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4 Entwurf der Reichenbachtalbrücke der Thüringer Waldautobahn A 71 verbunden mit allgemeinen Gedanken zum Thema Brücken Prof. Dr.-Ing. Jörg Peter und Dipl.-Ing. Roland Wetzel Peter und Lochner, Beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart 4.1 „Brücken“ Brücken sind einerseits Überführungsbauwerke für Fußgänger, Radfahrer, Autos und Eisenbahnen, aber auch für Was- serstraßen und Leitungen; sie überbrücken Gewässer, Täler, Verkehrswege und manchmal sogar ganze Stadtteile; andererseits sind Brücken Verbindungen zwischen den Menschen in vielfältiger Hinsicht, die in dem versöhnlichen Aus- spruch oder Vorsatz „Dem anderen eine Brücke bauen“ zum Ausdruck kommen (Bild 4.1). Bild 4.1: „Dem anderen eine Brücke bauen“ Diese Verbindungen (Brücken) bestehen, um nur ei- nige Beispiele zu nennen, persönlich von Mensch zu Mensch zwischen Politikern und Bürgern, aber auch zwischen Politikern untereinander über Landesgrenzen, sogar über Kontinente hinweg zwischen verschiedenen Religionen zwischen Ost und West. 71

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4 Entwurf der Reichenbachtalbrücke der Thüringer WaldautobahnA 71 verbunden mit allgemeinen Gedanken zum Thema Brücken

Prof. Dr.-Ing. Jörg Peter und Dipl.-Ing. Roland WetzelPeter und Lochner, Beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart

4.1 „Brücken“

Brücken sind einerseits

• Überführungsbauwerke für Fußgänger, Radfahrer, Autos und Eisenbahnen, aber auch für Was-serstraßen und Leitungen; sie überbrücken Gewässer, Täler, Verkehrswege und manchmal sogarganze Stadtteile;

andererseits sind Brücken

• Verbindungen zwischen den Menschen in vielfältiger Hinsicht, die in dem versöhnlichen Aus-spruch oder Vorsatz „Dem anderen eine Brücke bauen“ zum Ausdruck kommen (Bild 4.1).

Bild 4.1: „Dem anderen eine Brücke bauen“

Diese Verbindungen (Brücken) bestehen, um nur ei-nige Beispiele zu nennen,

• persönlich von Mensch zu Mensch

• zwischen Politikern und Bürgern, aber auch

• zwischen Politikern untereinander

• über Landesgrenzen, sogar über Kontinentehinweg

• zwischen verschiedenen Religionen

• zwischen Ost und West.

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Bild 4.2: „Brücken“ von Tomi Ungerer

Die Symbolträchtigkeit des Wortes Brücken kann nicht besserdargestellt werden als in der Grafik des im Elsaß geborenenTomi Ungerer (Bild 4.2): Gewölbte Brücken über den Rheinim Dreiländereck Elsaß, Schweiz und Baden-Württemberg mitsich übergreifenden Händen, die die Zusammengehörigkeitdieser Region über natürliche und politische Grenzen hinwegverdeutlichen! Nun können leider – meist aus unverständlichenGründen – Brücken auch zerstört werden. Ein Beispiel hier-für ist die im Jahre 1566 fertiggestellte 28 m weit gespann-te Bogenbrücke über die Neretwa in Mostar (Bild 4.3, vomerstgenannten Verfasser im Jahre 1958 aufgenommen). DieseBrücke wurde zum Wahrzeichen der Völkerverständigung zwi-schen unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen,zwischen Katholiken und Muslimen! Sie hatte damit im ein-gangs erwähnten Sinne eine doppelte Bedeutung. Die Unescozählte sie zum „schützenswerten Kulturerbe der Menschheit“.

Am 09. November 1993 stürzte die Brücke nach monatelangem Artilleriebeschuss durch kroatischeTruppen ein. Damit stellt die zerstörte Brücke ein sichtbares Zeugnis nicht nur für die Zerstörung eineshochwertigen Bauwerkes dar, sondern auch – und was noch viel schwerwiegender ist – für die Zer-störung menschlicher Bindungen. Und dies geschah mitten in unserem zivilisierten Europa, nicht allzuweit weg von uns, eine nur schwer begreifliche Tatsache!

Weitere Beispiele von gegenwärtigen politischen Konflikten, bei denen menschliche Bindungen zer-stört werden, sind der Nahostkonflikt, wie dies die „Brücke von Camp David“ darstellt (Bild 4.4),oder die erst kürzlich wieder aufflackernden Streitigkeiten um Kaschmir zwischen Pakistan und Indien(Bild 4.5). Man könnte die Reihe leider beliebig fortsetzen.

Die zerstörte Brücke über die Neiße bei Forst (Bild 4.6) symbolisierte den Abbruch jeglicher Beziehun-gen zwischen Ost und West zur Zeit des Kalten Krieges. Gott-sei-Dank ist diese Eskalation Geschich-te und heute werden die verlorengegangenen Bindungen und Verbindungen wiederhergestellt, wie esder Bau der mehrfeldrigen Bogenbrücke der Autobahn BAB A 12 über die Oder bei Frankfurt zeigt(Bild 4.7). Auch der Bogen als Synonym für Brücke hat mit dem Sprichwort „Einen Bogen spannen“eine doppelte Bedeutung.

Eine weiteres bedeutendes Beispiel ist die Berliner „Luftbrücke“ (Bild 4.8). 1948 versuchte die So-wjetunion durch eine Blockade Westberlins die Westalliierten zum Abzug aus der Stadt zu zwingen.Die Westmächte beugten sich diesem Druck jedoch nicht, sondern versorgten die betroffenen Stadtteileüber eine Luftbrücke. Die im Volksmund genannten „Rosinenbomber“ transportierten in rund 200.000Einsätzen 1,5 Millionen Tonnen Versorgungsgüter in die belagerte Stadt. Die Sowjets lenkten nach über11 Monaten ein und beendeten die Blockade im Mai 1949.

Nicht ohne Grund hat sich eine besondere Künstlergruppe, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts inDresden zusammenfand, den Namen „Die Brücke“ gegeben, denn sie waren sich dem Verbindendenvon ihrer Kunst zur Gesellschaft voll bewußt. Schließlich werden die von den auf Bild 4.9 genanntenKünstlern geschaffenen Kunstwerke als Ausgangs- und Höhepunkt des deutschen Expressionismusbetrachtet.

Auch der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden ist eine „Brücke“! Damit sind nicht nur die vielentragenden Bögen im Inneren gemeint, sondern auch die unerhörte Kraft, die dieser Wiederaufbau für die

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Bild 4.3: Ehemalige Brücke über die Neretwa in Mostar

Bild 4.4: Karikatur zum Nahostkonflikt: Brücke von„Camp David“

Bild 4.5: Karikatur zu den Streitigkeiten um Kasch-mir zwischen Indien und Pakistan

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Bild 4.6: Zerstörte Brücke über die Neiße beiForst

Bild 4.7: Bogenbrücke der BAB A 12 über die Oderbei Frankfurt

Bild 4.8: Berliner Luftbrücke Bild 4.9: „Die Brücke in Dresden 1905–1911“

Überwindung von materieller und immaterieller Zerstörung und damit für den gesamten Wiederaufbauschlechthin symbolisiert (Bild 4.10). Ausgedrückt wird dieser hehre Anspruch durch das Transparentam Baugerüst der Frauenkirche „Brücken bauen und Versöhnung leben“.

4.2 Entwurf der Reichenbachtalbrücke

4.2.1 Allgemeines

Die Reichenbachtalbrücke gehört zum Neubau der Autobahn A 71, der sogenannten Thüringer Waldau-tobahn, die im Endausbau von Erfurt nach Schweinfurt führt. Die Brücke liegt in der Nähe von Ilmenauzwischen den Orten Geraberg und Martinroda am nördlichen Auslauf des Thüringer Waldes und über-quert das breite Reichenbachtal mit der Bundesstraße B 4, der Landesstraße L 2699 und der BahnlinieArnstadt – Ilmenau. Eine kurze Beschreibung der Reichenbachtalbrücke erfolgte bereits durch G. Den-zer und W. Schmidtmann in [1]

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Bild 4.10: Transparent am Baugerüst an der Frauenkirche Dresden

Im Auftrag der DEGES wurden durch den Architekten Peter Jakob (✟ ), Stuttgart, u. a. für die VKE 5314,zu der die Reichenbachtalbrücke gehört, Gestaltungsgrundsätze festgelegt, die beim Entwurf der Brückezu beachten waren. Zudem war Herr Jakob als Berater in architektonischen Fragen hinzuzuziehen. DieZusammenarbeit war hervorragend, so wie bei zwei Brücken in Baden-Württemberg, für die Ingenieur-wettbewerbe ausgelobt wurden, die das Büro Peter und Lochner unter Mitwirkung von Herrn Jakobgewinnen konnte.

4.2.2 Vorentwurf 1. Phase

Im Oktober 1994 erhielt das Büro Peter und Lochner, Stuttgart, von der DEGES den Auftrag, einenVorentwurf für die ca. 1.000 m lange und 28,50 m breite Reichenbachtalbrücke zu erstellen. Das bis zu60 m hohe Brückenbauwerk sollte mit ausgewogenen Proportionen in das reizvolle Tal eingefügt wer-den. Hierbei war zunächst die Maßgabe des BMV zu beachten, für Beton- und Verbundbrücken zwei-teilige Überbauten zugrunde zu legen. Es wurden 12 Entwürfe vorgelegt, die skizzenhaft in Bild 4.12dargestellt sind. Für die Varianten 1 bis 6 wurden zudem ein Bewertungsschema erstellt und Kostenermittelt. Letztere lagen zwischen 66 und 69 Mio. DM oder 33,7 und 35,3 Mio.� .

Die Varianten 7 bis 12 dienten der Einbeziehung weiterer Lösungsmöglichkeiten. Hierbei wurden vorallem die Bogenbrücken (Varianten 9 und 10) eingehend diskutiert, die letztlich doch ausschieden, da

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Bild 4.11: Lageplanskizze

sie für das relativ flache Tal nicht geeignet erschienen und die Kosten mit etwa 78 Mio. DM oder knapp40 Mio.� doch deutlich über den Kosten der anderen Lösungen lagen.

Ausgewählt wurde in dieser Planungsphase eine Lösung ähnlich der Variante 1, bestehend aus Spann-betonhohlkästen mit 14 Feldern und einer größten Spannweite in Brückenmitte von 108 m, jedoch mitVouten in nur 5 Mittelfeldern. Dieser Entwurf (Variante 1.2, Bild 4.13) wurde dann in die Planfeststel-lung aufgenommen.

Auch die Variante 6, eine Stahlfachwerkbrücke mit 7 m Konstruktionshöhe und Doppelverbund, standbis zuletzt in der engeren Wahl, da sie eine gute Transparenz bei wenigen Unterstützungspunkten ergab(Bild 4.14). Besonders hervorgehoben sei, dass das Stahlfachwerk vor den Widerlagern endet und in denjeweils letzten 3 bzw. 4 vergleichsweise kurzen Spannweiten nur die Betonfahrbahnplatte weitergeführtwird. Damit lassen sich die Widerlagerkörper sehr klein halten, was sich auf die Gestaltung der Brückevor allem im Hinblick auf ihre Einbindung in das Gelände sehr positiv auswirkt. Ausschlaggebend,diese Lösung letztlich doch fallen zu lassen, waren unterschiedliche Ansichten über die gestalterischeWirkung und höhere Kosten gegenüber Variante 1.2.

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Bild 4.12: Entwurfsvarianten 1–12

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Bild 4.13: Variante 1.2, 2-teiliger Querschnitt aus Spannbeton, in der ersten Entwurfsphase gewählte Lösung

Bild 4.14: Variante 6, parallelgurtiger Stahlfachwerkträger mit Doppelverbund

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4.2.3 Vorentwurf 2. Phase

Neue Erkenntnisse des BMV’ ermöglichten nun bei hohen Talbrücken auch für Stahlverbundbrückeneinen einteiligen Überbau. Dadurch konnten Pfeilerpaare, die vor allem bei Schrägsicht das Tal „ver-bauen “ und gestalterisch unbefriedigend wirken, vermieden werden. Auch entstehen bei der Gründungder Brücke deutlich geringere Kosten.

Im Juli 1996 erhielt das Büro Peter und Lochner daher den Zusatzauftrag, einen Vorentwurf mit einteili-gem Überbau zu erstellen. Gewählt wurde ein Verbundquerschnitt mit seitlichen Streben zur Unterstüt-zung der beidseitig weit auskragenden Fahrbahnplatte. Spannweiten und Form des Überbaus lehntensich stark an die in der 1. Vorentwurfsphase ausgesuchte Lösung an, d. h. innerhalb der 5 Mittelfelderwurden Vouten und zu den Widerlagern hin eine konstante Trägerhöhe vorgesehen. Die Spannweitender 14 Felder betragen 45, 55, 60, 65, 75, 80, 95, 110, 95, 80, 75, 70, 60 und 50 m; dies entspricht einerBrückenlänge von 1015 m.

Für die Ausbildung des Querschnitts wurden vor allem im Hinblick auf die Lage des Zugbandes imwesentlichen 2 Lösungen untersucht (Bild 4.15).

• Querschnitt 1: Zugband liegt frei unter der Fahrbahnplatte.

Durch die Trennung des Zugbandes von der Platte ist es möglich, die ursprünglich vorgesehe-ne Bauweise „Taktschieben der Fahrbahnplatte“ auszuführen. Nachteilig sind große Versatzmo-mente am Anschluß der Fahrbahnplatte sowie größere Querzugspannungen der Platte infolgeungleicher Erwärmung der Stahlbänder gegenüber der Platte.

• Querschnitt 2:

Zugband ist untenliegend fest mit der Fahrbahnplatte verbundenDie bei Querschnitt 1 genannten Nachteile treten nicht auf. Zusätzlich kann aufgrund der Trä-gerrostwirkung die Fahrbahnplatte im Mittel dünner ausgeführt werden. Geringfügig nachteiligwirken sich die auftretenden lokalen Längsbiegemomente der Platte über den Querrahmen aus.Für die Weiterbearbeitung wurde diese Lösung gewählt.

Beim Entwurf von einteiligen Verbundquerschnitten ist zu berücksichtigen, dass Teile der Stahlbeton-fahrbahnplatte, die bei einem eventuellen Katastrophenereignis (z. B. Brand) beschädigt werden, unterlaufendem Verkehr erneuerbar sein müssen. In Längsrichtung war z. B. ein Abschnitt mit einer Län-ge von z. B. 15 m an beliebiger Stelle anzunehmen. In der Querrichtung war zunächst daran gedacht,die Platte im Bedarfsfall auf halber Breite abzubrechen, was jedoch statische Nachteile ergab und dieKonstruktionsstahlmenge sowie die Bewehrung in der Fahrbahnplatte beträchtlich erhöhte. Dies wäreunwirtschaftlich gewesen.

Es zeigte sich jedoch bei einer anderen Brücke, dass die Plattenerneuerung auch ohne großen zusätz-lichen Materialaufwand möglich ist, wenn die Arbeiten auch in Querrichtung in mehr als zwei Ab-schnitten vorgenommen werden und vor bzw. hinter dem neuen Plattenabschnitt mit Ballastierungengearbeitet wird, um die Torsionsmomente zu begrenzen. Zudem ist es möglich, im Bereich der Erneue-rung horizontale Verbände unterhalb der Platte an die Obergurte des Stahltroges anzuschließen, um dieerforderliche Torsionssteifigkeit zu erhalten. Allein schon der aufrecht zu erhaltende Vier+Null-Verkehrbedeutet eine hohe Torsionsbeanspruchung für den geschwächten Querschnitt.

Im Rahmen dieser Vorentwurfsphase wurde auch eine Möglichkeit untersucht, die Stahlbetonfahrbahn-platte in einem Taktkeller herzustellen und auf dem bereits fertiggestellten Stahlträger einzuschieben,

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Bild 4.15: Regelquerschnitt im Feld, verschiedene Anordnungen und Ausbildungen des Zugbandes in Brücken-querrichtungQuerschnitt 1: mit frei unter der Platte liegendem ZugbandQuerschnitt 2: Stahlzugband im Verbund mit der Fahrbahnplatte

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wodurch die Qualität der Fahrbahnplatte hätte gesteigert werden können. Zudem wären keine Schal-wagen erforderlich gewesen. Eine solche Lösung hätte jedoch entlang der 5 Auflagerlinien an der Be-tonunterseite Stahlplatten erfordert, die dann nach Beendigung des Verschubes mit den Obergurten desStahltrogs hätten verschweißt werden müssen, um den Verbund herzustellen.

Wir haben diese Lösung nicht weiter verfolgt, da wir während dieser Bearbeitungsphase bei einer ande-ren Brücke das Taktschiebeverfahren parallel zur konventionellen Herstellung der Fahrbahnplatte mitSchalwagen ausgeschrieben hatten mit dem Ergebnis, daß das Taktschieben deutlich teurer war als diekonventionelle Methode. Ob dies nun an der Herstellung der vielen „Über-Kopf-Längsschweißnähte“gelegen hat, oder ob das Risiko des Einschiebens zu hoch bewertet wurde, ließ sich nicht nachvollzie-hen.

Für die Gestaltung und konstruktive Ausbildung der Pfeiler wurden 4 verschiedene Pfeilerformen un-tersucht (Bild 4.16):

Pfeilerform 1: HohlpfeilerPfeilerform 2.1: aufgelöster Pfeiler mit parallelgurtigen RiegelnPfeilerform 2.2: aufgelöster Pfeiler mit gevouteten RiegelnPfeilerform 3: massiver Pfeiler mit Hammerkopfquerschnitt

Bild 4.16: Verschieden Pfeilerformen

Allen Pfeilern gemeinsam ist der Anlauf des Pfeilerschafts mit 70:1 in beiden Richtungen und dieForm des Pfeilerkopfes. Dies stellt ansprechende Lösungen dar, da durch den in Brückenquerrichtungvorgesehenen Anlauf nach außen die Neigungen der Stegbleche und der Streben des Stahlüberbausaufgenommen werden und somit ein formaler Bezug zwischen Überbau und Pfeilern hergestellt wird.

Nach eingehenden, zum Teil am Standort geführten Diskussionen zwischen Vertretern des BMV’, derDEGES, dem beratenden Architekten und den entwerfenden Ingenieuren, wurde dem Hohlpfeiler derVorzug gegeben, da dieser mit seiner schlichten Gestalt der ruhigen Tallandschaft am besten gerechtwird. Hierbei spielte auch eine Rolle, dass bei jedem Unterstützungspunkt des Überbaus infolge deseinteiligen Querschnitts nur ein Pfeiler angeordnet werden konnte!

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4.2.4 Entwurf und Ausschreibung

Im Juli 1998 konnte mit der Entwurfsplanung und Erstellung der Ausschreibungsunterlagen begonnenwerden, die im Dezember des gleichen Jahres abgeschlossen wurden.

4.2.4.1 Überbau

Die Spannweiten und die Form des Überbaus, bestehend aus einem einteiligen Verbundquerschnitt mitStreben zur Unterstützung der auskragenden Stahlbetonfahrbahnplatte, entsprechen der in der 2. Vor-entwurfsphase ausgewählten Lösung. Die Spannweiten der 14 Felder wurden geringfügig modifiziertund auf ein Vielfaches des Strebenabstandes mit 5 m abgestimmt. Sie betragen nun 40, 50, 55, 65,75, 80, 95, 105, 95, 80, 75, 70, 65 und 50 m. Dies entspricht einer Überbaulänge von exakt 1.000 m(Bild 4.17).

Die Konstruktionshöhe des Überbaus im parallelgurtigen Teil der Brücke konnte mit 3,70 m relativschlank gehalten werden (Bild 4.18). Diese Höhe nimmt in den jeweils ersten gevouteten Feldern überden Stützen auf 5,85 m und über den Stützen beiderseits der größten Spannweite (105 m) auf 6,50 m zu(Bild 4.19).

Die Dicke der Fahrbahnplatte beträgt 28 und 30 cm, die im Bereich der Längsvouten entlang der 5Unterstützungen auf 50 cm anwächst. Auch in Querrichtung sind in der Fahrbahnplatte im Abstand derStreben Vouten angeordnet, um die Stahlzugbänder problemlos mit Kopfbolzendübeln durchgehendanschließen zu können. Das Anordnen von Vouten hat den Vorteil, daß die Plattendicke und damitdie Platteneigenlast über weite Bereiche relativ gering gehalten werden können und daß entlang derUnterstützungen keine Schubbewehrung erforderlich wird. Auch zeigte sich, daß die Herstellung einerPlatte mit Vouten keine besonderen Erschwernisse mit sich bringt.

Der Stahlüberbau besteht aus einem Trogquerschnitt üblicher Bauweise, der durch Querrahmen, Diago-nalen und den oben liegenden Zugbändern im Abstand von 5 m ausgesteift ist. Steg- und Bodenblecheerhalten trapezförmige Steifen, um ein Ausbeulen zu verhindern. Die aus einzelnen Stahllamellen auf-gebauten Bleche mit bis 60 mm Dicke der Ober- und Untergurte sind in Längsrichtung den statischenErfordernissen angepaßt. Die Streben bestehen aus Rohren∅ 323,9 mm und sind im Bauzustand obendurch die Zugbänder aus Flachstählen gehalten.

Ein wichtiger Aspekt ist der Anschluß der Streben: Am oberen Ende ist eine Konsole aus Blechen undSteifen vorgesehen, um den Eindruck zu vermitteln, daß die Kraft der Strebe rechtwinklig eingeleitetwird. Dies gilt auch für den Anschluß an den Untergurt des Troges. Hier ist jedoch vorgesehen, daßdie schrägen Deckbleche über die gesamte Brückenlänge durchlaufen, um die Form des Untergurtes –geradlinig in den Randfeldern und geschwungen in den gevouteten Bereichen – zu betonen. Die räum-liche Perspektive des (Bild 4.20) macht den Effekt dieses Gestaltungselementes besonders deutlich.

4.2.4.2 Pfeiler

Auf die Pfeilerform wurde bereits in Abschnitt 3 eingegangen (Bild 4.15). Bei der Gestaltung der Pfeilerist es notwendig, nicht nur den höchsten Pfeiler zu betrachten, sondern alle 13 Pfeiler! Bild 4.21 zeigtdrei Pfeiler mit der größten, einer mittleren und der geringsten Höhe. Man erkennt, daß für alle 3 Fälledie Pfeilerform, auch im Zusammenhang mit dem Überbau, als ausgewogen angesehen werden kann.

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Bild 4.18: Querschnitt im parallelgurtigen Bereich, Überbauhöhe 3,70 m

Bild 4.19: Querschnitt über einem Mittelpfeiler, Überbauhöhe 6,50 m

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Bild 4.20: Räumliche Ansicht des Überbaus im gevouteten Bereich mit einem Pfeiler

Da die Pfeiler hohl ausgeführt werden, müssen diese begehbar sein. Dies bedingt die Anordnung allernotwendigen Einrichtungen, wie z. B. Leitern und Podeste.

4.2.4.3 Widerlager

Durch die relativ niedrige Bauhöhe des Brückenüberbaus an seinen Enden konnte die Größe des Wi-derlagerkörpers angemessen klein gehalten werden. Dies ist sehr wichtig für eine möglichst zurückhal-tende Einbindung des Bauwerks in das Gelände! Den empfohlenen Gestaltungselementen folgend sinddie Vorderseiten der Flügelwände schräg, und zwar unter 90° zur Böschungsneigung gestellt, da diesdie bereits angesprochene zurückhaltende Einbindung in das Gelände verstärkt (Bild 4.22). Wichtig isthierbei, daß auch das Gesims am Ende mit einer abschließenden Schräge, die parallel zur geneigtenWiderlagerwand verlaufen muß, in die Böschung einmündet.

4.2.4.4 Gesims und Geländer

Dem Gesims kommt im Hinblick auf die äußere Erscheinungsform des Überbaus eine besondere Be-deutung zu. Es verdeckt einen Teil des Überbaus, wodurch der tragende Querschnitt aus der Ferne be-trachtet visuell schlanker erscheint. Zudem erhalten die durch die auskragende Fahrbahnplatte meist imSchatten liegenden Stegflächen einen oberen kontrastreichen Abschluß durch das vom Sonnenlicht an-gestrahlte Gesimsband. Dieses besteht aus einer leicht nach innen geneigten Ansichtsfläche, deren Höhemit 80 cm, bezogen auf die Überbauhöhe, als proportional ausgewogen angesehen wird (Bild 4.23). DasGeländer besteht aus üblichen Walzprofilen, die zu einem Pfostengeländer mit 3 Holmen zusammenge-setzt sind. Den genannten Gestaltungsrichtlinien folgend, sind die Pfosten schräg gestellt und ragen indas Gesimsband hinein. Sie sind mit einem speziell zugeschnittenen Blech am Kappenbeton befestigt(Bild 4.23). Damit scheint das Geländer „zu schweben“, und die Schrägstellung verleiht der Brückeeine schnittigere Ansicht, gerade auch aus schiefwinkliger Perspektive.

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Bild 4.21: Pfeilerformen für die niedrigste, eine mittlere und die größte Höhe

4.2.4.5 Gründung

Die Gründung wurde bereits in [1] beschrieben, daher wird hier nur kurz auf das wichtigste hinge-wiesen: Es kommen aufgrund der geologischen Verhältnisse drei Gründungsarten zur Ausführung. Diebeiden Widerlager und die Pfeiler in den Achsen 2 und 3 werden flach auf Bodenaustausch gegründet.Für die Pfeiler in den Achsen 4 bis 6 sind Bohrpfähle∅ 1,50 m vorgesehen, die in die tragfähigenSchichten einbinden. Für die Pfeiler in den Achsen 7 bis 14 kommt aus wirtschaftlichen Gründen eineim Hochbau bereits angewendete kombinierte Pfahl-Platten-Gründung zum Einsatz, hier zum erstenMal im deutschen Großbrückenbau. Durch den Ansatz des kombinierten Tragverhaltens der Pfahlkopf-platten und der Gründungspfähle konnte die erforderliche Pfahllänge von ursprünglich bis zu 43 m auf15 m reduziert werden.

4.2.4.6 Lagerung

Auch über die Lagerung der Brücke wurde in [1] berichtet. Auf den vier Mittelpfeilern in den Achsen7 bis 10 sind unverschiebbare Kalottenlager und in den Achsen 2 bis 6 und 11 bis 14 sowie auf denWiderlagern längsverschiebbare Topflager, von denen eine Reihe querfest ausgebildet ist, vorgesehen.

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Bild 4.22: Widerlager mit schräg gestellter Vor-derseite

Bild 4.23: Gesimsausbildung und Geländer

4.2.4.7 Herstellung

Die Bauarbeiten haben im Juni 1999 begonnen und sind derzeit in vollem Gange. Sämtliche Pfeilerwurden bereits fertiggestellt. Für die Montage des Überbaus werden 3 verschiedene Baumethoden an-gewendet (Bild 4.24).

Bild 4.24: Montage des Stahltroges

• Die parallelgurtigen Tröge aus Stahl von Achse 1 bis 6 und von Achse 15 bis 11 werden vonbeiden Seiten her eingeschoben. Dies ist bereits erfolgt.

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• Über den Pfeilern 7 bis 10, also in den gevouteten Bereichen, werden 16 m lange Stücke desStahltrogs auf die Pfeiler aufgesetzt. Die bis zu 88 m langen und bis 500 t schweren Mittelteilewerden am Boden zusammengesetzt und von den auf den Pfeilern aufgesetzten Überbauteil-stücken aus hochgezogen.

• Die Stahlbetonfahrbahnplatte wird mit dem Einsatz von 3 Schalwagen gleichzeitig hergestellt.

Mit der Fertigstellung der Brücke ist im Dezember 2002 zu rechnen.

4.2.5 Beteiligte

Bauherr:DEGES Deutsche Einheit Fernstraßen Planungs- und -bau GmbH

Entwurfsplanung:Peter und Lochner, Beratende Ingenieure für Bauwesen GmbH, Stuttgart

Ausführungsplanung:FCP-Ziviltechniker GmbH, Wien

Prüfingenieur:Prof. Dr.-Ing. Schmackpfeffer, Berlin

Gestalterische Beratung:Frank, Jakob (✟ ), Bluth, Freie Architekten und Stadtplaner, Stuttgart

Bauüberwachung, Bauoberleitung:Bung GmbH, Heidelberg

Bauausführung:Arbeitsgemeinschaft Reichenbachtalbrücke Strabag Österreich GmbH, Wien und Strabag H+I AG,Nürnberg, zusammen mit dem Nachunternehmer Dillinger Stahlbau, Saarlouis

4.3 Literaturverzeichnis

[1] Denzer, G., Schmidtmann, W.: Brücken der Thüringer Waldautobahn, vier besondere Ingenieur-bauwerke. In:(Umrisse) Zeitschrift für Baukultur, 3 (2001), Verlagsgruppe Wiederspahn

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