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10 »Aus der Einbahnstraße wird ein Verkehrsnetz« Buchverlagshäuser stehen im Mitmachweb 2.0 vor großen Herausforderungen. Der Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinold fordert ein radikales Umdenken: Im Interview beschreibt er die neue Rolle als »Netzwerk-Organisatoren«. Innovationen: Ehrhardt F. Heinold, Geschäftsführer bei Hei- nold, Spiller & Partner, beschäftigt sich mit den Chancen von Print-Ver- lagen im Web 2.0 und organisiert das Forum Innovation während der Frankfurter Buchmesse, auf dem das Thema Inter- net mit großem Interesse verfolgt wurde. D er Wandel der Verlage unter dem Ein- fluss des Internets und der digitalen Medien ist ein zentrales Thema der Branche. Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinold, Geschäftsführer bei Heinold, Spiller & Partner, hat u.a. in seinem Eröffnungsvor- trag zum „Forum Innovation“ auf der Frank- furter Buchmesse die Position der Verlage im Web 2.0 beschrieben. Im Interview erklärt er, wie sich die Bücherhäuser als „Verlage 3.0“ zu „Community-Dienstleistern“ und „Network-Organizern“ transformieren. Während die Verlage noch dabei sind, ihre In- halte suchmaschinenkompatibel per „Libra- ka“ ins Netz zu stellen – eine klassische Web 1.0-Aufgabe –, skizzieren Sie schon die Ent- wicklungsstufe „Verlage 3.0“. Überfordern Sie die Branche nicht? Nicht ich überfordere die Branche, sondern die technologische Entwicklung und das sich verändernde Medienverhalten der Kunden treiben die Entwicklung. Aber ich gebe Ih- nen recht, es gibt Überlagerungen: Während viele Verlage gerade dabei sind, die Möglich- keiten von Web 1.0 zu erkennen und umzu- setzen, reden Berater und Netzgurus schon von Web 3.0. Mein Thema lautet ja Verlag 3.0, und das ist ein Zukunftsszenario, das nicht nur die Web 2.0-Entwicklungen inte- griert, sondern den Verlag als Ganzes mit all seinen Bereichen, Produkten und Servicean- geboten. Wenn selbst die Pioniere des Mitmachwebs, Youtube und Myspace, bislang nur magere Gewinne erwirtschaften, wie gelingt es Ihnen, den Verlagen das Web 2.0 schmackhaft zu machen? Ich plädiere für eine differenzierte Sicht auf die Entwicklungen. Die Portale, die sie er- wähnen, basieren auf einem werbefinanzier- ten Geschäftsmodell, das die ersten Schritte ins Leben macht. Wenn wir von Buchverla- gen sprechen, fungiert Web 2.0 in erster Li- nie nicht als eigenes Geschäftsmodell, son- dern als ein Marketing- und Kundenbin- dungsinstrument. Dass nun auch klassische Buchverlage wie Gräfe und Unzer oder Droe- mer Web-2.0-Portale etablieren, zeigt aller- dings das Umdenken auch in klassischen Buchverlagen. Unter den Verlagen ist die Un- sicherheit noch groß, wie sie von den neuen Technologien des Web 2.0 profitieren kön- nen. Welche Resonanz erhal- ten Sie aus den Verlagen? Unsicherheit ist sicherlich das richtige Wort. Wir erhalten zu- nehmend Anfragen nach dem Motto: „Wir wollen uns über aktuelle Entwicklungen infor- mieren und überlegen, was diese für uns als Verlag bedeu- ten, damit wir nichts verpas- sen.“ Die Unsicherheit ist oft gepaart mit einem Wissensde- fizit. Allerdings erkennen im- Verlage buchreport.magazin Dezember 2007 Fot0: buchreport

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»Aus der Einbahnstraße wird ein Verkehrsnetz«Buchverlagshäuser stehen im Mitmachweb 2.0 vor großen Herausforderungen. Der Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinold fordert ein radikales Umdenken:Im Interview beschreibt er die neue Rolle als »Netzwerk-Organisatoren«.

Innovationen:

Ehrhardt F. Heinold,

Geschäftsführer bei Hei-

nold, Spiller & Partner,

beschäftigt sich mit den

Chancen von Print-Ver-

lagen im Web 2.0 und

organisiert das Forum

Innovation während der

Frankfurter Buchmesse,

auf dem das Thema Inter-

net mit großem Interesse

verfolgt wurde.

Der Wandel der Verlage unter dem Ein-fluss des Internets und der digitalenMedien ist ein zentrales Thema der

Branche. Unternehmensberater Ehrhardt F.Heinold, Geschäftsführer bei Heinold, Spiller& Partner, hat u.a. in seinem Eröffnungsvor-trag zum „Forum Innovation“ auf der Frank-furter Buchmesse die Position der Verlage imWeb 2.0 beschrieben. Im Interview erklärter, wie sich die Bücherhäuser als „Verlage3.0“ zu „Community-Dienstleistern“ und„Network-Organizern“ transformieren.Während die Verlage noch dabei sind, ihre In-halte suchmaschinenkompatibel per „Libra-ka“ ins Netz zu stellen – eine klassische Web1.0-Aufgabe –, skizzieren Sie schon die Ent-wicklungsstufe „Verlage 3.0“. Überfordern Siedie Branche nicht?Nicht ich überfordere die Branche, sonderndie technologische Entwicklung und das sichverändernde Medienverhalten der Kundentreiben die Entwicklung. Aber ich gebe Ih-nen recht, es gibt Überlagerungen: Währendviele Verlage gerade dabei sind, die Möglich-

keiten von Web 1.0 zu erkennen und umzu-setzen, reden Berater und Netzgurus schonvon Web 3.0. Mein Thema lautet ja Verlag3.0, und das ist ein Zukunftsszenario, dasnicht nur die Web 2.0-Entwicklungen inte-griert, sondern den Verlag als Ganzes mit allseinen Bereichen, Produkten und Servicean-geboten.Wenn selbst die Pioniere des Mitmachwebs,Youtube und Myspace, bislang nur magereGewinne erwirtschaften, wie gelingt es Ihnen,den Verlagen das Web 2.0 schmackhaft zumachen?Ich plädiere für eine differenzierte Sicht aufdie Entwicklungen. Die Portale, die sie er-wähnen, basieren auf einem werbefinanzier-ten Geschäftsmodell, das die ersten Schritteins Leben macht. Wenn wir von Buchverla-gen sprechen, fungiert Web 2.0 in erster Li-nie nicht als eigenes Geschäftsmodell, son-dern als ein Marketing- und Kundenbin-dungsinstrument. Dass nun auch klassischeBuchverlage wie Gräfe und Unzer oder Droe-mer Web-2.0-Portale etablieren, zeigt aller-

dings das Umdenken auch inklassischen Buchverlagen.Unter den Verlagen ist die Un-sicherheit noch groß, wie sievon den neuen Technologiendes Web 2.0 profitieren kön-nen. Welche Resonanz erhal-ten Sie aus den Verlagen? Unsicherheit ist sicherlich dasrichtige Wort. Wir erhalten zu-nehmend Anfragen nach demMotto: „Wir wollen uns überaktuelle Entwicklungen infor-mieren und überlegen, wasdiese für uns als Verlag bedeu-ten, damit wir nichts verpas-sen.“ Die Unsicherheit ist oftgepaart mit einem Wissensde-fizit. Allerdings erkennen im-

Verlage buchreport .magazin Dezember 2007

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mer mehr Verlage die Zei-chen der Zeit und beginnen zu experimen-tieren. Wie weit sind die Verlage?Das ist sehr unterschiedlich. Insgesamt ha-ben viele Verlage sicher zu lange abgewartet,zum Teil, weil sie nicht berechnen konnten,wie viele Bücher sie nun durch ein Autoren-blog in den ersten sechs Monaten mehr ver-kaufen, oder weil die Führungsetage einfachkeinen Sinn für das Medium Internet hat.Wie profitieren die Vorreiter im Marketing undVertrieb bereits von den neuen Technologien?Es gibt eine wachsende Zahl von Beispielengerade für belletristische Verlage: Dazu gehö-ren Autorenblogs, die Podcasts zu Lesungenvon Rowohlt oder Homepages zu Bestsellernwie Harry Potter, auch das Forum, das Ran-dom House für „Eragon“ aufgesetzt hat, oderdie Manga-Seite von Droemer. Die Beispielezeigen, dass bei jungen Zielgruppen mithil-fe von Web 2.0 eine ganz neue Qualität derKundenbeziehung erreicht werden kann.Die Technik ist fast zum Nulltarif zu haben,die jungen Leser sind ohnehin in Foren un-terwegs, und ein direkter Kontakt zum Ver-lag, zum Autor oder zu gleichgesinnten Le-sern ist für viele reizvoll.Nach Ihrer Einschätzung sind Fachverlagenoch stärker von den neuen Entwicklungenbetroffen. Warum?Weil bei den Fachverlagen, im Unterschiedzu den Belletristen, die Inhalte selbst von derSubstitution betroffen sein können. Fachver-lage erhalten ihre Inhalte oft von Fachleuten,die sich nun in fachlichen Communitys di-rekt austauschen können. Das betrifft übri-

gens auch den Special-Interest-Bereich. Neh-men sie die Kochseite Chefkoch.de, die sich,an allen etablierten Verlagen vorbei, zurgrößten deutschen Rezeptsammlung im In-ternet entwickelt hat. Diese Phänomene fin-det man zu fast jedem Spezialthema. Verla-ge, die nicht Unterhaltung, sondern Infor-mationen vermarkten, müssen jetzt verstärktdaran arbeiten, dass ihre Inhalte wertvollerund attraktiver sind als das, was von Laien imNetz publiziert wird. Oder sie müssen diePublikationsplattformen betreiben.Wohin orientieren sich die Werbekunden?Ganz einfach dahin, wo die Kunden sich auf-halten, und da reden wir schlicht über„Reichweiten in Zielgruppen“. Wobei die un-terschiedlichen Werbeträger unterschiedli-che Qualitäten haben und sich somit nichteinfach ersetzen. Dennoch verzeichnet dieInternetwerbung die mit Abstand größtenZuwachsraten, und Werbevermarkter habenmanchmal schon Probleme, die von denWerbekunden gewünschten Reichweitenund Abrufzahlen überhaupt zu liefern nachdem Motto: „Wir benötigen 20 Mio Page-Im-pressions in der nächsten Woche für die Ziel-gruppe junge Familie.“Wie können sich die inhalteorientierten Ver-lage zu den von Ihnen beschworenen Com-munity-Dienstleistern und Network-Organi-zern entwickeln?Viele Verlage, vor allem im Bereich der Spe-cial-Interest- und Fachinformation, sind daseigentlich schon. Sie organisieren Messenund Kongresse, und vor allem die Redakteu-

Pioniere im

Web 2.0:

Droemer bie-

tet den Lesern

einen Krimi-

podcast an (l.).

Random House

hat für „Eragon“, die Fan-

tasy-Trilogie von Christo-

pher Paolini, eine Web-

seite mit Leser-Forum

(M.) eingerichtet.

Rowohlt flankiert das

Buch „Vorsicht Super-

markt“ (Silke Schwartau,

Armin Valet) mit einer

Webseite, auf der Leser

über ihre Erlebnisse mit

Supermarkt und Super-

marktangeboten diskutie-

ren können.

»Verlage müssenverstärkt daranarbeiten, dassihre Inhalte wei-terhin wertvollerund attraktiversind als das, wasvon Laien imNetz publiziertwird.«

re der Fachzeitschriften sind eng mit den Le-sern vernetzt. Diese Entwicklung muss abernoch weiter vorangetrieben werden, indemder Verlag nicht mehr nur seinen Content,sondern seine Funktion als Organisator vonKommunikationsprozessen in den Mittel-punkt stellt. Nehmen Sie das Beispiel desBusinessnetzwerkes Xing: Das hätte dochauch gut jeder Wirtschaftsverlag machenkönnen, obwohl es überhaupt nicht um klas-sischen Verlagscontent, sondern um puresNetworking geht. Ich denke, dass die Verlagehier die Zeichen der Zeit nicht erkannt ha-ben, weil sie in Content, aber nicht in Kun-denbedürfnissen gedacht haben.Wie verändert sich durch den Wandel das ver-legerische Selbstverständnis?Weg vom Braodcasting, hin zum Network-Organizer. Anders ausgedrückt: Das Erstel-len und Senden von Unterhaltung und Infor-mation ist nicht mehr der einzige Weg, ausder Einbahnstraße wird ein Verkehrsnetz,auf dem Leser und Kunden genauso unter-wegs sind wie Redakteure. Damit möchte ichkeinesfalls sagen, dass von Verlagen erstellteMarkeninhalte ihren Wert verlieren, aber siewerden ergänzt, angereichert oder in Teilenauch ersetzt durch Community-Content. Wie sieht ein zeitgemäßes Kundenbezie-hungsmanagement aus?Das Thema wird von unserer Branche gera-

de erst entdeckt. Man kann den Wandel amBeispiel von Abonnements erklären: Klas-sisch wurden Abonnentenadressen für Ver-sand- und Abrechnungszwecke verwaltet. Siewussten als Verlag, wer wann bestellt odergekündigt hat, vielleicht haben Sie durch Le-serbefragungen auch noch mehr Daten sam-meln können. Doch ein Fachverlag zum Bei-spiel verkauft ja nicht nur eine Zeitschrift,sondern Bücher, E-Books, Internetservicesund Kongresse. Zudem betreibt er vielleichtnoch eine Community, in der dieser Kundeebenfalls aktiv ist. Zukünftig müssen alle In-formationen über das Kauf- und Informa-tionsverhalten bei der einen Kundenadressegesammelt werden. Über intelligente Soft-ware können dann Analysen durchführt wer-den, die zeigen, welche Abonnenten sich fürwelche anderen Angebote interessierenkönnten, oder sogar überlegen, demnächstzu kündigen etc.

Differenzierte Kundendaten gewinnen im-mer mehr an Wert, auch und gerade für Ver-lage, die über den Buchhandel verkaufenund sich eigentlich nicht mit Endkunden be-schäftigen. Gerade kleine belletristische Ver-lage, für die der Handel bekanntlich immermehr zum Nadelöhr wird, gewinnen durchdas Internet ganz neue Möglichkeiten, be-zahlbar und unmittelbar mit ihren Kundenzu kommunizieren.Welche Rolle spielt dann der Buchhandel?Hier gilt das Gleiche wie bei den Verlagspro-dukten: Wir sollten nicht immer gleich inSubstitution denken. Das Internet schafft dasMedium Buch nicht ab, der Online-Handelnicht den stationären. Das Einkaufserlebnisbleibt attraktiv, wie volle Einkaufsstraßen ge-rade in der Weihnachtszeit wieder beweisen.

Im Bereich der Fachinformation kann derBuchhandel, wenn er sich vom Produktbe-schaffer zum Informationsdienstleister wan-delt, weiterhin ein sehr attraktiver Partnerfür Unternehmen bleiben. Denken Sie an ei-ne Anwaltskanzlei, die auch ihre Online-Abonnements über den Buchhändler verwal-ten lässt, weil sie auch hier nur eine Rech-nung von einem Lieferanten erhalten möch-te. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wieweit der Buchhandel auf diesem Weg schonist und ob diese Szenarien im Moment nichtdoch nur von einer handvoll Pionieren um-gesetzt werden.

Die Fragen stellte Daniel Lenzwww.hspartner.de

Verlage buchreport .magazin Dezember 200712

Der Wandel der Verlage von 1.0 bis 3.0Der Unternehmensberater Ehrhardt F. Heinold unterscheidet dreiEntwicklungsstufen der Verlage:Verlag 1.0 ist der klassische Printverlag, der gedruckte Medienvemarktet und vertreibt.Verlag 2.0 ist der Verlag, der nicht mehr nur gedruckte, sondernmehrmediale, multimediale Informationen verbreitet, oder auch,wie viele Fachverlage, Seminare und Kongresse veranstaltet, Hot-lines oder sogar Informationsbroking anbietet. Die verschiedenenMedien werden jedoch noch weitgehend voneinander getrenntpubliziert. Auch der Umgang mit den Kundendaten erfolgt kon-ventionell, echtes Customer-Relationship-Management oder per-sonenbezogenes Customizing wird erst in Ansätzen praktiziert.Verlag 3.0 befindet sich nun auf dem Weg vom Content-Providerzum Network-Organizer, ein Untenehmen also, das Informationund Kommunikation nicht mehr „einkanalig“ steuert, sondern imZentrum einer Community steht und diese organisiert. DieserWandel ist mit einer Reihe komplexer Herausforderungen undInnovationsprozesse verbunden. Vor allem erfordert er einen Wan-del im verlegerischen Selbstverständnis, bei nicht mehr nur derContent, sondern vor allem der Kunde im Mittelpunkt steht.

»Verlage haben die Zeichen der

Zeit nicht erkannt, weil sie in Con-

tent, aber nicht inKundenbedürf-nissen gedacht

haben.«