weiteren häufigen Komplikation. Der

N. ulnaris und die A. ularis ziehen durch den Ulnariskanal (Loge de Gyon) zur

Hohlhand.

Die Hand ist in drei Abschnitte unterteilt, den Carpus, den Metacarpus und die Digiti

manus. Die Handwurzelknochen ordnen sich in zwei Reihen an. Zur proximalen

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Handwurzelreihe gehören das Os scaphoideum, das Os lunatum, das Os triquetrum

und das Os pisiforme. Die Articulatio manus proximalis ist ein Ellipsoidgelenk. Das

Os scaphoideum, das Os Lunatum und das Os triquetrum bilden mit ihren proximalen

Gelenkflächen den Gelenkanteil des Carpus. Diese sind durch ligamentäre

Strukturen miteinander verbunden und weisen in ihrer Gesamtheit eine palmare

Konkavität auf, den Sulcus carpi.

Der Radius, die Ulna und der Discus triangularis bilden die dazugehörige

Gelenkfläche des Unterarmes. Man unterscheidet zwei Achsen, eine radioulnäre und

eine dazu senkrechte. Die große Beweglichkeit im Handgelenk ergibt sich durch die

Kombination der Bewegungen entlang dieser beiden Achsen.

Das Handgelenk wird von extrinsischen und intrinsischen Bändern stabilisiert. Die

extrinsischen Bänder überspannen das Radiocarpal-, das Ulnocarpal- und das

Intercarpalgelenk. Die intrinsischen Bänder verbinden die Handwurzelknochen

miteinander. Diese Bänder und der Discus triangularis stabilisieren das distale

Radiounargelenk und das proximale Handgelenk.

Abb. 4: Extrinsische karpale Bänder [19]

Abb. 5: Intrinsische karpale Bänder [19]

Das drei 3-Säulen-Modell nach Rikli und Regazzoni (1996) berücksichtigt die

biomechanischen und pathophysiologischen Befunde bei der Rekonstruktion und

Stabilisierung des distalen Speichen- und Ulnaendes unter Verwendung für diese

Segmente speziell formadaptierter Platten. Biomechanische Untersuchungen

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zeigten, dass bei einer Handgelenkstellung in 0°Stellung etwa 80% des Kraftflusses

über die mittlere Säule (Os capitatum, Os lunatum, die Fossa lunata, ulnarer Anteil

des distalen Radius) verläuft. Eine Veränderung der Gelenkflächenschaftwinkel und

der Stellung des Radius zur Ulna führt zu einer erheblichen Veränderung der

Richtung des Kraftflusses und damit Überbeanspruchung der ulnaren Säule mit

entsprechenden funktionellen Veränderungen und chronischer Instabilität der

Handwurzel und des Handgelenks. Eine Dorsalkippung des Gelenk tragenden

distalen Radiusfragments von mehr als 20° führt zu einer Verminderung der

Extensions- und Flexionsbewegung von durchschnittlich 50°. Gleichzeitig kommt es

zu einer erheblichen unphysiologischen Mehrbelastung der intrinsischen

Karpalbänder mit der Folge der typischen karpalen Instabilität und nachfolgender

radiokarpaler Arthrose [19].

1.3 Inzidenz und Ätiologie der distalen Radiusfraktur

In beiden Geschlechtern werden unterschiedliche Altersgipfel beobachtet [1, 58].

Beim männlichen Geschlecht liegt der Häufigkeitsgipfel um das 30. Lebensjahr. Hier

dominieren Rasanztraumen und Stürze aus größerer Höhe, daraus resultieren oft

komplexe Frakturen mit Gelenkbeteiligung. Bei Frauen gibt es einen Altersgipfel um

das 60. Lebensjahr. Ursache hierfür ist eine vermehrte Sturzneigung bei

kardiovaskulären, neurologischen und Stoffwechselerkrankungen. Hinzu kommt eine

häufig bestehende Involutions- und pathologische Osteoporose. Des Weiteren lässt

die relative arthrosebedingte Gelenksteifigkeit und die hypothrophe Muskulatur das

Sturztrauma ohne Schutzwirkung und ungefedert auf den Knochen einwirken [10].

Eine verminderte Knochendichte konnte als Risikofaktor für die Entstehung von

distalen Radiusfrakturen beschrieben werden [39, 85]. Als kritische Knochendichte

wurde ein Wert von 235 mg/cm² in einer 5-Jahres-Beobachtungsstudie definiert [44].

Folgende Faktoren beeinflussen das Verletzungsmuster [21, 73]:

• die Stellung des Handgelenks

• die Größe der einwirkenden Kraft

• der individueller Knochenbau bzw. dessen Festigkeit.

Typische Begleitverletzungen bei distalen Radiusfrkturen sind Frakturen des Os

scaphoideum oder scapholunäre Dissoziationen, welche durch die Ruptur des

scapholunären Bandes entstehen. Beides sind klassische Ursachen des in mehreren

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Stufen ablaufenden carpalen Kollapses [43]. Auch kann es zu Verletzungen des TFC

kommen, was zur sekundär, posttraumatischen Arthrose des Handgelenkes führen

kann. Die distale Radiusfraktur ist die häufigste Ursache eines sekundären

Karpaltunnelsyndromes [42].

1.4 Klassifikation der distalen Radiusfraktur

Es stehen zahlreiche Klassifikationen zur Verfügung, die sich um sinnvolle

Ordnungsprinzipien mit therapeutischen Konsequenzen bei distalen

Speichenbrüchen bemühen. Im Folgenden werden historische Einteilungen und die

für diese Arbeit wichtige AO-Klassifikation der Frakturen genannt [53].

1.4.1 Historische Einteilungen der Radiusfraktur Da die distale Radiusfraktur seit jeher eine sehr häufige Verletzung ist, wurden in der

Vergangenheit Bezeichnungen eingeführt, bei deren Einteilung man zumeist von der

Dislokationsrichtung des distalen Fragmentes ausgegangen ist. Diese wurden

üblicherweise nach ihrem Erstbeschreiber benannt.

• Dislokation nach dorsal - Colles Fraktur [13]

• Dislokation nach palmar - Smith Fraktur [82]

• dorsaler Kantenabbruch - Barton Fraktur

• palmarer Kantenabbruch - Reversed-Barton Fraktur, Smith II Fraktur

• radialer Keilbruch - Chauffeur Fraktur

Diese Bezeichnungen sind bis zum heutigen Tag im klinischen Alltag geläufig.

1.4.2 Frakturklassifikation der AO

Die Fraktureinteilung der AO ist die häufigste in der neueren Weltliteratur. Ihr soll im

Folgenden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Klassifikation der

Fraktur ergibt sich durch die anatomische Lokalisation und die morphologische

Beschaffenheit der Fraktur. Jedem Knochen wird eine Nummer zugewiesen. Paarige

Knochen (Radius/Ulna und Tibia/Fibula) werden wie ein langer Knochen klassifiziert.

Die langen Röhrenknochen werden in je drei Segmente eingeteilt. Bei Tibia und

Fibula kommt ein viertes Segment dazu für die Malleolarfrakturen.

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• 1=proximales Segment.

• 2=mittlers, diaphysäres Segment.

• 3=distales Segment.

Die AO - Klassifikation fasst die Metaphyse und die Epiphyse als ein Segment

zusammen. In den proximalen und distalen Segmenten (Ausnahme: prox. Humerus,

prox. Femur, Malleolensegment) werden drei Frakturtypen unterschieden, die sich

durch folgende Eigenschaften auszeichnen:

• Typ A – extraartikuläre Fraktur,

• Typ B – partiell artikuläre Fraktur,

• Typ C – vollständig artikuläre Fraktur.

Die Frakturen können anhand eines binären Fragenmusters weiter subklassifiziert

werden. So ergeben sich Frakturgruppen und Untergruppen.

Die AO - Klassifikation wird durch die Klassifikation der Weichteilverletzungen der AO

ergänzt:

• Hautverletzungen (IC, IO),

• Muskel und Sehnenverletzungen (MT),

• Neurovaskuläre Verletzungen (NV).

Für den distalen Radius ergibt sich die „23“ als Knochen und Segmentbezeichnung.

• Knochen (Radius - 2)

• Segment (distal - 3)

Folgende Frakturgruppen werden am distalen Radius subklassifiziert:

AO 23 A

Abb.6: AO - Klassifikation nach Müller (1987) et al.

AO 23 A - extraartikuläre Frakturen

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• A 1 - der Ulna, Radius intakt,

• A 2 - des Radius, einfach,

• A 3 - des Radius, mehrfragmentär.

AO 23 B

Abb.7: AO - Klassifikation nach Müller (1987) et al.

AO 23 B - partiell intraartikuläre Frakturen

• B 1 - in der Sagialebene.

• B 2 - der dorsalen Kante (Barton).

• B 3 - der volaren Kante (reversed Barton).

AO 23 C

Abb. 8: AO - Klassifikation nach Müller (1987) et al.

AO 23 C - intraartikuläre Frakturen

• C 1 - artikulär einfach, metaphysär einfach.

• C 2 - artikulär einfach, metaphysär mehrfragmentär.

• C 3 - artikulär mehrfach, metaphysär mehrfragmentär.

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In der vorliegenden Studie werden die Frakturen vom Typ A2, A3 und C1 untersucht.

Für diese Frakturen gibt es folgende Untergruppen:

• A 2.1 - einfach ohne Abkippung,

• A 2.2 - einfach mit dorsaler Abkippung,

• A 2.3 - einfach mit volarer Abkippung,

• A 3.1 - mehrfragmentär impaktiert mit axialer Verkürzung,

• A 3.2 - mehrfragmentär impaktiert mit einem Fragmentkeil,

• A 3.3 - mehrfragmentär komplex,

• C 1.1 - artikulär und metaphysär einfach mit posteriorem - medialem

Gelenkfragment,

• C 1.2 - artikulär und metaphysär einfach mit sagitaler, artikulärer Frakturlinie,

• C 1.3 - artikulär und metaphysär einfach mit frontal, artikulärer Frakturlinie.

1.5 Klinik der distalen Radiusfraktur

Der klinischen Untersuchung geht eine genaue Unfallanamnese voraus. Diese ergibt

nicht selten einen ersten Hinweis auf das Verletzungsmuster. Die Sturzursache sollte

abgeklärt werden. Auf Begleiterkrankungen, bestehende neurologische

Erkrankungen und eventuell vorausgegangene Verletzungen des betreffenden

Armes ist zu achten. Weichteilverletzungen und Prellmarken geben einen Hinweis

auf weitere Begleitverletzungen. Der Patient klagt häufig über massive Schmerzen,

Instabilität und einen Funktionsverlust [52, 89]. Bei der Inspektion fällt meist eine

schmerzbedingte Schonhaltung des gesamten verletzen Armes auf. Die

Radiusfraktur in „loco classico“ ist durch ihre typische Fehlstellung, die Bajonett- und

Fourchette-Stellung charakterisiert. Diese wird durch eine Dorsalkippung und

Radialverschiebung des peripheren Fragments hervorgerufen. Die Funktionen der

Hand sind erheblich, teilweise schmerzbedingt eingeschränkt. Bei der

anschließenden Palpation des verletzten Unterarmes findet man oft eine

Hämatombildung und eine Weichteilschwellung im Verletzungsgebiet. Auf palpable

Stufen des tastbaren Knochens ist zu achten. Auch ist es manchmal möglich, ein

Krepitieren festzustellen. Undislozierte Frakturen zeigen oft nur eine Schwellung,

Druckschmerzhaftigkeit und eine eingeschränkte Funktion. Bei dieser Art der

Verletzung sollten die peripheren Enden der Ulna und des Radius abgetastet, und ihr

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gegenseitiges Verhältnis verglichen werden. Der Processus styloideus radii sollte

halbfingerbreit distal des Processus styloideus ulnae stehen. Bei verkeilten Brüchen

ist diese Beziehung häufig verloren gegangen und die Griffelfortsätze stehen in einer

Ebene [5]. Die aktive Beweglichkeit der Fingergelenke sollte geprüft werden.

Frakturen und Luxationen im Handwurzelbereich sind auszuschließen. Des Weiteren

erfolgt die klinische Überprüfung von Begleitverletzung der Nerven und der Gefäße.

Starke Fragmentdislokationen können zu einer Läsion des N. medianus führen.

Abb. 9: Fractura radii in loco typico [5]

1.6 Diagnostik der distalen Radiusfraktur

Nach der klinischen Untersuchung erfolgen a.-p. und seitliche Röntgenaufnahmen

des Handgelenkes. Es wird beurteilt [7]:

• die Gelenkbeteiligung,

• die metaphysäre Trümmerzone,

• die relative Radiusverkürzung,

• die Dislokationsrichtung der Fragmente. Beide Aufnahmen erfolgen mit einer Aufnahmespannung von 45-55 kV. Der

Zentralstrahl ist bei beiden Aufnahmen auf die Mitte des Handgelenks gerichtet. In

der seitlichen Aufnahme sind Radius und Ulna direkt übereinander abgebildet, der

Handgelenksspalt ist frei einsehbar. Anhand dieser Aufnahmen erfolgt die

Klassifikation der Fraktur nach der AO-Klassifikation [73]. Durch Röntgen-

Schrägaufnahme in 45°-Pronation und -Supination kann man bei intraartikulären

Frakturen die Fossa lunata und die Fossa scaphoidea genauer beurteilen. Die

konventionelle Durchleuchtung dient der Darstellung von Gelenkstufen. CT-

Aufnahmen werden zur Beurteilung von Gelenkstufen, dem DRUG und der Fossa

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lunata angefertigt. Bei dem Verdacht auf eine ligamentäre Begleitverletzung sollte

eine MR-Untersuchung stattfinden. Die genannten Bildgebungen können in

Ausnahmefällen durch Röntgenaufnahmen der Gegenseite, Sonographie und

Arthrographie ergänzt werden. Eine Arthroskopie sollte nur mit einer therapeutischen

Absicht, oder als weiterführende Diagnostik bei einem therapieresistentem ulnaren

Handgelenkschmerz und ausgeschöpfter nichtinvasiver Bildgebung erfolgen [12, 15].

1.7 Die konservative Behandlung der distalen Radiusfraktur

Die konservative Behandlung umfasst eine Reposition sowie einen retinierenden

Unterarmhartverband, sie sollte nur bei stabilen extraartikulären Frakturen oder bei

gering dislozierten, intraartikulären Frakturen erfolgen [56]. Auch wenn lokale und

allgemeine Kontraindikationen einer Operation entgegenstehen, ist eine konservative

Behandlung die therapeutische Alternative. Eine relative Indikation stellt eine Fraktur

mit Instabilitätskriterien dar, die sich gut reponieren und primär retinieren lässt. Es

gibt unterschiedliche Schulen der konservativen Frakturbehandlung [8, 22, 28]. Die

Anästhesie erfolgt über eine streng aseptische Bruchspaltanästhesie. Mit

„Mädchenfängern“ wird der Arm des Patienten ausgehängt. Der Ellenbogen sollte

etwa 90° gebeugt sein und der Oberarm in der Schulter um 90° abduziert. An den

Oberarm wird über eine gepolsterte Schlaufe für 5 bis 10 Minuten ein

Extensionsgewicht von 3 - 5 kg gehängt. Anschließend erfolgt die Reposition durch

Ulnarduktion, Flexion im Handgelenk und durch Druck auf das distale Fragment. Die

Gipsanlage erfolgt in Neutralstellung des Handgelenkes. Eine Beschriftung mit

folgenden Daten sollte erfolgen: Unfalldatum, Datum der Gipsanlage, Befristung der

Gipsanlage, Datum der nächsten Röntgenkontrolle, Name des behandelnden Arztes,

der Einrichtung [52]. Der Gips wird bis zur letzten Faser gespalten. Die Flexion der

Finger und des Ellenbogens darf nicht eingeschränkt sein. Der Handrückengips

sollte plan geformt sein. Am nächsten Tag wird die Durchblutung, Motorik und

Sensibilität kontrolliert. Der Gips kann verschlossen werden, die Beschriftung wird

erneuert. Am 7., 14. und 21. Tag sollten eine Gipskontrolle mit etwaiger

Gipserneuerung und eine Röntgenkontrolle stattfinden. Klinisch, radiologische

Gipskontrollen sollten am 2., 7., 14. und 30. Tag nach Gipsanlage erfolgen. Ab dem

30. Tag kann der Gips abgenommen werden. Eine klinische und radiologische

Stellungskontrolle ist erforderlich.

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Beschriebene Risiken und Komplikationen einer konservativen Behandlung sind [76]:

• Redislokationen,

• Reflexdystrophie-Syndrom (M. Sudeck),

• Nervenkompression (z.B. N. medianus),

• Allergie,

• Druckstellen durch den Hartverband,

• Funktionsbehinderung durch Bewegungseinschränkung und Kraftminderung,

• Verzögerte Heilung oder Entstehung einer Pseudarthrose,

• Refraktur bei erneuter Gewalteinwirkung innerhalb der ersten 3 Monate,

• Arthrose,

• Verschlimmerung einer vorbestehenden Arthrose,

• Schulterschmerzen infolge einer Fehlhaltung.

1.8 Die operative Behandlung der distalen Radiusfraktur

Zur operativen Frakturversorgung der distalen Radiusfraktur stehen folgende

Methoden zur Verfügung:

• Bohrdraht-Fixierung (Kirschner-Draht-Spickung),

• Palmare Plattenosteosynthese,

• Dorsale Plattenosteosynthese,

• Palmare winkelstabile Plattenosteosynthese,

• Fixateur externe,

• Schraubenosteosynthese,

• Intramedulläre Implantate.

Die Behandlung von instabilen extraartikulären Frakturen, wie auch die von

dislozierten intraartikulären Frakturen mit Weichtelschaden (Integument Open), sollte

operativ erfolgen. Schwere begleitende Verletzungen (Muscle-Tendon; Nerve-

Vessel) können ebenfalls eine operative Therapie erfordern. Dislozierte Smith- und

Barton-Frakturen, sowie Handgelenks- und Handwurzelverletzungen stellen eine

weitere OP-Indikation dar.

Nach Poigenfürst und Tuchmann (1978), sowie Boszotta (1991) et al. und Jupiter

(1991) sollten folgende Instabilitätskriterien berücksichtigt werden:

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• Dorsalkippung des peripheren Fragmentes über 20°,

• Dorsalkippung des peripheren Fragmentes bei schrägem Frakturverlauf,

• Abbruch einer beugeseitigen Gelenklippe,

• dorsale und/oder palmare dislozierte Kantenfragmente,

• Trümmerzonen mit Verkürzung des Radius um mehr als 2mm,

• basisnaher Abbruch des Ellengriffelfortsatzes und/oder dislozierte

Trümmerfrakturen,

• Radio-ulnare Separation/Instabilität,

• Begleitende Ulnafraktur.

Wenn zwei der genannten pathologischen Veränderungen vorliegen, wird eine

operative Therapie empfohlen. Nach erfolgloser konservativer Therapie ist ein

sekundärer Wechsel zu einem operativen Verfahren möglich. Folgende Probleme,

Risiken und Komplikationen werden beim operativen Vorgehen beschrieben:

• Hautverschluss kann bei starker Schwellung nicht möglich sein,

• Nachblutungen,

• Gefäß, Nerven, Läsion z.B. N. medianus, Ramus superficialis des N. radialis,

• Wundheilungsstörungen,

• Infektion von Weichteilen, Knochen und Gelenken,

• Achsabweichungen,

• Implantatbrüche,

• Implantatfehllage,

• sekundäre Dislokation der Implantate,

• Funktionsstörungen des Handgelenkes und der Finger,

• Perforation von Bohrdrähten,

• Reflexdystrophie Syndrom,

• sekundäre Strecksehnenrupturen.

Die operative Versorgung von dislozierten distalen Radiusfrakturen sollte

unverzüglich erfolgen. Geschlossene und gering dislozierte Frakturen können

temporär im gespaltenen Unterarmgips retiniert werden.

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1.8.1 Die Kirschner-Draht-Spickung

Die K-Draht-Spickung stellt den Mittelweg zwischen der konservativen Behandlung

mit Hartverbänden und den operativen Verfahren, wie der Platten- und Fixateur-

externe-Osteosynthese, dar. Diese Methode ist minimalinvasiv, weichteilschonend

und wenig materialaufwendig. Wichtig für das postoperative Ergebnis sind eine

sorgfältige Eingriffsplanung, eine gute Operationstechnik und eine korrekte

Nachbehandlung. Das Prinzip der K-Draht-Spickung besteht darin, die dislozierte

Fraktur nach ihrer Reposition in einer korrekten oder wenig dislozierten Stellung,

durch Fragmentabstützung oder -fixierung zu retinieren. Die Indikation zur K-Draht-

Spickung besteht bei [30, 20]:

• jungen Pateinten (<15 LJ),

• alten Patienten (>65 LJ),

• Dislokationen nach dorsal,

• extraartikulären Frakturen,

• intraartikulären Frakturen mit nur eine Frakturlinie,

• problematischer Weichteilsituation (Fixateur externe).

Die operative Versorgung von distalen Radiusfrakturen mittels K-Draht-Spickung

sollte jedoch der Behandlung der Frakturtypen AO 23 A2, A3 und C1 vorbehalten

sein, wenn eine geschlossene Reposition möglich ist [58, 62, 63]. Die K-Draht-

Spickung kann technisch, methodisch unterschiedlich durchgeführt werden [58, 20,

23, 30, 69]. Die Basis ist ein geschlossenes Repositionsmanöver, die Fragmente

können jedoch auch über K-Draht-„Joy-Sticks“ manipuliert und in Position gebracht

werden.

In unserer Klinik wird zur definitiven Retention der Fraktur zumeist die kombinierte K-

Draht-Spickung durchgeführt. Bei diesem Verfahren handelt es sich um die

Kombination aus der statischen K-Draht-Spickung nach Willenegger [91] und der

dynamischen Fixierung nach Kapandji [37, 38], dies erhöht nach Fritz (1997) et al.

die biomechanische Stabilität der Osteosynthese.

Die Kirschner-Drähte werden direkt transkutan oder über eine bedarfsgerechte

Längsinzision eingebracht. Es werden hauptsächlich Kirschner-Drähte der Stärke 1,6

mm und ein Handbohrfutter verwendet. Die Drähte können umgebogen in den

Verband eingebettet werden. Die äußere Ruhigstellung ist obligat. Ein Versenken der

Drähte in der Tiefe führt häufig zu Weichteilirritationen. Es ist mit einer

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frakturtypabhängigen Konsolidierungszeit von 6-8 Wochen zu rechnen [69].

Regelmäßige Röntgenkontrollen zur Verlaufskontrolle und zur Bestimmung des

Zeitpunktes der Drahtentfernung sind erforderlich. Weitere 1-2 Wochen sollte eine

dorsale Longuette angelegt und mit vorsichtigen aktiven Bewegungsübungen

begonnen werden. Folgende technische Möglichkeiten ergeben sich und sind durch

Kombinationen erweiterbar:

Abb. 10: Fächerförmige Fixierung aus Richtung des Processus styloideus radii

Nach De Palma und Willenegger [91], Abbildung nach Otto (1998)

Abb. 11: Direkte Fixierung von dorsalen Kantenfragmenten,

Abbildung nach Otto (1998)

Abb. 12: Retrograde Abstützung der Fragmente, Abbildung nach Otto (1998)

Abb. 13: Quere subartikuläre Stabilisierung, Abbildung nach Otto (1998)

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Abb. 14: Korbartige Abstützung der Fraktur nach Kapandji [37, 38]

Abbildung nach Otto (1998)

Die Kirschner-Draht-Fixierung bietet folgende Vorteile:

• die mögliche Regionalanästhesie (Bier’sche Venenanästhesie, Plexus-

blockade),

• die weichteilschonende Reposition,

• die ambulante Durchführbarkeit,

• geringe Zugangs- und Implantat bedingte Komplikationen.

Die K-Draht-Osteosynthese erfordert eine Gipsschiene für etwa sechs Wochen [30,

58], welche für ergotherapeutische Übungen und zu Körperpflege abgelegt werden.

Das Handgelenk sollte nicht aktiv beübt werden, um K-Draht-Dislokationen und -

Lockerungen zu verhindern. Eine zweite Röntgenkontrolle sollte am 10.

postoperativen Tag stattfinden. Bei Beschwerden sollte jederzeit eine ärztliche

Vorstellung möglich sein. Nach sechs Wochen erfolgt eine klinische und

radiologische Verlaufskontrolle. Frühestens nach acht Wochen sollten die K-Drähte

in Lokalanästhesie entfernt werden. Die Gipsschiene kann dann noch eine Woche

bis zur Abheilung der Pin-Portalstellen belassen werden.

1.8.2 Die palmare winkelstabile Plattenosteosynthese

Die operative Versorgung von dislozierten distalen Radiusfrakturen erfolgt im Idealfall

unverzüglich. Bei geschlossenen oder gering dislozierten Frakturen ist eine

temporäre Retention im gespaltenen Unterarmgips möglich. Der operative Eingriff

erfolgt in Regional- oder Allgemeinanästhesie. Der Patient ist in Rückenlage und der

verletzte Arm auf einem Armtisch gelagert. Eine pneumatische Blutsperre wird am

Oberarm angelegt. Der Unterarm wird bis zur Blutsperre steril abgewaschen. Der

Operateur sitzt zwischen dem abgespreizten Arm und dem Rumpf des Patienten. Die

Hautinzision des radio-palmaren Zugangs erfolgt entlang der radialen Seite der

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Sehne des M. flexor carpi radialis. Nach dem Spalten der Unterarmfaszie wird diese

Sehne, der N. medianus und die weiteren Beugesehnen nach ulnar gedrängt [16].

Anschließend wird unter Schonung der Vasa radialia der M. pronator quadratus

dargestellt. Dieser wird durch eine L-förmige Inzision distal und radialseitig abgelöst,

um die Frakturzone darzustellen. Ein weiterer Zugang zur Darstellung des distalen

Radioulnargelenkes ist möglich [16].

Abb. 15: Darstellung des palmaren operativen Zugangsweges [16]

Die hierfür notwendige Hautinzision beginnt an der Thenarfalte und wird bogenförmig

nach ulnar über die Handgelenksfalte geführt. In proximaler Richtung verläuft sie

entlang der radialen Begrenzung der Sehne des M. flexor carpi ulnaris. Der N.

medianus kann durch Spaltung des Karpaltunnels und der N. ulnaris durch die

Spaltung der Guyon-Loge entlastet werden. Die Präparation in die Tiefe erfolgt

zwischen den Vasa ulnaria und den tiefen Flexoren. Der M. pronator quadratus wird

bei Bedarf an der ulnaren oder radialen Insertion abpräpariert. Der Processus

styloideus radii ist über diesen Zugangsweg nicht erreichbar. Bei massiven

Quetschverletzungen kann dieser Zugang bis zur Ellenbeuge erweitert werden um

die Flexorenloge zu fasziotomieren. Nach Darstellung und Säuberung des

Frakturspaltes kann die Reposition und Retention der Fraktur erfolgen. Die neuen

winkelstabilen Implantate, deren Funktion als Fixateur interne anzusehen ist, bieten

dem Operateur folgende Möglichkeiten zur Reposition und Retention der Fraktur [50]:

1. Reposition über den T-Schenkel der Platte

Bei intaktem metaphysärem Fragment wird der T-Schenkel mit winkelstabilen

Schrauben in der Metaphyse fixiert. Über den langen Schenkel der Formplatte wird

die Fraktur reponiert und am Radiusschaft befestigt.

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2. Reposition über den langen Schenkel der Platte

Bei frakturierter Metaphyse wird der lange Schenkel in einem Gleitloch am Radius-

schaft fixiert. Unter Extension und Flexion erfolgt die Reposition der Fraktur.

Anschließend erfolgt das Vorbohren der Schrauben. Nach dem Einbringen der

winkelstabilen Schrauben wird das Repositionsergebnis gehalten.

Im nächsten Schritt wird die pneumatische Blutsperre geöffnet und die Wunde

schichtweise über einer Redondrainage verschlossen. Die Anlage eines schienenden

Verbandes bis zur abgeschlossenen Wundheilung ist möglich. Der Arm sollte

postoperativ erhöht gelagert werden.

Die palmaren winkelstabilen Plattenosteosynthesen des distalen Radius sind

übungsstabil [16]. Bis zur sicheren Wundheilung kann eine Ruhigstellung mittels

palmarer Unterarmgipsschiene erfolgen. Eine funktionelle Nachbehandlung und

Lymphdrainage sollten frühzeitig erfolgen. Das Ausmaß einer bestehenden

Osteoporose oder einer höhergradigen Instabilität (AO-Frakturtyp 23 C3) kann eine

Ruhigstellung von bis zu drei Wochen erzwingen.

1.9 Die Nachbehandlung der operativen Frakturversorgung

Die Nachbehandlung von Radiusfrakturen erfolgt individuell. Die genaue Kenntnis

des Therapeuten über die Belastungsfähigkeit der Osteosynthese ist eine wichtige

Voraussetzung für die weitere Behandlung [18, 40]. Des Weiteren richtet sich die

Behandlung nach dem Frakturtyp, den Begleitverletzungen (Weichteile, anderer

Extremitäten) und der Mitarbeit des Patienten. Eine bestmögliche Wiederherstellung

der Funktionen des verletzten Armes wird angestrebt. Ziel ist es, dem Patienten eine

frühzeitige Rückkehr in seinen Alltag zu ermöglichen. In der Frühphase ist eine

Dystrophieprophylaxe von entscheidender Bedeutung [18, 40]. Die

Schmerzlinderung und die Entstauung des posttraumatischen Ödems stehen im

Vordergrund. Der verletzte Unterarm sollte über dem Ellenbogenniveau gelagert

werden. Muskelaktivität ohne Belastung erhält die Beweglichkeit der durch den

Verband freigegebenen Gelenke und führt über die Ausnutzung der Muskelpumpe

und der erhöhten Durchblutung zur schnelleren Ödemresorption. Kurze, mäßige

Kühlphasen führen durch die anschließende, reaktive Mehrdurchblutung ebenfalls

zur Ödemresorption. Wenn Übungsstabilität vorliegt, sollte das Handgelenk in die

Übungen (vorsichtig) mit einbezogen werden. Aktives und assistiertes Beüben erhöht

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den Bewegungsumfang. Die Fingerflexion erfordert eine muskulär stabilisierte

Dorsalextension im Handgelenk. Diese sollte durch kontinuierliches Üben stetig

verbessert werden. Die Aktivitäten des alltäglichen Lebens sollten mit in die

Übungsbehandlung einfließen [18, 40]. Eine Algodystrophie der verletzten Extremität

kann eine stationäre Behandlung erzwingen, eine interdisziplinäre Behandlung ist oft

unumgänglich [18, 40].

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