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NEWSLETTER GESCHICHTE www.klett.de © Ernst Klett Verlag GmbH, Leipzig 2017. Von dieser Druckvorlage ist die Vervielfältigung für den eigenen Unterrichtsgebrauch gestattet. Die Kopiergebühren sind abgegolten. 1 Die Oktoberrevolution Mit dem Begriff „Oktoberrevolution“ wird die Macht- übernahme durch die kommunistischen Kräfte in Russland im November 1917 bezeichnet. Durchsetzen konnte sich in dieser Revolution letztlich eine kleine Arbeiter-Splitterpartei, die sogenannten Bolschewiki, unter der Führung Lenins. Die aus der Februarrevolution von 1917 hervorgegangene bürgerliche Übergangs- regierung wurde gestürzt und ein neuer kommunisti- scher Staat errichtet, den die Bolschewiki als Diktatur des Proletariats verstanden. Die Oktoberrevolution wird insgesamt als mittelbare Folge des Ersten Weltkrieges angesehen, an dem Russland als Kriegs- partei beteiligt war. Zugleich markiert sie den Beginn der Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus und damit des Ost-West-Gegensatzes, der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Das in der Folgezeit entstandene Sowjetsystem führte zur Entstehung der Sowjetunion und schließlich zur Diktatur Josef Stalins, der das Land in den Zweiten Weltkrieg führte. Dennoch wird die Oktoberrevolution in Russland auch noch heute als wichtiges historisches Ereignis für die russische Identität angesehen. Sie wird dabei als Geburtsstunde des russischen Sozialismus verstanden und daher als Große Sozialistische Oktober- revolution bezeichnet. Russland im Ersten Weltkrieg und die Februarrevolution Bereits seit 1914 war Russland eine kriegführende Partei des Ersten Weltkriegs. Das Land bildete mit Frankreich und Großbritannien eine Kriegsallianz, die sogenannte „Entente Cordiale“. Auf der anderen Seite stand das Bündnis der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich. Eine Dynamik der Veränderungen hatte allerdings schon vor dem Krieg eingesetzt. Wichtig war hierbei vor allem die Industrialisierung, die gegen Ende des 19. Jahr- hunderts auch in Russland begann. Allerdings brachte diese dem Land einen langsameren industriellen Fortschritt, als es beispielsweise in Großbritannien oder Deutschland der Fall war. Der Erste Weltkrieg stellte den ersten industriellen und „modernen“ Krieg dar. Da Russland aber noch weit- gehend von der Landwirtschaft geprägt war, überstie- gen die Anforderungen eines solchen Krieges zuneh- mend die Kräfte des Landes. Dies führte zu einer Verschärfung der ohnehin bereits bestehenden sozia- len Probleme. Vor allem die Versorgungslage der rus- sischen Bevölkerung verschlechterte sich im Laufe des Krieges. Anfang 1917 brach die Lebensmittelversorgung in den Großstädten und den Industriezentren des Landes praktisch zusammen. So kam es zu Hunger- revolten und Streiks im Land, vor allem durch die Arbeiter und Bauern. Die folgenden Revolutions- bewegungen wurden somit erst durch den Krieg er- möglicht. Im Februar 1917 spitzte sich die Lage schließlich zu. Soldaten, die eigentlich an der Front für das Vaterland kämpfen sollten, liefen zu den Demonstranten über, was zu einer breiten Bewegung führte. Ende Februar gingen zudem Tausende Arbeiter auf die Straßen der damaligen russischen Hauptstadt Petrograd (heute Sankt Petersburg), um gegen den Mangel an Brot zu demonstrieren. Ausgelöst wurde dadurch die soge- nannte Februarrevolution. Bis Anfang März hatten sich bereits über 170 000 Soldaten den Aufständischen an- geschlossen. An vielen Orten im Land bildeten sich sogenannte Sowjets, das waren Arbeiter- und Soldatenräte, die insbesondere in der Hauptstadt eine wichtige Rolle im weiteren Geschehen einnehmen sollten. Insgesamt führte die Februarrevolution zur Abdankung von Zar Nikolaus II. am 3. März 1917 und zum Ende der Monarchie in Russland. Die Staatsmacht im Land brach damit zusammen. Allerdings brachte dies noch keine Lösung der wichtigsten sozialen und politischen Probleme. Vor allem in der Landwirtschaft zeigten sich die Schwierigkeiten der Modernisierung des Landes, die von den Revolutionären angestrebt wurde, denn das Leben der einfachen Bauern war wei- terhin von Armut, Elend und Unterdrückung geprägt. Nachdem Zar Nikolaus II. abgedankt hatte, herrschte in Russland eine Art Doppelherrschaft: auf der einen Seite das Parlament, die Duma, das eine Provisorische Regierung einführte, auf der anderen Seite die Arbeiter- und Soldatenräte mit ihren sogenannten Exekutiv- komitees. Diese Räte repräsentierten die breite Masse der Arbeiter, Bauern und Soldaten, die die Demonstra- tionen im Land anführten. Die Übergangsregierung hingegen repräsentierte vor allem die bürgerlichen Bevölkerungsteile, Großgrundbesitzer und Aristokraten. © akg-images (Archive Photos), Berlin 1 Sturm auf den Winterpalast in Petrograd am 7. November 1917. Foto einer später nachgestellten Szene.

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1 Die Oktoberrevolution

Mit dem Begriff „Oktoberrevolution“ wird die Macht­übernahme durch die kommunistischen Kräfte in Russland im November 1917 bezeichnet. Durchsetzen konnte sich in dieser Revolution letztlich eine kleine Arbeiter­Splitterpartei, die sogenannten Bolschewiki, unter der Führung Lenins. Die aus der Februarrevolution von 1917 hervorgegangene bürgerliche Übergangs­regierung wurde gestürzt und ein neuer kommunisti­scher Staat errichtet, den die Bolschewiki als Diktatur des Proletariats verstanden. Die Oktober revolution wird insgesamt als mittelbare Folge des Ersten Weltkrieges angesehen, an dem Russland als Kriegs­partei beteiligt war. Zugleich markiert sie den Beginn der Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus und damit des Ost­West­Gegensatzes, der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte. Das in der Folgezeit entstandene Sowjetsystem führte zur Entstehung der Sowjetunion und schließlich zur Diktatur Josef Stalins, der das Land in den Zweiten Weltkrieg führte. Dennoch wird die Oktoberrevolution in Russland auch noch heute als wichtiges historisches Ereignis für die russische Identität angesehen. Sie wird dabei als Geburtsstunde des russischen Sozialismus verstanden und daher als Große Sozialistische Oktober­revolution bezeichnet.

Russland im Ersten Weltkrieg und die FebruarrevolutionBereits seit 1914 war Russland eine kriegführende Partei des Ersten Weltkriegs. Das Land bildete mit Frankreich und Großbritannien eine Kriegsallianz, die sogenannte „Entente Cordiale“. Auf der anderen Seite stand das Bündnis der Mittelmächte Deutschland, Österreich­Ungarn und Osmanisches Reich. Eine Dynamik der Veränderungen hatte allerdings schon vor dem Krieg eingesetzt. Wichtig war hierbei vor allem die Industrialisierung, die gegen Ende des 19. Jahr­hunderts auch in Russland begann. Allerdings brachte diese dem Land einen langsameren industriellen Fortschritt, als es beispielsweise in Großbritannien oder Deutschland der Fall war.

Der Erste Weltkrieg stellte den ersten industriellen und „modernen“ Krieg dar. Da Russland aber noch weit­gehend von der Landwirtschaft geprägt war, überstie­gen die Anforderungen eines solchen Krieges zuneh­mend die Kräfte des Landes. Dies führte zu einer Verschärfung der ohnehin bereits bestehenden sozia­len Probleme. Vor allem die Versorgungslage der rus­sischen Bevölkerung verschlechterte sich im Laufe des Krieges. Anfang 1917 brach die Lebensmittelversorgung in den Großstädten und den Industriezentren des Landes praktisch zusammen. So kam es zu Hunger­revolten und Streiks im Land, vor allem durch die Arbeiter und Bauern. Die folgenden Revolutions­bewegungen wurden somit erst durch den Krieg er­möglicht.

Im Februar 1917 spitzte sich die Lage schließlich zu. Soldaten, die eigentlich an der Front für das Vaterland kämpfen sollten, liefen zu den Demonstranten über, was zu einer breiten Bewegung führte. Ende Februar gingen zudem Tausende Arbeiter auf die Straßen der damaligen russischen Hauptstadt Petrograd (heute Sankt Petersburg), um gegen den Mangel an Brot zu demonstrieren. Ausgelöst wurde dadurch die soge­nannte Februarrevolution. Bis Anfang März hatten sich bereits über 170 000 Soldaten den Aufständischen an­geschlossen. An vielen Orten im Land bildeten sich sogenannte Sowjets, das waren Arbeiter­ und Soldatenräte, die insbesondere in der Hauptstadt eine wichtige Rolle im weiteren Geschehen einnehmen sollten. Insgesamt führte die Februarrevolution zur Abdankung von Zar Nikolaus II. am 3. März 1917 und zum Ende der Monarchie in Russland. Die Staatsmacht im Land brach damit zusammen. Allerdings brachte dies noch keine Lösung der wichtigsten sozialen und politischen Probleme. Vor allem in der Landwirtschaft zeigten sich die Schwierigkeiten der Modernisierung des Landes, die von den Revolutionären angestrebt wurde, denn das Leben der einfachen Bauern war wei­terhin von Armut, Elend und Unterdrückung geprägt.

Nachdem Zar Nikolaus II. abgedankt hatte, herrschte in Russland eine Art Doppelherrschaft: auf der einen Seite das Parlament, die Duma, das eine Provisorische Regierung einführte, auf der anderen Seite die Arbeiter­ und Soldatenräte mit ihren sogenannten Exekutiv­komitees. Diese Räte repräsentierten die breite Masse der Arbeiter, Bauern und Soldaten, die die Demons tra­tionen im Land anführten. Die Übergangs regierung hingegen repräsentierte vor allem die bürgerlichen Bevölkerungsteile, Großgrundbesitzer und Aristokraten.

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1 Sturm auf den Winterpalast in Petrograd am 7. November 1917. Foto einer später nachgestellten Szene.

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2 Die Oktoberrevolution

Die Arbeiter­ und Soldatenräte erhoben nun vermehrt Ansprüche auf die Regierung. Und tatsächlich lag die Macht in ihren Händen, vor allem aufgrund der Unter­stützung breiter Teile der unteren Bevölkerungs­schichten. Somit musste sich die Übergangsregierung auf das Exekutivkomitee der Sowjets stützen, um sich an der Macht halten zu können.

Unter den Sowjets gaben insbesondere die Bolschewiki, eine kleine Arbeiter­Splitterpartei, den Ton an. Lenin, eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow, war Vorsitzender der bolschewistischen Partei und der aus ihr hervorgegangenen Kommunistischen Partei Russlands (1912–1924). Mehrmals musste er ins Exil gehen, da er im Untergrund für eine kommunistische Revolution in Russland arbeitete. Anfang April 1917 kehrte Lenin nach fast 16 Jahren aus dem Exil nach Russland zurück, um Einfluss auf die weitere Ent­wicklung im Land nehmen zu können, und bereitete sich mit seiner Partei auf einen bewaffneten Sturz der Regierung vor. Eine gewaltsame Revolution erschien ihm dafür die einzige Möglichkeit, da der Krieg trotz der großen Hungersnot fortgeführt wurde, in seinen Augen jedoch beendet werden musste.

Zentral waren vor allem die sogenannten Aprilthesen Lenins; sie fanden bei vielen Menschen breite Zu­stimmung, da Lenin versprach, sich für die Unter­stützung der ärmeren Bevölkerungsschichten einzu­setzen. Ein Großteil der Bevölkerung wollte daher ei­nen Waffenstillstand und damit ein Ende der Kriegs beteiligung sowie im Gegenzug die Versorgung mit Lebensmitteln. Diesen Wünschen entsprachen die Forderungen Lenins und seiner Bolschewiki. Sie stell­ten den Menschen den Frieden, das Land und das Brot, nach denen diese sich sehnten, in Aussicht. Lenin und seinen Gefolgsleuten gelang es so, den Unmut und die Unzufriedenheit dieser Bevölkerungsschichten aufzu­greifen.

Die Machtübernahme der BolschewikiDer Sommer des Jahres 1917 war ebenfalls von weite­ren Aufständen in einigen Städten des Landes geprägt. Auch hier übernahmen die Bolschewiki meist eine Führungsrolle. Einzelne Aufstände konnten jedoch von Truppen der Übergangsregierung niedergeschlagen werden. Im Oktober 1917 gelang es Lenin, seine Anhänger auf den Sturz der Übergangsregierung zu ver pflichten. Anfangs kam es nur zu wenigen Straßen­schlachten und Auseinandersetzungen, da die Revo­lutionäre insgesamt nur auf geringen Widerstand stie­ßen. Der entscheidende Durchbruch zur Macht gelang am 4. November 1917: Die Bolschewiki übernahmen den Befehl über die Petrograder Garnison. Die Hauptstadt und damit der Sitz der Übergangsregierung gelangten bis zum 7. November schließlich weit gehend in die Hand der Bolschewiki.

In der Nacht des 7. Novembers 1917 – nach dem da­mals in Russland gültigen Kalender war es der

25. Oktober – besetzten die Bolschewiki schließlich ohne Gegenwehr den Winterpalast, in dem die Provisorische Regierung ihren Sitz hatte. Die Mitglieder der Regierung wurden abgesetzt und verhaftet, der 2. Allrussische Kongress, der in der gleichen Nacht tagte, legitimierte in den frühen Morgenstunden des 8. Novembers die Machtübernahme der Bolschewiki. Diese Ereignisse gingen als Oktoberrevolution in die Ge schichte ein.

Am 11. November fanden die noch von der Über­gangsregierung angesetzten Wahlen zu einer verfas­sunggebenden Versammlung statt. Wahlsieger waren gemäßigte Sozialrevolutionäre, nicht jedoch die Bolschewiki. Allerdings bedeutete die Wahlniederlage wenig für Lenin. Entscheidend war für ihn vielmehr der Rückhalt der Bolschewiki in den Großstädten des Landes. Zudem verfügten sie als einzige Partei über eine feste Organisation und eine revolutionäre Strategie. Und durch die Antikriegspolitik und die Befürwortung der Landwirtschaft gewannen sie auch die Masse der armen Bauern für sich. Erfüllt wurde die Hoffnung auf ein Ende des Krieges letztlich mit den Friedensverhandlungen zwischen den Bolschewiki und dem Deutschen Reich, die im Dezember 1917 began­nen. Im März 1918 kam es zur Unterzeichnung des für Russland harten Friedens vertrages von Brest­Litowsk, mit dem das Land aus dem Ersten Weltkrieg ausschied.

Obwohl Russland einen großen Teil seiner Be­völkerung, seines Ackerlandes und seiner Industrie an das Deutsche Reich verlor, gelang es Lenin, den Friedensschluss als notwendig darzustellen. Die Bolschewiki antworteten auf die dadurch entstehende schwierige innere und äußere Situation Russlands im Frühjahr 1918 vor allem mit Terror und Gewalt. Erschießungen, Gewaltakte und Massenverhaftungen von Gegnern standen auf der Tagesordnung. Gewalt und Terror erschienen den Bolschewiki notwendig, um in einem rückständigen Land die neue kommuni­stische Gesellschaft zu schaffen. Das Ziel eines „neuen Staates“ konnte ihrer Meinung nur so erreicht werden. In der Folgezeit kam es damit zur Durchsetzung einer bolschewistischen Diktatur.

Was die Ziele der Bolschewiki betraf, so stand insbe­sondere eine Ablehnung des Parlamentarismus und des Kapitalismus im Vordergrund. Vor allem Lenin ver­achtete diese Systeme. Sein Nahziel war die Errichtung einer Diktatur des Proletariats, deren Basis die Arbeiter­ und Bauernmassen darstellen sollten. Das weiter rei­chende außenpolitische Ziel Lenins war eine kommuni­stische Weltrevolution. Er und seine Anhänger hofften, dass die Revolution auf die anderen Länder Europas übergreifen würde. Allerdings erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Die Revolutionen in Deutschland und Österreich, die 1918 folgten, brachten nur gemäßigte bürgerliche Parteien an die Macht. Innerhalb Russlands gelang es jedoch in der Folgezeit, das kommunistische System zu sichern und auszubauen.

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3 Die Oktoberrevolution

Die Gründung der SowjetunionInsgesamt sicherte die Oktoberrevolution den Bolsche­wiki die Macht im Land. Der wichtigste Gegner, die Provisorische Regierung, die aus der Februarrevolution hervorgegangen war, war gestürzt. Die verfassungge­bende Versammlung, in der die Bolschewiki in der Minderheit waren, wurde gewaltsam aufgelöst und die Meinungsfreiheit eingeschränkt. In der Folgezeit nach dem Kriegsende kam es zu einem langen Bürgerkrieg, denn die Lebensbedingungen wurden für die Be völ­kerung immer unerträglicher. Im Sommer 1918 erfolgte eine Art Gegenrevolution. Wichtig war hierbei die wei­ße Bewegung – Monarchisten, gemäßigte Sozialisten und Republikaner, die den Roten, also den Bolschewiki, feindlich gegenüberstanden. Die Truppen der Weißen waren im Bürgerkrieg der Roten Armee der Bolschewiki eigentlich militärisch überlegen. Allerdings konnten sie daraus keinen politischen Nutzen ziehen. Denn ihr Lager war zerstritten und ohne wirklichen Plan. Zudem boten sie den Bauern im Land nichts an, was diese zur Unterstützung hätte bewegen können.

In den Auseinandersetzungen steigerte sich die Gewalt im Land und verschärften sich die sozialen Probleme. Es kam zum Ruin der Volkswirtschaft und erneut zu einer weit verbreiteten Hungersnot. Die Bevölkerung Russlands nahm zwischen 1917 und 1922 um etwa 12,7 Millionen ab. Das Ziel der Bolschewiki,

eine neue Welt mit besseren gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen für die Bevölkerung zu errich­ten, war damit in weite Ferne gerückt. Die Bevölkerung des Landes war letztlich einem Gewaltregime unter­worfen. Der Bürgerkrieg und der Terror richteten Ver­wüstungen im ganzen Land an und große Teile der Bevölkerung wurden auch moralisch zerstört.

Es dauerte bis Ende 1919, bis sich die Bolschewiki im Bürgerkrieg im Kampf gegen ihre Gegner behaupten konnten. Die Niederlage der Weißen erfolgte vor allem, weil diese keine breite Anhängerschaft für sich gewin­nen konnten. Zudem schafften es die bolschewisti­schen Kräfte, den Widerstand der weißen Armeen und auch anderer gegnerischer Bürgerkriegsparteien mili­tärisch und durch den Einsatz ihres Terrors erfolgreich zu brechen, trotz der materiellen Unterstützung der Weißen durch ausländische Mächte. Die Rote Armee war letztlich zur größten Institution im Staat gewor­den.

Nach dem endgültigen Sieg der Bolschewiki im Bürgerkrieg wurde im Dezember 1922 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet. Diese vereinte einen Großteil der Territorien des unter­gegangenen Russischen Reiches wieder zu einem Staat. Die Verfassung der UdSSR wurde Anfang 1923 ausgearbeitet. Daraus gingen jedoch nicht automa­tisch stabile Verhältnisse im Land hervor. Es kam zu

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2 Lenins Rede auf dem 2. Allrussischen Kongress. Gemälde von Wladimir Serow, 1955

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4 Die Oktoberrevolution

Verstaatlichungen von Landwirtschaft und Produktion, zur Verfolgung des Bürgertums, Unterdrückung von Minderheiten und zu fortdauernder Anwendung von militärischer Ge walt gegen Systemgegner. Nach dem Tod Lenins am 21. Januar 1924 konnte sich ein Bolschewik im Nach folge kampf behaupten: Josef Stalin, seit 1922 General sekretär der Kommunistischen Partei (KPdSU) und Mitstreiter Lenins, setzte sich durch und stieg zu einer immer mächtigeren Position im Land auf. Er führte den Terror in noch stärkerem Aus maße fort und konnte auf diese Weise seine Macht gezielt festigen. Unter ihm kam es zu einer Diktatur mit systematischem Terror gegen große Teile der eige­nen Be völkerung, die bis zu seinem Tod im Jahr 1953 fortdauern sollte.

Die heutige Bedeutung der RevolutionDie russische Oktoberrevolution gilt als Geburtsstunde des totalitären Zeitalters und der totalitären Regime Europas der 1920er und 1930er Jahre. In Russland been­dete die Revolution außerdem die Hoffnung auf Demokratie für über 70 Jahre. Mittelbare Folge der Revolution war eine kommunistische Diktatur, dadurch

markierte die Oktoberrevolution zugleich den Beginn der Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus und somit des Ost­West­Konflikts, der bis zum Ende des Kalten Krieges mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 bestand. Damit erscheint die Oktoberrevolution 1917 als wichtiger Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

4 Die „Aprilthesen“ LeninsKurz vor seiner Rückkehr nach Russland aus dem Exil am 16. April 1917 erläutert Lenin in seinen „Aprilthesen“ vom 7. April 1917 die Aufgaben des Proletariats in einer Revolution:1. In unserer Stellung zum Krieg, der von Seiten Rußlands auch unter der neuen Regierung Lwow und Co., infolge des kapitalistischen Charakters dieser Regierung, unbe­dingt ein imperialistischer Raubkrieg bleibt, ist auch das kleinste Zugeständnis an die „revolutionäre Vaterlands­verteidigung“ unzulässig. Einem revolutionären Kriege, der die revolutionäre Vaterlandsverteidigung wirklich rechtfertigen würde, kann das klassenbewußte Proletariat zustimmen nur unter der Bedingung: a) des Übergangs der Macht in die Hände des Proletariats und der sich ihm anschließenden ärmsten Teile der Bauernschaft; b) des Verzichts in Taten und nicht nur in Worten auf alle Annexionen; c) des tatsächlichen und völligen Bruchs mit allen Interessen des Kapitals.

Die breiten Schichten der Anhänger der revolutionären Vaterlandsverteidigung in der Masse, die es zweifellos ehrlich meinen und den Krieg nur als notwendiges Übel gelten lassen, […] die jedoch von der Bourgeoisie betro­gen werden, muß man besonders gründlich, beharrlich und geduldig über ihren Fehler aufklären. Man muß ihnen den untrennbaren Zusammenhang zwischen Kapital und imperialistischem Krieg klarmachen, man muß ihnen be­weisen, daß die Beendigung des Krieges […] ohne den Sturz des Kapitals unmöglich ist. […]

2. Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Rußland be­steht in dem Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewußtseins und der mangelhaften Organisiertheit des Proletariats die Bourgeoisie an die Macht brachte, zur zweiten Etappe, die die Macht in die Hände des Proletariats und der armen Schichten der Bauernschaft legen muß. […]

3. Keinerlei Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, besonders der des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung an Stelle der unzulässigen, Illusionen erweckenden „Forderung“, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein.

4. Anerkennung der Tatsache, daß in den meisten Arbeiterdeputiertenräten unsere Partei in der Minderheit ist, vorläufig sogar in einer schwachen Minderheit gegen­über dem Block aller kleinbürgerlichen, dem Einflusse der Bourgeoisie unterlegenen […] Elemente […]. Solange wir

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3 Der russische Staatspräsident Wladimir Putin betritt den Alexandersaal des Kremlpalastes. Foto, 28. Mai 2015

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5 Die Oktoberrevolution

in der Minderheit sind, ist unsere Arbeit die Kritik und die Aufdeckung der Fehler, wobei wir gleichzeitig den uner­läßlichen Übergang der gesamten Staatsgewalt auf die Sowjets der Arbeiterdelegierten propagieren, damit die Massen ihre Fehler durch Erfahrung überwinden.

5. Nicht parlamentarische Republik – eine Rückkehr von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser wäre ein Schritt rückwärts –, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter­, Landarbeiter­ und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben. […]

6. Im Agrarprogramm Verlegung des Schwergewichts auf die Sowjets der Landarbeiterdeputierten. Enteignung des gesamten adligen Grundbesitzes. Nationalisierung des gesamten Bodens im Lande; über ihn verfügen die örtlichen Sowjets der Landarbeiter­ und Bauerndepu­tierten. […]

7. Sofortige Verschmelzung aller Banken des Landes zu einer Nationalbank, die der Kontrolle des Sowjets der Arbeiterdeputierten untersteht.

8. Nicht „Einführung“ des Sozialismus als unsere unmit­telbare Aufgabe, sondern einstweilen nur sofortige Übernahme der Kontrolle der gesellschaftliche Produktion und Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten.

9. Aufgaben der Partei: a) Sofortiger Parteitag; b) Änderung des Parteiprogramms, vor allem: 1. über den Imperialismus und den imperialistischen Krieg, 2. über die Stellung zum Staat und unsere Forderung eines „Kommunestaates“; 3. Änderung des veralteten Minimalprogramms; c) Änderung des Namens der Partei [„Kommunistische Partei“ statt „Sozialdemokratie“].

10. Erneuerung der Internationale. Initiative zur Schaffung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen die Sozialchauvinisten und gegen das „Zentrum“ […].

Zit. nach: Hermann Weber (Hg.), Lenin. Aus den Schriften 1895–1923, München, 1967, S. 152 ff.

5 Der Putsch der BolschewikiAm 7. November 1917 kommt es zum Sturm der Bolschewiki auf den Winterpalast in Petrograd, dem Regierungssitz der damaligen Übergangsregierung. Der letzte Innenminister dieser Übergangsregierung, Alexey Maximowitsch Nikitin, erinnert sich:Die Menge stürzte sich mit Schreien auf uns: Erschießt sie, die Blutsauger, spießt sie auf die Bajonette usw. Die Menge durchbrach die Wachmannschaft, die einen Kreis um uns gebildet hatte, und wenn Antonow [Wladimir Alexandrovitsch Antonow­Owsejenko, Mitglied des Militärrevolutionären Komitees in Petrograd und Anführer des Sturms auf den Winterpalast] sich nicht eingemischt hätte, dann wären die Folgen für uns zweifellos äußerst schwerwiegend gewesen. Man führte uns zu Fuß die Millionnaja­Straße entlang, in Richtung der Peter­Pauls­Festung. Antonow trieb uns die ganze Zeit an, weil er fürchtete, man werde uns lynchen. Wir liefen, umringt von

einer wütenden Menge. Als wir die Troitzki­Brücke über­querten, trafen wir auf eine neue Menge Soldaten und Matrosen. Die Matrosen schrien: „Warum macht Ihr Umstände mit ihnen? Werft sie in die Newa.“ Wieder drohte uns Gefahr. Dann hakten wir uns bei den Wachsoldaten unter und liefen mit ihnen in Reih und Glied. Dann begann auf der anderen Seite der Brücke eine wilde Schießerei. Es schossen Rotgardisten und auch be­waffnete Soldaten von ihren Automobilen. Die uns beglei­tende Menge zerstreute sich sofort, was uns davor be­wahrte, gelyncht zu werden. Wir alle lagen gemeinsam mit den Wachsoldaten auf der Erde […]. Die Schießerei dauerte lange, und erst, als wir die Wachsoldaten voraus­schickten und sie erklärten, dass wir zu ihnen gehörten, hörte die Schießerei auf. Wie standen auf und wurden in die Festung geführt.

Zit. nach: Jörg Baberowski, Was war die Oktoberrevolution?, in: APuZ 44/45 (2007), S. 7. (Bundeszentrale für politische Bildung)

6 Auszüge einer Erklärung eines SowjetsIn einer Erklärung des Sowjets der Arbeiter- und Bauern-deputierten des Bezirks Perm vom 14. März 1918 formu-lierten diese die Notwendigkeit und die Ziele der angestrebten Veränderungen:Wir müssen unser Leben nach neuen, sozialistischen Arbeitsprinzipien organisieren, nach denen die Aus­beutung durch Grundbesitzer und Kapitalisten, die Trennung von Herren und Knechten nicht länger existiert, nach denen nur die Arbeit und die Gleichheit herrschen und alle Rechte, Vorteile und aller Reichtum einzig den arbeitenden Menschen gehören. Um diese neuen Prin zi­pien der Arbeit zu stärken, müssen in den Dörfern, Markt­städten, Ortschaften, Bezirken, Provinzen und Regionen bis hin zum allrussischen Zentrum ökonomische und son­stige Notmaßnahmen akzeptiert und umgesetzt werden. Gefordert ist die Schaffung einer einheitlichen Regierung der arbeitenden Menschen, um zu garantieren, dass diese schnell in den Genuss der Früchte ihrer Arbeit kommen.

Zit. nach: Steve A. Smith, Die Russische Revolution, Stuttgart, 2011, S. 63.

7 Brief eines Rotarmisten an LeninIn einem Brief an Lenin vom 25. Dezember 1918 beklagt ein unbekannter Rotarmist – also ein Anhänger der Bolschewiki – die vorherrschenden Verhältnisse im Land:Ein Wort mit Dir, Du blutdürstige Bestie. Du drangst in die Reihen der Revolution ein und ließest nicht zu, dass die Konstituierende [verfassunggebende] Versammlung tagte. Du sprachst: „Nieder mit den Gefängnissen. Nieder mit den Erschießungen. Nieder mit dem Kriegshandwerk. Die Lohnarbeiter sollen in Sicherheit leben.“ Du ver­sprachst Berge von Gold und ein paradiesisches Leben. Die Leute erlebten die Revolution, begannen, frei zu at­men. Wir durften uns versammeln und ohne Angst sagen, was wir wollten. Und dann kamst Du Blutsauger und nahmst den Menschen die Freiheit. Statt die Gefängnisse in Schulen zu verwandeln, sind sie heute voller unschul­

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6 Die Oktoberrevolution

diger Opfer. Statt die Erschießungen zu verbieten, hast Du den Terror organisiert, und täglich werden Tausende Menschen mitleidlos erschossen. Du hast die Industrie zum Stillstand gebracht, so dass die Arbeiter hungern, die Menschen keine Schuhe und Kleider mehr haben.

Zit. nach: Steve A. Smith, Die Russische Revolution, Stuttgart, 2011, S. 95.

1. Legen Sie eine Zeitleiste der Ereignisse in Russland der Jahre 1914 bis 1924 an.

2. Erklären Sie die Ziele der Bolschewiki. (M 4, M 6)

3. Das Foto M 1 zeigt eine spätere Nachstellung des Sturms auf den Winterpalast. Erläutern Sie, wie das Ereignis gezeigt wird.

4. Analysieren Sie das Gemälde M 2. Gehen Sie dabei vor allem auf die Darstellung der Personen ein.

5. Beschreiben Sie, welche Rolle Gewalt und Terror in den Ereignissen während und nach der Oktoberrevolution spielten. (M 5)

6. Erläutern Sie anhand des Briefes des Rotarmisten (M 7), inwieweit die Ziele der Bolschewiki erreicht wurden.

7. Der Historiker Jörg Baberowski formuliert in Bezug auf den Ersten Weltkrieg: „Der Erste Weltkrieg war der Toten-gräber des alten und der Geburtshelfer des neuen Regimes. Er war für Russland die Urkatastrophe, die in den Bolschewismus führte.“ Nehmen Sie Stellung zu dieser Einschätzung.

8. Untersuchen Sie M 3 und stellen Sie Vermutungen darüber an, in welcher Tradition sich das heutige Russland sieht. Recherchieren Sie dann im Internat danach, wie das offizielle Russland die Ereignisse von 1917 bewertet.

9. Waren die Ereignisse im November 1917 eine Revolution oder ein Putsch? Informieren Sie sich über die Definition dieser Begriffe und diskutieren Sie diese Frage gemeinsam.

Autoren: Steffen Barth, David Siegel

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