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1 2 Kapitel 1 · Die klassische Cyriax-Therapie 1.1 James Cyriax und sein Einfluss auf die Physiotherapie James Cyriax (1904–1985) war ein englischer Orthopäde und im St. Thomas Hospital in London tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit als orthopädischer Chirurg wurde er während seiner Arbeit immer wieder mit der Tatsache kon- frontiert, dass die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren, zu dieser Zeit nur das Röntgen, nicht immer mit den Be- schwerden der Patienten korrelierten. So gab es z. B. immer wieder Patienten mit unauffälligen Röntgenbildern, die aber trotzdem über Beschwerden und Schmerzen am Be- wegungsapparat klagten. Bei diesen Patienten gab es dann Schwierigkeiten, eine klare Diagnose zu stellen. Aus diesem Grund fing Cyriax an, sich Gedanken darüber zu machen, wie man auch bei solchen Patienten zu einer Diagnose kommen kann. Er begründete die Orthopädische Medizin (Orthopaedic medicine), die 1929 ihren Namen bekam. Cyriax benötigte ca. zwölf Jahre, um sein diagnostisches System zu entwickeln, welches er auch als sein Lebenswerk bezeichnete. Danach kostete es ihn noch einmal mehrere Jahre, bis er für die verschiedenen Diagnosen eine effekti- ve Therapie erarbeitet hatte. Eins der Probleme, mit denen er während dieser Zeit konfrontiert wurde, war die Tatsache, dass die Symptome, die vom Patienten irgendwo im Bewegungsapparat gespürt und angegeben wurden, häufig nicht auf lokale Verände- rungen zurückzuführen waren. Es war das Anliegen von Cyriax, dass der Patient den lan- gen und teuren Weg über viele Ärzte, Krankenhäuser und letztendlich alternative Mediziner bzw. „Laien“ nicht mehr zu gehen brauchte. Zudem wollte er den Patienten über- flüssige Operationen und den Weg in die „Laienmedizin“, die häufig zu Fehldiagnosen und damit verbundenen Fehl- behandlungen führte, ersparen. Durch die allgemein schlechte Diagnostik kam es für viele Patienten zu langen Perioden, in denen sie berufs- und/oder sportunfähig waren. Nach Meinung von Cyriax sollte die Orthopädische Chirurgie nicht in Konkurrenz zu der Orthopädischen Medizin stehen, vielmehr sollten sie einander ergänzen. Er war der Meinung, dass eine Operation erst in Erwägung ge- zogen werden sollte, wenn die konservative Therapie er- folglos war. Cyriax lehrte, in der Untersuchung systematisch vorzuge- hen, nicht zu viele Tests anzuwenden und vor allem anatomisch zu denken. Er war davon überzeugt, dass das Untersuchen von Patienten nichts anderes ist als ange- wandte Anatomie. Der Therapeut müsse einfach bei jeder Bewegung, bei jedem Test daran denken, welche anatomi- schen Strukturen in diesem Moment belastet werden. Nur auf diese Weise sei er nach der Untersuchung in der Lage, die schmerzhaften Bewegungen bzw. Strukturen zu analy- sieren. Das Analysieren der positiven Befunde der Untersu- chung wird in diesem Buch BefundInterpretation ge- nannt. Auf diese Weise ist der Therapeut in den meisten Fällen in der Lage, nach der Untersuchung eine genaue „anatomische“ Diagnose zu stellen, damit die betroffenen Strukturen identifiziert und gezielt behandeln werden kön- nen. Cyriax war gegenüber der Physiotherapie in ihrer Ge- samtheit sehr positiv eingestellt. Viele Physiotherapeuten lernten in Kursen seine Untersuchungs- und Behandlungs- techniken. Auch seine Infiltrationstechniken demons- trierte er Ärzten und Physiotherapeuten gleichermaßen. Kenntnisse über Grundlagen und Philosophie des Cyriax-Konzepts die Rolle von James Cyriax bei der Entwicklung der Physiotherapie und Manuellen Therapie die Entwicklung des Cyriax-Konzepts das Phänomen Referred pain (fortgeleiteter Schmerz) LERNZIELE Abb. 1.1. James Cyriax bei einer Manipulation der Halswirbelsäule.

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2 Kapitel 1 · Die klassische Cyriax-Therapie

1.1 James Cyriax und sein Einflussauf die Physiotherapie

James Cyriax (1904–1985) war ein englischer Orthopäde

und im St. Thomas Hospital in London tätig. Im Rahmen

seiner Tätigkeit als orthopädischer Chirurg wurde er

während seiner Arbeit immer wieder mit der Tatsache kon-

frontiert, dass die Ergebnisse der bildgebenden Verfahren,

zu dieser Zeit nur das Röntgen, nicht immer mit den Be-

schwerden der Patienten korrelierten. So gab es z. B. immer

wieder Patienten mit unauffälligen Röntgenbildern, die

aber trotzdem über Beschwerden und Schmerzen am Be-

wegungsapparat klagten. Bei diesen Patienten gab es dann

Schwierigkeiten, eine klare Diagnose zu stellen. Aus diesem

Grund fing Cyriax an, sich Gedanken darüber zu machen,

wie man auch bei solchen Patienten zu einer Diagnose

kommen kann. Er begründete die Orthopädische Medizin(Orthopaedic medicine), die 1929 ihren Namen bekam.

Cyriax benötigte ca. zwölf Jahre, um sein diagnostisches

System zu entwickeln, welches er auch als sein Lebenswerk

bezeichnete. Danach kostete es ihn noch einmal mehrere

Jahre, bis er für die verschiedenen Diagnosen eine effekti-

ve Therapie erarbeitet hatte.

Eins der Probleme, mit denen er während dieser Zeit

konfrontiert wurde, war die Tatsache, dass die Symptome,

die vom Patienten irgendwo im Bewegungsapparat gespürt

und angegeben wurden, häufig nicht auf lokale Verände-

rungen zurückzuführen waren.

Es war das Anliegen von Cyriax, dass der Patient den lan-

gen und teuren Weg über viele Ärzte, Krankenhäuser und

letztendlich alternative Mediziner bzw. „Laien“ nicht mehr

zu gehen brauchte. Zudem wollte er den Patienten über-

flüssige Operationen und den Weg in die „Laienmedizin“,

die häufig zu Fehldiagnosen und damit verbundenen Fehl-

behandlungen führte, ersparen. Durch die allgemein

schlechte Diagnostik kam es für viele Patienten zu langen

Perioden, in denen sie berufs- und/oder sportunfähig

waren.

Nach Meinung von Cyriax sollte die Orthopädische

Chirurgie nicht in Konkurrenz zu der Orthopädischen

Medizin stehen, vielmehr sollten sie einander ergänzen. Er

war der Meinung, dass eine Operation erst in Erwägung ge-

zogen werden sollte, wenn die konservative Therapie er-

folglos war.

Cyriax lehrte, in der Untersuchung systematisch vorzuge-

hen, nicht zu viele Tests anzuwenden und vor allem

anatomisch zu denken. Er war davon überzeugt, dass das

Untersuchen von Patienten nichts anderes ist als ange-

wandte Anatomie. Der Therapeut müsse einfach bei jeder

Bewegung, bei jedem Test daran denken, welche anatomi-

schen Strukturen in diesem Moment belastet werden. Nur

auf diese Weise sei er nach der Untersuchung in der Lage,

die schmerzhaften Bewegungen bzw. Strukturen zu analy-

sieren.

Das Analysieren der positiven Befunde der Untersu-

chung wird in diesem Buch BefundInterpretation ge-

nannt. Auf diese Weise ist der Therapeut in den meisten

Fällen in der Lage, nach der Untersuchung eine genaue

„anatomische“ Diagnose zu stellen, damit die betroffenen

Strukturen identifiziert und gezielt behandeln werden kön-

nen.

Cyriax war gegenüber der Physiotherapie in ihrer Ge-

samtheit sehr positiv eingestellt. Viele Physiotherapeuten

lernten in Kursen seine Untersuchungs- und Behandlungs-

techniken. Auch seine Infiltrationstechniken demons-

trierte er Ärzten und Physiotherapeuten gleichermaßen.

Kenntnisse über• Grundlagen und Philosophie des Cyriax-Konzepts• die Rolle von James Cyriax bei der Entwicklung der

Physiotherapie und Manuellen Therapie • die Entwicklung des Cyriax-Konzepts• das Phänomen Referred pain (fortgeleiteter

Schmerz)

LERNZIELE

Abb. 1.1. James Cyriax bei einer Manipulation der Halswirbelsäule.

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1.1 · James Cyriax und sein Einfluss auf die Physiotherapie13

Die Tatsache, dass er Physiotherapeuten in seinen Kursen

z. B. auch zu Manipulationstechniken der Wirbelsäule

anleitete, führte dazu, dass Cyriax vom Englischen

Orthopädenverband ausgeschlossen wurde.

Er war allerdings der Meinung, dass man insbesondere

Physiotherapeuten, die in ihrem Beruf mit den Händen

tätig sind, alle effektiven Behandlungsmethoden lehren

sollte, also auch Manipulationstechniken (⊡ Abb. 1.1). Da-

bei war er aber stets der Ansicht, dass diese Behandlungen

von Ärzten überwacht werden sollten, da sie die Überwei-

sung des Patienten zum Physiotherapeuten vornehmen. Es

war Cyriax sehr wichtig, dass der Patient nicht zu „Laien-

manipulatoren” ging, zu denen er auch Osteopathen und

Chiropraktoren rechnete.

Er war davon überzeugt, dass seine Behandlungs- und

Manipulationstechniken sowohl sehr effektiv als auch sehr

einfach zu erlernen sind. Cyriax hatte kein Verständnis für

Osteopathen und Chiropraktoren, die behaupteten, dass

solche Techniken nur über viele Jahre mühsam erarbeitet

werden könnten. Zudem fand er die Techniken der Osteo-

pathen nicht effektiv genug und zweifelte stark an der Diag-

nostik der Chiropraktoren.

Cyriax sagte über sich selbst, dass er die Massage nicht

erfunden habe, sondern lediglich eine Technik aus der

Massage hervorgehoben habe, mit der seiner Meinung

nach auch Physiotherapeuten ein betroffenes Gewebe ge-

nau und gezielt behandeln können.

Auch die Manipulation und die Traktion wurden nicht

von Cyriax erfunden. Er hat allerdings erarbeitet, wann die-

se Techniken am effektivsten eingesetzt werden können.

Cyriax war für viele Physiotherapeuten, die mittlerweile

Rang und Namen haben, und die in vielen Fällen sogar sehr

bekannt und berühmt geworden sind, die erste Anlaufstel-

le für deren Weiterbildung. Einige seiner ehemaligen Stu-

denten waren z. B. Freddy Kaltenborn, Stanley Paris, David

Lamb, Chris Fowler und noch viele andere.

Auch ich hatte damals das große Vergnügen, James

Cyriax persönlich kennenzulernen und von ihm selber

über seine Techniken, Ideen, Gedanken und Überlegungen

zu hören.

Cyriax hatte anderen Therapien gegenüber eine klare Mei-

nung. So fand er Manuelle Therapie überflüssig, obwohl er

sich darüber nur selten negativ äußerte. Er war sich sicher,

dass man mit seinen Behandlungstechniken alle bei Patien-

ten auftretenden Beschwerden ausreichend behandeln

kann, was spezifische und schwierig erlernbare Behand-

lungstechniken, wie sie in der Manuellen Therapie benutzt

werden, überflüssig macht. Zum Thema Hypermobilität

der Wirbelsäule hatte er die klare Meinung, dass so etwas

nicht existiert.

Mit der Osteopathie war Cyriax regelrecht auf Kriegs-

fuß, er hatte dafür in meiner Anwesenheit nie ein gutes

Wort übrig.

1.1.1 Die Gründung der IFOMT (Interna-tional Federation of OrthopaedicManipulative Therapists)

1967 hatte Stanley Paris (Physiotherapeut aus Neusee-

land) die Idee, einen internationalen Verein für Manuelle

Therapie zu gründen.

In diesem Jahr war Geoffrey Maitland (Physiothera-

peut aus Australien) in London, um dort einen Kurs abzu-

halten. Paris lud auch Freddy Kaltenborn nach London

ein und es kam in der Cafeteria eines Londoner Kranken-

hauses zu einem Treffen zwischen Maitland, Kaltenborn,

Gregory Grieve (Manualtherapeut aus Großbritannien)

und Paris, bei dem über die Zukunft der Manuellen Thera-

pie diskutiert wurde.

Später kam es während des Treffens des WCPT (Welt-

verband der Physiotherapie) in Amsterdam 1970 zu einem

weiteren Gespräch, nach dem eine Interimkommission der

IFOMT (Weltverband der Manuellen Therapie) einberu-

fen wurde.

1973 organisierte Freddy Kaltenborn einen 4-wöchi-

gen Kurs auf Gran Canaria. Während der ersten zwei Wo-

chen wurden die Mobilisations- und Manipulationstechni-

ken der Extremitäten und der Wirbelsäule durchgearbeitet

und vertieft. In den folgenden zwei Wochen gab es dann

Unterricht von Ärzten wie Prof. Harald Brodin aus Schwe-

den, Dr. Allan Stoddard aus Großbritannien, Dr. Herbert

Frisch aus Deutschland sowie auch von James Cyriax. Im

Anschluss an diesen Kurs wurde eine schriftliche und prak-

tische Prüfung von den lehrenden Ärzten abgehalten.

An diesem Kurs nahmen 74 Therapeuten aus zwölf ver-

schiedenen Ländern teil. Für die praktische Prüfung wur-

den nur ein bis zwei Therapeuten pro Land zugelassen, die

dann später den Standard des IFOMT gewährleisten und

weitere Prüfungen in ihrem Land vornehmen sollten. Nach

dieser Prüfung wurden die Länder Australien, Kanada, Dä-

nemark, Finnland, Niederlande, Neuseeland, Südafrika,

Norwegen, Schweden, Großbritannien und die USA als

Mitglieder des Verbands akzeptiert. Allerdings erreichten

nur sechs Länder während der Prüfung den verlangten

Standard der Ausbildung. Dies waren Australien, Nieder-

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72 Kapitel 2 · Untersuchung

Prone knee bend (PKB)Der T bewegt das Kniegelenk passiv in Flexion.Wenn der P seine Symptome (z. B. in der vorderen Hüft- undOberschenkelregion) verspürt, so kann der T durch eine Late-ralflexion der LWS nach rechts bzw. nach links oder durch pas-sive Fußbewegungen in Dorsalextension und Plantarflexioneine Beteiligung von Neuralstrukturen nachweisen.Hinweis: Der PKB testet den N. femoralis (L1–L4) bzw. dengesamten Plexus lumbalis, zusätzliche Verstärkung erfolgtdurch Seitneigung der LWS und Hüftgelenksextension.

Palpation auf eine LeistenhernieDer T palpiert mit den Fingerspitzen auf dem Lig. inguinale.Anschließend soll der P einen Pressdruck ausüben (z. B. gegenseinen Handrücken blasen, ohne, dass die Luft entweicht)oder mehrere Male kräftig husten. Kann der T einen Wulst aufoder unterhalb der Leiste beobachten bzw. palpieren, odertreten Symptome während des Manövers auf, kann dies einHinweis auf eine Leistenhernie sein.Klinik: Die Hernia inguinalis kommt häufiger bei Männern (ca.80 %) vor. Eine Differenzialdiagnostik gegenüber inguinalenLymphknotenschwellungen ist erforderlich.

3 4

Palpation des N. cutaneus femoralis lateralisDer T palpiert die Durchtrittsstelle des Nervs durch das Lig.inguinale ca. 1 cm medial der Spina iliaca anterior superior(SIAS). Extension und Adduktion im Hüftgelenk sowie Seitnei-gung in der LWS kann den Palpationstest weiter sensibilisie-ren.Klinik: Der N. cutaneus femoralis lateralis erhält seine Inner-vierung aus den Segmenten L2/L3.Der Nerv kann z. B. durch direkte Traumata oder Druck in derLeiste irritiert werden. Symptome können in der anterolatera-len Hüft- und Oberschenkelregion auftreten.

Palpation des M. iliopsoasDer T legt seine Fingerspitzen lateral des Muskelbauchs desM. rectus abdominis auf.In einem Winkel von ca. 60° bewegt er vorsichtig die Finger-spitzen nach medial-posterior. Beurteilt wird der Spannungs-zustand des M. psoas major.Klinik: Der M. iliopsoas (M. psoas major) ist oft hyperton undschmerzhaft bei Hüftgelenksaffektionen, LWS- und ISG-Beschwerden, aber auch bei Erkrankungen bzw. Funktions-störungen verschiedener innerer Organe (z. B. Nieren, Kolon)sowie bei Dysfunktionen der Organe im kleinen Becken.

Zusatztests

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2.14 · Untersuchungsschema Knie273

2.14 Untersuchungsschema Knie

2.14.1 Basisfunktionsprüfung Knie

BereichslokalisationZunächst wird mit der Bereichslokalisation (⊡ Abb. 1, S. 75)

ermittelt, ob die Symptome, über die sich der Patient be-

schwert, direkt von Strukturen des Kniegelenks hervorge-

hen, oder ob andere Körperregionen bzw. Strukturen Sym-

ptome in die Knieregion übertragen (Referred pain).

Schmerzen an der Medialseite des Kniegelenks werden

häufig von einer Hüftpathologie übertragen. Für Sympto-

me an der Lateralseite und in der Kniekehlenregion kom-

men die LWS (Segmente L4–L5 und L5–S1) sowie (eher

selten) das ISG als Auslöser in Frage. Beschwerden im an-

terioren Bereich können aus der oberen LWS (v. a. Seg-

ment L3–L4) als übertragener Schmerz herrühren.

Auch periphere Nerven können die Ursache für Knie-

schmerzen sein. Der N. obturatorius (L2–L4) innerviert als

sensibler Endast den medialen Kapsel-Band-Apparat und

damit auch das Lig. collaterale mediale. Die posterioren

Kapsel-Band-Strukturen werden vom N. tibialis (L4–S3),

der laterale Kniegelenksanteil vom N. peroneus (L4–S2)

versorgt. Für die anterioren Kapsel- und Gelenkanteile ist

der N. femoralis (L2–L4) der innervierende Nerv. Der in-

feriore Kniebereich wird vom R. infrapatellaris aus dem

N. saphenus (L2–L4) versorgt.

Ist das Knie als Quelle der Symptome ermittelt, können

auch hier noch lokale Manöver durchgeführt werden, um

zwischen dem Femorotibialgelenk und dem Patellofemo-

ralgelenk zu differenzieren (⊡ Abb. 2, S. 75). Anschließend

erfolgt die komplette Funktionsuntersuchung bestehend

aus:

Aktiv-passiver Bewegungsprüfung am Kniegelenk� Flexion (⊡ Abb. 1, S. 75, unten)

� Extension (⊡ Abb. 2, S. 75, unten)

� Innenrotation (⊡ Abb. 3, S. 76)

� Außenrotation (⊡ Abb. 4, S. 76)

Translatorischer Bewegungsprüfung am Kniegelenk� Traktion/Kompression (⊡ Abb. 1, S. 76)

� Traktion/Kompression in BL (⊡ Abb. 2, S. 76)

� Gleiten nach anterior/posterior Medialseite

(⊡ Abb. 3, S. 77)

� Gleiten nach anterior/posterior Lateralseite

(⊡ Abb. 4, S. 77)

� Gleiten nach medial (⊡ Abb. 5, S. 77)

� Gleiten nachlateral (⊡ Abb. 6, S. 77)

� Gleiten im Patellofemoralgelenk

– nach lateral/medial (⊡ Abb. 7, S. 78)

– nach distal (⊡ Abb. 8, S. 78)

� Stellungstest am proximalen Tibiofibulargelenk

(⊡ Abb. 9, S. 78)

� Gleiten im proximalen Tibiofibulargelenk

(⊡ Abb. 10, S. 78)

Widerstandstests�Widerstandstest in Flexion (⊡ Abb. 1, S. 79)

�Widerstanstest in Extension (⊡ Abb. 2, S. 79)

�Widerstandstest in Innenrotation (⊡ Abb. 3, S. 79)

�Widerstandstest in Außenrotation (⊡ Abb. 4, S. 79)

2.14.2 Zusatztests für das Knie

Nach der Basisfunktionsprüfung erfolgt die Interpretation

der positiven Befunde (Interpretationshilfe ⊡ Tab. 3.8, S. 108).

In einigen Fällen kann keine eindeutige Zuordnung zu ei-

ner einzelnen Struktur getroffen werden oder die Kombi-

nation der einzelnen Befunde ergibt ein unklares Bild. Es

können aber auch mehrere Gewebearten betroffen sein.

Strukturen, die bei der Basisfunktionprüfung nicht

eindeutig bestätigt wurden, müssen daher mit Zusatztests

weiter geprüft werden. Dadurch sollen zum einen die Symp-

tome des Patienten bestätigt werden (Provokation und Lin-

derung des typischen Schmerzes), zum anderen vervoll-

ständigen sie die mechanische Untersuchung (spezielle

translatorische Tests, Tests zur Überprüfung der Mobilität

verschiedener Strukturen sowie Widerstandstests aus vor-

eingestellten Positionen). Je mehr Tests auf eine Struktur

hinweisen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass

dieses Gewebe auch wirklich betroffen ist.

Da das Kniegelenk ein überwiegend bandgeführtes Ge-

lenk ist, sind vor allem die Zusatztests auf Instabilität von

großem Interesse. Durch den geringen Informationsgehalt

der vielen existierenden Meniskustests werden nur drei der

wichtigsten aufgeführt.

Ausgewählte Zusatztests Provokationstests Patellofemoralgelenk� Patellakompression

– in leichter Flexion (⊡ Abb. 1, S. 80)

– in maximaler Flexion (⊡ Abb. 2, S. 80)

� Quadrizepswinkel (⊡ Abb. 3, S. 80)

� Zohlenzeichen (⊡ Abb. 4, S. 80)

�Widerstandstest in Extension in 0°/30°/60°/90°

(ohne Abb., der Widerstandstest erfolgt wie in

Abb. 2, S. 79, jedoch in unterschiedlichen Flexi-

onsstellungen des Knies, um die verschiedenen

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120 Kapitel 4 · Behandlung

4.3 Schulter

4.3.1 Weichteilbehandlung

Friktion der Sehne/des Muskel-Sehnen-ÜbergangsDer Arm des P wird in ca. 90° Abduktion eingestellt, damit dieSehne bzw. der Muskel-Sehnen-Übergang erreichbar ist. DieSehne findet man direkt medial vom Akromion in der Fossasupraspinata.Der T platziert seinen vom Zeigefinger gestützten Mittelfingerauf der Sehne und führt eine Pro- und Supinationsbewegungdurch, um die Sehne zu friktionieren.

Friktion der InsertionDer Arm des P wird in Extension eingestellt, damit dieInsertion erreichbar ist. Ab und zu kann auch eine zusätzlicheInnen- oder Außenrotation notwendig sein, um die Insertionzu erreichen. Die Insertion findet man direkt lateral vomSulcus bicipitalis auf dem Tuberculum majus.Der T platziert seinen vom Mittelfinger gestützten Zeigefingerdirekt auf der Insertion und führt eine Bewegung von antero-medial nach postero-lateral und umgekehrt durch. Der Tstützt seinen Daumen auf den lateralen Oberarm, um seineHand zu stabilisieren. Die Friktion erfolgt durch eine palmareund dorsale Bewegung im Handgelenk des T.

M. supraspinatus

1 2

WeichteilmanipulationDer Arm des P wird in Abduktion eingestellt, damit er mit vol-ler Kraft in Abduktion kontrahiert werden kann.Der P spannt den Arm mit voller Kraft in Richtung Abduktion.Während der maximalen Kontraktion bewegt der T den Armmanipulativ in Richtung Adduktion.Vorsicht: Es werden generell keine Weichteilmanipulationendurchgeführt, wenn das Verletzungsgebiet vorher mit einemsteroidalen Entzündungshemmer infiltriert wurde. Es bestehtdie Gefahr einer Totalruptur!

Friktion des MuskelbauchsDer Arm des P wird in ca. 90° Abduktion eingestellt, damit derMuskelbauch entspannt ist. Der T platziert mehrere Finger der einen Hand flächig auf demMuskelbauch und unterstützt sie mit den Fingern der anderenHand. Er bewegt die Finger quer über den Muskelbauch vonanterior nach posterior und umgekehrt.

3 4

▼ ▼

120_168_CyriaxBehandl_final 23.10.2006 12:18 Uhr Seite 120

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4.3 · Schulter4121

WeichteilmanipulationDer Arm des P wird in Mittelstellung eingestellt, damit er mitvoller Kraft in Außenrotation kontrahiert werden kann. Der P spannt den Arm maximal in Richtung Außenrotation.Während der maximalen Kontraktion bewegt der T den Armmanipulativ in Richtung Innenrotation.Vorsicht: Es werden generell keine Weichteilmanipulationendurchgeführt, wenn das Verletzungsgebiet vorher mit einemsteroidalen Entzündungshemmer infiltriert wurde. Es bestehtdie Gefahr einer Totalruptur!

Friktion der InsertionDer Arm des P wird in horizontale Adduktion und Außenrota-tion eingestellt, damit die Insertion erreichbar ist. Die Inser-tion findet man ca. 2 cm kaudal vom hinteren Akromionwin-kel auf dem mittleren Teil des Tuberculum majus. Der T platziert seinen vom Mittelfinger unterstützten Zeige-finger direkt auf der Insertion und führt eine Bewegung vonkranial nach kaudal und umgekehrt durch. Der T stabilisiertseine Hand mit dem auf dem Akromion liegenden Daumen.Die Friktion erfolgt durch eine palmare und dorsale Bewe-gung im Handgelenk des T.

M. infraspinatus

1 2

Weichteilmanipulation Der Arm des P wird in Mittelstellung eingestellt, damit er mitvoller Kraft in Innenrotation kontrahiert werden kann. Der P spannt den Arm maximal in Richtung Innenrotation.Während der maximalen Kontraktion bewegt der T den Armmanipulativ in Richtung Außenrotation.

Friktion der InsertionDer Arm des P wird in leichte Außenrotation eingestellt, damitdie Insertion erreichbar ist. Die Insertion findet man medialdes Sulcus bicipiatalis auf dem Tuberculum minus und derCrista tuberculi minoris.Der T platziert seinen vom Mittelfinger gestützten Zeigefingerdirekt auf der Insertion und führt eine Bewegung von kranialnach kaudal und umgekehrt durch. Der T stabilisiert seineHand mit dem auf dem Akromion liegenden Daumen. DieFriktionsbewegung erfolgt durch eine palmare und dorsaleBewegung im Handgelenk des T.

M. subscapularis

1 2

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Fallbeispiele

Matthias Löber

5.1 Die schmerzhafte Schulter – 170

5.2 Der Tennisellenbogen – 173

5.3 Das schmerzhafte Handgelenk – 177

5.4 Die eingeschränkte Hüfte – 180

5.5 Das instabile Knie – 183

5.6 Akutes Inversionstrauma – 186

5

169_188_CyriaxFallbeisp_final 23.10.2006 12:53 Uhr Seite 169

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170 Kapitel 5 · Fallbeispiele

5.1 Die schmerzhafte Schulter

5.1.1 Anamnese

Ein 47-jähriger Malermeister hat seit ca. vier Monaten ste-

chende Schmerzen im anterolateralen Oberarmbereich

rechts (⊡ Abb. 5.1). Die Beschwerden begannen eines Ta-

ges spontan während der Arbeit und nahmen danach im

Verlauf von zwei Wochen kontinuierlich zu, so dass er ei-

nen Arzt aufsuchte. Im Röntgenbild zeigte sich eine leich-

te Kalzifizierung subakromial rechts. Die medizinische

Diagnose lautet „subakromiales Impingement“.

Nach Einnahme eines nichtsteroidalen Entzündungshem-

mers wurden die Symptome um etwa die Hälfte reduziert.

Nachdem das Medikament ca. einen Monat abgesetzt war,

wurden die Schmerzen wieder so stark wie vor der Einnahme.

Die Beschwerden treten aktuell nach ca. zwei Stunden

des Anstreichens über Kopf auf, lassen aber nach wenigen

Minuten „Armschütteln“ wieder nach, so dass der Patient

den Arbeitstag relativ gut übersteht. In Ruhe bestehen kei-

ne Schmerzen, auch nicht nach einem Arbeitstag.

Seit einer Woche hat er morgens zusätzlich ein leichtes

Steifigkeitsgefühl in der Schulter, das aber nach ein paar

Bewegungen wieder verschwindet. Ansonsten bestehen

keine weiteren Beschwerden bzw. Begleitphänomene. Der

Patient hatte in seiner 30-jährigen beruflichen Tätigkeit

bisher keine Probleme, außer gelegentlichen Nackenver-

spannungen beidseitig. Seit sechs Monaten schwimmt er

regelmäßig zweimal pro Woche ohne Beschwerden.

Interpretation der Anamnese: endgradig auslösbare Symptome (kapsuligamentär,

Bursa subacromiodeltoidea, ACG)

Verlauf relativ gleichbleibend

geringe Irritierbarkeit

5.1.2 Bereichslokalisation und Basisfunk-tionsprüfung

In der symptomprovozierenden Position (Elevation über

Abduktion bei ca. 110°) zeigt sich nach verschiedenen dif-

ferenzialdiagnostischen Manövern (� Abb. 1, S. 36), dass

die Symptome des Patienten von Strukturen des Gleno-

humeralgelenks hervorgerufen werden. Daraufhin erfolgt

nun die Basisfunktionsprüfung der Schulter (⊡ Tab. 8.1).

Abb. 5.1. Körperkarte für das Fallbeispiel „schmerzhafte Schulter”✔ = z. Zt. keine Beschwerden

⊡ Tab. 5.1. Aktiv-passive Basisfunktionsprüfung der Schulter

SGÜ/Schulter aktiv passiv

Heben beider Arme (HBA) FLEX (nur aktiv)

Elevation über Abduktion P. A. 90° 110°/typ. S.

Elevation über Flexion EoR/typ. S. 160°/typ. S.

Glenohumeralgelenk aktiv passiv

Flexion – –

Extension – EoR/typ. S.

Abduktion 45°/typ. S. re: 60°/typ. S.++li: 95°

Adduktion – –

Innenrotation EoR/typ. S. –

Außenrotation – EoR/typ. S.

Stellungstest –

Traktion –

Kompression –

Gleiten nach kaudal –

Gleiten nach dorsal „unangenehm“

Gleiten nach ventral –

WT in Abduktion –

WT in Adduktion typ. S.

WT in Innenrotation typ. S.

WT in Außenrotation –

WT in Ellenbogengelenks-flexion

WT in Ellenbogengelenks-extension

typ. S.

Legende ⊡ S. 174

Schmerz 1

✔ ✔

✔ ✔

✔✔

✔✔✔

169_188_CyriaxFallbeisp_final 23.10.2006 12:54 Uhr Seite 170

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5.1 · Die schmerzhafte Schulter5171

5.1.3 Hypothesenbildung

Interpretation der aktiv-passiven Bewegungsprüfung:Nach der Basisfunktionsprüfung zeigt sich, dass vor allem

die Abduktion die am meisten provozierende Bewegung

darstellt. In Verbindung mit den anderen Bewegungen er-

gibt sich daraus eine schmerzhafte Bewegungseinschrän-

kung im nichtkapsulären Muster.

Interpretation der positiven Widerstandstests:Wenn zunächst nur die kontraktilen Strukturen (Muskel-

bauch, Muskel-Sehnenübergang, Sehne und Insertion) als

mögliche Ursache der Schmerzen betrachtet werden, so

müssten demnach bei drei positiven Widerstandstests vie-

le Muskeln betroffen sein (� Kap. 3.3, S. 102 f.). Die Wahr-

scheinlichkeit dafür ist gering.

Weiterhin wären bei den Widerstandstests in Adduk-

tion und Innenrotation Muskeln betroffen, die über eine

breite Insertionsfläche am Humerus verfügen (z. B. M. la-

tissimus dorsi, M.pectoralis major, M.subscapularis). Mus-

keln, die über eine große Insertionsfläche verfügen, neigen

aber seltener zu einer Insertionstendopathie.

Daher ist die Hypothese einer Irritation der subakro-

mialen Strukturen und des Akromioklavikulargelenks eher

wahrscheinlich, da hier verstärkt Kompression während

der Widerstandstests auftritt.

5.1.4 Zusatztests

Aufgrund der oben erwähnten Überlegungen kommen fol-

gende Zusatztests in Frage:

positive Widerstandstests mit kaudalem Zug

(� Kap. 2.6, S. 46)

Bursa-Klopftest (� Kap. 2.6, S. 45)

ACG-Provokationstests in horizontaler Adduktion

und Adduktion/Innenrotation (� Kap. 2.6, S. 44)

spezifische Palpation ACG

Nach Ausführung der Zusatztests zeigen sich die positiven

Widerstandstests unter zusätzlichem kaudalen Zug beim

Patienten weniger schmerzhaft als ohne Kaudalzug. Der

Bursaklopftest und die ACG-Provokationstests sind weni-

ger aussagekräftig.

Formulierung einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose bzw.-hypothese:→ chronische Irritation der Bursa subacromiodeltoidea

5.1.5 Probebehandlung

Behandlungsziel: Die Verbesserung der Gleitfähigkeit der

Bursablätter zwischen der Rotatorenmanschette und dem

Akromion.

Technik: schmerzfreie Gleittechniken (anterior-posterior

und lateral-medial) zwischen dem Humeruskopf und dem

Akromion in Annäherung an die symptomauslösende Ab-

duktionsstellung (⊡ Abb. 1, S. 172)

Nach der Probebehandlung erfolgt direkt eine Über-

prüfung der Hauptbefunde aus der Untersuchung, um die

vorläufige Wahrscheinlichkeitsdiagnose bzw. -hypothese

zu bestätigen oder um sie zu verwerfen. In diesem Fall müs-

sen weitere Testverfahren herangezogen werden.

5.1.6 Behandlungsplan und -progression

Lokale Durchblutungsverbesserung durch Senkung

der sympathischen Reflexaktivität durch Behand-

lung des vegetativen Ursprungsgebiets der oberen

Extremität (ca. T3/T4–T8/T9; � Kap. 4.2, S. 119)

Mobilisation des zervikothorakalen Übergangs

(⊡ Abb. 4, S. 172) zur Verbesserung der Extension

Verbesserung/Wiederherstellung des skapulohume-

ralen Rhythmus, um die subakromiale Druckkom-

ponente zu reduzieren

� Dehnung bzw. Entspannung des M. levator sca-

pulae (⊡ Abb. 3, S. 172)

� Kräftigung des M. serratus anterior z. B. in Form

von abgewandelten Liegestützen in verschiede-

nen Positionen (vertikal bis horizontal). Hierbei

ist wichtig, dass die Ellenbogen extendiert gehal-

ten werden, damit die Bewegung aus dem Schul-

tergürtel erfolgt.

Die Bursae subacromialis und subdeltoidea, zusam-mengefasst zur Bursa subacromiodeltoidea (SAD)liegen zwischen Caput humeri und Akromion, evtl.M. deltoideus. Die SAD absorbiert die bei Bewegun-gen im GHG auftretende Reibung, um die Sehnender Rotatorenmanschette und die Gelenkkapsel zuschützen. Dies erfolgt durch ihre zwei Blätter, diedurch einen dünnen Flüssigkeitsfilm voneinandergetrennt sind.

MEMO

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172 Kapitel 5 · Fallbeispiele

5.1.7 Klinisches Beispiel: chronische Bursitis subacromiodeltoidea (rechts)

ScoopingsDie Ausgangsstellung ist identisch mit der von ⊡ Abb. 1.Der T umgreift den Ellenbogen und bewegt den Arm des P imGlenohumeralgelenk aus einer Extensions-Außenrotations-position in eine Flexions-Innenrotationsposition.Anschließend erfolgt die Bewegung umgekehrt, so dass eine„schaufelartige“ (Scooping-) Bewegung entsteht.Hierdurch folgt das Caput humeri der halbgebogenen Krüm-mung des Akromions.

Subakromiales Gleiten (Traktion/Kompression)Die Skapula des P wird mit einem Gurt fixiert. Der T fixiert mit der einen Hand die Skapula zusätzlich durchKontakt am Akromion und am Proc. coracoideus. Der T um-fasst den Arm des P und bewegt ihn bis zu der Position, inwelcher die Symptome und/oder die Bewegungseinschrän-kung auftreten. Anschließend übt der T mit dem Arm eine horizontaleTraktion und Kompression im Wechsel aus, so dass eineGleitbewegung im subakromialen Raum entsteht.

Behandlungsmöglichkeiten

1 2

Mobilisation des CTÜDer T umgreift mit einer Hand von ventral die Procc. spinosider unteren HWS, um zu verhindern, dass die Mobilisations-bewegung im CTÜ eine weiterlaufende Bewegung in der HWSerzeugt.Er platziert seine andere Hand auf das hypomobile Segment,so dass das Thenar und Hypothenar auf dem Proc. transversiliegen.Der T führt nun eine Bewegung in ventrale Richtung durch,damit eine Traktion der Facettengelenke entsteht.Ziel: Durch eine verbesserte Extension im CTÜ/BWS wird dasSchultergelenk während der Arm-ELEV weniger belastet.

Dehnung/Entspannung des M. levator scapulaeDie HWS des P wird in Flexion, Seitneigung und Rotation nachrechts eingestellt. Der T fixiert diese Position mit seiner Hand.Mit seiner anderen Hand bewegt er die Skapula in eine kauda-le und laterale Richtung, so dass der M. levator scapulae ange-spannt wird. Der P kontrahiert seine Skapula gegen denWiderstand des T. Anschließend entspannt der P und der T versucht, die Skapulaweiter in kaudale Richtung zu bewegen.Ziel: Verbesserung der Muskelbalance zwischen M. levator sca-pulae (eher hyperton) und M. serratus anterior (eher hypoton),um den subakromialen Druck während Arm-ELEV zu minimieren.

3 4

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5.2 · Der Tennisellenbogen5173

5.2 Der Tennisellenbogen

5.2.1 Anamnese

Ein 43-jähriger Mann beklagt sich seit etwa acht Monaten

über Schmerzen im lateralen Ellenbogen links. Die Be-

schwerden entwickelten sich, nachdem der Patient zwei

Tage lang Holzsägearbeiten durchführte, zunächst akut für

ca. eine Woche. Die Beschwerden stiegen dann innerhalb

von zwei Monaten langsam an und sind seitdem relativ

gleichbleibend. Die Schmerzen treten vor allem beim Grei-

fen schwerer Gegenstände (z. B. Werkzeuge etc.) mit der

linken Hand auf. Das Greifen leichterer Gegenstände (z. B.

ein Glas) schmerzt nur, wenn der Patient diesen Gegen-

stand mit extendiertem Ellenbogen hochhebt. Nach länge-

rer (ca. 2–3 Std.) handwerklicher Tätigkeit (der Patient ist

Hausmeister in einer Schule) halten die Schmerzen für etwa

eine Stunde auch in Ruhe an, um danach wieder auf das

Ausgangsniveau abzusinken.

Die ärztliche Diagnose ergab nach einem negativen radio-

logischen Befund eine Epicondylitis lateralis des linken

Ellenbogens. Die Insertionsstelle der Ellenbogenextenso-

ren des Patienten wurde daraufhin dreimal mit einem kor-

tikoidhaltigen Medikament infiltriert, wodurch sich die

Symptome für etwa eine Woche besserten, anschließend

jedoch innerhalb weniger Tage wieder zunahmen.

Zusätzlich wurde noch eine 6-malige Ultraschall-

behandlung durchgeführt, die aber ebenso die Symptoma-

tik nicht wesentlich beeinflusste.

Der Patient klagt weiterhin über zeitweise auftretende

Schmerzen in der unteren Zervikalregion und in der mitt-

leren Brustwirbelsäule. Diese Beschwerden hat der Patient

bereits seit etwa vier bis fünf Jahren, sie wurden jedoch

noch nicht behandelt (⊡ Abb. 5.2).

Interpretation der Anamnese: therapieresistente Epicondylitis lateralis

mögliche Beteiligung der Halswirbelsäule bzw. neu-

raler Strukturen an der Symptomatik (Körpertabelle

und Langzeitgeschichte)

mittlere Irritierbarkeit (Schmerzauftritt erst nach

2–3 Stunden Belastung, halten jedoch eine Stunde an)

5.2.2 Bereichslokalisation und Basisfunk-tionsprüfung

In der symptomprovozierenden Position (aktiver Faust-

schluss und Anheben des im Ellenbogen extendierten

Arms) werden verschiedene differenzialdiagnostische

Manöver durchgeführt, um z. B. eine Beteiligung der HWS

und neuraler Strukturen auszuschließen. Dies können z. B.

manuelle Kompression und Traktion sowie aktiv-passive

Bewegungen der Halswirbelsäule sein (� Kap. 2.8, S. 48).

Die Bereichslokalisation ergibt, dass die Symptome des Pa-

tienten eher von lokalen Strukturen des Ellenbogengelenks

hervorgerufen werden. Daraufhin erfolgt nun die Basis-

funktionsprüfung des Ellenbogens (⊡ Tab. 5.2, S. 174).

Abb. 5.2. Körperkarte für das Fallbeispiel „Tennisellenbogen”✔ = z. Zt. keine Beschwerden

Schmerz 3

Schmerz 2

✔ ✔

✔ ✔✔

✔ ✔

Als klassischer Tennisellenbogen wird oft eine Affek-tion der Handgelenksextensoren im Bereich ihres Ur-sprungs am Epicondylus lateralis humeri bezeichnet. Es werden fünf Formen unterschieden:Typ 1: Ursprung des M. extensor carpi radialis longus

(sehr seltene Form)Typ 2: Ursprung des M. extensor carpi radialis brevis

(häufigste Form der Epicondylitis lateralis, oftin Kombination mit Typ 5)

Typ 3: Sehne des M. extensor carpi radialis brevisTyp 4: Muskel-Sehnen-Übergang bzw. Muskelbauch

des M. extensor carpi radialis brevisTyp 5: Ursprung des M. extensor digitorum

Differenzialdiagnostisch sollte auch an Ursachen ausanderen Regionen gedacht werden (häufig HWS).

MEMO

Schmerz 1

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