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Franz- Reiner Erkens (Hg.) 1000 Jahre Goldener Steig Vorträge der Tagung vom 24. April20 10in Niedemburg Dietmar Klinger Verlag Passau 2011

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Franz- Reiner Erkens (Hg.)

1000 Jahre Goldener Steig

Vorträge der Tagung vom 24. April20 10in Niedemburg

Dietmar Klinger Verlag Passau2011

WOLFGANG JANKA

Ortsnamen am Goldenen Steig - Forschungsstand und Perspektiven

1. Zielsetzung

Die* Ortsnamenforschung verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Zum einen sollen so-wohl dem interessierten Laien als auch dem Wissenschaftler verschiedener DisziplinenInformationen zur sprachlichen Herkunft und ursprünglichen Bedeutung einzelner Orts-namen (ON)1 bereitgestellt werden. Zum anderen wird angestrebt, durch Analyse alleroder eines bestimmten Anteils der ON eines festgelegten Untersuchungsgebiets (VG)Aufschlüsse über den Ablauf der Besiedlung dieses Gebiets zu erhalten. Diese könnendann in eine von Vertretern mehrerer wissenschaftlicher Fächer - neben der in der his-torischen Sprachwissenschaft verankerten Namenforschung sind dies Archäologie, Lan-desgeschichte und Siedlungsgeographie - gemeinschaftlich zu erarbeitende Siedlungs-geschichte einfließen. Dementsprechend soll der vorliegende Beitrag zum einen Er-kenntnisse zu Namen einzelner Orte liefern, die sich am Goldenen Steig (RoutePassau-PrachaticelPrachatitz) befinden, zum anderen aber auch - zumindest ansatz-

* Abkürzungen und Zeichen

ahd. althochdeutschAnf Anfang

bair. bairisch

BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv

FamN Familienname

fol. folio (Blatt)

germ. germanisch

GewN Gewässername

idg. indogermanisch

kelt. keltisch

ma. mundartlich

* erschlossene Form

> entwickelt sich zu

< entstanden aus

mhd. mittelhochdeutschNA Närodni archivnhd. neuhochdeutschON OrtsnamePN Personennameslaw. slawischSN SiedlungsnameSOkA Stätni okresni archivtsch. tschechischUG UntersuchungsgebietWStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv

Der Terminus "Ortsname" ist hier im weiteren Sinn als "geographischer Name" zu verstehen; ONim engeren Sinn, d. h. Namen menschlicher Wohnstätten, werden im Folgenden als "Siedlungs-namen" bezeichnet.

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weise - einen siedlungsgeschichtlichen Beitrag leisten. Nach einem Überblick über denForschungsstand dies- und jenseits der bayerisch-tschechischen Grenze (Kap. 2) wer-den die Schichtung (Kap. 3) und die Typologie (Kap. 4) der älteren, d. h. der vormit-telalterlichen und mittelalterlichen ON des Unteren Bayerischen Waldes (nördlicherLandkreis Passau und Landkreis Freyung-Grafenau) behandelt. Dies erscheint insofernerforderlich, als das nordöstliche Niederbayem im Gegensatz zum südwestböhmischenokres Prachatice namenkundlich bisher nur unzureichend erschlossen ist bzw. zum Teilgerade erst erschlossen wird.

Während es sich bei der Namenschichtung um eine grobe sprachlich-ethnische Un-tergliederung des ON-Materials handelt, bei der festgestellt wird, mit welcher Sprach-zugehörigkeit bei den Siedlungsträgern zu rechnen ist, geht es bei der zu skizzieren-den Namentypologie um eine feinere Unterscheidung einzelner älterer ON-Typen -hier innerhalb der bairischen Schicht -, die sich in Bezug auf den Unteren BayerischenWald den folgenden drei Zeitstufen zuweisen lassen: (1) frühes Mittelalter (ca. 8. bisfrühes 10. Jahrhundert), (2) frühes bis hohes Mittelalter (ea, 9. bis 11.112. Jahrhundert)und (3) hohes bis spätes Mittelalter (ea. 11.112. bis 14. Jahrhundert). Vor diesem Hin-tergrund werden anschließend Herkunft, Bildungsweise und Zeitstellung ausgewähl-ter Siedlungsnamen (SN) am Goldenen Steig näher beleuchtet (Kap. 5).

2. Anmerkungen zum Forschungsstand

Was den bayerischen Teil des UG betrifft, so begann die Beschäftigung mit ON aufwissenschaftlicher Basis bereits vor ca. 100 Jahren mit Georg Maurers Arbeit .DieOrtsnamen des Hochstifts Passau=", Diese deckt freilich nur einen Teil des nördlichenLandkreises Passau und des südlichen Landkreises Freyung-Grafenau ab. Vor allemaber entspricht sie in Bezug auf Beleggrundlage und Namenerklärungen nicht mehrheutigen Standards. Nicht unerwähnt soll jedoch bleiben, dass Maurer zu jedem be-handelten SN die ortsübliche mundartliche Aussprache in einer auch heutigen An-sprüchen genügenden Lautschrift angegeben hat. Wir verfügen somit für einen Teil desUG über Mundartformen aus einer Zeit, in der die Dialektsprecher von der Schrift-sprache noch kaum beeinflusst waren.

Auf einen Teilbereich des UG bzw. auf bestimmte ON-Typen eines Teilbereichssind drei an der Universität Regensburg entstandene studentische Abschlussarbeitenbezogen: Während sich Ute Bügel und Katharina Weilermann mit den SN der StadtWaldkircherr' bzw. der Gemeinden Ringelai und Perlesreur' befassten, legte Stefan

2 Georg MAURER,Die Ortsnamen des Hochstifts Passau (Programm des k. humanistischen Gym-nasiums Münnerstadt für das Schuljahr 1911112), Würzburg 1912.

3 Ute BÜGEL, Historisch-philologisches Ortsnamenbuch der Gemeinde Waldkirchen. Zulassungs-arbeit, Regensburg 1997 [unveröffentlicht].

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Ortsnamen am Goldenen Steig

Aigner eine Studie zu Burgnamen im ehemaligen Landkreis Grafenaus vor. Im 2006erschienenen "Lexikon bayerischer Ortsnamen" 6 von Wolf-Armin Frhr. v. Reitzensteinzu ON der Regierungsbezirke Oberbayern, Niederbayern und Oberpfalz werden dieNamen einiger größerer Orte des UG, überwiegend Gemeindeorte, behandelt. Um zufundierten siedlungsgeschichtlichenAussagen gelangen zu können, müssen allerdingsauch die übrigen ON einer sprachwissenschaftlichen Analyse unterzogen werden. DieErfassung und linguistische sowie siedlungsgeschichtliche Auswertung aller SN inBayern hat das von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayeri-sehen Akademie der Wissenschaften herausgegebene "Historische Ortsnamenbuchvon Bayern (HONB)"' 7 zum Ziel, im Rahmen dessenjedoch bisher noch kein Band zueinem niederbayerischen Landkreis erschienen ist8•

In Bälde (voraussichtlich gegen Ende des Jahres 2011) kann für den LandkreisFreyung-Grafenau im Internet auf eine Ortsnamendatenbank zugegriffen werden, dieumfangreiches Datenmaterial zu den ältesten ON dieses Gebiets (Namen aller bis ea.1300 ersterwähnten Orte, aller Gemeindeorte und Namen mit den Grundwörtern ahd.-aha und -heim sowie mit dem Suffix -ing) und des benachbarten okres Prachatice (Na-men aller bis 1360 ersterwähnten Orte und aller bis 1400 ersterwähnten Gemeindeor-te) enthalten wird. Sie entsteht im Rahmen des von der Euregio und der UniversitätPassau finanzierten Forschungsprojekts "Die ältesten Ortsnamen im bayerisch-tsche-chischen Grenzraum (ONiG)" unter der Leitung von Prof. Dr. Rüdiger Harnisch (Lehr-stuhl für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Passau) in Zusammenarbeitmit dem Museum in Prachatitz (Prachaticke muzeum)", Das Namenkorpus umfasst ins-gesamt ca. 250 ONto.

4 Katharina WEILERMANN,Die Ortsnamen der Gemeinden Ringelai und Perlesreut. Eine historisch-philologische Untersuchung, Zulassungsarbeit, Regensburg 2010 [unveröffentlicht].

5 Stefan AIGNER,Die Ortsnamen auf -burg, -berg, -fels, -stein und -eck im Altlandkreis Grafenau,Magisterarbeit, Regensburg 2003 [unveröffentlicht].

6 Wolf-Armin Frhr. v. REITZENSTEIN,Lexikon bayerischer Ortsnamen. Herkunft und Bedeutung.Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz, München 2006.

7 Zur Konzeption und zum Fortgang des HONB siehe Robert SCHUH,Geschichte und Grundsätzedes ,Historischen Ortsnamenbuches von Bayern', in: Heinrich Tiefenbach (Hg.), Historisch-phi-lologische Ortsnamenbücher. Regensburger Symposion 4. und 5. Oktober 1994 (= Beiträge zurNamenforschung. Neue Folge, Beihefte 46), Heidelberg 1996, 184-208; DERS.,Das "HistorischeOrtsnamenbuch von Bayern (HONB) - Stand und Perspektiven, in: Albrecht GreulelWolfgangJanka/Michael Prinz (Hgg.), Gewässernamen in Bayern und Österreich. 3. Kolloquium des Ar-beitskreises für bayerisch-österreichische Namenforschung (Regensburg, 27.128. Februar 2004)(= Regensburger Studien zur Namenforschung I), Regensburg 2005, 221-233.

8 Im Druck befindet sich Band I "Griesbach i. Rottal. Der ehemalige Landkreis" von JosefEooINGER.9 Siehe auch die ausführliche Projektbeschreibung von Nicole ELLERin: Forschergruppe Namen

(Regensburg), Neue Forschungen zu Ortsnamen in Ostbayern und angrenzenden Gebieten, in:Beiträge zur Namenforschung. Neue Folge 45 (2010), 1-26, hier 14-20.

10 IS Probeartikel, darunter auchArtikel zu den unten behandelten SN Schiefweg, Exenbach, PfefJer-

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Eine mit ONiG vergleichbare Zielsetzung hat das an der Universität Regensburgangesiedelte, von der deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt "Digita-les Ortsnamenbuch Online (DONBO)", in dem ein Datenbank-Prototyp entsteht, dereinen einfachen Zugang zu ortsnamenkundliehen Informationen über die Homepageder Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO) ermöglichen wird. UG sind die Re-gierungsbezirke Niederbayern und Oberpfalz, wobei in das zu bearbeitende Korpus dieNamen aller selbständigen Gemeinden mit mehr als 3.000 Einwohnern aufgenommenwurden.'! Es ist zu hoffen, dass die in den beiden Pilotprojekten ONiG und DONBOgewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen künftig als Grundlage für weitere namen-kundliche Arbeiten, die sich auf die Gesamtheit der Siedlungsnamen größerer UG be-ziehen, nutzbar gemacht werden, um die vor allem im Regierungsbezirk Niederbayernnoch bestehenden beträchtlichen Lücken sukzessive schließen zu können.

Aufböhmischer Seite ist etwa zeitgleich mit der Arbeit Maurers das zweibändigeWerk "Die Ortsnamen im südlichen und südwestlichen Böhmenv'? von Matthäus Kli-mesch erschienen. Es bietet zu vielen SN dieses großen Gebiets umfangreiches, zu ei-nem nicht geringen Teil aus Archivalien geschöpftes Belegmaterial. Allerdings ist ein-schränkend anzumerken, dass viele Namendeutungen von Klimesch, der keine Mund-artformen verzeichnet hat, heutzutage einer kritischen Prüfung nicht mehr standhalten.Ein wesentlicher Fortschritt bezüglich der Qualität der Namenerklärungen - insbe-sondere bei den SN slawischer bzw. alttschechischer Provenienz - konnte dann einigeJahrzehnte später durch das von Antonin Profous begonnene und von Jan Svoboda,Vladimir Smilauer und anderen im Jahr 1960 fertiggestellte fünfbändige Ortsnamen-buch .Mfstn! jmena v Cechäch" 13 (,Ortsnamen in Böhmen') erzielt werden. Was diehistorischen Schreibformen der ON Südwestböhmens betriffi, so stützt es sich im We-sentlichen auf die Arbeit von Klimesch, berücksichtigt allerdings in großem Umfangdie mundartliche Lautung und bietet in Band 5 eine als vorbildlich zu bewertende, auftypologischen Kriterien fußende namenkundliche Auswertung des ON-Materials. Mitden ON in den ehemals deutschsprachigen Gebieten Böhmens, Mährens und Schlesi-ens hat sich Ernst Schwarz in seinem 1961 erschienenen Buch "Die Ortsnamen der Su-detenländer als Geschichtsquelle"!" befasst, wobei er ausführlich auf einzelne

schlagll.iblnske Sedlo und WallemlVolary, können unter www.phil.uni-passau.de/die-fakultaet/lehrstuehle-professurenlgermanistik/deutschesprachwissenschaft/forschung/sprachraumforschung/sigbub/aktuelle-ortsartikel.html eingesehen werden.

II Vgl. Martina WINNER,in: Forschergruppe Namen (Regensburg), Forschungen (wie Anm. 9), 12f.; siehe auch www-donbo.uni-regensburg.de/.

12 Matthäus KLIMESCH,Die Ortsnamen im südlichen und südwestlichen Böhmen, Bde. 1-11, Prag1909-1912.

13 Antonin PROFOUS,Mistnl jmena v Cechäch, Jejich vznik, püvodni vyznam a zrneny, I-V, IV do-konöil Jan SVOBODA,V napsali Jan SVOBODA,Vladirnir ~MILAUERa dalsi, Praha 1949-1960 (imFolgenden: MJC).

14 Ernst SCHWARZ,Die Ortsnamen der Sudetenländer als Geschichtsquelle, 2., durchgesehene, teil-

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Ortsnamen am Goldenen Steig

Namentypen und deren Zeitstellung eingeht. Nichtsdestotrotz sind bei der Erklärungeinzelner ON nach wie vor Ergänzungen oder Korrekturen möglich bzw. erforderlich,die zum Teil bereits in dem von Ivan Lutterer und Rudolf Srämek verfassten Nach-schlagewerk •.Zernepisnä jrnena v Cechäch, na Moravö a ve Slezsku'"" (,Geographi-sehe Namen in Böhmen. Mähren und Schlesien') vorgenommen wurden (in Bezug aufdie Namen größerer und/oder historisch bedeutender Orte). Für den okres Prachaticewerden zur Zeit im oben genannten Projekt ONiG entsprechende zusätzliche Daten er-hoben und namenkundlich analysiert.

3. Namenschichtung im Unteren Bayerischen Wald

Für das Gebiet der Landkreise Passau (nördlicher Teil) und Freyung-Grafenau lassensich mindestens 2 und höchstens 4 verschiedene Namenschichten bestimmen:

1) indogermanisch-\'oreinzelsprachlich?

Dieser Schicht, die auf einen sicher vorgermanischen, doch nicht keltischen Sied-lungsträger zurückgeht, kann evtl, der Bergname Lusen, 1561 der Lisin, 1568 Lusen•.. Klain L Usenl6, zugeordnet werden. Annehmbar erscheint jedenfalls eine Verbindungmit idg. *lehIl!-/*lhJJr .Stein'I? mit Entwicklung der Schwundstufe *lhJJ!.-zu */u-.Durch s-Erweiterung (vgl, Peter Anreiter zum vorrömischen ON Lusomanal8) undAn-fügung eines n-Suffixes ergibt sich die Grundform *Lus-n- mit nicht mehr erschließ-barer Qualität des Vokals zwischen sund n. Das Blockmeer am Gipfel des Lusen alsauflälligstes Merkmal spricht eher für diesenAnsatz als für die bei Greule/JankalLiebervertretene, rein sprachlich nicht auszuschließende Herleitung von idg. *lu-s- ,Schmutz,Sumprl9, wenngleich sich in der Umgebung auch ausgedehnte Sümpfe, hier Filze ge-nannt, finden. Anzumerken bleibt jedoch, dass angesichts der sehr spät einsetzendenÜberlieferung keine gesicherte Erklärung gegeben werden kann und somit die Existenz

weise umgearbeitete und erweiterte Auflage (= Handbuch der Sudetendeutschen Kulturge-schichte I), München 1961, 129.

15 Ivan LUITERERIRudofSRAMEK, Zemöpisnäjmena v Cechäch, na Morave a ve SIezsku. Slovnikvybranych zemepisnlch jmen s vyklademjejich püvodu a historickeho vyvoje, Havliöküv Brod1997.

16 Albrecht GREUlE/Wolfgang JANKA/Holger LIEBER,Bergnamen im Bayerischen Wald: Arber,Osser, Lusen, in: Blätter für oberdeutsche Namenforschung 36/37 (1999/2000) 62-81, hier 74.

17 Bei Julius POKORNY,Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bde.I-II, Bern - München1959-1969, hier I, 683, als .Jeu-/Iau-" verzeichnet.

18 Peter ANREITER,Die vorrömischen Namen Pannoniens (= Archaeolingua. Series Minor 16),Budapest 2001, 78 f.

19 GREULElJANKAlLIEBER,Bergnamen (wie Anm. 16) 78.

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von Repräsentanten einer indogermanisch-voreinzelsprachlichen Schicht im UnterenBayerischen Wald nicht gesichert ist.

2) keltisch

Als keltisch ist der Gewässername (GewN) Ilz (linker Nebenfluss der Donau), 1010(Nachzeichnung Ende 11. Jh./Anf. 12. Jh.)jluminis quod dicitur Ilzisa'", 1092 Ilzes21,[1220-1240] ultra Iltsam22 anzusprechen, der sich aufvorbair. *Eltissa und weiter aufkelt. "Eltisia zurückführen lässt. Bei dieser Grundform handelt es sich um eine s-Er-weiterung zu kelt. *el- ,treiben; gehen' « idg. *pelhr ,sich nähern'23).24Bei GewN istin der Regel davon auszugehen, dass die Benennung im Bereich des Unterlaufs oderder Mündung - in diesem FaIl also in oder bei Passau - erfolgt ist.25

3) deutsch (bairisch)

Die bei weitem umfangreichste ON-Schicht im Unteren Bayerischen Wald stellt diedeutsche Schicht dar, die in diesem Gebiet auch genauer als "bairisch" bezeichnet wer-den kann. Ihr gehören eine Vielzahl von ON-Typen an, die sich nach der Bildungsweisezunächst grob in drei Gruppen gliedern lassen: (1) einfache Namen (Simplizia) wieBerg, Reut(h), Schlag usw., (2) Zusammensetzungen (Komposita) mit Grundwörternwie -ham « -heim), -kirchen, -dorf, -bach u. a. m. und (3) Ableitungen (Derivate) wiedie mit dem Suffix -ing- gebildeten ON, die im Gegensatz zu vielen -ing-Namen in aus-gesprochenen AItsiedellandschaften hier nicht als germanisch (im Sinne von vor-deutsch) eingestuft werden können.

20 Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae (Die Urkundender deutschen Könige und Kaiser), Bd. Ill: Die Urkunden Heinrichs 11.und Arduins, Hannover1900-1903 (im Folgenden: MGH DD Heinrich 11.),Nr. 217; BayHStA Passau-Niedernburg Urk.3 (Monasterium, Kollaboratives Archiv = http://www.mom-ca.uni-koeln.deIMOM-CAlstart.do;im Folgenden wird bei Quellennachweisen zu den hieraus entnommenen Belegen zusätzlich zurjeweiligen Archivsignatur die Sigle .mom'' angeführt).

21 BayHStA Passau-Niedernburg Urk. 4 (mom; wie Anm. 20).22 Max HEUWIESER,Die Traditionen des Hochstifts Passau (= Quellen und Erörterungen zur bayeri-

sehen Geschichte. Neue Folge VI), München 1930 (im Folgenden: Tr. Passau), Nr. 1314.23 Lexikon der indogermanischen Verben. Die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen, unter der

Leitung von Helmut Rix und der Mitarbeit vieler anderer bearb. von Martin KÜMMEL,ThomasZEHNDER,Reiner LIPP,Brigitte SCHIRMER,zweite, erweiterte und verbesserte Auflage bearb. vonMartin KÜMMELund Helmut Rrx, Wiesbaden 2001,470 f.

24 Der Verfasser dankt Prof. Dr. Albrecht Greule (Universität Regensburg) für die Mitteilung der Na-menerklärung.

25 Einen Überblick über das keltische Namengut Bayerns gibt Albrecht GREULE,Die keltischenOrtsnamen in Bayern, in: Tobias Appl/Georg Köglmeier (Hgg.), Regensburg, Bayern und dasReich. Festschrift für Peter Schmid zum 65. Geburtstag, Regensburg 2010,15-26.

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Ortsnamen am Goldenen Steig

4) slaftiscb?

Die Existenz einer slawischen Schicht im Unteren Bayerischen Wald ist als wahr-scheinlich. aber nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht als gesichert zu bewerten.Zwar handelt es sich bei Röt= (Markt Schönberg), 1488 Retz26, um einen SN, der reinsprachlich gesehen ebenso wie etwa Röt= (Stadt Rötz, Lkr. Cham), [1167-1170] Reh-keCt?7, Wenigröt= (Stadt Neunburg vorm Wald, Lkr. Schwandorf), 1017 Retsiz in-ferio,:zs, und ReIZ (Pol. Bez. Hollabrunn, Niederösterreich ), [1161-1177] (Kop. um1235) Rezze'", zu slaw. *reCica ,Bach, Bächlein', einer Ableitung von slaw. *reka,Fluss'30, gestellt werden kann. Dies ist allerdings kaum mit der Tatsache vereinbar,dass Rötz nicht unmittelbar an einem Bach, sondern auf einer Anhöhe liegt - das näch-ste Fließgewässer, der Kreuzbach, ist ca. 250 m von der Siedlung entfernt. Vielleichtkann aber mit einer Namenübertragung durch Siedler aus einem Ort mit einem Namengleicher Herkunft gerechnet werden.

Neben rein slawischen ON können auch slawisch-deutsche Mischnamen bestehen,d. h. Namen mit einem eingedeutschten slawischen und einem deutschen Bestandteil,doch reicht bei diesbezüglich in Frage kommenden SN wie During (aufgegangen inRuderting, Gde. Ruderting), [nach 1311] Turding3I, und TresdorJ (Markt Tittling),[nach 1311] TrestorJ 32, die bisherige Beleggrundlage nicht aus, um zu gesichertenAussagen gelangen zu können.

Die hier skizzierten Namenschichten können sich zeitlich überschneiden (etwa beibairischer und slawischer Besiedlung). Innerhalb der einzelnen Schichten ist eine Un-terscheidung von älteren und jüngeren Namentypen möglich. Dies betriffi: natürlich inerster Linie die bairische Namenschicht, die im Unteren Bayerischen Wald neben eini-gen fiühmittelalterlichen eine Vielzahl von hoch- und spätmittelalterlichen sowie neu-zeitlichen ON umfasst

4. Ortsnamentypen im Unteren Bayerischen Wald

Im Folgenden werden einige ältere ON-Typen innerhalb der bairischen Namenschichtanband von Beispielmaterial eingehender dargestellt:

26 BayHStA Kurbayem Geheimes Landesarchiv 1015, fol. 23'.27 BayHStA Regensburg-Domkapitel Urk. I.28 MGH DD Heinrich 11. (wie Anm. 20) Nr. 365.29 Altdeutsches Namenbuch. Die Überlieferung der Ortsnamen inÖsterreich und Südtirol von den An-

fängen bis 1200 (ANB), bearb. von Isolde HAUSNERund Elisabeth SCHUSTER,Wien 1989 ff., 868.30 Vladimir SMlLAUER,Pfiruöka slovanske toponomastiky. Handbuch der slawischen Toponomastik,

Praha 1970, 152.31 BayHStAKurbayemÄußeresArchiv4744/2, fol, 109'.32 Ebd.

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frühmittelalterliche Ortsnamen

Von größter siedlungsgeschichtlicher Bedeutung sind die mit dem Suffix -ing- abge-leiteten ON, die auch im Gebiet nördlich von Passau nicht selten vorkommen undüberwiegend als Bildungen der althochdeutschen Zeit, also vor der Mitte des 11. Jahr-hunderts, anzusehen sind'", DurchAnfügen dieses Suffixes an PN, später auch an Ap-pellative, sind zunächst .Jnsassennamen'' entstanden, d. h. Bezeichnungen von Perso-nengruppen (Familien, Sippen), die nach Sesshaftwerdung des Personenverbands zuSN werden konnten.Als Beispiel sei hier der SN Gerading(Gde. Zenting), 1177 (Druck 1719) Geroltingen+;angeführt, dessenAbleitungsbasis der ahd. PN Geralt darstellt. Dieser PN ist durch zahl-reiche Nennungen seit dem frühen 9. Jahrhundert in den Traditionen des Hochstifts Pas-sau35 auch für die Region sehr gut bezeugt. Die ursprüngliche Bedeutung der Grund-form ahd. "Geroltingun (Dativ Plural) kann mit ,bei den Leuten des Gerolt' angegebenwerden.

Nicht hierher gehören unechte -ing-Namen wie etwa Preying (Gde. Saldenburg),1366 (Kop. 16. Jh.) datzs sannd Preyden'", dem die Dativ-Form des HeiligennamensBrigida > mhd. Bride'! > Breide38 zugrunde liegt, oder Schi/ding (Gde. Aicha vormWald), [nach 1311] Schiltom'", wobei letzterer als zum SN gewordene Berufsbe-zeichnung ahd. *sciltärun (Dativ Plural) mit der Bedeutung ,(bei den) Schildmachern'allerdings ebenso wie die -ing-Namen dem Frühmittelalter zuzurechnen ist (siehe auchden unten behandelten SN Hutthurmf",

Sicher dem frühen Mittelalter zuzuweisen sind die mit dem Grundwort -ach < ahd.aha ,fließendes Wasser'"! zusammengesetzten GewN, die auf Siedlungen übertragenwerden konnten. Im VG gehört z. B. der mit einem PN bestimmte SN Nendlnach (Stadt

33 Siehe auch die Ausführungen zur zeitlichen Produktivität der -ing-Namen in Österreich bei Pe-ter WIESINGER,Die Ortsnamen Österreichs in makrotoponymischer Sicht, in: Friedhelm Debus(Hg.), Zu Ergebnissen und Perspektiven der Namenforschung in Österreich (= Beiträge zur Na-menforschung. Neue Folge, Beiheft 40, HeideIberg 1994,51-169, hier 76--79.

34 Johann GRUBER,Die Urkunden und das älteste Urbar des Stiftes Osterhofen (= Quellen und Er-örterungen zur bayerischen Geschichte. Neue Folge XXXIII), München 1985, Nr. 12.

35 Tr. Passau (wie Anm. 22), Nr. 28c, 28d, 46 und passim.36 REITZENSTEIN,Lexikon (wieAnm. 6), 218.37 [1200-1220] Bride (Tr. Passau [wieAnm:22], Nr. 1162).38 Vg!. die dativische Form 1303 vrowen Preiden (WStLAHauptarchiv Urk. 43 [mom; wieAnm. 20]).39 Monumenta Boica, Bde. I-LlV, München 1763-1956, hier XXXVI/2, 276. Datierung nach In-

grid HEEG-ENGELHART,Das älteste bayerische Herzogsurbar. Analyse und Edition (= Quellen undErörterungen zur bayerischen Geschichte. Neue Folge XXXVII), München 1990, 162*.

40 Zu diesem Namentyp siehe auch Wolfgang HAUBRICHS,Baiern, Romanen und Andere, in: Zeit-schrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006), 395-465, hier 406.

41 Althochdeutsches Wörterbuch (im Folgenden: Ahd. Wb.), Bde. I fT., Berlin 1968 ff., hier 1,65 f.42 BayHStA Kurbayern Urk. 14975 (Faksimile bei Hermann NEuMANN, Grafenau, Bayerischer

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Ortsnamen am Goldenen Steig

Grafenau), 1361 Nedelnach'[, 1376 Nenndelnach'", der den Genetiv "Nendilin desahd. PN Nendilo enthält (Grundform: ahd. *Nendilinaha), hierher. Trotz der ver-gleichsweise spät einsetzenden Überlieferung ist dieser Name als Bildung des Früh-mittelalters anzusehen, weil der ON-Typ ,PN im Genetiv +Grundwort -ach' im Hoch-mittelalter nach Ablösung von -ach durch -bach nicht mehr produktiv war". Im FallNendlnach wird die Annahme früher Entstehung zusätzlich dadurch gestützt, dass derPN Nendilo im 8. Jahrhundert (764/81) in einer Passauer Traditionsnotiz erwähntwird45, später aber in der Region nicht mehr nachgewiesen ist. Nendlnach ,Ache desNendilo' und weitere GewN wieAitllach « "Eitinaha ,Ache des Eito'46), Teisnach «*Tisinaha ,Ache des l1s047') oder Rinchnach « "Rimihhinaha ,Ache des *Rimih-ho48') stellen im Bayerischen Wald einen für Zuflüsse zu den vorgermanische Namentragenden - und außerhalb bzw. am Rand dieses Gebiets benannten - Flüssen Regen,IIz und Donau charakteristischen Namentyp dar.

Hiervon zu unterscheiden sind Kollektivbildungen auf -ach « mhd. -cehe, -ach,-ech u. ä.< ahd. -aM) wie z. B. Solla (Stadt Waldkirchen), 1301 Solcech'", <mhd. *sal-hahe zu rnhd. salhe .Salweide'P", deren Alter rein sprachlich gesehen nicht immerleicht zu bestimmen ist. Im UG dürften die ältesten Verteter dieses Typs - wie etwaSolla bei Waldkirchen - im Hochmittelalter geprägt worden sein.

Ein dritter überwiegend dem Frühmittelalter angehörender, jedoch gegenüber den-aha- und -ing-Namen als eher später anzusetzender ON-Typ zeigt sich in den Namen,

Wald. 600 Jahre Stadt 1376-1976, Grafenau 1976,50; ebd. irrige Lesung "Stedelnbach"; kor-rekte Lesung bei Ludwig SCHOBER,Geschichte des Klosters St. Oswald. Von den Anfangen biszum Dreißigjährigen Krieg, St Oswald 1997,75).

43 Friedrich HAUSMAJIo'N,Archiv der Grafen zu Ortenburg. Urkunden der Familie und GrafschaftOrtenburg (in Tambach und München), Band I: 1142-1400 (= Bayerische Archivinventare 42),Neustadt a. d. Aisch 1984, Nr. 241.

44 Zum Alter und zur Blütezeit der -ach-Namen sowie zum Vordringen von -bach siehe ErnstSCHWARZ,Sprache und Siedlung in Nordostbayern (= Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunst-wissenschaft IV), Nürnberg 1960,99-102; Stefan HACKL,Die ältesten Ortsnamen im Altland-kreis Viechtach. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, Herkunft und Bedeutung, in: Wolf ganglanka/Michael Prinz (Hgg.), Beiträge zur bayerischen Ortsnamenforschung (= RegensburgerStudien zur Namenforschung 3), Regensburg 2008, 9-182, hier 52.

45 Tr. Passau 9. In den Traditionen des Hochstifts Freising finden sich zahlreiche Belege für Nen-dilo aus dem 9. Jahrhundert (Theodor BITTERAUF,Die Traditionen des Hochstifts Freising,Bde.I-II, München 1905-1909, Nr. 308, 501, 528 usw.), dagegen nur noch eine Nennung ausdem 10. Jahrhundert (ebd., 1192).

46 Vgl, HAcKL, Viechtach (wie Anm. 44), 55-59.47 Ernst FORSTEMANN,Altdeutsches Namenbuch, Bd. I: Personennamen, zweite, völlig umgearbei-

tete Auflage, Bonn 1900, 411.48 Vgl. ebd. 1274.49 BayHStA Passau-Hochstift Urk. 288.50 Matthias LEXER,Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bde. I-Ill, Leipzig 1872-1878 (im Fol-

genden: Mhd. Wb.), hier 11,583.

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die mit dem Grundwort -heim zusammengesetzt sind.51Im Bairischen lautet die heuti-ge Form meist -ham, so auch im Unteren Bayerischen Wald, für den der SN Garham(Markt Röhmbach), [um 1250] Gorheim52, als Beispiel herangezogen werden kann.Dieser besteht als Kompositum aus dem Grundwort ahd. • heim ,Heim, Haus, Wohnort'und dem Bestimmungswort ahd. gor ,Kot, Mist, Dung'53, so dass auf eine ursprüngli-che Bedeutung ,bei den Wohnstätten am Sumpf geschlossen werden kann.

(früh- bis) hochmittelalterliche Ortsnamen

Im Allgemeinen etwas später als die -heim-Namen sind die Komposita mit dem Grund-wort -dorf anzusetzen. Sie stellen einen vor allem vom 10. bis zum 12. Jahrhundertsehr produktiven ON-Typ dar.54 Grundsätzlich muss bei der Untersuchung der -dorf-Namen die Bedeutungsentwicklung des Appellativs .Dorf" (ahd., mhd. dorf55) von,Haus' über ,Gehöft' zu ,Gebäudegruppe, Gruppensiedlung'P berücksichtigt werden.Das Grundwort -doifkonnte also sicher im Früh-, vielleicht auch noch im Hochmit-telalter auch ein einzelnes Haus oder Gehöft bezeichnen. Im UG liegen vergleichs-weise frühe Erwähnungen vor für die SN Pollmannsdoif(Stadt Waldkirchen), 1298Paldweinstorf?', mit dem mhd. (ahd.) PN Baldwin im Bestimmungswort, der in denPassauer Traditionen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert belegt ist58, und für den SNOberndorf (Stadt Freyung), [um 1250] ObemdorfY', mit dem Adjektiv mhd. ober,oben gelegen=? im Bestimmungswort.

-bach: ahd. bah, mhd. bach ,Bach'61. Eine ähnliche Zeitstellung wie bei den -doif-Na-men ist bei GewN und SN mit dem Grundwort -bach anzunehmen. So dürfte etwa derSN Karlsbach (Stadt Waldkirchen), [um 1250] Karlespach=, mit dem mhd. PN Karl,

51 In Österreich ist Peter Wiesinger zufolge das Gros der -heim-Namen in die erste Welle der Aus-bausiedlung (9. und 10. Jahrhundert) zu stellen (vg!. WIESINGER.Ortsnamen [wie Anm. 33] 82 f.).

52 Adam MAIDHOF,Die Passauer Urbare, Bd. I (=VeröfTentlichungen des Institutes für ostbairischeHeimatforschung in Passau 1), Passau 1933 (im Folgenden: Urb. Passau), 79.

53 Ahd. Wb. (wieAnm. 41) IV, 331.54 Peter Wiesinger geht in Bezug aufdie Produktivität von odor/in Österreich von dem Zeitraum

von der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts bis zur 1.Hälfte des 12.Jahrhunderts aus (vg!. WIESINGER,Ortsnamen [wieAnm. 33] 107 f.).

55 Ahd. Wb. (wieAnm. 41) 11,601-603; Mhd. Wb. (wieAnm. 50) 1,449.56 Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen, Bd. I fT.,GöttingenlZürich 1988 fT.,hier 11,

725-730.57 BayHStA Passau-Niedernburg Urk. 49 (mom; wie Anm. 20).58 Tr. Passau (wie Anm. 22) Nr. 91,517,755 usw.59 Urb. Passau (wie Anm. 52) 79.60 Mhd. Wb. (wie Anm. 50) 11,132 f.61 Ahd. Wb. (wieAnm. 41) I, 779; Mhd. Wb. (wieAnm. 50) 1,108.62 Urb. Passau (wieAnm. 52) 80.

100

Ortsnamen am Goldenen Steig

der in den Traditionen des Domkapitels Passau im 12. und 13. Jahrhundert gut bezeugtist63, am ehesten ins Hochmittelalter zu stellen sein. - Ein früher ,,Ausreißer" liegt da-gegen mit dem SN Exenbach (Gde. Grainet), 1222 (Kop. 13. Jh.) Ochsenpacbi", vor, derim Bestimmungswort das Appellativ ahd. ohso ,Rind, Ochse'65 oder den daraufberu-benden PN (Beinamen) ahd. "Ohso enthält. Dabei ist wegen des Umlauts 0>ö (späterzu e entrundet), der von dem Vokal; in der Genetivendung -in (Grundform: bair.-ahd.*Ohsinpah) verursacht wurde, davon auszugehen, dass die Namenbildung spätestens imfrühen 10. Jahrhundert erfolgt ist66.67

-berg: ahd. berg, mhd. berc ,Berg'68. Als Beispiel für einen offenbar hochmittelalter-lichen -berg-Namen sei hier der SN Appmannsberg (Stadt Waldkirchen), [um 1250]Ortwinsperg~9, mit dem mhd. PN Ortwin (in den Traditionen des Domkapitels Pas-sau im 12. und 13. Jahrhundert gut bezeugt?") im Bestimmungswort, angeführt.

-kireben: ahd. kirihha, mhd. kirehe .Kirche'?'. Aufgrund der exponierten Lage am äl-testen Zweig des Goldenen Steigs kann der SN Wald/drehen (Stadt Waldkirchen), 1203de Walchirchen'l ; mit dem Appellativ ahd. wald, mhd. wait ,Wald; Waldgebirge;Baumstand, Waldholz' im Bestimmungswort (Bedeutung der Grundform: ,Kirche amWaId'), ins I1J12. Jahrhundert, d. h. ins Hochmittelalter, gestellt werden.P

hoch- bis spätmittelalterliche Ortsnamen

Hierher gehören in erster Linie Rodungsnamen, die im Unteren Bayerischen Wald fastauschließlich mit den Grundwörtern -reut(h)lreit(h) und -schlag gebildet sind:

63 Tr. Passau (wie Anm. 22), Nr. 220,431, 505 usw.64 BayHStAPassau-Hochstift Lit. 3, fol. 143.65 Taylor STARCK/John C. WELLS,Althochdeutsches Glossenwörterbuch (mit Stellennachweis zu

sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen) (= Germanische Bibliothek,Reihe 2), Heidelberg 1990 (im Folgenden: Ahd. Glossenwb.), 450.

66 Zur zeitlichen Eingrenzung dieses Umlauts siehe SCHWARZ,Nordostbayern (wie Anm. 44) 118und 126.

67 Zum ebenso zu erklärenden SN Exenbach (Lkr. Regen) siehe HACKL,Viechtach (wieAnm. 44) 83 f.68 Ahd, Wb. (wie Anm. 41) I, 898-903; Mhd. Wb. (wie Anm. 50) I, 184 f.69 Urb. Passau (wie Anm. 52) 74.70 Tr. Passau (wie Anm. 22) Nr. 236, 245, 304 und passim.71 Ahd. Wb. (wieAnm. 41) V,195-198; Mhd. Wb. (wieAnm. 50) 1,1580 f.72 Paul PRAXL,Tausendjähriges Waldkirchen, in: Die Stadt Waldkirchen, Waldkirchen 1972, 11-64,

hier 17 (Faksimile).73 Plausibel erscheint die Vermutung Paul PraxIs, wonach spätestens um die Jahrtausendwende im

Bereich Waldkirchen mit dem Entstehen eines Rastortes am Goldenen Steig zu rechnen ist (vgl.Paul PRAXL,Marktrecht und Märkte von Waldkirchen, in: Stadt Waldkirchen. 700 Jahre Markt-recht: 1285-1985, Waldkirchen 1985, 11-53, hier 12).

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Wolfgang Janka

-reut(h)/reit(h): mhd. riute (zu lesen als riüte) .urbar gemachtes Land, Rodung'P,Substantivbildung zum Verb ahd., mhd. riuten ,reuten, roden'P. Der Vorgang des Reu-tens ist als Urbarmachung von Land durch Baumfällen und Ausheben der Wurzel-stöcke zu beschreiben."

Die Blütezeit der -reut-Namen dürfte im UG im 11. und 12. Jahrhundert gelegensein. So lässt sich z. B. der SN Hilgenreith (Gde. Innernzell), [um 1250] Hiltgunt-raeutll ,mit dem mhd. PN Hiltgund (weiblicher PN!), der in den Passauer Traditionenvom 11. Jahrhundert an mehrfach belegt ist1s, diesem Zeitraum zuordnen. Beim SNPerlesreut (Markt Perlesreut), der den Genetiv des bair.-mhd. PN Per(e)lln79 im Be-stimmungswort enthält, dürfte ein Grundwortwechsel vorliegen, falls [1092-1121]Perlinesperger' hierher gehört und kein Irrtum des Schreibers vorliegt.

-schlag: mhd. slac (Genetiv slages) ,durch Fällen von Bäumen gelichtete, urbar ge-machte Waldstelle'F'. Dieser ON-Typ kommt in Bayern wesentlich seltener vor als die-reut(h)-Namen, wobei aber gerade im Unteren Bayerischen Wald die höchste Dichtevon -schlag-Namen festzustellen ist. Blütezeit des Grundworts -schlag war wohl das12. und 13. Jahrhundert, womit sich im Verhältnis zu -reut(h) eine etwas spätere Zeit-stellung ergibt. 82 Exemplarisch sei hier der SN Eppenschlag (Gde. Eppenschlag), 1395(Kap. 16. Jh.) Epenschlag"; mit dem mhd. PN *Eppe « ahd. Eppo) im Bestim-mungswort, angeführt. Der PN Eppo ist in den Passauer Traditionen vom 11. Jahrhun-dert an sehr oft bezeugt.f"

74 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) n, 471.75 Ahd. Glossenwb. (wie Anm. 65) 489; Mhd. Wb. (wie Anm. 50) n, 472.76 Vg!. Friedhelm DEBUSIHeinz-Günter SCHMITZ,Überblick über Geschichte und Typen der deut-

schen Orts- und Landschaftsnamen, in: Werner Besch/Anne BettenlOskar Reichmann/StefanSonderegger (Hgg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache undihrer Erforschung, Berlin/New York 2004, 3468-3508, hier 3499.

77 Urb. Passau (wie Anm. 52) 66.78 Tr. Passau (wie Anm. 22), Nr. 138,443,486 usw.79 Vg!. [1222-1223] Perlinus (Tr. Passau [wieAnm. 22], Nr. 1009).80 BayHStA Passau-St. Nikola Urk. 4 (mom; wie Anm. 20); BOSHOF,Egon, Die Regesten der

Bischöfe von Passau, Bd. I: 731-1206, Register von Franz-Reiner ERKENS(Regesten zur bayeri-sehen Geschichte 1), München 1992,Nr. 521.

81 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) H, 950 f.82 Zum entsprechenden Befund in Österreich siehe WIESINGER,Ortsnamen (wieAnm. 33) 124.83 Wolfgang WAGNER,Das älteste Salbuch der Grafschaft Hals. Edition und Analyse (= Neue Ver-

öffentlichungen des Instituts für ostbairische Heimatforschung der Universität Passau 50), Pas-sau 2003, Nr. 367.

84 Tr. Passau (wieAnm. 22) Nr. 145,151,168 usw.

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Ortsnamen am Goldenen Steig

5. Siedlungsnamen am Goldenen Steig (Route Passau - Prachatice)

SaIzweg (Gde. Salzweg)

1285 in Salzwege8s, [13. Jh. Ende] SalcwegB6, [14. Jh.] Saltzbeg'", 1524 Salzweg88

Es liegt ein ursprünglicher Wegname vor, der auf die wohl im Hochmittelalter ge-gründeteAnsiedlung übertragen wurde. Dieser ist zusammengesetzt aus mhd. wee (Ge-netiv weges) ,Weg, Straße'89 als Grundwort und mhd. salz ,Salz'9o als Bestimmungs-wort. Benennungsmotiv war der Salztransport auf dem Goldenen Steig.?'

Straßkirchen (Gde. Salzweg)

[1200-1220] Stra=chirchen92, [1220-1240] Straskirchinö; 1308 von Strazkirehen94

Der aus dem Grundwort -kirchen (s.o.) und dem Bestimmungswort mhd. strii3eStraße'95 zusammengesetzte SN lässt ebenso wie Salzweg einen direkten semantischen•Bezug zum Femhandelsweg Goldener Steig erkennen. Es dürfte sich um eine Benen-nung des Hochmittelalters (IU12. Jahrhundert) handeln/"

85 BayHStA Passau-Hochstift Urk. 212; in Monumenta Boica (wie Anm. 39) XXIXl2, 555 Nr. 154verlesen als ..Holzwege".

86 Urb. Passau (wieAnm. 52) 295. Falsche Datierung auf "ca. 1150" bei MAURER,Passau (wieAnm.2),36 (vgl. Paul PRAXL.Grubweg, Salzweg, Schiefweg und Straßkirchen. Beiträge zur Namens-geschichte des Goldenen Steiges, Freyung 1998, 6).

87 Urb. Passau (wie Anm. 52) 88. - Zur Schreibung b- statt w- im Grundwort siehe Hermann PAUL,Mittelhochdeutsche Grammatik. 25. Aufl., neu barb. von Thomas KLEIN, Hans-Joachim SOLMSund Klaus-Peter WEGERA(= Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte A, 2), Tü-bingen 2007, § L85 Anm. 3.

88 RErIZENSTEIN,Lexikon (wie Anm. 6), 241.89 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) Ill, 719 f.90 Ebd. 1I, 587 f.91 Vg!. MAURER,Passau (wie Anm. 2) 36; PRAXL,Grubweg (wie Anm. 86), 6.92 Tr. Passau (wie Anm. 22), Nr. 1187. - Zu Straßkirchen im Lkr. Straubing-Bogen gehört der Be-

leg 1155 in uilla Strazchirichen (Stiftsarchiv Reichersberg Urk. 1155 IV 28 [mom; wie Anm. 20]),der bei MAURER,Passau (wie Anm. 2) 50 als "um 1152 villa Straschirchen" (nach einem Druckdes 17. Jhs.) verzeichnet ist und hierher gestellt wird (vg!. PRAXL,Grubweg [wieAnm. 86], 10).

93 Tr. Passau (wie Anm. 22), Nr. 140 I.94 BayHStA Passau-Niedemburg Urk. 72 (mom; wie Anm. 20).95 Mhd. Wb. (wie Anm. 50) 1I, 1226.96 Vg!. Herbert W. WURSTER,Straßkirchen am Goldenen Steig. Ein Jahrtausend Geschichte, in:

Festschrift zum Jubiläum 1000 Jahre Straßkirchen am Goldenen Steig 1002-2002, Straßkirchen2002,15-28, hier 15 und 18 f.

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Wolfgang Janka

Leoprechting (Markt Hutthurm)

[1210-1220] Liuprehtinge'l, 1297 Livprethingen+, 1342 Levprehtingt"; Mundart-form: .Jaibrexten, älter und richtiger loip~den"l()()

Der mit dem Zugehörigkeitssuffix -ing- von dem in den Passauer Traditionen seit dem8. Jh, häufig erwähnten bair.-ahd. PN Liutprehtll.iutperht'S) abgeleitete SN bedeuteteursprünglich ,bei den Leuten des L.'. Die Siedlung dürfte bereits im Frühmittelalterentstanden und benannt worden sein. Von den bei Maurer angeführten Mundartformenkann tatsächlich nur .Ioipoden" mit regulärer Entsprechung oi für mhd. iu102 als ba-sisdialektal bewertet werden; die Form .Jäibrexten" ist an der Schreibform des ON ori-entiert.

Hutthurm (Markt Hutthurm)

1067 (Kop. 13. Jb.) Hvtarn'F, [um 1100] Hätarenr", 1305 Hutornl05, 1420 Huet-dornl06; Mundartform: "hu~den"I07

Dieser dem Frühmittelalter zuzuordnende SN kann auf zwei gleichlautende ahd. Ap-pellative mit verschiedenen Bedeutungen zurückgeführt werden, und zwar auf huotäri,Hüter, Beschützer'I'" oder auf*huotäri .Helmmacher'P", Die Grundform lautete injedem Fall ahd. *Huotärun (Dativ Plural). Was ihre Bedeutung betriffi, so kann ent-weder von ,bei den Hütern' (hier wohl mit größerer Wahrscheinlichkeitjl'? oder von

97 Tr. Passau (wie Anm. 22) Nr. 861.98 BayHSIA Passau-Hochstift Urk. 269.99 BayHSIA Passau-Hochstift Urk. 495.100 MAURER,Passau (wieAnm. 2), 51.101 Tr. Passau (wieAnm. 22) Nr. 9, 28c, 216 usw.102 Vgl. Sabine RlTI-STADLER/Rosemarie SPANNBAUER-POLLMANNunter Mitarbeit von Sigrid

GRASSL,Sprachatlas von Niederbayern, Bd. 3: Lautgeographie. Vokalismus, Heidelberg 2010,332 mit Karte 136: oi-Lautung in ma. doivals Entsprechung zu bair.-mhd. tiuf,tier im Gebietnördlich von Passau.

103 REITZENSTEIN,Lexikon (wie Anm. 6), 120.104 BayHSIA Passau-St. Nikola Urk. 5 (mom; wie Anm. 20).105 BayHSIA Passau-Niedernburg Urk. 61 (mom; wie Anm. 20).106 JosefHEIDER, Regesten des Passauer Abteilandes (= Veröffentlichungen des Instituts zur Erfor-

schung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten in München und des Instituts für ost-bairische Heimatforschung in Passau 3), München 1934, Nr. 289.

107 MAURER,Passau (wieAnm. 2), 50.108 Ahd. Wb. (wie Anm. 41) IV, 1401.109 Vg!. mhd. huotcere (Mhd. Wb. [wieAnm. 50] I, 1394).110 Herbert W. Wurster zufolge wurde Hutthurm "womöglich bereits im 8. Jahrhundert im Pfalzforst

104

Ortsnamen am Goldenen Steig

bei den Helmmachern·11I ausgegangen werden. In der Mundart erscheint der SN•ebenso wie die -ing-Narnen der Region mit dem Auslaut -en. Dies entspricht den Er-wartungen, denn im Mittel- und Nordbairischen konnte sich sowohl-arnl-ern als auch-ing (siehe die Mundartformen von Leoprechting und Großthannensteig) zu -en ent-wickeln. Schreibsprachlich ist "Turmu in den SN eingedeutet worden.

Großthannensteig (Markt Hutthurm)

[urn 1250] in Tungozingell2, 1310 und 1343 TUllgozzingll3, 1430 von grossen Tunga-stingIl4, 1530 Grossenthunigsting'P, 1581 Grossentainsting'w; Mundartform:dä;)sdenulI7..

Wie die angeführten Namenformen zeigen, hängt dieser SN weder mit "Tanne" nochmit "Steig·' zusammen. Beide Wörter sind - nur schreibsprachlich, nicht in der Mund-art! - offenbar erst nach dem späten 16. Jahrhundert in den bezüglich seiner Bedeutungden Schreibern unklaren Namen eingedeutet worden (Resemantisierung). Es handeltsich vielmehr um eine frühmittelalterliche Ableitung mit dem Zugehörigkeitssuffix-ing- von dem ahd. PN *Tungö3(belegt ist die Form TuncozIl8) mit der Bedeutung ,beiden Leuten des T.'; als Grundform ist ahd. *Tungöjingun (Dativ Plural) zu erschließen.Der in der angeführten Mundartform enthaltene Diphthong (Zwielaut) "ä;)" ist als Qi?(d. h. als nasal gesprochenes Qe) zu verstehen. Dieses kann im Mittelbairischen nichtnur den Diphthongen ahd., mhd. uo und ahd., mhd. ei (bair.-mhd. ai) in der Stellungvor n (vgl. ma. dQü: mhd.luon .tun' bzw. ma. sdQü: mhd. stein ,Stein'), sondern - heu-te allerdings nur noch relikthaft greifbar - auch dem einfachen Vokal u (bei Dehnung)vor n entsprechen."? Nach Ausweis der älteren Belege ist bei unserem SN eindeutigvon u und nicht etwa vom Diphthong uo auszugehen. Die -ain-Schreibung in 1581-tainsting spiegelt den Diphthong Qilwider, dessen Herkunft aus u vor n dem Schrei-ber nicht bekannt war.

Passau als Siedlung für die Hüter der zur Pfalz Passau gehörigen Viehherden errichtet"(WURSTER.Straßkirchen [wieAnm. 96],17).

III So bei HAUBRlCHS,Baiem (wie Anm. 40), 406 als alleinige Bedeutungsangabe.112 Urb. Passau (wie Anm. 52) 81.113 BayHStA Passau-Niedemburg Urk. 91 und 163 (mom; wie Anm. 20).114 Ebd. 423 (mom; wie Anm. 20).115 BayHStA Passau-Hochstift Lit. 142, fol. 24.116 BayHStA Passau-Hochstift Lit. ISO, fol. 37.117 MAURER.Passau (wie Anm. 2), 53.118 FÖRSTEMANN, Personennamen (wie Anm. 47), 433.119 Vgl. Eberhard KRANZMAYER.Historische Lautgeographie des gesamtbairischen Dialektraumes,

Wien 1956,41.

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Wolfgang Janka

Schiefweg (Stadt Waldkirchen)

1256 (ea, gleichz. Kop.) de Schefwege'l", 1298 Sehefwegl21, 1480 Sehejweegl22;Mundartfonn: "sHe"123

Wie im Fall von Salzweg so ist auch hier ein ursprünglicher Wegname auf eine Sied-lung übertragen worden. Es handelt sich um ein Kompositum aus mhd. schef, eineru. a.auch im Mittelbairischen gut bezeugten Nebenform von sehif,Schiff' 124,und mhd. wee,Weg, Straße' (s.o.), das den Weg zu den Salzschiffen an der Donau in Passau be-zeichnete'P. Die Siedlungsgründung dürfte im Hochmittelalter (Paul Praxl zufolgespätestens im 11. Jahrhundert'P) erfolgt sein.

Böhmzwiesel (Stadt Waldkirchen)

1256 (ea. gleichz. Kop.) Zwise[l27, 1333 Pehemzwisen'P; 1374 Pehaimzwischel'Vt,[um 1735] Böhmzwis/130

Der hochmittelalterliche SN beruht auf demAppellativ mhd. zwisel(e) ,Gabel, etw. Ga-belförmiges'!", wobei hier bezüglich des Benennungsmotivs wohl nicht von einerWeggabelung, sondern von einer Bachgabelung auszugehen ist132. Der Zusatz bair.-mhd. Pehaim bezeichnet die Lage der Siedlung am Weg nach Böhmen und dient derUnterscheidung vom SN Erlauzwiesel (ebenfalls Stadt Waldkirchen).

Fürholz (Gde. Grainet)

1256 (ea, gleichz. Kop.) Vurholz133, 1309 Furholtz't", 1372 Fürholcz135

120 Urkundenbuch des Landesob der Enns, Bd 1,492 Nr. 20 (=BayHStA Passau-Hochstift Lit. 4, fol. 15).121 BayHStA Passau-Niedernburg Urk. 49 (mom; wie Anm. 20).122 BÜGEL,Waldkirchen (wieAnm. 3), 85.123 MAURER, Passau (wie Anm. 2), 36.124 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) 11,729 f.125 Vg!. PRAXL,Grubweg (wieAnm. 86), 8.126 Vg!. ebd. 7.127 Urk. Land ob der Enns I (wie Anm. 120),492 Nr. 20.128 Urb. Passau (wieAnm. 52) 657.129 BÜGEL,Waldkirchen (wieAnm. 3), 24.130 Paul PRAXL,Der Goldene Steig, Grafenau 1976, 93.131 Mhd. Wb. (wie Anm. 50) Ill, 1220 f.132 Vg!. BÜGEL,Waldkirchen (wieAnm. 3), 24 f.133 Urk. Land ob der Enns I (wieAnm. 120),492 Nr. 20.134 BayHStA Passau-Niedernburg Urk. 83 (mom; wie Anm. 20).135 Ebd. 241 (mom; wieAnm. 20).

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Ortsnamen am Goldenen Steig

Dem SN liegt das zusammengesetzteAppellativ mhd. vürholz ,Vorwald, Waldsaum' 136

zugrunde. Er bedeutete also ursprünglich ,am Vorwald bzw. am Waldsaum gelegeneSiedlung'. Die Benennung dieses Rastortes für die Säumer auf dem Goldenen Steig istim Hochmittelalter erfolgt.137

Grainet (Gde. Grainet)

[um 1426-1436] in dem Gruenäch, 1539 zw Gruenat, 1610 im Grainetr"; Mundart-form: grQenud

Es handelt sich um einen ursprünglichen Flurnamen, der mit dem Kollektivsuffixmhd. -ach (> bair. -at, -et) von mhd. "gruon- ,Grün', einem Substantiv, das zu dem Verbmhd. groonen ,grün oder frisch werden oder sein'P? gehört, bzw. von einer älterenForm von bair. Gruen junger Schössling' 140 abgeleitet ist. Der Name bedeutete dem-nach ursprünglich ,Ort mit viel grünem Bewuchs bzw. mit vielen Schösslingen'. ZurEntwicklung von mhd. uo vor n zu ma. Qü, das mit ai verschriftet werden konnte, sie-he obige Ausführungen zur Mundartform von Großthannensteig, Als Beispiel für eineparallele Entwicklung wie bei Grainet sei der SN Grainau (Lkr. Garmisch-Partenkir-ehen), 1305 Gr-vnawe, 1431 Gruenaw, 1569 Grainawr"; angeführt, der auf mhd.*Gruonouwe ,grüne Au' zurückgeht. Da die mhd. Lautfolge üen nicht zu ma. Qe undzur Schreibung ain führen konnte, liegt in beiden Fällen nicht das Adjektiv mhd. grüe-ne ,grün' 142 zugrunde.143 Ausgehend von der Zeitstellung der ersten Erwähnung dürf-te die Siedlung Grainet etwa um 1400 entstanden sein.l44

Leopoldsreut (Gde. Haidmühle)

Im Jahr 1618 erfolgte die Gründung des Grenzpostens Leopoldsreut in 1109 m HöheimAuftrag von FürstbischofLeopold von Passau, dessen Name (im Genetivauf -s ste-hend) als Bestimmungswort mit dem Grundwort -reut verbunden wurde. In der Zeit

136 Mhd. Wb. (wie Anm. 50) Ill, 600.137 Vgl. Paul PRAXL,Aus der Geschichte von Fürholz, in: Freiwillige Feuerwehr Fürholz. Festschrift

zum 100-jährigen Gründungsfest mit Fahnenweihe vom 27. bis 29. Mai 1983, [So 20-23], hier 20.138 REITZENSTEIN, Lexikon (wie Anm. 6), 101.139 Mhd. Wb. (wie Anm. 50) I, 1l05.140 Johann Andreas SCHMELLER, Bayerisches Wörterbuch, Bde. 1-11,München 1872-1877, hier I,

1001.141 REITZENSTEIN, Lexikon (wieAnm. 6),100 f.142 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) 1,1097 f.143 Dieser Ansatz bei REITZENSTEIN, Lexikon (wie Anm. 6), 100 f.144 Vgl. www.grainet.delhtml/die_gemeinde.html(Zugriff vom 22.4.20 I0).

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Wolfgang Janka

nach dem Zweiten Weltkrieg verließ die Bevölkerung nach und nach den klimatischungünstig gelegenen Ort. Seit 1962 ist Leopoldsreut nicht mehr bewohnt.r"

Böhmisch Röhren I Ceske Zleby (obec Stozec)

1709 Dorf Bömisch Rühnen ... Orth Böhmisch Riihnen beym guldenen Steig, 1720Haüsler bey der böhm. röhren, 1848 Ceske Trouby (Koryto) 146

Dem Namen derum die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert gegründeten Siedlung lagursprünglich nhd. Rinne, dann Röhre zugrunde. Die tschechischen Namen sind Über-setzungen der deutschen (vgl. tsch. koryto ,Trog, Rinne', trouba .Rohr', ilab, ileb .Rin-ne'). Benennungsmotiv war offenbar eine Vorrichtung, mit der Wasser zur Tränke derSaumpferde in Behälter geleitet wurde.147

Wallern I Volary (mösto Volary)

1359 (Insert 1359) Andreas de Walleriil48, 1373 Johannem plebanum de Wallemr'",1376 Nicolaus de Wallerl5o, 1410 z Wollar (tsch. ,aus Wallem')151; Mundartform:wüten, dwülere ,die Wallerer'

Dem deutschen SN Wallern liegt dasAppellativ mhd. walleere ,fahrender Mann, Wan-derer, Pilger'152 zugrunde.P! das auch im Bestimmungswort des SN Wolletschlagltsch.Volovice, [um 1330] Walerslak't", enthalten ist. Während der Beleg 1376 Waller unddie latinisierte Namenform 1359 WalleriiNominativ-Plural-Formen darstellen, scheintbei der Schreibung 1373 Wallern die Form des Dativs Plural auf, die sich schließlich

145 Vgl. Richard SCHIRMER,Leopoldsreut. Die Geschichte eines untergegangenen Dorfes im hinte-ren Bayerischen Wald, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in München 49 (1964)5-42, hier 6, 8, 15 f.; Heinrich LIPPERT,Die Schule Leopoldsreut. Zur Geschichte der einstmalshöchstgelegenen Volksschule Deutschlands im Bayerischen Wald (1826-1956), Riedlhütte[0.J.],6.

146 MJe (wieAnm. 13) IV, 858.147 Vgl. ebd.; PRAXL,Grubweg (wie Anm. 86), Il.148 CIemens BOROvi' (Hg.), Libri erectionum archidioecesis Pragensis saeculo XIV. et XV., Liber

I, Pragae 1875, Nr. 18.149 SOkAPrachaticeAM Prachatice 11-1, fol. l.150 Ebd.151 Rudolf KUBITSCHEK/Valentin SCHMIDT,Wallern und die Wallerer, neu bearbeitet von Paul

PRAXL,Augsburg-Haunstetten 1972, 28.152 Mhd. Wb. (wieAnm. 50) Ill, 653 f.153 Vg!. MJC (wieAnm. 13) IV, 602.154 SCHWARZ,SudetenIänder (wie Anm. 14), 129.

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Ortsnamen am Goldenen Steig

durchgesetzt hat. Die von Ernst Schwarz vertretene Deutung als" ·ze den waldreren"155muss aufgrund fehlender Belege mit -Id- als unwahrscheinlich bewertet werden. Beitsch. Volary handelt es sich offenbar um eine Übernahme des deutschen Namens, deran das tschechische Appellativ volai ,Ochsenhändler, -bauer, _hirt'156 angeglichenwurde. Die Siedlungsgründung ist im Spätmittelalter (am ehesten wohl in der erstenHälfte des 14. Jahrhunderts) erfolgt.

Pfefferschlag I Ferry (heute: Libinske Sedlo; mesto Prachatice)

1351 vi/le in PhefferslaglS7, 1356 villa Fepherslack'P, 1449 Fefry159

Der SN Pfefferschlag gehört zu einem ausgedehnten Areal von -schlag-Namen west-lich und südlich von Prachatitz. Im tschechischen Teil des UG ist -schlag das mit Ab-stand produktivste deutsche SN-Grundwort. Da um Prachatitz und Winterberg kein_schlag-Name vor dem 14. Jahrhundert überliefert ist und im Bestimmungswort die-ser SN neben Rufuamen (z. B. im SN Albrechtschlags auch Familiennamen (FamN)bzw, Berufsbezeichnungen - wie in diesem Fall der in Böhmen seit dem 14. Jahrhun-dert bezeugte FamN Pfefferl60 - auftreten, ist hier von relativ späten Bildungen aus-zugehen, die in der Regel kaum bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen dürften.l''! Aufdem genannten deutschen FamN beruht auch derehemalige tschechische SN Fefry, derdem im okres Prachatice im Gegensatz zu anderen Gebieten Böhmens nur selten ver-tretenen ON-Typ ,PN im Plural' zuzurechnen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg istFefry durch den SN Libinske Sedlo (,Libiner Sattel'; bezogen auf den östlich des Ortesgelegenen Berg Libin) ersetzt worden, wobei allerdings in der Umgangssprache der alt-eingesessenen tschechischen Bevölkerung der ältere Name Fefry nach wie vor inGebrauch ist162.

155 Ebd. 100 f. Vgl. auch KLIMESCH,Ortsnamen (wie Anm. 12) 11, 130: ,,Zu den Bewohnern derWaldgegend".

156 Josef JUNGMANN,Slownjk öesko-nemecky, sv. V, Praha 1839, 156.157 Faksimile bei Paul PRAXL,Das Wyschehrader Landgut Prachatitz, in: Ostbairische Grenzmar-

ken 15 (1973), 21(}-237, hierTafel XXII,Abb. 29.158 MJC (wie Anm. 13) I,535.159 KLIMESCH,Ortsnamen (wieAnm. 12) 11,108.160 Ernst SCHWARZ,Sudetendeutsche Familiennamen aus vorhussitischer Zeit (= Ostmitteleuropa in

Vergangenheit und Gegenwart 3), Köln/Graz 1957,231.161 VgI.ScHWARZ,Sudetenländer(wieAnm.14),129f.162 Freundliche Mitteilung von Dr. Frantisek Kubü (Prachaticke muzeum).

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Wolfgang Janka

Prachatice, Stare Prachatice (mösto Prachatice) I Prachatitz, Alt-Prachatitz

1130 (Kop. 12. Jh.) via Prachaticihr'", [Mine 12. Jh.] (Fälschung zu [um 1088]) Pra-gaticih vial64, 1222 Prahaticih via165, 1262 Prahatich novum forum't", 1263 inPrachatitz'F'

Der ursprünglich nur auf den Ort Stare Prachatice/Alt-Prachatitz bezogene SN gehörtdem im Tschechischen wie allgemein im Westslawischen hochproduktiven ON-Typ,PN + patronymisches Suffix -ici' an. Ableitungsbasis ist in diesem Fall der alttsche-chische PN *Prachata (vgl. den tschechischen FamN Prachata), so dass die Grund-form des Insassennamens *Prachatici (Nominativ Plural) bzw. *Prachatice (Akkusa-tiv Plural) ,Siedlung der Leute des Prachata' bedeutete i-ih in den ersten Erwähnungenist die Endung des Lokativsj.l'" Die pluralischen SN auf -ice sind auch nördlich undöstlich von Prachatice sehr zahlreich vertreten (Bohunice, Strunkovice, Zdenice usw.).Sie konnten im Früh- und Hochmittelalter gebildet werden, wobei (Stare) Prachatice,laut Überlieferung bis ins 11. Jahrhundert zurückreichend, als frühmittelalterlicher SNanzusehen sein dürfte. Die heutige Stadt Prachatice wurde in der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts vom Kollegiatstift Vysehrad im Zusammenhang mit dem Aufblühen desSalzhandels gegründet; sie löste Alt-Prachatitz als Zoll- und Marktort ab.169

6. Fazit

Zwar sind aufgrund des inhomogenen und vor allem bezüglich des nördlichen Land-kreises Passau noch nicht ausreichenden Bearbeitungsstands der Toponymie des UGfundierte siedlungsgeschichtliche Aussagen nur in begrenztem Umfang möglich, dochzeichnet sich als Zwischenergebnis ab, dass der Anteil frühmittelalterlichen Namengutshöher ist als bisher angenommen: ON der Typen ,PN + Suffix -ing-' (z. B. Thannen-steig < *Tungö3ingun), ,PN im Genetiv + Grundwort -aha' (Nend/nach), ,Berufsbe-zeichnung im Dativ Plural' (Hutthurm), zusammengesetzte ON mit durch i bewirktemUmlaut (Exenbach) und nicht zuletzt alte slawische Namentypen wie etwa die Pa-tronymika auf -ici liefern Nachweise für punktuelle oder - etwa bei den -ing- und -ici-Namen - in bestimmten siedlungsgünstigen Regionen konzentrierte frühmittelalterliche

163 MJC (wie Anm. 13) III, 453. - Lat. via ,Weg' bezieht sich auf den später auf deutscher Seite"Goldener Steig", im Tschechischen ,,Zlam stezka" genannten Fernweg.

164 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, t. I, Pragae 1904-1907, Nr. 387.165 Ebd. n, Pragae 1912, Nr. 229.166 MJC (wieAnm. 13) Ill, 453.167 NA Praha AZK 993 (mom; wie Anm. 20).168 Vgl. MJC (wie Anm. 13) III, 453; LUTIERERlSRAMEK, Zemepisnä jmena (wie Anm. 15),213.169 Vg!. Paul PRAXL,Prachatitz (wie Anm. 157),210 f. und 218 f.

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Ortsnamen am Go/dellen Steig

Besiedlung. Dass viele dieser alten One am Goldenen Steig oder nicht weit davon ent-fernt liegen, überrascht nicht, da bereits für das frühe Mittelalter von der Existenz vonEtappenorten auszugehen ist.

Die Kartierung von Ortsnamentypen und -subtypen im Rahmen von künftig zu er-stellenden Namenatlanten wird zu weiteren siedlungsgeschichtlichen Erkenntnissenführen, die in die angestrebte interdisziplinäre Synopse eingehen können. Unverzicht-bare Voraussetzung hierfür ist jedoch die Erschließung größerer Gebiete durch histo-rische Ortsnamenbücher bzw. -datenbanken. Nach Abschluss des Pilotprojekts ONiGwerden die älteren Namentypen eines Teils des Bayerischen Waldes und des Böhmer-waldes bearbeitet und kartographisch darstellbar sein. Damit ist ein Anfang gemacht,doch müssen die Bemühungen weitergehen, um nicht im Bereich punktueller oderkleinräumiger Sondierungen stecken zu bleiben. Der für den Bayerischen Wald alsCharakteristikum auszumachende Gewässernamentyp ,PN im Genetiv + Grundwort-aha' (Aitnach, Rinchnach, Nendlnach usw.) mit seiner weitreichenden siedlungsge-schichtlichen Bedeutung mag als Beispiel für die Notwendigkeit einer großräumigenPerspektive dienen.

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