1. EINLEITUNG 2 2. RESTRUKTURIERUNG DER 3X3 SOLE-MATRIX 3 · unter einem einheitlichen und unter...

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DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 1 1. EINLEITUNG 2 2. RESTRUKTURIERUNG DER 3X3 SOLE-MATRIX 3 2.1 LEHRPROZESSE UND LERNPROZESSE 3 2.2 LEHR-LERN-PROZESSE IN SELBSTORGANISATIONSOFFENEN LERNUMGEBUNGEN 4 3. STRUKTUR DER DATENERHEBUNG UND -ANALYSE 7 3.1 SYSTEMATIK FÜR DIE ANALYSE VON LEHR-LERN-PROZESSEN 7 3.2 STRATEGIE FÜR DIE AUSWERTUNG 10 4. DURCHFÜHRUNG 10 4.1 DESIGN 10 4.2 STICHPROBE 11 4.3 VERSUCHSABLAUF 11 5. OPERATIONALISIERUNG DER PROZEßDATEN AUF VERHALTENSEBENE 11 5.1. AUSWAHL DER DATEN FÜR DIE SEKUNDÄRDATENERSTELLUNG 11 5.2. KATEGORIENSYSTEM FÜR DIE IDENTIFIZIERUNG DER NEUN MERKMALSBEREICHE DES SOLE-ARRANGEMENTS 12 5.3 KATEGORIENSYSTEM FÜR DIE IDENTIFIZIERUNG DIDAKTISCHER IMPLIKATIONEN 12 5.4 KONTROLL- UND BEWERTUNGSPROZESSE INNERHALB UND ZWISCHEN GRUPPEN 13 5.5 PROZEßDATEN DER COMPUTERNUTZUNG 13 6. ERGEBNISSE 14 6.1 PRODUKTDATEN 14 6.1.1 ERGEBNISSE HINSICHTLICH DER GÜTEKRITERIEN ‘LERNZIELORIENTIERTER TEST, ‘WISSEN MATERIALWIRTSCHAFTUND ‘PROBLEMLÖSEFÄHIGKEIT14 6.1.2 ERGEBNISSE IM BEREICH LERNSTRATEGIEN 15 6.1.3 ERGEBNISSE IM BEREICH SELBSTORGANISIERTES LERNEN UND MOTIVATION 16 6.1.4 SELBSTORGANISIERTES LERNEN UND EMOTIONALE BEFINDLICHKEIT 17 6.2 PROZEßDATEN 17 6.2.1 SUBJEKTIVE ERLEBENSDATEN (MDE) 17 6.2.1.1 Fragestellungen 18 6.2.1.2 Modellierung des Wirkungszusammenhangs 18 6.2.1.3 Ergebnisse 18 6.2.1.3.1 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Individualebene 18 6.2.1.3.2 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Gruppenebene 21 6.2.1.3.3 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Klassenebene (SoLe und TraLe) 21 6.2.2 BEOBACHTUNGSDATEN 27 6.3 EINFLUß VON PRODUKT- AUF PROZEß- UND VON PROZEß- AUF PRODUKTDATEN 28 7. DISKUSSION 30

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DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 1

1. EINLEITUNG 2

2. RESTRUKTURIERUNG DER 3X3 SOLE-MATRIX 3

2.1 LEHRPROZESSE UND LERNPROZESSE 3 2.2 LEHR-LERN-PROZESSE IN SELBSTORGANISATIONSOFFENEN LERNUMGEBUNGEN 4

3. STRUKTUR DER DATENERHEBUNG UND -ANALYSE 7

3.1 SYSTEMATIK FÜR DIE ANALYSE VON LEHR-LERN-PROZESSEN 7 3.2 STRATEGIE FÜR DIE AUSWERTUNG 10

4. DURCHFÜHRUNG 10

4.1 DESIGN 10 4.2 STICHPROBE 11 4.3 VERSUCHSABLAUF 11

5. OPERATIONALISIERUNG DER PROZEßDATEN AUF VERHALTENSEBENE 11

5.1. AUSWAHL DER DATEN FÜR DIE SEKUNDÄRDATENERSTELLUNG 11 5.2. KATEGORIENSYSTEM FÜR DIE IDENTIFIZIERUNG DER NEUN MERKMALSBEREICHE DES

SOLE-ARRANGEMENTS 12 5.3 KATEGORIENSYSTEM FÜR DIE IDENTIFIZIERUNG DIDAKTISCHER IMPLIKATIONEN 12 5.4 KONTROLL- UND BEWERTUNGSPROZESSE INNERHALB UND ZWISCHEN GRUPPEN 13 5.5 PROZEßDATEN DER COMPUTERNUTZUNG 13

6. ERGEBNISSE 14

6.1 PRODUKTDATEN 14 6.1.1 ERGEBNISSE HINSICHTLICH DER GÜTEKRITERIEN ‘LERNZIELORIENTIERTER TEST’, ‘WISSEN MATERIALWIRTSCHAFT’ UND ‘PROBLEMLÖSEFÄHIGKEIT’ 14 6.1.2 ERGEBNISSE IM BEREICH LERNSTRATEGIEN 15 6.1.3 ERGEBNISSE IM BEREICH SELBSTORGANISIERTES LERNEN UND MOTIVATION 16 6.1.4 SELBSTORGANISIERTES LERNEN UND EMOTIONALE BEFINDLICHKEIT 17

6.2 PROZEßDATEN 17 6.2.1 SUBJEKTIVE ERLEBENSDATEN (MDE) 17

6.2.1.1 Fragestellungen 18 6.2.1.2 Modellierung des Wirkungszusammenhangs 18 6.2.1.3 Ergebnisse 18

6.2.1.3.1 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Individualebene 18 6.2.1.3.2 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Gruppenebene 21 6.2.1.3.3 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Klassenebene (SoLe und TraLe) 21

6.2.2 BEOBACHTUNGSDATEN 27 6.3 EINFLUß VON PRODUKT- AUF PROZEß- UND VON PROZEß- AUF PRODUKTDATEN 28

7. DISKUSSION 30

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 2

1. Einleitung

Ausgehend von einer gewissen Stagnation in der empirischen Unterrichtsforschung wurden mit der Konstituierung der Lehr-Lern-Forschung Kriterien formuliert, die in methodologischer, forschungs- und unterrichtspraktischer Sicht Besserungen versprachen. Leider muß konstatiert werden, daß - obwohl diese Forderungen nach Lernprozeßanalysen unter ganz verschiedenen Blickwinkeln immer wieder neu bekräftigt werden (wie z.B. auch von DE CORTE, RHEINBERG und HOLLING als Gastredner im Rahmen der letzten Schwerpunktprogramm-Meetings) - diese Kriterien aus unterschiedlichen Gründen nicht in der erforderlichen Konsequenz verfolgt wur-den und werden. Wiederholte Literaturrecherchen in verschiedenen Literaturdatenbanken (Psychlit, Psyndex, ERIC) zeigen (zuletzt im Mai 1997), daß die Forderungen nach Prozeß-analysen von realen, komplexen Lehr-Lern-Arrangements national und international nach wie vor kaum berücksichtigt werden. Die wenigen angeführten Studien betrachten fast ausschließ-lich die Verhaltensebene und erfassen nicht das subjektive Erleben der Schüler, obwohl die subjektive Wahrnehmung der Lernumgebung seitens des Lerners als entscheidende vermitteln-de Variable für den Wissens- und Kompetenzzuwachs angesehen wird (MANDL/SPADA 1988; WEIDENMANN/KRAPP 1994). Größtes Defizit dürfte dabei die Nicht-Berücksichtigung bzw. Nicht-Erfassung von Wechselwirkungen im Prozeßverlauf des Lehr-Lern-Geschehens sein, wodurch weder der Lernerfolg selbst und schon gar nicht das Zustandekommen desselben be-friedigend erklärt werden können. Erschwerend für neuere Studien kommen ein sich verän-derndes Verständnis des Lernens und der Menschenbildannahmen mit stark veränderten An-sprüchen und Möglichkeiten (in) der Arbeitswelt dazu (z.B. Bewältigung von Komplexität und Fähigkeit zur Selbstorganisation), die von der Erhebung bis zur Auswertung grundlegend ver-änderte Forschungsdesigns und -verfahren verlangen.

Hier sahen wir den Ansatzpunkt für unser eigenes Projekt: Notwendige Prozesse selbstorgani-sierten Lernens zu initiieren, diese auf möglichst detaillierte Weise zu beschreiben und zu eva-luieren. Die vorliegende Studie erfüllt weitgehend die forschungsmethodischen Desiderate und zeigt Wege zur Analyse von Prozeßdaten auf. Dies ermöglicht die Harmonisierung von theore-tischen Überlegungen und empirischen Überprüfungsmöglichkeiten.

Die nachstehenden Ziele werden in dem Projekt verfolgt:

(1) Kriteriengeleitete Gestaltung einer selbstorganisationsoffenen Lernumgebung.

(2) Überprüfung dieser Lernumgebung, d.h. es soll der Nachweis erbracht werden, daß in einer selbstorganisationsoffenen Lernumgebung bezüglich ‘traditioneller’ Gütekriterien (z.B. lernzielorientierter Test) mindestens der gleiche Erfolg erzielt wird wie in eher tradi-tionellem Unterricht. Darüber hinaus wird erwartet, daß die Lernenden v.a. bzgl. der ab-hängigen Variablen Problemlösefähigkeit, aber auch hinsichtlich Emotionaler Befindlich-keit überlegen sind;

(3) Detaillierte Analysen von Prozeßdaten, d.h. es geht nicht nur darum herauszufinden, daß Selbstorganisertes Lernen (SoLe) erfolgreicher ist, sondern auch wie das geschieht und warum.

Im Abschnitt 2 geht es vorrangig um Restrukturierungen von Grunddimensionen und Merk-malsbereichen unseres Lehr-Lern-Arrangements. Abschnitte 3 widmet sich der Systematik der Datenerhebung und Datenanalyse. Abschnitt 4 nennt einige Durchführungsaspekte. Die Aus-wertungsarbeiten, also Sekundärdatenerstellung, Operationalisierung der Prozeßdaten, Wahl oder Entwicklung der Meßverfahren, Ergebnisfeststellung und Diskussion (Abschnitte 5, 6, und 7) erfolgen in der gesamten Breite der Fragestellungen. Aufgrund der von uns angegange-nen Komplexität und dem von uns entsprechend angelegten Design und der eingebrachten Kompetenzen schien uns dies notwendig, um die Vernetztheit der verschiedenen Aspekte im

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Blick zu behalten und diese nicht vorschnell zugunsten einer besonders tiefen Einsicht in einen Einzelaspekt zu opfern.

2. Restrukturierung der 3x3 SoLe-Matrix

Die aktualisierenden theoretischen Erläuterungen beziehen sich insbesondere auf die eigene 3x3-Ausgangsmatrix zur Generierung innovationsfähiger Wissens- und Handlungsstrukturen (SEMBILL 1995c, S. 4ff.). Diese Matrix diente nicht nur zur Konstruktion unseres Lehr-Lern-Arrangements zum Fördern des Selbstorganisierten Lernens (kurz: der selbstorganisationsof-fenen Lernumgebung oder des SoLe-Arrangements), sondern soll auch möglichst konsistent für die Operationalisierungen und Auswertungen sowie die Ergebnisinterpretationen herange-zogen werden (s.u). Gerade diese konkreten Forschungstätigkeiten, aber auch Rückfragen, lassen es notwendig erscheinen, die Abstraktion dieser komplexen Matrix didaktisch aufzubre-chen und eine konsistentere Darstellungsform zu wählen.

Die dadurch erhöhte Transparenz soll die wirtschaftspädagogisch relevanten, ineinander ver-schachtelten Erkenntnisquellen deutlicher werden lassen. Solche sind:

1. Empirisch-analytische Befunde verschiedener Wissenschaftsdisziplinen bzgl. der Wirkung lernrelevanter Zusammenhänge, etwa aus Erziehungswissenschaft, Psychologie und Physio-logie sowie Sozialwissenschaften.

2. Ökonomische Konzepte und Umgestaltungsbemühungen, die von der Wirtschaft selbst als notwendig (weil erfolgreich) erachtet werden.

3. Prozesse in unterschiedlichen, relevanten Praxisbereichen, in denen Menschen als Subjekte anerkannt und zunehmend als Mittelpunkt erfolgreichen Handelns beschrieben werden.

Der Herleitungszusammenhang ist hier jedoch nur in Umrissen zu skizzieren (s. hierzu: SEM-

BILL 1992a, 1995a , 1995c; SEMBILL/WUTTKE 1997 und 1998).

Aufgrund eines integrativen, systemischen Grundverständnisses und der Analyse erfolgreichen Handels in den genannten Bereichen ist es kein Zufall, daß unsere selbstorganisationsoffene Lernumgebung die "Hauptmerkmale effektiver Lernprozesse" und die "Gestaltungsprinzipien von wirkungsvollen Lernumgebungen" 1 umfaßt, die DE CORTE 1995 und 1996 zusammen-stellt.

Bei der Begriffsbildung und Zuordnung von solchen sich integrativ verstehenden Lehr-Lernkonzepten tauchen vor dem Hintergrund der Objektivismus-Konstruktivismus-Debatte (DUBS 1993a und 1993b) intensionale und extensionale Schwierigkeiten (sensu AEBLI 1981) auf. Wann z.B. hört radikal konstruktivistisch auf und wo fängt neu oder gemäßigt konstruk-tivistisch an? Wenn eine polare Gegenüberstellung von Fremd- und Selbststeuerung beim Ler-nen ebenso als untauglich angesehen wird wie die Polarisierung von Instruktion und Konstruk-tion, warum bleibt dann der Begriff der Selbststeuerung als 'Leitlinie eines gemäßigt konstruk-tivistischen Verständnisses' etwa bei MANDL/REINMANN-ROTHMEIER (1995) erhalten? Findet hier nicht überdies eine Konfundierung von Lernprozeß und Lehr-Lern-Prozeß statt?

Lehrprozesse sind von Lernprozessen und beide von Lehr-Lern-Prozessen zu unterscheiden.

2.1 Lehrprozesse und Lernprozesse

Lehrprozesse i.S. von (direkter) Instruktion einschließlich (adaptiver) Lehrfunktionen externa-lisieren im wesentlichen die Bedingungen der individuellen Aneignung schulischen Wissens. Sie beziehen sich also bevorzugt auf Instrumentalvariablen der Unterrichtsqualität (z.B. Zeit, Ver- 1 Übersetzung von "major features of effective learning processes" und "design principles for

powerful learning environments".

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ständlichkeit, Explizitheit der Aufgabenstruktur, Freiheitsgrade der Schüleraktivitäten, geringe Fehlerrisiken, Rückmeldungen), die von den Lehrpersonen selbst mehr oder weniger direkt kontrollierbar sind (TREIBER/WEINERT 1982; SEMBILL 1984; GAGE/BERLINER 1992; SNOW 1992; LEUTNER 1995).

Lernprozesse umfassen die individuellen physischen und psychischen Vorgänge/ Leistungen beim Erwerb von Wissen, Problemlöse-, Handlungs- und Sozialkompetenzen. Legt man eine hohe Kompatibilität von psychischen und physischen Erkenntnissen als Modellierungskriterium zugrunde, dann ist Lernen ein durchgängiger Konstruktions- und Rekonstruktionsprozeß. Ein Lernverständnis, das auch das Erwerben von höherwertigen Qualifikationen einschließt, muß unter einem einheitlichen und unter dem qualitativ umfassensten Ansatz formuliert werden. Lernende können nicht stunden- oder tageweise als reflexions-, konstruktions- und problemlö-sefähige Individuen und dann wieder als entmündigte Lern- und Arbeitsautomaten betrachtet werden. Selbstorganisiertes Lernen ist der umfassenste Ansatz.

Je weiter sich Systemtheorien entwickelt haben und adaptiert wurden, desto mehr wurden Zielgerichtetheit, Gestaltung und Kontrollverantwortung thematisiert. Der Begriff der Steue-rung bzw. der Regulation geht über in den Begriff der Organisation. So ist der Begriffsüber-gang von der Selbststeuerung zur Selbstorganisation zu verstehen und die damit verbundenen Prozesse zu erklären (SEMBILL/WUTTKE 1997).

Lernen i.S. selbstorganisierter Prozesse findet in jeder Form von Unterricht statt. Gleichwohl unterstützen verschiedene Lernorganisationsmöglichkeiten und Lernumgebungen in sehr unter-schiedlicher Weise die mit zu denkenden Zielbildungs- und Kontrollprozesse sowie die aktive Auseinandersetzung mit inhaltlicher und personaler Komplexität. Selbstorganisiertes Lernen als Leitidee zu verfolgen, erfordert also keinen Methodenmonismus, sondern eine konsistent zu formulierende Erweiterung eines für notwendig erachteten Lernangebots - insbesondere für höherwertige Qualifikationen. Innerhalb der Restrukturierungsüberlegungen erfüllen Instrukti-onsangebote nach wie vor eine wesentliche Funktion, haben aber unter einem integrativen Menschenbild und der Bedeutung subjektiver Handlungsrelevanz (SEMBILL 1992a) - im übri-gen auch im Erleben der Lerner - eine andere Bedeutung.

2.2 Lehr-Lern-Prozesse in selbstorganisationsoffenen Lernumgebungen

Lehr-Lern-Prozesse beziehen sich auf die Wechselwirkungen aller am Unterrichts-/ Unterwei-sungsgeschehen beteiligten Handlungsteilnehmer (sensu AEBLI 1980), also zwischen den Leh-renden/ Ausbildenden, Lernenden, Informationen und Gegenständen. In unserem Verständnis können diese Prozesse als pädagogisches Bemühen verstanden werden, Individuen dabei be-hilflich zu sein, ihren Platz und ihre Identität in einer im normativen wie technischen Sinne ver-änderungsfähigen und daher gestaltungsfähigen Gesellschaft zu suchen und zu finden (SEMBILL 1992a). Für die Entwicklung von entsprechenden Lehr-Lern-Arrangements wird schnell deut-lich, daß es dabei nicht um eine einfache multiplikative Verknüpfung der oben skizzierten Ver-ständnisse des Lehrens und Lernens gehen kann. Als funktionale Anforderungen an eine selbstorganisationsoffene Lernumgebung werden fünf Ks gefordert: Kommunikation, Koopera-tion, Kollaboration, Konstruktion und Kreation, die technisch durch eine äquivalente (multime-diale) Lernumwelt zu stützen sind (WOLF 1995; SEMBILL/PASCH/WOLF/WUTTKE 1996; WUTTKE 1996; SEMBILL/WOLF 1998).

Diese Prozesse sind nicht auf einen bestimmten Personenkreis zu beschränken. Auch Lehrende können - gerade während höherwertiger Qualifizierungsprozesse, die die fach-, methoden- und sozialkompetente Bearbeitung nicht-wohldefinierter Probleme erfordern - lernen. Umgekehrt nehmen Lernende in der Vielfalt eines modernen Lehr-Lern-Arrangements häufiger in koopera-

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tiven Kontexten oder während der Präsentationen Lehr-Lern- oder auch nur Lehr-Funktionen wahr.

Zur Bewältigung komplexer Sachverhalte benötigen insbesondere leistungsschwächere und ängstliche Lerner zusätzliche Strukturierungs- und Hilfsangebote (GAGE/BERLINER 1992; SNOW 1992). Je nach Vorwissen und dem Stand der Lern- und Arbeitstechniken empfiehlt es sich, die Anteile und Freiräume für Selbstorganisiertes Lernen über den gesamten Ausbildungs-zeitraum hinweg sukzessive auszudehnen und die Hilfen zunehmend auf anspruchsvollere As-pekte zu konzentrieren. Denn auf Qualifikationsprozesse mit implizierter Unsicherheit, Mehr-deutigkeit und Mehrwertigkeit wegen dieser Schwierigkeiten zu verzichten, wäre fatal. Es ver-hinderte die Anschlußmöglichkeiten der davon stärker Betroffenen und übersieht im übrigen so nebenbei, daß viele Alltagsentscheidungen komplex sind (SEMBILL 1996b).

Beim SoLe-Arrangement handelt es sich um ein ausbalanciertes, mehrdimensionales Lehr-Lernverständnis, wie es sich zum einen aus der notwendigen interaktiven Verknüpfung von Lehr- und Lern-Funktion und zum anderen aus dem pädagogischen Grundproblem individuel-ler und gemeinschaftlicher Interessensunterschiede ergibt. Durch dieses Arrangement sollen die interaktiven, zielgerichteten Auseinandersetzungen mit Lerngegenständen (z.B. Inhalten, Me-thoden, Medien, Situationen, Personen einschließlich der eigenen) initiiert werden mit dem übergreifenden Ziel eigener, erweiterter/verbesserter Erkenntnis-, Reflexions- und Handlungs-möglichkeiten einschließlich der Verantwortungsübernahme.

Im Zentrum des SoLe-Arrangements steht auf problemlöse- und handlungstheoretischer Basis (SEMBILL 1984; SEMBILL 1992a) Lernen im Sinne des Grundprinzips geplanten Handelns. Um dieses Zentrum breitet sich ein vierdimensionales Spannungsfeld aus, dessen Beachtung die Forderung nach inhaltlicher und personaler Komplexität abdeckt. Die Pole der Dimensionen sind jeweils eher durch individuelle/interne bzw. gemeinschaftliche/externe Interessen geprägt (s. Abbildung 1):

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Abb. 1: Die vier Grunddimensionen eines komplexen Lehr-Lern-Arrangements zur Förderung Selbstorgani-

sierten Lernens

1. Lernen für sich: Lernen zwischen Reflexion von Sinn und Zweck einer geplanten Handlung und der persönlichen Werteverantwortung gegenüber anderen.

2. Lernen mit Risiko: Lernen durch Sich-Einlassen auf die extern vorgefundene bzw. vorge-gebene Komplexität.

3. Lernen mit anderen: Lernen zwischen eigener Relevanzeinschätzung vorgefundener bzw. vorgegebener Gegenstandsbereiche und aktivem Relevanzaustausch.

4. Lernen für andere: Lernen zwischen subjektiver Bedeutungserschließung und -bewertung einerseits und der Externalisierung erworbener (kognitiver, emotionaler und motivationaler) Kompetenzen andererseits.

Wirkungsrichtung und -gewicht der Lernaktivitäten können sich temporär verlagern und über-lagern (s. Pfeile auf der Peripherie), etwa bei einer Präsentation oder Problemanalyse. Daß hier keine linearisierte Konzeption gedacht ist, verdeutlicht die integrierte Netzstruktur, wechselsei-tige Abhängigkeit und Rückkopplungsmöglichkeiten zwischen den Merkmalsbereichen sind gegeben. Auch "abseits" der vier Grunddimensionen sind Zusammenhänge wirksam: So kann man sich die Relevanzeinschätzung (MB 1) nicht unabhängig von z.B. der Bedeutungserschlie-ßung/ -bewertung (MB 3), dem Sich-Einlassen auf den Gegenstandsbereich (MB 6) oder einer Sinn- und Wertereflexion (MB 2, MB 8) vorstellen etc.

Die in den Spiegelstrichen der einzelnen MBs zugeordneten und gleichermaßen zur Operatio-nalisierung verwendbaren Indikatoren (s. Abbildung 2), verdeutlichen den Unterschied zu un-serer bisherigen Darstellung (SEMBILL 1995c) und anderen Merkmalslisten

(MANDL/REINMANN-ROTMEIER 1995; ACHTENHAGEN 1996; KAISER 1996). Die Substanz der

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Ursprungsmatrix bleibt bis auf eine Inkonsistenz (Identitätsdarstellung von MB 3 nach MB 7) erhalten. Die bisherigen Merkmalbereichsbezeichnungen sind voll kompatibel mit den Polaritä-ten der herausgestellten vier Dimensionen.

Abb. 2: Kriterien für die Merkmalsbereiche des SoLe-Arrangements

3. Struktur der Datenerhebung und -analyse

Im folgenden soll kurz dargelegt werden, welche Möglichkeiten zur Erfassung und Beschrei-bung von Lehr-Lern-Prozessen bestehen. Aufbauend auf diesen Überlegungen wird dann dar-gelegt, welchen Fragestellungen in der vorliegenden Untersuchung nachgegangen wird.

3.1 Systematik für die Analyse von Lehr-Lern-Prozessen

Lehr-Lern-Prozesse in einem Unterrichtssetting können unter verschiedenen Perspektiven und auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden.

Zum einen läßt sich das Unterrichtsgeschehen insgesamt als komplexes, dynamisches System verstehen, indem sich die beteiligten Individuen mit ihrer sozialen und materiellen Umwelt aus-

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einandersetzen. Unter dieser Perspektive lassen sich Fragen nach gemeinsamer Wissenskon-struktion und -repräsentation, nach dem Klassenklima usw. stellen.

Zum anderen kann der einzelne Lerner als Analyseeinheit gewählt werden2. Der individuelle Lernprozeß als eine Veränderung und Anpassung individueller Wissens- und Wahrnehmungs-strukturen läßt sich auf drei verschiedenen Ebenen beschreiben.

(1) Physiologische Ebene: Hier werden Veränderungen feststellbar sein, die Lernprozesse widerspiegeln bzw. sie begleiten (physiologische Korrelate von Informationsverarbeitung, -speicherung sowie von motivationalen und emotionalen Prozessen) (BIRBAU-

MER/SCHMIDT 1990, SCHMIDT/THEWS 1995).

(2) Subjektive Erlebensebene: Die auf physiologischer Ebene feststellbaren Prozesse finden ihre Entsprechung in Veränderungen von bewußt erlebten emotionalen, motivationalen und kognitiven Zuständen. Wobei betont werden soll, daß die elementaren physiologi-schen Prozesse der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung und die hierbei wichtigen emotionalen und motivationalen Einflüsse sich nicht in bewußtem Erleben wi-derspiegeln müssen. Bewußtes Steuern und Kontrollieren von Handlungen ist durchaus nicht die Regel für die Verhaltensregulation des Menschen. Viele Steuerungsprozesse sind automatisiert und verlaufen unbewußt (PÖPPEL 1989, 1993; DAMASIO 1996). Die sich hieraus ergebenen Implikationen für die pädagogische Forschung werden bei SEMBILL (1997) diskutiert.

(3) Verhaltensebene: Eine weitere Ebene, auf der Lernprozesse registriert werden können, ist die des beobachtbaren Verhaltens, wobei hierunter verbales und nonverbales Verhalten verstanden wird. Üblicherweise werden Video- und Audioaufnahmen genutzt, um die Auseinandersetzung des Individuums mit Lernmaterialien, Medien, Mitschülern und Leh-rern zu analysieren (WITTROCK 1986).

Im SoLe-Projekt wird der Lernprozeß bisher auf der subjektiven Erlebensebene und auf der Verhaltensebene erfaßt.

An dieser Stelle soll kurz das SoLe-Projekt skizziert werden, um die nachfolgenden Ausfüh-rungen für den Leser verständlicher zu machen.

Abb. 3: Schematische Darstellung des Untersuchungsdesigns (EEH: Eingangserhebung; AEH: Ausgangser-

hebung; TraLe= Traditioneller Unterricht, SoLe= Selbstorganisationsoffene Lernumgebung)

2 Die beiden Perspektiven schließen sich nicht gegenseitig aus; sie ergänzen einander.

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Der Vergleich einer selbstorganisationsoffenen Lernumgebung mit traditionellem Unterricht (Experimental- vs. Kontrollgruppe) erfolgt zuerst klassisch durch die Prüfung des Treatment-Effektes auf bestimmte Lernerfolgsmaße wie die Problemlösefähigkeit, den fachspezifischen Wissenszuwachs, die Motivationsausprägung usw. Weiterhin wird der Lernprozeß als vermit-telnde Variable für Wissens- und Kompetenzveränderungen erfaßt, um so die Chance zu ha-ben, die Effekte der Lernumgebung erklären zu können. In der Abbildung 3 ist das Design der Untersuchung schematisch wiedergegeben (für eine ausführliche Darstellung siehe SEMBILL

1995c).

Für die Vorher-Nachher-Messung werden Fragebogen und Testverfahren zur Erfassung der Lernerfolgsmaße bzw. von lernrelevanten Variablen (z.B. Leistungsangst) eingesetzt (Pro-duktdaten). Der Lernprozeß wird auf der Verhaltensebene durch Videoaufnahmen, Protokoll-daten über die Nutzung der computerbasierten Lernumgebung sowie Arbeitsprotokolle erfaßt (s. Abbildung 4). Des weiteren wird das subjektive Erleben während des Lernprozesses erfaßt. Im Abstand von fünf Minuten werden die individuellen Einschätzungen auf emotionalen, moti-vationalen und kognitiven Grunddimensionen erhoben. Die Versuchspersonen geben jeweils den Grad der Zustimmung zu den folgenden fünf Items auf einer vierstufigen Antwortskala ( -- „trifft gar nicht zu“ bis ++ „trifft sehr zu“) an:

Emotionaler Bereich: „Fühle mich ernstgenommen“ (E), „Fühle mich gut“ (G)

Kognitiver Bereich: „Verstehe, worum es geht“ (V)

Motivationaler Bereich: „Bin interessiert“ (I), „Kann mitgestalten“ (M)

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Abb. 4: Prozeßparameter von einem Individuum

3.2 Strategie für die Auswertung

Angelehnt an die vorher erläuterte Systematik ergeben sich verschiedene Auswertungsmög-lichkeiten.

1. Produktdaten

Die Produktdaten der Eingangs- und Ausgangserhebung dienen zunächst dem klassischen Vorher-Nachher-Vergleich. Es soll gezeigt werden, daß eine selbstorganisationsoffene Lern-umgebung dem traditionellen Unterricht bei der Förderung bestimmter Zielgrößen überlegen ist.

2. Prozeßdaten

Die beiden erfaßten Prozeßebenen können zunächst einmal getrennt betrachtet werden. Die Verläufe der Prozeßdaten können beschrieben werden und zudem kann analysiert werden, in-wiefern vorherige Zustände nachfolgende beeinflussen. Auch kann für die Selbsteinschätzungs-daten untersucht werden, welche Wirkbeziehungen zwischen emotionalen, motivationalen und kognitiven Prozessen bestehen. In einem nächsten Auswertungsschritt können dann die Verhal-tens- und die Selbstberichtsdaten aufeinander bezogen werden: Korrespondieren bestimmte Verhaltensweisen mit Veränderungen im Selbsterleben? Lassen sich bestimmte zeitliche Abfol-gen im Auftreten von bestimmten Verhaltensweisen und Erlebensveränderungen feststellen? Diese Prozeßdatenanalysen werden immer auch zum Vergleich von SoLe und TraLe genutzt, um aufzuzeigen, welchen Einfluß die Lernumgebung auf solche Prozesse nimmt.

3. Produkt (Eingangsdaten) à Prozeß à Produkt (Ausgangsdaten)

In den Prozeßdaten sollten sich neben einem allgemeinen Treatment-Effekt auch interindividu-elle Unterschiede in Lernvoraussetzungen widerspiegeln. Lerner mit günstigen Voraussetzun-gen (z.B. geringe Leistungsangst, hohes Vorwissen) zeigen eventuell anderes Verhalten und ein anderes Erleben in ihrer Auseinandersetzung mit der Lernumgebung als Lerner mit weniger günstigen Eingangswerten. Wenn sich ein Effekt der Lernumgebung in den Produktdaten zei-gen läßt, dann sollte dieser durch spezifische Lernprozesse vermittelt worden sein. Entspre-chend sollten interindividuelle und Gruppenunterschiede im Zuwachs an Wissen und Kompe-tenz aus den Unterschieden in den Lernprozessen prognostiziert werden können. Es besteht die Möglichkeit, Prozeßverläufe zu identifizieren, die als günstig für die Entwicklung bestimmter Zielgrößen bewertet werden können. Letztlich kann so bestimmt werden, welche Charakteris-tika einer Lernumgebung solche positiven Lernprozeßverläufe fördern.

4. Durchführung

Die nachfolgend dargestellte Durchführung der Untersuchung gibt einen Überblick über das Design, die Stichprobe und den Versuchsablauf.

4.1 Design

Bei der Untersuchung handelt es sich um eine quasi-experimentelle Feldstudie, die als Längs-schnittstudie angelegt ist. Dabei wird die Experimentalgruppe der selbstorganisiert Lernenden (SoLe) einer traditionell unterrichteten Kontrollgruppe (TraLe) gegenübergestellt. Die sonsti-gen Rahmenbedingungen sind für beide Gruppen vergleichbar (gleicher Lehrer, gleiche Dauer der Unterrichtseinheit, gleicher Inhaltsbereich).

Die Operationalisierung der als Erfolgskriterium gewählten abhängigen Variable ‘komplexe Problemlösefähigkeit’ orientiert sich an dem Grundprinzip geplanten Handelns (SEMBILL 1992a). Eine ausführliche Beschreibung ist bei WUTTKE/SANTJER 1996 (s. Anhang) zu finden.

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4.2 Stichprobe

An der Untersuchung nehmen insgesamt 35 Schülerinnen und Schüler der Max-Weber-Schule in Gießen (kaufmännische Berufsschule) teil, die zum Zeitpunkt der Untersuchung alle im zweiten Ausbildungsjahr für Industriekaufleute sind (Experimentalgruppe n = 21, Kontroll-gruppe n = 14). Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über Geschlecht, Alter und bis-herige Schulbildung der Teilnehmer.

Geschlecht Altersspanne Durchschnittsalter Bisherige Schulbildung Experimental-klasse (SoLe)

12 w, 9 m 17 - 24 18,85 12 Realschulabschluß 9 allgemeine Hochschulreife (2 WG)

Kontrollklasse (TraLe)

6 w, 8 m 19 - 24 20,60 13 allgemeine Hochschulreife (1 WG) 1 Realschulabschluß

Tab. 1: Überblick über die Stichprobe; WG=Wirtschaftsgymnasium

4.3 Versuchsablauf

In einer Vortestphase (Schuljahr 1992/93) wird die Unterrichtssequenz ‘Materialwirtschaft’ bezüglich der Inhalte analysiert. Darauf aufbauend findet die Konzeption der erforderlichen Lernmaterialien für die SoLe-Gruppe statt.

In beiden Gruppen werden in der Eingangserhebung lernrelevante Variablen wie z.B. Vorwis-sen (allgemeine BWL und Materialwirtschaft), Intelligenz, Lernstrategien etc. erhoben (zu den Instrumenten s. Anhang). Die SoLe-Gruppe arbeitet anschließend über insgesamt 40 Stunden in zwei Phasen selbstorganisiert. In der ersten Phase ist eine arbeitsgleiche Aufgabenstellung zu bearbeiten, in der zweiten Phase eine arbeitsverschiedene Problemstellung. An beide Phasen schließt sich eine Präsentation und Ergebnissicherung an. In diesen Phasen wird auch das kon-zipierte Lernmaterial und die computerbasierte Lernumgebung eingesetzt. Die TraLe-Gruppe wird über 40 Stunden traditionell unterrichtet.

5. Operationalisierung der Prozeßdaten auf Verhaltensebene

Die Sekundärdatenerstellung dient der Analyse der Video- und Audioaufnahmen. Mit Hilfe von Kategoriensystemen werden die Videosequenzen unter den verschiedenen Fragestellungen kodiert, um mit den gewonnen Daten einen Bezug zu den Selbstberichtsdaten und den Frage-bogendaten herzustellen.

5.1. Auswahl der Daten für die Sekundärdatenerstellung

Im Rahmen des 40stündigen Lehrgangs Materialwirtschaft der Experimental- und der Kon-trollklasse wurde der Unterricht auf Video aufgezeichnet und durch simultane Audioaufnah-men ergänzt. Dies erfolgte in der Experimentalklasse aus vier und bei der Kontrollklasse aus zwei verschiedenen Kameraperspektiven. Somit stehen ca. 200 Stunden Videoaufnahmen zur Analyse zur Verfügung. Für die Sekundärdatenerstellung ist es im Interesse der Bearbeitbarkeit erforderlich, das umfangreiche Primärdatenmaterial zu reduzieren. Es erschien sinnvoll, dabei sowohl eine Auswahl einzelner Unterrichtssequenzen als auch eine Auswahl von zwei Gruppen zu treffen.

Bei der Auswahl der Unterrichtssequenzen haben wir uns auf der Grundlage der dem Projekt zugrundeliegenden Fragestellung (Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens) für die Video-sequenzen der arbeitsteiligen Problemstellung (SoLe-Phase II) entschieden, da der hohe Kom-plexitätsgrad das Lehr-Lern-Arrangement näher an die Berufspraxis heranbringt. Die Auswahl der Gruppen erfolgte aufgrund von auffälligen Produktdaten zweier Teilnehmer (SEMBILL 1995c).

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Anhand der Video- und Audioaufnahmen soll der Lernprozeß auf Verhaltensebene - zunächst für zwei Gruppen - untersucht werden. Hierfür wurden ca. 600 Seiten Transkripte erstellt.

5.2. Kategoriensystem für die Identifizierung der neun Merkmalsbereiche des SoLe-Arrangements

Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens setzen voraus, daß belegt werden kann, wie die den theoretischen Überlegungen (s. Punkt 2) entsprechend gestaltete Lernumgebung zu einem Verhalten und Erleben auf Seiten der Schülerinnen und Schüler führt, welches als spezifisch und charakteristisch für Selbstorganisiertes Lernen gelten kann. Hierbei wird noch einmal die Doppelfunktion der neun Merkmalsbereiche bezüglich der vier Grunddimensionen deutlich: zum einen sind sie Richtlinien für die Gestaltung einer selbstorganisationsoffenen Lernumge-bung und zum anderen Kennzeichen selbstorganisierten Lernens. Die Lernumgebung wurde didaktisch so konzipiert, daß selbstorganisiertes Lernen ermöglicht und initiiert wird.

Zu der Fragestellung „Hat Selbstorganisiertes Lernen gemäß den neun Merkmalsbereichen stattgefunden“ wurde ein System zur Verhaltensbeobachtung, das sich an die neun Merkmals-bereiche anlehnt, entwickelt. Es werden für jeden Merkmalsbereich Indikatoren auf der Verhal-tensebene definiert, welche einen Rückschluß auf die Realisierung des entsprechenden Merk-malsbereichs erlauben. Die Indikatoren lehnen sich an die verschiedenen Aspekte der jeweili-gen Merkmalsbereiche an. Als Beobachtungseinheiten werden Verhaltensweisen im weitesten Sinne verwendet, d.h. es werden sprachliche Äußerungen und Handlungen gleichermaßen als Indikatoren bestimmt.

Für den Merkmalsbereich 5 „Problemlöseprozeß“ werden im folgenden aus dem Transkript einige Beispiele dargestellt:

„Gibt es da nicht irgendwie eine Möglichkeit, wie man sicher machen kann, ohne daß irgend jemand Zugriff darauf hat oder irgendwie?“ (Problemdefinition). MB 5.1

„Gut, wir müssen aber die Artikel jetzt nachgucken und bestellen.“ (Lösungsvorschläge ma-chen). MB 5.3

„Ja, ich meine, das krieg ich auch alleine hin, wenn du was anderes machen willst.“ (Sich zutrauen; der Gruppe zutrauen den Einsatz der Mittel handelnd zu realisieren (subjektive Kompetenz nutzen)) MB 5.6

Eine detaillierte Kodieranleitung befindet sich im Anhang 3.

5.3 Kategoriensystem für die Identifizierung didaktischer Implikationen

In dem Projekt wurde für die Experimentalgruppe eine selbstorgansationsoffene Lernumge-bung mit spezifischen Implikationen für Lernprozesse und Lernerfolg geschaffen. Das gesamte Setting in der Experimental- und Kontrollgruppe ist dabei jeweils als Treatment zu bezeichnen. Um aber detailliertere Aussagen über die Wirkung der Lernumgebung auf die stattgefundenen Lernprozesse und hierüber auf den Lernerfolg machen zu können, ist es erforderlich, ‘feinkör-nigere’ Treatments (Mikrotreatments) zu identifizieren.

Da ein Treatment eigentlich eine Intervention von außen darstellt, eine solche aber speziell in der SoLe-Gruppe nicht (durchgängig) stattgefunden hat, soll statt dessen von didaktischen Implikationen (i.S. eines angestrebten Handlungsmusters3) gesprochen werden. Diese sind im Hinblick auf spezifische Fragestellungen (s. Anhang) zu analysieren.

3 Handlungsmuster sind historisch gewachsene, von Lehrern und Schülern mehr oder weniger fest verinner-

lichte Formen der Aneignung von Wirklichkeit. Sie haben einen bestimmten Anfang und ein Ende. Sie sind in sich zielgerichtet.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 13

Die folgenden didaktischen Implikationen werden als wesentlich erachtet:

1. Arbeitsauftrag (Lehrer an Schüler oder Schüler an Schüler);

2. Arbeiten ohne expliziten Arbeitsauftrag (Erledigung von Routinearbeiten);

3. Vortrag (Lehrer an Schüler oder Schüler an Schüler);

4. Diskussion (innerhalb der Gesamtklasse, eher lehrergesteuert und lehrerinitiiert bzw. inner-halb von Schülergruppen, eher schülergesteuert und schülerinitiiert);

5. Mediennutzung (Arbeitsblätter, Tafel, Bücher, Computer, Telefon, Faxgerät, Overhead, Dokumenationsordner, Lehrer);

6. Kontrolle (Selbstkontrolle, Fremdkontrolle durch Mitschüler, Fremdkontrolle durch den Lehrer);

7. Präsentation (Ergebnispräsentation in der Gesamtklasse, Projektmanagersitzungen).

Eine Kodieranweisung mit Beispielen aus den beiden Gruppe ist bereits erstellt (s. Anhang 5). Die Kodierarbeiten werden bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

5.4 Kontroll- und Bewertungsprozesse innerhalb und zwischen Gruppen

Grundsätzlich sollen hier sowohl Selbstkontroll- und Selbstbewertungsprozesse als auch Fremdkontroll- und Fremdbewertungsprozesse berücksichtigt werden.

Der Einsatz des Instruments zur Erfassung von Selbstkontrollkomponenten soll hier kurz dar-gestellt werden. Das entsprechende Kategoriensystem befindet sich im Anhang 6.

In der Lernpsychologie, der Kognitionspsychologie und der Pädagogik wird der Standpunkt vertreten, daß Fragen stellen und Fragen beantworten als zentrale theoretische Komponenten für Lernprozesse angesehen werden. Idealerweise sollten Lernende in der Lage sein, aktiv ih-ren Lernprozeß selbst zu regulieren und zu kontrollieren. Dies kann u.a. dadurch geschehen, daß Lerndefizite von ihnen erkannt und Informationen gesucht werden, die diese Lerndefizite ausgleichen können. Das Auffinden von Lerndefiziten kann u.a. durch Fragenstellen unterstützt werden. Somit können Fragen als zentraler Bestandteil von (Selbst-) Kontrollprozessen ver-standen werden. Entscheidend für die Kategorisierung ist die Intention der Fragen (s. Anhang).

Zur Analyse des Frageverhaltens steht ein adaptiertes Kategoriensystem nach GRAES-

SER/PERSON und NIEGEMANN zur Verfügung (GRAESSER/PERSON 1994; NIEGEMANN 1997).

Der Fokus liegt in dem vorliegenden Teilbereich der Untersuchung auf (Selbst-)Kontroll-prozessen des Individuums. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die unterschiedlichen Lehr-Lern-Arrangements SoLe und TraLe auf das Ausnutzen der Selbstkontrollmöglichkeiten durch Fragenstellen auswirkt.

5.5 Prozeßdaten der Computernutzung

Die TN der SoLe-Gruppe hatten Zugang zu einer intranet-basierten Lernumgebung. Dabei war ein Teilbereich die von Lehrern konstruierte Max-Weber-Büromöbelfabrik, eine Art virtuelle Unternehmung mit einem wirklichkeitsgetreuen Datenraum (in Word- und Excel-Dateien). Die Nutzung dieses Informationsangebotes mittels Textverarbeitung und Tabellenkalkulation kann über die Arbeitsfortschritte (Ausdrucke und Sicherungen am Ende einer Unterrichtseinheit)

Konkreter Unterricht ist eine inhaltliche und methodische Variation der durch die Handlungsmuster vor-

gegebenen Strukturen. Das Handlungsmuster kann mit einem Drehbuch verglichen werden. Die Realisierung bestimmter Hand-

lungsmuster im Unterricht ist dann jeweils eine der beliebig oft wiederholbaren Aufführungen der Insze-nierung (Meyer 1994{ XE "MEYER 1994" }, S. 127).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 14

nachvollzogen werden. Über die Nutzung der anderen von uns multimedial gestalteten Berei-che Mediothek, Kommunikationszentrum und Ausstellung (SEMBILL 1995c) zur Kreation und Konstruktion sowie Kommunikation und Kooperation liegen umfangreiche Protokolldateien vom WWW-Server vor. Ein Kategoriensystem zur Computernutzung ist momentan in der Entwicklung. Im nächsten Beantragungszeitraum soll die Kodierung erfolgen.

Die vorläufige Sichtung der Computerprotokolldateien ergab, daß sich die Schüler überwie-gend mit den Word- und Excel-Dateien beschäftigt haben, und daß die weiteren Bereiche (ins-besondere aus Zeitmangel) weniger genutzt wurden4. Für die weitere Analyse wird deshalb der Fokus auf der Analyse der Arbeit mit den als „cognitive tools“ (KOMMERS/ JONASSEN / MAYES 1992) zu verstehenden Anwendungsprogrammen und dem Datenraum der virtuellen Unter-nehmung liegen. In Verbindung mit der neuen Fragestellung nach der Inhaltssequenzierung im Unterrichtsprozeß (siehe Fortsetzungsantrag) werden mit dem zu entwickelnden Kodiersystem die Computerdateien und Arbeitsprotokolle ebenfalls einer Kodierung zugeführt.

Die Frage nach der Unterstützung der 9 Merkmalsbereiche und der 5 Ks (siehe Punkt 2.2) durch das System wird mit Hilfe der Kodierungen für die Computernutzung, der Inhaltsse-quenzierung und der Identifizierung der 9 Merkmalsbereiche nachgegangen (siehe auch SEM-

BILL / WOLF 1998). Weiterhin werden wir anhand der noch zu kodierenden Computernutzung mittels Interventionsanalyse überprüfen, inwieweit unterschiedliche Arten der Computernut-zung (sowohl bezüglich der Quantität als auch der Qualität) sich auf die MDE-Daten auswir-ken.

Zur Identifizierung von Selbstorganisationsprozessen (siehe Erstantrag) reicht das Datenmate-rial für die vorgeschlagenen Analyseverfahren (McLeod 1992, WOLF 1996, WOLF 1997, Tschacher / Schiepek 1997) nicht aus. Wir wollen dieser Fragestellung deshalb in einem eigen-ständigen Projekt mit einer kompletten Erhebung nachgehen (siehe SEMBILL / WOLF / SCHU-

MACHER 1997).

6. Ergebnisse

6.1 Produktdaten

Zur Einschätzung der Bedeutung der nachfolgend angeführten Ergebnisse ist auf die konserva-tive Überprüfungssituation bzgl. der Überlegenheitsannahme des SoLe-Arrangements hinzu-weisen: Die TraLe-Gruppe ist im Durchschnitt ca. zwei Jahre älter, zu über 90% hochschulzu-gangsberechtigt (vs. 43% der SoLe-Gruppe), signifikant intelligenter, verfügt über ein statis-tisch bedeutsam höheres Vorwissen über Materialwirtschaft und wird in der deutlich kleineren Klasse unterrichtet (SEMBILL 1996a{ XE "SEMBILL 1996" }; WUTTKE 1997{ XE "WUTTKE 1997" }).

6.1.1 Ergebnisse hinsichtlich der Gütekriterien ‘Lernzielorientierter Test’, ‘Wissen Materialwirtschaft’ und ‘Problemlösefähigkeit’

Die Ergebnisse (Tab. 2) zeigen für den lernzielorientierten Test und Wissen im Bereich Mate-rialwirtschaft, daß es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen gibt; sowohl SoLe- als auch TraLe-Schüler schneiden recht gut ab. Es ist also für die SoLe-Gruppe

4 In der zweiten Phase des SoLe-Unterrichts übernahm eine Gruppe die Funktion der sogenannten „Info

GmbH“. Diese nutzte explizit das gesamte Angebot der Lernumgebung und erstellte Informationsangebote nach Maßgabe von Fragestellungen der anderen Gruppen. Dabei fiel auf, daß die Mitglieder dieser Gruppe bei einer späteren Erfassung von MDE-Daten innerhalb eines TraLe-Settings ein besonders hohes Abfallen der Zeitreihenniveaus (= Verschlechterung) erlebten. Dies könnte auf gewisse Effekte der computergestütz-ten Lernumgebung hinweisen.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 15

durchaus möglich, traditionelle Tests mit gleichem Erfolg zu absolvieren wie die TraLe-Gruppe. Dieses Ergebnis ist v.a. wegen der Vorwissensunterschiede (s.o.) interessant.

Test SoLe (n=21) TraLe (n=14) t-Wert p

M (S) M (S)

LOT 4.5238 (1,167) 4.4286 (1,222) .23 .818

Wissen Materialwirtschaft 6,86 (2,06) 6,64 (2,62) .271 .788

Tab. 2: Mittelwertsunterschiede der Gruppen SoLe und TraLe bei einem lernzielorientierten Test und einem Wissenstest im Bereich Materialwirtschaft.

Das entscheidende Gütekriterium ist die Problemlösefähigkeit. Bei einem eigens für den Be-reich Materialwirtschaft entwickelten komplexen Problem (WOLF 1994 in WUTTKE/SANTJER

1996, s. Anhang) sieht das im Vergleich zu der traditionell unterrichteten Klasse wie folgt aus: Gemessen an formalen Eigenschaften einer Problemlösung (Ist, Soll, Maßnahmen, Hand-lungskontrolle und dem Gesamtwert ‘Analytischer Idealtypus’ - AITG) und an der fachinhalt-lichen (qualitativen) Problemlösegüte (deklaratives Wissen, Wissensvernetzung, logische Nachvollziehbarkeit, durchschnittlicher Begründungsgrad, Alternativen der Prozedurenwahl, Handlungsentscheidungen und Erfolgsaussicht der Maßnahmen)5 zeigt sich die SoLe-Gruppe deutlich - in 3 von 5 formalen und 4 von 7 qualitativen Aspekten überlegen (Tab. 3). Es findet sich für die TraLe-Gruppe kein statistisch oder praktisch bedeutsamer Vorteil. Die Überprü-fungen fanden im übrigen ca. 7 Wochen nach Beendigung der jeweiligen Lehrgänge statt. Da-durch sollten Scheineffekte unmittelbar nach Beendigung eines Treatments vermieden und nur stabile Fähigkeitszuwächse nachgewiesen werden.

Materialwirtschaft SoLe (n=21) Trale (n=14) U p t p/ω2

M (S) M (S)

Maßnahmen

Handlungskontrolle

AITG

1.71

1.81

6.85

(1.49)

(1.47)

(3.54)

.086

0.50

4.67

(.095)

(0.76)

(3.10)

94.0

59.5

91.0

.077

.002

.061

1.91

3.45

1.88

.065/.070

.020/.238

.070/.068

Deklaratives Wissen

Wissensvernetzung

Logik

Erfolgsaussicht

3.43

3.57

3.00

2.67

(0.75)

(1.83)

(1.30)

(1.32)

2.79

2.50

2.07

1.71

(0.80)

(1.35)

(1.27)

(0.99)

89.5

100

92.0

86.5

.052

.118

.066

.041

2.42

1.87

2.09

2.30

.021/.122

.070/0.67

.045/.088

.028/.109

Tab. 3: Bedeutsame Mittelwertunterschiede zwischen SoLe und TraLe bei einem fachspezifischen, komple-xen Problem (Materialwirtschaft); Mann-Whitney-Test: U/p; zweiseitiger t-test: t/p; praktische Be-deutsamkeit nach Hays und Bredenkamp: ω2; (vgl. SEMBILL 1996a { XE "SEMBILL 1996" ;}; WUTTKE 1996{ XE "WUTTKE 1996" }; ZIEGLER 1996, S. 175{ XE "ZIEGLER 1996" }).

Ähnlich - und das ist hinsichtlich der Erkenntnisse aus der Transferforschung überraschend - sieht der Vergleich der Bearbeitung des allgemeinen, komplexen Problems (WUTTKE/SANTJER

1996, s. Anhang 1) aus (Sembill 1996a).

5 Eine ausführliche Darstellung der Analyse komplexer Probleme und die komplette Operationalisierung

findet sich bei SEMBILL 1992b und bei WUTTKE/SANTJER 1996.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 16

6.1.2 Ergebnisse im Bereich Lernstrategien

Zur Erfassung der Lernstrategien wird eine für Schüler adaptierte Version des LIST (Lernstra-tegien im Studium; WILD/SCHIEFELE/WINTELER 1992) vor und nach der Materialwirtschafts-einheit eingesetzt. Der Fragebogen erfaßt kognitive Strategien (Organisation, kritisches Prüfen, Zusammenhänge herstellen), metakognitive Strategien (Lernen planen, auf Schwierigkeiten einstellen, Lernen überprüfen) und Strategien des Ressourcenmanagements (Zeitmanagement, Konzentration, Gestaltung der Lernumgebung, Lernen mit Mitschülern, Literatur zur Hilfe nehmen).

T-Tests für unabhängige Stichproben zeigen für die SoLe- und die TraLe-Gruppe zu Beginn der Untersuchung bzgl. keiner der Strategien signifikante Unterschiede.

Um Treatmenteffekte, Zeiteffekte und Wechselwirkungseffekte zu überprüfen, werden 2x2-faktorielle Varianzanalysen mit Meßwiederholung gerechnet. Grundsätzlich zeigen sich zwar bei der SoLe-Gruppe im Vergleich zur TraLe-Gruppe nach dem Treatment höhere Mittelwer-te, diese Effekte sind aber nur bei wenigen Subskalen signifikant.

In einem zweiten Analyseschritt werden Kovariaten mit einbezogen, die im Zusammenhang mit Lernstrategien als relevant diskutiert werden, wobei hier das Ergebnis für die Kovariate ‘Furcht vor Mißerfolg’ (wichtig z.B. für die potentielle Verhinderung von Tiefenverarbeitungs-strategien) dargestellt wird:

Subskala des LIST Treatmenteffekt Zeiteffekt Wechselwirkung Treatment x Zeit

F Sign. of F F Sign. of F F Sign. of F

Organisation 8.76 .006 .25 .621 2.24 .114

Kritisches Prüfen .55 .465 .48 .494 2.96 .095

Zusammenhänge herstel-len

4.20 .049 .38 .540 12.88 .001

Lernen planen 10.80 .002 .07 .800 .54 .467

Auf Schwierigkeiten einstellen

5.36 .027 2.06 .160 .20 .655

Lernen überprüfen .834 .007 .11 .744 .33 .568

Zeitmanagement 3.48 .071 1.29 .265 1.03 .317

Konzentration 2.00 .167 2.85 .101 .84 .366

Gestaltung der Lernum-gebung

8.33 .007 7.35 .011 5.37 .027

Lernen mit Mitschülern .10 .756 3.24 .081 1.10 .301

Literatur .01 .911 5.31 .028 5.31 .028

SoLe: n = 21; TraLe: n = 14

Tab. 4: Treatment-, Zeit- und Wechselwirkungseffekte bei den Lernstrategieskalen.

Besonders relevant in Tabelle 4 sind die Wechselwirkungseffekte Treatment x Zeit, wobei alle Effekte zugunsten der SoLe-Gruppe zu interpretieren sind, d.h.: Es haben sich pro SoLe ent-weder zwischen den Gruppen Differenzen gebildet oder bestehende vergrößert. Hervorzuhe-ben ist die Entwicklung der Werte der Strategie ‘Zusammenhänge herstellen’ und die Effekte beim Ressourcenmanagement (‘Gestaltung der Lernumgebung’ und Verwendung zusätzlicher ‘Literatur’), aber auch die Werte für ‘Kritisches Prüfen’ und ‘Organisation’ sind statistisch relevant (F größer 2; s. LINHART 1987), so daß den kognitiven Strategien insgesamt eine große Bedeutung zu kommt (Eine ausführliche Analyse der Lernstrategien, v.a. auch in Verbindung mit Motivationsausprägungen, ist bei WUTTKE (1998) zu finden).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 17

6.1.3 Ergebnisse im Bereich Selbstorganisiertes Lernen und Motivation

Geprüft mit einer 2x2-faktoriellen Varianzanalyse ergibt sich für die Subskala ‘Motivation’ des Arbeitsverhaltensinventars (AVI, s. Anhang) nur ein Zeiteffekt (p=.000), d.h.: Für die SoLe- und die TraLe-Gruppe steigt die Motivation, was nur für die SoLe-Gruppe erwartet wurde. Der Anstieg in der TraLe-Gruppe ist möglicherweise mit einem Lehrerwechsel (vor dem Lehr-gang) zu erklären: Auch in der TraLe-Gruppe wurde nicht mehr streng traditionell unterrichtet, d.h. auch dort wurden Fallstudien eingesetzt, Gruppenarbeitsphasen eingeschoben und den Lernenden ein gewisses Maß an Eigenständigkeit gewährt. Dagegen ist für die - inhaltsspezi-fisch erfaßte - ‘Autonomieunterstützung’ (PRENZEL 1994, s. Anhang) zwischen beiden Grup-pen ein signifikanter Unterschied in der Ausgangserhebung zugunsten der SoLe-Gruppe fest-zustellen (p=.001), der theoriekonform gemäß der Selbstbestimmungstheorie von DECI/RYAN (1993) und unseren didaktischen Gestaltungsüberlegungen zu interpretieren ist.

6.1.4 Selbstorganisiertes Lernen und Emotionale Befindlichkeit

Da bei der theoretischen Konzeptionierung der selbstorganisationsoffenen Lernumgebung Be-funde aus der Motivations- und Emotionsforschung berücksichtigt wurden, wird davon ausge-gangen, daß sich Selbstorganisiertes Lernen positiv auf die Emotionale Befindlichkeit der Ler-ner auswirkt.

Emotionale Befindlichkeit beschreibt den situationsspezifischen emotional-motivational ge-prägten Erlebenszustand eines Individuums. Entsprechend wurden zur Überprüfung der formu-lierten Annahme die erhobenen Prozeßitems zum emotionalen bzw. motivationalen Momentan-status und korrespondierende Fragebogendaten untersucht. An dieser Stelle wird ein Ergebnis auf Produktdatenebene berichtet (Prozeßdaten s. Punkt 6.2).

Es läßt sich ein Effekt Selbstorganisierten Lernens auf „Furcht vor Mißerfolg“ sensu HECK-

HAUSEN (1963) feststellen. Bildet man die Differenz zwischen Ausgangs- und Eingangserhe-bung für die Skala „Furcht vor Mißerfolg“ - positive Werte indizieren eine Zunahme, negative eine Abnahme der Furcht vor Mißerfolg -, dann zeigt sich, daß die Lerner in der SoLe-Gruppe im Mittel eine geringfügige Abnahme in ihrer Furcht vor Mißerfolg zeigen, die Lerner der Tra-Le-Gruppe weisen hingegen eine Zunahme auf.

Mean Std. dev. t p

Veränderung in „Furcht vor Mißerfolg“

(FM)

SoLe (n=21)

TraLe (n=14)

-0.52

1.07

2.18

1.82

-2.260

0.016

Tab. 5: t-Test für unabhängige Stichproben (AV: Veränderung in FM, UV: Treatment)

Tabelle 5 ist zu entnehmen, daß die Differenzmittelwerte sich signifikant unterscheiden. Wobei die SoLe-Gruppe in der Eingangserhebung im Mittel höhere Werte in „Furcht vor Mißerfolg“ aufweist; in der Ausgangserhebung zeigen sich keine bedeutsamen Mittelwertsunterschiede zwischen beiden Klassen. Die Abnahme in der SoLe-Gruppe ist vor allem erstaunlich, weil zum Schluß des Schuljahres die anstehenden Prüfungen die Versagensängste eher aktualisieren und verstärken, was sich für die TraLe-Gruppe auch zeigt.

6.2 Prozeßdaten

6.2.1 Subjektive Erlebensdaten (MDE)

Von besonderer Wichtigkeit im Rahmen unseres Projektes war die Prozeßmessung von fünf unterschiedlichen Statevariablen, die internale und externale Aspekte eines subjektiven emoti-onalen, motivationalen und kognitiven Erlebens erfassen (s.o., Abbildung 4).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 18

Mittels dieser Statevariablen wollen wir sowohl inter-individuelle als auch intra-individuelle Zusammenhänge in dynamischen Prozessen analysieren. Dabei ist die Messung von Zeitreihen ein erster Schritt hin zu dynamischen Modellierungen der betrachteten – zweifellos sehr kom-plexen – Systeme.

Die Analyse und Interpretation von Zeitreihendaten erreicht dabei leicht einen Umfang, der einen solchen Bericht sprengt. Wir können deshalb hier nur sehr ausschnittsweise einige Er-gebnisse präsentieren. Eine vollständige Darstellung der Hauptanalyserichtungen sowie der ersten Ergebnisse findet sich in der Anlage Z.

6.2.1.1 Fragestellungen

- Gibt es unterschiedliche oder ähnliche Verläufe von Zeitreihen bei verschiedenen Schülern? Falls diese sich unterscheiden sollten, interessiert uns, wie sie sich unterscheiden.

- Inwieweit hat das Treatment (SoLe/TraLe) Auswirkung auf die Items?

- Beeinflussen sich die erfaßten kognitiven, emotionalen und motivationalen Items wechselsei-tig? Falls ja, in welcher Weise?

6.2.1.2 Modellierung des Wirkungszusammenhangs

Für den Wirkungszusammenhang der gemessenen Statevariablen konnten wir ex-ante nur ein grobes Modell formulieren. Dabei lag die Annahme nahe, daß die beiden externalen, in der Wahrnehmung nach außen gerichteten State-Variablen nicht direkt durch die internalen Vari-ablen beeinflußt werden (siehe Anlage Z).

6.2.1.3 Ergebnisse

Neben den Individualdaten liegen Aggregationen auf (Arbeits-)Gruppenebene (nur für SoLe) sowie Klassenebene (SoLe und TraLe) vor.

6.2.1.3.1 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Individualebene

Deskription

Die gesamten Plots für die TN finden sich im Anhang (Anhang Z). Hier erfolgt nur eine Ge-genüberstellung der Verläufe von TN 7 und TN 12 für das Item „Kann mitgestalten“:

SoLe TN 7 SoLe TN 12

Kann mitges-talten

UE1 UE2 UE3 UE4 UE5 UE6t

1

2

3

4mitgestalten 8Sole: TN 7<

UE1 UE2 UE3 UE4 UE5 UE6t

1

2

3

4mitgestalten 8Sole: TN 12<

Abb. 5: Zeitreihenverläufe von TN 7 und TN 12 aus der Experimentalklasse (SoLe-Gruppe). (Es handelt

sich hier um Plots der Rohdaten. Die Skalenwerte (- -,-,+, ++) wurde den Werten 1 - 4 zugeordnet. Der Wert 0 gibt einen missing value an)

Beide TN weisen fast identische Mittelwerte in allen fünf Zeitreihenverläufen auf. Die Varianz bei TN 7 ist jedoch ungefähr doppelt so hoch. In den Produktdaten unterscheiden sich die Schüler deutlich (siehe Tabelle 6). Variablen Wert TN7 Wert TN12 Mean Range

Motiviertheit 39 23 22,190 15-41

Furcht vor Mißerfolg 10 18 10,176 8-18

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 19

Hoffnung auf Erfolg 19 9 17 9-24

Selbstwirksamkeit 73 49 59,286 47-73

Subjektive Problemlösefähigkeit (Fragebo-gen)

107 84 83,619 61-108

Objektive Problemlösefähigkeit (Problem-stellung Materialwirtschaft)

15,63 5,41 6,853 1,49-15,63

Tab. 6: Werte der Teilnehmer 7 und 12, Gruppenmittelwerte und Range ausgewählter Variablen.

Zur näheren Analyse wurde die relative Wechselhäufigkeit (wie häufig gibt es eine Änderung im Wert der Statevariable relativ zu allen Meßzeitpunkten = wie wahrscheinlich ist eine Ände-rung?) und die durchschnittliche Wechselstärke (wie groß ist eine Änderung durchschnittlich?) innerhalb der Klassen berechnet (siehe Abbildung 6). Deutlich zeigt sich hier, daß bei der So-Le-Gruppe häufiger gewechselt wird als in der TraLe-Gruppe, und daß bei beiden Gruppen die Wechselhäufigkeiten bei den motivationalen Items häufiger sind. Wenn in der TraLe-Gruppe der State gewechselt wird, ist die Wechselstärke deutlich höher. Dies weist auf abruptere Ü-bergänge in der TraLe-Gruppe hin, was möglicherweise ein Effekt der größeren Fremdsteue-rung durch den Lehrer sein könnte. Die höhere Wechselstärke der TraLe-Gruppe kompensiert jedoch nicht die deutlich höhere Wechselhäufigkeit. Die Standardabweichung der SoLe-Gruppe liegt bei allen Items (bis auf Item "Ich verstehe, worum es geht") über den Werten der TraLe-Gruppe. Die TN der SoLe-Gruppe unterliegen also in ihrem Erleben größeren Schwankungen als die TN der TraLe-Gruppe.

Ernst Gut VRSTH Int Mit

0.05

0.1

0.15

0.2

Relative Wechselhäufigkeit für Sole & Trale

Ernst Gut VRSTH Int Mit

0.2

0.4

0.6

0.8

1

1.2

1.4Durchschnittliche Wechselstärke für Sole & Trale

Abb. 6: Über die TN aggregierte relative Wechselhäufigkeiten (Anzahl Statewechsel/Anzahl Meßpunkte)

und durchschnittliche Wechselstärke (Summe aller Statewechselbeträge / Anzahl Statewechsel) für alle Items in der SoLe- und der TraLe-Gruppe (rot = SoLe; blau = TraLe).

Bei der Aufbereitung der Daten fielen zwischen den Gruppen deutliche Unterschiede in den Fehlzeiten der TN auf (siehe Abbildung 7):

1 2 3 4 5 6 7 8 9 101112131415161718192021

0.1

0.2

0.3

0.4

Sole H21TN: rotL ê Trale H14TN: blauL

Abb. 7: Missingquoten SoLe (rot, 21 TN) und TraLe (blau, 14 TN) nach Größe sortiert

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 20

Die Fehlquoten sind für TraLe ungefähr viermal so hoch wie für SoLe. Diese Fehlquoten ent-standen dabei im TraLe-Unterricht fast ausschließlich nur durch Abwesenheit der Schüler. Die-ses Ergebnis deckt sich durchaus mit Erkenntnissen aus der Arbeitsorganisation, wo die Fehl-zeiten durch die Einführung von eigenverantwortlicher Gruppenarbeit (z.B. Kanban-Organisation) gesenkt werden konnten.

Aus technischen Gründen war es uns nicht möglich, vor der SoLe-Untersuchung in der SoLe-Klasse unter TraLe-Bedingungen eine Baseline zu erheben. Allerdings haben wir im nächsten Schuljahr in der Experimentalklasse unter TraLe-Bedinungen (beim selben Lehrer) Zeitreihen-Daten erhoben. Die Zeitreihen sind jedoch sehr kurz (16 Zeitpunkte), deshalb sollen sie im folgenden nur zur Illustration dienen.

Ernst Gut Verstehe Interesse Mitgestalten é 5,26% 5,26% 0% 5,26% 0% ì 26,3% 21% 26,3% 26,3% 5,23% è 36,84% 15,79% 21% 26,3% 15,79% î 21% 36,84% 26,3% 26,3% 31,58% ê 10,52% 21% 26,3% 21% 47,37%

Tab. 7: Veränderung des Mittelwertes vom SoLe-Treatment zum SoLe-TN in TraLe-Treatment gesamt (19 TN).

ê Der Mittelwert des TN ist im TraLe-Setting über eine Standardabweichung niedriger als im Sole-Setting

î Der Mittelwert des TN ist im TraLe-Setting mehr als 0,1 Skalenpunkte aber weniger als eine Standardabweichung niedriger als im SoLe-Setting

è Der Mittelwert des TN ist im TraLe-Setting nicht niedriger oder höher als im SoLe-Setting (+/- 0,1 Skalenpunkte)

ì Der Mittelwert des TN ist im TraLe-Setting mehr als 0,1 Skalenpunkte aber weniger als eine Standardabweichung höher als im SoLe-Setting

é Der Mittelwert des TN ist im TraLe-Setting über eine Standardabweichung höher als im SoLe-Setting

Als Standardabweichung wird die Standardabweichung der Zeitreihe im SoLe-Setting zugrunde gelegt, da diese (a) zumeist größer ist und (b) über 216 Meßzeitpunkte bestimmt wurde.

Wenn man - unter Berücksichtigung der unzureichenden Datenbasis - vorsichtig Aussagen machen möchte, so fällt auf, daß das TraLe-Setting häufiger zu extremen Verschlechterungen der Werte führte. Weiterhin spiegelt das Ergebnis die Unterschiede im Mittelwert zwischen der Kontroll- und der Experimentalklasse wider:

Die motivationalen Items (Interesse, Mitgestalten) sowie das kognitive Item (Verstehe) sind für die SoLe-Schüler im TraLe-Setting niedriger, was sich durchaus mit dem Vergleich der Means zwischen der SoLe- und TraLe-Gruppe deckt. Das Absinken des emotionalen Items „Fühle mich gut“ relativiert die höhere Ausprägung dieses Items in der Kontrollklasse und könnte unter Umständen eher auf einen zusätzlichen Lehrereffekt (s.o. Punkt 6.1.3) in der Kontrollklasse hinweisen als auf einen Treatment-Effekt. Zur weiteren Untersuchung des Treatment-Effektes haben wir im Fortsetzungsantrag ein A-B-A-Design gewählt.

Analyse auf Periodizität

Folgend sind exemplarisch die durchschnittlichen Stundenverläufe für die Items G = „Ich fühle mich gut“, V = „Verstehe, worum es geht“ und I = „Bin interessiert“ für TN 7 und TN 12 aus der SoLe-Gruppe dargestellt (eine komplette Darstellung für alle TN beider Gruppen findet sich in Anhang Z). Dazu wurden jeweils die Werte über die einzelnen Meßzeitpunkte innerhalb der Stunden aggregiert, d.h., daß die Abbildungen jeweils den gemessenen Durchschnittswert um 8.10 Uhr, 8.15 Uhr, 8.20 Uhr etc. anzeigen. Die Frage ist dabei, ob es Stundeneffekte (Un-terrichtseffekte) bei den Verläufen der Schüler gibt. Diese zeigen sich sehr deutlich, wobei wiederum intra- und interindividuelle Unterschiede entstehen (Unterschiede SoLe vs. TraLe siehe Punkt 6.2.1.3.3).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 21

Gerade diese Unterschiedlichkeit in den Verläufen weist auf die Wichtigkeit der von uns ge-planten weiteren Einzelfallanalyse hin. Durch die Aggregation über die TN hinweg (siehe un-ten Zusammenhang mehrerer Systemkomponenten auf Klassenebene) wird man nur globale Effekte und Wirkungszusammenhänge identifizieren können, Aussagen über verschiedene Ty-pen oder Individuen erlauben sie jedoch nicht. Solche Analysen brauchen wir jedoch für die Entwicklung von differenzierten Handlungsempfehlungen.

„Fühle mich gut“ „Verstehe, worum es geht“ „Bin interessiert“

TN

7

G M

arc

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE

TN

12 2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE

V S

teff

en

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

0 5 10 15 20 25 30 35

t in UE Abb. 8: Durchschnittliche Stundenverläufe für TN 7 und TN 12 der SoLe-Gruppe für die Items G = „Fühle

mich gut“, V = „Verstehe, worum es geht“ und I = „Bin interessiert“ (Länge der Unterrichtseinheit = 36 Meßzeitpunkte; rote Kurve = Mean, grüne Kurve = einzelne Durchschnittswerte (Spline mit l = 0,01), blaue Kurve = Glättung (Spline mit λ = 100)).

6.2.1.3.2 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Gruppenebene

Bei der Analyse der SoLe-Klasse interessiert uns insbesondere die Gruppenebene, da wir in der Gruppenarbeit eine höhere Kohärenz der Lernsituation als in der Gesamtgruppe erwarten. Allerdings zeigen die Transkriptionen, daß z.B. die Gruppe 4 (TN 7) eine weitaus höheren Grad der Arbeitsteilung als die Gruppe 2 (TN 12) umgesetzt hat (die Analyse der Effekte der Arbeitsorganisation innerhalb der Gruppen auf den Lernerfolg erfolgen im nächsten Beantra-gungszeitraum), so daß auch hier die einzelnen TN wiederum sehr unterschiedlichen (Lern-)aktivitäten nachgegangen sind und somit für die Analysen teilweise eine weitere Sub-Gruppierung (= Paare) und die oben angesprochene individuelle Analyse notwendig ist. Diese Analyse wird momentan noch durchgeführt, erste Ergebnisse werden bis Ende des Jahres erwartet.

6.2.1.3.3 Analyse einzelner Prozeßvariablen auf Klassenebene (SoLe und TraLe)

Deskription

Folgend wird beispielhaft die aggregierte Zeitreihe des Items „Kann mitgestalten“ dargestellt und kommentiert (siehe Anlage Z für eine Darstellung aller Items für beide Gruppen). Bezüg-lich der Problematik aggregierter Zeitreihen siehe SCHMITZ 1989. Dennoch haben wir die ag-gregierten Zeitreihen als einen ersten Zugang zu zeitreihenanalytischen Verfahren gewählt, da die aggregierten Zeitreihen leichter an die Voraussetzungen für klassische, lineare Zeitreihen-verfahren (insbesondere Stationarität und Gleichverteilung) anzupassen sind (durch Eliminie-rung des Trends und der Periodizität).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 22

T Mitgestalten By tT

Mitg

est

alte

n

1,8

1,9

2,0

2,1

2,2

2,3

2,4

2,5

2,6

2,7

2,8

2,9

3,0

3,1

3,2

0 50 100 150 200

t

Abb. 9: Aggregierter Verlauf des Items „Kann mitgestalten“ in der TraLe-Gruppe (rote Kurve = lineare

Regressionsgerade (UV=t), grüne Kurve = Verlauf der aggregierten Zeitreihe, blaue Kurve = Trendverlauf (lokale Anpassung durch Spline mit λ = 10000)).

S Mitgestalten By t

S M

itge

sta

lten

2

3

0 50 100 150 200

t

Abb. 10: Aggregierter Verlauf des Items „Kann mitgestalten“ in der SoLe-Gruppe

Beim Verlauf des Items „Kann mitgestalten“ zeichnet sich für die SoLe-Gruppe deutlich der Unterrichtsverlauf ab (Kreis 1: Zusammenfassung der eigenen Arbeitsschritte in der ersten Phase (hoch); Kreis 2: Zusammenfassung durch den Lehrer (niedrig); Ellipse: Bearbeitung der Problemstellung (hoch); Kreis 3: Präsentation der Ergebnisse (niedrig)).

Während sich beim TraLe-Unterricht selbst die Maximalwerte bis auf zwei Ausnahmen immer unter dem Niveau 3 bewegen, ergibt sich in der autonomen Phase im SoLe-Treatment ein Mit-telwert von ca. 3,1. Die Spitzenwerte bewegen sich bis auf 3,4.

Für die TraLe-Gruppe gilt es zu analysieren, welche Inhalte und welche Methoden zu dem Spitzenwert anfangs der 7 UE (Kasten, t = 113) geführt hat. In diesem Zusammenhang wird man auch den Effekt der Osterferien (zwischen 6. und 7. UE) untersuchen müssen.

Insgesamt geben die Verläufe Hinweise auf potentiell interessante Phasen im Unterricht, die dann einer genauen Videoanalyse zugeführt werden müssen. Als positive Überraschung kann die recht feine Abbildung von Unterrichtsphasen auf diesem hoch-aggregierten Niveau gewer-tet werden. Für die SoLe-Gruppe werden wir diese Analyse auf Gruppenebene fortsetzen, in dem Vergleich der SoLe- und TraLe-Gruppen werden wir Subgruppen anhand der Produktda-ten (z.B. Furcht vor Mißerfolg) bilden.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 23

Die Mittelwerte der Zeitreihen (siehe Tabelle 8) sind wegen der internen Abhängigkeit der Zeitreihen nicht per U-Test vergleichbar, eine differentielle Prozeßanalyse bestätigt jedoch ei-nen signifikanten Unterschied zwischen den Treatments für die Items Gut, Interesse und Mit-gestalten (*). Bei den Standardabweichungen zeigt sich beim Item SoLe Mitgestalten deutlich der Effekt der zweigipfligen Verteilung (= unterschiedliche Phasen).

Mittelwert SoLe Mittelwert TraLe Std.dev. SoLe Std.dev. TraLe

Ernst 2,7157 2,7921 0,1675 0,1517

Gut 2,6687 2,8141 * 0,1907 0,1984

Verstehe 3,0424 2,9267 0,1643 0,1766

Interesse 2,8377 * 2,5849 0,1980 0,1809

Mitgestalten 2,7463 * 2,4655 0,4078 0,2362

Tab. 8: Mittelwerte und Standardabweichungen der aggregierten Zeitreihen für die SoLe- und TraLe-Gruppe

Trendanalyse

Gerade bei einem solch komplexen Prozeß wie Unterricht kann man nicht davon ausgehen, einen stationären Prozeß (= keine Änderung von Mittelwert und Varianz über den Prozeß) vorzufinden. Auch ist es unwahrscheinlich, die Zeitreihe mit einem globalen linearen Trend adäquat beschreiben zu können. Wir nutzen deshalb Splines zur lokalen Trendanpassung (WEGMAN / WRIGHT 1983). Diese niederfrequenten Verläufe können im weiteren Verlaufe einer klassischen (ARIMA-)Zeitreihenanalyse wegen ihrer hohen internen Abhängigkeit nicht weiter berücksichtigt werden.

Es soll aber darauf hingewiesen werden, daß für eine pädagogisch fokussierte Analyse uns auch gerade diese Verläufe und Wirkungszusammenhänge interessieren.

SoLe TraLe

2,1

2,2

2,3

2,4

2,5

2,6

2,7

2,8

2,9

3,0

3,1

3,2

3,3

0 50 100 150 200

2,1

2,2

2,3

2,4

2,5

2,6

2,7

2,8

2,9

3,0

3,1

3,2

3,3

0 50 100 150 200

Abb. 11: Verläufe der lokalen Trends der SoLe- und der TraLe-Gruppe (rot = „Fühle mich ernstgenom-men“; grün = „Fühle mich gut“; blau = „Verstehe, worum es geht“; orange = „Bin interessiert“; türkis = „Kann mitgestalten“) .

Besonders augenfällig ist der unterschiedliche Verlauf der Variable „Kann mitgestal-ten“(türkis) zwischen beiden Gruppen (siehe auch Anlage Z).

Analyse auf Periodizität

Auch in den auf Klassenebene aggregierten Daten konnten wir deutliche periodische Stunden-effekte feststellen (zur genauen Analyse insbesondere durch Spektralanalyse siehe Anlage Z). Dabei ergaben sich für die SoLe-Gruppe, die in 4-Stunden Blöcken unterrichtet wurde, zwei

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 24

überlagernde periodische Effekte (18 Meßzeitpunkte = 2 Unterrichtsstunden, 36 Meßzeitpunk-te = 4 Stunden UE-Block).

Folgend sind die durchschnittlichen periodischen Effekte (CHATFIELD 1989, S.18) für die Items „Kann mitgestalten“ und „Fühle mich gut“ dargestellt (man berücksichtige die unterschiedliche Skalierung):

SoLe (2hEffekt) SoLe (UE Effekt) TraLe (UE Effekt)

Kann mitges-talten

2.5 5 7.5 10 12.5 15 17.5

-0.25

-0.2

-0.15

-0.1

-0.05

0.05

0.1

5 10 15 20 25 30 35

-0.5

-0.4

-0.3

-0.2

-0.1

0.1

0.2

2.5 5 7.5 10 12.5 15

-0.1

-0.05

0.05

0.1

Fühle mich gut

2.5 5 7.5 10 12.5 15 17.5

-0.05

0.05

0.1

5 10 15 20 25 30 35

-0.2

-0.1

0.1

0.2

2.5 5 7.5 10 12.5 15

-0.1

-0.05

0.05

0.1

0.15

0.2

Abb. 12: Durchschnittliche periodische Effekte über zwei Unterrichtsstunden (18 bzw. 16 Meßzeitpunkte) in

der SoLe- und TraLe-Gruppe bzw. vier Unterrichtsstunden (36 Meßzeitpunkte) in der SoLe-Gruppe (Abbildungen mit unterschiedlichen Skalierungen).

Man kann sehr deutlich sehen, daß es bei beiden Gruppen einen ausgeprägten Stundeneffekt gibt mit einem niedrigen Eingangswert und einem hohen Ausgangswert. Insbesondere der Ausgangswert kann als Artefakt der Antizipation der Pause bzw. Schulendes verstanden wer-den (siehe dazu das Ansteigen von „Kann mitgestalten“ in der TraLe-Gruppe) Dabei sind die Ausprägungen für die unterschiedlichen Items durchaus verschieden.

Insgesamt zeigt sich, daß der Anfangsstundeneffekt in der SoLe-Klasse größer ist als in der TraLe. Dies läßt sich leicht dadurch erklären, daß der Lehrer nicht wie in der TraLe-Klasse sofort die Unterrichtsgestaltung übernimmt, sondern daß die Schüler selber in eine Lern- und Arbeitsstimmung finden müssen. Dies muß sich - insbesondere bei den motivationalen Items - aber nicht negativ auf die durchschnittliche Höhe der Ausprägung auswirken. Außerdem stellt sich hier die Frage nach der Wertigkeit z.B. selber erzeugten Interesses (SoLe-Gruppe) vs. tendenziell induzierten Interesses (TraLe-Gruppe).

Weiterhin zeigt sich ein ausgeprägter Stundenendeffekt (bei den Gruppen). Dabei muß noch geprüft werden, ob dieser Effekt andere Wirkungszusammenhänge maskiert. Wenn man z.B. den Endeffekt beim Item „Fühle mich gut“ in der TraLe-Gruppe betrachtet, so kann man davon ausgehen, daß dieses Gutfühlen (nach der Stunde ist die Schule aus) weitgehend von den Handlungen des Lehrenden abgekoppelt ist.

Anschließend wurden die saisonale Komponenten aus beiden Zeitreihen eliminiert .

Autokorrelation und ARMA-Modellierung

Nachdem von den Zeitreihendaten der periodische Anteil und der Trend-Anteil herausgefiltert worden ist, bleibt von einer stationären Zeitreihe der hochfrequenten Anteile der ursprüngli-chen Zeitreihe übrig. Diese kurzfristigen Zusammenhänge wurden mittels ARMA-Modellen analysiert (siehe BOX / JENKINS 1976; SCHMITZ 1987; CHATMAN 1989; WEI 1994; siehe auch Anlage Z zur Erläuterung des theoretischen Hintergrundes).

Zur Bestimmung der Modelle werden dabei zuerst Autokorrelationen und Partialautokorrelati-onen gerechnet. Interpretiert man die Partialautokorrelationen als Stabilitätsmaß, so zeigt sich das Interesse und das Mitgestalten in der SoLe-Gruppe als deutlich stabiler als in der TraLe-Gruppe, wohingegen das Gutfühlen in der TraLe-Gruppe stabiler ist. Die negativen Autoparti-

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 25

alkorrelationen in der SoLe-Gruppe bei Item „Verstehe, worum es geht“ und Item „Kann mit-gestalten“ weisen auf ein schwaches „Schwingen“ hin, dies könnten Konzentrations- oder Aufmerksamkeitseffekte sein. Dies muß in einer Individualanalyse noch überprüft werden.

Zur Darstellung der identifizierten Modelle und deren Interpretation siehe Anlage Z.

Divisive Prozeßanalyse (DPA nach SCHMITZ)

Bei der Betrachtung des Trends hat sich bereits augenscheinlich gezeigt, daß es Phasen im Prozeßverlauf gibt, daß er also nicht in sich homogen ist. So zeigt sich z.B. beim Item „Kann mitgestalten“ für die SoLe-Gruppe ein extremes Abfallen in UE6 (Präsentation und Notenbe-sprechung), was als Bestätigung der Validität der Daten angesehen werden kann. Diese Inho-mogenität des Prozeßverlaufes ist unseren Erkenntnissen nach kennzeichnend für Unterrichts-prozesse. Mittels der divisiven Prozeßanalyse nach SCHMITZ (1983) soll der Frage nachgegan-gen werden, ob die Prozesse kriteriengestützt in Phasen zerlegt werden können.

Dazu wird das Verfahren in explorativer Form verwendet. Dabei erscheinen Segmentierungen insbesondere dann verläßlich, wenn sich bei Vorgabe von unterschiedlichen Segmentzahlen übereinstimmende Phasengrenzen ergeben. Bei der divisiven Prozeßanalyse wird dabei ver-sucht, die Varianz innerhalb der Phasen möglichst klein und die Varianz zwischen den Phasen möglichst groß zu halten. Folgend sind beispielhaft die Prozeßzerlegungen für das Item „Kann mitgestalten“ dargestellt.

SoLe TraLe

Mitgestalten

(2 Phasen)

50 100 150 200

2.2

2.4

2.6

2.8

3

3.2

3.4

50 100 150 200

1.8

2.2

2.4

2.6

2.8

3

Mitgestalten

(4 Phasen)

20 40 60 80 100

4.5

5

5.5

6

6.5

20 40 60 80 100

4.5

5

5.5

6

Abb. 13: Divisive Prozeßanalyse der aggregierten Zeitreihen der SoLe- und TraLe-Gruppe

Die Zeitreihen sind bereinigt (= Periodizität wurde eliminert). Für die Analyse mit 4 Phasen wurden die Zeitreihen vorher aggregiert (jeweils zwei Nachbarpunkte), deshalb halbiert sich die Anzahl der Meßpunkte (von 216 auf 108 bzw. von 208 auf 104) und verdoppeln sich die Werte. In der nächsten Version unserer DPA-Mathematica-Package werden diese Darstel-lungsprobleme korrigiert. Die Struktur ist jedoch die gleiche.

Generell stimmen die 2er- und 4er-Clusterungen überein. Diese Phasenbildung kann nun zum einen mit den Videoanalysen abgeglichen werden. Weiterhin können auch Zeitreihenanalysen einzeln für identifizierte Phasen gerechnet werden. Dieser weitergehende Analyseprozeß ist noch in Arbeit.

Zusammenhang mehrerer Systemkomponenten auf Klassenebene

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 26

Bivariate Prozeßanalyse

Um den Zusammenhang zwischen zwei Variablen zu erfassen, verwenden wir Kreuzkorrelatio-nen. Dazu werden synchrone und zeitverschobene Korrelationen der vorgeweißten (pre-whitened) Zeitreihen bestimmt. Die Kreuzkorrelationen sind im Vergleich zur multivariaten ARMA-Analyse das konservativere Verfahren.

Ernst Gut Verstehe Interesse Mitgestalten SoLe TraLe SoLe TraLe SoLe TraLe SoLe TraLe SoLe TraLe Ernst • •

Gut 0,4180 0,2774 • •

Verstehe 0,3027 0,3831 0,2772 0,3093 • •

Interesse 0,4217 0,4645 0,3962 0,2302 0,4557 0,4911 • •

Mitgestalten 0,3258 0,3310 0,2667 0,1614 0,2522 0,3606 0,1706 0,4930 • •

Die grau unterlegten Korrelationen sind signifikant (p≤0.01). Die Zeitreihen sind vorgeweißt.

Tab. 9: Synchrone Kreuzkorrelationen der Items für SoLe und TraLe

Die Tabelle zeigt bei der Hälfte der Kreuzkorrelationen Übereinstimmungen zwischen der So-Le- und der TraLe-Gruppe. So korreliert „Bin interessiert“ (internales motivationales Item) hoch mit „Fühle mich ernstgenommen“ (externales emotionales Item) und „Verstehe, worum es geht“ (internales kognitives Item). Dies unterstützt unser integriertes Lernverständnis (Ler-nen als kombiniert kognitiver, motivationaler und emotionaler Prozeß), zumal für die SoLe-Gruppe auch der Zusammenhang zwischen „Bin interessiert“ und „Fühle mich gut“ deutlich ist.

Der niedrigere Wert der Kreuzkorrelation zwischen „Fühle mich gut“ und „Fühle mich ernst-genommen“ in der TraLe-Gruppe resultiert sicherlich zum einen aus den sowieso stabileren „Fühle mich gut“-Prozeß der TraLe-Gruppe (s.o.). Das Ergebnis läßt jedoch die Frage entste-hen, ob Schülern entgegengebrachte Wertschätzung von Mitschülern (SoLe-Gruppe) nicht wichtiger erscheint als die vom Lehrer entgegengebrachte (TraLe-Gruppe).

Der niedrigere Korrelationswert der TraLe-Gruppe zwischen „Bin interessiert“ und „Fühle mich gut“ ist wie oben angemerkt in Verbindung mit dem stabilen (man könnte auch sagen: nicht besonders stark vom Unterrichtsgeschehen beeinflußten) „Fühle mich gut“-Prozeß zu sehen.

Ein frappierender Unterschied der Untersuchungsgruppen in den Kreuzkorrelationen ist wei-terhin zwischen „Kann mitgestalten“ und „Bin interessiert“ festzustellen. Der Wert der TraLe-Gruppe beträgt ein Vielfaches. Da sowohl das absolute Niveau bei „Kann mitgestalten“ und „Bin interessiert“ bei der SoLe-Gruppe höher als bei der TraLe-Gruppe lag, muß hier weiter untersucht werden, ob dies ein Zeichen für einen Schwelleneffekt ist (Es kann genug mitgestal-tet werden, so daß andere Bedingungsfaktoren für die Interessensentwicklung in den Vorder-grund drehen), oder ob verschiedene Formen des Mitgestalten-Könnens auftraten. Zur letzte-ren Analyse wird die Kodierung nach dem Kategoriensystem „Didaktische Implikationen“ und dem noch zu entwickelnden Kategoriensystem „Inhaltliche Handlungen“ hinzugezogen wer-den.

Synchrone Kreuzkorrelationen können keinerlei Hinweise auf Wirkungsrichtungen geben . Dazu wurden um ein, zwei oder drei Meßzeitpunkte verschobene Kreuzkorrelationen berech-net (siehe Anlage Z).

Multivariate Prozeßanalyse (ARMA-Modellierung)

Ein besonderer Vorteil der Zeitreihenanalyse liegt darin, daß wir zeitlich angeordnete Messun-gen vorliegen haben. Somit können Wirkungsrichtungen identifiziert werden (Kausalaussagen). Gleichzeitig ermöglicht die multivariate ARMA-Modellierung die Analyse der dynamischen Beziehungen innerhalb einer Gruppe von Variablen inklusive Feedback-Effekte (eine Variable

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 27

a beinflußt Variable b et vice versa). Die identifizierten Modelle finden sich in Anlage Z. Ein besonderes Problem bei der Anwendung im pädagogisch-psychologischen Einsatz ist dabei jedoch die Diskrepanz zwischen Zeithorizont einer Wirkung (eher kürzer) und den notwendi-gen Mindestabständen der Messungen (eher länger) (Diskussion hierzu siehe Anlage Z).

Deswegen soll uns diese Analyse vorerst nur zur Generierung von Fragestellungen dienen. Sehr interessant beim Vergleich der Modelle ist dabei, daß die Statevariablen „Verstehe, wor-um es geht“ und „Bin interessiert“ für die TraLe-Klasse innerhalb der multivariaten Analyse keine autoregressiven Zusammenhänge aufweisen, sie also keine Stabilität aufweisen. Im Ver-gleich zu den recht hohen Werten der SoLe-Gruppe müßte man weiter analysieren, inwieweit die „Fremdsteuerung“ des Unterrichtsgeschehens durch den Lehrer zu diesen Effekten führen kann.

6.2.2 Beobachtungsdaten

Beobachtungsdaten wurden bisher mit dem Kategoriensystem zur Identifizierung der 9 Merk-malsbereiche erhoben. Diese Daten dienen zunächst dazu zu prüfen, inwieweit das didaktische Design tatsächlich realisiert wurde. Mit anderen Worten: Hat Selbstorganisiertes Lernen ge-mäß den beschriebenen 9 Merkmalsbereichen (s. Abschnitt 2) stattgefunden?

Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurden ein unter Punkt 5.2 beschriebenes Kategorien-system entwickelt, welches den einzelnen Merkmalsbereichen Verhaltensindikatoren zuordnet. Bisher wurden mit Hilfe dieses Kategoriensystems die bereits erstellten Transkripte für zwei Lerngruppen aus der SoLe-Klasse kodiert. Um die Fragestellung beantworten zu können, muß ein Vergleich zwischen der SoLe- und TraLe-Klasse vorgenommen werden. Somit können zum jetzigen Zeitpunkt nur einige deskriptive Befunde für die beiden Lerngruppen aus der So-Le-Klasse berichtet werden. Die Verläufe der Auftretenshäufigkeiten aller Kodierungen für beide Lerngruppen finden sich im Anhang unter Punkt 4.

Es zeigt sich, daß die Häufigkeit der Kodierungen zwischen den Merkmalsbereichen stark vari-iert. Wobei sich diese Variation in beiden untersuchten Lerngruppen ähnlich darstellt. So fin-den sich bspw. für beide Gruppen im Merkmalsbereich 5 (Problemlösungsprozeß, s. Abbildung 14) die meisten Kodierungen und im Merkmalsbereich 8 (Selbstverantwortung) die wenigsten. Die absoluten Häufigkeiten der Kodierungen für die jeweiligen Merkmalsbereiche fallen eben-falls sehr ähnlich aus.

ZEIT

11.0010.30

10.009.30

9.008.30

8.0010.50

10.209.50

9.208.50

8.2011.10

10.4010.10

9.409.10

8.408.10

11.0010.30

10.009.30

9.008.30

8.00

Mer

kmal

sber

eich

5

16

14

12

10

8

6

4

2

0

ZEIT

11.0010.30

10.009.30

9.008.30

8.0010.50

10.209.50

9.208.50

8.2011.10

10.4010.10

9.409.10

8.408.10

11.0010.30

10.009.30

9.008.30

8.00

Me

rkm

alsb

eri

ch 5

16

14

12

10

8

6

4

2

0

Abb. 14: Absolute Häufigkeiten des MB 5 für die Gruppe 2 (links mit TN 12) & Gruppe 4(rechts mit TN 7)

Die Synchronizität im Auftreten der Indikatoren über die 16 erfaßten Unterrichtsstunden hin-gegen erweist sich zwischen den beiden Gruppen als weniger ausgeprägt. Bedeutsame Zusam-menhänge ergeben sich hier nur für den Merkmalsbereich 7 (Explizite Ergebnisdarstellung und Umsetzungsversuche). Das zeitlich parallele Auftreten von Indikatoren für diesen Merkmalsbe-

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 28

reich läßt sich vor allem auf die vorgegebene Grobstruktur für den Unterrichtsablauf zurück-führen. Alle Lerngruppen in der SoLe-Klasse präsentierten zu bestimmten Zeitpunkten Ar-beitsergebnisse. Die für die meisten anderen Merkmalsbereiche gering ausgeprägte Synchroni-zität zwischen den Gruppen bei ansonsten sehr ähnlichen absoluten Häufigkeiten spricht dafür, daß in beiden Gruppen Lernprozesse beobachtbar sind, die sich ähnlich kennzeichnen lassen, die aber nicht zeitlich parallel verlaufen. Dies kann in Anbetracht der von den Gruppen selbst geleisteten Planung ihrer Lernprozesse nicht überraschen. Die Lernenden haben offenbar die Chance genutzt, sich ihre Lernprozesse entsprechend ihrer Bedürfnisse und Interessen zu or-ganisieren. In Anbetracht der für die Produktdaten festgestellten Überlegenheit der selbstorga-nisationsoffenen Lernumgebung hinsichtlich einiger Zielgrößen könnte dies ein entscheidender Aspekt selbstorganisierten Lernens sein.

6.3 Einfluß von Produkt- auf Prozeß- und von Prozeß- auf Produktdaten

Entsprechend der Ausführungen unter Punkt 3.2 werden Ergebnisse zum Zusammenhang zwi-schen Produktdaten der Eingangserhebung und Prozeßdaten - in diesem Fall Selbstberichtsda-ten - sowie zur Vorhersagbarkeit von Veränderungen in den Produktdaten durch Prozeßdaten berichtet. Diese und weitere Ergebnisse sind ausführlich dargestellt und diskutiert bei SCHU-

MACHER/WOLF (1997).

Um diese Zusammenhänge zwischen Produkt- und Prozeßdaten aufzuklären, werden zunächst die Kurvenverläufe der Zeitreihen für die jeweiligen Prozeßitems durch einfache Modellierun-gen einer Beschreibung und Interpretation zugänglich gemacht. Die Parameter dieser Modellie-rungen werden anschließend genutzt, um Zusammenhänge mit den Produktdaten aufzuzeigen. So werden u.a. die Mittelwerte der Zeitreihen (mean) und die bereits vorher beschriebene rela-tive Wechselhäufigkeit (peak100) sowie die durchschnittliche Wechselstärke (peakmean) als Parameter verwendet. Durch diese sehr einfachen Modellierungen gehen viele Informationen über den tatsächlichen Verlauf der Zeitreihen verloren; andererseits werden nur wenige Para-meter zur Modellierung benötigt, welche sich zudem inhaltlich interpretieren lassen.

Die Analysen werden für beide Untersuchungsgruppen gemeinsam durchgeführt, da von gene-rellen Zusammenhängen ausgegangen wird. Die Variable Treatment wird aber immer als Kon-trollvariable berücksichtigt.

Zusammenhang zwischen Produktdaten der Eingangserhebung und Prozeßdaten

Exemplarisch wird hier der Einfluß des Vorwissens auf den Lernprozeß dargestellt. Da Intelli-genz und Vorwissen zusammenhängen und Intelligenz einen Einfluß auf die Prozeßdaten neh-men könnte, wird Intelligenz neben der Variable Treatment als Kontrollvariable berücksichtigt. Es werden Partialkorrelationen zwischen den Ergebnissen in dem fachspezifischen Vorwissens-test und den Zeitreihenparametern peak100 und peakmean berechnet.

Vorwissen in Materialwirtschaft

peak100 gut fühlen 0.3362 p = 0.075

peak100 verstehe 0.4050 p = 0.029*

peakmean gut fühlen 0.3989 p = 0.032*

peakmean verstehe 0.4615 p = 0.012*

Tab. 10: Partialkorrelationen zwischen den Zeitreihenparametern und dem Vorwissen (Kontrollvariablen Treatment und Intelligenz)

Die Ergebnistabelle sagt folgendes aus: Je höher das Vorwissen einer Person, um so eher zeigt sie ein häufigeres und stärkeres Ändern ihrer Einschätzungen des eigenen Wohlbefindens und des Verstehens, worum es geht. Inhaltlich ließe sich das so interpretieren, daß Personen, die

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 29

über mehr lernsituationsrelevantes Vorwissen verfügen, ihr Problemverständnis während des Lernprozesses kritischer reflektieren und mit größerer Wahrscheinlichkeit und eventuell früh-zeitiger Verständnisprobleme ausmachen. Das parallele Ergebnismuster für die Einschätzungen des eigenen Wohlbefindens und des Verstehens könnte auf eine Wechselwirkung hinweisen.

Zusammenhang zwischen Prozeßdaten und Produktdaten der Ausgangserhebung

Als Beispiel wird der Zusammenhang zwischen den Mittelwerten der Zeitreihen (mean) und den Motivationsvarianten nach PRENZEL (1994) dargestellt.

Die von PRENZEL (1993) unterschiedenen Motivationsarten sind hierarchisch geordnet: je selbstbestimmter eine Motivation und je stärker die Bedeutung von Tätigkeitsanreizen sind, um so günstigere Lernergebnisse sollen resultieren. Die Motivationsausprägung hängt u.a. von Bedingungsfaktoren in der Lernumgebung ab. Insbesondere wahrgenommene Autonomieun-terstützung (s. Punkt 6.1.3) und soziale Einbindung fördern selbstbestimmte, höherwertige Motivationsausprägungen (identifizierte und introjizierte Motivation sowie Interesse).

Es werden multiple Regressionsanalysen gerechnet, mit Zeitreihenmittelwerten als unabhängi-gen Variablen und jeweils einer Motivationsart als abhängige Variable.

Unabh. Variab-len

Standard. Beta-Gewicht

p für Beta-Gewicht

Abhängige Variable

R R Square Adj. R Square

Sig.

mean ernst. -0.513 0.003 Amotiviert 0.513 0.263 0.238 0.003

mean ernst. - 0.478 0.007 extrinsische

Motivation

0.478 0.228 0.202 0.007

mean verst.

treatment

mean ernst.

0.334

- 0.313

0.329

0.055

0.045

0.057

introjizierte

Motivation

0.654 0.428 0.364 0.002

mean ernst.

treatment

0.495

- 0.296

0.004

0.072

identifizierte

Motivation

0.554 0.307 0.258 0.008

mean ernst.

mean mitg.

0.371

0.338

0.042

0.063

intrinsische

Motivation

0.620 0.385 0.341 0.001

mean ernst.

mean mitg.

0.430

0.383

0.010

0.021

Interesse 0.711 0.505 0.470 0.001

Tab. 11: Multiple Regressionsanalysen (method: stepwise) mit den Motivationsvarianten als Abhängigen Variablen (treatment: SoLe=0, TraLe=1)

Die multiplen Regressionsanalysen zeigen, daß mit den Zeitreihenmittelwerten als Prädiktoren zumindest die Varianzaufklärung für die selbstbestimmten Motivationsarten recht gut gelingt. Die Varianz für die Motivationsarten „identifiziert“, „intrinsisch“ und „interessiert“ kann bis zu 47% aufgeklärt werden. Vor allem die Mittelwerte für die Zeitreihen der Items „Fühle mich ernstgenommen“ und „Kann mitgestalten“ sind gute Prädiktoren für diese abhängigen Variab-len. Je höher die Mittelwerte einer Person für diese Items sind, um so eher zeigt sie hohe Aus-prägungen in den selbstbestimmten Motivationsarten. Hierbei kann das Item „Kann mitgestal-ten“ relativ gut die wahrgenommene Autonomieunterstützung als Bedingungsfaktor in PREN-

ZELS Modell repräsentieren, und das Item „Fühle mich ernstgenommen“ kann als Operationali-sierung für die wahrgenommene soziale Einbindung gesehen werden. Im Sinne von PRENZELS Modell erfassen einige unserer Prozeßitems somit Bedingungsfaktoren für die Entwicklung selbstbestimmter Motivationsarten. Die Betagewichte in den Regressionsgeraden sind jeweils theoriekonform.

Abschließend sei angemerkt, daß sich vor allem dann Zusammenhänge zwischen den Prozeß-parametern und Produktdaten aufzeigen lassen, wenn die Produktvariablen lernsituationsspezi-fisch und als durch Lernprozesse veränderbar konzipiert sind.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 30

Im weiteren Vorgehen wird die Komplexität der Zeitreihenmodellierungen sukzessive erhöht und die Zusammenhänge zwischen Prozeß- und Produktvariablen werden mit differenzierteren Verfahren (Strukturgleichungsmodelle) geprüft.

7. Diskussion

Interessiert sein, mitgestalten können, (möglichst) viel verstehen, sich dabei gut und ernstge-nommen fühlen - aus Lernersicht formuliert: eine pädagogische Idealvorstellung von selbstor-ganisierten und selbstbestimmten Lernprozessen. In dieser Studie haben wir Gestaltungskrite-rien und dazugehörige Analyseintrumente präzisiert, die einen Weg in diese Richtung aufwei-sen. Darüber hinaus haben wir mit Zeitreihenanalysen Auswertungsmethoden angewendet, für die es unseres Wissens in der pädagogisch-psychologischen Feldforschung noch keine ver-gleichbaren Beispiele gibt. Sicherlich ist jeder unserer Schritte für sich verfeinerungs- und ver-besserungsfähig und insgesamt auf einen besseren Transfer in die Praxis hin zu durchdenken. Aber bezüglich des Zielhorizonts einer in ihrem Qualifikationsdenken - gerade im internationa-len Vergleich - notwendigerweise anspruchsvoller werdenden Gesellschaft sind die bisher schon gewonnenen Ergebnisse ausgesprochen ermutigend.

So finden wir auf Produktdatenebene nach nur 40 Stunden Unterricht in der von uns gestalte-ten selbstorganisationsoffenen Lernumgebung (s. Abschnitt 2), trotz denkbar schlechteren Ausgangsbedingungen hinsichtlich Intelligenz, Vorwissen etc. eine eindeutige Überlegenheit der SoLe-Klasse gegenüber der traditionell beschulten Klasse hinsichtlich der abhängigen Vari-ablen komplexe Problemlösefähigkeit (6.1.1). Wir finden - ebenfalls bei den Produktdaten - z.B. einen positiven Effekt hinsichtlich der Veränderung der Motivationsausprägung „Furcht vor Mißerfolg“ zugunsten der SoLe-Klasse (6.1.4) und Vorteile bei den eingesetzten Lernstra-tegien (6.1.2) sowie der Autonomieunterstützung (6.1.3).

Der Einbezug der Prozeßdaten vergrößert die Einblicke in das (Lehr-)Lern-Geschehen in viel-fältiger Hinsicht. So lassen sich neben Stunden- und Phaseneffekten (6.2.1.3.3) vor allem auch die Wechselwirkungen im emotionalen, motivationalen und kognitiven Erleben des Lernpro-zesses aufzeigen und in Verbindung mit den Ausgangsdaten bringen. „Fühle mich ernstge-nommen“ im Sinne wahrgenommener Autonomie und „Kann mitgestalten“ im Sinne sozialer Einbindung sind theorieadäquate (DECI/RYAN 1993; PRENZEL 1993) und signifikante Prädikto-ren für höherwertige Motivationsausprägungen (6.1.3).

Man kann eine Reihe von Indizien für den Erfolg bereits jetzt ausmachen. Die Nutzung von Lernzeit spielt in mehrfacher Weise eine Rolle. So sind die Fehlzeiten beim SoLe-Arrangement eindeutig geringer (6.2.1.3.1), ein Effekt, wie er auch durch die Kanban-Organisation in der Industrie durch Einführung der Gruppenarbeit bekannt ist. Darüber hinaus laufen die Lernpro-zesse nach den ersten Befunden unterschiedlicher Gruppen der SoLe-Klasse strukturell wohl ähnlich, aber tendenziell eher asynchron, was für eine (gruppen-)individuelle Nutzung von Lernzeit gemäß dem eigenen Lerntempo/den eigenen Bedürfnissen spricht (6.2.2).

Daß sich die SoLe-Schüler im anschließenden traditionellen Unterricht (beim gleichen Lehrer) nicht mehr so gut und motiviert fühlen (6.2.1.3.1; 6.2.1.3.3) ließe den (Fehl)Schluß zu, sie hät-ten sich im vorangegangenen SoLe-Arrangement besonders gut gefühlt. Tatsächlich haben sie sich dort eher von ihrer eigenen Anstrengung „gedämpft“ gut gefühlt, während bei den ver-schiedenen Analysen für die sich besser fühlende TraLe-Gruppe der Eindruck entsteht, daß ihr Gefühlsleben über weite Strecken vom Unterrichtsgeschehen entkoppelt ist. Begabung und Vorwissen reichen offensichtlich zur Bewältigung der weitgehend geforderten reproduktiven Leistungen - für die Lerner kaum ein Grund sich aufzuregen, aber aus bildungspolitischer Sicht ganz offensichtlich auch eine Verschwendung von Humanressourcen (s.o.).

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens 31

An dieser Stelle werden aber eine ganze Reihe von Forschungsdesideraten sichtbar. Sie bezie-hen sich im Kern sowohl auf ein zu veränderndes Forschungsdesign als auch auf den notwen-digen Einbezug einer weiteren Datenebene. Wir müssen berücksichtigen, daß sowohl die Pro-dukt- wie auch die Prozeßdaten sogenannte Selbstberichtsdaten sind und gerade die Emotiona-le Befindlichkeit ein weites Feld für Attributionen und Spekulationen darstellt. Will man also mit der Entschlüsselung von Lernprozessen ernst machen, muß man konsequenterweise phy-siologische Parameter in einem A-B-A-Design mit dazu nehmen. Aufgrund technischer und auswertungsmethodischer Fortschritte sind solche Untersuchungen jetzt auch in der Feldfor-schung zu realisieren.

DFG Zwischenbericht: Prozeßanalysen Selbstorganisierten Lernens i