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100 JAHRE JUSTIZPALAST MÜNCHEN 1897 - 1997 Architekt Friedrich von Thiersch

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100 JAHRE

JUSTIZPALAST MÜNCHEN

1897 - 1997

Architekt Friedrich von Thiersch

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100 JAHRE JUSTIZPALAST

MÜNCHEN

1897 - 1997Architekt Friedrich von Thiersch

Bayerisches Staatsministerium der Justiz

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Der Münchener Justizpalast ist einer der prachtvollsten Bauten, die in Deutschland je für die Dritte Gewalt geschaffenwurden. 1890 bis 1897 durch Friedrich von Thiersch errichtet,demonstriert er das Selbstverständnis einer Justiz, die ihre Unab-hängigkeit erst Jahrzehnte zuvor errungen hatte. Jedermann soll-te ihr souveräner Anteil an der Staatsgewalt vor Augen geführtwerden.

Über ein Jahrhundert später ist dieser Status für uns selbstver-ständlich geworden. Um so wichtiger ist dafür die Bedeutung derJustiz als Dienstleisterin für den sozialen Frieden und Standort-faktor für die Wirtschaft. Man kann über Thierschs Architekturkaum Größeres sagen, als dass sie auch diesem vielschichtigergewordenen Selbstbild voll entspricht: Wo sonst gibt es ein Gebäude, das Ernst und Größe so harmonisch mit bayerisch barockem Charme verbindet? Aus der Entfernung gesehen beherrscht der Justizpalast mit monumentalen Fassaden und majestätischer Kuppel den Münchener Karlsplatz. Aber wer nähertritt, dem wird auch der verspielte Baudekor mit seinen Blumen-mustern, Stuckverzierungen und Grotesken nicht entgehen. Alldas zeigt uns eine Justiz, die wo nötig Urteile spricht und voll-streckt, der zugleich aber auch nichts Menschliches fremd ist.

Die vorliegende Broschüre will interessierten Lesern Bau-geschichte und Architektur des Münchener Justizpalasts nahebringen und damit zugleich einladen, diesen Kernbau der bayeri-schen Justiz auch persönlich zu besichtigen.

München, im November 2004

Dr. Beate MerkBayerische Staatsministerin der Justiz

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Ansicht vom Karlsplatzum die Jahrhundertwende

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Gerichtsgebäude im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert wurden Gerichtsgebäudezu einer wichtigen und viel diskutierten Bau-aufgabe. In den Großstädten gehörten Justizpa-läste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertszum Stadtbild wie Rathäuser, Museen, Postäm-ter, Theater und Universitäten. Vor dem 19.Jahrhundert war es äußerst selten, dass eigeneGebäude für Gerichte errichtet wurden. Eineder wichtigsten politischen Voraussetzungen fürdie Entwicklung von eigenständigen Gerichts-gebäuden war die Durchsetzung des Prinzipsder Gewaltenteilung in Legislative, Exekutiveund Judikative. Solange die Kompetenzen fürVerwaltung und Rechtsprechung nicht getrenntwaren, wurden Administration und Gerichtsbar-keit in den Residenzen oder Rathäusern gemein-sam untergebracht.

In Deutschland führten Veränderungen derrechtlichen Rahmenbedingungen in der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts zur Zunahme derBautätigkeit von Gerichtsgebäuden. Mit derpolitischen Einigung des Deutschen Reiches am18. Januar 1871 begann auch die Vereinheit-lichung des Rechts. Die Reichsjustizgesetze, dieam 27. Januar 1877 vom Reichstag angenom-men wurden und am 1. Oktober 1879 in Krafttraten, waren einer der wichtigsten Schritte aufdem Weg zur deutschen Rechtseinheit. DieReichsjustizgesetze waren das Ergebnis der jahr-zehntelangen Forderungen des liberalen Bürger-tums nach einer einheitlichen Gerichtsbarkeitin Deutschland. Zur Zeit des Deutschen Bundes

waren diese Forderungen nicht erfüllt worden.Der Deutsche Bund besaß nicht einmal einenobersten Gerichtshof, wie es vor 1806 mit demReichskammergericht bzw. dem Reichshofratder Fall war. In die Paulskirchenverfassung von1849 wurden die Forderungen nach allgemei-nen Gesetzbüchern sowie nach einem einheit-lichen gerichtlichen Verfahren aufgenommen.Jedoch trat diese Verfassung nicht in Kraft. AlsVorstufe zur Reichseinheit bildete sich im Jahr1867 der Norddeutsche Bund, der eine einheit-liche Gerichtsverfassung für seine 22 Mitglied-staaten hatte. Erst die Verfassung von 1871führte zur Vereinheitlichung des Rechts in ganzDeutschland.

Von den Reichsjustizgesetzen war insbe-sondere das Gerichtsverfassungsgesetz für denBau von Gerichtsgebäuden von großer Bedeu-tung. Das Gerichtsverfassungsgesetz vereinheit-lichte die Organisation des Gerichtswesens inDeutschland. Es regelte die Einteilung und dieZuständigkeit der Gerichte im Deutschen Reich.Das Gerichtswesen der Länder wurde jeweils indrei Instanzen gegliedert: Amtsgerichte, Land-gerichte und Oberlandesgerichte. Als obersterGerichtshof des Reiches wurde das Reichs-gericht in Leipzig eingerichtet. Für die neu ge-schaffenen Gerichte mussten häufig Neubautenerrichtet werden. Daher setzte in den folgendenJahren eine Bauflut von Gerichtsgebäuden ein.

Die neuen, liberalen Prinzipien im Prozess-recht hatten auch Auswirkungen auf das Raum-

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programm der Gerichte. Das Prinzip der Öffent-lichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens löstedas geheime schriftliche Verfahren ab und führtezur Zunahme des Publikumsverkehrs, was wie-derum einen größeren Raumbedarf zur Folgehatte. Das Prinzip der Laienbeteiligung imStrafprozess führte zur Einrichtung von Schöf-fengerichten bei den Amtsgerichten und zurEinrichtung von Schwurgerichten bei den Land-gerichten. Die Schwurgerichte benötigten einengroßen Gerichtssaal für die Verhandlungen, denen die Geschworenen, die Presse und Zu-schauer beiwohnten. Eine weitere Neuerung imStrafprozess war die Einführung von Staatsan-waltschaften. Während früher der Richter selbsterst die Anklage erhob und später das Urteilsprach, sollte die Aufgabe der Anklage nun striktvom Richteramt getrennt werden. Die neu ein-geführten Staatsanwaltschaften benötigten zu-sätzliche Diensträume für die Staatsanwälte.Diese liberalen Prinzipien, die aus dem Gedan-kengut der französischen Revolution stammen,waren zum Teil in einigen deutschen Ländernschon vor der Reichseinigung realisiert worden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertsherrschte großes Interesse an Gerichtsgebäudenund man setzte sich in den Bauzeitschriften undder Fachliteratur der Architektur mit dieser Bau-aufgabe auseinander. Theodor v. Landauer bezeichnete im „Handbuch der Architektur“,welches 1887 erschien, Gerichtsgebäude alsdie bedeutendsten öffentlichen Bauwerke. Das

„Handbuch der Architektur“, ein Entwurfslehr-buch für Architekten, war in Teil IV (Entwerfen,Anlage und Einrichtung der Gebäude) nach denverschiedenen Bauaufgaben eingeteilt. Theodorv. Landauer geht in seiner Abhandlung überGerichtsgebäude ausführlich auf die Auswir-kung der Reichsjustizgesetze auf den Bau vonGerichtsgebäuden ein und stellt detaillierteRaumprogramme für Amtsgerichte, Landgerichteund Oberlandesgerichte auf. Für die Gestaltungder für diese Gerichte erforderlichen Gebäudezeigt er bezüglich der Größe, der Lage und derAusstattung der Räume bestimmte Muster auf.Als Justizpaläste bezeichnet er „die großen,meist architektonisch hervorragenden Gerichts-häuser“ in größeren Städten, welche verschie-dene Gerichtsinstanzen enthalten.

Wichtige Beispiele sind der Justizpalast inStuttgart (1875-79, 1944 zerstört) von Theodorv. Landauer, der Justizpalast in Frankfurt a. Main(1884-1889) von Friedrich Endell, der Justizpa-last in Köln (1884-1893) von Friedrich Endellund Paul Thoemer sowie das Reichsgericht inLeipzig von Ludwig Hoffmann. Die Errichtungeines Gebäudes für das Reichsgericht in Leipzigwar nach dem Reichstag in Berlin das wich-tigste Bauvorhaben im Kaiserreich. Planung undAusführung beider Gebäude verliefen etwa zeit-gleich. Der Reichstag von Paul Wallot wurde inden Jahren 1884-1894 erbaut, während dasReichsgericht in Leipzig in den Jahren 1888-1895 von Ludwig Hoffmann errichtet wurde.

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Die rege Bautätigkeit von Gerichtsgebäu-den im 19. Jahrhundert war keineswegs nur eindeutsches Phänomen. In vielen HauptstädtenEuropas wurden monumentale Gebäude für dieobersten Gerichtshöfe erbaut. Der größte Justiz-palast des 19. Jahrhunderts wurde in Brüssel in den Jahren von 1866 bis 1883 von JosephPoelaert errichtet. Der Justizpalast nahm sämt-liche Justizbehörden Brüssels auf, darunter auchden obersten Gerichtshof von Belgien. Bereitseinige Jahre nach der Gründung Belgiens imJahr 1831 wurde mit der Planung begonnen.Der Justizpalast sollte ein Symbol der Rechts-staatlichkeit des neugegründeten Staates sein. Er liegt auf einem Hügel und dominiert dasganze Stadtbild. Eine hohe Kuppel unterstreichtden monumentalen Charakter. Der Justizpalastin Brüssel nahm eine Vorbildrolle für weitereJustizpaläste ein. Hinsichtlich Größe und Mo-numentalität blieb der Brüsseler Justizpalast unübertroffen.

In Österreichs Hauptstadt Wien wurde ander Ringstraße in den Jahren 1875-1881 vondem Architekten Alexander von Wielemanns ein Justizpalast errichtet, in dem der ObersteGerichts- und Kassationshof untergebracht wer-den sollte. Zuvor hatte das Staatsgrundgesetzvon 1867 die Rechtspflege in allen Instanzenvon der Verwaltung getrennt. Es war ein Anlie-gen des Justizministers Glaser, dass nicht nur einAmtshaus, sondern ein „Tempel der Gerechtig-keit“ geschaffen werden sollte. In Rom erbaute

Guglielmo Calderini den „Palazzo di Giustizia“.Der Bau wurde seit 1880 geplant und von 1888bis 1911 ausgeführt. Die politische Vorausset-zung für den Bau war die Gründung des italie-nischen Nationalstaats im Jahr 1870. Ferner istder Justizpalast in Paris zu erwähnen, welcherauf der Île de la Cité liegt. Der große Gebäude-komplex enthält neben den Gerichtshöfen Teileder mittelalterlichen Königsresidenz, die Sain-te-Chapelle und die Conciergerie. Im 19. Jahr-hundert erfolgten am „Palais de Justice“ mehrereUm- und Neubauten durch den ArchitektenJoseph Louis Duc.

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Vor dem Bau des Justizpalastes waren dieGerichte in München über die Stadt verteilt.Das Justizministerium und verschiedene Justiz-behörden waren im ehemaligen Augustiner-kloster in der Neuhauserstraße untergebracht.Nach der Säkularisation des Augustinerklostersim Jahr 1802 diente das Klostergebäude als Ge-richtsgebäude, während die Kirche des Klostersals Mauthalle genutzt wurde. Um den Bedürf-nissen der Gerichte zu entsprechen, wurden dieRäume des Klosters mehrfach umgebaut. Im Jahr1856 wurde ein Queranbau errichtet, in demdas Schwurgericht untergebracht war.

Auf Dauer reichte der Platz für die Justizbe-hörden im Augustinerstock nicht aus. Ein Grunddafür war die rapide Bevölkerungszunahme inMünchen. Das Bevölkerungswachstum führtezwangsläufig zur Zunahme der Rechtsstreitig-keiten. Es wurden immer mehr Beamte für dasRechtswesen erforderlich. Damit wuchs auch derBedarf an Räumlichkeiten für die Rechtspflege.

Weitere Gründe dafür, dass der Platzbedarffür die Justizbehörden zunahm, waren wichtigeNeuerungen im Gerichtsverfahren. Als Folge derRevolution von 1848 wurden in Bayern die For-derungen der liberalen Bewegung hinsichtlichdes Gerichtsverfahrens schrittweise realisiert.Dies führte etwa zur Einrichtung von Schwur-gerichten.

Die Notwendigkeit eines neuen Justizge-bäudes trat immer stärker in das Bewusstseinder Bürger und der Justizverwaltung. Auch das

Staatsministerium der Justiz beschäftigte sichseit 1876 mit der Frage eines neuen Justiz-gebäudes. Der Neubau wurde jedoch auf einenspäteren Zeitpunkt vertagt, da die Ergebnisseder sich gerade in Ausarbeitung befindlichenReichsjustizgesetze noch nicht zu überblickenwaren. Hinsichtlich der Gerichtsorganisationwaren Neustrukturierungen zu erwarten. Bisjetzt gab es noch die Stadt- und Bezirksge-richte. Für die Strafjustiz war noch nicht ge-klärt, welche Räumlichkeiten notwendig wer-den würden.

In den 1880er Jahren wurde der Ruf nacheinem neuen Justizgebäude immer lauter. DieUnterbringung der Gerichte im Augustinerklos-ter wurde für die Bediensteten, wie für das Pub-likum, als unzumutbar bezeichnet. In einer Petition der Bürger an die Abgeordneten werdendie Zustände folgendermaßen beschrieben: „SeitJahren bilden die unerträglichen Zustände in denGebäuden der hiesigen königlichen Gerichteeine stehende Klage aller beteiligten Kreise.Richter und Parteien, Geschworene, Schöffen,Zeugen leiden gleichmäßig unter den Verhält-nissen, welche unwürdig sind der Haupt- undResidenzstadt München, die Rechtspflege be-einträchtigen, die öffentliche Achtung vor derWürde der Gerichtsverhandlungen geradezuuntergraben und die Gesundheit unserer Mit-bürger in hohem Grade schädigen. Der Bau einesneuen Gerichtsgebäudes in München ist daherein nicht mehr abzuweisendes Bedürfnis.“

Die Baugeschichte des Münchner Justizpalastes

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In einem Zeitungsartikel der „MünchnerNeuesten Nachrichten“ aus dem Jahr 1883wurde der Gedanke geäußert, dass die Justiz imHinblick auf ihre Aufgabe einen Anspruch aufein würdiges Gebäude habe: „Gerade die Justizverlangt eine gewisse äußere Form, welchedem Ernst und der Würde ihrer Aufgabe ent-spricht. Jenes Land, welches für die Entwick-lung der Rechtspflege in Deutschland von großem Einfluss war, Frankreich nämlich, hatdiesen Grundsatz am besten verwirklicht. Fastin keinem Lande sind die Gerichtsgebäude soprächtig, ja geradezu luxuriös ausgestattet, wiein Frankreich, und von dorther stammt der Aus-druck ‚Justizpalast’, weil in der That die großenfranzösischen Justizgebäude wahre Paläste sind.In München wäre jedenfalls der AusdruckJustizhütte sachentsprechender als die nur spott-weise gebrauchte Bezeichnung Justizpalast. (…)Der Ernst und die Würde der Themis muß Zeu-gen und Parteien tatsächlich vor Augen geführtwerden; dadurch wird der Rechtspflege das Fer-ment des äußeren Anstandes gegeben, welchesnur stärkend auf das Rechtsbewußtsein selbstwirken kann.“

Außerdem äußerte sich in einer Petition anden Landtag die Vorstellung der Bürger, dass einrepräsentatives Gerichtsgebäude zur Bedeutungder Stadt München und des Königreichs Bayernbeitragen würde: „Aber auch für das allgemeineGedeihen der Stadt erscheint es dringend wün-schenswert, dass durch Aufführung öffentlicher

Bauten grösseren Stils eine Hebung der Ge-werbtätigkeit, Belebung von Handel und Wan-del eintrete. Nicht minder steht in Frage dieBedeutung Münchens als Kunststadt und damitdie Blüte unseres Gemeinwesens, wenn nochfernerhin jede bedeutendere Bauthätigkeit sei-tens des Staates unterlassen wird. Nicht uner-wähnt möge ferner bleiben, dass sich aus Anlassder Neugestaltung des Gerichtsverfahrens ins-besondere durch das Hervortreten der Öffent-lichkeit und Mündlichkeit fast in allen Gross-städten das Bedürfnis nach zeitgemässen Neu-bauten für die Gerichtshöfe geltend machte,wie das Beispiel von Wien, Stuttgart, Hamburgund Leipzig beweist. Das Königreich Bayernkann unmöglich zurückbleiben, wenn es gilt,auch in dieser Hinsicht die Würde des Landeszu vertreten.“

Aus diesen zeitgenössischen Zitaten ist zuersehen, dass in der Tat ein neues Justizgebäudezur Unterbringung der Gerichte notwendig war.Daneben wird hier die Idee artikuliert, dass einwürdiges Gerichtsgebäude das Rechtsbewusst-sein in der Bevölkerung stärken und zugleichdem Repräsentationsbedürfnis der Bürger die-nen kann. Der Begriff „Justizpalast“ wird in denoffiziellen Quellen bis zur Fertigstellung nichtverwendet. Danach bürgerte er sich jedochrasch ein.

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Die Standortsuche

Die Standortfrage für ein neues Gerichtsge-bäude beschäftigte den Landtag über zehn Jah-re lang. Ein immer wieder zur Diskussion ste-hender Standort war das Areal des Augustiner-klosters in der Neuhauserstraße. Das Klosterge-bäude und die Augustinerkirche sollten abgeris-sen werden. Außerdem sollten noch einige An-wesen in nächster Umgebung dazugekauft wer-den, um einen angemessen Bauplatz zu er-halten. Als Hauptargument für diesen Standortwurde die zentrale Lage angeführt. Das Augus-tinerkloster lag im Kern der Stadt innerhalb derehemaligen Stadtmauern und war daher vonden verschiedenen Stadtteilen gut erreichbar.Ein gravierender Nachteil dagegen war, dassdas Grundstück - auch bei Zukauf von Nach-baranwesen - keine ausreichende Grundflächebesaß. Bei der Planung wäre man von Anfangan beschränkt gewesen und hätte bezüglich desRaumprogramms Abstriche machen müssen. InBezug auf den immer wieder zur Debatte ste-henden Kostenpunkt war das Areal des Augusti-nerklosters ebenfalls mit Nachteilen verbun-den. Zum einen hätten sich hohe Grunder-werbskosten durch den Ankauf der Nachbaran-wesen ergeben. Zum anderen wären die Ab-bruchkosten für das Klostergebäude und dieAugustinerkirche hinzugekommen. Außerdemwäre eine Provisoriumsunterbringung für dieGerichte notwendig geworden.

Eine Reihe von anderen Grundstücken wur-de als Standort für das neue Justizgebäude inBetracht gezogen und vom Justizministeriumgeprüft. Ein wichtiges Argument, an dem vieleStandortvorschläge scheiterten, waren zu hoheGrunderwerbskosten.

Der Herzoggarten vor dem Karlstor - derheutige Standort des Justizpalastes - kam erst-mals in der Sitzung der Abgeordnetenkammervom 11. Februar 1878 in die Diskussion. Aufdem Gelände des Herzoggartens war seit 1827das Kadettenkorps untergebracht, welches demKriegsministerium unterstand. Es war jedoch zu-nächst nicht geklärt, ob das Kriegsministeriumdas Gelände freigeben würde. Durch ein Gesetzvom 29. Mai 1886 wurde die Verlegung desKadettenkorps auf das Marsfeld festgesetzt.Damit stand der Herzoggarten für den Bau desJustizpalastes zur Verfügung.

Der Herzoggarten hatte seinen Namen vonHerzog Clemens Franz de Paula (1722-1790),einem Neffen von Kurfürst Karl Albrecht, erhal-ten. Der Herzog hatte im Jahr 1752 das Grund-stück erworben, welches sich damals noch vorden Stadtmauern befand. Er ließ sich ein Vor-stadtschlößchen mit Wandmalereien und einenGarten im französischen Stil errichten. Nachdem Tod des Herzogs ging das Grundstück in den Besitz der Hofstäbe über. 1827 zog aufAnordnung von König Ludwig I. das Kadetten-korps auf das Gelände des Herzoggartens.

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Mit der Wahl des Herzoggartens war einidealer Bauplatz für das neue Justizgebäudegefunden. Das Grundstück wurde östlich durchden Karlsplatz, südlich durch die Prielmayer-straße und nördlich durch die Elisenstraßebegrenzt. Nach Westen sollte eine senkrechtzur Elisenstraße laufende Straße neu angelegt

werden. Die Lage des Bauplatzes zwischenHauptbahnhof und Karlsplatz war zentral. Ander Nordseite befand sich der Alte BotanischeGarten. Im nördlichen Teil des BotanischenGartens - also in reichlichem Abstand - stand seit1854 der Glaspalast von August von Voit. ImOsten bot der Karlsplatz eine freie Umgebung.

Bausituation

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Der Auftrag an Friedrich Thiersch

Am 16. Februar 1887 wurde FriedrichThiersch (1852-1921) mit dem Bau des Justiz-gebäudes durch den Prinzregenten Luitpoldbeauftragt. Die Tatsache, dass das Projekt nichteinem Baubeamten, sondern einem bereits aner-kannten Architekten wie Thiersch übertragenwurde, zeigt, dass man einen anspruchsvollen,monumentalen Bau wollte. Seine Fähigkeit, mo-numentale Bauten zu entwerfen, hatte Thierschbei dem Wettbewerb zum Reichstag in Berlin imJahr 1882 und dem Wettbewerb zum Reichsge-richt in Leipzig im Jahr 1885 demonstriert.Gmelin schilderte in der Deutschen Bauzeitungim Jahr 1897 die Bedeutung der Wahl vonThiersch folgendermaßen: „Mit der Uebertragungder Planbearbeitung an Hrn. Thiersch war zu-gleich der Bruch mit den bisherigen spiess-bür-gerlichen-kleinlichen Anschauungen und Ab-sichten vollzogen; denn man wusste, dass einsolcher Künstler den Auftrag nicht übernehmenwürde, ohne Alles daran zu setzen, was in seinenKräften steht, um einen Bau hinzustellen, dersowohl seinem eigenen künstlerischen Können,als auch dem der Stadt München Ehre mache.“

Thiersch war Professor an der KöniglichTechnischen Hochschule in München. Mit demAuftrag wollte man Thiersch an München bin-den, da dieser einen Ruf an die TechnischeHochschule Berlin erhalten hatte. PrinzregentLuitpold setzte sich persönlich für die Beauf-

tragung von Thiersch mit dem Bauvorhaben ein.In einem Schreiben vom 1. März 1887 teilteThiersch mit, dass er aufgrund des Auftrages undeiner Gehaltserhöhung den Entschluss gefassthabe, den Ruf an die Technische HochschuleBerlin abzulehnen.

Das Raumprogramm

Nachdem ein Bauplatz und ein Architektausgewählt worden waren, galt es ein Raum-programm für das Justizgebäude festzulegen.Nach den Intentionen der Abgeordnetenkam-mer sollte ein würdiger Monumentalbau, nichtjedoch ein Luxusbau entstehen. Der Baureferentim Justizministerium, Ministerialrat Anton Rittervon Boegel, fertigte das Raumprogramm in Ab-sprache mit dem neuen Justizminister LeopoldFreiherr v. Leonrod an. Es sah vor, dass in demneu zu errichtenden Bau vier Gerichte unterge-bracht werden sollten, nämlich ein Amtsgericht,zwei Landgerichte und ein Oberlandesgericht.Außerdem sollte das Justizministerium, alsoberste Justizverwaltungsbehörde, dort seinenPlatz finden. Daraus ergab sich für Thiersch die Aufgabenstellung, eine Kombination vonGerichtsgebäude und Verwaltungsbehörde zuschaffen.

Eine im Programm ursprünglich vorgeseheneDienstwohnung des Justizministers wurde in derPlanungsphase gestrichen. Der Grund für die

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Streichung war, dass insgesamt zu wenig Raumzur Verfügung stand und es schwierig gewesenwäre, diese Raumgruppe sinnvoll unterzubrin-gen. Die Wohnung sollte insgesamt 27 Zimmer,davon 14 Wohn- und Empfangszimmer sowieWirtschaftsräume umfassen. Eine derartige Woh-nung in einen öffentlichen Bau zu integrierenwar damals nicht unüblich, wie das Beispiel desReichsgerichts in Leipzig zeigt. Im Reichsge-richtsgebäude war ein ganzer Trakt für die Woh-nung des Reichsgerichtspräsidenten bestimmt.

Die Planungsphase von 1887 bis 1890

Die Planung und der Bau des Justizpalasteserstreckten sich über zehn Jahre. In den erstendrei Jahren erarbeitete Thiersch die Entwürfe,während die Bauausführung die folgenden sie-ben Jahre beanspruchte.

Am 21. Juli 1887 schloss das Justizministe-rium den Vertrag mit Thiersch über die Gestal-tung von Plänen und Kostenvoranschlägen fürdas neue Justizgebäude. Thiersch verpflichtetesich, einen Vorentwurf mit Kostenvoranschlaganzufertigen und den Entwurf so lange abzuän-dern, bis dieser die Genehmigung des Justizmi-nisteriums finden würde. Dann sollte ein Bau-entwurf mit ausführlichem Kostenvoranschlagausgearbeitet werden. Die Begrenzung derKosten wurde auf 3.100.000 Mark festgesetzt.

Vor Planungsbeginn unternahm Thiersch,wie er selbst in seiner Denkschrift von 1897betonte, umfassende Studien zu der gestelltenBauaufgabe. Zum einen setzte er sich mit Theo-dor v. Landauers Abhandlung über Gerichtsbau-ten im „Handbuch der Architektur“ auseinan-der. Zum anderen trat Thiersch in Kontakt mitArchitekten ähnlicher Bauten, um von derenErfahrungen zu profitieren. Thiersch stand imAustausch mit Ludwig Hoffmann, dem Erbauerdes Reichsgerichtsgebäudes, Paul Wallot, demArchitekten des Reichstagsgebäudes, Alexandervon Wielemanns, der den Wiener Justizpalasterbaut hatte, sowie mit Theodor v. Landauer,dem Erbauer des Stuttgarter Justizpalastes.

Einen weiteren Teil von Thierschs vorberei-tenden Studien stellten Exkursionen dar, beidenen er andere Justizgebäude vor Ort besich-tigte. Im Juni 1887 besuchte er mit dem Justiz-minister und dem Baureferenten die Justizge-bäude in Würzburg und Nürnberg. Wichtigerals der Besuch dieser Justizgebäude waren fürThiersch jedoch Fahrten zu den großen Justiz-palästen in Europa, wie er in seiner Denkschriftzum Ausdruck bringt: „Ungleich erbaulicherund wertvoller als die genannten Inspektions-fahrten war die Reise nach Leipzig und jenenach Wien und Berlin. Von dort aus setzte derVerfasser seinen Weg über Brüssel und Parisfort, woselbst bekanntermaßen die weitaus be-deutendsten Justizbauten des Kontinents sichbefinden.“

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Während seiner Studien setzte sich Thierschalso mit der Bauaufgabe eingehend auseinan-der. Er beschäftigte sich aber auch mit anderenöffentlichen Bauten wie dem Reichstag, da essich bei diesem ebenfalls um einen Monumen-talbau handelte. Neben der Beschäftigung mitzeitgenössischen Bauten war für Thiersch im-mer die Auseinandersetzung mit der Architekturfrüherer Zeiten wichtig. Zur Zeit der Planungund des Baus des Justizpalastes studierte er ins-besondere die Architektur des 17. und 18. Jahr-hunderts. Thiersch: „Da zur künstlerischenSelbsterziehung die Rückkehr zu den Werkender Väter den einzigen Weg bildet, so sah sichder Verfasser veranlasst, während der architek-tonischen Entwicklung des Baues die Schöp-fungen der beiden letzten Jahrhunderte zu studieren. Es kamen dabei zunächst die inMünchen und Umgebung vorhandenen Bautenin Betracht; doch wurden auf Reisen für den be-sonderen Zweck oder gelegentlichermassen dieSchlösser von Würzburg, Bamberg, Ludwigs-burg, Stuttgart, Brühl und die Barockbauten vonWien dem Studium unterworfen.“

Der Vorentwurf

Thiersch legte dem Justizministerium am1. Februar 1888 den ersten Vorentwurf vor. DerEntwurf erfuhr von allen Seiten Anerkennung,wurde jedoch aufgrund des Kostenvoranschlagsvon knapp 6 Millionen Mark abgelehnt. Es wur-de eine neue Kostenbegrenzung von 4 Millio-nen festgesetzt.

Der erste Vorentwurf entsprach in der Anla-ge des Baukörpers bereits weitgehend der spä-teren Ausführung, einer Anlage um zwei sym-metrische Innenhöfe mit einer im Quertrakt ge-legenen Halle. Über der Zentralhalle erhobsich eine Kuppel auf einem sehr hohen vier-eckigen Tambour. Die Fassade des Vorentwurfszeigt noch die regelmäßigen und strengen For-men der italienischen Renaissance. Der Stil-wechsel zur Formensprache des Barock erfolgteerst im Verlauf der Planungen.

Nach dem ersten Vorentwurf wurden vierweitere Vorentwürfe angefertigt, deren Haupt-ziel es war, die Kosten zu reduzieren. Im Juli1889 wurde der Vorentwurf schließlich vomJustizministerium genehmigt.

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Erster Vorentwurf

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Der erste Bauentwurf

Danach fertigte Thiersch in vier Monatenden ersten Bauentwurf an, der am 13. Novem-ber 1889 vorgelegt wurde. Der Vergleich desersten Bauentwurfs mit dem ersten Vorentwurflässt die stilistische Entwicklung von der For-mensprache der Renaissance zur Formenspra-che des Barock erkennen. An der Ostfassadewurde der gerade Abschluss in der Mitte durcheinen konvexen Abschluss ersetzt. Der Nordri-salit springt im Bauentwurf weiter hervor. Dieeinfachen Dreiecksgiebel der Nordfassade wur-den von reicheren, variierten Giebeln abgelöst.Der große Kuppelbau wurde durch eine flachereGlaskuppel ersetzt.

Der Kostenvoranschlag des ersten Bauent-wurfs betrug um die 9 Millionen Mark. Aufgrundder hohen Kosten wurde der erste Bauentwurfim Dezember 1889 abgelehnt. Es wurde einneuer Höchstbetrag von 5 Millionen festgesetzt.Thiersch kommentiert die Ablehnung des erstenBauentwurfs in seiner Denkschrift folgenderma-ßen: „Wenn es auch verstimmend wirken muss-te, dass ein mit Ausnahme des Kostenpunktesnach allen Richtungen hin die Organe derRechtspflege vollkommen befriedigendes Pro-jekt abgelehnt wurde, so war es dennoch fürden Architekten eine Genugthuung, zu sehen,dass sich die Überzeugung Eingang verschaffthatte, dass ein Betrag von weniger als 5 Millio-nen nicht einzuhalten sei.“

Der zweite Bauentwurf

Am 13. Februar 1890 wurde der zweiteBauentwurf mit einem Kostenvoranschlag vonknapp 5,5 Millionen dem Justizministerium vor-gelegt. Der zweite Bauentwurf glich in denGrundzügen dem ersten Bauentwurf, wobeijedoch erhebliche Einsparungen gemacht wur-den. Es wurde an Baumasse gespart, indem dieAußenmaße verkleinert wurden, ohne dabei dieAnordnung der Raumgruppen zu verändern. Anden Fassaden wurde die Hausteinverkleidungreduziert. Die Ausgaben für den bildhauerischenSchmuck wurden auf ein Fünftel der ursprüng-lichen Summe verringert. Außerdem wurden imtechnischen Bereich Kürzungen vorgenommen.Die elektrische Beleuchtungsanlage und dieelektrischen Aufzüge wurden aus der Planunggestrichen. Anstatt Decken mit Eisenträgern wa-ren nun nur noch solche mit Holzbalken vorge-sehen.

In einer Anfang 1890 für den Landtagverfassten Schrift, legte Thiersch den Verlauf derPlanungen dar. Zum einen beschreibt er die Ent-wicklung der verschiedenen Entwürfe. Zumanderen vergleicht er das zweite Bauprojekthinsichtlich der Ausmaße und der Baukosten mitanderen Monumentalbauten wie dem Reichs-tagsgebäude in Berlin, dem Justizpalast in Brüs-sel und dem Justizpalast in Rom. Beispielswei-se betrug die Bausumme des Reichstagsgebäu-des, bei einer Länge von 136 m, einer Breite von

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93 m und einer Höhe von 22 m 35 MillionenMark. Thierschs zweites Bauprojekt sah eineLänge von 136,4 m, eine Breite von 81,3 m undeine Höhe von 24,7 m vor. In dem Schlusswortder Schrift appelliert Thiersch an den Kunstsinnder Abgeordneten: „Da es die Aufgabe der Bau-kunst ist, das Nützliche mit dem Schönen zuverbinden, so muß es schmerzlich empfundenwerden, wenn bei einem Monumentalbau dieMittel nicht ausreichen, um ihm jene technischgediegene und künstlerisch decorative Ausstat-tung zu geben, welche er seiner Bestimmungund Stellung nach verdient. (...) Wenn bei derErrichtung von monumentalen Staatsbauten dieheimathliche Bauindustrie gefördert wird, so istes gewiß eine der schönsten Aufgaben des Staa-tes, zugleich auch der monumentalen Kunstund des Kunsthandwerks zu gedenken, derenPflege nur bei solchen Gelegenheiten betätigtwerden kann.“

Als der zweite Bauentwurf am 23. April 1890im Landtag vorgelegt und genehmigt wurde,war man schließlich der Ansicht, dass zu viel amfalschen Platz gespart worden sei und erhöhtedie Bausumme auf 5.990.000 Mark. Es wurdebeschlossen, die Fassaden doch durchwegs mitHaustein zu verkleiden. Außerdem sollten feuer-sichere Decken aus Eisen und Stein hergestelltwerden. Die Anlage einer elektrischen Beleuch-tung wurde unter Vorbehalt genehmigt und vonder Entwicklung dieser Beleuchtungsart in Mün-chen abhängig gemacht.

Die Ausführungsphase von 1890 bis 1897

Am 19. Mai 1890 wurde der Bauvertrag mit Friedrich Thiersch abgeschlossen. Thierschwurde zum Spezialkommissär für diesen Bauernannt. Damit war er unmittelbar dem Staats-ministerium der Justiz unterstellt. In vierteljähr-lich erscheinenden Fortschrittsanzeigen sollteThiersch den Verlauf der Arbeiten gegenüberdem Justizministerium dokumentieren. Die Bau-zeit für das neue Justizgebäude wurde auf sie-ben Jahre festgesetzt.

Thiersch bildete ein Baubüro, welches inden nordöstlichen Eckpavillon der Gebäude desKadettenkorps einzog. Dort war für die nächs-ten sieben Jahre der Arbeitsplatz der Bauleitungund der Zeichner. Dieser Pavillon wurde erstnach der Fertigstellung des Justizpalastes abge-rissen. Im späteren Verlauf der Arbeiten wurdein einem westlich der Baufläche liegenden Gebäude ein Bildhaueratelier eingerichtet, inwelchem Modelle von Bauteilen, Figuren undOrnamenten angefertigt wurden.

Im Dezember 1890 wurden die Gebäudedes Kadettenkorps abgerissen. Im Frühjahr 1891wurde nach dem Frost mit dem Aushub derBaugrube begonnen. Von Juli bis Oktober 1891zogen sich die Betonierungsarbeiten der Funda-mente hin, wobei in der Richtung von Südostnach Nordwest vorgegangen wurde. Am 27. Au-gust 1891 konnte an der Südoststrecke der ersteZiegelstein gelegt werden. Ende des Jahres 1891

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überragten die Grundmauern den Erdboden undes war bereits mit der Hausteinverkleidung derMauern begonnen worden. Im Jahr 1892 wur-den das Erdgeschoss und das erste Oberge-schoss fertig gestellt; im Jahr 1893 erreichtendie Fassaden die Hauptgesimshöhe. Im Früh-jahr 1894 begann man mit dem Aufstellen derDachstühle. Im Herbst 1894 wurde das eiserneGerippe der Kuppel aufgestellt. Am 22. Dezem-ber 1894 schließlich fand auf einer provisori-schen Plattform auf dem Scheitel der Kuppeldas Richtfest statt.

Im Frühjahr 1894 stellte sich die Frage nachder künstlerischen Ausstattung des Justizpalas-tes. In einer Petition der Münchener Künstlerge-nossenschaft wurde um die Bewilligung einerSumme von 150.000 Mark für die künstlerischeAusstattung gebeten. Der Landtag lehnte jedochdie geforderten Ausgaben ab. Albert Hofmannkritisierte dies in der Deutschen Bauzeitungheftig: „Es ist nur der allerdürftigste Schmuck,den das Gebäude erhalten wird, ein Schmuck,der in seiner Armuth noch nach JahrhundertenZeugniss von der kunstfeindlichen Stellung derbayerischen Kammer des Jahres 1894 ablegenwird.“

Für Thiersch war die künstlerische Ausstat-tung besonders wichtig. Da er keine zusätz-lichen Gelder bewilligt bekommen hatte, finan-zierte er die künstlerische Ausschmückung desBaus durch Ersparnisse, welche er am Rohbaumachte.

Baugerüstmit Phantompfeiler

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Im Sommer 1896 wurden die Außenarbeitenbeendet. Daraufhin wurden im Inneren dieZentralhalle ausgebaut, die Stuckarbeiten aus-geführt und die Fußböden gelegt. Thiersch warnicht nur für den inneren Ausbau zuständig, son-dern auch für die gesamte Möblierung des Justiz-palastes. Das beinhaltete die Anfertigung vonSchreibtischen, Aktenschränken und „Akten-hunten“.

Nachdem das Gebäude bezogen war, fandam 10. Mai 1897 die feierliche Einweihungdurch Prinzregent Luitpold und Justizministervon Leonrod statt. Bei den Feierlichkeiten über-gab Thiersch dem Prinzregenten die diesem ge-widmete „Denkschrift zur Herstellung des Neu-en Justizgebäudes“. Am gleichen Tag wurdeThiersch mit dem Ritterkreuz des Verdienstor-dens der bayerischen Krone ausgezeichnet, wasmit dem persönlichen Adel verbunden war.

An dieser Stelle sei hinzugefügt, dass be-reits wenige Jahre nach der Fertigstellung desJustizpalastes das Gebäude wiederum zu kleinwurde, was mit dem weiteren Bevölkerungs-wachstum und der Verrechtlichung der Gesell-schaft zusammenhing. Daher wurde Thierschim Jahr 1902 beauftragt, ein zweites Justizge-bäude westlich des Justizpalastes zu errichten.Das „Neue Justizgebäude“, das im Jahr 1905fertig gestellt wurde, zeigt sich in einem gänz-lich anderen Stil als der acht Jahre zuvor fertiggestellte Justizpalast.

Aktenhunt für das Arbeitszimmer des Staatsministers

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Thiersch erklärte die Nordfassade an derElisenstraße zum Alten Botanischen Garten zurHauptfassade. Er rechnete damit, dass mit demweiteren Stadtausbau die Nordseite zunehmendeBedeutung gewinnen würde. Außerdem hatteThiersch die feste Vorstellung, die er auch inseiner Denkschrift betont, dass der Alte Botani-sche Garten später einmal zu einer öffentlichenParkanlage umgestaltet werden würde, die danneinen Vorplatz für die Nordfassade bilden sollte.Die Adresse des Justizpalastes, heute Prielmayer-straße 7, war damals Elisenstraße 1a.

Wie schon erwähnt, ging Thiersch bei derWahl des Baustils von den Formen der italieni-schen Hochrenaissance des ersten Vorentwurfsüber zu den Formen des Barock. Er begründeteden Stilwechsel zur „Spätrenaissance“, wobeiBarock gemeint ist, in seiner Denkschrift fol-gendermaßen: „Die Architekturformen, welchean dem Bau zur Verwendung kamen, sind dieder Spätrenaissance; für die Wahl dieses Stileswar die grössere Freiheit der Ausdrucksmittelund grössere Beweglichkeit der Formen aus-schlaggebend.“ Der Barockstil bot im Gegen-satz zum Stil der Renaissance dem Architekteneinen größeren künstlerischen Spielraum. ImGegensatz zu dem Vorentwurf sind die aus-geführten Fassaden abwechslungsreicher undindividueller ausgeprägt. Bei der Gestaltungder Fassaden des Justizpalastes lassen sich Vor-bilder barocker Bauten finden, es handelt sichjedoch keinesfalls um Kopien.

Eine wichtige Voraussetzung für die Stilwahlwar die Neubewertung der bislang negativ be-urteilten Architektur des Barock. Cornelius Gurlitt, ein Studienkollege von Thiersch, veröf-fentlichte im Jahr 1889 „Die Geschichte desBarock-Stiles, des Rococo und des Klassicis-mus“. Im Späthistorismus wurde der Barockaufgewertet und verstärkt aufgegriffen. Das Bür-gertum übernahm den Barockstil für Geschäfts-häuser und Privatbauten. Als Repräsentativstilwurde der Barockstil auch für öffentliche Bau-ten verwendet. Die Wahl des Barockstils fürden Justizpalast entsprach den Wünschen derBürger nach einem repräsentativen Justizge-bäude und dem Bedürfnis nach Selbstdarstel-lung einer staatlichen Behörde.

Die vier Fassaden des freistehenden Baussind unterschiedlich ausgeprägt, haben jedochGemeinsamkeiten im Aufbau. Über einem nied-rigen Granitsockel, der dem Unterbau ent-spricht, ist das Erdgeschoss als Sockelgeschossmit Rustica gestaltet und durch ein Gesimsabgesetzt. Die drei oberen Geschosse werdendurch eine Kolossalordnung von Pilastern bzw.Säulen an den Mittel- und Eckrisaliten zusam-mengefasst. Zwischen den Fenstern der nichtvortretenden Fronten überspannen Lisenen diedrei Obergeschosse. Die drei Obergeschossesind durch Fensterumrahmungen und Giebelgeschmückt, wobei das zweite Obergeschossam meisten betont wird. In den Mittelrisalitenergeben sich andere Betonungen. Die Mittel-

Der Bau

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Nordfassade, Mittelrisalit

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risalite und die Eckrisalite sind reicher gestaltet.Sie werden durch Giebel bzw. Attiken mit Balustraden und Figuren abgeschlossen. Die Figuren verkörpern Begriffe, die mit der Rechts-pflege zusammenhängen. Thiersch fertigte fürdiese Attikafiguren Skizzen an. An der Ausfüh-rung waren verschiedene Bildhauer beteiligt.

Die Nordfassade

An der Nordfassade springen der Ost- undder Westflügel als Eckrisalite um 11 m vor. DerMittelbau tritt um 7 m vor. Dadurch ergibt sicheine starke Betonung der Ecken sowie der Mitte.Die Längsfronten haben jeweils neun Fenster-achsen, der Mittelrisalit fünf Fensterachsen unddie Eckrisalite jeweils eine Fensterachse.

Dem zweigeschossigen Mittelrisalit ist eineFreitreppe vorgelagert. Im Rusticageschoss be-finden sich drei hohe und zwei kleinere Por-tale. Über ihnen befinden sich Wappenfeldermit Rechtssymbolen wie gekreuzten Schwerternund Liktorenbündeln. Die Portaltüren warenfrüher mit Eisen beschlagen und zeigten über-lebensgroße Kinderfiguren mit Symbolen derRechtspflege. Sechs Vollsäulen mit korinthi-schen Kapitellen gliedern das obere Geschoss.Über den drei Hauptportalen liegen die dreigroßen Fenster des zweigeschossigen Schwur-gerichtssaals. Über diesen Fenstern sitzen weib-liche Zwickelfiguren mit Symbolen der Rechts-

pflege wie Schwert, Liktorenbündel und Geset-zestafel. Darüber befinden sich drei Inschriftta-feln, die an die Rechtschaffenheit der Bürger ap-pellieren: HONESTE VIVE/ NEMINEM LAEDE/SUUM CUIQUE TRIBUE. Über den äußerenbeiden Fenstern befindet sich das Symbol derWaage mit gekreuzten Schwertern. Über demGebälk erhebt sich eine hohe Attika mit dembayerischen Wappen in der Mitte. Daneben be-finden sich je zwei Attikafiguren (Milderung,Beweis, Rechtsmacht, Rechtsstärke).

An den Längsfronten weist die Regelmäßig-keit und Gleichförmigkeit der Anordnung derFenster auf die dahinterliegenden Diensträumehin. Gegenüber den Risaliten sind die Längs-fronten weniger hervorgehoben, da sie keinenfigürlichen Schmuck haben und anstatt von Pi-lastern bzw. Säulen nur mit Lisenen gegliedertsind. Die Eckrisalite fassen die Längsfronten zu-sammen und betonen die seitlichen Abschlüs-se. Die Fenster des zweiten Stocks werden vonHermen umrahmt, die Rutenbündel tragen. DieEckrisalite werden von einer Attika mit Balust-rade abgeschlossen. Darüber stehen jeweilszwei Figuren (Anklage, Verteidigung, FreierWille, Freies Recht).

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Die Südfassade

Die Längsfronten und Eckrisalite der Süd-fassade sind wie bei der Nordfassade gestaltet.Der Mittelrisalit tritt nur um 3,5 m vor. Er istdurch Pilaster in fünf Achsen gegliedert, vondenen die drei Mittelachsen nochmals um 1 mvorspringen. Der Mittelrisalit ist dreigeschossigaufgefasst, wobei das mittlere Geschoss betontist. Im Erdgeschoss ist dem mittleren Eingangs-portal ein offener Vorbau vorgelegt, der als Kut-schenunterfahrt diente. Im ersten Geschossdient der Vorbau als Balkon. Die drei mittlerenAchsen des Risalits werden von einem Giebelmit dem bayerischen Wappen bekrönt. Auf demGiebel steht eine Justitia, flankiert von Unschuldund Laster. Daneben stehen auf Balustradenvier weitere Figuren bzw. Figurengruppen(Gruppe der Rechtshilfe, Chronos, Merkur,Gruppe des Rechtsschutzes). Auf den beidenEckrisaliten stehen jeweils zwei Figuren (Frei-sprechung, Strafe, Hinterlist und Frömmigkeit).

Die Ostfassade

Die Ostfassade ist durch den Mittelrisalitmit konvexem Vorbau stark geprägt. Es schließensich beidseitig sechsachsige Fronten an, die anden Ecken jeweils durch leicht vorspringendePilaster abgrenzt werden. Der Abschluss wirdaußerdem durch die Obelisken über den Pilas-

Skizze der Figurengruppe „Justitia“

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Ostfassadezum Karlsplatz

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Westfassade, Mittelrisalit

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tern betont. Die Obelisken treten an allen vierEckpunkten des Justizpalasts auf und markierendie jeweiligen Ecken.

In der Mitte des konvexen Vorbaus befindetsich das Eingangsportal, wobei die zum Ein-gangsportal führende Treppe das Oval der Fas-sade aufnimmt. Über dem Portal ist ein Medu-senhaupt angebracht. Auf den Giebelstückendarüber sitzen zwei Frauenfiguren mit Geset-zestafel und Schwert. Der dreigeschossige Ost-risalit wird von einem Attikageschoss abge-schlossen. Darüber stehen auf einer Balustradesechs Figuren (Wahrheit, Forschung, Selbster-kenntnis, Friedfertigkeit, Schreibkunst, Rede-kunst).

Beim Ostrisalit lässt sich als Vorbild dasSchwarzenberg-Palais in Wien ausmachen. Derkonvex vorspringende dreiachsige Mittelbaustellt eine motivische Übernahme des Mittel-risalits der Gartenfassade des Palais dar. Beson-ders ähnlich ist die Attika mit den querovalenFenstern. Im Gegensatz zum Palais Schwarzen-berg befindet sich hinter dem ovalenVorbau keinSaal, sondern das Treppenhaus. Außerdem istdas Palais nur zweigeschossig. Thiersch kopiertalso nicht, sondern greift Motive auf.

Die Ostfassade ist in der Gestaltung derNord- und der Südfassade gleichwertig. Derbauplastische Schmuck ist hier sogar am reichs-ten. An der prominenten Lage des Karlsplatzessetzt sie mit dem ovalen Mittelbau einen städte-baulichen Akzent.

Die Westfassade

Die Westfassade ist in der Gestaltung denübrigen Fassaden untergeordnet. Der Mittelrisa-lit tritt nur wenig aus der Fassadenflucht hervor.Die Pilaster, die den Mittelbau gliedern, habenionische Kapitelle, während an den Mittelbau-ten der übrigen Fassaden die hierarchisch be-deutenderen korinthischen Kapitelle auftreten.Den Abschluss des Mittelbaus bildete eine Attika mit Wappen, welche jedoch nach demKrieg nicht wieder aufgebaut wurde. Im Gegen-satz zu den anderen Fassaden standen auf der Balustrade keine Figuren sondern Vasen.

Die Hoffassaden

Die Fassaden der beiden Höfe sind weiteinfacher gehalten als die Außenfassaden, trotz-dem aber ansprechend gestaltet. Die Fassadenhaben keine Hausteinverkleidung, sondern sindverputzt. Der Putz ist gefugt und imitiert somiteine Hausteinverkleidung. Im Erdgeschoss understen Obergeschoss wird eine Rusticawirkungerzielt. Im zweiten und dritten Geschoss wer-den die Fenster mit Giebeln bekrönt. Auf dieHöfe öffnen sich in erster Linie die Fenster derGänge. In den Höfen sind große Uhren ange-bracht. Sie sind Bedingung und Ausdruck fürdas alltägliche Funktionieren der Behörde.

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Die Kuppel

In der Mitte des Gebäudes erhebt sich übereinem quadratischen Unterbau, der an jederSeite von drei großen Rundbogenfenstern durch-brochen wird, die Kuppel in Eisen-Glas-Kon-struktion. Über dem Kuppelscheitel erhebt sichdie Laterne, die in ca. 66 m Höhe eine vergol-dete Kugel von ca. 1 m Durchmesser trägt. DieKuppel fasst das Gebäude zusammen, ohne eszu dominieren. Sie ist von weither sichtbar undschafft damit einen städtebaulichen Akzent. Außerdem betont die Kuppel die unter ihr lie-gende Zentralhalle nach außen.

Die ausgeführte Kuppel ist gegenüber demVorentwurf stark verändert. Im Vorentwurf warein hoher Tambour mit Säulen und Lichtöffnungmit einer geschlossenen Kuppel geplant. DieKuppel des Vorentwurfs ähnelt der Kuppel desReichsgerichts von Hoffmann. Im ausgeführtenBau wird die wesentlich modernere Lösungeiner lichtdurchlässigen Kuppel in Eisen-Glas-Konstruktion gewählt. Diese Kuppellösung ähnelt der Reichstagskuppel von Wallot. Dortbesaß die Kuppel allerdings einen rechteckigenGrundriss und diente der Beleuchtung des Ple-narsaals.

Die Kuppeleine Eisen-Glas-Konstruktion

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Den Zustand bei Fertigstellung zeigen ambesten die in der Denkschrift von 1897 veröf-fentlichten fünf Grundrisse im Maßstab 1 : 400.Beim Wiederaufbau wurde die Aufteilung derRäumlichkeiten den veränderten Anforderungenangepasst. Daher weicht die heutige Raumauf-teilung vom Originalzustand ab.

Der Grundriss zeigt ein klares, regelmäßi-ges Schema, welches sich in den vier Haupt-stockwerken mit nur kleinen Veränderungenwiederholt. Die Anlage besteht aus zwei Längs-und zwei Schmalflügeln. Die Längsflügel sindin der Mitte durch einen Quertrakt verbunden,so dass sich zwei große Innenhöfe bilden. ImQuertrakt befindet sich eine Halle, die die ge-samte Länge dieses Traktes einnimmt und sichdurch alle Stockwerke zieht. Sie ist der größteRaum des Gebäudes und wird in allen Stock-werken von Korridoren umschlossen.

Der Grundriss garantiert ausreichendeKommunikationswege sowohl von außen in dasGebäude hinein als auch innerhalb des Gebäu-des. Auf allen vier Seiten liegen in der Mitte Ein-gänge. Von den Längsseiten im Süden und Nor-den gelangt man von den Eingängen in Vestibü-le, welche zur Zentralhalle führen, die zugleichein Treppenhaus ist. An den Schmalseiten imOsten und im Westen gelangt man direkt inkleinere Treppenhäuser. Das östliche Treppen-haus hat einen ovalen Grundriss, das westlicheeinen rechteckigen. Die drei Treppenanlagensind gleichmäßig über das Gebäude verteilt und

Der Grundriß und die Verteilung der Räumlichkeiten

sorgen für eine ausreichende vertikale Kommu-nikation zwischen den Stockwerken.

Dem Raumprogramm entsprechend wurdenim Justizpalast vier Gerichte und das Justizmi-nisterium untergebracht. Insgesamt wurden 330Amtsräume über die vier Geschosse verteilt.780 Beamte und Bedienstete sollten dort arbei-ten. Im Gegensatz zu anderen Gerichtsgebäu-den war kein Gefängnis in den Bau integriert.Es gab jedoch Tageshaftzellen für die Angeklag-ten. Außerdem wurden getrennte Wege für dieUntersuchungsgefangenen angelegt, so dass die-se nicht mit der Öffentlichkeit in Kontakt kamen.

In den äußeren Längs- und Schmalflügelnwaren in allen vier Stockwerken die Diensträumeund die Gerichtssäle angeordnet, deren Fensterzur jeweiligen Straßenseite hinausgehen. In denRäumen des Querbaus, die sich zu den Höfenöffnen, wurden vor allem die Registraturen un-tergebracht, die zur Aufbewahrung der Aktendienten. Es wurde vermieden, Diensträume zuden Höfen zu legen. Eine Ausnahme bildeten dieerst als Reservezimmer vorgesehenen Räume,die später zu Amtsräumen umfunktioniert wur-den. In der Mitte der Längsflügel lagen die zwei-geschossigen Großräume: der Repräsentations-saal und die Bibliothek im Süden, der Schwur-gerichtssaal im Norden.

Die für ein Gericht typischen Räume wiedie Richterzimmer, die Gerichtsschreibereien,die Registraturen, die Gerichtssäle und die Zeu-genzimmer waren in allen vier Stockwerken zu

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Grundriß 2. Obergeschoß

finden. Neben den Gerichtssälen lagen die Bera-tungszimmer der Richter, von denen aus eineVerbindungstür direkt zum Richterpodium führ-te. Zum Gang hatten die Gerichtssäle zweiweitere Türen, eine für die Parteien und Rechts-anwälte, die andere für die Zuschauer. Die Zeu-genzimmer lagen möglichst in der Nähe derGerichtssäle.

Im Erdgeschoss war das Amtsgericht Mün-chen mit sieben Gerichtssälen. Amtsgerichte, dieEingangsinstanz in der Hierarchie der Gerichte,umfassten normalerweise eine Zivil- und eineStrafabteilung. Im Justizpalast war jedoch nurdie Zivilabteilung des Amtsgerichts unterge-bracht. Das Amtsgericht war das Gericht, dasam meisten Parteiverkehr hatte, weshalb die

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Unterbringung im Erdgeschoss zweckmäßig war.Außerdem lag im Erdgeschoss das Grundbuch-amt, das ebenfalls viel Parteiverkehr hatte.

Im ersten Stock befanden sich die Zivilkam-mern des Landgerichts München I und des Land-gerichts München II, während die Strafabteilun-gen dieser Gerichte im zweiten Stock lagen. DasLandgericht für Zivilsachen war und ist zustän-dig für Fälle mit höherem Streitwert und fürBerufungen. Das Landgericht München I hattedrei Gerichtssäle, das Landgericht München IInur einen Gerichtssaal.

Im zweiten Stock befanden sich die Straf-kammern der Landgerichte München I undMünchen II, die damals zuständig waren fürStraftaten, welche mit Haftstrafen bis höchstensfünf Jahren bedroht waren. Bei besondersschweren Verbrechen traten bei den Landge-richten periodisch Schwurgerichte zusammen.Die Strafkammern der Landgerichte waren inder Hauptverhandlung mit fünf Berufsrichternbesetzt, während die Schwurgerichte aus dreiBerufsrichtern aus dem Kreis der Landgerichteund aus zwölf Geschworenen bestanden.

Die beiden Strafkammern hatten jeweils zweiGerichtssäle. Diese vier Gerichtssäle im zweitenStock waren größer angelegt als die Gerichtssäledes Erdgeschosses und des ersten Stocks, weilbei Strafverhandlungen mehr Zuschauer zu er-warten waren. In der Nähe der Gerichtssäle la-gen die Zeugenzimmer. Für die Angeklagten gabes Haftzellen, die sich im Quertrakt befanden.

Fast der ganze Nordflügel wurde vomSchwurgericht eingenommen. Der Schwurge-richtssaal und die dazugehörigen Nebenräumebildeten einen vom übrigen Gebäude abgeson-derten Bereich mit einem eigenen Gang. Hin-sichtlich der Anlage von Schwurgerichtenmachte Theodor v. Landauer im „Handbuch derArchitektur” auf folgende Erfordernisse aufmerk-sam: „Die Hafträume für die Schwurgerichteund, wo möglich, auch diejenigen für die Straf-kammern sind so anzulegen, dass sie mittels einer besonderen Treppe zu erreichen sind;überhaupt ist dafür zu sorgen, dass die Ange-klagten auf dem Wege vom Gefängnis bis zu ih-rem Platze im Gerichtssaal mit niemand in Ver-kehr treten können. (…) Das den Sitzungen bei-wohnende Publikum soll weder mit den Zeu-gen, noch den Angeklagten oder sonstigen Be-teiligten innerhalb des Gebäudes in Beziehungtreten. Daher sind für dasselbe gesonderte,leicht auffindbare Zugänge herzustellen, wel-che den Eintritt in den Zuhörerraum ohne Be-rührung sonstiger Teile des Hauses ermöglichen.(…) Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dieGeschworenen während ihrer Beratung mit nie-mand in Berührung kommen und insbesonderejeder Verkehr nach außen verhindert wird.“

Thiersch erfüllte diese Erfordernisse. Er legteeine Gefangenentreppe an, von der die Ange-klagten entweder in den Schwurgerichtssaal oderin die Vorführzelle des Schwurgerichts gebrachtwerden konnten. Außerdem ordnete er eine

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Publikumstreppe an, die vom Erdgeschoss direktin den zweiten Stock führte. Am Treppenendeführte eine Tür in den Zuschauerbereich desSchwurgerichtssaals. Auf der anderen Seite desSchwurgerichtssaals lag die Geschworenen-treppe. Die Geschworenen gelangten von derTreppe durch eine Tür zu ihren Plätzen imSchwurgerichtssaal. Durch den Treppenvorraumgelangten die Geschworenen in ihre Beratungs-zimmer, die keinen anderen Zugang besaßen.

Im dritten Stock waren das Oberlandesge-richt und das Justizministerium untergebracht.Oberlandesgerichte waren und sind Rechtsmit-telgerichte in Straf- und Zivilsachen. Das Ober-landesgericht benötigte weniger Platz, da nurwenige Fälle bis zu dieser Instanz kamen. Eshatte vier Zivilgerichtssäle und einen Strafge-richtssaal. Die Gerichtssäle waren wiederumkleiner angelegt als im zweiten Stock, da beiden Verhandlungen nicht so viele Zuschauerteilnahmen.

Das Justizministerium nahm den südlichenTeil des Ostflügels und den gesamten Südflügelein. Das Arbeits- und das Empfangszimmer desJustizministers lagen an der südöstlichen Eckemit Blick auf den Karlsplatz und das Karlstor.Die Eckzimmer waren auch in den anderenGeschossen fast immer den Vorsitzenden derGerichte bzw. den Leitern der Staatsanwaltschaf-ten zugeteilt. In der Mitte des Südflügels lag diezweigeschossige Bibliothek mit Galerie, diezugleich Konferenzsaal des Justizministeriums

war. Diese Bibliothek war nur für das Justizmi-nisterium vorgesehen, da die Gerichte jeweilseine eigene Bibliothek hatten. Die Bibliothekender Gerichte waren jedoch architektonischnicht hervorgehoben und hatten die Größe vonAmtszimmern.

Im Untergeschoss befanden sich die techni-schen Einrichtungen wie der Maschinenraum,das Kesselhaus und der Kohlenraum. Ferner wa-ren im Untergeschoss in der nördlichen Hälftesieben Wohnungen für Bedienstete, die für dieUnterhaltung des Gebäudes zu sorgen hatten,wie der Hausverwalter, der Maschinenmeisterund für Boten untergebracht. In weiteren Räu-men befanden sich Registraturen für zurückge-legte Akten, eine Gerichtsdruckerei sowie dasVersteigerungsbüro des Gerichtsvollziehers.

Im Norden führt von der Elisenstraße nebendem Ost- und dem Westrisalit jeweils eine Ein-fahrt in die beiden Höfe. Die Höfe sind miteiner Durchfahrt unter der Zentralhalle verbun-den. Auf diese Weise konnten Anlieferungen erfolgen wie etwa die Kohle für die Heizung.Außerdem konnten Gefangene, ohne mit derÖffentlichkeit in Kontakt zu treten, in das Ge-bäude gebracht werden und vom Untergeschossüber die Gefangenentreppe direkt in den zwei-ten Stock zu den Vorführzellen bzw. in die Gerichtssäle geführt werden.

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Im Inneren des Justizpalastes bekamen dieder Öffentlichkeit zugänglichen Räume und dieDiensträume der höheren Beamten eine bessereAusstattung. Von den 330 Amtsräumen wurdennur elf Räume für die Vorstände der Behördenmit Holzdecken versehen. Die anderen Dienst-räume besaßen als einzigen Schmuck Schreiner-arbeiten an den Fenstern und Türen mit Bronze-und Messingbeschlägen.

Eine besondere künstlerische Ausstattungerhielten der Schwurgerichtssaal und der Reprä-sentationssal, in denen Wandmalereien ange-bracht wurden. Beide Säle wurden nach demKrieg nicht wiederhergestellt und erhielten eineneue Ausstattung in den 50er bzw. 60er Jahren.Außerdem erhielt die Bibliothek eine aufwen-dige Innenausstattung. In vereinfachter Formwurde sie nach dem Krieg nachgeahmt. Vonden Verkehrsräumen sind die Vestibüle, dasOsttreppenhaus und besonders die Zentralhallehervorzuheben.

In einem Bericht in der Zeitschrift des Bay-erischen Kunst-Gewerbe-Vereins weist Gmelinauf die Bedeutung der künstlerischen Ausstat-tung des Justizpalastes und deren Wirkung aufdie Besucher und die Beamten hin: „Eine nach-haltigere Wirkung darf man sich aber wohl vondem Eindruck versprechen, den ein solcherkünstlerisch ausgestatteter Bau auf alle seineBesucher machen wird und muß. Es ist nichtgleichgültig, ob ein solcher Bau den Leuten,welche darin als Rechtsuchende zu thun haben,

vornehm oder alltäglich gekleidet erscheint.Die Achtung vor der Obrigkeit wird wahrlichnicht gestärkt, wenn dieselbe in Räumen haust,die kaum die Bedürfnisse des schlichten Bür-gers befriedigen würden. Andererseits aber istes für die decorative Kunst sicherlich ein großerGewinn, wenn ein an Zahl und Bildung bedeut-samer Beamtenkörper alltäglich in solchenRäumen verkehrt; denn die tägliche Betrachtungdes Schönen muß nothwendigerweise ein dau-erndes Bedürfnis darnach erwecken. Die Ergän-zung und Belebung dieses Bedürfnisses gehörtzu den edelsten Aufgaben der monumentalenKunst; dass durch den Münchener Justizpalasteiner der maßgebendsten Beamtenklassen tag-täglich künstlerische Nahrung zugeführt wird.“

Die Gerichtssäle

Die zwanzig Gerichtssäle des Justizpalasteserhielten Eichenholzvertäfelungen an den Wän-den. Die Decken wurden mit Stuck geschmückt.Im zweiten Stock des Ostflügels befinden sichzwei Gerichtssäle, die noch weitgehend imOriginalzustand erhalten sind. Durch die Ein-richtung wird jeder Gerichtssaal in drei Berei-che aufgeteilt. Im vorderen Teil des Gerichts-saals befindet sich das um drei Stufen über demSaalboden erhöhte Podium für die Richter. DasPodium wird durch drei große Tische vom Saal-boden getrennt. Zwischen den Tischen befin-

Die innere Ausstattung

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Fresken im Schwurgerichtssaal

den sich dreistufige Aufgänge zum Podium. Ander Rückwand des Podiums liegt die Tür, durchdie die Richter vom Beratungszimmer in denSaal gelangen. Der mittlere Bereich besteht ausBänken mit Pulten für Parteien, Zeugen, Ange-klagte, Verteidiger und für die Presse. Dahinterbefindet sich der Bereich für die Zuschauer, wel-cher durch Schranken vom übrigen Raum abge-trennt wird.

Die Erhöhung des Richters auf dem Podiumdiente dazu, dass die Anwesenden den Richterbesser sehen und hören konnten. Neben die-sem praktischen Grund sollte durch die Erhö-hung auf dem Podium das hohe Amt des Richtersverdeutlicht werden. Es wird ein Über-Unter-ordnungsverhältnis zwischen den Richtern undden sonstigen Prozessbeteiligten hergestellt.Die ca. 1 m hohen Schranken, die den Publi-kumsbereich abtrennen, verdeutlichen, dassdie Zuschauer nicht Teilnehmer am Prozess waren.

Der Schwurgerichtssaal

Schwurgerichtssäle nahmen in den Raum-programmen für Gerichtsgebäude eine heraus-ragende Stellung ein. Das Interesse der Öffent-lichkeit an Verhandlungen des Schwurgerichtswar besonders groß, da dort schwere Fälle vor-getragen wurden, die von aus dem Volk ausge-wählten Geschworenen entschieden wurden.

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Schwurgerichtssaal

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Sensationslust und Informationsbedürfnisspielten dabei eine Rolle. Daher musste genü-gend Platz für Zuschauer und Pressevertreter,die regelmäßig in den Zeitungen über Gerichts-verhandlungen berichteten, vorgesehen wer-den.

Der Schwurgerichtssaal war mit einer Flä-che von ca. 240 qm gegenüber den zwanziganderen Gerichtssälen wesentlich größer. DerSaal war zweigeschossig und hatte eine Höhevon ca. 10 m. Drei große Fenster öffneten sichzum Alten Botanischen Garten und sorgten fürausreichende Beleuchtung.

Der Saal besaß eine feste Einrichtung. Aufeinem Podium befand sich in der Mitte derWestwand der Richtertisch. An der Fensterseitewar das Gestühl der Geschworenen und ge-genüber der Fensterseite die Anklagebank. Immittleren Bereich des Saales befanden sichBänke und Schreibpulte mit Stühlen. VonSchranken abgetrennt konnte im hinteren Teildas Publikum an dem jeweiligen Prozess teil-nehmen.

Die Ausstattung des Schwurgerichtssaalswar überaus reich. An den Wänden war eine4 m hohe Eichenholzvertäfelung angebracht.Darüber befand sich eine 5 m hohe Fläche mitWandmalereien. Den Abschluss bildete eineKassettendecke aus braun gebeiztem Fichten-holz, welche auf einer hohen Kehle saß. Diefünf großen Flügeltüren hatten Umrahmungenaus Marmor. Über der Haupttür an der Langseite

war eine Bronzetafel mit der Bauurkunde ange-bracht. In der Mitte der Westwand hing überder Wandtäfelung ein von Franz von Lenbachgemaltes Portrait des Prinzregenten Luitpold.

Die Wandmalereien, welche heute nichtmehr existieren, waren in Frescotechnik herge-stellt. Eine grau in grau gehaltene Architektur-malerei, welche aus Säulen mit einem Gebälkbestand, zog sich um den ganzen Saal. Thierschführte die Architekturmalerei selbst aus, wäh-rend die figürlichen Darstellungen von ver-schiedenen anderen Künstlern ausgeführt wur-den. Die allgemeine Aussage war eine Gegen-überstellung von Gut und Böse, bei der das Gute gewinnt.

An der Längswand ist in der Mitte Justitiadargestellt, rechts von ihr die Gruppe der Tu-gend und links von ihr die Gruppe des Lasters.Justitia thront über der Haupteingangstür untereinem kassettierten Tonnengewölbe. Die bron-zene Bauurkunde ist ein Teil ihres Thrones. DieJustitia ist in perspektivischer Verkürzung dar-gestellt und hat als Attribut ein Schwert überden Schoß gelegt. Zu ihren Füßen sitzen zweiMännergestalten, die als weitere Attribute derrichtenden Macht der Justitia ein Gesetzbuchbzw. ein Rutenbündel mit Axt tragen. Justitiawird von zwei Hermen flankiert. Während dieHerme auf der Seite der Tugend den Kopf auf-recht hält, zieht sich die Herme auf der anderenSeite ein Tuch über den Kopf, um nicht den An-blick des Lasters ertragen zu müssen.

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Die Tugend wird dargestellt durch einenTriumphzug. Zwei Frauen fahren in einem Wa-gen, der von drei Pferden gezogen wird. Fest-lich gekleidete Frauen, Männer und Kinder be-gleiten sie. Während bei der Darstellung der Tu-gend die Stimmung harmonisch wirkt, herrschtbei der Darstellung des Lasters eine unruhigeund unheimliche Stimmung. Die Bäume imHintergrund sind verdorrt. Die Gewänder unddie Haare der Figuren sind unordentlich. Imersten Feld wird eine Frau von einer Kupplerinentblößt und der Mann ihr gegenüber verstecktsich hinter einer Maske. Im nächsten Feld sitztein unbekleideter Mann auf einem Pferd. EineFrau mit offenem Haar zieht ein vernachlässig-tes Kind hinter sich her. Im dritten Feld liegt einMann auf dem Boden, was auf einen Mord hin-deutet.

Der Repräsentationssaal

Der Repräsentationssaal war ein Empfangs-saal für den Justizminister. Säle dieser Art gehör-ten normalerweise nicht zum Raumprogrammvon Gerichtsgebäuden. Da jedoch im Münch-ner Justizpalast auch das Justizministerium un-tergebracht war, wurde ein Raum für repräsen-tative Zwecke benötigt.

Für den ca. 200 qm großen, durch zwei Ge-schosse reichenden Repräsentationssaal wählteThiersch eine barocke Dekoration. Für einen

Raum mit repräsentativem Zweck erschien eineAnlehnung an den barocken Schloßbereichgeeignet. Die Wand war gegliedert durch 16Säulen aus Stuckmarmor mit einem Gebälk.Die gemalte Supraporte mit Stuckrahmen stelltden Pavillon des ehemaligen Schlösschens vonHerzog Clemens Franz de Paula dar, in demThiersch sein Baubüro untergebracht hatte. Ander gewölbten Decke befand sich eine Archi-tekturmalerei, die als Fortsetzung der Wand-architektur erschien und mit Figurengruppenbelebt war.

In der Nische der Westwand hing ein vonAugust Wilhelm von Kaulbach angefertigtesPortrait des Prinzregenten. Während LenbachsPortrait im Schwurgerichtssaal den PrinzregentenLuitpold stehend in Uniform zeigt, zeigt das Por-trait Kaulbachs im Repräsentationssal den Prinz-regenten sitzend in herrscherlicher Kleidung.

Die Bibliothek

Die Bibliothek des Justizministeriums lagüber dem Repräsentationssaal im dritten Stockund reichte bis ins Dachgeschoss. Die Biblio-thek hatte eine Holzarchitektur mit Bücherrega-len und einer ringsumführenden Galerie. In derGaleriebrüstung waren schmiedeeiserne Gittermit Putten und liegenden Frauenfiguren ange-bracht. Die Bücherregale aus Eichenholz warenmit vergoldeten Ornamenten geschmückt.

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Repräsentationssaal

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Bibliothek und Konferenzsaal des Justizministeriums

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Die Bibliothek wurde durch drei Fensternach Süden und ein Oberlicht beleuchtet. Diegewölbte Decke hatte eine große rechteckigeÖffnung, über der sich eine Eisen-Glas-Kon-struktion in Walmdachform erhob. Thierschverband in dem Raum technisch moderne Kon-struktionsweisen mit traditioneller Ausstattung.

Die Vestibüle

Durch drei hohe Eingangsportale an der Elisenstraße gelangte man in das zweigeschos-sige, etwa 12 m hohe Nordvestibül. Das Gewöl-be des Vestibüls wird aus einem Längsgurt-bogen und zwei Quergurtbogen gebildet. DieGurtbogen ruhen auf sechs Paaren gekuppelterdorischer Säulen. An den Ansätzen der Gurt-bogen sind Widdermasken angebracht. In denvier Ecken befinden sich Einzelsäulen. An denSchmalseiten des Vestibüls liegen jeweils zweiTüren mit Dreiecksgiebeln, die zu den dreiTreppen zum Schwurgerichtssaal bzw. zu einemPortierzimmer führten. Das Vestibül hatte eineerhabene und düstere Stimmung. Von außentrat nur gedämpftes Licht durch die drei Portaleein, die Glasfenster mit schmiedeeisernen Ver-zierungen besaßen.

Das Südvestibül an der Prielmayerstraße -der heutige Eingang - ist kleiner als das Nord-vestibül und nur eingeschossig. Wie das Nord-vestibül hat es eine Sandsteinverkleidung. Der

Raum wird durch vier Pfeiler mit davorgestell-ten Atlanten gegliedert. Die Atlanten, typischeElemente der Barockarchitekur, sind vollplas-tisch aus Sandstein gehauen. Sie sind in unter-schiedlichen Stellungen beim Stützen darge-stellt. Indem die Atlanten das Gewölbe zu tra-gen scheinen, vermitteln sie dem Eintretendenein Gefühl von Schwere. Die Gewölbezonewar mit Stuckornamenten versehen.

Die Vestibüle waren Vorräume der Halleund dienten zur Vorbereitung auf die Halle. AlsKontrast zur lichtdurchfluteten Halle herrschtein den Vestibülen ein düsteres Licht. Heute istdie Wirkung verändert, da die Eingangsportalein beiden Vestibülen durch Glas ersetzt wurden.

Die Zentralhalle

Zu einem Hauptmotiv von Justizpalästenwurde die große Halle, die als „Salle des PasPerdus“, Wandelhalle oder Wartehalle bezeich-net wird. Auch Theodor v. Landauer weist im„Handbuch der Architektur“ auf den Stellen-wert der Halle hin. Die Bedeutung eines Justiz-palastes „soll in der inneren und äußerenErscheinung desselben zum würdigen Ausdruckkommen. Zur Entfaltung desselben gibt, abge-sehen von den Sälen, die große Wartehalle, diein keinem Justizpalast der Neuzeit fehlt, Ver-anlassung.“ Ob diese Hallen tatsächlich rei-ne Wartehallen waren, erscheint fraglich. Zum

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Halle mit der Bronzestatue des Prinzregenten Luitpold

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Puttengruppen in der Halle

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einen hatten sie keine Sitzgelegenheiten. Zumanderen gab es Wartemöglichkeiten in denGängen oder in eigenen Wartezimmern. Meis-tens wird die Halle mit dem Treppenhaus kombiniert. Die Funktion der Halle war zum einen Hauptverkehrsraum des Gebäudes undzum anderen Treppenhaus. Die Hallen sind im Verhältnis zur Funktion überdimensioniert.Sie haben einen äußerst repräsentativen Cha-rakter.

Die Zentralhalle des Münchner Justizpalas-tes ist der größte Raum des Gebäudes und ziehtsich durch die vier Geschosse. Um die Halleherum öffnen sich in allen Stockwerken Arka-den zu den Korridoren. An den Langseiten derHalle liegen Treppenanlagen, bei denen jeweilszwei Treppenarme von der Mitte der Langseitezu den Ecken des nächsten Stockwerks anstei-gen. Diese Anordnung der Treppenläufe wie-derholt sich dreimal übereinander und verbin-det somit die vier Geschosse. Doppelsäulen mitansteigenden Bogenstellungen grenzen dieTreppe von der Halle ab und betonen das An-steigen der Treppe.

Die Halle wird von einer flachen Glaskup-pel bedeckt. Über der inneren Glaskuppelerhebt sich die von außen sichtbare Kuppel inEisen-Glas-Konstruktion. Durch die beiden Kup-peln tritt reichlich Licht in die Halle, so dassdiese ein überaus heller, lichtdurchfluteterRaum ist. Von der Zentralhalle werden auch dieumliegenden Korridore beleuchtet.

Die Halle besaß eine reiche künstlerischeAusstattung. Heute zeigt sich die Halle hin-sichtlich der Dekoration in einer vereinfachtenForm. Die Halle hatte ursprünglich eine starkeFarbigkeit. Gmelin beschreibt sie in der Deut-schen Bauzeitung im Jahr 1897 folgendermaßen:„Hier, im Herzen der ganzen Bauanlage, inwelchem alle Verkehrsadern zusammenlaufen,regiert die Farbe, nicht mit bunter schreienderPracht, aber doch alles mit ihrem Zauberübergießend.“

Der Fußboden zeigt ein Muster aus rötli-chen und bläulichen Terazzo- und grauen Gra-nitplatten. In der Wandverkleidung des Erdge-schosses wechseln sich rötliche und bläulicheMarmorplatten ab. Die Arkaden des Erdge-schosses und die Gewände an den vier Türen,die zum Keller führen, sind aus hellem Marmor.Die Doppelsäulen, die an den Langseiten vomErdgeschoss zum ersten Stock ansteigen und anden Schmalseiten das erste und das zweiteGeschoss überspannen, sind aus rötlichem Mar-mor. Zum Großteil verwendete Thiersch echteMaterialien. Neben echtem Marmor verwende-te er jedoch aus Kostengründen auch Stuckmar-mor, wie bei den Brüstungen der obersten Trep-penläufe und des dritten Stocks. Die Brüstun-gen der untersten Treppenläufe und des erstenStocks sind dagegen aus echtem Marmor. Beiden Brüstungen der mittleren Treppenläufe unddes zweiten Stocks wurden schmiedeeiserneGitter eingesetzt. An dem Gewölbeansatz der

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Die Halle mit der inneren flachen Glaskuppel

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Halle waren Figuren und Ornamente aus Stuckangebracht. Auch an den Bogenzwickeln be-fanden sich Stuckfelder. Um die Oberlichtellip-se war ein Zierkranz aus Vergoldermasse ange-bracht. Auf den Postamenten des obersten Trep-penaufgangs über den Doppelsäulen standenPuttengruppen mit goldenen Bäumen.

Die auf die Korridore der Halle mündendenTüren hatten Gewände aus Marmor und Stuck-supraporten. Die Gewölbe der Korridore umdie Halle waren mit Ornamenten aus Stuck ver-sehen. Die Stukkaturen in den Gewölben derKorridore des zweiten und dritten Oberge-schosses zeigten florale Motive, die teilweisedem Jugendstil nahe sind. Gmelin bemerkt hin-sichtlich der Gewölbestukkaturen in der Zeit-schrift des Bayerischen Kunst- und Gewerbe-Vereins: „Altes und Neues, conventionelles Barock und fröhlicher Naturalismus vereinigensich hier zu einem mannigfaltigen, aber immerharmonischen Spiel.“

Im ersten Stock steht in der Mittelarkade derSüdseite eine überlebensgroße Bronzefigur desPrinzregenten, die von Professor von Rümannmodelliert und in der Erzgießerei von Ferdinandvon Miller gegossen wurde. Wenn man durchden damaligen Haupteingang an der Nordseitedie Halle betrat, blickte einem der Prinzregententgegen.

Die Halle ist Hauptverkehrsraum und Trep-penhaus. Vorbilder für ihre architektonischeKonzeption sind zum einen im Hof der Palast-

architektur, zum anderen in der Treppenbau-kunst zu suchen.

In der italienischen Palastarchitektur derRenaissance war der innerhalb des Gebäudesliegende Hof, der sich im Erdgeschoss oder inallen Stockwerken in Arkaden öffnet, üblich. In Albertis Architekturtraktat wird der Hof alsHauptverkehrsraum eines Palastes definiert. Alberti empfiehlt den Hof, das Atrium, als Zent-rum des Palastes, auf welches sich alle Wegeund Räume im Palast orientieren.

Die Halle des Münchner Justizpalastes istein Zentrum, um das sich alle Räume gruppie-ren. Sie ist Knotenpunkt aller Wege. Wie bei ei-nem Hof liegen die Korridore um die Halle he-rum und öffnen sich in Arkaden zur Halle. DerHof wird hier mit einem Glasdach abgeschlos-sen und wird somit zum Innenraum. Im 19.Jahrhundert entwickelte sich aufgrund der neu-en technischen Errungenschaften der mit einemGlasdach überspannte Lichthof. Bei Bahnhöfenund Passagen kamen Glasüberdachungen schonseit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Verwen-dung. Bei Warenhäusern wurde zur Jahrhundertwende, also etwa zeitgleich mit demMünchner Justizpalast, der Lichthof zu einemwichtigen architektonischen Element, wie z.B.beim Warenhaus Wertheim in Berlin (1896-97)von Alfred Messel. Wie bei der Bibliothek kom-binierte Thiersch in der Halle eine historisieren-de Ausstattung mit technisch innovativen archi-tektonischen Lösungen.

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Es scheint zunächst nahe zu liegen, die Vor-bilder für die Treppe der Halle in barockenTreppenanlagen zu suchen. Schließlich weistThiersch hinsichtlich der Gestaltung der Zent-ralhalle auf andere Barockbauten als Vorbilderhin: „... auch waren für die Gestaltung der Ver-kehrsräume, so namentlich des grossen Haupt-treppenhauses, die Formen vorzüglich geeig-net, wie sie sich ja auch in den glänzendstenBeispielen früherer Zeiten - man denke an dieTreppen- und Saalausbildungen der besten Zeitdes Wiener, Würzburger, Münchener Barocksund betrachte die Vestibüle und Haupttreppender Schlösser von Brühl, Würzburg, Schleiss-heim, Ansbach u. a. - in hervorragender Weisebewährt hatten.“

In erster Linie übernahm Thiersch dekora-tive Motive, wie die Doppelsäulen, die Stuck-ornamente und die Putten. Zur barockenTreppenanlage bestehen jedoch wesentlicheUnterschiede. Bei den Treppen in Würzburg,Brühl, Schleißheim handelt es sich um dreiläu-fige Anlagen, bei denen sich ein Treppenlaufauf einem Wendepodest in zwei Treppenarmeteilt. Die Treppen verbinden nur das Erdge-schoss und erste Obergeschoss, da sie in diefeste Raumabfolge von Vestibül, Treppe undFestsaal eingebunden sind. Die Treppe desMünchner Justizpalastes unterscheidet sich vondiesen barocken Treppenanlagen in Strukturund Funktion. Sie ist eine mehrgeschossigeTreppenanlage, die vier Geschosse auf gleiche

Weise verbindet. Während die barocke Treppeeine zeremonielle Funktion erfüllte, hatte dieMünchner Treppe den Publikumsverkehr aufzu-nehmen und diente der Erschließung des Gebäudes. In Bezug auf die Verbindung meh-rerer Stockwerke auf gleiche Weise und dasMotiv der ansteigenden Bogenstellung scheintder Treppenhausbau des Augustinerchorherren-stifts St. Florian (1706-14) von Prandtauer einVorbild gewesen zu sein.

Im Vergleich zu Hallen in anderen Gerichts-gebäuden ist das Besondere der Münchner Halle ein ausbalanciertes Verhältnis zwischenHalle und Treppe. Weder die Treppe noch dieHalle dominiert.

Das Ost- und Westtreppenhaus

Neben der Treppenanlage in der Zentral-halle gibt es zwei weitere Treppen, das Osttrep-penhaus und das Westtreppenhaus. Im Gegen-satz zur Zentralhalle handelt es sich dabei umreine Treppenhäuser. Das Osttreppenhaus wardem Karlsplatz zugewandt und war daher einvielbenutzter Eingang. Im Gegensatz dazu warder Westeingang der Stadt abgewandt und hatte wenig Verkehr. Daher wurde das Ost-treppenhaus größer und aufwendiger gestaltetals das Westtreppenhaus. Die Westtreppe ist eine gerade, zweiläufige Anlage mit Richtungs-wechsel.

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Das Osttreppenhaus hat einen ovalenGrundriss. An der Außenfassade tritt es konvexhervor. Die Treppe ist so konzipiert, dass vonjedem Geschoss zwei gewundene Treppenarmezu einem gemeinsamen Podest führen, vondem ein gerader Treppenarm gegenläufig zumnächsten Geschoss führt. Dabei folgen diegewundenen Treppenläufe den Außenmauern.Die Schäfte der Säulen sind aus rötlichem Mar-mor, die Kapitelle sind aus Stuck. Die Gewölbeder Treppenläufe sind stuckiert. An den Trep-penläufen sind schmiedeeiserne Geländergittermit floralen Motiven angebracht.

Das Treppenhaus ist überaus hell und hateinen eleganten, repräsentativen Charakter. Inder Rundung der Außenfassade öffnen sich indrei Achsen große Fenster. Von der Treppe bie-tet sich ein guter Ausblick auf den Karlsplatz.Das Treppenhaus ist zu den Gängen hin offen,so dass auch Licht von den drei zum Hof gerichteten Fenstern eintritt. Im dritten Stockwird das Treppenhaus von einem Kuppelge-wölbe mit einem Deckenfresko abgeschlossen.Am Gewölbeansatz waren Putten und Orna-mentverzierungen aus Stuck in barocker Manierangebracht.

An der Korridorseite der Treppe hatteThiersch zwei elektrische Personenaufzüge ge-plant, welche aus Kostengründen jedoch nichtvom Landtag bewilligt wurden. Es zeigt, dassThiersch technischen Neuigkeiten gegenübersehr aufgeschlossen war. Es war für ihn kein

Widerspruch, eine künstlerisch aufwendigeTreppe zu erbauen und gleichzeitig aus prak-tischen Gründen Aufzüge einzusetzen, von denen man meinen könnte, dass sie Treppen ersetzen.

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Der Justizpalast - Sinnbild der dritten Gewalt

Der Justizpalast ist ein Zeugnis der Eigen-staatlichkeit Bayerns. In der Bauplastik wird mitden großen Staatswappen an der Nord- und derSüdfassade deutlich zum Ausdruck gebracht,dass es sich um eine bayerische Behörde han-delt. Außerdem konkurriert der Justizpalast mittypologisch ähnlichen Bauten, wie dem Reichs-gericht in Leipzig und dem Reichstag in Berlin.Durch seine Größe, seine monumentale Gestal-tung und seinen dekorativen Schmuck reicht eran diese Bauten heran. Der Münchner Justiz-palast konnte als repräsentativer Monumental-bau neben anderen europäischen Justizpalästenfür die obersten Gerichtshöfe bestehen.

Einzelne Gebäudeteile des Justizpalasteskönnen ferner als Ausdruck von Rechtsprinzi-pien gedeutet werden:

Die Halle, welche auch in anderen Justiz-palästen als Hauptmotiv auftritt, ist Ausdruckdes Prinzips der Öffentlichkeit und Mündlich-keit des Gerichtsverfahrens, weil sie für die Allgemeinheit öffentlich zugänglich ist. Durchdie besondere architektonische Raumentfaltungder Halle wird das Gewicht der Öffentlichkeitbetont.

Die Kuppel unterstreicht die Würde des Ge-richts. Kuppeln, welche ursprünglich Herr-schaftssymbole an Kirchen und Palästen waren,wurden im 19. Jahrhundert als Würdeformelnin den Bereich des repäsentativen Zweckbaus

übernommen. Kuppeln in Eisen-Glas-Konstruk-tion waren zudem Ausdruck von technischemFortschritt und Modernität. Die Münchner Kup-pel über der Zentralhalle kann als Symbol dersich im Rechtsstaat verwirklichenden bürger-lichen Freiheit und der Unabhängigkeit derRechtsprechung gedeutet werden.

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Impressum

Herausgeber: Bayerisches Staatsministerium der Justiz– Pressereferat – Prielmayerstraße 780335 München

Stand November 2004

Text: Erika Falkenhagen, M.A.München

Grafik - DesignMarion und Rudolf SchwarzbeckGauting

Bilder:Seite 4 und 41 Bildarchiv Foto Marburg,MarburgSeite 19, 23, und 33 Architekturmuseum der Technischen Universität München,MünchenÜbrige Abbildungen Bayerisches Staatsministerium der Justiz und Oberlandesgericht München,München

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