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Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts Abteilung Wissenschaft und Bildung Redaktion: Carsten Schroeder Deutschlandfunk Studiozeit Aus Kultur und Sozialwissenschaften VATER UND SOHN Soziale und seelische Bedeutung eines Männerbundes Feature von Andrea und Justin Westhoff Christi Himmelfahrt, Donnerstag, 17.05.2012 20.05 - 21.00 Uhr Aufnahmedatum: Sprecher: Nicole Kleine Justin Westhoff Helmut Gauß URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken verwendet werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig DeutschlandRadio Raderberggürtel 40 50968 Köln Telefon Hörerservice: 0221-345-1831

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Deutschlandradio Körperschaft des öffentlichen Rechts Abteilung Wissenschaft und Bildung Redaktion: Carsten Schroeder

Deutschlandfunk

Studiozeit

Aus Kultur und Sozialwissenschaften

VATER UND SOHN Soziale und seelische Bedeutung eines Männerbundes

Feature von Andrea und Justin Westhoff Christi Himmelfahrt, Donnerstag, 17.05.2012 20.05 - 21.00 Uhr

Aufnahmedatum: Sprecher: Nicole Kleine Justin Westhoff Helmut Gauß

URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken verwendet werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig

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M1: Rühmann (0’15“)

Wenn der Vater mit dem Sohne einmal ausgeht

und dann keiner gern nach Haus geht,

dann erleb’n sie unterwegs die dollsten Sachen

mal zum Weinen - mal zum Lachen …

Zit.: Nicht Fleisch, nicht Blut, die Liebe macht uns zu Vätern und Söhnen.

Sprin: Friedrich Schiller

Regie: M2 Musikakzent (Chaplin „The Kid“)

Zit.: Den Vater kann man bewundern; man kann bei ihm geborgen sein oder ihn

fürchten – schließlich ihn missachten.

Sprin: Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich.

Regie: Musikakzent (s.o.)

Zit.. Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, dem Enkel zerfällt’s.

Sprin: … sagt der Volksmund.

Regie: Musikakzent (s.o)

Sprin: Und Franz Kafka schreibt in seinem „Brief an den Vater“

Zit.: In deinem Lehnstuhl regiertest du die Welt. Deine Meinung war richtig, jede

andere war verrückt, überspannt, meschugge, nicht normal.

M3: Ton, Steine, Scherben

Aber ich will nicht werden, was mein Alter ist. Nee!

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Ich will nicht werden, was mein Alter ist.

Zit.: Wenn ein Mann in der Therapie weint, ist es fast immer wegen seines Vaters.

Sprin: … behaupten die amerikanischen Psychologen Dan Kindlon und Michael

Thompson.

Regie: M2 – Musikakzent (s.o.)

Zit.: "Vater werden ist nicht schwer,

Vater sein dagegen sehr."

Sprin: … dichtete schon Wilhelm Busch.

Aber es kann Spaß machen. Der Fußballer Andreas „Zecke“ Neuendorf mit

seinem Sohn in einem Werbespot für ein Vater-Sohn-Turnier:

M4: Werbespot auf Musik (0’15“)

(Vater:) Ihr könnt weiter in der Bude hocken.

(Sohn:) Mammi in der Küche helfen, Euch die Haare schön machen.

(Vater:) Oder Ihr kommt endlich raus und spielt. Du und Dein Sohn.

(Sohn:) Du und Dein Vater.

Sprin: Die Beziehung zwischen Vater und Sohn – vielschichtig, mal innig, mal

konfliktvoll. In der Geschichte hing manchmal das Schicksal ganzer Völker

daran, wenn um die Herrschaftsnachfolge gestritten wurde. Oder es kann um

Wohl und Wehe eines Unternehmens gehen, wenn die Firmenpatriarchen nicht

loslassen oder die Jungen nicht in die großen Fußstapfen treten können. Kunst

und Literatur beschäftigten sich zu allen Zeiten mit der Vater-Sohn-Beziehung:

die Symbiose zwischen Mozart und seinem Vater, das Leiden Kafkas unter der

väterlichen Übermacht oder die Ambivalenz zwischen Thomas und Klaus Mann.

Bisweilen sorgen solche Konflikte für aktuelle Schlagzeilen, etwa wenn der Sohn

von Helmut Kohl in einem Buch öffentlich seine lieblose Kindheit verarbeitet.

Vater und Sohn – Zwei Seiten einer Medaille. Väter sind immer auch Söhne und

Söhne die potentiellen Väter von morgen.

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Regie: M5 (Clapton, instrumental)

Zit.: Patriarch und Papa Patriarch und Papa Patriarch und Papa Patriarch und Papa –––– Väter Väter Väter Väter---- und Männerbilder und Männerbilder und Männerbilder und Männerbilder

Regie: Musik kurz hoch und weg

Sprin: Die Art der Wertschätzung des Vaters wandelt sich mit den Zeiten. So dachten

sich die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhunderts beispielsweise einen Vatertag

aus, der im Juni stattfindet – parallel zum Ehrentag für die Mütter. Hierzulande

gibt es den Vatertag schon länger, sinnigerweise an Christi Himmelfahrt.

Vermutlich kam der Brauch Ende des 19. Jahrhunderts auf, zunächst in Nord-

und Ostdeutschland.

Regie: M6 – Atmo Vatertag

Spr: Kernelement war und ist die „Herrenpartie“, eine Fahrt mit Kutsche oder

Traktor-Anhänger oder aber Umzüge zu Fuß, in dem Fall mit einem kleinen

„Bollerwagen“ oder einer Schubkarre – dringend notwendig, um das längst

Wichtigste, um die alkoholischen Getränke zu transportieren. Meist ist der

Vatertag mittlerweile Gelegenheit für grölende junge Männer, die saufend und

raufend Männlichkeitsrituale zelebrieren. Ob sie die von ihren Vätern

abgeschaut haben, sei dahingestellt.

Sprin: Die Vaterposition war immer und ist weiter schwierig: Die Beziehung eines

Mannes zu seinem Kind ist nicht naturgegeben, sie muss gewollt und

entwickelt werden. Abgesehen von persönlichen Einstellungen hat jede Zeit ihr

Vaterbild, bestimmt durch die Kultur und Gesellschaft, umgekehrt diese auch

prägend.

O-Ton 1: von der Leyen (0'07")

Väter, die aktive Väter sind, sind keine Weicheier, meine Damen und Herren, sondern sie

sind das Trendmodell der Zukunft. (Klatschen, abgeblendet)

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Sprin: … rief Ursula von der Leyen, damals noch Familienministerin, 2006 auf einem

CDU-Parteitag denen zu, die gegen Vätermonate beim Elterngeld waren.

Thomas aber ist einer dieser Trendsetter:

O-Ton 2: Thomas (0'15")

Meine Frau war das erste Jahr mit ihr zuhause, weil ich sie ja nicht stillen kann, aber jetzt,

nachdem das so über die Elterngeldregelung möglich ist, werde ich auf jeden Fall die zwei

Monate Elternzeit nehmen und dann die anderen Monate noch verkürzt arbeiten, bis sie

zwei Jahre ist.

Sprin: André Stern ist Autor des Buches „Mein Vater, mein Freund – das Geheimnis

glücklicher Söhne“.

O-Ton 3: Stern Sohn (0’20“)

Ich glaube, wie haben das große Glück, dass im Moment neue Paradigmen entstehen

können, und dass Väter nicht mehr nur die Rolle spielen, die man von ihnen Jahrzehnte

lang erwartet hat, und es ist sehr wichtig, dass es neue Vorbilder gibt, damit neue

Vätertypen entstehen können, Frauen von heute brauchen Männer von morgen, und daran

möchte ich arbeiten.

Sprin: Gemessen an den politischen Debatten und dem Medienecho scheint es so, als

sei der Typ „neuer Vater“ das aktuelle Leitbild. Die meisten jungen Frauen

wünschen sich, dass die Lasten der Kinderversorgung ebenso wie

Karrieremöglichkeiten partnerschaftlich geteilt werden. Das haben auch alle

Shell-Jugendstudien der vergangenen Jahre gezeigt, die der Bildungsforscher

Professor Klaus Hurrelmann seit langem leitet. Die potentiellen neuen Väter

selbst sind mehrheitlich zurückhaltender:

O-Ton 4: Hurrelmann (0’55“)

60 Prozent sind dazu nicht bereit. Wir haben aber die 40 Prozent der jungen Männer, die

bereit sind sich zu bewegen, die sich auch schon bewegt haben, die die Einstellung haben,

„so, ich muss es anders machen als mein Vater und mein Großvater, ich sehe auch als

eine Chance für mich, dass ich rauskomme aus die Rollengefängnis, der Starke und der

Fürsorger und der Brotverdiener zu sein, endlich kann ich mich da auch befreien und kann

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mit meiner Partnerin zusammen daraus einen neuen und offeneren Weg gestalten“. Das

geht in die Richtung von mehr Weichheit, Offenheit, Gefühle zulassen, auch Bereitschaft

mit Kindern umzugehen, sich auf sie einzulassen, kritisch wird’s auf der Zeitachse, ob

wirklich dann, wenn man berufstätig ist, auch die Zeit frei gemacht wird, um sich um

eigene Kinder zu kümmern, viele junge Männer sind da noch sehr unsicher.

Sprin: Wer es dann tatsächlich probiert, kann viel gewinnen, sagt Thomas aus

Erfahrung mit seinem dritten Sprössling:

O-Ton 5: Thomas (0'07")

Also ich hab noch zwei ältere Söhne, und rückblickend kann ich sagen, wir haben ein

engeres, ein anderes Verhältnis als zu meinem größeren Sohn.

Sprin: Neu an den neuen Vätern ist zum Beispiel, dass sie sich absetzen vom Vater als

Familienoberhaupt an der Spitze einer strengen Hierarchie.

Zit.: Nach Gott kommt gleich der Papa …

Sprin: … hat Mozart, als Knabe, über seinen Vater gesagt.

Lange Zeit, bis weit hinein ins 18. Jahrhundert, war das europäische Vaterideal

der „pater familias“ – der Ernährer und Beschützer, der die Familie nach außen

vertrat, in der römischen Antike noch der Hausherr, dessen Macht und zugleich

Verantwortung sich nicht nur auf die leiblichen Nachkommen, sondern auf alle

unter einem Dach lebenden Menschen bezog. Zu den Kindern hält er bewusst

Distanz, das wird als Voraussetzung für die Möglichkeit von Erziehung

überhaupt angesehen. Zu große Nähe, Gefühle gelten als Schwäche, mindern

Respekt und Autorität. Besonders Jungen werden mit Härte behandelt, um sie

hart zu machen.

So ist der Vater nicht selten der Schrecken der Kindheit, wie ihn Friedrich

Schiller in seinem "Don Carlos" beschreibt:

Regie: M2 – Musik unter Gedicht

Zit.: Nein, o Gott! Ich hasse meinen Vater nicht,

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doch Schauder und Höllenangst ergreifen

bei den zwo fürchterlichen Silben mich,

als hört ich alle Sünden meines Lebens

am Tag des Weltgerichts herunterlesen.

Kann ich dafür, wenn eine viehische

Erziehung schon in meinem jungen Herzen

der Kinderliebe zarten Keim zertrat?

Sprin: Das patriarchale Vaterbild ist auch entscheidend geprägt durch die jüdisch-

christliche Kultur.

Regie: Sprin und Zit. übereinander legen“

Sprin: Vater unser, der du bist im Himmel, // geheiligt werde dein Name, dein Reich

komme // dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden...

Zit.: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, // den Schöpfer des Himmels

und der Erde. // Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, // unsern

Herrn ...

Sprin: Nach jüdischer Vorstellung ist Gott Vater aller Menschen: in vielen Geschichten

als der strenge Patriarch beschrieben, bedingungslose Unterwerfung fordernd.

In der christlichen Botschaft ist er der Vater eines Sohnes, so treten neben

Macht und Gehorsam auch Momente von väterlicher Liebe und Fürsorglichkeit

auf.

Aber es sind auch gesellschaftliche Veränderungen, die das streng patriarchale

Vaterbild bröckeln lassen. Die Häuser, über die der pater familias Herr ist,

werden kleiner, viele der früheren Vaterfunktionen gehen verloren. Im Zuge der

Industrialisierung schließlich verändert sich die Arbeitswelt und damit auch die

Vaterschaft grundlegend:

Regie: Musik M2 unter Gedicht

Zit.: Der Mann muss hinaus

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Ins feindliche Leben,

Muss wirken und streben

Und pflanzen und schaffen,

Erlisten, erraffen,

Muss wetten und wagen

Das Glück zu erjagen.

(…)

Und drinnen waltet

die züchtige Hausfrau,

die Mutter der Kinder,

und herrschet weise

im häuslichen Kreise.

Sprin: In seinem Gedicht „Die Glocke“ zeichnet Friedrich Schiller das neue

Familienbild seiner Zeit: Der Vater ist draußen: Versorger, unerlässlich für das

Wohl aller, mächtig zwar, aber ohne praktischen Einfluss, ein König, fremd in

seinem Reich. Zudem verliert der Vater mit der raschen Entwicklung der

modernen Arbeits- und Lebenswelt an Anschaulichkeit: Die Regeln, Normen

und Erfahrungen, die er in seiner Jugend macht, gelten eine Generation später

nicht mehr viel, er kann kaum noch Lehrer sein. In der jüngsten Geschichte

verschärft sich diese Situation noch, sagt Hans Bertram, Professor für

Makrosoziologie an der Berliner Humboldt-Universität:

O-Ton 6: Bertram (0’14“)

In der Nachkriegsgeschichte Deutschlands, beim Wiederaufbau das war eine Industrie-

gesellschaft mit Schichtbetrieb, es wurde auf die Familie keine Rücksicht genommen, und

man ging davon aus, dass der Mann dem Arbeitsplatz immer dann zur Verfügung steht,

wenn der Arbeitgeber das will.

Sprin: Gewiss gab es dagegen immer auch Widerstand: Beispielsweise kämpften die

Gewerkschaften schon in den 50er Jahren um mehr Zeit für die Familie mit dem

Slogan „Samstags gehört Vati mir!“. In den letzten Jahren schließlich mehrten

sich Ansätze, welche die Konturen eines neuen Vaterbildes deutlicher werden

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lassen. Eberhard Schäfer, Geschäftsführer eines Berliner „Väterzentrums“ ganz

zuversichtlich:

O-Ton 7: Schäfer (0’16“)

Dass es so was gibt wie Väterzentren oder dass es wirklich ganz schnell ging, dass die

Väter diese Elternzeit angenommen haben, das sind für mich ganz deutliche Zeichen, dass

die Väter mehr und intensiver sich um ihre Kinder kümmern wollen als meinetwegen die

Generation davor.

Regie: M7 – Musik (Cocker, vocal)

Sprin: Aber obwohl jetzt soviel geredet und auch einiges getan wird für die neue, die

fürsorgliche Vaterschaft: Die Zahlen zeigen insgesamt ein anderes Bild:

Spr: Nur jeder fünfte Mann fragt in seinem Unternehmen überhaupt nach Elternzeit,

und die allermeisten von ihnen bleiben nur zwei Monate zu Hause;

teilzeitbeschäftigte Väter gibt es praktisch kaum. Und: Laut einer Studie der

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit dem Titel „Männerleben“

arbeiten die Herren nach der Geburt des ersten Kindes tendenziell sogar mehr

als vorher.

Sprin: Dass der „neue Vater“ noch längst nicht das vorherrschende Modell darstellt,

bestätigt auch Dr. Dag Schölper, Geschäftsführer des „Bundesforum Männer“.

O-Ton 8: Schölper (0’40“)

Wir haben zwei parallel funktionierende Leitbilder: Das eine ist ein sehr positives, ein

neues, also partnerschaftliches, gemeinsam mit der Mutter sich stark in die

Kindererziehung und in die unmittelbare Betreuung einzubringen, und auf der anderen

Seite das weiterhin bestehende Modell des Vollzeit erwerbstätigen Mannes und das eben

auch als Teil von Väterlichkeit zu begreifen, zu sagen, er ist nach wie vor der

Haupternährer oder der Hauptverdiener, und das beißt sich ein stückweit, und ich glaube

aber, dass diese Wahrnehmung dessen, dass sich das beißt, schon auch als Fortschritt zu

begreifen ist, und jetzt stärker geguckt wird, wie kommen wir eigentlich daraus und wie

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kriegen wir gute Brücken hin, um aus der Arbeitswelt in die Familie zu wechseln und

umgekehrt.

Sprin: Das zentrale Element des patriarchalen Vaterbildes ist bis heute sichtbar: der

Versorger. Für nahezu zwei Drittel der jungen Männer ist es sehr wichtig, erst

einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und eine Familie ernähren zu können,

bevor sie Vater werden. Jugendforscher Klaus Hurrelmann:

O-Ton 9: Hurrelmann (0’43“)

Man kann fast sagen, die jungen Männer in Deutschland sperren sich in einem

traditionellen Rollengefängnis von Männlichkeit ein. Der Mann hat die Verantwortung als

Broterwerber tätig zu sein, das ist durchaus auch eine Belastung, man darf hier nicht nur

spöttisch auf die jungen Männer schauen, und welcher junge Mann wird belohnt dafür,

dass er sagt, „ja ich werde mich auch in die Erziehung meiner Kinder einmischen, ich

werde auch für einige Zeit den Haushalt übernehmen“, das ist noch gewöhnungsbedürftig,

während bei den jungen Frauen, die sagen, „ja ich will selbstverständlich auch berufstätig

sein“, schon die öffentliche Meinung, die Familienmeinung, die Gleichaltrigen, die

Freunde, im großen und ganzen nur durchgehend mit Zustimmung reagieren.

Sprin: Die Diskrepanz zwischen Wollen und Machen hat aber auch mit den Realitäten

der Arbeitswelt zu tun. Dag Schölper:

O-Ton 10: Schölper (0’30“)

Natürlich: Fragen der Arbeitszeit sind ganz wichtig, es muss gerade auf den Bereich

dessen, was übertariflich mehr gearbeitet wird, geschaut werden, dass wenigstens das

eingehalten wird, was im Arbeitsvertrag steht, ich denke da haben Männer ein ganz großes

Dilemma, dass sie einen Druck verspüren, etwas vorspiegeln zu müssen an Geschäftigkeit,

Tätigkeit, Anwesenheit, dass ihnen das Leben furchtbar schwer macht. Also selbst dann,

wenn sie nur ihre 40 Stunden arbeiten oder ihre 38, müssen sie ja auch noch sagen, sie

würden unendlich viel mehr arbeiten.

Sprin: Neue Arbeitszeitmodelle könnten Abhilfe schaffen, bei denen beispielsweise

Väter und Mütter in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes je 30

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Stunden arbeiten. Bisher aber hapert es an ganz praktischen Dingen, die

modernen Vätern das Leben erleichtern könnten.

O-Ton 11: Schölper (0’20“)

Wenn die Wickeltische in Unternehmen nur in den Frauen-WCs angebracht sind, dann gibt

es da Probleme für Männer mit Vereinbarkeit. Also es sind oft so ganz alltägliche Dinge,

die aber in den Blick kommen müssen, die es Vätern schwermachen. Vor allem, wenn sie

es nicht in der Selbstverständlichkeit erleben: „ach das ist vom Arbeitgeber in Ordnung,

wenn ich mal mein Kind stundenweise mitbringe“, so lange das nicht da ist, kommen sie

auch nicht auf den Gedanken.

Sprin: Zudem fehlt jungen potentiellen Vätern selbst ein klares Vorbild durch

wiederum ihre Väter, meint Jugendforscher Klaus Hurrelmann:

O-Ton 12: Hurrelmann (0’12“)

Hier haben wir ja vor allem die Bereitschaft der Väter, der heutigen Väter, zu akzeptieren,

dass ihre Töchter einen neuen Weg gehen. Die Unterstützung bei den Söhnen sieht nicht

so eindeutig aus. Da sind auch die Väter ambivalent. Da hat sich nicht so viel bewegt auf

der Vaterseite, was die männliche Rolle und die Unterstützung von Söhnen betrifft.

Regie: M7 – Musik (Cocker instrumental)

Sprin: Das Festhalten an veralteten Vaterbildern und deren machtvolle Wirkung zeigt

sich hier und heute vor allem in den muslimischen Migrantenfamilien, so

zumindest das gängige Klischee: Der Vater als „Pascha“ und die Söhne

selbstverständlich in seinen Fußstapfen. Aber so einfach ist das nicht:

O-Ton 13: Hurrelmann (0’48“)

Die soziale Herkunft spielt eine enorme Rolle dafür, wie man als junger Mann, als junge

Frau, seine eigene Rolle definiert. Das heißt konkret vor allem, je höher der Bildungsgrad

der Väter, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Väter über ihre

Geschlechtsrolle schon nachgedacht und hier und da Korrekturen vorgenommen haben,

und hier haben es die jungen Männer besonders schwer, bei denen die Väter noch eine

ganz traditionelle Elternrolle spie-len, und darunter sind naturgemäß dann viele mit einem

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Zuwanderungshintergrund, wobei der Zuwanderungshintergrund kaum die Hauptrolle

spielt, sondern die Höhe des Bildungsniveaus, und da haben wir eben in Deutschland sehr

viele Zuwanderer, die mit einem verhältnismäßig niedrigen Bildungsniveau gekommen

sind, das ist der entscheidende Punkt hier.

Sprin: Formal sind in eher konservativen muslimischen Familien die patriarchalen

Strukturen nahezu unangefochten: Der Vater ist das Familienoberhaupt, für die

grundsätzlichen Vermittlung von Werten, Regeln und Ritualen zuständig, die

Mutter für die praktischen Alltagsdinge, gerade, was die Kinder angeht. Faktisch

aber haben Väter des Öfteren die Rolle des „geduldeten Tyrannen“: Der Rest

der Familie nimmt ihn nicht mehr ganz ernst und versucht, ihn möglichst

geschickt zu umgehen. Die Väter spüren dieses Nicht-dazu-Gehören mehr und

mehr, sagt der Psychologe Kazim Erdogan:

O-Ton 14: Erdogan (0’30“)

Die türkischen Väter, die Probleme haben, deren Zahl von Monat zu Monat, weil die Zahl

der Scheidungen sich dramatisch erhöht haben, und weil es immer mehr türkische Väter

gibt, die keine Rolle haben. Also diese typische Rolle für Männer mit türkischer Erziehung

nicht mehr vorhanden ist. und sie haben auch Schwierigkeiten, weil die Enttäuschung, die

Verzweiflung bei den türkischen Männern sehr, sehr groß ist und sie in einer

geschlossenen Gesellschaft leben.

Sprin: Aber auch hier gibt es Entwicklung: Kazim Erdogan zum Beispiel hat in Berlin

den „Gesprächskreis für türkische Väter“ gegründet. Zwischen 10 und 30

Männer aller Altersstufen kommen zu den einzelnen Sitzungen, die meisten

haben Eheprobleme, manche sind sogar alleinerziehend – ja, das gibt es auch

bei Türken –, und hier finden sie eine vertrauensvolle Atmosphäre, können

offen über ihre Probleme sprechen und Veränderung versuchen.

Und auch bei den jungen muslimischen Männern, den Söhnen, tut sich etwas:

O-Ton 15: Postulka (0’16“)

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Jungs lieben ihre Väter, das wird sogar häufig so formuliert, und ob das jetzt sofort

bedeutet, dass sie das Rollenverständnis ihrer familiären oder ihrer Glaubenstradition

deswegen so eins zu eins übernehmen, ist ne andere Frage.

Sprin: … sagt Tobias Postulka, der in Berlin ein Jungen-Projekt der „Caritas“, leitet, das

vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund anspricht:

O-Ton 16: Postulka (0’33“)

Die befinden sich hier in einer sehr modernen Welt, in der sie sich einerseits an

Traditionen erinnern und andererseits ganz modernen Anforderungen genügen müssen,

und was ich beobachte, ist: einerseits sind sie doch so ein bisschen kraftorientiert und

kommen auch hier hin, und trainieren im Kraftraum, andererseits sind sie doch durch die

Bank oft so reflektiert, dass sie sagen, ja wenn meine Frau möchte, dass ich zuhause bei

den Kindern bleibe, kann ich mir das sehr gut vorstellen! Und das ist aus dem Mund von

15, 16-jährgen Macho-Jugendlichen, dann eine ganz große Überraschung.

Regie: M8 – Musik (Stevens instrumental)

Sprin: Junge Männer – und nicht nur solche mit Migrationshintergrund – haben heute

kein festes Rollenbild mehr, das mag man begrüßen. Aber sie haben auch keine

klaren Vorstellungen davon, welche Art von Vater sie sein wollen. Es gibt

verschiedene gesellschaftliche Bilder, die mehr oder weniger opportun sind,

doch es fehlt oft die konkrete Erfahrung, meint Jugendforscher Hurrelmann:

Männer, die ihren Söhnen zeigen, wie Väter sind, indem sie ihnen Väter sind.

O-Ton 17: Hurrelmann 13 (0’14)

Wir haben sehr viele Väter, die weichen aus, die sind nicht berechenbar, sie sind nicht im

richtigen Moment an der richtigen Stelle, und das hinterlässt böse bittere Spuren dann bei

den Kindern, vor allem auch bei den männlichen Kindern, und irritiert sie in ihrem eigenen

Männerbild.

Zit.: Was ist männlich? Ich weiß wie Männlichkeit riecht. Männlichkeit riecht nach

Tabak, nach Leder, nach Hasenbroten, nach Lack und Schweiß, kurz, sie riecht

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wie die Tasche, die mein Vater bei sich trug, wenn er abends von der Arbeit

kam.

Sprin: Der Pädagoge Dieter Schnack.

Zit.: Früheste Erinnerung: seine Abwesenheit. In den ersten fünf Jahren meines

Lebens ging er frühmorgens, wenn ich noch schlief, zur Arbeit und kam erst

wieder nach Hause, wenn ich längst im Bett war. Ich war der Sohn meiner

Mutter und lebte ganz in ihrer Sphäre.

Sprin: Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster.

Regie: M5 (Clapton, instrumental)

Zit.: Fehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene SöhneFehlende Väter, verlorene Söhne

Regie: Musik hoch und weg

Sprin: Lange war es nicht klar, die Säuglings- und Bindungsforschung hatte sich auf

die Mutter konzentriert, aber inzwischen ist unbestritten: Jungen brauchen

Väter. Frank Dammasch, Kinder- und Jugendtherapeut und Professor für

psychosoziale Störungen im Kindesalter an der Fachhochschule Frankfurt am

Main:

O-Ton 18: Dammasch (0’42“)

Für das Mädchen ist der Vater natürlich auch nicht unbedeutend, denn sie kann sich mit

den männlichen Anteilen des Vaters identifizieren und sich dadurch natürlich auch besser

von dieser Ähnlichkeitsbeziehung mit der Mutter lösen, und kann natürlich probehalber in

der so genannten ödipalen Phase auch ihre Verführungskompetenzen im Spiel mit dem

Vater in ungefährlicher Weise ausprobieren. Für den Jungen ist die frühe Beziehung zum

Vater allerdings noch bedeutungdsvoller. Der Junge braucht den Vater als Spiegel seiner

Männlichkeit. Für ihn ist es zentral wichtig, sich von der Weiblichkeit der Mutter zu lösen

und seine männlichen Anteile im Spiel mit dem Vater sich anzueignen.

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Sprin: Väter gehen vom ersten Tag an deutlich anders mit Kindern um als Mütter –

abwechslungsreicher vor allem. Sie bieten ein emotionales Auf und Ab, in dem

das Kind lernt, unterschiedliche Gefühle besser auszuhalten, auszubalancieren

– und das spielerisch:

O-Ton 19: Dammasch (0’39“)

Während die Mutter eher ruhige, hamonische Spiele bevorzugt, bastelt, malt, und sich

dabei auch oft von ihrem Sohn leiten lässt, bevorzugt der Vater oft eher motorisch wilde

Spiele. Nicht selten sehen wir das ja auch auf dem Spielplatz. Also wir werden selten eine

Mutter sehen, die zum Beispiel ihr Kind in die Luft wirft, während wir das bei Vätern oft

sehen. Wir sehen dann die Jungs, die auf den Baum klettern und der Vater sagt: „komm

den nächsten Ast den schaffst Du auch noch“, und dann gucken wir auf die Mutter, und

dann sehen wir, die hält sich schon fast die Augen zu – also der Vater ist sehr wichtig, um

die motorisch aggressive Seite des Jungen - ja - zu formen, ist vielleicht das beste Wort.

Sprin: Diese Rollenverteilung ist selbstverständlich nicht naturgegeben. Jedenfalls aber

brauchen Kinder – wenn es irgend geht – beides, weibliche und männliche

Bezugspersonen – und eben den Unterschied zwischen diesen. In dieser

Dreieckeckskonstellation darf der Mann weder selbst eine Mutti suchen noch

von der Frau als Störenfried empfunden werden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse über die Bedeutung von Vätern für Kinder sind

indessen die eine Sache, aber die Realität sieht oft anders aus.

O-Ton 20: Schäfer (0’25“)

Ich gehör zu der Generation der Männer, deren Väter überwiegend doch sehr distanziert

waren. Man hat den Vater überwiegend am Wochenende gesehen, wenn überhaupt; und

viele Männer in meiner Generation erzählen eigentlich das gleiche. Kann man auch in

vielen Büchern nachlesen. „Vater wer bist du“ – „Der ferne Vater“ und so weiter, da sind

viele, viele Geschichten erzählt worden von Söhnen, die nie richtig wussten, wer ihr Vater

ist.

Sprin: Zunächst auf die Ernährerfunktion reduziert, dann durch den Wandel der

Arbeitswelt auf einen Platz außerhalb der Familie verwiesen, verschwanden

Väter durch die beiden Weltkriege vielfach von der Bildfläche: Viele waren

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gefallen oder kamen spät, schwer traumatisiert zurück. Als „vaterlose

Gesellschaft“ kennzeichnete dies 1963 der Psychoanalytiker Alexander

Mitscherlich.

Und Vaterlosigkeit bleibt ein Thema, nicht zuletzt, weil Männer in ihrem

Rollenbild verunsichert sind. Das nun auch wieder nicht zur Freude der Frauen:

Regie: M8 – Musik (Stevens instrumental)

Zit.: Männer, zieht die Strampler aus …

Spr: … unter dieser Überschrift beschrieben zwei Autorinnen 2012 in der Zeitschrift

„Stern“ die wachsende Zahl von risiko- und konfliktscheuen jungen Männern,

die "Generation Kuschel", zu erkennen am modischen Trend der Wollmützen

draußen wie drinnen, sowie am neuesten Modetrend: dem Riesenstrampler, ein

Einteiler aus weichem Nickystoff, sogar in Rosa zu haben. Offenbar ein

Ausdruck des Gefühls, dass das Leben nicht kratzen oder scheuern darf. Auch

Kinder würden da nur stören.

Sprin: Vielleicht kein Wunder also, dass so manche Frau glaubt, dass sie und das Kind

ohne Mann besser zurecht kommen. In Deutschland wird fast jede dritte Ehe

geschieden, in den meisten Fällen bleiben Kinder bei ihren Müttern, so dass

sich dadurch der Kontakt zu den Vätern verändert. Daran ist auch das

Scheidungsrecht nicht ganz unschuldig, meint der Berliner Familienforscher

Professor Hans Bertram:

O-Ton 21: Bertram (0’20“)

Ich denke, dass unsere Gesellschaft noch an diesem ganz alten Vaterbild festhält, nicht als

fürsorglicher Vater, sondern nur als Zahlvater, und dann Gerichte und Sorgerecht

letztendlich dazu führt, dass die Väter und die Söhne nicht die Beziehung haben, die

eigentlich die Söhne brauchen, um sich vernünftig zu entwickeln.

Sprin: Inzwischen hat sich das in Teilen geändert, nicht nur im Bewusstsein, auch

viele Gerichte fällen vaterfreundlichere Scheidungsurteile. Dennoch kriegen

Männer ihre Vaterrolle ohne den traditionellen Familienrahmen mitunter nicht

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mehr hin, und dann stehen die Scheidungskinder mit ihren Müttern alleine da.

Und so haben viele Jungen überhaupt kaum noch Kontakt mit Männern. Von

Geburt bis weit in die Schule hinein sind sie fast ausschließlich von Frauen

umgeben: Mütter, Erzieherinnen, Lehrerinnen. Und dass diese beide

Geschlechter gleich behandeln, stimmt offenbar nicht, sagt der Therapeut Frank

Dammasch:

O-Ton 22: Dammasch (0'17")

Wir haben Erzieherinnen interviewt, die sagten dann, „ja zwischen Jungen und Mädchen

gibt’s überhaupt gar keine Unterschiede!“, und haben beobachtet: Jungen dürfen zum

Beispiel in den Kindergarten in der Regel ihre Pistolen, Schwerter nicht mitbringen,

Mädchen dürfen natürlich ihre Puppen oder ihre Diddl-Ordner mitbringen.

Sprin: Und auch der Soziologe Hans Bertram von der Humboldt-Universität kann

hierzu Selbsterlebtes beisteuern:

O-Ton 23: Bertram (0'19")

Ich erinnere mich immer noch, unsere siebenjährigen Söhne mussten alle ein Fußballnetz

sticken und zeigen, wie emanzipiert sie sind. Erstens wussten die gar nicht, wofür man ein

Fußballnetz braucht, weil die keine Fußbälle in Netzen trugen, na gut, das waren sicherlich

irgendwelche Fehlversuche, wie man die Gleichheit von Jungen und Mädchen herbeiführt.

Sprin: Bis heute ist die Lösung nicht in Sicht. Amerikanische Studien der 1990er Jahre,

inzwischen vielfach wissenschaftlich hierzulande bestätigt, zeigen: Jungen

geraten mehr und mehr in die Krise: Sie versagen häufiger in der Schule, finden

weniger Lehrstellen, scheinen schlecht gerüstet für das Leben in der

globalisierten Welt – „lauter Problembärchen“, heißt es in einem FAZ-Artikel.

Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther beschäftigt sich schon länger mit

den „vaterlosen Jungen“ und sieht hierin nicht nur ein individuelles Problem:

O-Ton 24: Hüther (0'38")

Dann ist natürlich eine Gesellschaft nicht zu beneiden, die eine ganze Generation von

Jungs aufzieht, wo die Väter diese Vorbildrolle nur in beschränktem Maße wahrnehmen,

und wir dann nichts Dümmeres fertig bringen, als diesen nach Vorbildern suchenden

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Jungs Fernsehprogramme und Computerspiele anzubieten, in denen dann solche

abstrusen Vorbilder vorgeführt werden: Muskelprotze, Gewalttäter, rücksichtslose Machos

– das ist unsere Schuld, wenn die Jungs dann am Ende so werden, liegt es daran, dass wir

ihnen keine anderen Vorbilder für ein männliches Rollenverständnis angeboten haben.

Sprin: Jungen brauchen Kontakt zu Männern, die selbst gerne Männer sind, und am

besten sollte einer davon der eigene Vater sein, sagt Hüther. Aber andersherum

brauchen Väter auch ihre Kinder.

Regie: Musik M9 (Gabriel inkl. Vocal)

O-Ton 25: Jürgen (0'07")

Ich bin Vater eines nichtehelichen Sohnes, und ich hab keinen Kontakt zu ihm und ich

leide da heute immer noch sehr stark darunter.

Sprin: Die veränderten gesellschaftliche Verhältnisse insgesamt machen den Status

als Vater heute prekärer, meint Dag Schölper vom „Bundesforum Männer“

O-Ton 26: Schölper (0’24“)

Das hat vor allem etwas mit einer veränderten Sicht auf Familie und Ehe zu tun, es ist

sicherlich so, dass durch die Zunahme von nicht-ehelichen Elternschaften, sprich der

zurückgehende Zwang, dass man verheiratet sein muss, bevor man in die Elternschaft geht

beziehungsweise dass man heiratet, wenn man eben schwanger geworden ist oder mit

einer Frau ein Kind erwartet, dass eben diese Rechtsklarheit nicht gegeben ist, die durch

den Ehevertrag entsteht.

Sprin: Kinder sind bei Scheidungen schon immer als emotionales Druckmittel benutzt

worden, und immer noch ist es möglich, dass Frauen den Männern die Kinder

fast komplett entziehen. Mitunter übernimmt das Kind dann die Sicht der

Mutter auf den „bösen Vater“. Viele solcher Geschichten hört Eberhard Schäfer:

Page 19: 12 05 17 WEsthoff Vater und Sohn 2 - …...Sprin: André Stern ist Autor des Buches „Mein Vater, mein Freund – das Geheimnis glücklicher Söhne“. O-Ton 3: Stern Sohn (0’20“)

O-Ton 27: Schäfer (0’38“)

Wir hier im Väterzentrum haben es ganz viel mit solchen Vätern zu tun, die nach

Trennungen mehr Kontakt zu ihren Kindern haben möchten, als ihnen qua Familienrecht

oder qua Auseinandersetzung mit der Ex-Partnerin zugestanden wird. Das muss man auch

mal ganz klar sehen, dass nicht alle Väter, wie es so wirklich häufig in den Medien

verbreitet wird, dann flüchten und nicht mehr zahlen. Der Kontakt wird unterbunden oder

wird reduziert, das verletzt diese Väter sehr, und aus Frust gehen sie immer weiter weg von

der ursprünglichen Familie, von ihren Kindern, also das ist eine Entfremdung und nicht

wirklich der Ausgangspunkt, ich möchte mit meinen Kindern nichts mehr zu tun haben.

Sprin: Und wenn die Frau wieder eine Beziehung eingeht, tritt ein neuer Mann in die

Familie, und so entsteht eine Konkurrenz zwischen zwei Vätern, weil der

leibliche durch das fehlende Zusammenleben viele seiner Funktionen an den

Neuen abgeben muss.

Das verstärkt emotional zugleich die uralte Unsicherheit über die biologische

Vaterschaft. Bis zur Entwicklung von genetischen Testverfahren konnten

Männer nie genau wissen, ob es ihr Kind ist. In dem Drama „Der Vater“ etwa

lässt August Strindberg einen der Protagonisten sagen:

Zit.: Für mich gibt es nichts komisches, als einen Vater zu sehen, der sein Kind

spazieren führt, oder einen Vater von „seinen Kindern“ reden zu hören. „Die

Kinder meiner Frau“ sollte er sagen. Haben Sie nie das Unklare ihrer Situation

empfunden, sind Ihnen nie leise Zweifel gekommen?

Sprin. Aber ist die ganze Diskussion um die Rechte biologischer Erzeuger, ist der

Anstieg von Vaterschaftstests, nicht Zeichen für die Rückkehr des alten,

patriarchalen Vaterbildes? Dag Schölper:

O-Ton 28: Schölper (0’48“)

Zum einen hat es was mit einer persönlichen Verletzung zu tun, und dann sind eben diese

Diskussionen ums Recht auch durchaus ein naheliegender Kampfplatz, um die eigenen

Frustrationen zu bearbeiten, zum anderen würde ich aber schon sagen, dass das Bedürfnis

sich zu kümmern, die Verantwortung zu tragen, schon an Gewicht und Stärke gewonnen

hat, an der Entwicklung des Kindes stärker teilhaben zu wollen, zu sehen, in welche Schule

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sie gehen, welchen Beruf sie ergreifen, ob sie in eine Kirche gehen oder nicht, einfach dabei

zu sein und mit zu entscheiden oder eigenes Vorbild sein zu wollen, das ist, glaub ich,

schon stark geworden.

Sprin: Etwas jedenfalls hat sich über die Jahrhunderte wenig geändert: Die Zeugung

eines männlichen Stammhalters bestimmt oft die eigene männliche Identität

mit.

Zit.: Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und

Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen.

Sprin: … schrieb zum Beispiel Thomas Mann bei Geburt seiner ersten Tochter.

Der Sohn als Fortführung und Sinngebung des eigenen Daseins.

Zit.: Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das was ihnen selbst abgegangen an den

Söhnen realisiert zu sehen, so ungefähr als wenn man zum zweiten mal lebte

und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte.

Sprin: Goethe in: „Dichtung und Wahrheit“

Regie: M5 (Clapton, instrumental)

Zit.: Große Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche NachfolgerGroße Fußstapfen und bedrohliche Nachfolger

Regie: Musik kurz hoch und weg

Sprin: Franz Kafka im „Brief an den Vater“:

Zit.: Ich wäre glücklich gewesen, dich als Freund, als Chef, als Onkel, als Großvater,

ja selbst als Schwiegervater zu haben. Nur eben als Vater warst du zu stark für

mich.

Sprin: Der Erzähler und Satiriker Mark Twain:

Page 21: 12 05 17 WEsthoff Vater und Sohn 2 - …...Sprin: André Stern ist Autor des Buches „Mein Vater, mein Freund – das Geheimnis glücklicher Söhne“. O-Ton 3: Stern Sohn (0’20“)

Zit.: Als ich 14 Jahr alt war, war mein Vater für mich so dumm, dass ich ihn kaum

ertragen konnte. Aber als ich 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte

Mann in sieben Jahren dazu gelernt hatte.

Sprin: Selbst wenn Vater und Sohn in einer Familie zusammen leben oder sonst ein

gutes Verhältnis haben: Dieser besondere Männerbund ist auch immer eine

potentiell konfliktreiche Beziehung, bei der beide einiges aushalten müssen.

Vieles davon findet sich schon in den uralten Erzählungen der

Menschheitsgeschichte. Die antike Mythologie um die Entstehung der Welt

kreist fast ausschließlich um den Vater-Sohn-Konflikt.

Regie: Musik M10, Kunze (Vocal)

Spr.: Der Göttervater Uranos verbannt seine Söhne ins Innere der Erde aus Angst, sie

könnten ihm seinen Thron streitig machen – einer von ihnen, Kronos,

angestachelt von der Mutter, kämpft daraufhin mit ihm und entmannt ihn. Der

entmachtete Vater wiederum prophezeit seinem Sohn: "So wie du mich vom

Throne gestoßen hast, wird dereinst dein eigener Sohn dich ebenfalls zu Fall

bringen!".

Sprin: Das Schicksal der Welt, der Menschen, liegt im Schicksal des Sohnes, auch im

Christentum, wo es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt:

Zit.: …gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinab gestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters ...

Sprin: Die „Himmelfahrt“, noch ganz wie in der griechisch-römischen Mythologie: Die

Heroen, Abkömmlinge der Götter mit normalsterblichen Frauen, werden zu

ihrem Vater gerufen und damit zugleich als Kinder anerkannt.

Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)

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Sprin: Bei Siegmund Freud, in der Beschreibung des Ödipus-Komplexes, geht es in

dem Konflikt zwischen Vater und Sohn vor allem um männliche Identität, um

Konkurrenz....

Zit.: Der kleine Knabe legt ein besonderes Interesse für seinen Vater an den Tag, er

möchte so werden und so sein wie er, möchte in allen Stücken an seine Stelle

treten.

Sprin: Wenn die Entwicklung normal verläuft, gelingt das laut Freud nicht: Der Knabe

muss die Überlegenheit des Vaters anerkennen, und tut das auch, mit einer

gewissen Ambivalenz der Gefühle: Rivalität und Hass wechseln sich ab mit

Liebe und Idealisierung, bis zu dem innerseelischen Konflikt ein sozialer und

kultureller kommt: Spätestens wenn die Pubertät beginnt, gelangen beide in

dieser Rivalität auf Augenhöhe. Der Junge setzt sich mehr und mehr mit der

Welt, der Gesellschaft auseinander. Der Vater steht nun für „das Alte“, das der

Sohn verändern, überwinden will.

Zit.: Er wechselt die Stimme jetzt, sein Kehlkopf wächst, seine bloßen Beine sind

kolossal, seine Meinungen revolutionär.

Sprin: … schreibt Thomas Mann über seinen Sohn Klaus.

Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)

Sprin: Es geht jetzt um die Loslösung vom Vater, um die Unabhängigkeit des Sohnes,

um das Erwachsenwerden. Bei Hermann Hesse heißt es:

Zit.: Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, dass er kein

Jüngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass eines ihn

verlassen hatte wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, der

Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hören.

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Sprin: Die Literatur ist voll vom Motiv des Vater-Sohn-Konflikts. Es gibt unzählige

Beispiele für die mal mehr, mal weniger gelungene Loslösung. Franz Kafkas

„Brief an den Vater“ ist eines der berühmtesten:

Zit.: Manchmal stellte ich mir die Erdkarte ausgespannt und Dich quer über sie

hingestreckt vor. Und es ist mir dann, als kämen für mein Leben nur die

Gegenden in Betracht, die Du entweder nicht bedeckst oder die nicht in Deiner

Reichweite liegen.

Spr: Kafka schreibt den 74 Seiten langen Text 1919, mit 36 Jahren. Es ist eine einzige

Klage über den übermächtigen Vater, der zugleich aber tiefe Sehnsucht zeigt.

Sprin: Besonders schwer haben es Söhne, die mit einem berühmten, erfolgreichen

Vater auf demselben Gebiet konkurrieren. Klaus mit Thomas Mann zum

Beispiel:

Zit.: Es ist nicht zu leugnen, dass mein Name und der Ruhm meines Vaters mir den

ersten Start erleichtert haben …

Sprin: … schreibt Klaus in einem Brief. Aber er fügt hinzu:

Zit.: Ich habe meine unvoreingenommenen Leser noch nicht gefunden. Nicht nur

der Gehässige, auch der freundlich Gesinnte konstruiert zwischen dem, was ich

schreibe, und dem väterlichen Werk, instinktiv den Zusammenhang. Man

beurteilt mich als Sohn.

Sprin: Thomas Mann, der Vater und „Zauberer“, wie er von allen in der Familie

genannt wird, hat diese Situation durchaus wahrgenommen:

Zit.: Mein Verhältnis zu ihm war schwierig und nicht frei von Schuldgefühlen, da ja

meine Existenz von vornherein einen Schatten auf die seine warf.

Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)

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Sprin: Weit mehr als individuelle Bedeutung hat der Vater-Sohn-Konflikt, wenn er in

der Politik ausgetragen wird:

Spr.: Alexander der Große zum Beispiel wollte von Anfang an seinen Vater Philipp in

allem übertreffen, erzählt die Legende, also agierte er noch rücksichtsloser und

brutaler als der ebenfalls sehr kriegerische König von Makedonien und schuf

tatsächlich ein riesiges Reich, das seinen Vater fast vergessen machte.

Sprin: Dass es auch anders geht, zeigt die biblische Geschichte von König David und

seinem Sohn Salomo:

Spr: Der berühmte König und erfolgreiche Feldherr Israels hinterlässt so große

Fußstapfen, dass sie sein Sohn niemals ausfüllen kann. Deshalb profiliert

Salomo sich gerade nicht als Kriegsherr, sondern durch Weisheit im Handeln.

Er geht seine eigenen Wege und so auch in die Geschichte ein.

Sprin: In neuerer Zeit ist das Problem der politischen Loslösung der Kinder von ihren

Vätern kaum mehr an einzelnen Namen und Personen festzumachen, sondern

ein gesamt-gesellschaftliches. Den Klassiker stellt die Auseinandersetzung der

„68er“ mit ihren Vätern dar und vor allem mit deren Verstrickung in den

Nationalsozialismus. Bernward Vesper etwa beschreibt in dem Roman „Die

Reise“ seinen Vater, einen Nazidichter, als einen …

Zit.: … der unsere Kindheit zerstört, unser Gehirn verwüstet, unseren Charakter

geschwächt, unsere Vernunft und Kritik erstickt und zu diesem Zweck die

heiligen Gefühle, die Kinder haben, missbraucht hat.

Sprin: Oder: Thomas Brasch, dessen Roman „Vor den Vätern sterben die Söhne“ eine

literarische Beschreibung nicht nur seiner eigenen Situation sein soll:

Spr: Er war als junger aufmüpfiger Künstler von seinem eigenen Vater, einem

linientreuen SED-Funktionär, an die Stasi verraten und ins Gefängnis gebracht

worden. Brasch war überzeugt, dass alle Söhne keine Chance gegen die

übermächtigen Väter hätten, die ihnen mit ihren festgefahrenen Ideologien die

Zukunft nehmen.

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Regie: M10 Musik (Kunze vocal)

Sprin: Nicht immer war die Väterkritik derart rigoros, aber insgesamt geht es um

Distanzierung, Loslösung. Eine Frage in den Shell-Jugendstudien, die jetzt

schon fast 60 Jahre laufen, ist immer gleich geblieben: „Würdest Du die

eigenen Kinder genauso erziehen wie Du jetzt von deinen Eltern erzogen

worden bist?“ Dazu Studienleiter Klaus Hurrelmann:

O-Ton 29: Hurrelmann (0’25“)

Und da sind in den 60er, in den 70er Jahren natürlich heftige Abweisungen gekommen.

Selbstverständlich wollte man seine eigenen Kinder bis in die 1980er Jahre hinein nicht so

erziehen, wie man selbst erzogen worden war. Weil man raus wollte aus der engen

traditionellen, autoritären Atmosphäre, die im Elternhaus nach Auffassung der jüngeren

Generation noch herrschte.

Sprin: Das ist heute meistens ganz und gar nicht mehr so, sagt der Jugendforscher,

der inzwischen an der Hertie School of Governance in Berlin lehrt:

O-Ton 30: Hurrelmann (0’57“)

Was wir heute haben, ist keine kritische aktive Absetzung von die Eltern, weder bei den

jungen Frauen noch bei den jungen Männern. Das Gegenteil ist fast der Fall. Man sieht es

daran, dass die jungen Männer ja sehr lange im Elternhaus wohnen bleiben, viel länger als

die jungen Frauen, wahrscheinlich erleben die jungen Männer und die jungen Frauen

heute ihre Eltern nicht mehr als autoritär, also hier hat sich enorm was verändert, und das

bedeutet, die Spannung zwischen den Generationen, also auch die Spannung zwischen

Söhnen und Vätern, ist heute klein. Sie spielt sich irgendwo knisternd schon mal

zwischendurch ab, aber das sind keine großen Kräche und keine riesigen Konflikte, die sind

die Ausnahme.

Sprin: Für den Vater mag sich das zunächst wie eine gute Nachricht anhören, muss er

doch viel aushalten in der Zeit, da der Sohn erwachsen wird: Mehr und mehr

wird die Männlichkeit des Jungen zur Bedrohung, ein Zeichen, dass „man alt

wird“. Der Vater muss seinerseits loslassen, den Generationenwechsel

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ermöglichen, Platz machen für das Neue. Aber viele schaffen das nicht, was

beispielsweise Jean-Paul Sartre maßlos wütend machte:

Zit.: Inmitten so vieler Männer, schreite ich von einem Ufer zum anderen, allein und

voller Missachtung für diese unsichtbaren Erzeuger, die ihren Söhnen das

ganze Leben lang auf dem Rücken hocken.

Sprin: Früher hingen die Geschicke ganzer Völker von einer gelungenen Übergabe der

Macht vom Vater an den Sohn ab – wie heute nur noch in Diktaturen, etwa in

Nordkorea. Aber der Streit um die Nachfolge stellt oft auch im modernen

Wirtschaftsleben ein echtes Problem dar: Jedes Jahr steht in tausenden von

Familienunternehmen in Deutschland ein Führungs- und Generationswechsel

an – und bei jedem dritten Mal geht das schief. Manchmal, weil die potentiellen

Nachfolger nicht wollen oder können, oft aber auch, weil der alte

Firmenpatriarch nicht loslässt.

Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)

Spr.: So tobte zum Beispiel in dem Medienunternehmen Neven DuMont 2010 ein

Machtkampf zwischen Vater und Sohn, der schließlich Züge einer Posse

annahm: Konstantin lamentierte zuerst öffentlich, dass sein Vater Alfred sich

ihm gegenüber verhalte "wie jemand, der seinen Hund mit einer Wurst am

Stock lockt". Offenbar wolle der 83-jährige sich – wörtlich – „als der letzte große

Verleger positionieren, dem in der zwölften Generation kein Geeigneter folgen

konnte." Ausgerechnet in der konkurrierenden Bildzeitung ließ der über 40-

jährige Sohn dann verlauten: "Ich will eine neue Führungskultur erzwingen“,

„Der Ball liegt jetzt bei meinem Vater." Der alte Patriarch hat das Spielgerät

auch prompt aufgenommen und seinen Sohn aller Posten enthoben.

Sprin: Im wirtschaftlichen oder auch politischen Bereich erfordert der

Generationswechsel immer einen besonderen Spagat: Der Sohn soll den Vater

und seine Lebensleistung respektieren, gleichzeitig aber ein eigenes Profil

zeigen. Er soll seinen eigenen Weg gehen, darf aber nicht weggehen, muss

jederzeit für die Nachfolge bereit stehen. Das „Prince-Charles-Phänomen“: Der

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ewige Thronfolger will – und könnte – aber der Alte – in England: die Alte – lässt

die Macht nicht los.

In der bürgerlichen Welt der Väter und Söhne sieht heute zum Glück meist alles

viel entspannter aus.

O-Ton 31: Hurrelmann (0’24“)

Man arrangiert sich, man hat gelernt Kompromisse einzugehen, man kann sich anpassen,

die jungen Leute sind tolerant gegenüber manchen komischen Auffassungen und

Gewohnheiten der Älteren, das gilt aber auch umgekehrt, man lernt sogar voneinander,

also, das ist eine Kosten-Nutzen-Bewegung, die beiden Seiten etwas bringt, und das ist das

allerwichtigste heute.

Sprin: Aber diese fehlende Spannung zwischen den Generationen ist nicht nur positiv,

meint der Jugendforscher Klaus Hurrelmann:

O-Ton 32: Hurrelmann (1’07“)

Sie hat die Kehrseite, dass ich mich als junger Mann – ebenso wie als junge Frau – ganz

schwer nur in Abgrenzung von meinen Eltern neue erfinden kann als Angehöriger der

neuen Generation, die nun einmal neue Wege geht. Und so lassen sich junge Leute heute

auch abspeisen mit ziemlich schlechten Arbeitsbedingungen immer noch, sie gehen nicht

protestieren, und wo sind hier die jungen Männer, die traditionell eigentlich immer den

Ton angegeben haben, wenn es um solche Fragen ging, also hier hat sich einiges

verschoben, wo wir schon einmal ein bisschen kritisch hinschauen müssen, ob das eine

gute Entwicklung auf lange Sicht ist.

Regie: M11 Musik (Kunze instrumental)

Zit.: Ein Genie mag taub werden wie Beethoven, dem Wahnsinn verfallen wie

Strindberg, den Freitod wählen wie Hemingway, Celan oder Pavese - vertrotteln

aber darf das Genie nicht.

Sprin: Das schreibt Tilman Jens in seinem Buch über die Demenz seines berühmten

Vaters Walter.

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Dieses besondere Vater-Sohn-Konfliktfeld ist neu, den veränderten

Lebensverhältnissen, vor allem der gestiegenen Lebenserwartung, geschuldet.

Viel häufiger kommt es nun zum Ringen älterer Söhne mit ihren ganz alten

Vätern, wenn die Kräfteverhältnisse sich total verschoben haben.

Spr: Ein Beispiel ist Walter Kohl: Er hat 2011 ein Buch geschrieben über sein äußerst

schwieriges, oft schmerzhaftes Leben als „Sohn vom Kohl“. Die Schrift heißt

„Leben oder gelebt werden“ und im Untertitel „Schritte auf dem Weg zur

Versöhnung“. Die allerdings hat es faktisch nicht gegeben, im Gegenteil:

Helmut Kohl hat sich von seinem Sohn richtiggehend losgesagt. Versöhnung

meint in diesem Fall wohl auch eher, selbst seinen Frieden mit dem Vater zu

machen – so oder so.

Zit.: Durch das Schreiben begann ich, meinen langjährigen Irrtum zu akzeptieren,

dass ich Ansprüche an meinen Vater anzumelden hätte. Ein Kind kann sich

einen Vater wünschen, doch es kann keine Ansprüche emotionaler Art

einklagen. Hier ist das Leben grausam.

Sprin: Noch virulenter vielleicht und in Zukunft bedeutsamer wird es sein, wenn viele

Söhne schließlich die totale Umkehrung der Verhältnisse erleben: Wie der Vater

all seine Größe, Stärke, Übermacht verliert, zum Beispiel in der Demenz. Auch

das ist literarisch schon mehrfach in unterschiedlicher Weise verarbeitet

worden. Für Tilmann Jens war es ein trauriger Abschied, vor allem aber eine

wüste Abrechnung mit seinem Vater, dem er dessen Schwäche in der NS-Zeit

vorwarf.

Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger dagegen beschreibt den Zustand

des „Alten Königs in seinem Exil“ schamlos, aber zugleich auch fasziniert von

der Skurrilität des Alzheimerkranken. Manche Kritiker sagen, er stelle den Vater

zur Schau wie das „ehrgeizige Eltern mit ihrem Wunderkind tun“.

Regie: M5 (Clapton, instrumental)

Zit.: Ein Ein Ein Ein guterguterguterguter Vate Vate Vate Vater r r r –––– was ist das? was ist das? was ist das? was ist das?

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Regie: Musik kurz hoch und weg

O-Ton 33: Stern Sohn (0’08“)

Bei mir war es so, dass mein Vater mir bedingungsloses Vertrauen schenkte, und er war

auch ein wichtiges Vorbild für mich.

Sprin: ...sagt André Stern auf youtube. Er hat ein Buch geschrieben „Mein Vater, mein

Freund – Das Geheimnis glücklicher Söhne“, und das zusammen mit seinem

Vater.

O-Ton 34: Stern Vater (0’11“)

Wichtig ist, dass ich keine Zukunftsvorstellung von meinen Kindern habe, weil ich ihnen

ihre Zukunft überlasse und versuche, was sie erleben, mit zu erleben.

Sprin: Selbstverständlich ist die Frage für Töchter genauso wichtig, aber für Söhne

kommt hinzu, dass das Vorbild des guten Vaters es ihnen erleichtert, selbst

wieder die Vaterrolle erfolgreich auszufüllen. Der Jugend- und Bildungsforscher

Professor Klaus Hurrelmann:

O-Ton 35: Hurrelmann (0’57“)

Er darf sich nicht verstellen, sondern muss seine persönlichen Merkmale auch in den

Kontakt zu seinen Kindern einbringen. Die müssen genau wissen, welche Stärken und

Schwächen er hat. Dann allerdings gehört zum guten Vatersein heute dazu, sich wirklich

einzulassen auf die Kinder und sie zu nehmen, wie sie sind, ihnen dann zu signalisieren,

wie er sie gerne verändern möchte, also der Vater ist selbstverständlich Erzieher, das

möglichst offen ankündigen, in welche Richtung das geht, das auf der Basis einer Bindung

zu machen, die eine Sicherheit dem Kind gibt, dass man als Vater anwesend ist, also nicht

aus dem Felde gehen und verschwinden, wenn’s mal heikel wird, sondern auch bei einem

Konflikt stehen zu bleiben, wer das schafft, ist ein guter Vater, keine großen

Besonderheiten, keine überirdischen und übermenschlichen Kräfte, das reicht.

Sprin: Dr. Dag Schölper vom Bundesforum Männer:

O-Ton 36: Schölper (0’34“)

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Väterlichkeit begreife ich eher als das, was die gesellschaftliche Norm ist, und da muss

sicherlich auch diese Fürsorglichkeit, Verantwortungsbewusstsein und dergleichen mehr

drin sein und gleichzeitig aber auch die Bereitschaft, sich Schwierigkeiten auszusetzen, um

das auch durchzusetzen. Nicht immer zu sagen, „mein Arbeitgeber ist nicht gewillt, mir

Elternzeit zu geben über sagen wir sechs Wochen hinaus“, ohne aber indes das Gespräch

gesucht zu haben. Dieser Wille, etwas zu tun dafür und nicht zu hoffen, dass es einem

zufällt und quasi ohne große Mühen zu haben. Väterlichkeit ist eben auch anstrengend

und bedarf Engagements.

Sprin: Eberhard Schäfer vom Väterzentrum Berlin:

O-Ton 37: Schäfer (0’35“)

Gute Vaterschaft, das heißt, im Fachjargon „care-orientierte Vaterschaft“. Care: das

englische Wort für Sorge und Fürsorge und Versorgung, und das ist wissenschaftlich

fundiert und heißt: Väter, die fürsorglich sind, die üben einen ganz enorm positiven

Einfluss auf ihre Kinder aus. Also man weiß mittlerweile, dass Kinder sich besser

entwickeln und vor allen Dingen zufriedener aufwachsen, wenn sie Väter haben, die sie

aktiv begleiten, unterstützen und sich Sorgen um sie machen.

Sprin: Für beide wichtig ist Akzeptanz, die Begegnung auf Augenhöhe zwischen Vater

und Sohn. Und dafür gibt es gute wissenschaftliche Rückendeckung, sagt Hans

Bertram, Berliner Professor für Makrosoziologie:

O-Ton 38: Bertram (0’49“)

Es gibt eine amerikanische Längsschnittstudie, die hat auch den schönen Namen – jetzt

ins Deutsche übersetzt – „wie Väter für ihre Kinder sorgen“. Man hat also mit dieser Studie

angefangen irgendwann in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, und dann hat man

praktisch das bis heute durchgeführt. Und man sieht ganz deutlich, dass die immer besser

werdenden Verhältnisse zwischen den Vätern und den Söhnen auch für die Väter sehr

nützlich sind. Wenn sie ein relativ gutes Verhältnis mit ihrem Kind haben, wenn das so

zwischen 8 und 15 ist, weil da sehr viel passiert, dann haben sie auch, wenn das Kind 35

Jahre ist, ein relativ gutes Verhältnis. Wenn sie aber in diesem Alter, wo das Kind sich

entwickelt, das Kind nach ihrem eigenen Bild formen wollen, und dadurch viele

Spannungen haben, dann ist das Verhältnis mit 35 nicht mehr zu reparieren.

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Sprin: Die Journalisten Stefan und Andreas Lebert schließlich geben in ihrer

„Anleitung zum Männlichsein“ folgenden Rat, wie es in dem Männerbund von

Vater und Sohn am besten läuft:

Regie: Musik M2 (Chaplin)

Zit.: Man muss aufpassen, dass die Berge, die sich hier auftürmen, nicht zu hoch

werden. Die Verletzung aus Teenagerzeiten nehme ich nicht mit in die Rente,

ich erzähle sie nicht mehr, auch nicht mir selbst. Ich leide nicht mein ganzes

Leben daran, dass ich meinen Vater enttäuscht habe, weil er es gern gesehen

hätte, dass ich Pilot werde. Ich quäle mich nicht bei jeder Krise meines Sohnes

mit der Frage, was ich falsch gemacht habe. Und wenn ich alt bin, jammere ich

nicht, dass er mich zu selten besucht.

Regie: Musik hoch und Ende