14. Umgang mit Fremdheit. Das Simulationsrollenspiel Bei ... · nungswünschen einzelner Schüler...

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Umgang mit Fremdheit. Das Simulationsrollenspiel „Bei den Derdianen“ im BGJ und BVJ Dokumentation eines Unterrichtsprojektes (Deutsch, Fach-Praxis) Robert Meinck Berufsbildende Schulen des Bördekreises (Oschersleben) Demokratielernen im Unterricht Inhalt Übersicht Darstellung der Ziele und Aufga- ben sowie der Ergebnisse und Empfehlungen Strukturierte Gesamtplanung des Unterrichtsprojektes Anlagen Entwicklung, Erprobung und Evaluation grundlegender Handlungsstrategien zur Förderung selbstwirksamen Handelns PROGRAMMELEMENT SACHSEN-ANHALT

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Berufsbildende Schulen des Bördekreies (Oschersleben)

Umgang mit Fremdheit. Das Simulationsrollenspiel „Bei den Derdianen“ im BGJ und BVJ Dokumentation eines Unterrichtsprojektes (Deutsch, Fach-Praxis) Robert Meinck Berufsbildende Schulen des Bördekreises (Oschersleben)

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Übersicht

Darstellung der Ziele und Aufga-ben sowie der Ergebnisse und Empfehlungen

Strukturierte Gesamtplanung des Unterrichtsprojektes

Anlagen

Entwicklung, Erprobung und Evaluation grundlegender Handlungsstrategien zur Förderung selbstwirksamen Handelns PROGRAMMELEMENT SACHSEN-ANHALT

Robert Meinck, Umgang mit Fremdheit. Das Simulationsrollenspiel „Bei den Derdianen“ im BGJ und BVJ

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Übersicht

Beteiligte Fächer Fächerübergreifender Unterricht (Deutsch, Fach-Praxis)

Thema bzw. Unterrichtseinheit

Simulations-Rollenspiel „Bei den Derdianen“

Schulform BVJ und BGJ, Berufsbildende Schulen

Schuljahrgang BGJ Holztechnik und BVJ Holz-/Bautechnik 2003/04

Schule Berufsbildende Schulen des Bördekreises (Oschersleben)

WWW-Adresse www.bbs-boerdekreis.de

beteiligte Lehrkräfte Herr Meinck, Fach-Praxis-Lehrer und Klassenleiter BGJ Herr Martini, Fach-Praxis-Lehrer und Klassenleiter BVJ Herr Kutsche, Fach-Praxis-Lehrer BGJ

Kontakt

Berufsbildende Schulen des Bördekreises Burgbreite 2 39387 Oschersleben Tel.: 03949 (921670); 03949 (921692) (Holzwerkstatt) Fax: 03949 (921680) [email protected] [email protected]

Schülerzahl 30 Schüler (in der Klasse waren ausschließlich Schüler, keine Schülerinnen); drei Durchgänge à zehn Schüler (je ca. sechs BGJ-Schüler und ca. vier BVJ-Schüler)

Zeitlicher Umfang

15 min Vorbesprechung drei Durchgänge à zehn Schüler nacheinander:

75 min Einführung und Durchführung 60 min Auswertung und Nachbereitung

Lernorte Klassenräume in der Schule

Bezug zu den Rahmenrichtlinien

- die Kommunikationsfähigkeit fördern - den mündlichen Sprachgebrauch in situationsgerechter Kom-

munikation entwickeln - in Rollenspielen in simulierter Form Situationen aus dem All-

täglichen oder Fiktiven darstellen, die erfahrungsvorbereitend sind und die Interaktionsfähigkeit ansprechen oder fördern sowie Schülerinnen und Schüler trainieren, sich in soziale Rol-len einzufühlen und in ihnen zu agieren

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Ziele

Förderung der/des - Fähigkeit des toleranten Umgangs mit Angehörigen fremder

Kulturen - Aufgeschlossenheit gegenüber Fremdheit - pro-sozialen Verhaltens - Fähigkeit der Perspektivenübernahme - kommunikativen Kompetenz

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- Lesefähigkeit - Bereitschaft der Schüler, sich gegenüber einer vorgegebenen Spielsituation

zu öffnen und eine Rolle zu spielen

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- die freiwillige Teilnahme der Schüler am Rollenspiel ist zu gewährleisten - der beschriebene Zeitumfang sollte durch entsprechend zur Verfügung ste-

hende Zeitressourcen sichergestellt sein - empfehlenswert ist eine lehrergesteuerte Einteilung der Schüler in Gruppen

nach dem Kriterium des Mischens von BGJ- und BVJ-Schülern - Moderation und Beobachtung des Rollenspiels durch die Lehrkräfte - Vorgeben von Spielregeln, die den Umgang untereinander regeln und sicher-

stellen, dass die Schüler nicht wegen des Pausenklingelns das Spiel unter-brechen (Nachholen der Pause)

- materielle Ressourcen: Lose zur Gruppenbildung, Papier, Klebstoff, Schere, Lineal, Bleistift, Süßigkeiten als Verpflegung, Spielregelblatt, Spielanleitungen, Auswertungsfragebogen, zwei Räume

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- die Schüler zeigten sich im Spielen der Rollen einfühlsam und kompetent, sie stärkten ihre kommunikative Kompetenz

- durch die Simulation übten sie Mechanismen des Umgang mit Vertretern einer fremden Kultur fiktiv ein und durchlebten das Zusammentreffen emotional

- die Laborsituation ersetzte dabei aber nicht die Begegnung mit Menschen ei-ner realen fremden Kultur, sondern stellte einen Versuch dar, die Schüler dar-auf vorzubereiten

- sie konnten für die zukünftige Anwendung der Methode des Rollenspiels auf-geschlossen werden

- die Gruppeneinteilung sollte von der Lehrkraft unter Berücksichtigung ver-schiedener Kriterien, wie kleine Gruppengröße, gleiches kognitives Niveau der Mitspieler, Integration zurückhaltender Schülerinnen und Schüler, gesteuert werden

- bei Berücksichtigung der notwendigen Rahmenbedingungen dürfte das Simu-lationsspiel auf Klassen ab dem Schuljahrgang 9 übertragbar sein

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Darstellung der Ziele und Aufgaben

Das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und das Berufsgrundjahr (BGJ) sind Einrichtungen der Berufsbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt, in denen jeweils Schülerinnen und Schüler in einjähriger schulischer Vollzeitausbildung lernen. Während im BVJ verhaltensauffällige, lern-beeinträchtigte, lernbehinderte und sozial benachteiligte Mädchen und Jungen beschult wer-den, für die die Vollzeitschulpflicht noch gilt, und die ihre bisherige Schulbildung an einer all-gemein bildenden Schule ohne Erwerb eines Abschlusses beendet haben, besuchen jene Schülerinnen und Schüler das BGJ, die ihre Vollzeitschulpflicht erfüllt und den Hauptschul-abschluss bzw. einen gleichwertigen Abschluss erworben oder das BVJ erfolgreich besucht haben. Dabei entspricht das BGJ der Grundstufe (erstes Lehrjahr) der dualen Ausbildung und ermöglicht bei erfolgreichem Abschluss den Eintritt in das zweite Lehrjahr einer betriebli-chen Ausbildung.

Zu den Bausteinen der Stundentafel des BVJ und BGJ zählen u. a. die Fächer Deutsch und Sozialkunde. In den entsprechenden Rahmenrichtlinien (RRL) des Faches Deutsch ist als spezifisches Bildungsziel die Stärkung der Fähigkeit ausgewiesen, den Informationsgehalt von Texten erschließen, verarbeiten und anwenden sowie komplexe Sprachhandlungen er-fassen und situationsgerecht kommunizieren zu können. Im Unterrichtsfach Sozialkunde an berufsbildenden Schulen sollen die pädagogischen Bemühungen unter anderem auf die Er-ziehung der Schülerinnen und Schüler zur Achtung der Würde des Menschen unabhängig von ihren spezifischen individuellen Merkmalen zielen, zu denen auch die kulturellen Wur-zeln und die nationale Herkunft zählen, – so sehen es die RRL vor. Beide Zielrichtungen ver-knüpfend werden insbesondere Rollenspiele als eine methodische Möglichkeit qualifiziert, in simulierter Form Situationen aus dem Alltäglichen oder Fiktiven darzustellen, die erfahrungs-vorbereitend sind und die Interaktionsfähigkeit ansprechen oder fördern sowie Schülerinnen und Schüler trainieren, sich in soziale Rollen einzufühlen und in ihnen zu agieren.

Diesen Ansatz aufgreifend, entwickelten, erprobten und evaluierten wir im Rahmen unserer Mitarbeit im BLK-Programm „Demokratie lernen und leben“ das vorliegende Unterrichtspro-jekt „Umgang mit Fremdheit. Das Simulationsrollenspiel ‚Bei den Derdianen’ im BGJ und BVJ“. Das Projekt wurde in drei Phasen gegliedert: die Vorbesprechung, die Einführung und Durchführung (inhaltliche Einarbeitung, Umsetzung des Spiels) sowie die Auswertung und Nachbereitung. Dabei zählen nicht nur die Durchführung, sondern auch die Einführung und die Auswertung zu den Phasen des Rollenspiels.

Vorbesprechung Einige Zeit vor dem geplanten Stattfinden des Rollenspiels wurden die für die Durchführung denkbaren Klassen des BVJ und BGJ von den Lehrkräften über die mögliche Unterrichtsein-heit informiert. Eine Lehrkraft klärte sie darüber auf, welche Spezifika die Methode „Rollen-spiel“ charakterisieren, welchen Ursprung und Ablauf das geplante Rollenspiel hat und wel-che Anforderungen die Schüler bei einer Entscheidung für dieses Spiel zu erwarten und aus-zufüllen haben. In einer Diskussionsrunde sollten ihnen die mit der Durchführung verknüpf-ten spezifischen Ziele verdeutlicht werden. Es gelang, Interesse bei den Schülern auf und Bedenken abzubauen – in der Folge entschied sich die Mehrheit der Schüler beider Klassen für die Durchführung der geplanten Unterrichtseinheit.

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Einführung und Durchführung

Inhaltsangabe zu dem Rollenspiel „BEI DEN DERDIANEN“

„Bei den Derdianen“ ist ein Simulationsrollenspiel. Zwei personell etwa gleichstarke Spielergruppen treffen aufeinander: Das „Team der internationalen Experten“ unterweist die Derdianen, ein fiktives Volk der „Drit-ten Welt“, im Bau einer Brücke, die im Spiel symbolisch aus Papier hergestellt wird. Diese Brücke erleich-tert den Derdianen, einen reißenden Fluss zu überqueren und schneller zum nächsten Marktort zu gelan-gen. Bei dem Bau sollen die Derdianen zugleich lernen, weitere Brücken selbst zu konstruieren, da in ihrem Lebensraum noch weitere Flüsse zu überbrücken sind. Die „internationalen Experten“ verhalten sich im Spiel so, wie es im westlichen Kulturraum üblich ist. Die Derdianen hingegen haben ihre eigenen Riten entwickelt, die uns fremd anmuten. So berühren sie sich im Gespräch, begrüßen sich mit einem Kuss auf die Schulter, empfinden das für uns selbstverständliche Händeschütteln zur Begrüßung als Erniedrigung und nivellieren im Gespräch „ja“ und „nein“. Dieses „Kulturverhalten“ wird vor dem Zusammentreffen beider Gruppen von den Derdianen intensiv eingeübt, während die „Experten“ die Brückenkonstruktion planen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht daher die Kommunikation beider Spielgruppen und das gemeinsame Ziel, zu Spiel-Ende eine tragfähige Papierbrücke fertig gestellt zu haben.

Mit der Durchführung des Rollenspiels ist die Erwartung verknüpft, bei den Schülern eine Änderung des Verhaltens bzw. der Einstellung gegenüber einer fremden Kultur und ihren Ausdrucksformen zu bewirken, indem die Akteure für die Dauer des Spiels aus ihren ge-wohnten Wirklichkeits- und Sozialbeziehungen der Schulklasse herausgelöst und in die völlig neue und fremde Situation der Begegnung mit Personen eines anderen Kulturkreises hinein-gestellt und dazu motiviert werden, die in der Anlage des Rollenspiels vorgesehenen menschlichen Rollen glaubhaft und möglichst authentisch zu spielen. Durch diese Begeg-nung sollen die Schüler lernen, das Gefühl von Fremdheit und Angst zu überwinden, unbe-fangene Neugierde entwickeln und tolerantes Zusammentreffen mit fremden Menschen ein-üben. In der Folge sollen sich die Schüler für mehr Alltagstoleranz und Prosozialität auf-schließen. Parallel dazu liegt in der Anlage des Spiels eine mögliche Quelle für eine Verbes-serung der Umgangsformen unter den Schülern der BVJ- und der BGJ-Klasse, aber auch über die Klassengrenzen hinaus.

Zu Beginn des Unterrichtsprojektes bildeten die Lehrkräfte nach Begrüßung, nochmaliger de-taillierter Vorstellung des Spiels und Klärung organisatorischer Fragen drei Mischgruppen von Schülern des BVJ und des BGJ, die jeweils eine Spieleinheit und Auswertung mit einan-der durchführen sollten. Zuvor hatten sie eine aus ihrer Sicht sozial günstige Gruppenkon-stellation geplant, die – so wurde es deutlich – für die Schüler akzeptierbar war. Zuord-nungswünschen einzelner Schüler kamen die Lehrkräfte entgegen. Im Unterrichtsgespräch wurden mögliche Spielstörungen angesprochen, diskutiert und all-gemeine Spielregeln für die Spieldauer schriftlich vereinbart (siehe Anlage 1). Die Schüler verpflichteten sich dabei zu konstruktivem Verhalten (s. Anlage 1). Die Einteilung in Derdianen und Spezialisten erfolgte nach dem Zufallsprinzip per Los: alle Schüler zogen je einen Zettel, aus dem sich Ihre Gruppenzugehörigkeit ergab. Dabei wurde gewährleistet, dass sowohl BVJ- als auch BGJ-Schüler in beiden Gruppen vertreten waren. Jede Spielgruppe bestimmte einen „Zeitwächter“, der die Einhaltung der Spielplanung im Auge behalten sollte.

In der Regel sieht die Anlage des multiplen Verfahrens des Rollenspiels die parallele Durch-führung und Auswertung in den Gruppen vor, dagegen entschieden sich die Lehrkräfte je-doch aufgrund der eingeschränkten Anzahl an zur Beobachtung und Begleitung zur Verfü-gung stehenden Kollegen. So fanden die drei Durchgänge nacheinander statt, die jeweils nicht aktiven Durchgänge wurden in Fachpraxis von einer dritten Lehrkraft unterrichtet. In je-

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dem Durchgang arbeiteten sich die Schüler zunächst entsprechend der ihnen zur Verfügung gestellten Zeitpläne und Spielanleitungen (siehe Anlagen 2 bis 5) für „Derdiane“ und das „Team der internationalen Experten“ in die dramaturgische Anlage ihrer jeweiligen Rolle ein, für die Gruppen standen dafür zwei separate Klassenzimmer zur Verfügung. Je eine Lehr-kraft beobachtete eine Gruppe und war für die Klärung eventuell aufkommender und in der Gruppe nicht auflösbarer Fragen anwesend. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit den Vorgaben auf den Handzetteln und der inhaltlichen Einarbeitung in den Spielablauf und die Rollenzuschreibungen lag ein wertvolles Potenzial, die Schüler im Bereich der Informati-onsentnahme aus Texten sowie der Planung und Bewältigung komplexer Sprachhandlungen zu stärken. Der für diese Phase vorgesehene kurze beobachtende Besuch von Vertretern des „Teams der internationalen Experten“ bei den Derdianen diente der ersten Kontaktauf-nahme und dem vorsichtigen Herantasten an das fremde Verhalten und die unbekannten Kulturriten.

Die „Bauphase“ stellte den eigentlichen Kernbereich des Simulationsspiels dar. Die „interna-tionalen Experten“ suchten die Derdianen auf, begrüßten sie, boten Süßigkeiten als vertrag-lich vereinbarte „Versorgung“ an und unterwiesen sie im Brückenbau. Hier war bei dem Spie-len der zugewiesenen Rollen die Kommunikationsfähigkeit der Schüler gefragt, d. h. die Fä-higkeit verbale und auch körperliche Sprache situationsgerecht anzuwenden und sich auf die Ausdrucksweisen des Gegenübers der jeweilig anderen Gruppe einzustellen. Orientiert an dem Auftrag, die Derdianen beim gemeinsamen Brückenbau für die selbstständige Realisie-rung zukünftiger Bauvorhaben kompetent zu machen und im Ergebnis bei vorgegebenem Zeitrahmen eine tragfähige Papierbrücke mit großer Spannbreite konstruiert zu haben, mussten die Schüler einander aber auch beim Agieren in ihrer sozialen Rolle tolerant und pro-sozial handeln.

Auswertung und Nachbereitung Die bezogen auf den zur Verfügung gestellten Zeitrahmen ähnlich angelegte Auswertung, schloss sich als ebenso wichtiges Element des Rollenspiels an. Zunächst füllten die einzel-nen Schüler – getrennt nach Derdianen und internationale Experten – je einen offenen Fra-gebogen aus (siehe Anlagen 6 und 7). Damit wurde das Ziel verbunden, erstens die Wahr-nehmungen zum Erleben der Andersartigkeit der fremden Kultur – jeweils aus der Position der gespielten Rolle, d. h. als „Vertreter“ dieser Kultur bzw. als Person, die dieser Kultur be-gegnete, zweitens das Erleben des eigenen Umgangs und Hineinfindens in die zu spielende Rolle und drittens eine Art Gesamteinschätzung zum Rollenspiel zu erfassen. Im sich an-schließenden Auswertungsgespräch wurden die Ergebnisse dieser schriftlichen Befragung aufgegriffen und entlang folgender Fragen vertieft: - Wie wurde das Hineinfinden und Spielen der Rolle erlebt? - Welche Gefühle wurden ausgelöst? - Hat das Rollenspiel einen Bezug zur Wirklichkeit? - In welchen Ausschnitten der Alltags- und Lebenswelt der Schüler besteht die Möglichkeit,

Angehörigen fremder Kulturen zu begegnen? Der Schwerpunkt des Gesprächs wurde dabei auf die letzten beiden Fragen gelegt, um den Schülern sensibel bewusst zu machen, dass sie in ihrer Wohnregion mit einer vietnamesi-schen Minderheit zusammenleben, die in den 1980er und 1990er Jahren als Auszubildende in weitere Teile der ehemaligen DDR, so auch in den Bördelandkreis, gekommen waren. In der Diskussion wurden die sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Schülern noch im-mer recht massiv ausgeprägten Ressentiments gegen diese Bevölkerungsgruppe deutlich. In

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der Reflektion sollte deshalb ein Prozess des Nachdenkens über eigene Einstellungen der Jugendlichen ausgelöst werden.

Die Phase der Nachbereitung, die nicht zu den Elementen des Rollenspiels gezählt wird, diente der Öffentlichmachung des Unterrichtsprojektes für die nicht daran beteiligten schuli-schen Akteure. Zwei Schüler des BGJ erklärten sich bereit, bei der Erstellung einer informie-renden Wandzeitung (siehe Anlage 8) mitzuwirken. Sie skizzierten gemeinsam den inhaltli-chen Ablauf des Rollenspiels, stellten die Schülerresonanz gebündelt dar und wählten zur Veranschaulichung geeignete Fotodokumentationen aus.

Darstellung der Ergebnisse

Die mit der Unterrichtseinheit verbundenen Ziele konnten mit den drei Rollenspielgruppen des Berufsgrundjahres und Berufsvorbereitungsjahres im Wesentlichen erreicht werden. In der simulierten Situation des gemeinsamen Brückenbaus und durch die damit verbundenen Sprachhandlungen stärkten die Schüler sowohl ihre kommunikative Kompetenz als auch ihre Fähigkeit und Bereitschaft, sich pro-sozial zu verhalten. Sie stellten unter Beweis, dass sie in der Lage sind, fremde Perspektiven zu übernehmen und in die übertragene und in der Spiel-anleitung beschriebene Rolle lebendig und kreativ entsprechend der dort festgelegten Krite-rien auszufüllen. Es gelang ihnen, sich auf die Andersartigkeit der Mitglieder der anderen Gruppe einzustellen und mit den fremdartigen kulturell begründeten Verhaltensweisen auf-geschlossen und tolerant umzugehen. Die Schüler hatten die Gelegenheit zur Teilhabe an Kultur als Bereich des Lebens in der Zivilgesellschaft.

In der Phase der Einübung der jeweiligen Aufgaben und Rollen zeigten sich die Schüler un-erwartet sachlich – sie waren sehr konzentriert darum bemüht, die fremdartigen Perspektiven und Verhaltensweisen zu übernehmen und ihre Darstellung einzuüben. Mit Engagement fan-den sie anschließend recht schnell ins Spiel, zeigten kaum die Neigung, durch destruktiven Humor den Verlauf zu stören oder gar einen Abbruch herbeizuführen. Bei zwei Spieldurch-gängen änderten die Schüler kurzerhand die Konstruktionsvorgaben für die Papierbrücke ab. Für die Lehrkräfte ergab sich bei der Beobachtung des Rollenspiels rasch folgendes Bild: die „internationalen Experten“ begaben sich unbewusst in eine „Kolonialherren“-Rolle – sie nutz-ten Kindersprache, demonstrierten überzogen die Handfertigkeiten und genossen sichtlich die Rolle der scheinbar Überlegenen. Sie nutzten ihren Vorsprung an Wissen und Fertigkei-ten aber nicht autoritär sondern konstruktiv und zeigten sich im Umgang mit den „Bewohnern Derdias“ tolerant, hilfsbereit und nahezu liebevoll. Die „derdianischen“ Verhaltensweisen führten nicht zu Ablehnung, es wurde vielmehr freundlich-humorvoll damit umgegangen.

Nicht ganz so einfach war es, die einheitliche Zeitplanung durchzuhalten: die Planungsphase der Gruppen fiel zum Teil unterschiedlich lang aus, eine „Spezialisten“-Gruppe war bereits nach 15 Minuten mit der gemeinschaftlichen Rolleneinübung fertig. Die Schüler verhielten sich dennoch recht diszipliniert und warteten geduldig auf den eigentlichen Beginn des zu spielenden Handlungsablaufs. Demgegenüber wäre es in einer anderen Spielrunde wün-schenswert gewesen, die Bauphase geringfügig zu verlängern, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, aus organisatorischen Gründen konnte diesem Wunsch jedoch nicht umfassend entsprochen werden.

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Beim Spiel zeigte sich, dass extrovertierte Schüler schnell die Führungsrolle übernahmen und stillere Mitspieler in die Statistenrolle gedrängt wurden. Dies änderte sich auch nur vorü-bergehend, als eine Lehrkraft behutsam versuchte, während des Spielablaufs zu intervenie-ren. Eine Möglichkeit, diesem Problem vorzubeugen, besteht eventuell darin, die Spielgrup-pen zu verkleinern.

Der Ablauf des Rollenspiels ist insgesamt positiv zu bewerten. Destruktive Störungen kamen nicht vor, vielmehr bemühten sich alle Schüler, ihre Rolle konsequent zu spielen und dabei den Vertretern der jeweils anderen Gruppe mit Verständnis, Toleranz und Offenheit zu be-gegnen. Ob die Schüler analoge Anforderungen in der Wirklichkeit ebenso meistern oder die ungewohnten Situationen vielmehr zu Intoleranz, Ablehnung und Aggressivität führen würde, bleibt an dieser Stelle offen – anknüpfende Projekte oder auch Unterrichtsbausteine zur in-terkulturellen Erziehung sind hier geboten.

Die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Spielen der Rollen und die Motivation der Schüler, die mit dem Spielverlauf noch zunahm, schlugen sich auch in den Ergebnissen der Auswer-tung nieder: Die Schüler äußerten sich überwiegend begeistert und signalisierten Interesse an der Erprobung weiterer Rollenspiele. Die Auswertungsgespräche machten jedoch auch die zwischen Simulierung und Realität bestehende Diskrepanz deutlich, die allein durch ein Rollenspiel nicht aufgelöst werden kann. So zeigten sich bei dem Versuch, die Spielhand-lung gedanklich auf die Alltagswirklichkeit zu übertragen, Ressentiments gegen die vietna-mesischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im Bördekreis leben. Es konnte aber ein Pro-zess des Nachdenkens über die eigenen Einstellungen bei den Schülern ausgelöst werden. Hier besteht ein eindeutiger Bedarf an weiterer aufklärender Bildung, um die Schüler zu ei-nem offeneren und toleranten Alltagsverhalten zu führen.

Empfehlungen für die Nachnutzung

Aufgrund der positiven Erfahrungen in den drei Spielgruppen kann für den Unterricht die Ar-beit mit Rollenspielen empfohlen werden. Die wichtigste Voraussetzung für eine motivierte Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler dabei ist jedoch, dass die Komplexität des Spieles und seiner Varianten die Klasse bzw. Spielgruppe nicht intellektuell überfordert. Bewähren konnte sich eine Gruppenstärke von maximal zehn Mitspielern. Die Gruppeneinteilung sollte dabei nicht die innere Struktur der Klassengemeinschaft abbilden, um dem Risiko des Aus-tragens von Stellvertreter-Konflikten vorzubeugen. Unbedingt zu empfehlen ist, auf die Integ-ration zurückhaltender, schüchterner Schülerinnen und Schüler zu achten, damit das Rollen-spiel nicht allein durch die extrovertierten Mitspieler getragen wird. Auf Schülerinnen und Schüler, die sich im Unterrichtsalltag oft destruktiv und aggressiv verhalten, ist im Vorfeld des Rollenspiels – gut eignet sich die Phase der schriftlichen Vereinbarung der Spielregeln – mit besonderer pädagogischer Sensibilität einzugehen, um der Gefahr der Störung des Spielablaufs vorzubeugen.

Das Erreichen pro-sozialer Lernziele (beispielsweise des Abbaus von Fremdenfeindlichkeit) hängt weitgehend davon ab, wie fest gefügt Schülervorurteile geprägt sind. Ein Rollenspiel vermag daher zwar einen guten Themeneinstieg bedeuten, bedarf anschließend jedoch wei-terer systematischer Aufklärungsarbeit.

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STRUKTURIERTE GESAMTPLANUNG

Zeitansatz Beschreibung der Unterrichtsgestaltung (Inhalte, didaktisch-methodisches Vorgehen) Anmerkungen

VORBESPRECHUNG UND ENTSCHEIDUNGSFINDUNG

15 min, wenige Wo-chen vor dem geplan-ten Stattfin-den des Rol-lenspiels

Vorstellung des geplanten Rollenspiels „Bei den Derdianen“: Was ist ein Rollenspiel? Welchen Ursprung hat das gewählte Rollenspiel? Wie ist der inhaltliche Ablauf? Was kommt auf die Schüler zu? (Information durch die Lehrkräfte und Diskussion)

Welche Ziele wären mit der Durchführung des Rollenspiels verbunden? (Information durch die Lehrkräfte)

Wie ist das Stimmungsbild in der Klasse bezogen auf die Durchführung des Rollenspiels? (Abstimmung)

Die beiden Schulklassen durchlaufen diese Phase gemeinsam.

EINFÜHRUNG UND DURCHFÜHRUNG DES ROLLENSPIELS

15 min Einführung (Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch)

Wiederholung der Vorstellung des Rollenspiels Klärung organisatorischer Fragen Prognose möglicher Spielstörungen und schriftliche Vereinbarung von einzuhaltenden Spielregeln

lehrergesteuerte, partizipative Gruppenbildung (drei Gruppen) Vergabe der Rollen „Derdiane“ und „Team der internationalen Experten“ nach dem Losverfahren (Steuer-faktor: klassenübergreifende Mischung)

Bestimmung eines „Zeitwächters“

Pro Durchgang ist eine Schülergruppe im Rollen-spiel aktiv, die anderen Schüler werden in Fach-Praxis unterrichtet. Anlage 1: Spielregeln

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30 min Inhaltliche Einarbeitung, getrennt in den beiden Gruppen „Derdiane“ und „Team der internationalen Experten“ in zwei Klassenzimmern

mit Hilfe von Handzetteln üben sich die beiden Gruppen in ihre jeweilige Aufgabe und Rolle ein

die Lehrkräfte stehen zur Klärung aufkommender Nachfragen und Unklarheiten zur Verfügung erste Kontaktaufnahme durch das Zusammentreffen von zwei Vertretern des „Teams der internationalen Experten“ mit der Gruppe der Derdianen

anschließender Erfahrungsbericht der zwei Vertreter in ihrer Gruppe

getrenntes Arbeiten in zwei Klassenräumen Handzettel:

Zeitpläne (Anlagen 2 und 3) Spielanleitungen (An-lagen 4 und 5)

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Zeitansatz Beschreibung der Unterrichtsgestaltung (Inhalte, didaktisch-methodisches Vorgehen) Anmerkungen R

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30 min Umsetzung des Spiels – Bauphase Besuch der Gruppe der Derdianen durch die Gruppe „Team der internationalen Experten“ (Begrüßungsritu-al, Bereitstellung der Verpflegung) gemeinsames Konstruieren der Brücke bei fachlicher Unterweisung durch die „internationalen Experten“ (Aufgabe: Bau einer Brücke aus Papierstreifen, die das Gewicht eines Lineals trägt, unter ergebnisorientier-ter Anleitung durch die „internationalen Experten“ bei einer maximalen Bauzeit von 30 Minuten) dabei: die Derdianen praktizieren ihr Kulturverhalten – die „internationalen Experten“ gehen damit tolerant und ergebnisorientiert um

Süßigkeiten als Verpfle-gung

Konstruktionsanleitung (enthalten in der Anlage 5)

AUSWERTUNG UND NACHBEREITUNG DES ROLLENSPIELS

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30 min Auswertung Ausfüllen von durch die Lehrkräfte entwickelten Auswertungsbögen mit offenen Fragen (unterschiedliche Fragebögen für die beiden Gruppen)

Gemeinsames Auswertungsgespräch zu den Schwerpunkten - Wie wurde das Hineinfinden und Spielen der Rolle erlebt? - Welche Gefühle wurden ausgelöst?

- Hat das Rollenspiel einen Bezug zur Wirklichkeit? - In welchen Ausschnitten der Alltags- und Lebenswelt der Schüler besteht die Möglichkeit, Angehörigen

fremder Kulturen zu begegnen?

Auswertungsfragebögen (Anlagen 6 und 7)

30 min der Folgestunde

Erstellung einer Wandzeitung durch zwei der beteiligten Schüler und die Lehrkräfte (Gemeinschaftsarbeit)

Zweck: Vorstellung des Unterrichtsprojektes im Kollegium und in der Schülerschaft

Wandzeitung (Anlage 8)

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Literaturverzeichnis

Müller, Werner (Hrsg.): Bei den Derdianen. In: Praxishandbuch Kinder- und Jugendfreizeiten, Bd. 2, Landsberg am Lech 1997

Rademacher, Helmolt/Wilhelm, Maria: Bei den Derdianen. In: Spiele und Übungen zum in-terkulturellen Lernen, Berlin 32005

download der Spielanleitung im Internet bei der „Datenbank für internationale Jugendarbeit“: www.dija.de/ikl/downloads/Methodenbox/Bei_den_Derdianen.pdf

Anlagen

Anlage 1: Spielregeln für das Rollenspiel

Anlage 2: Zeitplan für die Derdianen

Anlage 3: Zeitplan für das Team der internationalen Experten

Anlage 4: Spielanleitung für die Derdianen

Anlage 5: Spielanleitung für das Team der internationalen Experten

Anlage 6: Auswertungsfragebogen für die Derdianen mit repräsentativen Antworten

Anlage 7: Auswertungsfragebogen für das Team der internationalen Experten mit repräsentativen Antworten

Anlage 8: BLK-Wandzeitung „Simulationsrollenspiel ‚Bei den Derdianen’“

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Anlage 1: Spielregeln für das Rollenspiel

o An diesem Rollenspiel nehme ich freiwillig teil.

o Ich werde mich bemühen, mich in meine Rolle hineinzuden-ken.

o Wenn mich zwischendurch Unlust packt, werde ich mich be-herrschen und das Spiel nicht durch Blödsinn, Witzelei oder Aggression stören. Aufgeben gilt nicht!

o Ich weiß, dass das Spiel nicht wegen Pausen unterbrochen werden kann. Ich bin bereit, erst nach Spielende meine Pau-se zu machen.

Oschersleben, N. N. (Platz für Unterschrift des jeweiligen Schülers)

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Anlage 2: Zeitplan für die Derdianen

15 Minuten: Anleitung lesen und einzelne Verhaltenseleme nte üben

15 Minuten: Einüben des Kulturverhaltens der Derdianen

Achtung! Nach 20 Minuten kommen zwei Gäste des Teams der in-ternationalen Experten, um Euch kennen zu lernen.

30 Minuten: Bauphase. Ihr begrüßt die internationalen Experten als Gäste und lasst Euch im Brückenbau unterweisen.

30 Minuten: Auswertung mit Fragebogen und im gemeinsamen Gespräch

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Anlage 3: Zeitplan für das „Team der internationalen Experten“

20 Minuten: Anleitung lesen und Planung

2 Minuten: zwei Gruppenvertreter nehmen als beobachtende Gäste Kontakt zu den Derdianen auf

8 Minuten: Auswertung der Erfahrungen der beiden Beobachter

30 Minuten: Bauphase. Als Gäste lehrt Ihr die Derdianen den Brückenbau.

30 Minuten: Auswertung mit Fragebogen und im gemeinsamen Gespräch

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Anlage 4: Spielanleitung für die Derdianen

SPIELREGELN UND ABLAUF

Die Kultur der Einheimischen und die der ausländischen Experten ist unterschiedlich. Damit

Ihr ansatzweise die Gefühle erleben könnt, die aus einer solchen Situation entstehen kön-

nen, wird an einer realen Aufgabe gearbeitet. Außerdem muss die Gruppe „kulturelle Verhal-tensweisen“ erlernen, die für die ausländischen Experten fremd sind. Bei allem Spaß, den

Euch das Spiel hoffentlich machen wird, bitten wir Euch, sowohl die „Kultur“ als auch die

Aufgabe dennoch ernst zu nehmen. Ihr habt zunächst 15 Minuten Zeit, um die Instruktionen zu lesen und einzelne Elemente des

Verhaltens auszuprobieren.

In den nächsten 15 Minuten sollt Ihr das gesamte Verhalten der Derdianen üben. Es ist gar nicht so leicht, die verschiedenen Verhaltensvorschriften selbstverständlich anzuwenden.

Versucht dennoch, möglichst echt zu wirken.

20 Minuten nach Beginn werdet Ihr zwei Minuten lang von zwei Mitgliedern der „Experten-gruppe“ besucht. Praktiziert während dieser Zeit Euer „Kultur“-Verhalten, ohne über die Re-

geln zu sprechen.

Nach diesen insgesamt 30 Vorbereitungsminuten beginnt die „Bauphase“, in der die Exper-ten bei Euch zu Gast sind. Die „Bauphase“ dauert 30 Minuten. Anschließend sollte sich jedes

Mitglied Eurer Gruppe kurz notieren, was seine wichtigsten Erfahrungen und Erlebnisse wäh-

rend der „Bauphase“ waren und welche Eindrücke es vom „Expertenteam“ gewonnen hat.

SITUATION

Ihr alle seid Bewohner des Dorfes „Derdia“. Die Ankunft eines Teams von ausländischen Ex-perten steht bevor. Diese werden Euch beibringen, wie man eine Brücke über einen reißen-

den Fluss baut. Dieser Brückenbau ist ein Anliegen Eures Dorfes: die Brücke erlaubt es

Euch, sehr viel schneller zum nächsten Marktort zu gelangen. Im Spiel wird diese Brücke durch eine Papierbrücke symbolisiert. Euch selbst ist der Gebrauch der notwendigen Werk-

zeuge (im Spiel: Schere, Papier, Lineal, Klebstoff, ev. Hefter usw.) vertraut. Unbekannt ist

Euch jedoch die Konstruktionstechnik. Außerdem fehlt es Eurem Dorf an Material, das Ihr von den ausländischen Experten erhaltet. Wichtig ist für Euch in erster Linie der Bau der

Brücke.

REGELN FÜR DAS SOZIALVERHALTEN

Derdianen pflegen sich zu berühren. Wenn sie miteinander sprechen, berühren sie sich im-

mer. Selbst wenn sie an einander vorbei gehen, berühren sie sich kurz, wobei ein leichter Klaps meistens die Berührung beendet. Sich nicht zu berühren, bedeutet: ich mag dich nicht.

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BEGRÜßUNG

Der traditionelle Gruß ist ein Kuss auf die Schulter. Derjenige, der mit der Begrüßungszere-monie beginnt, küsst den anderen z. B. auf dessen rechte Schulter, worauf er auf seine linke

Schulter geküsst wird. Die Küsse müssen also nacheinander stattfinden. Jede andere Form

von Kussaustausch wird als Beleidigung gewertet. Auf diese Beleidigung reagieren die Der-dianen mit einer Flut von Beschimpfungen und Beleidigungen, die ausdrücken, dass es kei-

nen Grund gab, einen in dieser Art und Weise zu erniedrigen. Einem Derdianen die Hand

entgegenzustrecken, gilt ebenfalls als Zeichen der Erniedrigung.

JA/NEIN

Ein Derdiane benützt nie das Wort „nein“. Er sagt immer ja, selbst wenn er „nein“ meint.

Wenn Derdianen „ja“ sagen und dabei nachdrücklich den Kopf schütteln (was auf Deutsche

als „nein“ wirkt) meinen sie „nein“. (Vorsicht: Übt diesen Verhaltensaspekt besonders gründ-lich ein, da es nicht einfach ist, in einem Gespräch spontan mit dieser merkwürdigen Verhal-

tensweise zu reagieren!)

ARBEITSVERHALTEN

Während der Arbeit berühren sich die Derdianen genauso wie in Kommunikationssituatio-

nen, wobei sie sich bemühen, dadurch die Arbeit des anderen nicht zu stören. Alle Derdia-nen wissen, wie man mit Schere, Papier, Bleistift umgeht und wie man Klebstoff benutzt.

UMGANG MIT FREMDEN

Derdianen sind immer freundlich zu Fremden. Die Derdianen sind jedoch stolz auf sich und

ihre Kultur. Sie wissen, dass sie ohne Hilfe der Fremden die gewünschte Brücke nicht bauen können. Sie betrachten jedoch die Kultur der Fremden nicht als überlegen. Sie erwarten von

den Fremden, dass diese sich an den Verhaltenskodex der Derdianen halten. Da ihnen ihr

eigenes Verhalten selbstverständlich ist, können sie es Fremden nicht erklären (das ist eine wichtige Spielregel!) Viel Spaß bei der Aufgabe! (Quelle: www.dija.de/ikl/downloads/Methodenbox/Bei_den_Derdianen.pdf)

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Anlage 5: Spielanleitung für das „Team der internationalen Experten“

ABSICHT DER SIMULATION

Dieses Spiel erlaubt Euch, einige der Gefühle zu erleben, die auftreten können, wenn man

unter Zeitdruck eine Aufgabe mit Angehörigen einer völlig fremden Kultur ausführen muss. Dazu sollt Ihr eine reale Aufgabe zusammen mit den Angehörigen der anderen Spielgruppe

durchführen. Achtet dabei bitte auf Eure Gefühle!

SITUATION

Eure Kleingruppe stellt das Team von internationalen Experten, das in einem Entwicklungs-land der Dritten Welt eine Brücke bauen soll. Die Brücke wird im Spiel durch eine Papierbrü-

cke symbolisiert. Die Brücke ist für beide Seiten – einheimische Bevölkerung und Euer Team

– wichtig: sie erleichtert einerseits das Leben der Derdianen beträchtlich, die bisher weite Umwege laufen mussten. Ihr selbst steht unter dem Druck Eures Arbeitgebers, der von Euch

erwartet, dass Ihr die Aufgabe in der vorgesehenen Zeit lösen könnt.

Da es im Gebiet von Derdia noch weitere Flüsse zu überbrücken gilt, erwartet man von Euch nicht, dass Ihr den Derdianen die Brücke hinstellt, sondern dass die Derdianen an diesem

ersten Brückenbau das Prinzip erlernen. Mit der nationalen Regierung wurde vereinbart,

dass die Derdianen während der Bauzeit an der Brücke verköstigt werden. Die letzte Ernte im Gebiet war sehr dürftig ausgefallen.

SPIELABLAUF

Ihr habt zunächst 20 Minuten Zeit, um diese Anleitung zu lesen und Euch grundsätzliche

Überlegungen über Euer Vorgehen und die Konstruktion zu machen.

Nach 20 Minuten sollen zwei Mitglieder Eurer Gruppe zwei Minuten lang als Gäste die Der-dianen besuchen und ihr Verhalten beobachten bzw. Kontakt aufnehmen.

Danach habt Ihr weitere 8 Minuten, um die Erfahrungen der beiden Beobachter in der Exper-

tengruppe auszuwerten. Nach 30 Minuten beginnt die „Bauphase“: sie dauert ebenfalls 30 Minuten. Während dieser

Zeit seid Ihr Gäste der Derdianen.

Danach soll jedes Mitglied Eurer Gruppe kurz in Stichworten festhalten, wie es seinen Ein-satz erlebt hat, welche Gefühle, Gedanken es an sich wahrgenommen und wie es die Derdi-

anen, besonders in Bezug auf Motivation, Leistungsfähigkeit und Sozialgefüge erlebt hat.

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KONSTRUKTIONSANLEITUNG

Bei der Brückenkonstruktion darf nur das Material verwendet werden, das Euch zur Verfü-

gung gestellt wurde: Papier, Klebstoff, Schere, Lineal, Bleistift und ev. ein Hefter.

Die Brücke soll eine möglichst große Spannweite mit möglichst großer Stabilität verbinden. Am Ende des Spiels wird die Spannweite der Brücke gemessen. Sie soll zwei benachbarte

Tische bzw. Hobelbänke miteinander verbinden. Die Spannweite legt Ihr selbst fest bezie-

hungsweise sie wird sich im Spielverlauf ergeben. Dabei muss die Brücke mindestens das Gewicht des Lineals tragen können.

Die Brücke darf ausschließlich aus Papierstreifen bestehen, deren Breite 4 cm betragen

muss. Diese Papierstreifen dürfen in jeder beliebigen Art zugeschnitten, gebogen, geklebt, zusammengefügt werden. Jeder Papierstreifen muss jedoch jeweils mit Lineal und Bleistift

vorgezeichnet und danach ausgeschnitten werden. Die Bauphase in Derdia beträgt 30 Minu-

ten. In diesem Zeitraum muss die Brücke fertiggestellt sein. Viel Spaß bei der Aufgabe! (Quelle: www.dija.de/ikl/downloads/Methodenbox/Bei_den_Derdianen.pdf)

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Anlage 6: Auswertungsfragebogen für die Derdianen mit repräsentativen Antworten

1. Wie hast Du Dich als Derdiane gefühlt? Welche Gefühle und Gedanken hast Du beim Spiel der „Derdianischen“ Verhaltensweisen erlebt?

Antwort: es war lustig aber auch nicht leicht, sich in das Wesen der Derdianen zu versetzen … hilflos und falsch verstanden … hilflos, wusste nichts, konnte nichts, war für alles zu blöd als Derdiane, geradezu primitiv … für einen Laien sehr ungewohnt … nervig, sie fassen sich im-mer an beim Reden, egal wie lang der Satz ist, aber sie sind total nett!

2. Wie haben die internationalen Experten Dich behandelt, waren sie beispielsweise freundlich, ha-ben sie versucht, sich auf Dich und Dein Verhalten einzustellen?

Antwort: am Anfang waren sie überrascht, wie wir uns begrüßen, aber dann haben sie sich schnell hineingefunden, sie waren auch besserwisserisch … sie waren zwar freundlich, aber sie haben nicht viel geredet, ja sie haben versucht sich anzupassen … sie sind freundlicher geworden, als sie unsere Verhaltensweise kennen gelernt hatten … sie haben sich nicht auf uns eingestellt und waren überheblich …

3. Waren die internationalen Experten imstande, Dir den Brückenbau verständlich zu erklären?

Antwort: na ja, es ging, sie haben zwar nicht viel erklärt aber wir haben es im großen ganzen verstanden … ja, sie haben uns alles gezeigt … es hat geklappt, weil sie vieles selbst ge-macht haben …

4. Wie leicht oder wie schwer ist es Dir gefallen, in Deine Rolle zu schlüpfen und sie „ernst“ zu neh-men?

Antwort: sehr leicht … gar nicht leicht, man hätte noch mehr Zeit haben sollen … durch unsere Verhaltensweise wurde es manchmal etwas lächerlich … schwer war es mit dem ‚ja’ und ‚nein’ sagen und mit der Berührung …

5. Wie fandest Du dieses Rollenspiel, hat es Dir gefallen?

Antwort: es hat sehr viel Spaß gemacht, das könnten wir noch mal machen, fand ich sehr gut … ja, es war sehr lustig und hat mir gefallen …

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Anlage 7: Auswertungsfragebogen für das „Team internationaler Experten“ mit repräsentativen An tworten

1. Wie fandest Du das Verhalten der Derdianen? Empfandest Du beispielsweise Ablehnung oder Sympathie? Was hast Du gedacht?

Antworten: hab’ mehr Sympathie empfunden, dachte, dass die ja total „blöde“ sind … ich fand es lustig … dachte, dass sie zwar keine Ahnung haben vom Brückenbau, aber freundlich und ein bisschen durch den Wind … dachte, dass das Volk ein bisschen komisch und primitiv ist …

2. Was ist Dir am Umgang der Derdianen untereinander aufgefallen, was war anders als gewohnt?

Antworten: alles war anders als gewohnt … wenn sie miteinander redeten, musste immer Kör-perkontakt sein … die Begrüßung … Umständlichkeit und ab und an verzweifeltes Verhalten … merkwürdiges Verhalten …

3. Waren die Derdianen bereit, den Brückenbau motiviert zu erlernen?

Antworten: ja, sie waren ganz motiviert … ja, auch wenn sie ein bisschen komisch dabei wa-ren … manchmal dachte ich, sie haben keine Lust und spielen halt nur so mit …

4. Konntest Du Dich auf die Derdianen und ihr merkwürdiges Verhalten einstellen?

Antworten: ja, man muss sie nur verstehen … ja, ein bisschen, aber nicht ganz so, wie man es erwartet hätte …

5. Wie leicht oder wie schwer ist es Dir gefallen, in Deine Rolle zu schlüpfen und sie „ernst“ zu neh-men?

Antworten: es ist mir ganz leicht gefallen, weil es keine schwere Aufgabe war … es war ziem-lich einfach, weil man die anderen ja vom Sehen her kannte … da musste man Phantasie für haben … ich war eher froh, nicht zu tief damit befasst zu sein …

6. Wie fandest Du dieses Rollenspiel, hat es Dir gefallen?

Antworten: es war ganz lustig und spaßig … lässig spontan … ja, ist mal Abwechslung und man konnte viel lachen …

Anlage 8

BLK-Wandzeitung „Simulationsrollenspiel ‚Bei den Derdianen’“

Simulationsrollenspiel: „Bei den Derdianen“ Unsere Lehrer schlugen uns BGJ- und BVJ-Schülern vor, wir sollten gemeinsam bei einem Rollenspiel mitmachen. Wir fanden den Gedanken gut und entschieden uns, dafür zwei Fachpraxis-Stunden „zu opfern“.

Zuerst bildeten wir zwei Gruppen. Nach einer halbstündigen Vorbereitung begann das eigentliche Rollenspiel: Die europäi-schen „Experten“ sollten die „Derdianen“, ein Volk der dritten Welt, den Bau von Brücken lehren, da es im Gebiet der „Derdia-nen“ viele Flüsse gibt. Die Brücken, im Spiel symbolisch aus Pa-pier hergestellt, würden künftig den Weg zu Marktorten und Nachbardörfern erleichtern. Die „Experten“ begrüßten die „Derdianen“, verpflegten sie mit ih-nen „unbekannter“ Nahrung (Schokoriegel), dann begann der gemeinsame Brückenbau. Die „Derdianen“ verhielten sich für uns ganz merkwürdig. So küssten sie sich bei der Begrüßung auf die Schulter, berührten sich beim Gespräch, sagten nie „nein“, sondern stets ja. Wenn sie dabei den Kopf schüttelten, so be-deutete das „ja“ ein „nein“ ... Zwar fanden die „Experten“ es schwierig, mit diesen Gewohnheiten umzugehen, sie zeigten sich jedoch geduldig. Zum Schluss war die Papier-Brücke fertig, wir hatten alle viel Spaß mit einander und merkten, wie schwer es ist, sich auf Men-schen einzustellen, die sich ganz anders verhalten, als wir es gewohnt sind.

„Derdianen“ im Gespräch …

Die „Internationalen Experten“ bei der Planung

Einweisung in den Brückenbau Gruppenbild „Derdianen“ und „Experten“ nach dem Rollenspiel