1 Husserl Londoner Vorträge

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200 E. Husserl: Phänomenologische Methode und Phänomenologishe Philosophie <Einleitung:> Das allgemeine ziel der phänomenologie schen Philosophie Der ehrenvollen Aufforderung, an dieser großen Stätte englischer Wissenschaft einige Vorlesungen zu halten, glaube ich am besten genugzutun, indem ich von einer neueren philosophischen Methode spreche, mit der sich das unbekannte Reich der transzendentalen Subjektivität der konkreten Anschauung erschließt, und indem ich im Anschluß daran den Versuch wage, Sie in die Gedankenkreise einer noch neuen philosophischen Grundwissenschaft einzuführen, welche sich auf diesem konkret anschaulichen Boden angesiedelt hat: Es ist die transzendentale Phänomenologie. Ich hoffe, für die unvergleichliche Eigenart dieser Wissenschaft als zugleich rein deskriptiver und rein apriorischer einiges Verständnis erwecken zu können und auch davon zu überzeugen, daß sie nicht ohne Grund höchste Ansprüche auf wissenschaftliche Strenge erheben darf. Es soll weiterhin die zentrale Bedeutung der Phänomenologie im Gesamtreich der Wissenschaften klargelegt und gezeigt werden, daß die Phänomenologie das gesamte System der Erkenntnisquellen in sich faßt, aus denen alle echten Wissenschaften ihre prinzipiellen Begriffe und Sätze und alle Kraft ihrer letzten Rechtfertigung ziehen müssen. Eben damit gewinnt sie den Beruf der im wahren Sinn so zu nennenden “Ersten Philosophie”, den Beruf, allen anderen Wissenschaften Einheit aus letzten Begründungen und Beziehung auf letzte Prinzipien zu verleihen und sie alle neu zu gestalten als lebendige Organe einer einzigen, absolut universalen Wissenschaft, der Philosophie im ältesten Wortsinn. Im wissenschaftlichen Leben unserer Epoche fällt danach der Phänomenologie die Aufgabe zu, uns von dem vielbeklagten Fluch der Zersplitterung der Erkenntnis in fast zusammenhangslose Fachwissenschaften und von den Einseitigkeiten des Spezialistentums zu befreien. Andererseits fällt ihr auch die Funktion zu, der hieraus erwachsenen wissenschaftsfeindlichen Reaktion zu begegnen, die sich der gegenwärtigen Generation zu bemächtigen droht und sie trüben Mystizismen nur zu sehr geneigt machen muß. Die Phänomenologie vertritt solchen Strömungen gegenüber das ursprüngliche, unverbrüchliche und in Sachen der Erkenntnis ausschließliche Recht der strengen Wissenschaft. Sie vertritt es aber, indem sie alle Wissenschaft aus ihren Urquellen klärt und absolut rechtfertigt. Sie erweist, daß nur der äußerste Radikalismus der Erkenntnisgesinnung, als Intention auf Klarheit und einsichtige Rechtfertigung bis aufs denkbar Letzte, gegen alle Skeptizismen und Mystizismen helfen kann, und sie zeigt, daß die natürlich gewordenen und natürlich bewährten Wissenschaften in dieser Hinsicht versagen mußten, Quelle: Husserl Studies 16: 2000 201 weil dieser Radikalismus ihnen als natürlichen Wissenschaften notwendig fehlt. Helfen kann nur letztverstehende Wissenschaft, und das ist Wissenschaft gespeist aus den Urquellen der Phänomenologie. Doch ich darf nicht lange Einleitungen machen. Ich gestatte mir, auf die knappen Hauptthesen zu verweisen, die dem Syllabus 1 zu dieser Vorlesung beigegeben sind als schematische Vorzeichnungen der Hauptgedanken, die in den gesamten Vorlesungen Farbe und Fülle erhalten sollen. Ich will sie hier nicht wiederholen und lieber sogleich anfangen. I. Der Cartesianische Weg zum ego cogito und die Methode der phänomenologischen Reduktion Es gibt verschiedene Wege in die Phänomenologie. Ich will für diese Vorlesungen den prinzipiellsten wählen. Er hebt an mit der Erneuerung der antiken Idee philosophischer Erkenntnis und schließt daran an eine radikale Erwägung der Methode, die zur Erzielung solcher philosophischen Erkenntnis wesensnotwendig ist. Die transzendentale Phänomenologie resultiert dann als die notwendige Wissenschaft von der Methode und als die “Erste” Philosophie. Sollte ich heute unter dem Aspekt der mir zugereiften Gesamtüberzeugungen sagen, welche Philosophen mir im Rückblick auf die Geschichte der Philosophie vor allen hervorleuchten, so würde ich allen voran zwei nennen, die ich darum nicht etwa auf eine Rangstufe stellen möchte: an erster Stelle den allerdings ganz unvergleichlichen Platon, den Schöpfer der Idee strenger Wissenschaft oder philosophischer Wissenschaft, in dem ich überhaupt den eigentlichen Begründer unserer wissenschaftlichen Kultur sehen möchte. Als zweiten Namen würde ich <den des> Descartes nennen, ohne ihn damit als den Größten der Neueren einschätzen zu wollen. Aber eine ganz ausgezeichnete historische Stellung erhält er dadurch, daß seine Meditationes dem philosophischen Denken eine feste Entwicklungsrichtung gegen eine Transzendentalphilosophie erteilt haben. Nicht nur der Grundcharakter der neuzeitlichen Philosophie, sondern, wie ich überzeugt bin, aller künftigen Philosophie ist dadurch von Descartes her bestimmt. Was zunächst Platon anbelangt, so wird er durch den Ernst, mit dem er die sophistische Skepsis theoretisch zu überwinden und dabei Sokratische Im- pulse theoretisch auszuwerten sucht, zum Begründer der philosophischen Idee des wahren Wissens und der echten Wissenschaft als der höchsten Zielidee der Erkenntnis. In eins damit wird er zum Schöpfer des Problems und der Wissenschaft von der Methode, nämlich der Methode, dieses oberste Ziel in aktueller Erkenntnis zu realisieren. Echte Erkenntnis, echte, das ist begrifflich strenge Wahrheit und Seiendes in wahrem Sinn, werden zu Korrelaten. Der Gesamtinbegriff aller echten Erkenntnis bzw. aller strengen begrifflichen Wahrheiten bildet eine theoretisch verbundene Einheit, die einer einzigen

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    E. Husserl: Phnomenologische Methode undPhnomenologishe Philosophie

    Das allgemeine ziel der phnomenologie schenPhilosophie

    Der ehrenvollen Aufforderung, an dieser groen Sttte englischer Wissenschafteinige Vorlesungen zu halten, glaube ich am besten genugzutun, indem ichvon einer neueren philosophischen Methode spreche, mit der sich dasunbekannte Reich der transzendentalen Subjektivitt der konkretenAnschauung erschliet, und indem ich im Anschlu daran den Versuch wage,Sie in die Gedankenkreise einer noch neuen philosophischen Grundwissenschafteinzufhren, welche sich auf diesem konkret anschaulichen Boden angesiedelthat: Es ist die transzendentale Phnomenologie. Ich hoffe, fr dieunvergleichliche Eigenart dieser Wissenschaft als zugleich rein deskriptiverund rein apriorischer einiges Verstndnis erwecken zu knnen und auch davonzu berzeugen, da sie nicht ohne Grund hchste Ansprche aufwissenschaftliche Strenge erheben darf. Es soll weiterhin die zentraleBedeutung der Phnomenologie im Gesamtreich der Wissenschaftenklargelegt und gezeigt werden, da die Phnomenologie das gesamte Systemder Erkenntnisquellen in sich fat, aus denen alle echten Wissenschaften ihreprinzipiellen Begriffe und Stze und alle Kraft ihrer letzten Rechtfertigungziehen mssen. Eben damit gewinnt sie den Beruf der im wahren Sinn so zunennenden Ersten Philosophie, den Beruf, allen anderen WissenschaftenEinheit aus letzten Begrndungen und Beziehung auf letzte Prinzipien zuverleihen und sie alle neu zu gestalten als lebendige Organe einer einzigen,absolut universalen Wissenschaft, der Philosophie im ltesten Wortsinn.

    Im wissenschaftlichen Leben unserer Epoche fllt danach derPhnomenologie die Aufgabe zu, uns von dem vielbeklagten Fluch derZersplitterung der Erkenntnis in fast zusammenhangslose Fachwissenschaftenund von den Einseitigkeiten des Spezialistentums zu befreien. Andererseitsfllt ihr auch die Funktion zu, der hieraus erwachsenen wissenschaftsfeindlichenReaktion zu begegnen, die sich der gegenwrtigen Generation zu bemchtigendroht und sie trben Mystizismen nur zu sehr geneigt machen mu. DiePhnomenologie vertritt solchen Strmungen gegenber das ursprngliche,unverbrchliche und in Sachen der Erkenntnis ausschlieliche Recht derstrengen Wissenschaft. Sie vertritt es aber, indem sie alle Wissenschaft ausihren Urquellen klrt und absolut rechtfertigt. Sie erweist, da nur der uersteRadikalismus der Erkenntnisgesinnung, als Intention auf Klarheit undeinsichtige Rechtfertigung bis aufs denkbar Letzte, gegen alle Skeptizismenund Mystizismen helfen kann, und sie zeigt, da die natrlich gewordenenund natrlich bewhrten Wissenschaften in dieser Hinsicht versagen muten,

    Quelle: Husserl Studies 16: 2000

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    weil dieser Radikalismus ihnen als natrlichen Wissenschaften notwendigfehlt. Helfen kann nur letztverstehende Wissenschaft, und das ist Wissenschaftgespeist aus den Urquellen der Phnomenologie.

    Doch ich darf nicht lange Einleitungen machen. Ich gestatte mir, auf dieknappen Hauptthesen zu verweisen, die dem Syllabus1 zu dieser Vorlesungbeigegeben sind als schematische Vorzeichnungen der Hauptgedanken, diein den gesamten Vorlesungen Farbe und Flle erhalten sollen. Ich will siehier nicht wiederholen und lieber sogleich anfangen.

    I. Der Cartesianische Weg zum ego cogito und die Methode derphnomenologischen Reduktion

    Es gibt verschiedene Wege in die Phnomenologie. Ich will fr dieseVorlesungen den prinzipiellsten whlen. Er hebt an mit der Erneuerung derantiken Idee philosophischer Erkenntnis und schliet daran an eine radikaleErwgung der Methode, die zur Erzielung solcher philosophischen Erkenntniswesensnotwendig ist. Die transzendentale Phnomenologie resultiert dann alsdie notwendige Wissenschaft von der Methode und als die Erste Philosophie.

    Sollte ich heute unter dem Aspekt der mir zugereiften Gesamtberzeugungensagen, welche Philosophen mir im Rckblick auf die Geschichte derPhilosophie vor allen hervorleuchten, so wrde ich allen voran zwei nennen,die ich darum nicht etwa auf eine Rangstufe stellen mchte: an erster Stelleden allerdings ganz unvergleichlichen Platon, den Schpfer der Idee strengerWissenschaft oder philosophischer Wissenschaft, in dem ich berhaupt deneigentlichen Begrnder unserer wissenschaftlichen Kultur sehen mchte. Alszweiten Namen wrde ich Descartes nennen, ohne ihn damit alsden Grten der Neueren einschtzen zu wollen. Aber eine ganzausgezeichnete historische Stellung erhlt er dadurch, da seine Meditationesdem philosophischen Denken eine feste Entwicklungsrichtung gegen eineTranszendentalphilosophie erteilt haben. Nicht nur der Grundcharakter derneuzeitlichen Philosophie, sondern, wie ich berzeugt bin, aller knftigenPhilosophie ist dadurch von Descartes her bestimmt.

    Was zunchst Platon anbelangt, so wird er durch den Ernst, mit dem er diesophistische Skepsis theoretisch zu berwinden und dabei Sokratische Im-pulse theoretisch auszuwerten sucht, zum Begrnder der philosophischen Ideedes wahren Wissens und der echten Wissenschaft als der hchsten Zielideeder Erkenntnis. In eins damit wird er zum Schpfer des Problems und derWissenschaft von der Methode, nmlich der Methode, dieses oberste Ziel inaktueller Erkenntnis zu realisieren. Echte Erkenntnis, echte, das ist begrifflichstrenge Wahrheit und Seiendes in wahrem Sinn, werden zu Korrelaten. DerGesamtinbegriff aller echten Erkenntnis bzw. aller strengen begrifflichenWahrheiten bildet eine theoretisch verbundene Einheit, die einer einzigen

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    Wissenschaft, und das ist die Philosophie. Ihr Korrelat ist die Totalitt alleswahrhaft Seienden. Eine neue Idee der Philosophie als universaler und absolutgerechtfertigter Wissenschaft tritt damit die ganzen weiteren Entwicklungenbestimmend auf den Plan; es deutet sich schon hier an, da eine Philosophieerst mglich ist auf Grund einer prinzipiellen Erforschung der Bedingungender Mglichkeit einer Philosophie. Darin liegt die Idee einer notwendigenBegrndung und Gliederung der Philosophie in zwei Stufen, einer radikalen,sich in sich selbst rechtfertigenden Methodenlehre als Erster Philosophie undeiner auf sie in allen ihren rechtfertigenden Begrndungen zurckbezogenenZweiten Philosophie.

    Ich erinnere noch daran, da fr den Sokratiker Platon Philosophie imvollen und weiten Sinn nicht blo Wissenschaft ist; und da die Theorie odertheoretische Vernunft ihre Wrde darin hat, praktische Vernunft allein mglichzu machen.

    Verweilen wir nicht, so interessant dies wre, bei der mangelhaftenAuswirkung der Platonischen Intentionen in den weiter folgendenPhilosophien. Wenden wir uns sogleich zu Descartes. In ihm lebt von Anfangan die Platonische Idee der Philosophie in scharfer Ausprgung wieder auf,in eins mit dem bestimmten Bewutsein des unphilosophischen Dogmatismusaller berlieferten Philosophien oder Wissenschaften (was dasselbe besagt).Sie sind keine echten Philosophien, das ist, sie entbehren der echten bis insLetzte sich rechtfertigenden Rationalitt, selbst die bewunderte Mathematiknicht ausgenommen. Dem Skeptizismus gegenber sind sie daher, wie sie esauch vordem immer waren, machtlos.

    Schon in den Regulae werden die beiden Grundforderungen, die dervollkommensten Rechtfertigung und die der Universalitt (unter Hinweis aufdie Einheit der Vernunft als der einheitlichen Quelle aller mglichenErkenntnisse) lebhaft betont; und in bedeutsamer Weise wird die Erfllungsolcher Forderungen zur Lebens- und Gewissensfrage des philosophischenSubjekts selbst gemacht. Ich mchte diese subjektivierende Wendung alserkenntnisethische bezeichnen, obschon sie bei Descartes nicht als wirklichethische eingefhrt wird. Es geht eben bei ihm vom philosophischen EthosPlatons die spezifisch ethische Seite verloren: Die theoretische Philosophieverselbstndigt sich. Also nicht mehr ist wie bei Platon die letztleitende Ideedie der echten Humanitt, die sich im philosophischen Menschen und nicht imbloen Wissenschaftler verkrpere, wenn auch der Philosoph zunchstWissenschaftler sein mu. Immerhin bleibt aber auch in der CartesianischenAuffassung des Philosophen der Radikalismus erhalten, der zum Wesen derethischen Gesinnung gehrt, und er hat eine Form, die sich, worauf ich Wertlegen mchte, sehr wohl wieder ethisch interpretieren oder eigentlich ethischunterbauen lt. Kurz angedeutet kann dies in folgender Weise geschehen:

    In dem Sinn der absolut ethischen Forderung liegt gewissermaen alsregulatives Urbild beschlossen, eine eigentmliche Form des menschlichen

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    Lebens. Der Mensch das sage jetzt immer der Einzelmensch oder auch derMensch im Groen, die vergemeinschaftete Menschheit der Mensch, sageich, darf nicht dabei bleiben, sozusagen naiv in den Tag hineinzuleben. Er mueinmal ethisch erwachen, sich besinnen und jenen radikalen Entschlu fassen,durch den er sich selbst erst zum wahren, dem ethischen Menschen macht. DerEntschlu geht dahin, mit allen Krften nach einem neuartigen Leben (einemLeben neuer allgemeiner Form, eines neuen Stils) zu streben, einem Leben auseinem absolut klaren, sich vor sich selbst absolut rechtfertigenden Gewissen.

    Dasselbe gilt im Besonderen vom erkennenden Menschen; es gilt, wennberhaupt Erkenntnis und Wissenschaft anzuerkennen ist als eine der groenmenschheitlichen Funktionen, die als Beruf zu erwhlen undkontinuierlich zu bettigen ein eigenes Recht hat im universalen Rahmeneines ethischen Lebens. Unbeschadet der Einschrnkungen, welche dasethische Recht der Erkenntnisbettigung erfhrt durch die ethischeRcksichtnahme auf das Mitrecht anderer Wertfunktionen unter denwechselnden Umstnden, ergibt sich hier eine analoge regulative Idee alsspezifisch erkenntnisethische; nmlich soll ein der Erkenntnis hingegebenesLeben berhaupt ein ethisches Recht, also letztzuvertretendes Recht habenknnen, so mu es ein in der Idee der echten und wahren Erkenntniszentriertes Leben sein. Es darf also nicht ein Erkenntnisleben sein undbleiben wollen in naiver Erkenntnishingabe an die Sachen, sondern es musich fr den Erkennenden hinsichtlich seiner Echtheit durchaus rechtfertigen.Auch hier ergibt sich die Forderung der radikalen Besinnung und einesuniversalen, das ganze Erkenntnisleben bindenden Entschlusses, desEntschlusses, ein Erkenntnisleben durchaus mit der bewuten Zielrichtung aufEchtheit der Erkenntnis, also auf allseitige und letzte Erkenntnisrechtfertigunganzustreben, ein neues echt wissenschaftliches Leben in einer bewutenund jederzeit zu vertretenden Normgerechtigkeit. Wir knnen auch sagen:ein Leben aus einem absolut klaren, theoretischen Gewissen, jederSelbstprfung standhaltend. Die Konsequenz dieses Entschlusses ist deruniverselle Umsturz aller voranliegenden, nicht aus der Intention auf abso-lute Rechtfertigung entsprungenen berzeugungen. Offenbar ist auch dieseIdee wie einzelmenschlich so als sozialmenschlich zu konstruierenund im letzteren Falle zurckzubeziehen auf die universale Verstndigungs-und Wirkungsgemeinschaft der speziell erkenntnisethisch aufeinanderangewiesenen, zu wechselseitiger Frderung berufenen Wissenschaftler.

    Der soeben deduzierte Umsturz erinnert uns an Descartes. In der Tat,geleitet von einer wesentlich selben, wenn auch nicht ethisch charakterisiertenGesinnung, erfllt also von demselben wissenschaftlichen Radikalismus,fordert Descartes den universellen Umsturz im Reich der eigenenVormeinungen von allen qui serio student ad bonam mentem,2 oder wie ersich quivalent ausdrckt, die die universalis sapientia3 anstreben, das hchsteErkenntnisziel.

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    In der Tat, das ist das erste, was die Phnomenologie wie an Platon so anDescartes bewundert und was zugleich ihr eigenes philosophisches Ethoscharakterisieren mag: dieser wissenschaftliche Radikalismus bis aufs Letzte,der sich nicht mit Halbheiten begngen will, wo nur das Ganze das Gesollteund auch das allein Hilfreiche ist. Sie meint ganz ernstlich: Diesen radikalenEntschlu zum neuen Anfang wie zum Umsturz mu einmal im Leben4

    jeder vollziehen, der Philosoph im wahren und echten Sinn werden und seinwill. Durch diesen Entschlu schafft jeder sich selbst zum Philosophen um.

    Philosoph ist, wer als Wissenschaftler sich ganz und gar in den Dienstder Idee letztgerechtfertigter, auf eine universalis sapientia gerichteterErkenntnis stellt, einer Erkenntnis, die er aus absolut klarem intellektuellenGewissen jederzeit vertreten kann.

    In die Wirklichkeit tritt der Philosoph notwendig als anfangender, allererstwerdender. Denn das neue Ziel ist zunchst ein vages und fernes, vlligunbestimmt noch die etwa hinfhrenden Wege. Das notwendig Erste fr denanfangenden Philosophen sind daher meditationes de prima philosophia,Besinnungen ber das Wesen jener absolut echten Erkenntnis und ber diemglichen und notwendigen Wege ihrer Erzielung. Hier liegt ein Neues, waswir an Descartes bewundern, die geniale Art, solche meditationes entworfenzu haben, als methodische Besinnungen des werdenden Philosophen berden mglichen Anfang einer Philosophie als absolut gerechtfertigterErkenntnis, Besinnungen, die prinzipiell durchgefhrt als echte Erkenntnis,sozusagen als die Eingangspforte der Philosophie ihren dauernden Bestandbehalten mssen.

    Freilich versagte Descartes, wo es galt, diesem Geiste des Radikalismus inwirklich radikaler Weise genugzutun. Der Cartesianische Anfangsweg entbehrtder prinzipiellen Strenge und verliert sich unvermerkt in Abwege. Daherstammt all das Unheil, das er ber die neuere Philosophie gebracht hat; freilichin eins mit dem Segen, der von den gesunden Kernmotiven, trotz allerSelbstmiverstndnisse, im Verborgenen ausstrahlte, indem sie fortgesetztauf eine Transzendentalphilosophie hindrngten.

    Unser Interesse soll es jetzt sein, den sozusagen echten Cartesianischen Wegzu konstruieren und dabei jenen wertvollen Kerngehalt der ersten meditationesdes groen Denkers auf die Hhe prinzipieller Reinheit und zwingenderNotwendigkeit zu erheben. Dieses tun heit nichts anderes als die radikaleMethode der neuen Phnomenologie, die der phnomenologischen Reduktionentwickeln. Es handelt sich hier um den Weg zum ego cogito, womit also gesagtist, da diese Reduktion Reduktion auf dieses Ego ist aber freilich auf einEgo, das Descartes nur berhrt, aber alsbald mideutet hat.

    Versetzen wir uns in die erkenntnisethische Einstellung, mit der der werdendePhilosoph beginnt. Wir mssen jetzt die Ichrede bevorzugen und jeder innerlichTeilnehmende ist das Ich, von dem dabei gesprochen ist. Ich, so sage ich alsanfangender Philosoph, will ein neues Erkenntnisleben anfangen, ein

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    durchgngiges Erkennen aus absoluter Rechtfertigung und von einer Art, daich hoffen kann, in geordneter Weise zu einer universalis sapientia zu kommen.Ich beginne demgem mit dem allgemeinen Umsturz aller meiner bisherigenberzeugungen; ich lege sozusagen ein neues Grundbuch der Erkenntnis anund keine darf hineinkommen, die ich nicht neu begrndet und bei der ichmich nicht ihrer absoluten Rechtfertigung versichert habe. Aber auch auf diegehrige Ordnung des Vorgehens kommt es an.

    Die erste Frage scheint also zu sein: Wie fange ich an, wie gewinne icheine an sich erste Erkenntnis oder Erkenntnissphre, deren ich mich absolutversichern kann und nicht nur als absolut zu rechtfertigender, sondern alseiner solchen, die notwendig allen anderen Erkenntnissen voranliegt, als einnotwendiges Fundament jener gesuchten Philosophie, auf das alle anderenmglicherweise zu rechtfertigenden Erkenntnisse unbedingt zurckbezogensein mssen?

    Indessen, nher besehen geht doch eine andere Frage voraus. Allem voranmu ich mich doch erst besinnen, was fr Vollkommenheit ich unterdem Titel absoluter Rechtfertigung fr meine knftigen Erkenntnisseeigentlich meine und fordere.

    Zu diesem Zwecke berblicke ich die Erkenntnisse und Rechtfertigungenmeines bisherigen Lebens, ich entnehme daraus exemplarisches Material frdie Klrung dieses Ideals. Von ihrer Geltung, ja selbst von ihrem faktischenGewesensein, will und darf ich keinen Gebrauch machen, aber als reineMglichkeiten darf ich sie doch bentzen, sie zu voller Klarheit gestalten,blo um daran Begriffe zu bilden. So klre ich mir oder bilde mir inursprnglicher Klarheit zunchst den Begriff des Erkennens als eines Glaubensoder Urteilens, und nher als eines in ausgezeichneter Weise motiviertenUrteilens. Das im prgnanten Sinn erkennende Urteilen richtet sich nmlichnach einem Sehen oder Einsehen, derart, da das Geglaubte nicht blogeglaubt, sondern selbst gesehen oder eingesehen, selbst erfat, selbst ergriffenist. Ein solcher nach evident Gegebenem sich richtender Glaube heit selbstein evidenter oder evident begrndeter. Einen nicht evidenten Glaubenbegrnden heit ihn in einen evidenten, durch Anmessung an eineSelbstgebung des Geglaubten, berfhren.

    Ist das einmal gelungen, so mu es fr dieselbe berzeugung immer wiedergelingen; er mte berhaupt standhalten, so bin ich zunchst geneigtanzunehmen. Aber nun gedenke ich exemplarischer Mglichkeiten, derEntrechtung frherer Begrndungen und Evidenzen durch sptere, ichunterscheide zwischen vollkommeneren und unvollkommeneren Evidenzen.An der Entwertung unvollkommener Evidenzen erfasse ich auch den Begriffder Scheinevidenzen. Hieran bilde ich nun mein Ideal absoluterRechtfertigung. Ein wissenschaftliches Streben kann doch nur Sinn haben,wenn was Recht ist, Recht bleiben kann, wenn also jedes Urteil und jedeunvollkommene Evidenz ihr absolutes Ma haben kann an einer

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    vollkommenen Evidenz, in der Wahrheit und Falschheit sich entscheiden kann.Das sagt, es mte ein adquates Sehen oder Einsehen geben, ein Sehen,Erfassen, das wirklich ist und durchaus ist, was es sein will, Selbsterfassen desgeglaubten Gegenstands. Es drfte also gar nichts von einem unklaren,ungefhren Sehen, und nach keinem gegenstndlichen Moment, in sich bergen,nichts von einem antizipierenden Meinen. Der Gegenstand mte voll undganz selbsterfater sein. Davon mte ich mich aber absolut berzeugen knnen,und das wre nur denkbar in Form eines reflektiven Sehens. Unter Zergliederungder Urteilsmeinung mte ich konstatieren knnen, da sie durchaus, nachallen Momenten satt erfllte ist. Dieses reflektierende Sehen mte selbst wiederadquat sein und sich genau so vor sich rechtfertigen knnen.

    Es leuchtet aber ein, da zu einer adquaten Evidenz auch eine anderemgliche Probe gehren mte, die des Durchgangs durch einen Negations-und Zweifelsversuch. An einem adquat Gegebenen und absolut selbstErfaten mte jeder solche Versuch notwendig zerschellen. Es kme dabeivielmehr die Unmglichkeit des Nichtseins und Zweifelhaftseins des adquatGegebenen ihrerseits zur adquaten Gegebenheit; mit anderen Worten,whrend etwas adquat gegeben ist, kann es nicht negiert und nicht bezweifeltwerden. Das bezeichnet sich auch mit den Worten: Das adquat Evidente istin apodiktischer Gewiheit gegeben.

    Damit gewinnt das von Descartes bentzte Kriterium der Zweifellosigkeitfr eine absolut gerechtfertigte Erkenntnis seinen tieferen Sinn. Es wre leichtzu zeigen, da Descartes selbst diesen Sinn nicht klar erfat hat und nichtzum mindesten dadurch in groe Verirrungen geraten ist.

    Doch bleiben wir bei der Sache und in der meditierenden Icheinstellung.Das Ergebnis der Besinnung ist, da ich als leitendes Ideal fr absolutgerechtfertigte Erkenntnis die Idee einer adquaten Evidenz nehmen mu.Ich mu nun sehen, wie weit ich damit komme, wie ich damit eine Philosophiein Gang bringen kann.

    Doch ehe wir in das wirkliche Suchen nach einem Anfang eingehen knnen,mssen wir noch berlegen, da wie Erkenntnis berhaupt, so auch adquateErkenntnisse, sich in unmittelbare und mittelbare scheiden werden. Da diemittelbaren in ihrer adquaten Begrndung auf unmittelbare zurckfhrenmssen, so werden die ersten Erkenntnisse, auf die ich mein Suchen richtenmu, den Charakter absolut unmittelbarer haben mssen. Eine nhereberlegung zeigt dann leicht, da als absolut unmittelbar nur schlichteAnschauungen gelten knnen, ferner, da nur solche Begriffe undPrdikationen zulssig sein knnen, die schlichten, adquat selbstgebendenAnschauungen in strengster Adquation angepat worden sind. Rein aus demAngeschauten mu ich meine Begriffe schpfen und nur reine Deskriptionist fr den Anfang gestattet. Damit habe ich das hodegetische Prinzip desAnfangs. Am nchsten liegt es dabei, unter adquaten AnschauungenWahrnehmungen zu verstehen, also nach einer Sphre individuellen Seins zu

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    suchen, die mir zu adquater Selbstgegebenheit oder, was gleichwertig ist, inapodiktischer Seinsnotwendigkeit, in apodiktischer Zweifellosigkeit gegebensein kann. Versuchen wir es zunchst mit diesem spezielleren Leitgedanken.Mit der jetzt sich erhebenden Frage, wie wir uns eine apodiktisch zweifelloseSeinssphre verschaffen sollen, stehen wir wieder in dem CartesianischenGedankengang, der sehr zu seinem Schaden alle prinzipiellen Vorfragenunerrtert gelassen hatte. Seinem Hauptzuge wollen wir nun folgen, obschonunter bestndigen Umbildungen im Sinne prinzipieller Notwendigkeit, bishinauf zum ego cogito, dieser trivialsten Trivialitt fr den philosophischBlinden, diesem Wunder aller Wunder fr den philosophisch Sehenden.

    Mit gutem Instinkt beginnt Descartes nicht damit, ohne weiteres das egocogito als absolut zweifellose Erkenntnis in Anspruch zu nehmen, als ein Reichapodiktischer Evidenz, sondern vielmehr erst vorhergehen zu lassen denNachweis der Zweifelsmglichkeit der Welt sinnlicher Erfahrung und somitder Unvollkommenheit dieser sinnlichen Erfahrung, ihrer Unfhigkeit, als Fun-dament absoluter Rechtfertigungen zu dienen. Denn die natrliche und allzeitbereite Evidenz des Ich bin ist nicht diejenige, welche philosophisch in Fragekommt, ist nicht jenes ego cogito, das durch die methodische Ausschaltung dersinnlichen Erfahrung und Erfahrungswelt gewonnen wird; und darin liegt dieungeheure Bedeutung des Cartesianischen Weges.

    Beginnen wir also wie Descartes mit der Prfung der sinnlichen Erfahrung.Nach dem allgemeinen Umsturz luft meine raum-weltliche Erfahrungungebrochen fort, sie scheint durch ihn also nicht betroffen; bestndig stehtin klarem Bewutsein leibhaften Daseins diese Welt vor mir, und ich findemich als Mensch unter anderen Menschen, Tieren, Dingen usw. Es scheintalso, da die uere Erfahrung eine bestndig flieende Evidenzquelle sei,ber die ich, der anfangende Philosoph, frei verfgen kann. Kann ich hiervernnftigerweise zweifeln? Aber genauer besehen ist diese Evidenz keineEvidenz apodiktischen Charakters, wie ich sie als Anfang fordern mte.Denn mag ich irgendein rumliches Objekt noch so vollkommen wahrnehmen,noch so grndlich besehen, betasten usw., niemals ist die Mglichkeit derNichtexistenz dieses so klar Erfahrenen ausgeschlossen. Der Gedanke, dieseDinge da seien in Wahrheit nicht, whrend ich sie immerzu klar und einstimmigsehe, mag unvernnftig, mag vllig ohne Grund sein, niemals ist er dochapodiktisch widersinnig. Niemals ist ja auch, wie ich leicht bemerke, dieWahrnehmung eine adquate Selbstgebung des rumlichen Gegenstands;wie vollkommen er zur Wahrnehmung kommt, immerfort meint derWahrnehmungsglaube mehr als was wirklich gesehen ist und bleibt dasgesehene Ding ein Gemisch von eigentlich Gesehenem und nicht Gesehenem,also immer bleibt es offen, da sich Fortgang weiteren Wahrnehmensherausstelle, da das Gesehene nicht so sei, als wie es vordem vermeintlichgesehen war, oder gar da es berhaupt nicht sei, da sich das Gesehene inIllusion oder Traum auflse.

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    Danach ist es ganz sicher kein Widersinn, sondern eine bestndige absolutevidente Mglichkeit, da die gesamte Natur, die ich erfahre, berhaupt nichtsei. Der hypothetische Ansatz ihrer Nichtexistenz ist also nicht etwa von derArt wie die Hypothese, da 2 > 3 ist oder da ein Dreieck vier Seiten hat;denn das sind apodiktisch unmgliche Hypothesen. Der gefhrteMglichkeitsbeweis wird von groer methodischer Bedeutung werden. Haltenwir dieses Resultat fest, das in Korrelation steht mit der absoluten Evidenz,der absoluten Evidenz, da keine einzige raum-dingliche Erfahrung denCharakter einer adquaten absolut selbstgebenden gewinnen kann und erstrecht also nicht die universale Erfahrung, die mir die unendliche Natur alsunmittelbare Gegebenheit darbietet. Oder was dasselbe: Mag meine uereErfahrung eine noch so vollkommene sein, sie schliet die Mglichkeit desNichtseins des Erfahrenen, also schlielich der ganzen Welt nie aus. Dasbetrifft aber nicht blo die rein physische Naturerfahrung, sondern auch diein ihr fundierte Erfahrung vom Animalischen und speziell vom Psychischenbraucht kein Erfahrungsding zu sein, obschon ich es klar erfahre, so auchkein erfahrener Leib, kein Mensch, kein seelisches Leben irgendwelchenLeibes. Nichts davon ist in apodiktischer Evidenz erfahren. Nach dem Prinzipdes Anfangs darf nichts davon fr mich da sein, das volle und ganze Weltallmu in meinem Umsturz mit einbegriffen sein, mit der gesamten nicht blophysischen, sondern auch psychophysischen objektiven Erfahrung.

    Kann mir nun berhaupt noch etwas brigbleiben? Kann es berhaupt eineErfahrungsart geben, die adquat , die ihre Erfahrungsobjekte inapodiktischer Gewiheit darbietet, also in einer Weise, da diese Erfahrungdas Nichtsein des Erfahrenen apodiktisch unmglich macht? Umschliet dasWeltall nicht das All des Erfahrbaren, das All des individuellen Seinsberhaupt? Wir antworten in bestndiger, prinzipieller Modifikation desCartesianischen Gedankenganges: Die apodiktisch erwiesene Mglichkeit desNichtseins des Weltalls, das ich soeben erfahre und whrend ich das tue,berhrt in keiner Weise das Faktum dieser Erfahrung; genauer das Faktum,da ich diese und diese Dinge, in der und der Weise sich gebend, dieseRaumwelt, mit diesen Krpern, Menschen usw. erfahre.

    Mag diese Welt nicht sein, die ich da fortlaufend erfahre, das ist absolutevident, da ich sie erfahre, da mir diese Dinge da als wahrgenommenegegeben sind, da sie erscheinen, wie sie erscheinen, jetzt unklar und dannetwa klar, jetzt in der und dann in anderer Perspektive usw., und da ich siewahrnehmend jetzt als rumliche Wirklichkeiten glaube. Das ist aberapodiktisch gewi, wenn ich eben von dem naiven Erfahren dieser Dingedieser Welt in die Reflexion bergehe; und ich kann jederzeit reflektieren aufdas Ich nehme das und das wahr und nehme es in der und derErscheinungsweise wahr. Dieses Reflektieren ist ein neuartiges Wahrnehmen,eine Wahrnehmung von den Dingwahrnehmungen und ihren Gehalten. Nennenwir die eine Wahrnehmung die naturale oder berhaupt mundane Wahrnehmung,

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    so mag die neue reflektive Wahrnehmung als phnomenologische oder auchegologische bezeichnet sein; in ihr ist der Gegenstand das Phnomen derHauswahrnehmung, Tischwahrnehmung usw. bzw. dieses ego cogito, diesesIch nehme dieses Haus, diesen Tisch u. dgl. wahr. Diese phnomenologischeWahrnehmung ist absolut unaufhebbar, die Tatsache, die sie erfat, erfat sieals eine apodiktisch evidente, als adquat gegebene Tatsache. SoWahrgenommenes zu leugnen, ist apodiktisch unmglich. Reflektierend findeich ich bin das und das erfahrend und bin absolut, wenn ich diesen AusdruckIch bin adquat deskriptiv verstehe.

    Aber nun breitet sich der Bereich dieser apodiktischen Erfahrung alsbaldendlos aus. Mich an meine Reise, an Menschen, an Gesprche u. dgl.wiedererinnernd mag es sein, da all das Traum, da es wirklich nicht war;aber an dieser Tatsache der Wiedererinnerung kann ich, sie als dieses jetzigeErlebnis erfassend, absolut nicht zweifeln. Und so, wenn ich denke, da ichdenke, wenn ich evident oder nicht evident urteile, mathematisiere u. dgl.,da ich so und so urteile, wenn ich Gefallen an etwas habe, begehre, fhle,will, da ich so Ob mein Erinnern und Erwarten, meinjeweiliges theoretisches Denken, ob mein sthetisches Stellungnehmen, obmein Begehren und Wollen richtig oder unrichtig, vernnftig oderunvernnftig ist, gut oder schlecht, das darf jetzt, wo ich die apodiktischeEvidenz der egologischen Wahrnehmung, der Wahrnehmung vom ego cogitofeststelle, nicht in Frage sein. Nicht auf Recht und Unrecht meines cogitodarf diese Evidenz im mindesten erstreckt werden; die Stellungnahmen, dieurteilenden und wertenden Meinungen, die Willensmeinungen, die ich jeweilsunter dem Titel ego cogito vollziehe, mgen wie immer beschaffen sein,eventuell mgen sie eine Evidenz in sich haben, aber ihre Evidenz ist nichtdie Evidenz der egologisch reflektierenden Wahrnehmung. Was dieseapodiktisch feststellt, ist blo die Tatsache, da ich so und so erfahre, micherinnere, denke, fhle, will, da ich dabei die und die Stellungnahmenvollziehe mit den und den Charakteren, die ihnen tatschlich zueigen sind.Prinzipiell mu ich also beachten, da jedes solche cogito sein cogitatumhat, zu dem es so und so Stellung nimmt, da ich aber in der reflektivenegologischen Einstellung keine dieser Stellungnahmen zum cogitatum alsgeltend mit aufnehmen darf, da ich keine mitmachen darf. Nur diePhnomene als Fakta, nur die in ihnen beschlossenen Stellungnahmen alsFakta konstatiere ich und darf ich konstatieren, wenn ich die rein egologischeTatsachensphre gewinnen will. Derart also gewinne ich einen reinen Fluapodiktisch zweifelloser und jederzeit erfassungsbereiter Tatsachen, derenuniversaler Cartesianischer Titel ego cogito heit, oder, wie wir aus gutenGrnden dafr sagen werden, die transzendentale oder absoluteSubjektivitt.

    Die Ausschaltung der jeweils natural erfahrenen Welt ist danach einSonderfall der universalen Ausschaltung aller Stellungnahmen, die wir in

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    jedem cogito vollziehen mssen, um es als reines Phnomen, als absoluteegologische Tatsache zu gewinnen.

    Indessen, es hatte guten Grund, warum wir den Nachweis der mglichenNichtexistenz der Welt, whrend sie erfahren ist, so sorgfltig fhrten; dennes gibt kein anderes, sicher kein eindringlicheres Mittel, um das bergleitenin den nur zu natrlichen Psychologismus und Naturalismus zu verhten, derdie transzendentale Subjektivitt, wie das schon bei Descartes geschehen ist,psychologisiert als mens, sive animus, sive intellectus und damit schon imersten Anfang den Zugang zu einer echten Transzendentalphilosophie undErkenntnistheorie verbaut. Hier ist also der entscheidende Punkt, derphilosophische Scheideweg. Der Unterschied zwischen egologischerErfahrung und mundaner Erfahrung ist keineswegs der bliche Unterschiedzwischen uerer und innerer Erfahrung. In der Tat, im ganzen Sinn unsererAusfhrungen liegt: Die apodiktische, egologische Wahrnehmung istprinzipiell unterschieden von aller mundanen Erfahrung, die letztlich immerfundiert ist physischer Erfahrung. Und danach ist das apodiktischevidente Ego, konkret gesprochen die transzendentale Subjektivitt,keineswegs die empirisch-introspektiv erfate Seele. Die Psychologie istselbst mundane Wissenschaft, Wissenschaft vom menschlichen und tierischenSeelenleben, also von Tatschlichkeiten der Welt. Alle psychologischeErfahrung, Selbsterfahrung wie Fremderfahrung, hat ihrem eigenenpsychologischen Sinn gem eine Fundierung in naturaler, in somatologischerErfahrung. Wer den Ansatz macht, die erfahrene Welt existiere nicht, werradikal dabei bleibt, keinerlei Urteilsstellung zu ihrem Dasein zu nehmen,der hat der Psychologie so wie allen mundanen Wissenschaften den Bodenunter den Fen weggezogen, der hat alles Psychologisch-Psychische,Seelische ebenso verloren wie alles Physische. Aber wie wir zeigen werden,hat er eben damit der Phnomenologie und Philosophie den Boden bereitet.Jedenfalls die Welt mit allen Seelen und auch mit meiner Seele haben wirauer Spiel gesetzt durch die phnomenologische Reduktion; aber reduzierthaben wir auf das echte ego cogito, die mgliche Nichtexistenz der Welt zurHypothesis verwendet, sie sei nicht, lt unberhrt brig eben diesetranszendentale Tatsachensphre und zeigt zugleich, da diese absolut ist undin sich geschlossen ist und schlechthin unabhngig ist von Existenz oderNichtexistenz der Welt, also in keiner Weise zu ihr gehrt.

    Nur so gewinnen wir also die transzendentale Subjektivitt in ihrerEigenheit und Reinheit als eine Subjektivitt, die ohne Widersinn nie dasThema der Psychologie werden kann, die selbst in ihr Phnomen ist. Mandarf hier nicht wie Descartes auf halbem Weg stehen bleiben, was also heit,ans Ziel berhaupt nicht kommen. Man darf nicht damit sich begngen zusagen: Ich als das absolut evidente Ego bin natrlich nicht Ich dieser Mensch.Denn mein Leib ist selbst nur sinnlich erfahren und braucht nicht zu sein, ichschalte ihn aus, mache ihn zu meinem bloen Phnomen. Also bin ich reine

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    Seele oder gar, wie Descartes weiter sagt, substantia cogitans. Mit dem Leibwird auch die Seele zum bloen Phnomen. Inhibieren wir aber alle unterdiesem Wort mitgemeinten naturalen und mundanen Stellungnahmen, dannist von Psychologie und Seele keine Rede mehr.

    Der Ansatz des Nichtseins der Welt (oder das Sich-jeder-Entscheidung-Enthalten in Beziehung die beiden Mglichkeiten des Seins undNichtseins der Welt) fhrt, wenn ich reflektiere, auf das absolute, apodiktischEvidente Ich habe die und die naturalen Erfahrungen, ich sehe dieses Haus,whrend ich das Sein des Hauses offen lasse. Ich habe damit den flieendenzusammenhngenden Zug der naturalen Erfahrung als ein absolutExistierendes. Aber dieses absolute Ich erfahre dieses Haus, diese Straenusw. ist nicht alles. Ich stoe nun sogleich auf einen ganz mannigfaltigenErlebnisstrom, auf das konkrete ego cogito. Z. B. das Haus sehend mag ichzugleich Gefallen daran haben, den Wunsch, es zu kaufen, dann den Willen,daran mag sich schlieen, da ich zu rechnen anfange usw. All das bekommtseinen absoluten Sinn als ein absolut dahinstrmendes Sein, wenn ichreflektierend es in seinem eigenwesentlichen Sein, in jener Epoch, nehme.Es ist ein jeweilig jetzt Seiendes. Dabei ist es jetzt leicht, das, was dabeiindividuell als jetzt Seiendes ist, zu unterscheiden von dem, was dabei gemeintist, aber nicht selbst als jetzt individuell erfat ist. Urteile ich gerade 2 < 3und 2 7 = 15, so ist, was die Reflexion als absolutes Erlebnis fat: Ichurteile 2 < 3, 2 7 = 15. Aber der eine und andere dieser Sachverhalte selbstist nicht das cogito, sondern das in ihm Geurteilte und dieses ist einmal einwirklich bestehender Sachverhalt und sogar ein apodiktisch evidenter, dasandere Mal ein widersinniger, nicht bestehender Sachverhalt. Aber derSachverhalt ist nicht das, was die Reflexion als ego cogito vorfindet. DasIch urteile A, das ist das absolut Gegebene; das A selbst findet nicht dieapodiktische Reflexion, sondern das Urteil selbst, wenn es evident ist. Wiewir, um das absolute Ich erfahre dieses Haus , die Existenzdes Hauses ausschalten, den Erfahrungsglauben ansehen, aber nicht alsReflektierende bettigen, mitmachen, ihn eben nur als Tatsache hinstellen, sofixieren wir in der Reflexion, wenn wir urteilen 2 2 = 4, nur die Tatsache,da wir so urteilen, aber nicht das Bestehen dieses Sachverhalts 2 2 = 4.Wir knnen in dieser Weise konsequent auf jedes Ich erfahre, ich denke, ichfhle, ich will reflektieren und immer nur diese Tatsache selbst erfassendsetzen und hinsichtlich alles dessen, was da im Erfahrungsglauben selbstgeglaubt, was da im Denken gedacht ist usw., uns jedes Urteils enthalten, wirknnen berhaupt jede Stellungnahme, die in diesen Ichakten vollzogen ist,jetzt auer Spiel setzen, in dem Sinn, da wir jetzt sie nicht mitmachen, sondernnur als Tatsache setzen. Nur dann haben wir die reine egologische Erfahrungund ihren absoluten Bereich, mgen diese Stellungnahmen richtig oderunrichtig sein, als Tatsachen sind sie absolut. Die Bevorzugung derWeltausschaltung besteht aber darin, da, wenn sie nicht bewut vollzogen

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    und nicht die Mglichkeit des Nichtseins erkannt ist, dies unvermeidlich dahinfhrt, da man die ganze egologische Erfahrung als innere Erfahrunginterpretiert und nicht merkt, da man dann keine reine Erfahrung mehr hat,sondern eine Belastung mit Voraussetzungen.

    Das Prinzip der radikal werdenden Philosophie und das bleibende Prinzipder Phnomenologie ist der extremste Radikalismus der intuitiven Adquatheitaller Feststellungen in allen systematischen Stufen. Auf der jetzigen Stufesagt das: Nicht um eine Haaresbreite darf ich ber das apodiktisch Gegebeneder Reflexion hinausgehen und ber seine adquate und reine Deskription.Also jedes Wort, das ich aussage, jeder Begriff, den ich verwende, mu reinaus dem apodiktischen Wahrnehmungsbestand genommen sein. EinHereinziehen von Begriffen, die ich andersher habe, etwa gar ausphilosophischer Tradition, von mens, animus, intellectus, substantia cogitans,das ist ein vlliger Abfall von dem philosophischen Ziel, es ist eine Artphilosophischer Todsnde. Demgem nehmen wir also jetzt als Resultat nichtmehr, als was wir absolut vertreten knnen; es gibt apodiktisch evidente,reflektive Erfahrung, der ich mich methodisch durch jene eigentmlicheAusschaltung, wir nennen sie die phnomenologische Reduktion, versichere.In ihr gewinne ich einen absolut zweifellosen Erfahrungsboden, einSeinsgebiet in sich, absolut in sich geschlossen, und zwar als Gegenstandreiner Wahrnehmung. Es ist, was es ist, ob die Welt existiert oder nicht existiert.Anderseits htete ich mich zu sagen, es ist auerhalb der Welt, getrenntvon der Welt, wie ich mich hte zu sagen, es ist ein Stck, ein mir evidentgegebenes Stck der Welt. Nur das darf ich sagen, da zu dieser gegebenenSphre von Wahrgenommenheiten alle meine Erfahrungen von der Welt reinals meine Erlebnisse gehren, und darin liegt eine Beziehung; was fr eine,darber kann ich jetzt noch nichts sagen.

    II. Das Reich der phnomenologischen Erfahrung und dieMglichkeit einer phnomenologischen Wissenschaft. Die transzendentalePhnomenologie als Wesenswissenschaft der transzendentalenSubjektivitt

    Versetzen wir uns wieder in die Einstellung der philosophischen Ichmeditationund in die Ichrede. Also ich, der werdende Philosoph, bin, sozusagen ummeines erkenntnisethischen Seelenheiles willen, auf der Pilgerfahrt nachuniversaler und absolut gerechtfertigter Erkenntnis begriffen und habe dasego cogito erreicht als eine Sphre apodiktisch evidenter Erfahrung. Was kannich damit theoretisch anfangen? Gilt es, den Wegen CartesianischerMetaphysik folgen, also aus der mir angeblich zweifellos gegebenenRealitt des eigenen Ich die brige reale Welt mittelbar zu erschlieen;oder ist es auf eine spekulierende Ichmetaphysik abgesehen?

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    Das ist fr mich ausgeschlossen. Ich will nicht spekulieren, sondern ganzausschlielich aus den originalen Quellen adquater Anschauung schpfen.Nur das, was ich schauend direkt erfasse, in adquater Weise selbst gegebenhabe, soll mein Grund sein. Nur daher darf das rechtfertigende Prinzip jedesDenkschritts genommen sein.

    Was wir andererseits gegen Descartes schon gesagt haben, das verschlietuns eo ipso all seine weiteren Wege und alle von ihm sich ableitendenkritischen Realismen. Das Ego ist nicht eine der Realitten, nur fr michdurch adquate Evidenz ausgezeichnet. Es ist das Gegebene derphnomenologischen Erfahrung, die ihre Kraft dadurch gewinnt, da allenaturale Erfahrung und somit alle Realittserfahrung auer Kraft gesetzt ist.Das Ego ist also keine Realitt und kein mglicher bergang frRealittsschlsse, die immer nur von Realem zu Realem laufen knnen undan die natrliche Einstellung gebunden sind.

    Wie will ich nun weiterkommen? Es ist klar, ehe ich weiter berlegenkann, was ich an dem ego cogito habe, wiefern es als Boden einer Wissenschafttauglich sei, mu ich es mir nher ansehen. Und in der Tat, es tut sehr not, michim egologischen Erfahrungsbereich umzutun. Denn er ist mir ein vllig Fremdes.Das Reich der mundanen Erfahrung war mir, dank der unermdlichenErfahrungsarbeit der Kinderjahre, nach ihrer konkreten Typik wohlvertraut,lange ehe ich an Erfahrungswissenschaften herantrat; und ohne reichdurchgebildete Erfahrungskenntnis htte es nie zu einer Erfahrungswissenschaftkommen knnen. Andererseits habe ich aber niemals reine Phnomene erschauenund in ihrer eigentmlichen Typik kennen und beschreiben gelernt. Erst diephnomenologische Reduktion hat mir, der ich vordem nur als natrlicherMensch unter Menschen und in der Welt gelebt hatte, das phnomenologischeAuge geffnet und mich gelehrt, das Transzendental-Subjektive zu erfassen.Ich mu mich also erst umsehen und ein wenig in dem neuen Reich orientieren.Freilich, eine gar lange phnomenologische Kinderzeit wird mir nicht erspartsein, wenn ich weitreichende Kenntnis, ber die ich nachher theoretisch verfgenkann, gewinnen will.

    Zur Sicherung der Reinheit aller Erfassungen und Beschreibungen muich dabei bestndig die unverbrchliche Regel der phnomenologischenReduktion, oder, wie wir auch sagen, die der phnomenologischen Epoch,der phnomenologischen Einklammerung im Auge behalten; 1. nmlichbei jedem bergang in die Ichreflexion, mit der ich zunchst nur einpsychologisches oder psychophysisches Weltfaktum gewinne, mu ich jedeMitsetzung objektiven realen Seins unterbinden und das in jeder mglichenRichtung, also an dem jeweiligen Ich denke das und das, ich begehre, tuedas und das, ich gehe spazieren usw. sowohl bei dem Titel Ich wie beidem Titel Spazieren, Denken, nach Ruhm, nach Nahrung Begehren u.dgl. Nur das pure Erleben als Tatsache, das, was unangefochten bleibt, auchwenn ich annehme, es sei keine Welt, ist das apodiktische, das transzendentale

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    Phnomen der Phnomenologie. 2. Aber nicht nur jede Seinssetzung derWelt und jede sonstige urteilende Stellungnahme in Bezug auf sie schalte ichso aus, sondern berhaupt jede Stellungnahme, die im jeweiligen cogito selbstliegt. Nur die Tatsache, da ich so und so urteile, so und so werte, die und dieZwecke mir stelle usw., fixiere ich, nur sie ist mein Phnomen. Nur sie ist inder phnomenologischen Reflexion apodiktisch gewi. Die Stellungnahmeaber, die im Urteil selbst, in der Wertung selbst, in der Zwecksetzung selbstliegt, mache ich nicht mit. Miturteilen, Mitwerten, berhaupt Mit-Stellung-Nehmen, das heit, wahrgenommenene Gegenstnde, den geurteiltenSachverhalt, den gefhlten Wert usw. als wahrhaft seienden Sachverhalt, alswirklichen Wert setzen. Es heit, etwas als seiend setzen, was nicht zumadquat erschaubaren Bestand des cogito selbst gehrt. Wahrnehmend,urteilend, wertend usw. meine ich das und das. Nur dieses wahrnehmende,urteilende, wertende Meinen, das konkrete meinende Erleben ist das Faktum,das die phnomenologische Reflexion rein und in berall gleicher Weise alsapodiktisch evidente Tatsache herausstellen kann. Ob das wahrgenommeneDing wirklich existiert, ob der gemeinte Sachverhalt zu Recht besteht, ob dervermeinte Wert ein wirklicher Wert ist, ist jetzt nicht in Frage, und sicher istjedenfalls, da Dinge, dingliche Gter und so die ganze erfahrene, gedachte,gewertete Welt selbst im meinenden Erlebnis (im wahrnehmenden, urteilendenusw.) nicht als reelle Komponente enthalten sind. Denn das Nichtsein derWelt berhrt ja nicht das Sein dieser reinen Erlebnisse. Das gilt fr alles berden reellen Gehalt hinaus Gemeinte. Will ich gegebenenfalls das reinePhnomen gewinnen, so mu ich zunchst berhaupt alles ausschalten,was darin als Seiendes, Wahres, Rechtes gesetzt ist, d. i. Ich als Phnomenologedarf nicht miturteilen, mitwerten usw.

    Diese Unterbindung aller im natrlichen und zu reinigenden ego cogitoliegenden Stellungnahmen nennen wir die phnomenologische Epoch. Auchdie bildliche Rede von der Einklammerung, die wir viel gebrauchen, ist damitverstndlich. Wo immer ich in die reflektive Einstellung bergehe, ein Stckgelebtes Leben, ein Wahrnehmen, Urteilen etc. in der Gestalt Ich sehe,Ich urteile erfasse und eventuell ausspreche, da bringe ich im Geiste soforteinen Index der Ausschaltung, eine Klammer an, als Symbol, das da mahnt,in jeder Hinsicht an diesem ersten Ich denke die Epoch zu ben, weil icherst dadurch das phnomenologische Datum ego cogito, die transzendentaleTatsache, gewinne.

    Diese Regel der Einklammerung mahnt mich zugleich, schlechthin keineder natrlichen Aussagen in das phnomenologische Gebiet einzuschmuggeln.Verwehrt ist jede Aussage ber ein Wahrgenommenes schlechthin, ber dasGewertete schlechthin, Bezweckte schlechthin usw., wie sie der natrlichNaive im Wahrnehmen, im Werten, Streben lebend ohne weiteres undgeradehin ausspricht, denn dabei spricht er ber die Dinge, die existierenden,ber dieses Schne, jenes Ntzliche, in einer Weise, die all das als Seiendes,

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    Wahres setzt. Ich als Phnomenologe darf keine anderen Aussagen machenals solche der Ichreflexion. Ich darf nicht sagen: Der Himmel ist blau,sondern hchstens Ich sehe, da der Himmel blau ist. Das tut oft auch dernaive Mensch. Aber wenn er gelegentlich in reflexive Einstellung bergeht,bleiben diese Setzungen erhalten. Aber nur dadurch, da ich nicht nur aufmein soeben naiv gelebtes cogito reflektiere, sondern in eins damit alle daringelegenen Setzungen unterbinde, also Epoch be, verwandelt sich dienatrliche Reflexion in die phnomenologische Reflexion, und speziell, washier allein in Frage ist, in die phnomenologische Wahrnehmung, in der dasego cogito als rein transzendentale Tatsache heraustritt. Nur als dieserunbeteiligte Zuschauer meines natrlichen Icherlebens kann ich darin meinabsolutes Sein und Wesen erschauen.5

    Nun ist es aber wichtig zu beachten, da mit der Einklammerung nichtetwa das Eingeklammerte aus dem Bereich der phnomenologischenBetrachtung einfach verschwindet. Vielmehr in der Modifikation, die das Bildder Klammer zugleich andeutet, gehrt doch wieder alles Eingeklammertemit zum transzendentalen Phnomen und zu seinem ganzen unabtrennbarenWesensbestand. Das wird am Beispiel klar. Sehe ich in den blhenden Gartenhinaus und freue ich mich an der Frhlingspracht, so ergibt die Reflexion alstranszendentales, als absolut egologisches Faktum eben dies Ich sehe dasund das, Ich freue mich u. dgl., wiefern ich nur nicht mitglaube, mitwerte,nmlich als phnomenologischer Zuschauer. Ob dieser Garten existiert odernicht existiert, und mag die ganze Welt nicht existieren, das reine PhnomenIch nehme wahr bleibt bestehen; aber es bleibt auch bestehen das Ichnehme diesen blhenden Garten wahr. Das Ganze steht in Klammer, ist reinesPhnomen. Aber untrennbar gehrt zum Wahrnehmen, als solchem reinenPhnomen, da es Wahrnehmen von dem darin so und so wahrnehmungsmigVermeinten ist. Ebenso gehrt zum Schn-Werten dieses Gartens, da esWerten dieser bestimmten Gartenschnheit ist und die Epoch gibt dem nureine Klammer. Also zum phnomenologischen Wesen der Wahrnehmunggehrt, das Wahrgenommene als solches, der Wertung das Gewertete alssolches, zum Begehren das Begehrte als solches usw., genau so, wie eseben darin Wahrgenommenes und sonstwie Bewutes ist.

    Jedes cogito, und zwar so genommen, wie es transzendental gereinigtesist, wie es transzendentales oder phnomenologisches Datum heit, ist alsocogito seines cogitatum. Seines cogitatum, damit soll gesagt sein, es ist nichtein beliebiges, sondern deskriptiv bestimmtes; mag der Garten einTraumgarten, ein illusionrer sein, ich sehe ihn als diesen, in diesem Sehenso und so bestimmten und zu beschreibenden. Urteile ich, in der Mathematikschlecht unterrichtet, es gebe regelmige Dekaeder, so ergibt diephnomenologische Reduktion auf das transzendentale Phnomen eben diesesUrteilen als absolutes Erleben und so ist darin als Geurteiltes die Existenzvon regelmigen Dekaedern, in Klammern natrlich, also die geurteilte

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    Existenz als geurteilte. Ist das Urteilen ein evidentes, sagen wir 2 < 3, so istdas deskriptiv zum absoluten Phnomen selbst Gehrige eben dieses, evidentesUrteilen davon, da 2 < 3 ist. Aber auch hier habe ich als Phnomenologediese Evidenzsetzung nicht mitzumachen, sondern nur als tatschlichenCharakter des Urteilens oder des Geurteilten als solchen ins Auge zu fassen.

    Das also gilt von jedem cogito oder in blicher Rede von jedemBewutsein. Jedes Bewutsein ist Bewutsein von dem in ihm Bewuten,und dieses Bewute als solches genommen, genau so, wie es im Bewutseinzu finden ist, gehrt (in der Einstellung der Epoch) zum Bereich dertranszendentalen Subjektivitt. Also haben wir nicht, wie in derCartesianischen Rede ego cogito, einen Doppeltitel, sondern einendreifachen, der in der Tat, wie sich herausstellt, dreifache, obschon miteinanderuntrennbar sich verflechtende Beschreibungen zult: ego-cogito-cogitatum.

    Will man also die transzendentale Subjektivitt, oder wie wir auch gernesagen, das Reich egologischer Tatsachen kennenlernen, so mu man in unsererMethode und im Rahmen der reinen Anschauung, die sie ermglicht, dietranszendentale Subjektivitt und ihr Bewutsein selbst befragen undinsbesondere einzeln jedes Bewutsein selbst befragen nach dem, was in ihmdas Bewute ist und genau, wie es da Bewutes ist. Bewut ist irgendwelchesGegenstndliche, ein Gegenstndliches in Klammern, wir sagen intentionalerGegenstand, und dieses Gegenstndliche hat, je nachdem dasBewutsein ist, hchst mannigfaltige Modi der Gegebenheit, des Wie es daBewutes dieses Bewutseins ist. Jeder intentionale Gegenstand, sagen wir, istin mannigfachen intentionalen Modis bewut. Das Bewutsein alsintentionales Erlebnis, sagen wir, hat mannigfache intentionale Gehalte. Baldist es bestimmt bewut, bald unbestimmt, aufmerksam, nichtaufmerksam, bald klar, bald mehr oder minder unklar, bald anschaulich, baldleer unanschaulich, bald bekannt, bald fremd. Bald ist es ein schlichtesBewutsein bzw. ein in schlichter Weise Bewutes, bald ist es in fundiertemoder in einem synthetischen Bewutsein Bewutes und hat dann als Bewutesseine eventuell sehr komplizierten Schichten und Strukturen. Ist das Bewutseinein anschauendes, so kann es wahrnehmendes Bewutsein sein oderwiedererinnerndes oder vorerinnerndes oder anschauend durch Abbildung usw.Das anschauende kann eventuell aber auch ein nicht anschauendes in sich bergenbzw. Unterlage eines darauf geschichteten ausdrckenden Bewutseins sein,eines spachlichen Bewutseins mit Wortlautbewutsein, Bedeutungsbewutsein,eventuell zugleich klar bezogen auf anschaulich Gegebenes.

    Schon im ersten berschlag stt man auf mannigfaltige Titel, zunchstals Titel natrlich-psychologischer und logischer, ethischer, sthetischerReflexionsbegriffe wie Erfahrung, Denken, begriffliches, prdikatives Urteilen,Schlieen usw., aber auch Fhlen, sthetisch und ethisch Werten, Wnschen,Begehren, Wollen. Zunchst sind es lauter Titel natrlich-psychologischerReflexion, deren jeder aber selbstverstndlich einen mglichen Anla gibt zu

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    phnomenologischen Reduktionen und zu Erfassungen egologischer Phnomeneund Phnomenstrukturen; bald solchen, die das Erlebnis selbst nach seinenreellen Bestnden betreffen, bald seine intentionalen Gehalte, die intentionalenModi, in denen das Gegenstndliche bewut ist.

    Allerdings, was der natrlichen Reflexion gar einfach erscheint, das stelltsich, wenn man tiefer eindringt, bald als hchst verwickelt heraus. Und nichtnur ist die Flle der Typen, auf welche uns schon jeder einzelne psychologischeTitel leitet, eine bergroe; schon die einfachsten Titel, wie der schlichtensinnlichen Anschauung und zunchst der Wahrnehmung, fhren, sowie mannur ernst anfngt, in Urwlder verschlungener Analysen. Freilich mu manmhsam das reine Sehen lernen, das ist Lernen, alles Hineinmengen vonGedanken und berzeugungen, die der natrlichen Einstellung entsprungensind, zu vermeiden. So wie man es darin im mindesten fehlen lt, hat mandie phnomenologische Deskription unheilbar verdorben.

    Es wre beispielsweise ein ganz verkehrtes Vorgehen bei der uerenWahrnehmungsanalyse, wenn man geleitet durch sensualistische Traditionendamit anfangen wollte zu sagen: Wahrgenommen sind Komplexe vonSinnesdaten. Sinnesdaten sind und in der Regel sogar falsche Produkteeiner theoretischen Analyse in psychologischer Einstellung. Aber dernotwendige Anfang jeder phnomenologischen Beschreibung ist das konkretvolle Phnomen, genau so wie es der unmittelbaren Anschauung sich darbietet.Direkt mu nach unserer Methode jede Aussage aus der reinen Anschauunggeschpft werden. In dieser Hinsicht ist es klar, da das Erste nicht ist: Ichsehe Empfindungsdaten, sondern: Ich sehe Huser, Bume usw., Ichhre von ferne her Glocken, einen Wagen rasseln etc. Also in derWahrnehmungsanalyse habe ich dieses Sehen als Sehen von Dingen zubefragen, inwiefern unter den Dingen oder an den Dingen als gesehenen, alsin jedem anderen Sinne wahrgenommenen, so etwas vorkomme, wasSinnesdatum zu nennen wre.

    Gehen wir dem ein Stck nach, an irgendwelchen Exempeln vonDingwahrnehmungen. Machen wir dabei einen ersten, noch ganz rohenVersuch eines Anfangs phnomenologischer Wahrnehmungsanalyse. Ichnehme etwa ein Haus wahr. Als Phnomenologe, als unbeteiligter Zuschauerschaue ich mir dieses Wahrnehmen an. Sehend bewege ich die Augen, treteeinen Schritt vor oder zur Seite, trete heran und betaste usw. Geachtet sei aufdas transzendental reine Phnomen des Sehens und wie das Gesehene sichrein phnomenologisch charakterisiert. Da bemerke ich, da hier einkontinuierlicher Wandel von Sehen und Gesehenem vorliegt. Kontinuierlichbin ich wahrnehmend auf das Haus gerichtet, das als eines immerfortwahrnehmungsmig vermeintes bleibt. Aber es, dasselbe Haus, sehe ich inimmer wieder verschiedener Weise, einmal jetzt von dieser, dann von jenerSeite und immer nur von irgendeiner Seite. Aber nicht blo das, wir bemerkenzugleich, da das Ding in verschiedener Perspektive sich darstellt und da

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    auch jedes Merkmal, jedes gesehene Flchenstck und seine Frbung imwandelbaren Wahrnehmen seine Erscheinungsweise ndert. DieselbeFlchengestalt und dieselbe unvernderte Farbe des als unverndert gesehenenHauses sieht, wie wir zu sagen pflegen, sehr verschieden aus, je nach demStandpunkt, von dem aus wir es sehen. Nun ist es klar: Die gesehene Dingfarbe,die des intentionalen Gegenstands, ist immerfort unterschieden von der Farbe,in der sie erscheint. Zum reinen Phnomen gehrt beides; die eine Farbe, diereelles Moment des momentanen Erlebnisses ist und im Flu derWahrnehmung sich ndert, knnen wir sehr wohl das EmpfindungsdatumFarbe nennen. Die darin sich darstellende Dingfarbe aber ndert sich nicht,solange das Ding als unverndertes wahrnehmungsmig bewut ist. Sie istFarbe des intentionalen Gegenstands.

    Die nhere Erforschung dieser Verhltnisse und der Fortgang derWahrnehmungsanalyse wrde ins Endlose fhren; klar ist aber schon, daman nicht so einfach mit Sinnesdaten, die man nie phnomenologischherausgearbeitet hat, anfangen und sie wie eine selbstverstndliche Sachebehandeln kann. Eine rein deskriptive Einstellung in unserer Methode ltbald hervortreten, da es eine beraus komplizierte Intentionalitt ist, welcheRaumdinge und ihre Eigenschaften anschaulich mglich macht und da dieArt, wie das durch mannigfaltige Erscheinungsweisen, Perspektiven etc.zustande kommt, nicht eben leichte intentionale Analysen fordern drfte.

    In der Tat, fngt man einmal ernstlich an, so erffnet sich eine endloseMannigfaltigkeit von rein phnomenologischen Eigenheiten; so am intentionalenNaturgegenstand die mit dem Wandel der perspektivischen ErscheinungsweiseHand in Hand gehenden Unterschiede der Orientierung, des Hier und Dort, derNhe und Ferne, die schlielich in den Fernhorizont bergeht; ferner dieRckbezogenheit aller Erscheinung auf die eigene Leiblichkeit, die in ihrerSonderstellung eine Flle eigener phnomenologischer Charaktere hat. MeinLeib ist stndiger Nullpunkt der Orientierung, das stndige Hier fr alles Dort;er ist Trger der Sinnesfelder, ist frei beweglich in einem einzigartigen Sinn,seine kinsthetische Bewegungsart ist vllig anders als die mechanische dersonstigen erscheinenden Dinge. Er ist System von Wahrnehmungsorganen undals Wahrnehmungsleib bei allen wahrgenommenen Dingen beteiligt usw. Alldas ist hier nicht psychologisches noch physikalisches Thema, sondern ist unterstrenger Epoch hinsichtlich aller Objektivitt im Rahmen reiner Phnomeneaufzuweisen und beschreiben.

    Hierher gehrt die phnomenologische Analyse der Einfhlung, der Art,wie fremdes Bewutsein sich in einem fremden Leib ausdrckt, wobei essich um eine intentionale Analyse des Bewutseins fremder Leib und umdie intentionale Analyse dieses Ausdrucks handelt. Das alles sind Titel frsehr umfangreiche Analysen.

    Richten wir unser Augenmerk noch auf einige neue deskriptive Richtungen.Wir halten den Gegenstand, etwa das zunchst gesehene Haus, fest und lassen

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    verschiedenes und verschiedenartiges Bewutsein darauf bezogen sein, dassich dadurch zugleich kontrastiert: also derselbe Gegenstand wahrgenommenund die Wahrnehmungen von ihm, die Erscheinungsweisen, Orientierungenetc. abgewandelt gedacht; derselbe Gegenstand dann als wiedererinnert, alsdurch Abbilder dargestellt, als sonstwie vorgestellt, in die Phantasie versetztetc. Es ist aber nicht zu bersehen, da das Identittsbewutsein als Bewutseinvom Einen und Selben eine eigene phnomenologische Grundtatsachedarstellt; jedes Bewutsein kann mit anderem und mannigfaltigem Bewutsein(kontinuierlich oder diskret) so zur Einheit kommen, da ein synthetischesBewutsein von demselben hier und dort bewuten Gegenstand erwchst. Manmache sich dabei folgendes klar: Wenn verschiedene Bewutseinserlebnissesich auf dasselbe beziehen, so gehrt zu jeder der Vorstellungen ihrintentionales Etwas, ihr Gegenstand. Aber jede Vorstellung hat im Zeitstromder Phnomene ihre Zeitstelle und Zeiterstreckung und ist von jedemnachfolgenden Erlebnis nach allen reellen Stcken getrennt. Trotzdem knnengetrennte Wahrnehmungen und sonstige Bewutseinserlebnisse identischSelbes bewut haben, das eventuell in Evidenz als ihr identischer intentionalerGegenstand aufgewiesen werden kann. Dieses Selbe ist also gegenber deneinzelnen Erlebnissen ein Ideales, das heit nicht-reeller Teil. Beziehungauf intentionale Gegenstndlichkeit besagt also eine phnomenologischaufweisbare Polarisierung der Erlebnisse, wonach mannigfaltige cogitationesdenselben idealen Pol in sich tragen. Auf ihn beziehen sich, um noch eineallerwichtigste Seite der phnomenologischen Momente anzudeuten, alleStellungnahmen, so insbesondere alle Modalitten des Glaubens so wie dieModalitten der Aufmerksamkeit, der Affektion.

    Indem wir diese nennen, werden wir zugleich darauf aufmerksam, daphnomenologische Momente nicht nur aufweisbar sind erstens als reelleMomente des jeweiligen cogito, so wie es zeitverbreitetes Erleben ist, frszweite nicht nur als ideelle Momente am cogitatum als dem intentionalenGegenstand und dem Sinn, in dem er mit den und den Merkmalen bestimmtoder unbestimmt bewuter ist; vielmehr wird drittens auch das Ich zum eigenenThema der Beschreibungen. Etwas kann mir bewut sein, aber ich bin nichtdabei; es kann einen Reiz auf mich ben, wie ein scharfer Pfiff, der michstrt, whrend ich mich doch noch nicht zuwende. Er kann michschlielich zu sich hinreien; und nun geht nicht nur vom Gegenstand einZug, ein Reiz auf mich, sondern ich werde zum Ich, das von sich aus auf denPfiff hinmerkt und fr ihn sozusagen wach wird.

    Und nun wird das Ich zum stellungnehmenden Ich. Von sich aus erfat esden Gegenstand, expliziert, identifiziert, unterscheidet und verhlt sich dabeials ttig glaubendes Ich, als Ich, das solches Tun in Gewiheit oder vermutend,fr wahrscheinlich haltend usw. vollzieht oder ttig begehrend nach demVorgestellten strebt, realisierend eingreift oder sich nur entschliet. Das Ichbezeichnet also eine eigenartige Zentralisierung oder Polarisierung aller

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    cogitationes, und eine total andere als die intentionalen Gegenstndlichkeiten;es ist das eine, absolut identische Zentrum, auf das alle in den cogitationesintentional beschlossenen Gegenstndlichkeiten in Form von Affektion undAktion bezogen sind. Wie das Ich, so modalisiert sich jedes cogito und jedescogitatum je nach Art solcher Akte oder Affekte. Ich bin gewi derGegenstand seinerseits steht da als gewi seiend, ebenso in anderen Fllenals mglicher, als wahrscheinlicher, zweifelhafter, wieder in Gemtsaktenals schner, guter, als Zweck, als Handlungsziel, als Mittel usw.

    Auf die spezifischen Akte, wie wahrnehmenden, erinnernden, prdizierenden,wertenden bezieht sich dann der hchste phnomenologische Titel, der derVernunft. Hierher gehrt der Unterschied des sachfernen Vermeinens unddes Selbsterfassens, Selbsterschauens, Einsehens von seiten des Gegenstandsbezeichnet, das Eigentmliche der Selbstgebung der Unterschied desvollkommenen und unvollkommenen Erschauens und dann die mannigfaltigenphnomenalen Vorkommnisse, die sich auf die Titel Evidenz und Begrndung,von Bewhrungen von Meinungen als richtig, von Abweisungen als nichtigbeziehen. Wo immer von wahrem Sein, von wahren Werten und Gtern, vonrechtmigen Zwecken und Mitteln, schon von normalen Erfahrungengegenber illusionren , werden wir auf diese phnomenologischeSphre verwiesen und alle die eben gebrauchten Worte drcken ursprnglichselbst solche intentionalen Charaktere aus.

    Diese Andeutungen mssen uns gengen, um die berzeugung zuerwecken, da hier ein fast unendliches Feld konkreter Phnomene unter demTitel ego cogito befat ist, sozusagen eine Welt fr sich und eine rein intuitivaufweisbare Welt, aber ausschlielich beschrnkt auf mein Ich, mein, desphnomenologisch Reflektierenden. Ich, der ich die phnomenologischeEpoch vollziehe, mache mich zum unbeteiligten Zuschauer all dessen, wasich als natrlich eingestelltes Ich durchlebe, darin an Realitten und Idealitten,an Wirklichkeiten und Mglichkeiten, an Werten und an Gtern setze. Meinzuschauendes Tun ist ein bestndiges Reflektieren, das als solches einsozusagen gerade , naives Hinleben und Tun voraussetzt. Vonder geraden Hinwendung auf die Sachen, Hinurteilen, Hinerfahren,Hinwerten biege ich mich gleichsam zurck und sehe mir das Geschehen anund dringe sogar in die passiven Untergrnde des Bewutseins ein; aber immereinem rein augenhaften Geist gleichend, der keine Stellungnahme mittut,sondern nur als Tatsache ersieht und fixiert.

    Nachdem uns die Umschau in der phnomenologischen Sphre gezeigthat, da die scheinbar armselige Evidenz des ego cogito in derphnomenologischen Reduktion einen endlosen Bereich vielverschlungenerPhnomene erffnet, einen phnomenologischen Urwald sozusagen, wird nundie Frage brennend, wie wir von der bloen, wenn auch apodiktischenAnschauung zu einer Phnomenologie, einer Wissenschaft von dertranszendentalen Subjektivitt kommen sollen. Als werdender Philosoph stand

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    ich zunchst in der erfahrenden Einstellung, reflektierend erfate ich michals das faktische Ego und meine faktischen cogitationes. Zunchst denke ichalso an eine Tatsachenwissenschaft und sie mu als erste durchaus dengeforderten Charakter der absoluten Rechtfertigung zeigen. Ist eine solchehier mglich? Ist an eine Art Analogon der empirischen Psychologie zu denken,einer rein egologischen Wissenschaft vom Ich und seinen Erlebnissen mitihren intentionalen Gehalten, nur nicht auf objektiver naturaler Erfahrung,sondern auf phnomenologischer Erfahrung gegrndet?

    Aber bald kommen mir ernste Bedenken. Zunchst bemerke ich, da diephnomenologische Wahrnehmung neben sich auch eine phnomenologischeErinnerung und Vorerwartung hat, die sekundre Erfahrungsfunktion benknnen. Wenn ich solche Erlebnisse nicht nur als besondere phnomenologischeFakta der aktuellen Gegenwart hinnehme, sondern als Eingangstore derErkenntnis der Vergangenheit und Zukunft, so erkenne ich, da dietranszendentale Subjektivitt sich in eine endlose Vergangenheit und Zukunfthinein erstreckt. In der Tat unwillkrlich tue ich so und nehme mich auch alsreines Ego bezogen auf einen unendlichen immanenten Zeitstrom. Aber mitwelchem Recht?

    Reicht die apodiktische Evidenz ber die aktuelle Gegenwart hinaus? Schonhinsichtlich der Gegenwart mu ich mir sagen, da vieles und das meistephnomenologisch Unerfahrene entfliegt, und selbst was ich zurwahrnehmenden Erfassung bringe, entwindet sich der Wahrnehmung und ichmte berlegen, wie es mit der Evidenz der unmittelbaren Retention steht;erst recht aber hinsichtlich der Wiedererinnerung, deren apodiktische undadquate Evidenz nicht so ohne weiteres wird behauptet werden knnen.Vielleicht bin ich geneigt, auf die absolute Evidenz des Ich bin zu bestehen,und zwar auch fr Vergangenheit, also eine Vergangenheit als die meinefesthalten zu wollen. Aber schwerlich werde ich dann leugnen knnen, datrotzdem die Adquation fehlen knne, nmlich hinsichtlich des konkretenGehaltes des Vergangenen. Es ist ja klar, da Erinnerungstuschungen nichtnur in natrlicher Einstellung mglich sind, sondern phnomenologischreduziert phnomenologische Erinnerungstuschungen in sich bergen. Muich aber eine phnomenologische Epoch neuer Stufe hinsichtlich allerWiedererinnerung und Erwartung fordern und verliere ich so das immanenteunendliche Zeitfeld, so ist nicht einmal mehr von einer objektiven Feststellungvon transzendentalen Phnomenen die Rede, geschweige denn von einerTatsachenwissenschaft. Denn eine Art Objektivitt fordert jede, auchegologische Feststellung, um eben Feststellung heien zu knnen. Was ichals seiend und so seiend feststelle, prtendiert damit mein bleibender geistigerBesitz zu sein, auf den ich als den meinen immer wieder zurckkommen undden ich in immer sich wiederholender Evidenz identifizieren kann.

    Dergleichen setzt offenbar das Recht der Wiedererinnerung voraus. DieObjektivittsform der immanenten Gegenstndlichkeiten als immer von neuem

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    durch Wiedererinnerung identifizierbare ist die immanente Zeit. Mit derEinklammerung der Wiedererinnerung und der immanenten Zeit verliere ichjedes identifizierbare Sein, mit den objektiven, gegenber der flchtigenWahrnehmung und momentanen Wiedererinnerung an sich seiendenegologischen Tatsachen verliere ich auch jede mgliche Wissenschaft dieserTatsachen.

    So scheint unsere Fahrt nach dem gelobten Lande der Philosophie ein frhesEnde zu erreichen; unser Schifflein ist gestrandet. Denn apodiktischeEvidenz lt sich nicht erzwingen und eine absolut zu rechtfertigendeTatsachenwissenschaft ist, wenn berhaupt, mit den Mitteln des Anfangs nichtzu begrnden. Dieses Ziel mssen wir also wirklich aufgeben, aber keineswegsdarum unser philosophisches Ziel berhaupt und unsere Methode mit derGrundforderung der adquaten und apodiktischen Evidenz als Urquell allerRechtfertigungen.

    Es gilt hier, eine entscheidende Einsicht zur Geltung zu bringen, von derdie Mglichkeit einer Phnomenologie und damit, wie zu zeigen sein wird,die Mglichkeit einer Theorie der Vernunft und einer Philosophie durchausabhngig ist.

    Es handelt sich darum, sich von einem verhngnisvollen Vorurteil zubefreien, das Jahrtausende lang Empirismus und Rationalismus feindlichvoneinander trennte, whrend sie sich selbst besser verstehend in allemeinig sein mten. In der inneren Entwicklung der Phnomenologie auseiner rein immanenten Deskription der Phnomene des nach seinem absoluteigenen Wesen betrachteten Bewutseins mute das Nachdenken ber dieArt und Leistung solcher Deskription zur Einsicht fhren: 1. da das Allsolcher Deskription doch nur auf das Allgemeine, das Typische gerichtetsei und nur das erfassen knnte; 2. da alle solche reinen Beschreibungenadquate Beschreibungen von allgemeinen Mglichkeiten, Notwendigkeitenusw. waren, deren Geltung von der Existenz der zuflligen bentztenEinzelexempel unabhngig sei; 3. da somit diese Beschreibungen denCharakter von objektiven und apodiktischen Feststellungen hatten. Nehmenwir dazu die parallel damit erwachsene Erkenntnis, da eine allgemeineLogik als mathesis universalis, als Wissenschaft von Gegenstnden, Stzen,Wahrheiten berhaupt unter dem Titel Gegenstand nicht speziell an Realesdenken drfe, sondern da Gegenstand etwas berhaupt bedeutet, d.i. alles undjedes, was Substrat einer wahren Aussage werden kann; damit war allesvorbereitet, das Auge fr Einsicht zu ffnen, da wie jederDinggegenstand seine Dingerfahrungen hat, so jeder Gegenstand berhauptjeder erdenklichen Gegenstandskategorie seine entsprechenden Erfahrungenwird haben mssen; alle Erkenntnis beruht auf Erfahrung, aber fr jede ArtGegenstand auf Erfahrung derjenigen Erfahrungsart, die ihm eigentmlich ist.

    Was wir also fordern, ist eine ungeheure Extension des Begriffs der Erfahrung,durch die er zum Korrelatbegriff fr den formallogischen Begriff des

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    Gegenstands wird. Ein Gegenstand ist ein Ding, ein Mensch, ein Verein, Volk,Staat, ein phnomenologisches Datum, ein Sachverhalt, ein Satz, eine prdikativeWahrheit, eine Zahl, eine Mannigfaltigkeit, eine Gattung kurz alles undjedes, das als wahrhaft seiend bezeichnet werden darf. Und von all dem gibt esalso Erfahrung. (Fr Reales heit die ursprngliche Erfahrung Wahrnehmungund hat ihre Abwandlungen, als Erinnerungen, Erwartungen usw. Dasselbesoll gelten in der Erweiterung.) Es kommt jetzt nicht darauf an, ob es praktischist, die Worte Erfahrung, Wahrnehmung usw., die unsere Sprachen vorwiegendfr individuelle Gegenstndlichkeiten verwenden, allgemeiner zu verwendenund terminologisch so weit zu fixieren. Sondern darauf kommt es an zu sehen,da das Wesentlichste des engeren Begriffs, das, was in der engerenAnwendungssphre seine Erkenntnisleistung ausmacht, in der weitesten Sphrewiederkehrt und wiederkehren mu, wenn Erkenntnis berhaupt Erkenntnisist. Durch diese Erweiterung tritt die so viel beredete, aber nie aus demphnomenologisch reinen Erleben her direkt studierte Evidenz in eineWesensbeziehung zu Erfahrung, ja besser gesagt, Erfahrung imverallgemeinerten Sinn ist dasselbe wie Evidenz.

    Lassen wir uns von der gemeinen Erfahrung leiten, fragen wir sie selbst inintuitiver Vergegenwrtigung von Exempeln, was sie als Gegenstands-bewutsein charakterisiert gegenber einem beliebigen sonstigenBewutsein von demselben Gegenstand. Die Antwort lautet zunchst frdie Erfahrung im gemeinen engen Sinn: Einen Gegenstand aktuell erfahrenheit, prgnant gesprochen, ihn selbst vor Augen haben, ihn selbst erschauenund erfassen. Im ursprnglichsten und prgnantesten Sinn gilt das von derWahrnehmung. Das Wahrgenommene als solches hat den Charakter derleibhaften, der originalen Gegenwart. Wahrnehmen ist also Bewutsein, den Gegenstand ganz unmittelbar, in seiner originalenSelbstheit zu haben und zu erfassen. Genau das ist es, was wir in anderenGegenstandssphren als Evidenz bezeichnen. Somit sagen wir schon hier:Die Erfahrung ist das evidente Haben des individuellen Gegenstands.

    Eine Abwandlung davon ist schon die Wiedererinnerung, obschon etwasvon Evidenz auch in sie hineinreicht. Das Wiedererinnerte ist charakterisiertals vergangen, und Vergangensein als Vergangensein ist ursprnglich nurdurch Wiedererinnerung gegeben; in dieser Hinsicht ist sie eine Evidenz.Aber im Vergangen liegt beschlossen das gegenwrtig gewesen, undhinsichtlich der individuellen Gegenwart selbst, die da gewesen ist, ist dieWiedererinnerung keine unmittelbare Erfahrung, sie ist eben keineWahrnehmung.

    Es tut nun aber sehr Not zu sehen, da Gegenstnde aller anderen Arten, dasWort im allerweitesten Sinne also genommen, ihre mgliche Art derSelbstgebung haben mssen, ihre evidente Gegebenheit. Mglichkeiten z.B. knnen leer gedacht, knnen symbolisiert, sie knnen aber auch selbstgegeben, direkt erfahren oder, wenn Sie wollen, evident erschaut sein. Wie

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    die gemeine individuelle Erfahrung und alles individuelle Bewutsein berhauptverschiedene Glaubensmodalitten haben kann, so auch das Bewutsein vonMglichkeiten; und wie es dort zur berzeugung von Nichtsein oder zurbesttigenden Erkenntnis des Wirklichseins kommen kann, so hier. AuchMglichkeiten existieren oder existieren nicht, knnen vermeinte Mglichkeitensein (wie die des regelmigen Dekaeders), die sich als nichtig ausweisen. Undwie dort alle Meinung sich ausweist an der ursprnglichen Erfahrung im Modusungebrochener Erfahrungsgewiheit, so bei Mglichkeiten. Was frMglichkeiten gilt, gilt fr Allgemeinheiten, fr Gegenstnde der Form eineArt A, irgendein einzelnes A, Ein A ist B, Jedes A ist B usw., frSachverhalte ohne oder mit begrifflicher Fassung, fr Notwendigkeiten,Unmglichkeiten usf. Ferner, wie wir in der individuellen Sphre voninadquater Selbstgebung und nicht apodiktischer sprechen mssen (in derDingerfahrung z. B. die Behaftung mit vorgreifenden Antizipationen, dieScheidung von eigentlich Gesehenem und nur Mitgemeintem machen), sohnlich in der weiteren Sphre, und berall knnen wir fragen, inwiefernadquate Selbstgebung der betreffenden Gegenstndlichkeiten mglich ist, durchihre kategoriale Art prinzipiell ermglicht oder ausgeschlossen.

    Diese allgemeine Besinnung darf und soll nur ein Leitfaden sein fr uns,die wir uns als werdende Philosophen wieder in die phnomenologischeEinstellung versetzen. Sie war nur in der Methode der phnomenologischenReduktion bisher eine erfahrende im engeren Sinn, fixierend gerichtet aufdas flieende jetzige ego cogito. Wir ndern jetzt die Einstellung, aber nurinsofern, da wir alle egologischen Tatsachen auer Spiel setzen, alsoprinzipiell darauf verzichten, Tatsachenurteile zu fllen. Statt derWirklichkeiten betrachten wir die egologischen Mglichkeiten, reineMglichkeiten, die nicht das mindeste von Tatschlichem mit sich fhren;und nicht auf einzelne Mglichkeiten soll es ankommen, sondern auf reineAllgemeinheiten, die sich in einzeln erschauten Mglichkeitenexemplifizieren. Die Mglichkeiten sind egologische (oder was dasselbe,rein phnomenologische) Mglichkeiten, die wir uns exemplarisch in absoluterSelbstgebung zueignen, sei es in exemplarischen phnomenologischenWahrnehmungen oder Erinnerungen oder freien Phantasieabwandlungen.

    Fingiere ich mir in freier Phantasie eine Wahrnehmung, so ist nicht dieWahrnehmung, aber eine mgliche Wahrnehmung selbst erfahren, undbentzen wir eine Wiedererinnerung an eine frhere Wahrnehmung, so magdie Erinnerung uns tuschen, aber nicht die wirkliche Wahrnehmung, sonderndie Mglichkeit solcher Wahrnehmung erfassen wir, und dies absolut; freilichnicht die volle und letzte individuelle Mglichkeit mit den individuellenMomenten. Aber absolut erfassen wir am Exemplarischen, am Einzelnen oderMehrfachen, und nur das soll unser Interesse sein, das WesensallgemeineWahrnehmung berhaupt und spezieller etwa eine Dingwahrnehmungberhaupt, psychologische Wahrnehmung berhaupt, somatologische,

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    animalische Wahrnehmung berhaupt usw.; ebenso hier sich ergebendeallgemeine Wesensmglichkeiten der Abwandlung so gearteter Erlebnisse,der Synthesis, allgemeine Notwendigkeiten und Unmglichkeiten, kurzWesensgesetze. Gegenber den schwankenden Gestalten der Einzelheitenerfassen wir das absolute Eidos und die eidetische Gesetzmigkeit, die inabsoluter Weise das Universum untergeordneter Mglichkeiten beherrscht.

    Jede Feststellung, die wir machen, schpfen wir aus der selbstgebendenWesensanschauung, die fr Wesen und Wesensgesetze eine absolut adquateund apodiktische ist. Jede Feststellung ist hier von der Tatsachengeltungder Wiedererinnerung unabhngig, sie ist beliebig wiederholbar inWiedererinnerung der Selbstgebung oder Evidenz. Und hinsichtlich dessen,was da originaliter gegeben , ist sie adquat identifizierbar, jede Aussagevon neuem evident zu begrnden. Also ich gewinne als der philosophischMeditierende neben der individuellen apodiktischen Evidenz des ego cogito,die hinsichtlich der Mglichkeit tatsachenwissenschaftlicher Erforschungfraglich bleibt, das unendliche Reich konkreter Wesensanschauungen undkonkret geschpfter unmittelbarer Wesensgesetze fr alle idealenMglichkeiten eines Ich und eines cogito berhaupt.

    Damit erffnet sich eine erste Wissenschaft aus absoluter Rechtfertigungin der Tat, wie es gefordert war, als eine Wissenschaft aus adquater undapodiktischer Evidenz, eine erste Philosophie. Nicht eine Tatsachen-wissenschaft von meinem Ego und seinen cogitationes, so wie es faktisch ist,gewinnen wir als erste, sondern eine eidetische Wissenschaft. Genauer, wirgewinnen zunchst ein unendliches Feld systematisch eidetischerDeskription unmittelbar adquat erschaubarer und objektiv feststellbarerWesenseigenheiten einer transzendentalen Subjektivitt berhaupt, ihresmglichen Bewutseins, ihrer mglichen intentionalen Leistungen. Aber esist vorauszusehen, da auf dem Mutterboden adquater Wesenserschauungauch adquat zu rechtfertigende mittelbare Erkenntnisse zu gewinnen seinwerden, kurzum eine universale rein apriorische Phnomenologie alsWissenschaft von der transzendentalen Subjektivitt berhaupt.

    Nicht zu bersehen ist aber die Besonderheit, in der diese apriorischeEgologie auf dieser Stufe begrndet ist; sie ist auf mich, das philosophierendeIch, das sein ego cogito ausspricht, zurckbezogen. Von einer Mehrheitexistierender Ich wei ich nichts, da fr mich andere Subjekte nur alsanimalische gegeben sind und wie die ganze Welt der phnomenologischenEpoch verfallen sind. Wenn ich von egologischen Mglichkeiten sprecheund ihren Wesensallgemeinheiten, werde ich, solange ich nicht einmal dieMglichkeit der Erkenntnis anderer Ich erwogen habe, nur an Phan-tasieabwandlungen meines Ego denken. Doch sind wir noch nicht so weit,um diesen eidetischen Solipsismus beseitigen zu knnen.

    Unser Endresultat ist, da eine eidetische Phnomenologie als erste allerPhilosophien ein mgliches und notwendiges Ziel ist, da sie die erste absolut

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    gerechtfertigte Wissenschaft ist im Sinne des leitenden Prinzips adquaterEvidenz. In den nchsten Vorlesungen wird sie sich als die universaleapriorische Philosophie und als Mutter aller apriorischen Wissenschaftenherausstellen. Wir werden zunchst zeigen, da sie die einzige sinnvolleErkenntnistheorie ist, und in weiterer Folge sogar, da eine voll entfalteteLogik und Wissenschaftslehre sich mit ihr deckt.

    III. Die transzendentale Phnomenologie und die Probleme mglicherErkenntnis, mglicher Wissenschaft, mglicher Gegenstndlichkeitenund Welten

    Der notwendige Weg zu aller im hchsten Sinne echten, letztbegrndetenErkenntnis, oder was fr uns dasselbe heit, der notwendige Weg zurphilosophischen Erkenntnis fhrt ber die Selbsterkenntnis. Das haben diebisherigen Vorlesungen zu zeigen versucht. Das delphische Rtselwort gnwqisauton hat eine neue Bedeutung gewonnen. Es gibt eine Erfahrungsart, diejedermann, der zum Philosophen werden will, sein absolutes, schlechthinunleugbares ego cogito, seine transzendentale Subjektivitt erschliet, die abernicht unmittelbar die Begrndung einer philosophischen Tatsachenwissenschaftermglicht. Es gibt frs zweite eine Wesensanschauung, eine eidetische In-tuition, wie wir auch sagen. Sie ist auf das Universum der rein egologischenMglichkeiten bezogen und erfat ihre allgemeinen Wesensgestaltungen undWesensgesetze in adquaten Deskriptionen, also durchaus als apodiktischeNotwendigkeiten. Sie erffnet, wie wir in der letzten Vorlesung schlossen,die erste aller Philosophien, die transzendentale Phnomenologie. Nun erstkommen uns die exemplarischen Aufweisungen egologischer Tatsachen, diewir in der vorigen Vorlesung vollzogen haben, zugute. Und wir brauchen unsjetzt nicht mehr an die flchtige Prsenzsphre zu binden, wir knnenebensogut in die Erinnerungssphre bertreten, aber nicht minder gut in diefrei abwandelnde Phantasie. Denn nun kommt es nur auf reine Mglichkeitenan und nicht auf faktische Existenz der jeweiligen Erlebnisse, nicht auf dasfaktische ego cogito kommt es an, sondern auf mgliches Ich, mglichesBewutsein, mgliche intentionale Gegenstndlichkeit, und es kommt daraufan, an solchen klaren Mglichkeiten apodiktisch evidente Wesensformen undWesensgesetze in rein intuitiver Generalisierung zu erschauen und zumadquaten Ausdruck zu bringen.

    Man braucht hier nicht lange zu suchen. Alles, was sich in der Einstellungauf die reinen Mglichkeiten ergibt, ist, wenn wirklich die Mglichkeitenrein bleiben von Mitsetzungen von Faktizitten, ein Wesensallgemeines.Beschreiben wir also, was Wahrnehmung und Wahrgenommenes als solches,Erinnerung und Erinnertes als solches, Abbildung und Abbildung einesAbgebildeten, Bezeichnung eines Bezeichneten usw. charakterisiert,

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    beschreiben wir es nach dem durch den Wandel reiner Mglichkeitenhindurchgehenden typischen Was, so haben wir Wesensbeschreibungenvollzogen. So auch, wenn wir etwa spezieller raumdingliche Wahrnehmungund ihre Raumdinge rein als ihren intentionalen Gegenstand und nach derreinen Typik beschreiben; etwa so, da wir zugleich die sich abwandelndeTypik von Wahrnehmung und Wahrgenommenem als solchem verfolgen, diezu einem mglichen identischen Ding gehrt. hnlich also, wie wir es in dervorigen Vorlesung in der nun unerheblichen Bindung an die Faktizitt derSelbstwahrnehmung taten. Wir gewinnen dann die typischen Mannigfaltigkeitender Erscheinungen, die Gegebenheitsweisen eines Dinges durch Aspekte, inBezug auf Kinsthesen, die Mannigfaltigkeit der Orientierungen, dieUnterschiede von Nahding, Fernding, Horizont usw.

    Wir erkennen jetzt aber auch, da hier ein unendlich reichhaltiges Aprioriwaltet, da alle diese Typik eine apriorische Typik ist. Das heit, kein Raumdingals Gegenstand mglicher Wahrnehmung und dann als Gegenstand mglicherAnschauung berhaupt ist denkbar, ohne da es sich dieser Typik derErscheinungsweisen in allen ihren wundersamen systematischen Zusammen-hangsformen fgte; auch ein Gott knnte ein krperliches Ding nicht andersanschauen, denn gem dieser Typik der Perspektiven, der Orientierungenetc. Es handelt sich also um apriorische Bedingungen der Mglichkeitraumdinglicher Erfahrung, um ein apodiktisches und rein deskriptivesApriori.

    Aber das sind blo Beispiele. Es ist klar, da, wo wir im Reich der reinegologischen Mglichkeiten zugreifen, dasselbe gelten mu. Es ergibt sichsomit die Aufgabe einer universalen apriorischen Deskription der mglichentranszendentalen Subjektivitt berhaupt, welche das Universum der ausunmittelbar eidetischer Intuition zu schpfenden Wesenstypen undWesensgesetze systematisch herausstellt. Es ist klar, da damit allemvernnftigen Reden ber Bewutsein und Bewutes als solches und in letzterHinsicht ber alle mglichen Gegenstndlichkeiten als Gegenstndlichkeitenmglicher Erfahrung, mglicher Erkenntnis, mglichen Vernunftbewutseinsjeder Art die absolute Norm vorgezeichnet wre.

    Mit nicht geringem Erstaunen bemerkt man, schrittweise in dieses Reichdes reinen Bewutseins und der reinen Subjektivitt berhaupt eindringend,wie gro, ja wie berwltigend mannigfaltig die festen Bindungen sind, diedieses gleichsam eingeborene Apriori der transzendentalen Subjektivittauferlegt, und damit auch allen mglichen Gegenstnden auferlegt, die frein Ich berhaupt sollen intentionale sein knnen. Es sind nicht vereinzelteund gelegentliche Bindungen, sie sind allherrschend, sie betreffen alles undjedes, was hier auftritt, den ganzen Gehalt jeder Wirklichkeit, weil sie mitdiesem ganzen Gehalt in die Mglichkeit eintritt. Sie betreffen sowohl daspassive, ohne aktive Ichbeteiligung sich entwickelnde Bewutsein, siebetreffen nicht minder alle Formen mglicher Aktivitt, die schlichten und

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    synthetisch sich zusammenschlieenden Akte und die Art, wie durch solcheAkte und Aktsynthesen sich immer neue intentionale Gegenstndlichkeiten,z. B. die theoretischen Gebilde oder die Zweckzusammenhnge der ethisch-praktischen Sphre, konstituieren.

    Die Flle der unmittelbaren Wesenseinsichten ist eine so groe, da dieAufgabe zunchst als wie eine uferlose erscheint. Die Untersuchung droht inzusammenhangslose Analysen und Feststellungen zu zerfallen. Doch es fehltvon vornherein nicht an systematischen Leitfden zunchst fr einzelnezusammengehrige Problemgruppen. Instinktiv bietet sich schon demAnfnger die festgehaltene Identitt des intentionalen Gegenstands als Leitungan. Man hlt also einen exemplarischen Gegenstand ideell fest und lt diefr ihn mglichen Bewutseinsweisen abwandeln, lt ihn einmalangeschauten sein, dann leer vorgestellten, symbolisch angezeigten, im Abbildvorgestellten, lt ihn sich explizieren in eigenschaftliche Sachverhalte, ltihn in Beziehungen zu anderen Gegenstnden treten usw.

    a) Man nimmt nun etwa den exemplarischen Gegenstand als Exempel frirgendeinen Gegenstand berhaupt, lt ihn also sich vllig frei alsintentionalen variieren und erfat nun die allgemeinsten schlichten undsynthetischen Wesensformen mglichen Bewutseins, die zu einemGegenstand berhaupt wesensmig gehren: Anschauung berhaupt,Leervorstellung berhaupt, signitives Bewutsein berhaupt, explizierendes,kolligierendes, beziehendes und sonstiges Bewutsein berhaupt. Manstudiert dann systematisch fr jede solche allgemeine Gestalt dieWesensnotwendigkeiten nach allen Seiten, nach cogito, nach cogitatum undnach dem Ich selbst. Man untersucht auch die Wesensbezogenheiten dieserverschiedenen Gestalten aufeinander.

    b) Dann beschrnkt man den intentionalen Gegenstand auf einenGattungstypus, auf eine oberste Allgemeinheit, wie materielles Raumding,organisches Wesen, Tier, Mensch, personale Gemeinschaft usw. und sieht nunzu, wie im formalen Rahmen der allgemeinsten Wesenstypik entsprechendeWesensbesonderungen eintreten. Man studiert also die wunderbaren apriorischenGesetzmigkeiten, ohne die Gegenstnde solcher gattungsmigen Regionennicht erfahrbar und nicht denkbar sind. Das gibt mindestens Linien geordneterUntersuchung. Aber erst im Fortschreiten scheiden sich klar die groenDisziplinen, das sind die notwendig sich voneinander abscheidendenProblemgruppen in eins mit der Abscheidung der universalen Stufen, die zueiner transzendentalen Subjektivitt als solcher eigenwesentlich gehren.

    Also schlielich treten die universalsten Scheidungen hervor, die obersteSystematik der Forschung bestimmend. Naturgem bewegen sich alleForschungen in dem ersten Bewutseinsfeld, das die phnomenologischeReflexion erreicht und das man zunchst allein sieht; nmlich im Feld derimmanenten Zeit, als der universalen Form, in der die Erlebnisse der erstenReflexionsstufe ihre bleibende Stellung und Ordnung, ihre bestimmte

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    Zeiterstreckung haben. Erst spter wird man dessen inne, da jedes solcheErlebnis, z. B. ein durch eine Zeitstrecke hindurch sich erstreckendesWahrnehmen, Urteilen, Schlieen, Begehren usw. als Ganzes, wie nach allenZeitphasen, nur ist und mglich ist als werdend in Form kontinuierlich sichwandelnder zeitlicher Erscheinungsweisen, in bestndigem Wechselzeitlicher Orientierung nach Jetzt, soeben gewesen, ferner vergangenusw. Es erwchst so die notwendige Idee einer eigenen Phnomenologiedes ursprnglichen Zeitbewutseins und der Aufklrung der innerstenIntentionalitt, in der nach einer starren genetischen Wesensgesetzmigkeitsich in gleicher Weise alle und jede Erlebnisse als Einheiten in derimmanenten Zeit und als dauernde konstituieren. Offenbar steht dieseDisziplin fr sich.

    Betrachten wir dann die nun als hhere Stufe charakterisiertePhnomenologie der immanenten Zeitsphre, so ergeben sich hier die groenScheidungen: 1. die relativ arme Phnomenologie der sinnlichen Daten (inihren Sinnesfeldern), 2. die unendlich reichhaltige Phnomenologie derIntentionalitt; in dieser aber die alles beherrschende Scheidung: frs erstedie Lehre von den allgemeinsten Wesensstrukturen, die in ihrer Allgemeinheitvor allen Fragen bleiben, die sich auf Wahrheit und Evidenz beziehen, frszweite die hhere Stufe, die eben diese Vernunftprobleme betrifft. Also diePhnomenologie der Vernunft und ihre groen Sonderdisziplinen.

    Zur Charakteristik der Bedeutung und des Wesens der letzterwhnten,unseren philosophischen Interessen am nchsten liegenden Scheidung werfenwir einige Blicke auf die traditionelle transzendentale Erkenntnistheorie inihrer Beziehung zu unserer transzendentalen Phnomenologie. Wenn dieseErkenntnistheorie sich als transzendentale bezeichnet, so drckt sie damitihre Bezogenheit auf das Problem der Transzendenz aus. Genauer ist es dieFrage: Wie ist Erkenntnis, zuhchst wissenschaftliche, von einertranszendenten Welt mglich? Und welchen Sinn kann eine Welt haben, diein unseren objektiven Wissenschaften erkannt wird?

    Das Problem erwchst in der natrlichen Einstellung und wird auch weiterin ihr behandelt. Als natrlicher Mensch finde ich mich in der Welt als ihrMitglied und zugleich sie erfahrend und wissenschaftlich erkennend. Nunsage ich mir: Alles, was fr mich da ist, ist fr mich dank meinem erkennendenBewutsein da, alles, was ich erkenne, ist Erkanntes meines Erkennens, es istErfahrenes, auf Grund meiner Erfahrung, Gedachtes, Theoretisiertes, alswissenschaftlich wahr Begrndetes. Das Erfahren ist mein Erleben, undErfahrenes habe ich nur als Intentionales in diesem erfahrenden Erleben. Ohnedas htte ich fr all mein Denken berhaupt kein Substrat. Das Denken istaber wiederum mein Denken, ich bilde Begriffe und Stze, verknpfe dieStze zu Schlssen, zu Theorien. Damit vollziehe ich ein hherstufigesBewutsein, in dem das zuunterst Erfahrene meines erfahrenden Bewutseinsseine neuen Denkbestimmungen erhlt.

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    Wenn ich dabei zwischen normaler und trgender Erfahrung scheide, so ist,was das eine und andere charakterisiert, Sache meiner eigenen unterscheidendenAkte, und die Charaktere sind in meinem Bewutseinsbereich selbst auftretendeCharaktere. Ebenso, wenn ich in hherer Stufe evidentes und nicht evidentesDenken, wenn ich a priori notwendiges und a priori widersinniges oderempirisch richtiges und verwerfliches Denken unterscheide. Evidenz,Denknotwendigkeit, Widersinnigkeit usw. alles in meinem Bewutseinselbst auftretende Charaktere. Und schlielich das wahr und wirklich, dasSo ist es notwendig usw., das ich meinem intentionalen Gegenstand am Endemeiner Erkenntnisabzielung, am Ende meiner evident machenden Begrndungzuspreche, was bedeutet es anderes als ein Vorkommnis im Rahmen meinesBewutseins?

    Also nur als Bewutes meines Bewutseins, als Erkanntes meines Erkennensgibt es fr mich, was es fr mich je geben kann, und gilt fr mich, was je frmich gelten kann. Also z. B. eine wahre Welt und strenge Wissenschaften.

    Darin wird nun das groe Problem gesehen. Da ich meiner Bewutseins-innerlichkeit, zunchs