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Bayerischer Landtag 14. Wahlperiode Drucksache 14/8660 Bericht der Enquete-Kommission des Bayerischen Landtags „Reform des Föderalismus – Stärkung der Landesparlamente“ Drs. 14/118, 1464 Inhaltsverzeichnis Seite A) Die Enquete-Kommission „Reform des Föde- ralismus – Stärkung der Landesparlamente“ . . . . . . . 1 Auftrag, Zusammensetzung, Mitarbeiter und wesentlicher Gang der Beratungen . . . . . . . . . . . 1 B) Empfehlungen der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . 3 C) Zusammenfassung der Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . 13 A) Die Enquete-Kommission „Reform des Fö- deralismus – Stärkung der Landesparlamente“ Auftrag, Zusammensetzung und wesentli- cher Gang der Beratungen 1. Auftrag Die Enquete-Kommission „Reform des Föderalismus – Stärkung der Landesparlamente“ wurde auf Antrag der SPD-Fraktion (Drs. 14/65) mit einstimmigem Beschluss des Bayerischen Landtags vom 26.11.1998 (Drs. 14/118) eingesetzt. Der Beschluss lautet wie folgt: Der Landtag setzt gemäß Art. 25 a der Bayerischen Ver- fassung eine Enquete-Kommission „Reform des Födera- lismus – Stärkung der Landesparlamente“ ein. Die Enquete-Kommission soll insbesondere Vorschläge erarbeiten – zur Neuverteilung von Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, mit dem Ziel, Mischzustän- digkeiten weitmöglichst abzuschaffen und die Gesetz- gebungskompetenzen der Landesparlamente zu stär- ken. zu einer Reform des Länderfinanzausgleichs. zu einer Neuverteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Der Untersuchungsauftrag war damit noch nicht hinrei- chend präzisiert. Deshalb wurde von einer personellen Besetzung und Konstituierung der Enquete-Kommission zunächst abgesehen. Mit Beschluss vom 08.07.1999 (Drs. 14/1464) hat der Bayerische Landtag auf der Grundlage eines Antrags der Fraktionen von CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 14/1372) der mit Beschluss vom 26.11. 1998 ein- gesetzten Enquete-Kommission einstimmig aufgegeben, im Rahmen ihrer Arbeit folgende Punkte zu behandeln und Empfehlungen hierzu vorzulegen. Der Beschluss lautet wie folgt: 1. Föderalismus und supranationale Politik 1. a) Welche Herausforderungen ergeben sich für ei- nen föderalistischen Staatsaufbau durch die zu- nehmende Bedeutung der trans- und supranatio- nalen Politik? Wie muß insbesondere auf die ver- gangene und künftige Entwicklung der Europäi- schen Union reagiert werden? Sind für erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder auf eu- ropäischer Ebene – Europa der Regionen – Ver- änderungen im Bereich der Kompetenzverteilung zwischen Landesparlamenten und Landesregie- rungen verfassungsrechtlich zulässig und gegebe- nenfalls verfassungspolitisch wünschenswert? 1. b) An welche zwingenden Voraussetzungen müssen Kompetenzübertragungen auf die Europäische Union im Hinblick auf die originären Gesetzge- bungs- und Vollzugszuständigkeiten der Länder gebunden werden? 1. c) Welche Kompetenzen der Länder – unmittelbar oder mittelbar – in und/oder gegenüber den Or- ganen der Europäischen Union sind notwendig, und wie müssen sich diese Kompetenzen im Ver- hältnis von Parlament und Regierung widerspie- geln? 2. Föderalismus und nationale Politik 2. a) Wie soll der bundesrepublikanische Föderalismus im Hinblick auf Autonomie von Bund und Län- dern, Subsidiarität, Wettbewerb, Integration und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ausge- staltet werden? 2. b) Wie kann das Parlament bei der bestehenden Ten- denz zum „Exekutivföderalismus“ wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten erlangen? 2. c) Ist eine Beteiligung des Landesgesetzgebers bei Änderungen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern – Art. 70 ff.GG – verfassungs- rechtlich zulässig und gegebenenfalls verfas- sungspolitisch wünschenswert?

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Bayerischer Landtag14. Wahlperiode Drucksache 14/8660

Berichtder Enquete-Kommission des Bayerischen Landtags

„Reform des Föderalismus– Stärkung der Landesparlamente“Drs. 14/118, 1464

Inhaltsverzeichnis Seite

A) Die Enquete-Kommission „Reform des Föde-ralismus – Stärkung der Landesparlamente“ . . . . . . . 1

Auftrag, Zusammensetzung, Mitarbeiterund wesentlicher Gang der Beratungen . . . . . . . . . . . 1

B) Empfehlungen der Enquete-Kommission . . . . . . . . . . 3

C) Zusammenfassung der Beratungen . . . . . . . . . . . . . . . 13

A) Die Enquete-Kommission „Reform des Fö-deralismus – Stärkung der Landesparlamente“– Auftrag, Zusammensetzung und wesentli-cher Gang der Beratungen

1. Auftrag

Die Enquete-Kommission „Reform des Föderalismus –Stärkung der Landesparlamente“ wurde auf Antrag derSPD-Fraktion (Drs. 14/65) mit einstimmigem Beschlussdes Bayerischen Landtags vom 26.11.1998 (Drs. 14/118)eingesetzt. Der Beschluss lautet wie folgt:

Der Landtag setzt gemäß Art. 25 a der Bayerischen Ver-fassung eine Enquete-Kommission „Reform des Födera-lismus – Stärkung der Landesparlamente“ ein.

Die Enquete-Kommission soll insbesondere Vorschlägeerarbeiten

– zur Neuverteilung von Kompetenzen zwischen Bund,Ländern und Kommunen, mit dem Ziel, Mischzustän-digkeiten weitmöglichst abzuschaffen und die Gesetz-gebungskompetenzen der Landesparlamente zu stär-ken.

– zu einer Reform des Länderfinanzausgleichs.

– zu einer Neuverteilung der Steuereinnahmen zwischenBund, Ländern und Kommunen.

Der Untersuchungsauftrag war damit noch nicht hinrei-chend präzisiert. Deshalb wurde von einer personellen

Besetzung und Konstituierung der Enquete-Kommissionzunächst abgesehen.

Mit Beschluss vom 08.07.1999 (Drs. 14/1464) hat derBayerische Landtag auf der Grundlage eines Antrags derFraktionen von CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen(Drs. 14/1372) der mit Beschluss vom 26.11. 1998 ein-gesetzten Enquete-Kommission einstimmig aufgegeben,im Rahmen ihrer Arbeit folgende Punkte zu behandelnund Empfehlungen hierzu vorzulegen. Der Beschlusslautet wie folgt:

1. Föderalismus und supranationale Politik

1. a) Welche Herausforderungen ergeben sich für ei-nen föderalistischen Staatsaufbau durch die zu-nehmende Bedeutung der trans- und supranatio-nalen Politik? Wie muß insbesondere auf die ver-gangene und künftige Entwicklung der Europäi-schen Union reagiert werden? Sind für erweiterteMitwirkungsmöglichkeiten der Länder auf eu-ropäischer Ebene – Europa der Regionen – Ver-änderungen im Bereich der Kompetenzverteilungzwischen Landesparlamenten und Landesregie-rungen verfassungsrechtlich zulässig und gegebe-nenfalls verfassungspolitisch wünschenswert?

1. b) An welche zwingenden Voraussetzungen müssenKompetenzübertragungen auf die EuropäischeUnion im Hinblick auf die originären Gesetzge-bungs- und Vollzugszuständigkeiten der Ländergebunden werden?

1. c) Welche Kompetenzen der Länder – unmittelbaroder mittelbar – in und/oder gegenüber den Or-ganen der Europäischen Union sind notwendig,und wie müssen sich diese Kompetenzen im Ver-hältnis von Parlament und Regierung widerspie-geln?

2. Föderalismus und nationale Politik

2. a) Wie soll der bundesrepublikanische Föderalismusim Hinblick auf Autonomie von Bund und Län-dern, Subsidiarität, Wettbewerb, Integration undGleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ausge-staltet werden?

2. b) Wie kann das Parlament bei der bestehenden Ten-denz zum „Exekutivföderalismus“ wieder mehrGestaltungsmöglichkeiten erlangen?

2. c) Ist eine Beteiligung des Landesgesetzgebers beiÄnderungen der Kompetenzverteilung zwischenBund und Ländern – Art. 70 ff.GG – verfassungs-rechtlich zulässig und gegebenenfalls verfas-sungspolitisch wünschenswert?

2. d) Kann das Abstimmungsverhalten der Landesre-gierungen im Bundesrat an Beschlüsse der jewei-ligen Landesparlamente gebunden werden?

2. e) Gibt es politische Entscheidungen, die derzeitnicht im Landesparlament getroffen werden, je-doch dort getroffen werden sollten? Ist es verfas-sungsrechtlich zulässig, eine parlamentarischeZuständigkeit für Entscheidungen dieser Art zubegründen? Welche Zuständigkeiten könnten sogegebenenfalls ins Parlament geholt werden?

2. f) In welchen Bereichen kommt eine Rückübertra-gung oder Übertragung von Gesetzgebungskom-petenzen vom Bund auf die Länder in Frage? Wiewerden solche Gesetzgebungskompetenzen gege-benenfalls im Verhältnis zwischen Parlament undRegierung wahrgenommen?

2. g) In welchen Bereichen sind im Verhältnis zwischenBund, Ländern und Kommunen Mischzuständig-keiten abzuschaffen? Welche Auswirkungen mussdies gegebenenfalls auf den bundesstaatlichen Fi-nanzausgleich und auf den kommunalen Finanz-ausgleich haben?

3. Föderalismus und Staatsfinanzen

3. a) Ist eine Änderung der Bund-Länder-Finanz-beziehungen notwendig? Wie könnten geänderteStrukturen aussehen?

3. b) Ist es sinnvoll – generell oder nach Einzelberei-chen aufgegliedert – den Grundsatz aufzustellenEntscheidungskompetenz und Finanzverantwor-tung gehören zusammen und wie kann dieser ge-gebenenfalls umgesetzt werden?

3. c) Wie kann der zunehmenden Vermischung von Auf-gaben, Einnahmen und Ausgaben von Bund undLändern entgegengewirkt werden?

3. d) Soll im Verhältnis zwischen Bund und Ländern ei-ne stärkere Verknüpfung zwischen Aufgabenzu-ständigkeit, Ausgabenlast und Ertragshoheit her-gestellt werden? Wie kann dies gegebenenfalls er-folgen?

3. e) Welche Auswirkungen auf die Landesparlamentehaben gegebenenfalls zusätzliche Zuständigkeitender Länder und ein geänderter Länderfinanzaus-gleich? Wie wäre hierauf zu reagieren?

4. Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung

Soll im Verhältnis zwischen Land, Bezirken, Land-kreisen und Gemeinden eine stärkere Verknüpfungvon Aufgabenzuständigkeit, Ausgabenlast undSteuerertragshoheit hergestellt werden und wie kanndies gegebenenfalls geschehen? Ist hierzu eine recht-liche Verankerung des Konnexitätsprinzips notwen-dig, und wo sind hierfür gegebenenfalls die Anknüp-fungspunkte?

Die Enquete-Kommission soll ihren Bericht späte-stens am 30. Juni 2001 vorlegen. Bis zum Ende desJahres 2002 sollen entsprechende Initiativen zur Um-setzung der Vorschläge ergriffen werden.

2. Zusammensetzung

Ebenfalls mit Beschluss vom 08.07.1999 (Drs. 14/1464)hat der Bayerische Landtag die Mitgliederzahl der Kom-mission auf 15 und deren Zusammensetzung aus 8 Abge-ordneten und 7 weiteren Mitgliedern festgelegt sowie dieMitglieder und stellvertretenden Mitglieder, den Vorsit-zenden und stellvertretenden Vorsitzenden bestellt. DerBeschluss lautet insoweit wie folgt:

Die Enquete-Kommission besteht aus acht Abgeordnetenund sieben weiteren Mitgliedern, insgesamt also aus 15Mitgliedern.

Als Mitglieder und stellvertretende Mitglieder werdenbestellt:

Abgeordnete:

CSUMitglieder: Stellvertreterinnen

bzw. Stellvertreter:Dr. Otmar Bernhard Gerhard EckHerbert Ettengruber Dr. Ingrid FicklerAlexander König Petra GuttenbergerHermann Leeb Thomas KreuzerPeter Welnhofer Herbert Mirberth

SPDMitglieder: Stellvertreter:Harald Güller Dr. Klaus HahnzogHelga Schmitt Dr. Thomas Jung

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMitglied: Stellvertreterin:Ulrike Gote Christine Stahl

Weitere Mitglieder:Prof. Dr. Hans-Wolfgang ArndtProf. Dr. Peter BaduraProf. Dr. Gisela FärberProf. Dr. Ursula MünchProf. Dr. Dr. h.c. Heinrich OberreuterProf. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter SchneiderProf. Dr. Rainer-Olaf Schultze

Zum Vorsitzenden wird der Abgeordnete Peter Welnho-fer, zum stellvertretenden Vorsitzenden der AbgeordneteHarald Güller bestellt.

Mit Beschluss des Bayerischen Landtags vom 10.12.1999 wurde an Stelle des Abgeordneten Dr. Otmar Bern-hard (CSU) der Abgeordnete Gerhard Eck (CSU) als Mit-glied bestellt. An dessen Stelle wurde der AbgeordneteJakob Kreidl (CSU) zum stellvertretenden Mitglied be-stellt.

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3. Mitarbeiter und Beauftragte

Als Sekretariat stand der Enquete-Kommission das Refe-rat A IV – Juristischer Ausschussdienst – des Landtags-amtes (Leitung: Ltd. Ministerialrat Dr. Reinhard Gremer)zur Verfügung. Die Sitzungsniederschriften wurden vomStenographischen Dienst erstellt.

Die Arbeit der Enquete-Kommission wurde durch Frak-tionsmitarbeiter unterstützt:

– Dr. Josef Widmann (CSU-Fraktion)

– Alexandra Hiersemann (SPD-Fraktion)

– Tanja Zinterer (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)

Als Vertreter der Staatsregierung nahmen an den Bera-tungen der Enquete-Kommission Beamte der Staatskanz-lei regelmäßig, Beamte des Staatsministeriums der Fi-nanzen und des Staatsministeriums des Innern themenbe-zogen teil.

4. Wesentlicher Gang der Beratungen

Die Enquete-Kommission befasste sich in insgesamt 25Sitzungen mit den im Beschluss vom 08.07.1999 aufge-führten Fragen, und zwar am

15.07.1999 04.05.2000 01.02.2001 27.09.2001

14.10.1999 08.06.2000 08.03.2001 11.10.2001

11.11.1999 06.07.2000 22.03.2001 15.11.2001

02.12.1999 12.10.2000 10.05.2001 24.01.2002

20.01.2000 26.10.2000 11.05.2001

02.03.2000 27.10.2000 21.06.2001

16.03.2000 07.12.2000 05.07.2001

Am 26./27.10.2000 fand zum Fragenkomplex „Födera-lismus und nationale Politik“ eine Klausurtagung der En-quete-Kommission in Kloster Banz statt.

In der Sitzung vom 07.12.2000 wurde im Zusammen-hang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zumLänderfinanzausgleich Prof. Dr. Paul Kirchhof zum The-ma Maßstäbegesetz angehört.

Am 10./11.05.2001 fand zu den Fragenkomplexen „Fö-deralismus und nationale Politik“ und „Föderalismus undStaatsfinanzen“ eine Klausurtagung in der Akademie fürpolitische Bildung in Tutzing statt.

Am 21.06.2001 wurden alle bayerischen KommunalenSpitzenverbände zum Fragenkomplex „Föderalismusund kommunale Selbstverwaltung“ angehört.

Den Beratungen der einzelnen Fragen lagen grundsätz-lich mündliche Berichterstattungen der Sachverständigender Enquete-Kommission zugrunde. Die Sachverständi-gen haben darüber hinaus in der Regel schriftliche Aus-arbeitungen vorgelegt, die in einer Materialliste zusam-mengestellt sind. Über die einzelnen Fragenkomplexewurde abschnittsweise und jeweils getrennt nach Thesen-teilen (siehe Abschnitt B)) und Begründungsteilen (sieheAbschnitt C)) abgestimmt. Soweit sich einzelne oder

mehrere Mitglieder bei der Abstimmung in der Enquete-Kommission nicht durchsetzen konnten, bestand jeweilsdie Möglichkeit, die abweichenden Voten im Begrün-dungsteil darzulegen.

Die Beratungen erfolgten gemäß § 45 a Abs. 4 Satz 1 derGeschäftsordnung für den Bayerischen Landtaggrundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung. Anlässlich derSitzung vom 20.01.2000 wurde die Öffentlichkeit überdie bisherigen Beratungen informiert. Ferner wurden am05. 07. 2001 die bisherigen Arbeitsergebnisse der En-quete-Kommission in öffentlicher Sitzung bekannt gege-ben.

B) Empfehlungen der Enquete-Kommission

1. Föderalismus und supranationale Politik

1. a) Welche Herausforderungen ergeben sich für einen fö-deralistischen Staatsaufbau durch die zunehmendeBedeutung der trans- und supranationalen Politik?Wie muss insbesondere auf die vergangene und künf-tige Entwicklung der Europäischen Union reagiertwerden? Sind für erweiterte Mitwirkungsmöglichkei-ten der Länder auf europäischer Ebene – Europa derRegionen – Veränderungen im Bereich der Kompe-tenzverteilung zwischen Landesparlamenten undLandesregierungen verfassungsrechtlich zulässigund gegebenenfalls verfassungspolitisch wünschens-wert?

Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa, dasdemokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föde-rativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsi-diarität verpflichtet ist (Art. 3a BV). Allerdings sinddiese Grundsätze im Integrationsprozess noch nichthinreichend verwirklicht. Insbesondere bestehen indemokratischer und rechtsstaatlicher Hinsicht und imHinblick auf die Beachtung des Subsidiaritätsprinzipsnoch Defizite.

Die Neigung der Europäischen Union zu übermäßigerReglementierung und die Vernachlässigung regiona-ler Gebietskörperschaften im Entscheidungsprozessder Europäischen Union, die damit häufig auch inLandeskompetenzen eingreift, gefährden den födera-len Aufbau der Bundesrepublik Deutschland. ImMaastrichter Vertrag 1993 wurde das Subsidiaritäts-prinzip verankert. Allerdings wird dieses Prinzip, daseine Kompetenzschranke der EU im Verhältnis zuden Mitgliedsstaaten und damit indirekt je nach in-nerstaatlicher Kompetenzzuweisung auch gegenüberden Ländern und Regionen postuliert, nicht hinrei-chend beachtet. Außerdem sieht es der vertraglichvereinbarte Aufbau der EU nicht vor, Untergliederun-gen der Mitgliedsstaaten Mitentscheidungsrechte ein-zuräumen.

Auch in der deutschen Europapolitik werden Länder-belange zu wenig berücksichtigt. Die Übertragungvon Hoheitsrechten auf die EU erfolgt allein durch

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den Bund, auch dann, wenn dadurch Hoheitsrechteerfasst werden, die nach der verfassungsrechtlichenKompetenzordnung den Ländern zustehen. Art. 23GG gibt zwar den Ländern über den Bundesrat Mit-wirkungsmöglichkeiten bei der Übertragung von Ho-heitsrechten durch den Bund auf die EU, die Lan-desparlamente sind dabei jedoch nicht unmittelbarbeteiligt. Viele der die Länder berührenden Angele-genheiten der EU werden derzeit auf der „dritten Ebe-ne“ der föderativen Staatspraxis, in Ministerpräsiden-tenkonferenzen, Fachministerkonferenzen und Bund-Länder-Kommissionen entschieden und im Bundes-rat bestätigt. Eine wirksame Kontrolle durch die Lan-desparlamente wird dadurch wesentlich erschwert.

Zudem sind die wenig durchschaubaren und nichthinreichend demokratisch legitimierten Entscheidun-gen der Europäischen Union den Bürgerinnen undBürgern nur schwer vermittelbar.

Daher plädiert die Enquete-Kommission „Reform desFöderalismus – Stärkung der Landesparlamente“ ge-nerell für einen qualitativen Umbau der Strukturender Europäischen Union nach folgenden Prinzipien:

• Entflechtung: Eine klare Verteilung von Kompe-tenzen zwischen der EU und den Mitgliedsstaatenkann Transaktionskosten und Kompetenzkonfliktevermeiden.

• Subsidiarität: Durch eine konsequente Umsetzungdes Subsidiaritätsprinzips können auch die Gestal-tungsmöglichkeiten der Regional- und Kommunal-ebenen erhalten und gestärkt werden. Dies fördertauch die europäische Demokratie.

• Transparenz: Die Durchschaubarkeit von Entschei-dungsprozessen und -strukturen der EU durch ver-besserte Information kann zu vermehrter Einbin-dung der Bevölkerung und damit zur Stärkung desEuropabewusstseins der Bürgerinnen und Bürgerführen.

Die Umsetzung dieser Prinzipien erhöht nicht alleindie Gestaltungsmöglichkeiten des Landtags, sondernauch dessen Legitimität. Der – bisher korrekte – Ver-weis auf den unzureichenden Einfluss des Landtags invon der EU geregelten Politikfeldern legt in der Öf-fentlichkeit die Annahme nahe, der Landtag verlieremit fortschreitender europäischer Integration zuneh-mend seine Daseinsberechtigung. Eine effektive Mit-gestaltungsmöglichkeit des Landtags in europäischenAngelegenheiten kann seine Stellung in der Bevölke-rung stärken und darüber hinaus deren Distanz zu eu-ropäischen Angelegenheiten verringern helfen. Letz-teres ist für die Akzeptanz des weiteren Integrations-prozesses eine wesentliche Voraussetzung.

Die Enquete-Kommission ist sich durchaus bewusst,dass es nicht in der Kompetenz eines einzelnen Land-tags liegt, umfassende Empfehlungen zu einer Re-form der Europäischen Union zu geben. Daher be-schränkt sie sich im Folgenden auf konkrete Empfeh-lungen zur Stärkung des Landtags, die auf bayeri-

scher bzw. bundesdeutscher Ebene umgesetzt werdenkönnen.

Zur Stärkung des Landtags in Angelegenheiten derEuropäischen Union macht die Kommission folgendeVorschläge:

• die Gewährleistung, dass die Übertragung von Lan-desgesetzgebungskompetenzen vom Bund auf dieEU einer verfassungsändernden Zweidrittelmehr-heit bedarf

• das Zustimmungserfordernis auch einer Mehrheitder Landtage zu Gesetzen, die Gesetzgebungsho-heiten der Länder auf die EU übertragen

• ein Mitentscheidungsrecht des Landtags bei derBenennung der bayerischen Mitglieder des Aus-schusses der Regionen

• die Beseitigung der sich aus Art. 23 Abs. 5 Satz 2GG ergebenden Möglichkeit der Bundesregierung,bei Entscheidungen auf EU-Ebene, die im Schwer-punkt Kompetenzen der Länder betreffen, vomBundesratsvotum abzuweichen.

Folgende Vorschläge werden zwar erst im Kapitel 2„Föderalismus und nationale Politik“ ausgeführt, siesind jedoch ebenso dazu konzipiert worden, den Ein-fluss des Landtags in Europaangelegenheiten zu stär-ken:

• die gesetzliche Regelung der Informationspflichtder Staatsregierung gegenüber dem Landtag, u.a. inAngelegenheiten der Europäischen Union

• eine Entscheidungskompetenz der Landtagsaus-schüsse zur Abgabe von Stellungnahmen in be-stimmten eilbedürftigen Angelegenheiten, u.a. zueuropapolitischen Aktivitäten der Staatsregierung.

1. b) An welche zwingenden Voraussetzungen müssenKompetenzübertragungen auf die Europäische Unionim Hinblick auf die originären Gesetzgebungs- undVollzugszuständigkeiten der Länder gebunden wer-den?

Die Enquete-Kommission spricht sich dafür aus, dassLandesgesetzgebungskompetenzen nur dann vomBund auf die EU übertragen werden dürfen, wenn eshierfür eine verfassungsändernde Zweidrittelmehr-heit gibt. Dies ist durch eine Änderung des Art. 23Abs. 1 GG klar zum Ausdruck zu bringen.

Eine weitere effektive Möglichkeit, der Übertragungvon Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder aufdie EU durch den Bund entgegenzuwirken, sieht dieEnquete-Kommission darin, den Landesparlamentenin diesen Fällen ein unmittelbares Mitspracherechteinzuräumen.

Die Enquete-Kommission schlägt deshalb vor, dassein Gesetz, mit dem der Bund Hoheitsrechte der Län-der auf die EU überträgt, nicht nur der Zustimmungdes Bundesrates, sondern gleichzeitig auch der Zu-

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stimmung der Mehrheit der Landesparlamente bedür-fen soll.

Zur Verwirklichung dieses Vorschlags empfiehlt dieEnquete-Kommission, in Art. 79 des Grundgesetzesfolgenden Abs. 2 a einzufügen:

„(2 a) Soweit das Gesetz Zuständigkeiten der Länderzur Gesetzgebung der Europäischen Union überträgt,bedarf es auch der Zustimmung der Volksvertretun-gen der Mehrheit der Länder; die Volksvertretungenbeschließen mit der Mehrheit der abgegebenen Stim-men. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht dieVolksvertretungen in mindestens der Hälfte der Län-der einen nach Art. 78 zu Stande gekommenen Geset-zesbeschluss innerhalb von drei Monaten ablehnen.“

1. c) Welche Kompetenzen der Länder – unmittelbar odermittelbar – in und/oder gegenüber den Organen derEuropäischen Union sind notwendig, und wie müssensich diese Kompetenzen im Verhältnis von Parlamentund Regierung widerspiegeln?

Auf der Ebene der Europäischen Union sind die re-gionalen und lokalen Gebietskörperschaften im Aus-schuss der Regionen vertreten. Bislang erfolgte dieBenennung des bzw. der Vertreter Bayerns für denAusschuss der Regionen und seines bzw. ihrer Stell-vertreter durch die Staatsregierung, ohne dass derLandtag in die Auswahlentscheidung der Staatsregie-rung einbezogen war. Die Enquete-Kommission hälteine Mitwirkung des Landtags bei der Benennung fürerforderlich und schlägt folgendes Verfahren vor:Stellt der Freistaat Bayern nur einen Vertreter imAusschuss der Regionen, so benennt diesen sowiedessen Vertreter die Staatsregierung mit Zustimmungdes Landtags. Steht dem Freistaat Bayern ein weiteresMitglied zu, so wird dieses sowie dessen Stellvertre-ter vom Landtag aus seiner Mitte gewählt. Diese Mit-wirkung des Landtags soll in einem Ausführungsge-setz zu Art. 3 a BV gesetzlich geregelt werden.

Die Enquete-Kommission schlägt vor, die Möglich-keit der Bundesregierung, in Angelegenheiten derEU, die im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisseder Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihreVerwaltungsverfahren betreffen, vom Bundesratsvo-tum abzuweichen, durch eine Änderung von Art. 23Abs. 5 Satz 2 GG zu beseitigen.

2. Föderalismus und nationale Politik

2. a) Wie soll der bundesrepublikanische Föderalismus imHinblick auf Autonomie von Bund und Ländern, Sub-sidiarität, Wettbewerb, Integration und Gleichwertig-keit der Lebensverhältnisse ausgestaltet werden?

Die Entwicklungstendenzen des bundesdeutschenFöderalismus haben zu einer immer stärkeren Aus-höhlung der Gesetzgebungskompetenzen der Lan-desparlamente geführt: Unter der Maßgabe der Ein-heitlichkeit bzw. Gleichwertigkeit der Lebensverhält-nisse und der Einheit des Rechts- und Wirtschaftsrau-

mes hat der Bund vom größten Teil der in die kon-kurrierende Gesetzgebung fallenden Bereiche Ge-brauch gemacht. Aufgrund des Vereinheitlichungs-trends hat auch die Koordination der Länder unterein-ander in deren eigenen Kompetenzbereichen immerweiter zugenommen. So werden in zahlreichen inter-gouvernementalen Gremien, z.B. in Ministerpräsi-denten- oder Fachministerkonferenzen, gegenwärtigauf nahezu allen Gebieten der Politik einvernehmli-che Lösungen gesucht, teilweise sogar verbindlicheAbsprachen getroffen („Exekutivföderalismus“).Diese Tendenzen haben eine Übervereinheitlichungin der Gesetzgebung zur Folge, da auch diejenigenPolitikbereiche bundeseinheitlich geregelt werden,die einer länder- und regionenspezifischen Bearbei-tung bedürfen.

Die Länder setzten lange Zeit der Aushöhlung ihrerKompetenzen wenig entgegen, da diese mit einerstärkeren Beteiligung der Landesregierungen an derBundespolitik, meist über den Bundesrat, kompen-siert wurde. Verlierer dieser Entwicklung sind dieLandesparlamente. Sie können auf Bundesratsent-scheidungen nicht unmittelbar Einfluss nehmen.Auch sind sie von wichtigen Entscheidungen in denExekutivgremien ausgeschlossen. Vielfach haben sienur die Möglichkeit, bereits getroffene Vereinbarun-gen „abzusegnen“. Entgegen der Entscheidung desGrundgesetzes für eine Regelzuständigkeit der Län-der und damit der Länderparlamente werden diese da-her an der Ausübung wesentlicher staatlicher Gesetz-gebungsbefugnisse gehindert. Die zentrale Funktiondes Föderalismus, die Demokratie zu sichern undBürgernähe zu gewährleisten, wird dadurch ge-schwächt.

Die Enquete-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt,durch konkrete Reformvorschläge diesen Tendenzenin der bundesstaatlichen Ordnung entgegenzuwirken.Eine Reform des Föderalismus darf nicht nur die Ef-fizienz des Regierens im Auge haben, sondern musseine Politik ermöglichen, die von den Bürgerinnenund Bürgern legitimiert ist und flexibel auf gesell-schaftliche Erfordernisse reagieren kann. Das Ziel al-ler Reformmaßnahmen sollte eine föderale Ordnungsein, die gesamtstaatliche Einheit mit einem gewissenMaß an regional bedingter wirtschaftlicher, sozialerund kultureller Verschiedenheit innerhalb des Bun-desgebiets verbindet. Eine Stärkung des solidarischenWettbewerbs unter den Ländern und ein Zulassen fle-xibler Regelungen führt zur Durchschaubarkeit staat-licher Entscheidungsprozesse und damit auch zu ver-stärkter Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am de-mokratischen Leben.

Die Enquete-Kommission schlägt daher gemäß ihremAuftrag Reformmaßnahmen vor, die folgenden Krite-rien unterliegen:

• Entflechtung: Die eindeutige Zuordnung von Ge-setzgebungskompetenzen zu den staatlichen Ebe-nen ohne die Möglichkeit gegenseitiger Blockade

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stärkt die Handlungsfähigkeit der Politik und machtpolitische Entscheidungen wieder transparenter.

• Subsidiarität: Die Ansiedlung von Aufgaben aufder unterst möglichen staatlichen Ebene ermöglichtproblemnahe und effiziente politische Lösungen,fördert Akzeptanz und Bürgernähe.

• Solidarischer Wettbewerb: Ein Konkurrieren derLänder um die besten politischen Lösungen stärktdie Innovationsfähigkeit der Politik; dabei muss fürstrukturschwache Regionen ruinöser Standortwett-bewerb jedoch verhindert werden.

• Transparenz: Eine klare und durchschaubare Auf-gabenverteilung erschwert die Verschiebung vonVerantwortung oder Kosten und erleichtert die Zu-rechnung und Kontrolle von politischen Entschei-dungen.

Im Zentrum der Kommissionsempfehlungen stehenVorschläge zum Ausbau des Gestaltungsföderalis-mus und zur Entflechtung der Gesetzgebungszustän-digkeiten zwischen Bundes- und Landesebene. Einesolche Strukturreform des Föderalismus hat auchzwingend eine deutliche Stärkung der Landesparla-mente zur Folge.

Zur Reform der Kompetenzordnung macht die En-quete-Kommission folgende Vorschläge:

• eine Vorranggesetzgebung der Länder, die einzel-nen Ländern eigenständige, auch von Bundesgeset-zen abweichende Regelungen ermöglicht;

• die Rückführung von Gesetzgebungskompetenzendes Bundes an die Länder durch die Reduzierungdes Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung,die Änderung der Rahmengesetzgebung in eineGrundsatzgesetzgebung und die Reduzierung desKatalogs dieser Grundsatzgesetzgebung;

• die Befristung von Rechtsvorschriften des Bundesunter bestimmten Voraussetzungen;

• die Einführung von Öffnungs- und Experimentier-klauseln zugunsten der Länder;

• die Ausweitung interregionaler Zusammenarbeitim Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung;

• die Reduzierung der Zahl der dem Zustimmungs-recht des Bundesrats unterliegenden Gesetze (unterVoraussetzung der Verwirklichung obiger Vor-schläge).

Darüber hinaus schlägt die Kommission flankierendeMaßnahmen vor, die eine stärkere Beteiligung desBayerischen Landtags an Entscheidungen und Initia-tiven der Staatsregierung zum Ziel haben:

• eine generelle Verlängerung der Regelfristen fürStellungnahmen des Bundesrats nach Art. 76 Abs.2 GG;

• die Beteiligung des Bundesrats bei Gesetzesinitiati-ven aus der Mitte des Bundestags;

• die gesetzliche Regelung der Informationspflichtder Staatsregierung gegenüber dem Landtag;

• eine Entscheidungskompetenz der Landtagsaus-schüsse zur Abgabe von Stellungnahmen in be-stimmten eilbedürftigen Angelegenheiten.

Soweit zur Verwirklichung der Empfehlungen eineÄnderung des Grundgesetzes erforderlich ist, emp-fiehlt die Enquete-Kommission dem Landtag, dieStaatsregierung aufzufordern, die notwendigen Initia-tiven im Bundesrat einzubringen. Vorschläge, die inbayerischer Alleinverantwortlichkeit zu realisierensind, sollen vom Bayerischen Landtag und von derStaatsregierung zügig umgesetzt werden.

2. b) Wie kann das Parlament bei der bestehenden Tendenzzum „Exekutivföderalismus“ wieder mehr Gestal-tungsmöglichkeiten erlangen?

2. e) Gibt es politische Entscheidungen, die derzeit nichtim Landesparlament getroffen werden, jedoch dortgetroffen werden sollten? Ist es verfassungsrechtlichzulässig, eine parlamentarische Zuständigkeit fürEntscheidungen dieser Art zu begründen? WelcheZuständigkeiten könnten so gegebenenfalls ins Parla-ment geholt werden?

2. f) In welchen Bereichen kommt eine Rückübertragungoder Übertragung von Gesetzgebungskompetenzenvom Bund auf die Länder in Frage? Wie werden sol-che Gesetzgebungskompetenzen gegebenenfalls imVerhältnis zwischen Parlament und Regierung wahr-genommen?

I. Stärkung der Gesetzgebungskompetenz derLänder

Der Grundentscheidung der Verfassung für eineföderale Ordnung der Bundesrepublik Deutsch-land muss auch im Bereich der Verteilung der Ge-setzgebungskompetenzen auf den Bund und dieLänder Rechnung getragen werden. Zur Stärkungder Gesetzgebungskompetenz der Länder schlägtdie Enquete-Kommission folgende Lösungsmög-lichkeiten vor:

1. Vorranggesetzgebung der Länder im Be-reich der konkurrierenden Gesetzgebung

In Abweichung des bisher in Art. 72 Abs. 1GG geregelten Beteiligungsverhältnissesvon Bund und Ländern im Bereich der kon-kurrierenden Gesetzgebung sollen die Län-der berechtigt sein, eine bundesgesetzlicheRegelung durch Landesrecht zu ersetzenoder zu ergänzen. Der Bundestag soll im Ge-genzug die Möglichkeit erhalten, innerhalbvon drei Monaten nach Bekanntgabe einessolchen Gesetzesbeschlusses durch den je-weiligen Landtag Einspruch zu erheben. DerEinspruch könnte dann auf Antrag des be-

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treffenden Landes durch den Bundesrat zu-rückgewiesen werden.

Die Enquete-Kommission spricht sich des-halb dafür aus, den jetzigen Absatz 3 desArt. 72 GG durch folgende Fassung zu erset-zen:

„Soweit der Bund von diesem Gesetzge-bungsrecht Gebrauch gemacht hat, kann einLand die bundesgesetzliche Regelung, fallses sie nicht oder nicht mehr für erforderlichim Sinne von Abs. 2 hält, ganz oder teilwei-se durch Landesrecht ersetzen oder ergänzen,das in Kraft treten kann, wenn der Bundestagnicht innerhalb von drei Monaten nach derVerkündung Einspruch erhebt oder der Ein-spruch des Bundestages auf Antrag des Lan-des vom Bundesrat zurückgewiesen wird.“

2. Rückführung von Gesetzgebungskompe-tenzen des Bundes an die Länder

2.1 Reduzierung des Katalogs der konkurrie-renden Gesetzgebung

Die Enquete-Kommission empfiehlt folgen-de Kompetenzänderungen im Bereich derkonkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74,74 a GG):

In dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG wer-den folgende Zuständigkeiten gestrichen(mit der Folge, dass sie in die alleinige Ge-setzgebungskompetenz der Länder überge-hen):

– das Notariat in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG

– die außerschulische berufliche Bildungsoll vom Begriff des Rechts der Wirtschaftin Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausdrücklichausgenommen werden

– der Grundstücksverkehr, das Bodenrechtund das landwirtschaftliche Pachtwesen,das Wohnungswesen, das Siedlungs- undHeimstättenwesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18GG)

– die wirtschaftliche Sicherung der Kran-kenhäuser und die Regelung der Kranken-hauspflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 aGG).

Die Förderung der wissenschaftlichen For-schung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) soll indie Grundsatzgesetzgebungskompetenz desBundes überführt werden.

Die Besoldung und Versorgung der An-gehörigen des öffentlichen Dienstes (Art.74 a Abs. 1 GG) soll in die Grundsatzgesetz-gebungskompetenz des Bundes überführtwerden.

2.2 Änderung der Rahmengesetzgebung ineine Grundsatzgesetzgebung

Die Enquete-Kommission schlägt die Um-wandlung der Rahmengesetzgebung in eineGrundsatzgesetzgebung vor. Anders als beider Rahmengesetzgebung, wo der Bund denUmfang und die Reichweite der jeweiligenMaterie bestimmen kann und die Länder in-nerhalb des vorgegebenen Rahmens ver-pflichtet sind, Gesetze zu erlassen, soll derBund bei der Grundsatzgesetzgebung nur be-fugt sein, allgemeine, leitende Grundsätzeaufzustellen. Ob und ggf. in welcher Weisedie Länder von der Ausgestaltungsmöglich-keit der bundesrechtlich vorgegebenenGrundsätze Gebrauch machen, soll in ihremErmessen liegen.

2.3 Reduzierung der Materien der Grund-satzgesetzgebung

Die Enquete-Kommission empfiehlt, folgen-de Zuständigkeiten des Bundes im Katalogdes Art. 75 Abs. 1 GG zu streichen (mit derFolge, dass sie in die alleinige Gesetzge-bungskompetenz der Länder übergehen):

– Die allgemeinen Grundsätze des Hoch-schulwesens (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 a GG)

– Die allgemeinen Rechtsverhältnisse derPresse (Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG)

– Das Jagdwesen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG).

Die übrigen Materien des Art. 75 Abs. 1 GGunterfallen der Grundsatzgesetzgebung. Die-se tritt an die Stelle der bisherigen Rahmen-gesetzgebung.

3. Selbstbeschränkung des Bundesgesetzge-bers

Die Enquete-Kommission empfiehlt demLandtag, die Staatsregierung aufzufordern,über den Bundesrat auf die Bundesregierungin dem Sinne einzuwirken, dass der Bundbeim Erlass neuer Rechtsvorschriften ver-stärkt prüft, ob ein Geltungszeitraum angege-ben werden kann, nach dem die Vorschriftautomatisch außer Kraft tritt, wenn nicht derBund nachweist, dass die Regelung weiter-hin von ihm getroffen werden muss.

Darüber hinaus ist die Enquete-Kommissionder Auffassung, dass der Bund

– bei der Ausübung seines Gesetzgebungs-rechts im Bereich der konkurrierenden Ge-setzgebung die Möglichkeit von Öffnungs-und Experimentierklauseln zugunsten derLänder zu prüfen hat und

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– die im Wege der konkurrierenden Gesetz-gebung erlassenen Vorschriften mit demZiel überprüfen soll, dass diese durch Lan-desrecht ersetzt werden können (Art. 72Abs. 3 GG, 125 a Abs. 2 GG).

4. Ausweitung interregionaler Zusammen-arbeit

Die Länder haben die Möglichkeit, nicht nurim Bereich ihrer ausschließlichen Zuständig-keit, sondern auch dort im Bereich der kon-kurrierenden Gesetzgebungskompetenz desBundes, wo der Bund von seiner Gesetzge-bungskompetenz keinen Gebrauch gemachthat, durch Abschluss von Staatsverträgenund Verwaltungsabkommen untereinandergeeignete Materien zu regeln. In diesem Be-reich könnten vertragliche Vereinbarungender Länder eine bundeseinheitliche Regelungobsolet machen. An der Vorbereitung sol-cher Vereinbarungen sind die Landesparla-mente angemessen zu beteiligen.

II. Veränderung der Zustimmungspflicht

Bei einer Erweiterung der Gesetzgebungskompe-tenz der Länder entsprechend den vorstehendenEmpfehlungen verringert sich die Anzahl der zu-stimmungsbedürftigen Bundesgesetze. Im Fallder Verwirklichung dieser Empfehlungen hält esdie Enquete-Kommission für vertretbar, im Ge-genzug darüber hinaus die Zustimmungspflichtig-keit von Bundesgesetzen zu reduzieren.

In vielen Fällen beruht die Zustimmungspflichtauf Art. 84 Abs. 1 GG.

Die Enquete-Kommission schlägt deshalb vor,diese Bestimmung dahingehend zu ändern, dassein Zustimmungserfordernis nur für Gesetze ge-geben ist, die die bei den Ländern durch den Ge-setzesvollzug verursachten Aufwendungen we-sentlich verändern oder Veränderungen in derVerwaltungsstruktur der Länderbehörden erfor-derlich machen.

Art. 84 Abs. 1 GG soll danach wie folgt lauten:

„Führen die Länder die Bundesgesetze als eigeneAngelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtungder Behörden und das Verwaltungsverfahren, so-weit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes be-stimmt ist. Werden die bei den Ländern durch denGesetzesvollzug verursachten Aufwendungenwesentlich verändert oder Veränderungen in derVerwaltungsstruktur der Länderbehörden erfor-derlich, bedarf das Bundesgesetz der Zustimmungdes Bundesrates. Die Änderung eines mit Zustim-mung des Bundesrates erlassenen Bundesgesetzesist nur dann von der Zustimmung des Bundesratesabhängig, wenn sie eine durch ihren Gegenstandzustimmungsbedürftige Vorschrift betrifft oder

dazu führt, dass andere, ihrerseits zustimmungs-bedürftige Vorschriften des geänderten Gesetzeseine wesentlich andere Bedeutung und Tragweiteerhalten.“

III.Längere Regelfrist für Stellungnahmen desBundesrats nach Art. 76 Abs. 2 GG

Durch eine generelle Verlängerung der Frist fürdie Abgabe der Stellungnahme des Bundesrateszu Vorlagen der Bundesregierung im sog. erstenDurchgang wird es den Landesparlamenten er-leichtert, sich frühzeitig in das Gesetzgebungsver-fahren des Bundes einzubringen.

Bei Grundgesetzänderungen und bei der Übertra-gung von Hoheitsrechten nach Art. 23, 24 GGempfiehlt die Enquete-Kommission eine Verlän-gerung der Frist von 9 Wochen (Art. 76 Abs. 2Satz 5 GG) auf drei Monate. In den übrigen Fällenspricht sich die Enquete-Kommission für eineVerlängerung der Sechs-Wochen-Frist (Art. 76Abs. 2 Satz 1 GG) auf zwei Monate aus. Die Mög-lichkeiten des bisherigen Rechts, die Frist bei be-sonderer Eilbedürftigkeit abzukürzen, sollen er-halten bleiben.

IV. Beteiligung des Bundesrats bei Gesetzesinitia-tiven aus der Mitte des Bundestages

Zur rechtzeitigen Befassung der Landesparlamen-te mit Gesetzgebungsvorhaben des Bundes er-scheint es erforderlich, dem Bundesrat auch beiInitiativgesetzentwürfen aus der Mitte des Bun-destags die Möglichkeit zur Stellungnahme schonvor der Beschlussfassung im Bundestag zu geben.Die Fristen zur Stellungnahme sollten den Fristenfür die Stellungnahmen zu Regierungsvorlagenim sog. ersten Durchgang entsprechen.

Die Enquete-Kommission empfiehlt deshalb, inArt. 76 GG folgenden Absatz 2 a einzufügen:

„Vorlagen aus der Mitte des Bundestages auf denGebieten der konkurrierenden Gesetzgebung so-wie der Grundsatzgesetzgebung sind nach ihrerEinbringung dem Bundesrat zuzuleiten. Der Bun-desrat ist berechtigt, zu den Vorlagen Stellung zunehmen. Hinsichtlich der Frist zur Stellungnahmegilt Abs. 2 Satz 2 und 5 entsprechend. Der Bun-destag darf vor Ablauf dieser Frist keinen Geset-zesbeschluss über die Vorlage fassen.“

V. Verbesserung der Information des Landtagsdurch die Staatsregierung

Die derzeitige Rechtslage sieht eine Unterrich-tung und Einbindung des Landtags in Vorhabender Staatsregierung auf Europa-, Bundes- undLandesebene nur in unzureichender Weise vor.Regelungen finden sich nur in der Geschäftsord-nung der Staatsregierung und in einem Schrift-wechsel zwischen dem Ministerpräsidenten und

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dem Präsidenten des Landtags aus dem Jahr 1979.Angelegenheiten der EU und des Bundesrats sindhiervon gar nicht erfasst.

Um die Informations- und Beteiligungsrechte desLandtags in europa-, bundes- und landespoliti-schen Angelegenheiten zu verbessern, empfiehltdie Enquete-Kommission deshalb, die Informati-onspflicht der Staatsregierung gegenüber demLandtag wie folgt zu regeln:

„(1) Die Staatsregierung unterrichtet den Landtagfrühzeitig über

1. Vorhaben der Gesetzgebung,

2. den Gegenstand beabsichtigter Staatsverträge

und, soweit es sich um Gegenstände von erhebli-cher landespolitischer Bedeutung handelt, über

3. Angelegenheiten der Landesplanung,

4. Bundesratsangelegenheiten,

5. Gegenstände von Verwaltungsabkommen,

6. die Zusammenarbeit mit dem Bund, den Län-dern, den Regionen, anderen Staaten und zwi-schenstaatlichen Einrichtungen,

7. Angelegenheiten der Europäischen Union,

und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Sieberücksichtigt die Stellungnahme des Landtags.

(2) Die Staatsregierung kann von einer Unterrich-tung absehen, wenn diese ihre Funktionsfähigkeitoder Eigenverantwortung oder schutzwürdige In-teressen Einzelner beeinträchtigen würde.“

Vergleichbare Bestimmungen sind bereits in eini-gen Landesverfassungen vorgesehen. Die En-quete-Kommission ist deshalb der Auffassung,dass diese Regelung in die Bayerische Verfassungaufgenommen werden sollte. Für die dafür not-wendige Änderung der Bayerischen Verfassungsind aber hohe Hürden und ein aufwändiges Ver-fahren vorgeschrieben. Um dennoch eine mög-lichst zügige Umsetzung der Informations- undBeteiligungsrechte des Landtags zu gewährlei-sten, hält die Enquete-Kommission zunächst aucheine entsprechende Regelung in einem einfachenGesetz für ausreichend. Zur Ausgestaltung der In-formations- und Beteiligungsrechte empfiehlt dieEnquete-Kommission den Erlass eines Parla-mentsinformationsgesetzes.

VI. Entscheidungskompetenz der Ausschüsse zurAbgabe von Stellungnahmen in bestimmteneilbedürftigen Angelegenheiten

Die Möglichkeit der Abgabe von zu berücksichti-genden Stellungnahmen kann nur dann zu einereffektiven Stärkung der Rolle des Landtags ge-genüber der Staatsregierung führen, wenn dasParlament auch in der Lage ist, seine Entschei-dungen innerhalb der vorgeschriebenen Fristen zu

treffen. Dies kann aber im Einzelfall unter Be-rücksichtigung des vorgegebenen Sitzungsplansdes Parlaments und des in der Geschäftsordnunggeregelten Geschäftsgangs Schwierigkeiten berei-ten.

Um zu gewährleisten, dass der Landtag von denihm zustehenden Gestaltungsmöglichkeiten frist-gerecht Gebrauch machen kann, empfiehlt die En-quete-Kommission, dem jeweils federführendenAusschuss eine Entscheidungskompetenz zur Ab-gabe von Stellungnahmen in eilbedürftigen Ange-legenheiten einzuräumen. Der Beschluss des fe-derführenden Ausschusses gilt in diesen Fällen alsStellungnahme des Landtags, es sei denn, dass ei-ne Fraktion oder 20 Abgeordnete innerhalb einerWoche nach der Beschlussfassung des feder-führenden Ausschusses beantragen, die Entschei-dung der Vollversammlung einzuholen. Die En-quete-Kommission hält eine Regelung durch ein-faches Gesetz für erforderlich, aber auch ausrei-chend.

2. c) Ist eine Beteiligung des Landesgesetzgebers bei Än-derungen der Kompetenzverteilung zwischen Bundund Ländern – Art. 70 ff. GG – verfassungsrechtlichzulässig und gegebenenfalls politisch wünschens-wert?

Eine effektive Möglichkeit, dem weiteren Entzug vonGesetzgebungszuständigkeiten der Länder entgegen-zuwirken, sieht die Enquete-Kommission in einer un-mittelbaren Beteiligung der Landesparlamente beisolchen Grundgesetzänderungen, durch die Gegen-stände der ausschließlichen oder konkurrierenden Ge-setzgebungszuständigkeit des Bundes ergänzt odererweitert werden.

Zur Verwirklichung dieses Vorschlags empfiehlt dieEnquete-Kommission, in Art. 79 des Grundgesetzesfolgenden Abs. 2 a einzufügen:

„(2 a) Soweit das Gesetz Zuständigkeiten der Länderzur Gesetzgebung dem Bund überträgt, bedarf esauch der Zustimmung der Volksvertretungen derMehrheit der Länder; die Volksvertretungen be-schließen mit der Mehrheit der abgegebenen Stim-men. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht dieVolksvertretungen in mindestens der Hälfte der Län-der einen nach Art. 78 zu Stande gekommenen Geset-zesbeschluss innerhalb von drei Monaten ablehnen.“

2. d) Kann das Abstimmungsverhalten der Landesregie-rungen im Bundesrat an Beschlüsse der jeweiligenLandesparlamente gebunden werden?

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dassdie jeweiligen Landesparlamente nach geltendemVerfassungsrecht des Bundes und des Freistaats Bay-ern weder selbst den Vertretern der Landesregierun-gen im Bundesrat Weisungen erteilen, noch die Lan-desregierungen zur Erteilung von bestimmten Wei-

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sungen verpflichten können. Jedoch handelt dieStaatsregierung im Rahmen ihrer parlamentarischenVerantwortlichkeit.

3. Föderalismus und Staatsfinanzen

3. a) Ist eine Änderung der Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen notwendig?

Wie könnten geänderte Strukturen aussehen?

Nach dem ursprünglich vom Grundgesetz vorgesehe-nen Trennsystem lagen die Gesetzgebungskompetenzund Ertragshoheit für die Zölle, die meisten Ver-brauchssteuern und die Umsatzsteuer beim Bund, fürdie Einkommen- und Körperschaftssteuer dagegenbei den Ländern. Mit den Finanzreformen von 1955und 1969 wurde diese Einteilung weitgehend durchein Verbundsystem ersetzt und dem Bund eine um-fassende konkurrierende Steuergesetzgebungskom-petenz eingeräumt. Hiervon hat der Bund in weitemUmfang Gebrauch gemacht. Selbst die Steuern, dieausschließlich den Ländern bzw. Gemeinden zu-fließen, sind gegenwärtig nahezu ausnahmslos bun-desgesetzlich geregelt. Hinzu kommt, dass Gesetzge-bungskompetenz und Finanzierungsverantwortungim Bereich der Bundesgesetzgebung nach dem in Art.104 a Abs. 1 GG geregelten Prinzip der Aufgaben-konnexität weitgehend auseinander fallen, da dieLänder grundsätzlich Bundesgesetze als eigene An-gelegenheit vollziehen und hierfür die Lasten zu tra-gen haben. Dadurch werden insgesamt die Leistungs-fähigkeit und die Eigenverantwortung der Länder so-wie föderaler Wettbewerb zwischen den Ländern ein-geschränkt. Klare Verantwortlichkeiten sind für dieBürgerinnen und Bürger kaum mehr erkennbar. Diesschadet dem bundesstaatlichen Gefüge.

Eine wettbewerbsorientierte Neuordnung der Finanz-verfassung erfordert eine Stärkung der Länderkompe-tenzen. Damit ist gleichzeitig auch eine Stärkung derLandesparlamente verbunden. Ziel einer Reformmuss die Stärkung der Leistungsfähigkeit und der Ei-genverantwortung der Länder sein.

Dringend notwendig ist auch, wie das Bundesverfas-sungsgericht in seinem Urteil vom 11. November1999 klar herausgestellt hat, eine Neuordnung desLänderfinanzausgleichs. Jedes Land muss einen stär-keren Anreiz zur Pflege und Ausschöpfung seinerSteuerquellen haben. Von zusätzlichen Steuereinnah-men muss ein größerer Eigenanteil bei den Ländernverbleiben als nach dem bisherigen System, das zu ei-ner fast gänzlichen Nivellierung der Finanzkraft derLänder geführt hat.

Die Enquete-Kommission schlägt daher eine Reformder Finanzverfassung vor, die sich an folgendenGrundsätzen orientiert:

• Entflechtung und Transparenz: Die eindeutige Zu-ordnung der Steuergesetzgebungskompetenzen undder Ertragshoheit stärkt die Handlungsfähigkeit der

Politik und macht politische Entscheidungen auchin ihren finanziellen Auswirkungen für die Bürge-rinnen und Bürger durchschaubarer.

• Subsidiarität: Die verstärkte Zusammenführungvon Steuergesetzgebungskompetenzen und Auf-gabenwahrnehmung auf der jeweils zuständigenstaatlichen Ebene kann problemnahe politische Lö-sungen fördern und klare Verantwortlichkeitenschaffen.

• Solidarischer Wettbewerb: Eigene finanzpolitischeGestaltungsmöglichkeiten der Länder führen dazu,dass sich Erfolge und Misserfolge der Landespoli-tik in der Steuerbelastung für die Bevölkerung zei-gen. Die solidargemeinschaftliche Mitverantwor-tung eines jeden Landes für die Existenz und Ei-genständigkeit der anderen Bundesländer soll aller-dings erhalten bleiben und ruinösen Standortwett-bewerb begrenzen.

Im Einzelnen empfiehlt die Enquete-Kommissionfolgende Maßnahmen:

• Die stärkere Zusammenführung von Gesetzge-bungskompetenzen und Finanzierungsverantwor-tung bei gleichzeitiger Beibehaltung des Prinzipsder Aufgabenkonnexität (Art. 104 a Abs. 1 GG) imWege einer Stärkung der Gesetzgebungskompeten-zen der Länder und der Einführung einer verbindli-chen Mitfinanzierungsquote des Bundes bei Geld-leistungsgesetzen des Bundes von mindestens 50 %(Art. 104 a Abs. 3 GG).

• Die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben Aus-bau und Neubau von Hochschulen einschließlichder Hochschulkliniken, Verbesserung der regiona-len Wirtschaftsstruktur und Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes (Art. 91 aGG) und der Gemeinschaftsaufgabe Bildungspla-nung (Art. 91 b 1. Alternative GG) bei Kompensa-tion der ausfallenden Bundesmittel.

• Die Streichung der Finanzhilfen des Bundes zurAbwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichenGleichgewichts und zur Förderung des wirtschaftli-chen Wachstums (Art. 104 a Abs. 4 1. und 3. Alter-native GG) bei Kompensation der ausfallendenBundesmittel.

• Die Stärkung der Steuerautonomie der Länder imWege einer Änderung von Art. 105 GG durch Ein-räumung des Rechts, auf der Grundlage bundesein-heitlicher Bemessungsgrundlagen einen eigenenSteuersatz auf die Einkommensteuer und auf dieje-nigen Steuern festzusetzen, bei denen ihnen bereitsnach derzeitiger Rechtslage die Ertragshoheit zu-steht.

Soweit zur Verwirklichung der Empfehlungen eineÄnderung des Grundgesetzes erforderlich ist, emp-fiehlt die Enquete-Kommission dem Landtag, dieStaatsregierung aufzufordern, die notwendigen Initia-tiven im Bundesrat einzubringen.

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3. b) Ist es sinnvoll – generell oder nach Einzelbereichenaufgegliedert –, den Grundsatz aufzustellen Entschei-dungskompetenz und Finanzverantwortung gehörenzusammen, und wie kann dieser ggf. umgesetzt wer-den?

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dassGesetzgebungskompetenz und Finanzierungsverant-wortung stärker zusammengeführt werden müssen.Eine Änderung des in Art. 104 a Abs. 1 GG geregel-ten Grundsatzes der Aufgabenkonnexität hält die En-quete-Kommission jedoch nicht für zielführend. Umeine stärkere Verknüpfung von Gesetzgebungskom-petenz und Finanzierungsverantwortung herzustellen,sollen vielmehr die Gesetzgebungskompetenzen derLänder gestärkt werden (siehe hierzu oben unter 2.b,2.e, 2.f I.).

Die Enquete-Kommission empfiehlt, die in Art. 104 aAbs. 3 GG geregelte Kostenbeteiligung des Bundesim Bereich der Geldleistungsgesetze nicht wie bisherdem Belieben des Bundesgesetzgebers zu überlassen,zumal den Ländern in diesen Fällen keine wesentli-chen Entscheidungsspielräume bei der Ausführungder Gesetze verbleiben. Sie schlägt deshalb vor, eineverbindliche Mitfinanzierungsquote des Bundes vonmindestens 50 % einzuführen.

Die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetzfallen nach bisheriger Rechtslage nicht unter die Be-stimmung des Art. 104 a Abs. 3 GG. Die Enquete-Kommission ist aber der Auffassung, dass der Bundverpflichtet sein soll, für diese von ihm bundesge-setzlich vorgeschriebenen, äußerst kostenintensivenLeistungen in dem in Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG vor-gesehenen Umfang aufzukommen.

Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG soll danach wie folgt lau-ten:

„Bundesgesetze, durch die oder aufgrund derer Geld-leistungen gewährt und die von den Ländern ausge-führt werden, müssen bestimmen, dass mindestensdie Hälfte der Ausgaben vom Bund getragen wird.“

Die Enquete-Kommission schlägt darüber hinaus vor,Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG dahingehend zu ändern,dass das Geldleistungsgesetz des Bundes erst bei ei-ner Mitfinanzierungsquote des Bundes von mindes-tens 75 % im Auftrag des Bundes durchgeführt wird.

Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG soll danach wie folgt lau-ten:

„Bestimmt das Gesetz, dass der Bund drei Viertel derAusgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrag desBundes durchgeführt.“

3. c) Wie kann der zunehmenden Vermischung von Aufga-ben, Einnahmen und Ausgaben von Bund und Län-dern entgegengewirkt werden?

2. g) In welchen Bereichen sind im Verhältnis zwischenBund, Ländern und Kommunen Mischzuständigkeitenabzuschaffen? Welche Auswirkungen muss dies ggf.auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich und aufden kommunalen Finanzausgleich haben?

Die Enquete-Kommission schlägt vor, die Gemein-schaftsaufgaben Ausbau und Neubau von Hochschu-len einschließlich der Hochschulkliniken, Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur und Verbes-serung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes ab-zuschaffen und zu diesem Zweck Art. 91 a GG er-satzlos zu streichen.

Außerdem spricht sich die Enquete-Kommission füreine Abschaffung der in Art. 91 b GG geregelten Ge-meinschaftsaufgabe Bildungsplanung aus.

Hinsichtlich der in Art. 104 a Abs. 4 GG geregeltenFinanzhilfen des Bundes empfiehlt die Enquete-Kommission, die Alternative 1 (Finanzhilfen zurAbwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichenGleichgewichts) und Alternative 3 (Finanzhilfen zurFörderung des wirtschaftlichen Wachstums) des Art.104 a Abs. 4 GG ersatzlos zu streichen. Für Finanz-hilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschafts-kraft im Bundesgebiet (Alternative 2 des Art. 104 aAbs. 4 GG) besteht aber gerade auch im Hinblick aufdie Situation in den ostdeutschen Ländern weiterhinBedarf.

Die Rückführung der Mischfinanzierungen darf abernicht dazu führen, dass sich der Bund einseitig aus derFinanzierung zurückzieht. Vielmehr müssen die aus-fallenden Bundesmittel ausgeglichen werden, damitden Ländern bei der alleinigen Wahrnehmung der bis-her gemeinsam finanzierten Aufgaben keine finanzi-ellen Verluste entstehen.

Die Enquete-Kommission spricht sich deshalb dafüraus, für eine Übergangszeit der Kompensation ein dy-namisiertes Festbetragsmodell zugrunde zu legen.Dabei soll das Volumen der bisherigen Bundesmittelden Ländern entsprechend ihrer bisherigen Anteileals Festbetrag gewährt werden. Danach empfiehlt dieEnquete-Kommission den Übergang auf eine Vertei-lung der Bundesmittel über eine Erhöhung der Um-satzsteuerpunkte.

3. d) Soll im Verhältnis zwischen Bund und Ländern einestärkere Verknüpfung zwischen Aufgabenzuständig-keit, Ausgabenlast und Ertragshoheit hergestellt wer-den? Wie kann dies ggf. erfolgen?

Zur Stärkung der Steuerautonomie der Länder schlägtdie Enquete-Kommission vor, den Ländern das Rechteinzuräumen, auf der Grundlage bundeseinheitlicherBemessungsgrundlagen einen eigenen Steuersatz aufdie Einkommensteuer und auf diejenigen Steuernfestzusetzen, bei denen ihnen bereits nach derzeitigerRechtslage die Ertragshoheit zusteht. Zur Verwirkli-chung dieses Vorschlags soll Art. 105 GG wie folgtgeändert werden:

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Art. 105 Abs. 1 GG erhält folgende Fassung:

„Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung überdie Zölle und Finanzmonopole sowie über die Steu-ern, deren Aufkommen ihm nach Art. 106 Abs. 1 zu-steht.“

Art. 105 Abs. 2 GG erhält folgende Fassung:

„Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung überdie Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer undderjenigen Steuern, deren Aufkommen nach Art. 106Abs. 2 GG den Ländern zusteht.“

Es wird folgender Art. 105 Abs. 3 GG eingefügt:

„Bund, Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände)haben das Recht, einen Steuersatz auf die Bemes-sungsgrundlage der Einkommensteuer festzusetzen.Das Nähere regelt ein Gesetz, welches der Zustim-mung des Bundesrates bedarf. Die Länder haben dasRecht, einen Steuersatz auf die Steuern, deren Auf-kommen ihnen nach Art. 106 Abs. 2 zusteht, festzu-setzen.“

Es wird folgender Art. 105 Abs. 4 GG eingefügt:

„Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung überdie übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen die-ser Steuern zum Teil zusteht.“

Der bisherige Art. 105 Abs. 2 a GG wird zu Art. 105Abs. 5 GG.

Es wird folgender neuer Art. 105 Abs. 6 GG einge-fügt:

„Bundesgesetze über die Bemessungsgrundlage vonSteuern gemäß Abs. 2 sowie über Steuern, deren Auf-kommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemein-deverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfender Zustimmung des Bundesrates.“

3. e) Welche Auswirkungen auf die Landesparlamente ha-ben gegebenenfalls zusätzliche Zuständigkeiten derLänder und ein geänderter Länderfinanzausgleich?Wie wäre hierauf zu reagieren?

– Keine Empfehlung –

4. Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung

Soll im Verhältnis zwischen Land, Bezirken, Landkreisenund Gemeinden eine stärkere Verknüpfung von Aufga-benzuständigkeit, Ausgabenlast und Steuerertragshoheithergestellt werden, und wie kann dies gegebenenfallsgeschehen? Ist hierzu eine rechtliche Verankerung desKonnexitätsprinzips notwendig, und wo sind hierfürgegebenenfalls die Anknüpfungspunkte?

Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ist einewesentliche staatspolitische Zielsetzung. Zu ihrer Ver-

wirklichung gehören vor allem die weitere Dezentralisie-rung von Verwaltungsaufgaben und die Sicherstellungder finanziellen Leistungsfähigkeit und Selbstverantwor-tung der kommunalen Gebietskörperschaften, vornehm-lich der Gemeinden.

Auch im Verhältnis zwischen dem Freistaat Bayern undseinen Gemeinden und Gemeindeverbänden müssen fol-gende föderative Prinzipien zur Anwendung kommen:

• Entflechtung

• Subsidiarität

• Solidarität

• Transparenz

Das Prinzip der Delegation von Verantwortung mussauch im Verhältnis von Staat und Kommunen gelten.Den kommunalen Gebietskörperschaften, vornehmlichden Gemeinden, sind infolgedessen die größtmöglichenFreiräume für autonome Gestaltungsmöglichkeiten zugewähren und zu sichern.

Die Möglichkeit der Gemeindebürgerinnen und -bürger,unmittelbar und mittelbar durch ihre Gemeindeverwal-tungen an staatlichen und kommunalen Entscheidungenteilzuhaben, ist zu stärken. Sie ist notwendige Bedingungfür deren Akzeptanz und für das Bewusstsein der Eigen-verantwortlichkeit auch in lokalen Angelegenheiten.

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dass imVerhältnis zwischen Land und Kommunen, insbesondereden Gemeinden, eine stärkere Verknüpfung von Aufga-benzuständigkeit, Ausgabenlast und Steuerertragshoheitanzustreben ist. Eine rechtliche Verankerung des Konne-xitätsprinzips in der Bayerischen Verfassung über dieRichtlinie des Art. 83 Abs. 3 BV hinaus ist dazu weder er-forderlich noch geeignet.

Die Enquete-Kommission empfiehlt, zur Stärkung derkommunalen Selbstverwaltung die Finanzausstattung derKommunen im Rahmen der staatlichen Leistungsfähig-keit weiter zu verbessern und hierbei vor allem den An-teil der frei verfügbaren Mittel zu erhöhen. Im kommu-nalen Finanzausgleich verdienen grundsätzlich jene Zu-weisungen den Vorrang, die keiner besonderen Zweck-bindung unterliegen. Dabei muss aber gewährleistet sein,dass unterschiedlichen Aufgabenstellungen der Kommu-nen ausreichend Rechnung getragen wird. Die Kommis-sion spricht sich unter diesen Voraussetzungen für eineRückführung zweckgebundener Mittel zugunsten einerAnhebung freier Mittel aus. Sie hält eine Regelung überden kommunalen Finanzausgleich in der BayerischenVerfassung für unnötig.

Auch im Steuerrecht soll einer Ausweitung kommunalerFreiräume näher getreten werden. Die Enquete-Kommis-sion tritt für eine Gemeindefinanzreform ein, die vor al-lem auf eine Stärkung und Weiterentwicklung der auto-nomen Besteuerungsrechte gerichtet sein soll.

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C) Zusammenfassung der Beratungen

1. Föderalismus und supranationale Politik

1. a) Welche Herausforderungen ergeben sich für einen fö-deralistischen Staatsaufbau durch die zunehmendeBedeutung der trans- und supranationalen Politik?Wie muss insbesondere auf die vergangene und künf-tige Entwicklung der Europäischen Union reagiertwerden? Sind für erweiterte Mitwirkungsmöglichkei-ten der Länder auf europäischer Ebene – Europa derRegionen – Veränderungen im Bereich der Kompe-tenzverteilung zwischen Landesparlamenten undLandesregierungen verfassungsrechtlich zulässigund gegebenenfalls verfassungspolitisch wünschens-wert?

Bayern bekennt sich zu einem geeinten Europa, dasdemokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föde-rativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsi-diarität verpflichtet ist (Art. 3a BV). Allerdings sinddiese Grundsätze im Integrationsprozess noch nichthinreichend verwirklicht. Insbesondere bestehen indemokratischer und rechtsstaatlicher Hinsicht und imHinblick auf die Beachtung des Subsidiaritätsprinzipsnoch Defizite.

Die Neigung der Europäischen Union zu übermäßigerReglementierung und die Vernachlässigung regiona-ler Gebietskörperschaften im Entscheidungsprozessder Europäischen Union, die damit häufig auch inLandeskompetenzen eingreift, gefährden den födera-len Aufbau der Bundesrepublik Deutschland. ImMaastrichter Vertrag 1993 wurde das Subsidiaritäts-prinzip verankert. Allerdings wird dieses Prinzip, daseine Kompetenzschranke der EU im Verhältnis zuden Mitgliedsstaaten und damit indirekt je nach in-nerstaatlicher Kompetenzzuweisung auch gegenüberden Ländern und Regionen postuliert, nicht hinrei-chend beachtet. Außerdem sieht es der vertraglichvereinbarte Aufbau der EU nicht vor, Untergliederun-gen der Mitgliedsstaaten Mitentscheidungsrechte ein-zuräumen.

Auch in der deutschen Europapolitik werden Länder-belange zu wenig berücksichtigt. Die Übertragungvon Hoheitsrechten auf die EU erfolgt allein durchden Bund, auch dann, wenn dadurch Hoheitsrechteerfasst werden, die nach der verfassungsrechtlichenKompetenzordnung den Ländern zustehen. Art 23GG gibt zwar den Ländern über den Bundesrat Mit-wirkungsmöglichkeiten bei der Übertragung von Ho-heitsrechten durch den Bund auf die EU, die Lan-desparlamente sind dabei jedoch nicht unmittelbarbeteiligt. Viele der die Länder berührenden Angele-genheiten der EU werden derzeit auf der „dritten Ebe-ne“ der föderativen Staatspraxis, in Ministerpräsiden-tenkonferenzen, Fachministerkonferenzen und Bund-Länder-Kommissionen entschieden und im Bundes-rat bestätigt. Eine wirksame Kontrolle durch die Lan-desparlamente wird dadurch wesentlich erschwert.

Zudem sind die wenig durchschaubaren und nichthinreichend demokratisch legitimierten Entscheidun-gen der Europäischen Union den Bürgerinnen undBürgern nur schwer vermittelbar.

Daher plädiert die Enquete-Kommission „Föderalis-mus – Stärkung der Landesparlamente“ generell füreinen qualitativen Umbau der Strukturen der Eu-ropäischen Union nach folgenden Prinzipien:

• Entflechtung: Eine klare Verteilung von Kompe-tenzen zwischen der EU und den Mitgliedsstaatenkann Transaktionskosten und Kompetenzkonfliktevermeiden.

• Subsidiarität: Durch eine konsequente Umsetzungdes Subsidiaritätsprinzips können auch die Gestal-tungsmöglichkeiten der Regional- und Kommunal-ebenen erhalten und gestärkt werden. Dies fördertauch die europäische Demokratie.

• Transparenz: Die Durchschaubarkeit von Entschei-dungsprozessen und -strukturen der EU durch ver-besserte Information kann zu vermehrter Einbin-dung der Bevölkerung und damit zur Stärkung desEuropabewusstseins der Bürgerinnen und Bürgerführen.

Die Umsetzung dieser Prinzipien erhöht nicht alleindie Gestaltungsmöglichkeiten des Landtags, sondernauch dessen Legitimität. Der – bisher korrekte – Ver-weis auf den unzureichenden Einfluss des Landtags invon der EU geregelten Politikfeldern legt in der Öf-fentlichkeit die Annahme nahe, der Landtag verlieremit fortschreitender europäischer Integration zuneh-mend seine Daseinsberechtigung. Eine effektive Mit-gestaltungsmöglichkeit des Landtags in europäischenAngelegenheiten kann seine Stellung in der Bevölke-rung stärken und darüber hinaus deren Distanz zu eu-ropäischen Angelegenheiten verringern helfen. Letz-teres ist für die Akzeptanz des weiteren Integrations-prozesses eine wesentliche Voraussetzung.

Die Enquete-Kommission ist sich durchaus bewusst,dass es nicht in der Kompetenz eines einzelnen Land-tags liegt, umfassende Empfehlungen zu einer Re-form der Europäischen Union zu geben. Daher be-schränkt sie sich im Folgenden auf konkrete Empfeh-lungen zur Stärkung des Landtags, die auf bayeri-scher bzw. bundesdeutscher Ebene umgesetzt werdenkönnen.

Zur Stärkung des Landtags in Angelegenheiten derEuropäischen Union macht die Kommission folgendeVorschläge:

• die Gewährleistung, dass die Übertragung von Lan-desgesetzgebungskompetenzen vom Bund auf dieEU einer verfassungsändernden Zweidrittelmehr-heit bedarf

• das Zustimmungserfordernis auch einer Mehrheitder Landtage zu Gesetzen, die Gesetzgebungsho-heiten der Länder auf die EU übertragen

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• ein Mitentscheidungsrecht des Landtags bei der Be-nennung der bayerischen Mitglieder des Ausschus-ses der Regionen

• die Beseitigung der sich aus Art. 23 Abs. 5 Satz 2GG ergebenden Möglichkeit der Bundesregierung,bei Entscheidungen auf EU-Ebene, die im Schwer-punkt Kompetenzen der Länder betreffen, vomBundesratsvotum abzuweichen.

Folgende Vorschläge werden zwar erst im Kapitel 2„Föderalismus und nationale Politik“ ausgeführt, siesind jedoch ebenso dazu konzipiert worden, den Ein-fluss des Landtags in Europaangelegenheiten zu stär-ken:

• die gesetzliche Regelung der Informationspflichtder Staatsregierung gegenüber dem Landtag, u.a. inAngelegenheiten der Europäischen Union,

• eine Entscheidungskompetenz der Landtagsaus-schüsse zur Abgabe von Stellungnahmen in be-stimmten eilbedürftigen Angelegenheiten, u.a. zueuropapolitischen Aktivitäten der Staatsregierung.

– Mehrheitlich angenommen. Die Begründung dereinzelnen Empfehlungen zu diesem Fragenkomplexwird im Folgenden dargestellt. Deshalb wird an die-ser Stelle auf eine Begründung verzichtet –

1. b) An welche zwingenden Voraussetzungen müssenKompetenzübertragungen auf die Europäische Unionim Hinblick auf die originären Gesetzgebungs- undVollzugszuständigkeiten der Länder gebunden wer-den?

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission spricht sich dafür aus, dassLandesgesetzgebungskompetenzen nur dann vomBund auf die EU übertragen werden dürfen, wenn eshierfür eine verfassungsändernde Zweidrittelmehr-heit gibt. Dies ist durch eine Änderung des Art. 23Abs. 1 GG klar zum Ausdruck zu bringen.

Eine weitere effektive Möglichkeit, der Übertragungvon Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder aufdie EU durch den Bund entgegenzuwirken, sieht dieEnquete-Kommission darin, den Landesparlamentenin diesen Fällen ein unmittelbares Mitspracherechteinzuräumen.

Die Enquete-Kommission schlägt deshalb vor, dassein Gesetz, mit dem der Bund Hoheitsrechte der Län-der auf die EU überträgt, nicht nur der Zustimmungdes Bundesrates, sondern gleichzeitig auch der Zu-stimmung der Mehrheit der Landesparlamente bedür-fen soll.

Zur Verwirklichung dieses Vorschlags empfiehlt dieEnquete-Kommission, in Art. 79 des Grundgesetzesfolgenden Abs. 2 a einzufügen:

„(2 a) Soweit das Gesetz Zuständigkeiten der Länderzur Gesetzgebung der Europäischen Union überträgt,

bedarf es auch der Zustimmung der Volksvertretun-gen der Mehrheit der Länder; die Volksvertretungenbeschließen mit der Mehrheit der abgegebenen Stim-men. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn nicht dieVolksvertretungen in mindestens der Hälfte der Län-der einen nach Art. 78 zu Stande gekommenen Geset-zesbeschluss innerhalb von drei Monaten ablehnen.“

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG ermöglicht es dem Bund,mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte aufdie EU zu übertragen. Im Bundesrat ist hierfür nur ei-ne einfache Mehrheit erforderlich, es sei denn, dassdurch die Kompetenzübertragung das Grundgesetzseinem Inhalt nach geändert wird. In diesem Fall isteine Zweidrittelmehrheit notwendig (Art. 23 Abs. 1Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 2 GG). Ob die Übertragungvon Hoheitsrechten der Länder durch den Bund aufdie EU in jedem Fall eine solche inhaltliche Ände-rung des Grundgesetzes mit sich bringt, ist umstritten.Nach einer weit verbreiteten Meinung ist mit derÜbertragung von Hoheitsrechten ohne weiteres eineGrundgesetzänderung verbunden. Zwei Mitgliederder Kommission teilten diese Auffassung jedochnicht, da Art. 79 Abs. 1 GG als unerlässliche Voraus-setzung einer Grundgesetzänderung ein Gesetz vor-schreibe, das den Wortlaut des Grundgesetzes aus-drücklich ändert oder ergänzt. Einigkeit bestand inder Kommission aber darin, dass der Bund nicht miteinfacher Mehrheit Landesgesetzgebungskompeten-zen auf die EU übertragen können soll. Vielmehr solles hierfür einer Zustimmung von zwei Dritteln derMitglieder des Bundestages und zwei Dritteln derStimmen des Bundesrates bedürfen.

Die bisherige Verfassungspraxis hat gezeigt, dass dasErfordernis der Zustimmung des Bundesrates zu Bun-desgesetzen, die eine Kompetenzübertragung zu Las-ten der Länder zum Gegenstand haben, die Aushöh-lung der Kompetenzen der Länder und damit auch derLandesparlamente nicht verhindern konnte. Deshalbhält es die Enquete-Kommission für erforderlich, dieÜbertragung von Hoheitsrechten der Länder auf dieEU durch den Bund an die Zustimmung nicht nur vonzwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates, sonderngleichzeitig auch an die Zustimmung der Mehrheitder Landesparlamente zu binden. Dem Einwand,durch die Einschaltung der Landesparlamente werdedie Gesetzgebung des Bundes über Gebühr verzögert,wird dadurch begegnet, dass die Zustimmung derLandesparlamente nach Ablauf einer Frist von dreiMonaten fingiert wird. Eine entsprechende Regelungschlägt die Enquete-Kommission auch für solcheGrundgesetzänderungen vor, durch die Gegenständeder ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzge-bungszuständigkeit des Bundes ergänzt oder erwei-tert werden. Insoweit wird auf die Empfehlung zuFrage 2. c des Untersuchungsauftrags verwiesen.

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Ein Mitglied der Kommission vertrat die Auffassung,dass eine Vorschrift, die eine Übertragung von Ho-heitsrechten Deutschlands auf die Europäische Unionvon einer Zustimmung einer Mehrheit der Landtageabhängig machen würde, integrationspolitisch ver-fehlt und verfassungsrechtlich eine gravierendeSchmälerung der Position des Bundesrates wäre. Diein Art. 23 Abs. 1 GG getroffene Regelung, dass dieÜbertragung von Hoheitsrechten zur Verwirklichungeines vereinten Europas Sache der Bundesgesetzge-bung ist, auch wenn davon Materien der Landeszu-ständigkeit betroffen werden, entspreche dem Bau-prinzip der Europäischen Union, dessen Mitglied al-lein die Bundesrepublik Deutschland, nicht aber de-ren Länder seien. Die Belange der Länder würden da-durch gewahrt, dass der Bundesrat – ggf. mit demQuorum des Art. 79 Abs. 2 GG – zustimmen müsse.Dies entspreche weiter der Grundregel des Art. 50GG, wonach die Länder in Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union durch den Bundesrat mitwirken.

Die Mehrheit der Kommission teilt diese Bedenkenjedoch nicht. Sie ist der Ansicht, dass die Einbezie-hung und Mitverantwortung der Landesparlamente inder Frage der Übertragung ihrer eigenen Kompeten-zen sachgerecht und zum wirksamen Schutz vor einerweiteren Aushöhlung der Zuständigkeiten der Ländererforderlich ist. Dass die Länder selbst nicht Mitglie-der der Europäischen Union sind, steht einer Stärkungder Rolle der Landesparlamente insoweit nicht entge-gen.

1. c) Welche Kompetenzen der Länder – unmittelbar odermittelbar – in und/oder gegenüber den Organen derEuropäischen Union sind notwendig, und wie müssensich diese Kompetenzen im Verhältnis von Parlamentund Regierung widerspiegeln?

Empfehlung:

Auf der Ebene der Europäischen Union sind die re-gionalen und lokalen Gebietskörperschaften im Aus-schuss der Regionen vertreten. Bislang erfolgte dieBenennung des bzw. der Vertreter Bayerns für denAusschuss der Regionen und seines bzw. ihrer Stell-vertreter durch die Staatsregierung, ohne dass derLandtag in die Auswahlentscheidung der Staatsregie-rung einbezogen war. Die Enquete-Kommission hälteine Mitwirkung des Landtags bei der Benennung fürerforderlich und schlägt folgendes Verfahren vor:Stellt der Freistaat Bayern nur einen Vertreter imAusschuss der Regionen, so benennt diesen sowiedessen Vertreter die Staatsregierung mit Zustimmungdes Landtags. Steht dem Freistaat Bayern ein weiteresMitglied zu, so wird dieses sowie dessen Stellvertre-ter vom Landtag aus seiner Mitte gewählt. Diese Mit-wirkung des Landtags soll in einem Ausführungsge-setz zu Art. 3 a BV gesetzlich geregelt werden.

Die Enquete-Kommission schlägt vor, die Möglich-keit der Bundesregierung, in Angelegenheiten derEU, die im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse

der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihreVerwaltungsverfahren betreffen, vom Bundesratsvo-tum abzuweichen, durch eine Änderung von Art. 23Abs. 5 Satz 2 GG zu beseitigen.

– Mehrheitlich angenommen –

Begründung:

Nach Art. 263 EG-Vertrag stehen Deutschland 24von insgesamt 222 Sitzen im Ausschuss der Regionenzu. Die Mitglieder des Ausschusses sowie eine glei-che Anzahl von Stellvertretern werden vom Rat aufVorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten ernannt.Nach § 14 des Gesetzes über die Zusammenarbeit vonBund und Ländern in Angelegenheiten der Europäi-schen Union schlägt die Bundesregierung dem Rat alsMitglieder des Ausschusses der Regionen und derenStellvertreter die von den Ländern benannten Vertre-ter vor. Den Gemeinden und Gemeindeverbänden ste-hen 3 der 24 Sitze Deutschlands im Ausschuss derRegionen zu. Die Länder stellen 21 Mitglieder. Dabeiist jedes Land durch ein Mitglied vertreten, die restli-chen fünf Sitze verteilen sich im vierjährigen Turnusauf die Länder in der Reihenfolge ihrer Einwohner-zahlen. Deshalb kann Bayern zeitweise nur ein Mit-glied sowie ein stellvertretendes Mitglied benennen,zeitweise stehen Bayern zwei Mitglieder und zweistellvertretende Mitglieder zu.

Nach bisheriger Staatspraxis erfolgte diese Benen-nung allein durch die Staatsregierung, ohne dass derLandtag in irgendeiner Form beteiligt war. Der Ver-treter der Staatsregierung sowie ein Mitglied derKommission begründeten dies damit, dass die Benen-nung des oder der Mitglieder Bayerns im Ausschussder Regionen der originären Staatsleitungskompetenzder Staatsregierung zuzurechnen, also reine Exe-kutivaufgabe sei, sodass eine irgendwie geartete Be-teiligung des Landtags nach gegenwärtiger Verfas-sungslage ausgeschlossen sei.

Die Enquete-Kommission ist jedoch mehrheitlich derAuffassung, dass der Landtag in dieser Frage ein Mit-wirkungsrecht haben soll. Dem stünde das Verfas-sungsrecht nicht entgegen. Ausführlich erörtert wur-de die Frage der konkreten Ausgestaltung dieses Mit-wirkungsrechts. Zunächst befasste sich die Enquete-Kommission mit einer Empfehlung aus dem Zwi-schenbericht der Enquete-Kommission des Hessi-schen Landtags „Künftige Aufgaben des HessischenLandtags an der Wende zum 21. Jahrhundert“. Da-nach soll für Amtsperioden des Ausschusses der Re-gionen, in denen vom Land nur ein Mitglied benanntwerden kann, für jeweils eine Wahlperiode alternie-rend ein Mitglied der Landesregierung oder des Land-tags gewählt werden. Stehen dem Land zwei Sitze zu,soll je ein Mitglied des Landtags und der Landesre-gierung vom Landtag gewählt werden. Dieser Vor-schlag fand jedoch in der Enquete-Kommission keineMehrheit.

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Die Enquete-Kommission sprach sich schließlichmehrheitlich für eine differenzierte Regelung aus: So-fern Bayern nur einen Vertreter im Ausschuss der Re-gionen stellt, soll diesen die Staatsregierung mit Zu-stimmung des Landtags benennen. Steht Bayern einweiteres Mitglied zu, soll dieser zweite Vertreter ausder Mitte des Landtags gewählt werden. Der Vor-schlag, die Möglichkeit vorzusehen, als zweiten Ver-treter Bayerns auch einen Vertreter der Kommunenzu bestimmen, fand in der Enquete-Kommission kei-ne Mehrheit. Einigkeit bestand aber darin, dass alszweiter Vertreter Bayerns nur ein Mitglied des Land-tags gewählt werden kann, das nicht gleichzeitig Mit-glied der Staatsregierung ist.

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dassdie Art und Weise der Beteiligung des Landtags ander Benennung des bzw. der Vertreter Bayerns imAusschuss der Regionen in einem Ausführungsgesetzzu Art. 3 a BV geregelt werden sollte. Dieses Aus-führungsgesetz soll zusätzlich Detailregelungen überdie Pflicht der Staatsregierung zur Information desLandtags betreffend Angelegenheiten der Europäi-schen Union enthalten. Diesbezüglich wird auf dieEmpfehlung zu Fragen 2.b, 2.e, 2.f unter V. verwie-sen.

Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wirken die Länderdurch den Bundesrat in Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union mit. Art. 23 Abs. 4 GG bestimmt,dass der Bundesrat an der Willensbildung des Bundeszu beteiligen ist, soweit er an einer entsprechenden in-nerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte oder so-weit die Länder innerstaatlich zuständig wären.Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG sieht vor, dass bei der Wil-lensbildung des Bundes in Angelegenheiten der Eu-ropäischen Union die Auffassung des Bundesratesmaßgeblich zu berücksichtigen ist, wenn im Schwer-punkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Ein-richtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsver-fahren betroffen sind. Nach dem Wortlaut „maßgeb-lich berücksichtigen“ ist der Bund also nicht gehin-dert, im Einzelfall von der Auffassung des Bundesra-tes abzuweichen.

§ 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit vonBund und Ländern in Angelegenheiten der Europäi-schen Union bestimmt jedoch, dass die Bundesregie-rung an die Auffassung des Bundesrates gebunden ist,wenn eine erneute Beratung der Bundesregierung mitVertretern der Länder nicht zu einem Einvernehmengeführt hat und der Bundesrat im Anschluss daranseine Auffassung mit Zweidrittelmehrheit bestätigt.

Die Enquete-Kommission ist mehrheitlich der Auf-fassung, dass diese einfach gesetzliche Regelungnicht ausreicht, um die Länder vor weiteren Eingrif-fen in ihren Kompetenzbereich zu bewahren. Deshalbempfiehlt sie, Art. 23 Abs. 5 Satz 2 GG dahingehendzu ändern, dass die Bundesregierung von Verfassungswegen gehindert ist, in diesen Fällen vom Bundes-ratsvotum abzuweichen.

Ein Mitglied der Kommission vertrat die Auffassung,dass es verfassungspolitisch nicht zu rechtfertigen sei,der zur Vertretung Deutschlands im EG-Ministerratberufenen Bundesregierung die Wahrung der gesamt-staatlichen Verantwortung des Bundes in diesen Fäl-len vollständig aus der Hand zu nehmen. Behalte dasGrundgesetz die Regelung eines von der Europäi-schen Union beanspruchten Gegenstandes innerstaat-lich dem Landesgesetzgeber vor, so vertrete die Bun-desregierung im Ministerrat als „Sachverwalter derLänder“ auch deren verfassungsmäßige Rechte. Der„Exekutivföderalismus“ und der Gestaltwandel desBundesrates durch die Länderkooperation in diesemBundesorgan stellen eine Reformthematik dar, dienicht isoliert im Hinblick auf die europäische Integra-tion betrachtet und beurteilt werden könne.

Die Mehrheit der Kommission teilte diese Bedenkenjedoch nicht.

2. Föderalismus und nationale Politik

2. a) Wie soll der bundesrepublikanische Föderalismus imHinblick auf Autonomie von Bund und Ländern, Sub-sidiarität, Wettbewerb, Integration und Gleichwertig-keit der Lebensverhältnisse ausgestaltet werden?

Die Entwicklungstendenzen des bundesdeutschenFöderalismus haben zu einer immer stärkeren Aus-höhlung der Gesetzgebungskompetenzen der Lan-desparlamente geführt: Unter der Maßgabe der Ein-heitlichkeit bzw. Gleichwertigkeit der Lebensverhält-nisse und der Einheit des Rechts- und Wirtschaftsrau-mes hat der Bund vom größten Teil der in die kon-kurrierende Gesetzgebung fallenden Bereiche Ge-brauch gemacht. Aufgrund des Vereinheitlichungs-trends hat auch die Koordination der Länder unterein-ander in deren eigenen Kompetenzbereichen immerweiter zugenommen. So werden in zahlreichen inter-gouvernementalen Gremien, z.B. in Ministerpräsi-denten oder Fachministerkonferenzen, gegenwärtigauf nahezu allen Gebieten der Politik einvernehmli-che Lösungen gesucht, teilweise sogar verbindlicheAbsprachen getroffen („Exekutivföderalismus“).Diese Tendenzen haben eine Übervereinheitlichungin der Gesetzgebung zur Folge, da auch diejenigenPolitikbereiche bundeseinheitlich geregelt werden,die einer länder- und regionenspezifischen Bearbei-tung bedürfen.

Die Länder setzten lange Zeit der Aushöhlung ihrerKompetenzen wenig entgegen, da diese mit einerstärkeren Beteiligung der Landesregierungen an derBundespolitik, meist über den Bundesrat, kompen-siert wurde. Verlierer dieser Entwicklung sind dieLandesparlamente. Sie können auf Bundesratsent-scheidungen nicht unmittelbar Einfluss nehmen.Auch sind sie von wichtigen Entscheidungen in denExekutivgremien ausgeschlossen. Vielfach haben sienur die Möglichkeit, bereits getroffene Vereinbarun-gen „abzusegnen“. Entgegen der Entscheidung desGrundgesetzes für eine Regelzuständigkeit der Län-

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der und damit der Länderparlamente werden diese da-her an der Ausübung wesentlicher staatlicher Gesetz-gebungsbefugnisse gehindert. Die zentrale Funktiondes Föderalismus, die Demokratie zu sichern undBürgernähe zu gewährleisten, wird dadurch ge-schwächt.

Die Enquete-Kommission hat sich zum Ziel gesetzt,durch konkrete Reformvorschläge diesen Tendenzenin der bundesstaatlichen Ordnung entgegenzuwirken.Eine Reform des Föderalismus darf nicht nur die Ef-fizienz des Regierens im Auge haben, sondern musseine Politik ermöglichen, die von den Bürgerinnenund Bürgern legitimiert ist und flexibel auf gesell-schaftliche Erfordernisse reagieren kann. Das Ziel al-ler Reformmaßnahmen sollte eine föderale Ordnungsein, die gesamtstaatliche Einheit mit einem gewissenMaß an regional bedingter wirtschaftlicher, sozialerund kultureller Verschiedenheit innerhalb des Bun-desgebiets verbindet. Eine Stärkung des solidarischenWettbewerbs unter den Ländern und ein Zulassen fle-xibler Regelungen führt zur Durchschaubarkeit staat-licher Entscheidungsprozesse und damit auch zu ver-stärkter Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am de-mokratischen Leben.

Die Enquete-Kommission schlägt daher gemäß ihremAuftrag Reformmaßnahmen vor, die folgenden Krite-rien unterliegen:

• Entflechtung: Die eindeutige Zuordnung von Ge-setzgebungskompetenzen zu den staatlichen Ebe-nen ohne die Möglichkeit gegenseitiger Blockadestärkt die Handlungsfähigkeit der Politik und machtpolitische Entscheidungen wieder transparenter.

• Subsidiarität: Die Ansiedlung von Aufgaben aufder unterst möglichen staatlichen Ebene ermöglichtproblemnahe und effiziente politische Lösungen,fördert Akzeptanz und Bürgernähe.

• Solidarischer Wettbewerb: Ein Konkurrieren derLänder um die besten politischen Lösungen stärktdie Innovationsfähigkeit der Politik; dabei muss fürstrukturschwache Regionen ruinöser Standortwett-bewerb jedoch verhindert werden.

• Transparenz: Eine klare und durchschaubare Auf-gabenverteilung erschwert die Verschiebung vonVerantwortung oder Kosten und erleichtert die Zu-rechnung und Kontrolle von politischen Entschei-dungen.

Im Zentrum der Kommissionsempfehlungen stehenVorschläge zum Ausbau des Gestaltungsföderalis-mus und zur Entflechtung der Gesetzgebungszustän-digkeiten zwischen Bundes- und Landesebene. Einesolche Strukturreform des Föderalismus hat auchzwingend eine deutliche Stärkung der Landesparla-mente zur Folge.

Zur Reform der Kompetenzordnung macht die En-quete-Kommission folgende Vorschläge:

• eine Vorranggesetzgebung der Länder, die einzel-nen Ländern eigenständige, auch von Bundesgeset-zen abweichende Regelungen ermöglicht;

• die Rückführung von Gesetzgebungskompetenzendes Bundes an die Länder durch die Reduzierungdes Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebung,die Änderung der Rahmengesetzgebung in eineGrundsatzgesetzgebung und die Reduzierung desKatalogs dieser Grundsatzgesetzgebung;

• die Befristung von Rechtsvorschriften des Bundesunter bestimmten Voraussetzungen;

• die Einführung von Öffnungs- und Experimentier-klauseln zugunsten der Länder;

• die Ausweitung interregionaler Zusammenarbeitim Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung;

• die Reduzierung der Zahl der dem Zustimmungs-recht des Bundesrats unterliegenden Gesetze (unterVoraussetzung der Verwirklichung obiger Vor-schläge).

Darüber hinaus schlägt die Kommission flankierendeMaßnahmen vor, die eine stärkere Beteiligung desBayerischen Landtags an Entscheidungen und Initia-tiven der Staatsregierung zum Ziel haben:

• eine generelle Verlängerung der Regelfristen fürStellungnahmen des Bundesrats nach Art. 76 Abs.2 GG;

• die Beteiligung des Bundesrats bei Gesetzesinitiati-ven aus der Mitte des Bundestags;

• die gesetzliche Regelung der Informationspflichtder Staatsregierung gegenüber dem Landtag;

• eine Entscheidungskompetenz der Landtagsaus-schüsse zur Abgabe von Stellungnahmen in be-stimmten eilbedürftigen Angelegenheiten.

Soweit zur Verwirklichung der Empfehlungen eineÄnderung des Grundgesetzes erforderlich ist, emp-fiehlt die Enquete-Kommission dem Landtag, dieStaatsregierung aufzufordern, die notwendigen Initia-tiven im Bundesrat einzubringen. Vorschläge, die inbayerischer Alleinverantwortlichkeit zu realisierensind, sollen vom Bayerischen Landtag und von derStaatsregierung zügig umgesetzt werden.

– Einverständnis ohne Abstimmung. Die Begründun-gen der einzelnen Empfehlungen zu diesem Fragen-komplex werden im Folgenden dargestellt. Deshalbwird an dieser Stelle auf eine Begründung verzichtet –

2. b) Wie kann das Parlament bei der bestehenden Tendenzzum „Exekutivföderalismus“ wieder mehr Gestal-tungsmöglichkeiten erlangen?

2. e) Gibt es politische Entscheidungen, die derzeit nichtim Landesparlament getroffen werden, jedoch dortgetroffen werden sollten? Ist es verfassungsrechtlichzulässig, eine parlamentarische Zuständigkeit fürEntscheidungen dieser Art zu begründen? Welche Zu-

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ständigkeiten könnten so gegebenenfalls ins Parla-ment geholt werden?

2. f) In welchen Bereichen kommt eine Rückübertragungoder Übertragung von Gesetzgebungskompetenzenvom Bund auf die Länder in Frage? Wie werden sol-che Gesetzgebungskompetenzen gegebenenfalls imVerhältnis zwischen Parlament und Regierung wahr-genommen?

I. Stärkung der Gesetzgebungskompetenz derLänder

1. Vorranggesetzgebung der Länder im Bereichder konkurrierenden Gesetzgebung

Empfehlung:

In Abweichung des bisher in Art. 72 Abs. 1 GGgeregelten Beteiligungsverhältnisses von Bundund Ländern im Bereich der konkurrierendenGesetzgebung sollen die Länder berechtigt sein,eine bundesgesetzliche Regelung durch Landes-recht zu ersetzen oder zu ergänzen. Der Bundes-tag soll im Gegenzug die Möglichkeit erhalten,innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabeeines solchen Gesetzesbeschlusses durch den je-weiligen Landtag Einspruch zu erheben. DerEinspruch könnte dann auf Antrag des betreffen-den Landes durch den Bundesrat zurückgewie-sen werden.

Die Enquete-Kommission spricht sich deshalbdafür aus, den jetzigen Absatz 3 des Art. 72 GGdurch folgende Fassung zu ersetzen:

„Soweit der Bund von diesem Gesetzgebungs-recht Gebrauch gemacht hat, kann ein Land diebundesgesetzliche Regelung, falls es sie nichtoder nicht mehr für erforderlich im Sinne vonAbs. 2 hält, ganz oder teilweise durch Landes-recht ersetzen oder ergänzen, das in Kraft tretenkann, wenn der Bundestag nicht innerhalb vondrei Monaten nach der Verkündung Einsprucherhebt oder der Einspruch des Bundestages aufAntrag des Landes vom Bundesrat zurückgewie-sen wird.“

– Mehrheitlich bei einer Gegenstimme ange-nommen –

Begründung:

Der Bund hat im Bereich der konkurrierendenGesetzgebung nahezu erschöpfend von seinerGesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht.Die 1994 eingeführten Bestimmungen der Art.125 a Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 72 Abs. 3 GGhaben ebenso wenig wie die auch seit 1994 gel-tende Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 Abs. 2GG) und deren verfassungsgerichtliche Über-prüfbarkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG) an derAushöhlung der Gesetzgebungskompetenzender Länder geändert. Die bisherigen Katalogdis-kussionen haben ebenfalls nicht den gewünsch-

ten Erfolg erbracht. Deshalb empfiehlt die En-quete-Kommission, einen Systemwechsel her-beizuführen.

Als weitestreichenden Vorschlag erwog die En-quete-Kommission zunächst, die konkurrierendeGesetzgebung in den Fällen der Art. 74, 74 a GGund die Rahmengesetzgebung des Art. 75 GGabzuschaffen und die dort geregelten Materien,soweit auf eine bundeseinheitliche Gesetzge-bung nicht verzichtet werden kann, zusätzlichzum Katalog des Art. 73 GG in die ausschließli-che Gesetzgebungskompetenz des Bundes zuüberführen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass al-le nicht in dieser Positivliste aufgeführten Kom-petenztitel in die Zuständigkeit der Länder gefal-len wären. Diese Überlegung hat die Enquete-Kommission aber letztlich nicht weiterverfolgt,weil die Erfahrungen anderer föderaler Staatengezeigt haben, dass mit einer derartigen Positiv-liste die Entwicklung einer stark zentralistischenAuslegung verbunden ist („implied powers“)und dies dem Ziel einer Stärkung der Länder undLandesparlamente zuwider läuft.

Deshalb favorisiert die Enquete-Kommissionden Vorschlag, bei der konkurrierenden Gesetz-gebung das Beteiligungsverhältnis von Bundund Ländern zu verändern, wenn nicht gar um-zukehren. Leitlinie des Modells einer „Vorrang-gesetzgebung der Länder“, das auf einen Vor-schlag von Senator a.D. Heinssen in der vomBundestag 1972 eingesetzten „Enquete-Kom-mission Verfassungsreform“ zurückgeht, ist,dass die Länder im Bereich der konkurrierendenGesetzgebung eigenständige Regelungen treffenund dadurch eine bundesgesetzliche Regelungersetzen oder ergänzen können. Der Bundestagkann gegen ein entsprechendes LandesgesetzEinspruch einlegen. Nach Auffassung der Kom-mission soll dieser Einspruch keinen endgülti-gen Charakter haben. Vielmehr schlägt dieKommission vor, dem Bundesrat ein Letztent-scheidungsrecht einzuräumen. Mit diesem Mo-dell werden die Experimentierbereitschaft despolitischen Systems erhöht und vor allem dieAktionsmöglichkeiten der Legislative in denLändern gestärkt.

Ein Mitglied der Kommission vertrat demge-genüber die Auffassung, dass die Umwandlungder konkurrierenden Gesetzgebung in eine Vor-ranggesetzgebung der Länder eine schwerwie-gende Schwächung des Gesetzgebungsrechtsdes Bundes darstellen und die Gefahr einer unü-bersehbaren Rechtszersplitterung, u.a. im Bür-gerlichen Recht, im Justizwesen, im Recht derWirtschaft und im Umweltrecht beinhalten wür-de. Diese Materien seien keine geeigneten Ge-genstände für einen Wettbewerb der Länder un-tereinander und für einen Streit zwischen Bun-destag und Bundesrat. Die Frage, ob der Bund

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von seinem Einspruchsrecht im Einzelfall Ge-brauch macht, würde unweigerlich mit unter-schiedlichsten, evtl. auch sachfremden Kompro-misslösungen vermischt werden.

Diesen Bedenken vermochte sich die Mehrheitder Kommission jedoch nicht anzuschließen.Mit der Vorranggesetzgebung der Länder im Be-reich der konkurrierenden Gesetzgebung istzwar eine gewisse Reduzierung der Kompeten-zen des Bundes verbunden. Dies ist aber im Hin-blick auf die von der Kommission angestrebteStärkung der Landesparlamente auch notwen-dig. Gleichzeitig führt diese Verlagerung vonGesetzgebungskompetenzen aber auch zu einerEntflechtung auf der Bundesebene und damit zueiner Stärkung der Handlungsfähigkeit des Bun-desgesetzgebers. Die Gefahr einer Rechtszer-splitterung sieht die Mehrheit der Kommissionnicht, weil bei realistischer Betrachtung nicht er-wartet werden kann, dass zahlreiche Länder ge-rade im Bereich der genannten zentralen, bisherbundesrechtlich geregelten Materien grundle-gende landesrechtliche Änderungen vornehmenwerden. Vielmehr ist, insbesondere auch imHinblick auf die Finanzierbarkeit, davon auszu-gehen, dass die Länder einen sachgerechten Um-gang mit ihren neuen Gestaltungsmöglichkeitenpflegen werden. Gesetzgeberische Alleingängeeinzelner Länder werden im Übrigen durch dasLetztentscheidungsrecht des Bundesrates einge-schränkt. Die – politisch wünschenswerte – ge-setzgeberische Vielfalt steht also unter der Kon-trolle der Mehrheit der anderen Länder.

2. Rückführung von Gesetzgebungskompeten-zen des Bundes an die Länder

2.1 Reduzierung des Katalogs der konkurrieren-den Gesetzgebung

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission empfiehlt folgendeKompetenzänderungen im Bereich der konkur-rierenden Gesetzgebung (Art. 74, 74 a GG):

In dem Katalog des Art. 74 Abs. 1 GG werdenfolgende Zuständigkeiten gestrichen (mit derFolge, dass sie in die alleinige Gesetzgebungs-kompetenz der Länder übergehen):

– das Notariat in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG

– die außerschulische berufliche Bildung sollvom Begriff des Rechts der Wirtschaft inArt. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ausdrücklich ausge-nommen werden

– der Grundstücksverkehr, das Bodenrecht unddas landwirtschaftliche Pachtwesen, das Woh-nungswesen, das Siedlungs- und Heimstätten-wesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG)

– die wirtschaftliche Sicherung der Kranken-häuser und die Regelung der Krankenhaus-pflegesätze (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 a GG).

Die Förderung der wissenschaftlichen For-schung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 GG) soll in dieGrundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundesüberführt werden.

Die Besoldung und Versorgung der Angehöri-gen des öffentlichen Dienstes (Art. 74 a Abs. 1GG) soll in die Grundsatzgesetzgebungskompe-tenz des Bundes überführt werden.

– Der Vorschlag hinsichtlich des Notariatswe-sens wurde bei einer Gegenstimme und einigenStimmenthaltungen mehrheitlich angenommen.Der Vorschlag zur außerschulischen beruflichenBildung wurde im allseitigen Einverständnis oh-ne Abstimmung angenommen. Der Vorschlaghinsichtlich Grundstücksverkehr, landwirt-schaftliches Pachtwesen, Wohnungswesen undSiedlungs- und Heimstättenwesen wurde bei ei-ner Gegenstimme und einer Stimmenthaltungmehrheitlich angenommen. Der Vorschlag be-treffend das Bodenrecht wurde mit acht zu sie-ben Stimmen mehrheitlich angenommen. DerVorschlag betreffend die wirtschaftliche Siche-rung der Krankenhäuser und die Regelung derKrankenhauspflegesätze wurde im allseitigenEinverständnis ohne Abstimmung angenommen.Der Vorschlag hinsichtlich Förderung der wis-senschaftlichen Forschung wurde mehrheitlichbei einer Gegenstimme angenommen. Der Vor-schlag hinsichtlich Besoldung und Versorgungder Angehörigen des öffentlichen Dienstes wur-de mehrheitlich angenommen –

Begründung:

Die Enquete-Kommission vertritt mehrheitlichdie Auffassung, dass die Gestaltung des Nota-riats den Ländern überlassen werden kann.

Gegen den Vorschlag hinsichtlich des Notariats-wesens wurde von einem Mitglied der Kommis-sion eingewandt, dass die Sicherung des bundes-weiten Berufsbildes des Notars bei Wegfall derGesetzgebungskompetenz des Bundes in Fragegestellt sei. Eine Überführung des Notariats indie Gesetzgebungskompetenz der Länder bedeu-te einen Systembruch im deutschen Justizwesen.Wenn es in Zukunft neben unterschiedlichenNotariatsformen auch unterschiedliche Berufs-pflichten für Notare geben könne, werde derVorbildcharakter des deutschen Notarwesens in-nerhalb der Europäischen Union in Frage ge-stellt.

Diesen Bedenken schloss sich die Enquete-Kommission jedoch nicht an. In Süddeutschlandsind bereits nach geltender Rechtslage landes-rechtliche Sonderregelungen zulässig (Art. 138GG). Die unterschiedlichen Notariatsformen in

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Deutschland haben sich bislang gut bewährt.Vor diesem Hintergrund hält die Mehrheit derKommission eine bundesweit einheitliche Ge-staltung des Notariatswesens und damit eine Ge-setzgebungskompetenz des Bundes nicht für er-forderlich. Die Regelung des Art. 138 GG wirddamit überflüssig und kann gestrichen werden.

Angesichts der grundsätzlich umfassenden Zu-ständigkeit der Länder für Bildung und Ausbil-dung und wegen der Sachnähe zum gesamtenSchulwesen ist es aus Sicht der Enquete-Kom-mission sinnvoll, die außerschulische beruflicheBildung in die Gesetzgebungskompetenz derLänder zu überführen.

Die Enquete-Kommission spricht sich mehrheit-lich dafür aus, alle Materien des Art. 74 Abs. 1Nr. 18 GG in die Landesgesetzgebungskompe-tenz zu überführen. Diese Materien weisen je-weils regionale oder landesrechtliche Besonder-heiten auf und können von der Natur der Sacheher auch durch den Landesgesetzgeber geregeltwerden. Soweit die Kompetenzverschiebungendazu führen, dass die Länder neue Finanzie-rungsverantwortungen erhalten, muss damitauch eine Neuverteilung der Mittel einhergehen.

Demgegenüber wurde von einem Mitglied derKommission hinsichtlich der Materien Grund-stücksverkehr, Wohnungswesen sowie Sied-lungs- und Heimstättenwesen die Meinung ver-treten, dass es sich jeweils um Materien mit so-zialpolitischem Einschlag handle, die von ihrerGrundtendenz her zum bürgerlichen Rechtgehören. Seit mehr als 70 Jahren habe es sich be-währt, dass das Planungsrecht vom Bund gere-gelt wird. Das Bodenrecht, d.h. in erster Liniedas Städtebaurecht, könne im Interesse einer ge-ordneten und berechenbaren Regelung der Bo-dennutzung und des Grundeigentums nicht vonLand zu Land verschieden sein. Mit der Über-antwortung des Bodenrechts an den Landesge-setzgeber wäre die gesamte städtebauliche Ent-wicklung gefährdet.

Die Mehrheit der Kommission teilt diese Beden-ken jedoch nicht. Sie ist der Meinung, dass vorallem im Wohnungswesen (z.B. Fehlbelegungs-abgabe, Wohnraumbindung, Wohnungsbauför-derung) bei originären Handlungsmöglichkeitender Länder regionale Besonderheiten differen-zierter berücksichtigt werden könnten.

Bei der wirtschaftlichen Sicherung der Kranken-häuser besteht nach Auffassung der Enquete-Kommission keine sachliche Notwendigkeit, ander Gesetzgebungskompetenz des Bundes fest-zuhalten. Eigenständige Regelungsmöglichkei-ten würden die Länder in die Lage versetzen, beider Krankenhausfinanzierung effizientere Struk-turen zu schaffen und auf Dauer eine möglichst

hohe medizinische Versorgung zu gewährleis-ten.

Hinsichtlich der Förderung der wissenschaftli-chen Forschung spricht sich die Enquete-Kom-mission dafür aus, den Handlungsspielraum derLänder zu stärken, soweit es sich nicht um län-derübergreifende Einrichtungen und Vorhabenhandelt. Damit können die Länder in die Lageversetzt werden, jeweils ihre eigenen Schwer-punkte in der Forschungsförderung gesetzlichfestzuschreiben.

Eine einheitliche Besoldung des öffentlichenDienstes von Bund und Ländern ist nach Auffas-sung der Enquete-Kommission nicht geboten. Esist vielmehr Ausdruck der Dienstherrenfunktion,in der Besoldung der eigenen Bediensteten eige-ne Ziele verfolgen zu können. Allerdings ist eserforderlich, die Ober- und Untergrenzen für dieBesoldung in einem Grundsätze-Gesetz desBundes vorzugeben.

2.2 Änderung der Rahmengesetzgebung in eineGrundsatzgesetzgebung

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission schlägt die Umwand-lung der Rahmengesetzgebung in eine Grund-satzgesetzgebung vor. Anders als bei der Rah-mengesetzgebung, wo der Bund den Umfangund die Reichweite der jeweiligen Materie be-stimmen kann und die Länder innerhalb des vor-gegebenen Rahmens verpflichtet sind, Gesetzezu erlassen, soll der Bund bei der Grundsatzge-setzgebung nur befugt sein, allgemeine, leitendeGrundsätze aufzustellen. Ob und ggf. in welcherWeise die Länder von der Ausgestaltungsmög-lichkeit der bundesrechtlich vorgegebenenGrundsätze Gebrauch machen, soll in ihrem Er-messen liegen.

– Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Ziel der Umwandlung der Rahmengesetzgebungin eine Grundsatzgesetzgebung ist es, den Lan-desgesetzgebern einen größeren Gestaltungs-spielraum im Bereich der Materien des Art. 75Abs. 1 GG einzuräumen. Dies vor dem Hinter-grund, dass der Bund in der Verfassungspraxiszunehmend die Tendenz entwickelt hat, in Rah-mengesetzen sehr viele Details zu regeln. DemBund soll es in Zukunft im gesamten Bereich desArt. 75 Abs. 1 GG verwehrt sein, in Einzelheitengehende oder unmittelbar geltende Regelungenzu treffen. Die Länder sollen auch selbst darüberbefinden können, ob sie von der Möglichkeit derAusgestaltung der bundesgesetzlich vorgegebe-nen Grundsätze Gebrauch machen oder nicht. ImErgebnis bedeutet dies eine Streichung der bis-herigen Art. 75 Abs. 2 und Abs. 3 GG.

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Gegen eine solche Umgestaltung wurde vorge-bracht, dass sie den Ländern keine Vorteile brin-ge. Eine beim Wort genommene Grund-satzgesetzgebung gebe dem Bund mehr Rege-lungsspielraum als die Rahmengesetzgebung.Diesen Bedenken schließt sich die Enquete-Kommission jedoch nicht an. Die Enquete-Kommission sieht in der Grundsatzgesetzge-bung eine Beschränkung des Bundes auf materi-enspezifische Direktiv- oder Strukturnormen.Damit ist gleichzeitig eine Ausweitung des Ge-staltungsspielraums der Länder verbunden.Denn sie sind – im Gegensatz zur Rahmenge-setzgebung – erstens nicht verpflichtet, dieGrundsätze landesgesetzlich auszufüllen, son-dern können die Materie ungeregelt lassen.Zweitens können die Länder über die Grundsät-ze des Bundes hinaus auch ergänzende landes-rechtliche Regelungen treffen, während sie beieiner Rahmengesetzgebung den vorgegebenenRahmen nicht überschreiten dürfen. Drittenssind bei der Grundsatzgesetzgebung, anders alsbei der Rahmengesetzgebung, keine unmittelbargeltenden oder in Einzelheiten gehende Rege-lungen zulässig.

2.3 Reduzierung der Materien der Grundsatzge-setzgebung

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission empfiehlt, folgendeZuständigkeiten des Bundes im Katalog desArt. 75 Abs. 1 GG zu streichen (mit der Folge,dass sie in die alleinige Gesetzgebungskompe-tenz der Länder übergehen):

– Die allgemeinen Grundsätze des Hochschul-wesens (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 a GG)

– Die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse(Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG)

– Das Jagdwesen (Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG).

Die übrigen Materien des Art. 75 Abs. 1 GG un-terfallen der Grundsatzgesetzgebung. Diese trittan die Stelle der bisherigen Rahmengesetzge-bung.

– Der Vorschlag hinsichtlich der allgemeinenGrundsätze des Hochschulwesens und der allge-meinen Rechtsverhältnisse der Presse wurdemehrheitlich bei einer Gegenstimme angenom-men. Der Vorschlag hinsichtlich des Jagdwe-sens wurde einstimmig angenommen –

Begründung:

Die Enquete-Kommission ist mehrheitlich derAuffassung, dass das Hochschulrahmengesetzdes Bundes zu detaillierte Vorgaben enthält.

Gerade im Bereich des Hochschulwesens kannder angestrebte Wettbewerb um die besten Ideen

Wirkung entfalten. Ein Mitglied der Kommissi-on vertrat demgegenüber die Auffassung, dassdie wissenschaftlichen Hochschulen ihre Aufga-be freier Forschung und Lehre und ihren Anteilan Bildung und Kultur in Deutschland nur sach-gerecht und wirksam – auch im Hinblick auf denAustausch mit der Wissenschaft des Auslands –wahrnehmen können, wenn durch Bundesrechtdie organisatorische und funktionale Grundformder Rechtsgestalt der Universität gewährleistetwird. Diese bundesstaatliche Zuordnung desHochschulwesens, das sich für wechselnde Ex-perimente von Land zu Land nur in untergeord-neten Regelungsbereichen eignet, ist zugleichdie notwendige Voraussetzung für einen „Wett-bewerb um die besten Ideen“, d.h. der Entwick-lung von Forschung und Lehre in einer Vielfaltvon Land zu Land und von Universität zu Uni-versität.

Die Mehrheit der Kommission teilt diese Auf-fassung jedoch nicht. Das Hochschulwesen istein zentrales Politikfeld der Länder und wichti-ger Bestandteil ihrer im Zuge der wirtschaftli-chen Globalisierung immer wichtiger werden-den eigenständigen Standortpolitik. Wenn ihnendie Möglichkeit eingeräumt wird, auf diesemGebiet neue und eigene Wege zu beschreiten,trägt dies zur Stärkung der politischen Gestal-tungsmöglichkeiten der Länder und damit auchder Landesparlamente bei.

Von der Rahmengesetzgebungskompetenz fürdie allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presseist vom Bund bisher noch kein Gebrauch ge-macht worden. Presse- und Medienrecht sindLänderangelegenheiten. Ein Bedürfnis für einebundeseinheitliche Regelung ist deshalb nachmehrheitlicher Auffassung der Enquete-Kom-mission nicht ersichtlich. Eigene landesrechtli-che Regelungen im Bereich des Jagdwesens sindbürgernäher und können regionale Besonderhei-ten besser berücksichtigen.

3. Selbstbeschränkung des Bundesgesetzgebers

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission empfiehlt dem Land-tag, die Staatsregierung aufzufordern, über denBundesrat auf die Bundesregierung in dem Sin-ne einzuwirken, dass der Bund beim Erlass neu-er Rechtsvorschriften verstärkt prüft, ob ein Gel-tungszeitraum angegeben werden kann, nachdem die Vorschrift automatisch außer Kraft tritt,wenn nicht der Bund nachweist, dass die Rege-lung weiterhin von ihm getroffen werden muss.

Darüber hinaus ist die Enquete-Kommission derAuffassung, dass der Bund

– bei der Ausübung seines Gesetzgebungsrechtsim Bereich der konkurrierenden Gesetzge-

Drucksache 14/8660 Bayerischer Landtag · 14. Wahlperiode Seite 21

bung die Möglichkeit von Öffnungs- und Ex-perimentierklauseln zugunsten der Länder zuprüfen hat und

– die im Wege der konkurrierenden Gesetzge-bung erlassenen Vorschriften mit dem Zielüberprüfen soll, dass diese durch Landesrechtersetzt werden können (Art. 72 Abs. 3 GG,125 a Abs. 2 GG).

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung,dass der Bund beim Erlass neuer Gesetze oderVerordnungen – wie der Bayerische Landtag imFall des Bayerischen Schlichtungsgesetzes unddes Bayerischen Gleichstellungsgesetzes – ver-stärkt von der Möglichkeit der Befristung Ge-brauch machen sollte. Nach Ablauf der Frist trittdie Regelung automatisch außer Kraft. Die Ma-terie fällt dann in die Regelungskompetenz derLänder, es sei denn, der Bundesgesetzgeberweist nach, dass eine Regelung durch Bundesge-setz weiterhin erforderlich ist. Auf diese Weisewird ein Begründungszwang für die Fortgeltungvon Bundesrecht geschaffen, was faktisch einegewisse Rückverlagerung von Gesetzgebungs-kompetenzen auf die Länder zur Folge habenkönnte.

Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum derLänder kann auch dadurch erweitert werden,dass der Bund den Ländern in geeigneten Teil-bereichen bundesgesetzlich geregelter Materiendie Möglichkeit für eigenständige Regelungeneröffnet.

Von der seit 1994 bestehenden Möglichkeit,durch Bundesgesetz zu bestimmen, dass bundes-gesetzliche Regelungen durch Landesrecht er-setzt werden können, sollte der Bund ebenfallsin geeigneten Fällen Gebrauch machen, um da-durch die Grundzuständigkeit der Länder unddamit der Landesparlamente wieder zu eröffnen.

4. Ausweitung interregionaler Zusammenarbeit

Empfehlung:

Die Länder haben die Möglichkeit, nicht nur imBereich ihrer ausschließlichen Zuständigkeit,sondern auch dort im Bereich der konkurrieren-den Gesetzgebungskompetenz des Bundes, woder Bund von seiner Gesetzgebungskompetenzkeinen Gebrauch gemacht hat, durch Abschlussvon Staatsverträgen und Verwaltungsabkom-men untereinander geeignete Materien zu re-geln. In diesem Bereich könnten vertraglicheVereinbarungen der Länder eine bundeseinheit-liche Regelung obsolet machen. An der Vorbe-reitung solcher Vereinbarungen sind die Lan-desparlamente angemessen zu beteiligen.

– Mehrheitlich mit sechs zu vier Stimmen bei ei-ner Stimmenthaltung angenommen –

Begründung:

Die Enquete-Kommission gibt der föderalenVielfalt grundsätzlich den Vorzug gegenüberbundeseinheitlicher Gesetzgebung. Dabei wirdnicht übersehen, dass verschiedene Gegenständeder konkurrierenden Gesetzgebung sinnvollerWeise einer bundeseinheitlichen Regelung be-dürfen. Die Enquete-Kommission ist aber derAuffassung, dass dafür nicht zwingend eine bun-desgesetzliche Regelung erforderlich ist. Viel-mehr können die Länder solche Materien in ge-eigneten Fällen auch im Wege vertraglicher Ver-einbarung regeln. Sofern die Länder durch denAbschluss von Staatsverträgen oder Verwal-tungsabkommen über gewisse Materien bundes-weit einheitliche Bestimmungen treffen, bestehtfür eine bundesgesetzliche Regelung kein Be-darf. Ein Gebrauchmachen des Bundes von sei-ner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzwäre in solchen Fällen weder im Hinblick aufdas Erfordernis der Herstellung gleichwertigerLebensverhältnisse noch zur Wahrung derRechts- oder Wirtschaftseinheit im Sinne vonArt. 72 Abs. 2 GG gerechtfertigt.

Gegen eine solche Vertragslösung wurde einge-wandt, dass damit letztlich nicht eine Stärkungder Landesparlamente, sondern der für den Ab-schluss von Staatsverträgen und Verwaltungsab-kommen zuständigen Staatsregierungen verbun-den wäre. Dem hält die Mehrheit der Kommissi-on aber entgegen, dass die Landesparlamente be-reits im Vorfeld derartiger Vereinbarungen zubeteiligen, insb. zu informieren sind (siehe untenV.). Staatsverträge bedürfen zudem gemäßArt. 72 Abs. 2 der Bayerischen Verfassung zu ih-rer Wirksamkeit der Zustimmung des Landtags.

II. Veränderung der Zustimmungspflicht

Empfehlung:

Bei einer Erweiterung der Gesetzgebungskom-petenz der Länder entsprechend den vorstehen-den Empfehlungen verringert sich die Anzahlder zustimmungsbedürftigen Bundesgesetze. ImFall der Verwirklichung dieser Empfehlungenhält es die Enquete-Kommission für vertretbar,im Gegenzug darüber hinaus die Zustimmungs-pflichtigkeit von Bundesgesetzen zu reduzieren.

In vielen Fällen beruht die Zustimmungspflichtauf Art. 84 Abs. 1 GG.

Die Enquete-Kommission schlägt deshalb vor,diese Bestimmung dahingehend zu ändern, dassein Zustimmungserfordernis nur für Gesetze ge-geben ist, die die bei den Ländern durch den Ge-setzesvollzug verursachten Aufwendungen we-

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sentlich verändern oder Veränderungen in derVerwaltungsstruktur der Länderbehörden erfor-derlich machen.

Art. 84 Abs. 1 GG soll danach wie folgt lauten:

„Führen die Länder die Bundesgesetze als eige-ne Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrich-tung der Behörden und das Verwaltungsverfah-ren, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas an-deres bestimmt ist. Werden die bei den Länderndurch den Gesetzesvollzug verursachten Auf-wendungen wesentlich verändert oder Verände-rungen in der Verwaltungsstruktur der Länder-behörden erforderlich, bedarf das Bundesgesetzder Zustimmung des Bundesrates. Die Änderungeines mit Zustimmung des Bundesrates erlasse-nen Bundesgesetzes ist nur dann von der Zu-stimmung des Bundesrates abhängig, wenn sieeine durch ihren Gegenstand zustimmungsbe-dürftige Vorschrift betrifft oder dazu führt, dassandere, ihrerseits zustimmungsbedürftige Vor-schriften des geänderten Gesetzes eine wesent-lich andere Bedeutung und Tragweite erhalten.“

– Einstimmig angenommen –

Begründung:

Durch die Ausweitung der Gesetzgebungskom-petenzen des Bundes ist die Zahl der zustim-mungspflichtigen Gesetze und damit derBlockademöglichkeiten für den Bundesrat er-heblich gestiegen. Die an Änderungen im Ver-waltungsvollzug anknüpfende Zustimmungsbe-dürftigkeit des Bundesrates eröffnet Blocka-demöglichkeiten auch aus jedem anderen politi-schen Grund. Diese Gemengelage mindert dieHandlungsmöglichkeiten von Bundesregierungund Bundestag. Bei einer deutlichen Erweite-rung der Gesetzgebungskompetenzen der Län-der verringert sich automatisch die Anzahl derzustimmungsbedürftigen Bundesgesetze. Im In-teresse gesamtstaatlicher Handlungsmöglichkei-ten kann im Fall der Verwirklichung der Emp-fehlungen der Enquete-Kommission zur Stär-kung der Kompetenzen der Länder eine Redu-zierung der Zustimmungspflichtigkeit von Bun-desgesetzen erwogen werden. Mit dieser Ent-flechtung ginge eine Stärkung des Bundesge-setzgebers einher.

III. Längere Regelfrist für Stellungnahmen desBundesrats nach Art. 76 Abs. 2 GG

Empfehlung:

Durch eine generelle Verlängerung der Frist fürdie Abgabe der Stellungnahme des Bundesrateszu Vorlagen der Bundesregierung im sog. erstenDurchgang wird es den Landesparlamenten er-leichtert, sich frühzeitig in das Gesetzgebungs-verfahren des Bundes einzubringen.

Bei Grundgesetzänderungen und bei der Über-tragung von Hoheitsrechten nach Art. 23, 24 GGempfiehlt die Enquete-Kommission eine Verlän-gerung der Frist von 9 Wochen (Art. 76 Abs. 2Satz 5 GG) auf drei Monate. In den übrigen Fäl-len spricht sich die Enquete-Kommission für ei-ne Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist (Art.76 Abs. 2 Satz 1 GG) auf zwei Monate aus. DieMöglichkeiten des bisherigen Rechts, die Fristbei besonderer Eilbedürftigkeit abzukürzen, sol-len erhalten bleiben.

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung,dass die Einflussmöglichkeiten der Landesparla-mente auf die Entscheidungen der Landesregie-rungen im Bundesrat dadurch verbessert werdenkönnen, dass die Fristen verlängert werden, bin-nen derer der Bundesrat zu Gesetzesvorlagen derBundesregierung Stellung nehmen kann. EineFristverlängerung hat gleichzeitig zur Folge,dass den Landesparlamenten mehr Zeit zur Ver-fügung steht, eine Beschlussfassung über eineStellungnahme in Bundesratsangelegenheitenherbeizuführen und damit ihre Position gegen-über ihren jeweiligen Landesregierungen zumAusdruck zu bringen. Der Verfahrungsbeschleu-nigung im länderparlamentarischen Ablauf trägtim Gegenzug der Vorschlag der Enquete-Kom-mission unter VI. Rechnung.

IV. Beteiligung des Bundesrats bei Gesetzes-initiativen aus der Mitte des Bundestages

Empfehlung:

Zur rechtzeitigen Befassung der Landesparla-mente mit Gesetzgebungsvorhaben des Bundeserscheint es erforderlich, dem Bundesrat auchbei Initiativgesetzentwürfen aus der Mitte desBundestags die Möglichkeit zur Stellungnahmeschon vor der Beschlussfassung im Bundestagzu geben. Die Fristen zur Stellungnahme solltenden Fristen für die Stellungnahmen zu Regie-rungsvorlagen im sog. ersten Durchgang ent-sprechen.

Die Enquete-Kommission empfiehlt deshalb, inArt. 76 GG folgenden Absatz 2 a einzufügen:

„Vorlagen aus der Mitte des Bundestages aufden Gebieten der konkurrierenden Gesetzge-bung sowie der Grundsatzgesetzgebung sindnach ihrer Einbringung dem Bundesrat zuzulei-ten. Der Bundesrat ist berechtigt, zu den Vorla-gen Stellung zu nehmen. Hinsichtlich der Fristzur Stellungnahme gilt Abs. 2 Satz 2 und 5 ent-sprechend. Der Bundestag darf vor Ablauf dieserFrist keinen Gesetzesbeschluss über die Vorlagefassen.“

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– Mehrheitlich mit zwölf Stimmen bei einer Ge-genstimme und einer Enthaltung angenommen –

Begründung:

Art. 76 Abs.2 GG sieht derzeit eine Beteiligungdes Bundesrats im sog. ersten Durchgang nur beiGesetzesvorlagen der Bundesregierung vor. BeiInitiativgesetzentwürfen aus der Mitte des Bun-destags durch die Mehrheitsfraktionen oder dieOppositionsfraktionen wird dem Bundesrat da-gegen nicht erst die Möglichkeit zur Stellun-gnahme eingeräumt, bevor sich der Bundestagmit dem Gesetzentwurf im parlamentarischenGesetzgebungsverfahren befasst. Dies führte– zuletzt beim Entwurf eines Lebenspartner-schaftsgesetzes und eines Gesetzes zur Vereinfa-chung des zivilgerichtlichen Verfahrens und desVerfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit –dazu, dass Gesetzesvorlagen der Bundesregie-rung nicht dem Bundesrat zugeleitet, sondern alsInitiativgesetzentwurf der die Bundesregierungtragenden Mehrheitsfraktionen in den Bundes-tag eingebracht wurden, sodass der Bundesratzunächst von der Beratung ausgeschlossen wur-de. Dem Bundesrat wird dadurch die Möglich-keit genommen, vor endgültiger Beschlussfas-sung des Bundestags über den Gesetzentwurfhierzu eine Stellungnahme abzugeben.

Die Enquete-Kommission hält dieses Verfahren,mit dem die Beteiligungsrechte des Bundesratsund damit letztlich auch der Landesparlamenteunterlaufen werden, für missbräuchlich. Da-durch besteht für die Landesparlamente keineMöglichkeit, solche Gesetzesvorhaben rechtzei-tig vor Beschlussfassung im Bundestag zu be-handeln und gegenüber den Landesregierungenihre Position deutlich zu machen. Deshalbspricht sich die Enquete-Kommission mehrheit-lich dafür aus, den Bundesrat auch bei Initiativ-gesetzentwürfen aus der Mitte des Bundestagsim ersten Durchgang zu beteiligen.

Der Bundestag ist dadurch nicht gehindert, denInitiativgesetzentwurf bereits in Erster Lesungzu behandeln. Die Beratung des Gesetzentwurfsim federführenden Ausschuss sollte jedoch vorAblauf der dem Bundesrat eingeräumten Fristzur Stellungnahme bzw. der fristgerechtenÄußerung des Bundesrates nicht abgeschlossensein. Die Kommission hält eine Ausnahmerege-lung für besonders eilbedürftige Initiativgesetz-entwürfe für entbehrlich. In diesen Fällen kanneine Verfahrensbeschleunigung dadurch erreichtwerden, dass der Gesetzentwurf von der Bun-desregierung selbst eingebracht wird. Auf die-sem Wege kommen dann die verkürzten Fristenund das Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 Satz 4 GGzur Anwendung. Insgesamt werden mit dieserLösung gleichzeitig die Beteiligungsrechte desBundesrats und damit auch der Landesparlamen-

te gewahrt und das Gesetzgebungsverfahrennicht unnötig verzögert.

Ein Mitglied der Kommission war der Auffas-sung, dass es eine Entwertung des Initiativrechtsdes Bundestags darstelle, wenn der Bundesratbei Initiativgesetzentwürfen ebenso gestellt wer-de wie bei Regierungsvorlagen. Man könnenicht von einer Umgehung des Bundesrats odervon einem Verfahrensmissbrauch sprechen,wenn von einer verfassungsrechtlich zulässigenMöglichkeit Gebrauch gemacht werde. Von an-derer Seite wurde angemerkt, dass es nicht not-wendig sei, die Verwaltungserfahrung der Län-der im ersten Durchgang bei der Beratung einerVielzahl von Initiativgesetzentwürfen einzubrin-gen, wenn wegen der Mehrheitsverhältnisse imBundestag ohnehin keine Aussicht bestehe, dassdas Gesetz jemals in Kraft tritt. Diese Bedenkenwurden jedoch von der Mehrheit der Kommissi-on nicht geteilt.

V. Verbesserung der Information des Landtagsdurch die Staatsregierung

Empfehlung:

Die derzeitige Rechtslage sieht eine Unterrich-tung und Einbindung des Landtags in Vorhabender Staatsregierung auf Europa-, Bundes- undLandesebene nur in unzureichender Weise vor.Regelungen finden sich nur in der Geschäftsord-nung der Staatsregierung und in einem Schrift-wechsel zwischen dem Ministerpräsidenten unddem Präsidenten des Landtags aus dem Jahr1979. Angelegenheiten der EU und des Bundes-rats sind hiervon gar nicht erfasst.

Um die Informations- und Beteiligungsrechtedes Landtags in europa-, bundes- und landespo-litischen Angelegenheiten zu verbessern, emp-fiehlt die Enquete-Kommission deshalb, die In-formationspflicht der Staatsregierung gegenüberdem Landtag wie folgt zu regeln:

„(1) Die Staatsregierung unterrichtet den Land-tag frühzeitig über

1. Vorhaben der Gesetzgebung,

2. den Gegenstand beabsichtigter Staatsverträge

und, soweit es sich um Gegenstände von erheb-licher landespolitischer Bedeutung handelt, über

3. Angelegenheiten der Landesplanung,

4. Bundesratsangelegenheiten,

5. Gegenstände von Verwaltungsabkommen,

6. die Zusammenarbeit mit dem Bund, den Län-dern, den Regionen, anderen Staaten und zwi-schenstaatlichen Einrichtungen,

7. Angelegenheiten der Europäischen Union,

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und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.Sie berücksichtigt die Stellungnahme des Land-tags.

(2) Die Staatsregierung kann von einer Unter-richtung absehen, wenn diese ihre Funktions-fähigkeit oder Eigenverantwortung oder schutz-würdige Interessen Einzelner beeinträchtigenwürde.“

Vergleichbare Bestimmungen sind bereits in ei-nigen Landesverfassungen vorgesehen. Die En-quete-Kommission ist deshalb der Auffassung,dass diese Regelung in die Bayerische Verfas-sung aufgenommen werden sollte. Für die dafürnotwendige Änderung der Bayerischen Verfas-sung sind aber hohe Hürden und ein aufwändi-ges Verfahren vorgeschrieben. Um dennoch einemöglichst zügige Umsetzung der Informations-und Beteiligungsrechte des Landtags zu gewähr-leisten, hält die Enquete-Kommission zunächstauch eine entsprechende Regelung in einem ein-fachen Gesetz für ausreichend.

Zur Ausgestaltung der Informations- und Betei-ligungsrechte empfiehlt die Enquete-Kommissi-on den Erlass eines Parlamentsinformationsge-setzes.

– Formulierungsvorschlag für Abs. 1 Nr. 1 mitelf Stimmen bei drei Gegenstimmen mehrheitlichangenommen. Formulierungsvorschlag fürAbs. 1 Nr. 2, 3, 4, 6, 7 einstimmig angenommen.Formulierungsvorschlag für Abs. 1 Nr. 5 mitzehn Stimmen bei drei Gegenstimmen und einerStimmenthaltung mehrheitlich angenommen.Vorschlag für Abs. 2 wurde mit acht Stimmen beifünf Stimmenthaltungen mehrheitlich angenom-men. Die Empfehlung, ein Parlamentsinformati-onsgesetz zu erlassen, wurde mit sieben Stimmenbei sechs Gegenstimmen und einer Enthaltungmehrheitlich angenommen –

Begründung:

Die Landesverfassungen von Baden-Württem-berg, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vor-pommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz,Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thü-ringen enthalten in unterschiedlichem UmfangBestimmungen über die Informationspflicht derStaatsregierung gegenüber dem Landtag. Dem-gegenüber findet sich in der Bayerischen Verfas-sung keine vergleichbare Regelung. Auch eineeinfachgesetzliche Regelung gibt es in Bayernbislang nicht. Grundlage der Information desLandtags durch die Staatsregierung ist in Bayernvielmehr derzeit nur die Geschäftsordnung derStaatsregierung und ein Schreiben des Minister-präsidenten an den Präsidenten des Landtags ausdem Jahre 1979. In der Geschäftsordnung derStaatsregierung ist die Unterrichtung hinsicht-lich Ressortentwürfen von zustimmungspflichti-

gen Rechtsverordnungen und Gesetzen, soferndiese an Verbände, Körperschaften oder sonsti-ge Organisationen übersandt werden, geregelt.Das Schreiben aus dem Jahr 1979 betrifft die In-formation über die Vorbereitung von Staatsver-trägen, Verwaltungsabkommen, die Ergebnissevon Fachministerkonferenzen und grenzüber-schreitender Gremien.

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung,dass das Informationsrecht des Landtags ge-genüber der Staatsregierung in Bezug auf die imFormulierungsvorschlag unter Abs. 1 Ziffer 1bis 7 genannten Gegenstände auf eine gesetzli-che Grundlage gestellt werden muss. Ein ledig-lich informeller Charakter der Unterrichtung,deren Gegenstände und Reichweite allein vonder Staatsregierung bestimmt wird, steht mitdem Ziel einer Stärkung des Landtags und seinerEinflussmöglichkeiten auf die Entscheidungenund Initiativen der Staatsregierung nicht im Ein-klang. Umfassende Informationen über die inAbs. 1 genannten Gegenstände und Angelegen-heiten ermöglichen es dem Landtag, hierzu Stel-lung zu nehmen und sich so aktiv in die Ent-scheidungsfindung einzubringen. Die Enquete-Kommission stellt zwar fest, dass die Staatsre-gierung nicht zwingend verpflichtet ist, eineStellungnahme des Landtags entsprechend um-zusetzen, es aber einer gewissen Rechtfertigungim Sinne einer politischen Verantwortlichkeitbedarf, davon abzuweichen.

Im Hinblick auf die nähere Ausgestaltung desInformationsrechts des Landtags wurde teilwei-se die Auffassung vertreten, dass die Festlegungnäherer Einzelheiten im Wege einer Vereinba-rung zwischen Landtag und Staatsregierung er-folgen könne. Im Übrigen sei in der Geschäfts-ordnung des Landtags ausreichend geregelt, inwelcher Weise der Landtag mit den erhaltenenInformationen verfahre.

Die Mehrheit der Kommission war jedoch derAuffassung, dass für die angestrebte Stärkungder Rechte des Parlaments gegenüber der Staats-regierung die gesetzliche Konkretisierung dernäheren Einzelheiten der Informations- und Be-teiligungsrechte in einem Parlamentsinformati-onsgesetz notwendig sei. Dabei empfiehlt dieKommission, die Informationspflicht der Staats-regierung im Hinblick auf Angelegenheiten derEuropäischen Union in einem Ausführungsge-setz zu Art. 3 a BV zu regeln (vgl. Begründungder Empfehlung zu Frage 1.c). Das Aus-führungsgesetz sollte sich insoweit inhaltlich ander Vereinbarung zwischen Regierung undLandtag von Baden-Württemberg in Aus-führung von Art. 34 a Abs. 3 Landesverfassungin der Fassung vom 15. Februar 1995 orientie-ren.

Drucksache 14/8660 Bayerischer Landtag · 14. Wahlperiode Seite 25

VI. Entscheidungskompetenz der Ausschüsse zurAbgabe von Stellungnahmen in bestimmteneilbedürftigen Angelegenheiten

Empfehlung:

Die Möglichkeit der Abgabe von zu berücksich-tigenden Stellungnahmen kann nur dann zu einereffektiven Stärkung der Rolle des Landtags ge-genüber der Staatsregierung führen, wenn dasParlament auch in der Lage ist, seine Entschei-dungen innerhalb der vorgeschriebenen Fristenzu treffen. Dies kann aber im Einzelfall unterBerücksichtigung des vorgegebenen Sitzungs-plans des Parlaments und des in der Geschäfts-ordnung geregelten Geschäftsgangs Schwierig-keiten bereiten.

Um zu gewährleisten, dass der Landtag von denihm zustehenden Gestaltungsmöglichkeitenfristgerecht Gebrauch machen kann, empfiehltdie Enquete-Kommission, dem jeweils feder-führenden Ausschuss eine Entscheidungskom-petenz zur Abgabe von Stellungnahmen in eilbe-dürftigen Angelegenheiten einzuräumen. DerBeschluss des federführenden Ausschusses giltin diesen Fällen als Stellungnahme des Land-tags, es sei denn, dass eine Fraktion oder 20 Ab-geordnete innerhalb einer Woche nach der Be-schlussfassung des federführenden Ausschussesbeantragen, die Entscheidung der Vollversamm-lung einzuholen. Die Enquete-Kommission hälteine Regelung durch einfaches Gesetz für erfor-derlich, aber auch ausreichend.

– Einstimmig angenommen –

Begründung:

Art. 76 Abs. 2 GG regelt bestimmte Fristen, in-nerhalb derer der Bundesrat zu einer Gesetzes-vorlage der Bundesregierung Stellung nehmenkann. Will der Landtag sich mit einer Bundes-ratsangelegenheit befassen und hierzu eine Stel-lungnahme abgeben, ist er damit mittelbar eben-falls an diese Frist gebunden. Die Einhaltungdieser Frist kann aber im Einzelfall erheblicheSchwierigkeiten bereiten, wenn das übliche, vonder Geschäftsordnung des Bayerischen Landtagsvorgesehene parlamentarische Verfahren durch-laufen wird (zunächst Beratung im federführen-den Ausschuss, anschließend gegebenenfallsMitberatung binnen vier Arbeitswochen, an-schließend gegebenenfalls Zweitberatung durchfederführenden Ausschuss, danach Beschlussdurch Plenum). Deshalb spricht sich die En-quete-Kommission dafür aus, dem jeweils feder-führenden Ausschuss eine Entscheidungskom-petenz zur Abgabe von Stellungnahmen in eilbe-dürftigen Bundesratsangelegenheiten einzuräu-men. Der federführende Ausschuss gibt in sol-chen Fällen nicht lediglich eine Beschlussemp-fehlung für das Plenum ab, sondern beschließt

selbst abschließend, es sei denn, eine Fraktionoder 20 Abgeordnete beantragen, in der Angele-genheit die Entscheidung der Vollversammlungeinzuholen. Dieses Recht soll ausdrücklich allenfederführenden Ausschüssen, nicht lediglichdem Ausschuss für Bundes- und Europaangele-genheiten eingeräumt werden.

2. c) Ist eine Beteilung des Landesgesetzgebers bei Än-derungen der Kompetenzverteilung zwischen Bundund Ländern – Art. 70 ff. GG – verfassungsrechtlichzulässig und gegebenenfalls politisch wünschens-wert?

Empfehlung:

Eine effektive Möglichkeit, dem weiteren Entzug vonGesetzgebungszuständigkeiten der Länder entgegen-zuwirken, sieht die Enquete-Kommission in einer un-mittelbaren Beteiligung der Landesparlamente beisolchen Grundgesetzänderungen, durch die Gegen-stände der ausschließlichen oder konkurrierenden Ge-setzgebungszuständigkeit des Bundes ergänzt odererweitert werden.

Zur Verwirklichung dieses Vorschlags schlägt dieEnquete-Kommission vor, die unter 1.b dargestellteEmpfehlung eines neuen Art. 79 Abs. 2 a GG nochdahingehend zu ergänzen, dass in dessen Satz 1 vorden Worten „der Europäischen Union“ die Worte„dem Bund oder“ eingefügt werden.

– Mehrheitlich mit 13 Stimmen bei einer Gegenstim-me angenommen –

Begründung:

Die bisherige Verfassungspraxis hat gezeigt, dass dieMitwirkung des Bundesrates allein bei Änderungendes Grundgesetzes, durch die die Gesetzgebungs-kompetenzen des Bundes zu Lasten der Kompetenzender Länder ausgeweitet wurden, die Aushöhlung derKompetenzen der Länder und damit auch der Länder-parlamente nicht verhindern konnte. Deshalb hält esdie Enquete-Kommission mehrheitlich für sinnvoll,derartige verfassungsändernde Gesetze an die Zu-stimmung nicht nur von zwei Dritteln der Stimmendes Bundesrates, sondern gleichzeitig auch an die Zu-stimmung der Mehrheit der Landesparlamente zu bin-den. Dem Einwand, durch die Einschaltung der Lan-desparlamente werde die Gesetzgebung des Bundesüber Gebühr verzögert, wird dadurch begegnet, dassdie Zustimmung der Landesparlamente nach Ablaufeiner Frist von drei Monaten fingiert wird.

Ein Mitglied der Kommission vertrat die Auffassung,dass das Verfahren der verfassungsändernden Gesetz-gebung in Art. 79 Abs. 2 GG geregelt sei und die Län-der danach nur über den Bundesrat an Grundge-setzänderungen mitwirken können. Problematisch seiauch, dass dadurch das Verfahren bei Verfassungsän-derungen verkompliziert und mangels einer Stim-mengewichtung die kleineren Länder die größeren

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majorisieren könnten. Die Mehrheit der Kommissionteilte diese Bedenken jedoch nicht.

2. d) Kann das Abstimmungsverhalten der Landesregie-rungen im Bundesrat an Beschlüsse der jeweiligenLandesparlamente gebunden werden?

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dassdie jeweiligen Landesparlamente nach geltendemVerfassungsrecht des Bundes und des Freistaats Bay-ern weder selbst den Vertretern der Landesregierun-gen im Bundesrat Weisungen erteilen, noch die Lan-desregierungen zur Erteilung von bestimmten Wei-sungen verpflichten können.

Jedoch handelt die Staatsregierung im Rahmen ihrerparlamentarischen Verantwortlichkeit.

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Mit den Verfassungsgrundsätzen der Gewaltentei-lung und des parlamentarischen Regierungssystemsist eine rechtliche oder faktische Bindung der Lan-desregierung an Entschließungen der jeweiligenLandtage oder parlamentarische Weisungen unver-einbar. Im Übrigen wäre nach Auffassung der En-quete-Kommission eine solche rechtliche Bindungnicht wünschenswert, weil dadurch die Flexibilitätder Landesregierungen bei Verhandlungen leiden unddie Staatsleitung geschwächt werden würde.

3. Föderalismus und Staatsfinanzen

3. a) Ist eine Änderung der Bund-Länder-Finanzbeziehun-gen notwendig? Wie könnten geänderte Strukturenaussehen?

Nach dem ursprünglich vom Grundgesetz vorgesehe-nen Trennsystem lagen die Gesetzgebungskompetenzund Ertragshoheit für die Zölle, die meisten Ver-brauchsteuern und die Umsatzsteuer beim Bund, fürdie Einkommen- und Körperschaftsteuer dagegen beiden Ländern. Mit den Finanzreformen von 1955 und1969 wurde diese Einteilung weitgehend durch einVerbundsystem ersetzt und dem Bund eine umfassen-de konkurrierende Steuergesetzgebungskompetenzeingeräumt. Hiervon hat der Bund in weitem UmfangGebrauch gemacht. Selbst die Steuern, die aus-schließlich den Ländern bzw. Gemeinden zufließen,sind gegenwärtig nahezu ausnahmslos bundesgesetz-lich geregelt. Hinzu kommt, dass Gesetzgebungs-kompetenz und Finanzierungsverantwortung im Be-reich der Bundesgesetzgebung nach dem in Art. 104a Abs. 1 GG geregelten Prinzip der Aufgabenkonne-xität weitgehend auseinander fallen, da die Ländergrundsätzlich Bundesgesetze als eigene Angelegen-heit vollziehen und hierfür die Lasten zu tragen ha-ben. Dadurch werden insgesamt die Leistungsfähig-keit und die Eigenverantwortung der Länder sowie

föderaler Wettbewerb zwischen den Ländern einge-schränkt. Klare Verantwortlichkeiten sind für dieBürgerinnen und Bürger kaum mehr erkennbar. Diesschadet dem bundesstaatlichen Gefüge.

Eine wettbewerbsorientierte Neuordnung der Finanz-verfassung erfordert eine Stärkung der Länderkompe-tenzen. Damit ist gleichzeitig auch eine Stärkung derLandesparlamente verbunden. Ziel einer Reformmuss die Stärkung der Leistungsfähigkeit und der Ei-genverantwortung der Länder sein.

Dringend notwendig ist auch, wie das Bundesverfas-sungsgericht in seinem Urteil vom 11. November1999 klar herausgestellt hat, eine Neuordnung desLänderfinanzausgleichs. Jedes Land muss einen stär-keren Anreiz zur Pflege und Ausschöpfung seinerSteuerquellen haben. Von zusätzlichen Steuereinnah-men muss ein größerer Eigenanteil bei den Ländernverbleiben als nach dem bisherigen System, das zu ei-ner fast gänzlichen Nivellierung der Finanzkraft derLänder geführt hat.

Die Enquete-Kommission schlägt daher eine Reformder Finanzverfassung vor, die sich an folgendenGrundsätzen orientiert:

• Entflechtung und Transparenz: Die eindeutige Zu-ordnung der Steuergesetzgebungskompetenzen undder Ertragshoheit stärkt die Handlungsfähigkeit derPolitik und macht politische Entscheidungen auchin ihren finanziellen Auswirkungen für die Bürge-rinnen und Bürger durchschaubarer.

• Subsidiarität: Die verstärkte Zusammenführungvon Steuergesetzgebungskompetenzen und Aufga-benwahrnehmung auf der jeweils zuständigenstaatlichen Ebene kann problemnahe politische Lö-sungen fördern und klare Verantwortlichkeitenschaffen.

• Solidarischer Wettbewerb: Eigene finanzpolitischeGestaltungsmöglichkeiten der Länder führen dazu,dass sich Erfolge und Misserfolge der Landespoli-tik in der Steuerbelastung für die Bevölkerung zei-gen. Die solidargemeinschaftliche Mitverantwor-tung eines jeden Landes für die Existenz und Ei-genständigkeit der anderen Bundesländer soll aller-dings erhalten bleiben und ruinösen Standortwett-bewerb begrenzen.

Im Einzelnen empfiehlt die Enquete-Kommissionfolgende Maßnahmen:

• Die stärkere Zusammenführung von Gesetzge-bungskompetenzen und Finanzierungsverantwor-tung bei gleichzeitiger Beibehaltung des Prinzipsder Aufgabenkonnexität (Art. 104 a Abs. 1 GG) imWege einer Stärkung der Gesetzgebungskompeten-zen der Länder und der Einführung einer verbindli-chen Mitfinanzierungsquote des Bundes bei Geld-leistungsgesetzen des Bundes von mindestens 50 %(Art. 104 a Abs. 3 GG).

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• Die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben Aus-bau und Neubau von Hochschulen einschließlichder Hochschulkliniken, Verbesserung der regiona-len Wirtschaftsstruktur und Verbesserung derAgrarstruktur und des Küstenschutzes (Art. 91 aGG) und der Gemeinschaftsaufgabe Bildungspla-nung (Art. 91 b 1. Alternative GG) bei voller Kom-pensation der ausfallenden Bundesmittel.

• Die Streichung der Finanzhilfen des Bundes zurAbwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichenGleichgewichts und zur Förderung des wirtschaftli-chen Wachstums (Art. 104 a Abs. 4 1. und 3. Alter-native GG) bei voller Kompensation der ausfallen-den Bundesmittel.

• Die Stärkung der Steuerautonomie der Länder imWege einer Änderung von Art. 105 GG durch Ein-räumung des Rechts, auf der Grundlage bundesein-heitlicher Bemessungsgrundlagen einen eigenenSteuersatz auf die Einkommensteuer und auf dieje-nigen Steuern festzusetzen, bei denen ihnen bereitsnach derzeitiger Rechtslage die Ertragshoheit zu-steht.

Soweit zur Verwirklichung der Empfehlungen eineÄnderung des Grundgesetzes erforderlich ist, emp-fiehlt die Enquete-Kommission dem Landtag, dieStaatsregierung aufzufordern, die notwendigen Initia-tiven im Bundesrat einzubringen.

– Einverständnis ohne Gesamtabstimmung. Die Be-gründung der einzelnen Empfehlungen zu diesemFragenkomplex wird im Folgenden dargestellt. Des-halb wird an dieser Stelle auf eine Begründung ver-zichtet –

3. b) Ist es sinnvoll – generell oder nach Einzelbereichenaufgegliedert –, den Grundsatz aufzustellen Entschei-dungskompetenz und Finanzverantwortung gehörenzusammen, und wie kann dieser ggf. umgesetzt wer-den?

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dassGesetzgebungskompetenz und Finanzierungsverant-wortung stärker zusammengeführt werden müssen.Eine Änderung des in Art. 104 a Abs. 1 GG geregel-ten Grundsatzes der Aufgabenkonnexität hält die En-quete-Kommission jedoch nicht für zielführend. Umeine stärkere Verknüpfung von Gesetzgebungskom-petenz und Finanzierungsverantwortung herzustellen,sollen vielmehr die Gesetzgebungskompetenzen derLänder gestärkt werden (siehe hierzu oben unter 2.b,2.e, 2.f I.).

Die Enquete-Kommission empfiehlt, die in Art. 104 aAbs. 3 GG geregelte Kostenbeteiligung des Bundesim Bereich der Geldleistungsgesetze nicht wie bisherdem Belieben des Bundesgesetzgebers zu überlassen,zumal den Ländern in diesen Fällen keine wesentli-chen Entscheidungsspielräume bei der Ausführung

der Gesetze verbleiben. Sie schlägt deshalb vor, eineverbindliche Mitfinanzierungsquote des Bundes vonmindestens 50 % einzuführen.

Die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetzfallen nach bisheriger Rechtslage nicht unter die Be-stimmung des Art. 104 a Abs. 3 GG. Die Enquete-Kommission ist aber der Auffassung, dass der Bundverpflichtet sein soll, für diese von ihm bundesge-setzlich vorgeschriebenen, äußerst kostenintensivenLeistungen in dem in Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG vor-gesehenen Umfang aufzukommen.

Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG soll danach wie folgt lau-ten:

„Bundesgesetze, durch die oder aufgrund derer Geld-leistungen gewährt und die von den Ländern ausge-führt werden, müssen bestimmen, dass mindestensdie Hälfte der Ausgaben vom Bund getragen wird.“

Die Enquete-Kommission schlägt darüber hinaus vor,Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG dahingehend zu ändern,dass das Geldleistungsgesetz des Bundes erst bei ei-ner Mitfinanzierungsquote des Bundes von mindes-tens 75 % im Auftrag des Bundes durchgeführt wird.

Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG soll danach wie folgt lau-ten:

„Bestimmt das Gesetz, dass der Bund drei Viertel derAusgaben oder mehr trägt, wird es im Auftrag desBundes durchgeführt.“

– Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Art. 83 Abs. 1 GG sieht vor, dass Bundesgesetze inder Regel von den Ländern als eigene Angelegenhei-ten vollzogen werden. Die Länder haben damit eineumfassende Verwaltungszuständigkeit und regelngrundsätzlich die Einrichtung der Behörden sowiedas Verwaltungsverfahren (Art. 84 GG). Das in Art.104 a Abs. 1 GG enthaltene Prinzip der Aufgaben-konnexität bestimmt nun, dass Bund und Länder ge-sondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahr-nehmung ihrer Aufgaben – gemeint sind Verwal-tungsaufgaben – ergeben. Dies hat zur Folge, dass dieLänder im Wesentlichen (Ausnahmen: Auftragsver-waltung nach Art. 104 a Abs. 2 GG, Geldleistungsge-setze des Bundes nach Art. 104 a Abs. 3 GG, Finanz-hilfen des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 GG sowieGemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a, b GG) dieAusgabenlast bzw. Finanzierungsverantwortung fürdie Ausführung von Aufgaben tragen, obwohl dieseaufgrund der umfassenden Gesetzgebungskompetenzdes Bundes jeweils durch Gesetze des Bundes veran-lasst sind. Entscheidungs- bzw. Gesetzgebungskom-petenz und Verwaltungs- bzw. Finanzierungsverant-wortung fallen damit im Bereich der Bundesgesetz-gebung weitgehend auseinander.

Die Kommission hat sich ausführlich mit der Fragebefasst, ob und ggf. wie die Verantwortung für die Fi-nanzierung der Aufgaben stärker mit der Gesetzge-

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bungskompetenz verknüpft werden kann. Als wei-testreichender Vorschlag wurde zunächst die Ein-führung des Prinzips der Gesetzeskonnexität disku-tiert. Diese hätte zur Folge, dass der jeweilige Ge-setzgeber nach dem Motto „Wer anschafft, zahlt“ dieFinanzierung aller mit der Ausführung seiner Gesetzeverbundenen Ausgaben zu tragen hätte. Der Bundhätte folglich den Ländern sämtliche Kosten zu er-statten, die durch die Ausführung von Bundesgeset-zen verursacht sind (mit Ausnahme der in Art. 104 aAbs. 5 GG geregelten Verwaltungsausgaben). DiesesModell, dem die derzeitige Verfassungsrechtslageentgegensteht, fand jedoch in der Kommission keinemehrheitliche Unterstützung. Es würde dazu führen,dass die Länder freie Mittel gegen zweckgebundeneZuweisungen eintauschen würden. Der erhebliche Fi-nanzierungsaufwand hätte eine massive Umleitungvon Finanzströmen auf den Bund zur Folge. Dieswürde nach mehrheitlicher Meinung der Kommissiondie Dominanz des Bundes weiter stärken und damitdie Länder insgesamt schwächen.

Ein Mitglied der Kommission vertrat die Auffassung,dass weitergehende Mitfinanzierungspflichten bereitsin Art. 104 a Abs. 1 GG festgelegt werden sollten, so-weit es generell bundesrechtliche Leistungen an Drit-te und detaillierte Verwaltungsvorschriften betrifft.Andererseits ergeben sich für den Bundesgesetzgeberkeine Anreize, den ausführenden Ländern hinreichen-de eigene Spielräume im Vollzug einzuräumen, wel-che eine effiziente Aufgabenwahrnehmung im föde-rativen Staat sichern würden. Nach Ansicht des Kom-missionsmitglieds trifft es auch nicht zu, dass einestärkere Verknüpfung der Finanzierungspflicht mitder Gesetzgebungskompetenz zu der befürchtetenZentralisierung der Mittel führen würde. Bei einerÜbertragung des Status quo in andere, verursa-chungsgerechtere Finanzierungsregeln würde zu-nächst ein höheres Maß an Transparenz erzielt; mit-tel- und längerfristig würden allerdings überhaupt ersternst zu nehmende und wirksame Anreize zu einer(Re-)Dezentralisierung von Gestaltungskompetenzenauf die Länder entstehen.

Dieser Vorschlag fand aber in der Kommission auf-grund von unter anderem verfassungssystematischenBedenken keine Zustimmung. Die in Art. 84 Abs. 1GG geregelte Zustimmungsbedürftigkeit stellt nachAuffassung der Mehrheit der Kommission kein ge-eignetes Auslösungsmoment für die Kostentragungs-pflicht dar. Die Forderung, eine umfassende Kosten-erstattung bundesgesetzlich verursachter Leistungenan Dritte einzuführen, wurde mit denselben Argu-menten abgelehnt wie die Einführung des Prinzips derGesetzeskonnexität.

Andererseits schlägt die Kommission übereinstim-mend eine Änderung von Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GGvor. Diese Bestimmung enthält eine Durchbrechungdes Grundsatzes der Aufgabenkonnexität und regelt,dass Bundesgesetze, die Geldleistungen gewährenund von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen

können, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teilvom Bund getragen werden. Die Kommission ist derAuffassung, dass es im Bereich der Geldleistungsge-setze des Bundes nicht dem Belieben des Bundesge-setzgebers überlassen bleiben darf, ob und in welcherHöhe er sich an den Kosten beteiligt. Deshalb emp-fiehlt die Kommission, durch Änderung von Art.104 a Abs. 3 Satz 1 GG eine verbindliche Mitfinan-zierungsquote des Bundes von mindestens 50 % fest-zulegen.

Des Weiteren beschäftigte sich die Kommission aus-führlich mit der Finanzierung der äußerst kostenin-tensiven Sozialhilfeleistungen. Die Kommission kamdarin überein, dass der Bund nach Maßgabe des neugestalteten Art. 104 a Abs. 3 Satz 1 GG zu einer min-destens hälftigen Mitfinanzierung herangezogen wer-den soll. Um die Leistungen nach dem Bundessozial-hilfegesetz in den Regelungsbereich des Art. 104 aAbs. 3 Satz 1 GG einzubeziehen, muss allerdings ei-ne weitere Änderung dieser Bestimmung vorgenom-men werden, da die Sozialhilfe nach herrschenderAuffassung keine Geldleistung durch Bundesgesetzist, sondern nur aufgrund eines Bundesgesetzes ge-währt wird. Deshalb hielt es die Kommission für not-wendig, eine entsprechende Umformulierung („Bun-desgesetze, durch die oder aufgrund derer Geldleis-tungen gewährt ...“) zu empfehlen.

Nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG wird ein Bundes-geldleistungsgesetz im Auftrag des Bundes ausge-führt, wenn es bestimmt, dass der Bund mindestensdie Hälfte der Ausgaben trägt. Eine verbindliche Mit-finanzierungsquote des Bundes von mindestens 50 %hätte also zwangsläufig die Ausführung des Gesetzesin Auftragsverwaltung zur Folge. Damit würde dieVerwaltungskompetenz der Länder im Bereich derLeistungsverwaltung geschwächt. Die Kommissionhält es deshalb für erforderlich, die Schwelle zur Bun-desauftragsverwaltung auf 75 % anzuheben undArt. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG entsprechend zu ändern.

Nach Art. 104 a Abs. 3 Satz 3 GG bedarf ein Bundes-geldleistungsgesetz, das den Ländern ein Viertel derAusgaben oder mehr auferlegt, der Zustimmung desBundesrates. Ein Mitglied der Kommission schlugvor, das Erfordernis der Zustimmung des Bundesratesnicht auf die Fälle zu beschränken, in denen die Län-der mindestens ein Viertel der Ausgaben zu tragenhaben. Vielmehr solle die Zustimmungspflicht schonunterhalb dieser Grenze, und zwar bei jedweder Kos-tenbeteiligung der Länder, einsetzen. Dieser Vor-schlag fand jedoch in der Kommission keine Mehr-heit. Er hätte eine erhebliche Ausweitung des Zustim-mungserfordernisses zur Folge und würde der Ziel-setzung einer Entflechtung und klaren Trennung derVerantwortlichkeiten zuwiderlaufen.

3. c) Wie kann der zunehmenden Vermischung von Aufga-ben, Einnahmen und Ausgaben von Bund und Län-dern entgegengewirkt werden?

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2. g) In welchen Bereichen sind im Verhältnis zwischenBund, Ländern und Kommunen Mischzuständigkeitenabzuschaffen? Welche Auswirkungen muss dies ggf.auf den bundesstaatlichen Finanzausgleich und aufden kommunalen Finanzausgleich haben?

Empfehlung:

Die Enquete-Kommission schlägt vor, die Gemein-schaftsaufgaben Ausbau und Neubau von Hochschu-len einschließlich der Hochschulkliniken, Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur und Verbes-serung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes ab-zuschaffen und zu diesem Zweck Art. 91 a GG er-satzlos zu streichen.

Außerdem spricht sich die Enquete-Kommission füreine Abschaffung der in Art. 91 b GG geregelten Ge-meinschaftsaufgabe Bildungsplanung aus.

Hinsichtlich der in Art. 104 a Abs. 4 GG geregeltenFinanzhilfen des Bundes empfiehlt die Enquete-Kommission, die Alternative 1 (Finanzhilfen zur Ab-wehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichenGleichgewichts) und Alternative 3 (Finanzhilfen zurFörderung des wirtschaftlichen Wachstums) des Art.104 a Abs. 4 GG ersatzlos zu streichen. Für Finanz-hilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschafts-kraft im Bundesgebiet (Alternative 2 des Art. 104 aAbs. 4 GG) besteht aber gerade auch im Hinblick aufdie Situation in den ostdeutschen Ländern weiterhinBedarf.

Die Rückführung der Mischfinanzierungen darf abernicht dazu führen, dass sich der Bund einseitig aus derFinanzierung zurückzieht. Vielmehr müssen die aus-fallenden Bundesmittel ausgeglichen werden, damitden Ländern bei der alleinigen Wahrnehmung der bis-her gemeinsam finanzierten Aufgaben keine finanzi-ellen Verluste entstehen.

Die Enquete-Kommission spricht sich deshalb dafüraus, für eine Übergangszeit der Kompensation ein dy-namisiertes Festbetragsmodell zugrunde zu legen.Dabei soll das Volumen der bisherigen Bundesmittelden Ländern entsprechend ihrer bisherigen Anteileals Festbetrag gewährt werden. Danach empfiehlt dieEnquete-Kommission den Übergang auf eine Vertei-lung der Bundesmittel über eine Erhöhung der Um-satzsteuerpunkte.

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Mischfinanzierungen begrenzen die Eigenstaatlich-keit der Länder, da damit immer auch eine Mitwir-kung durch den Bund verbunden ist und somit dieEntscheidungsverantwortung der Länder bei der Er-füllung ihrer eigenen Aufgaben eingeschränkt wird.Aufgrund der Notwendigkeit, zwischen Bund und al-len Ländern einen Konsens über die Verwendung derfür die Gemeinschaftsaufgaben eingesetzten Mittelherzustellen, besteht zudem die Gefahr einer Politikdes kleinsten gemeinsamen Nenners. Damit und

durch den faktischen Zwang für die Länder, zur Er-langung von Bundesmitteln Komplementärmittel ausden Landeshaushalten bereitzustellen, gehen landes-politische Gestaltungsspielräume verloren. Mischfi-nanzierungen führen zudem zu erheblichem Verwal-tungsaufwand und Inflexibilität sowie zu zeitlichenVerzögerungen bei der Ausführung der Vorhaben.Deshalb spricht sich die Enquete-Kommission ein-stimmig für eine weitgehende Abschaffung der Ge-meinschaftsaufgaben aus. Dies dient der Entflechtungder Finanzbeziehungen und der klaren Zuweisungvon Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Län-dern und stärkt damit letztlich auch die Landesparla-mente. Lediglich die Förderung von Einrichtungenund Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung vonüberregionaler Bedeutung (Art. 91 b 2. Alternative)soll weiterhin als Gemeinschaftsaufgabe ausgestaltetsein, weil durch das geregelte Verfahren die Unab-hängigkeit der Forschung von konkreten Interes-seneinmischungen der Zuwendungsgeber gewähr-leistet wird. Außerdem erfordern überregionale For-schungseinrichtungen einen immensen Finanzie-rungsaufwand, der von einem Land allein kaum ge-tragen werden kann. Die Aufrechterhaltung der Ge-meinschaftsaufgabe in diesem Bereich sichert dieweitere Finanzierbarkeit dieser Einrichtungen.

Über die Gewährung von Finanzhilfen nimmt derBund nicht unwesentlich Einfluss auf Art und Um-fang der Investitionstätigkeit der Länder. Diese Inge-renz mit dem „goldenen Zügel“ muss aus föderalerSicht reduziert werden. Deshalb spricht sich dieKommission für eine Streichung der in Art. 104 aAbs. 4 1. und 3. Alternative GG geregelten Finanzhil-fen zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftli-chen Gleichgewichts und zur Förderung des wirt-schaftlichen Wachstums aus. Allgemeine wirtschafts-politische Ziele des Bundes sollten nicht zu einer Mit-finanzierung von Länderaufgaben ermächtigen. Da-gegen besteht für Finanzhilfen zum Ausgleich unter-schiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet (Art.104 a Abs. 4 2. Alternative GG) gerade auch im Hin-blick auf die Situation in den ostdeutschen Ländernsowie im Fall anderer regionaler Strukturkrisen wei-terhin Bedarf. Sie sollten deshalb auch zukünftig wei-terhin gewährt werden können.

Die Abschaffung der genannten Gemeinschaftsaufga-ben und Finanzhilfen des Bundes darf jedoch nicht zufinanziellen Verlusten für die Länder führen. DerBund darf deshalb die Finanzierung dieser Aufgabenden Ländern nicht kompensationslos überlassen. DenLändern ist vielmehr ein dauerhafter Ausgleich fürdie alleinige Erfüllung der bislang gemeinsam finan-zierten Aufgaben zu gewähren. Die Kommission hatsich ausführlich mit verschiedenen Kompensations-modellen befasst. Von einem Mitglied der Kommissi-on wurde vorgeschlagen, das bisher vom Bund imRahmen der Gemeinschaftsaufgaben eingesetzte Fi-nanzvolumen nach Maßgabe bestimmter Indikatorenregelgebunden fortzuschreiben. So sei z.B. im Be-

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reich der Hochschulbauförderung die Zahl derStudierenden ein geeigneter Verteilungsmaßstab,während im Rahmen der Förderung der regionalenWirtschaftsstruktur das Bruttoinlandsprodukt oderdie Zahl der Erwerbstätigen je Einwohner herangezo-gen werden könnte. Die Mehrheit der Kommissionkonnte sich diesem Modell indikatorabhängiger Pau-schalzuweisungen jedoch nicht anschließen, da mitden jeweiligen Kriterien und Zahlen die Gefahr vonVerteilungsstreitigkeiten verbunden wäre. Die Kom-mission favorisierte demgegenüber mehrheitlich einedynamisierte Festbetragsregelung. Dabei wird dasVolumen der wegfallenden Mischfinanzierungen denLändern entsprechend ihrer bisherigen – über einenmehrjährigen Referenzzeitraum festgestellten – An-teile als Festbetrag gewährt und dieser nach einem be-stimmten Faktor dynamisiert. Die Kommissionschlägt weiter vor, nach einem noch näher zu bestim-menden Übergangszeitraum auf eine Verteilung derBundesmittel über eine Erhöhung der Umsatzsteuer-punkte überzugehen.

Ein Mitglied der Kommission vertrat die Auffassung,dass die Bestimmungen über die Gemeinschaftsauf-gaben und Finanzhilfen in Art. 91 a, 91 b und 104 aAbs. 4 GG zwar komplett gestrichen, deren wesentli-che Tatbestände aber in einem neuen Art. 104 b GGgeregelt werden sollten. Die von der Kommissionempfohlene Abschaffung bestimmter Gemeinschafts-aufgaben und Finanzhilfen lasse nämlich den Ein-druck entstehen, dass der Bund zukünftig verfas-sungsrechtlich nicht mehr berechtigt sei, den Ländernin diesen kostenintensiven Bereichen Investitionshil-fen zu gewähren. Der Bund solle aber weiterhin dieMöglichkeit haben, insbesondere zum Ausgleich un-terschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet, zurFörderung des wirtschaftlichen Wachstums, zur Ver-besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und derAgrarstruktur, zum Ausbau und Neubau von Hoch-schulen einschließlich der Hochschulkliniken und zurFörderung von Einrichtungen und Vorhaben der wis-senschaftlichen Forschung von überregionaler Be-deutung an die Länder Finanzhilfen zu leisten. Dota-tionsauflagen wären dabei nach dieser Vorschrift aus-drücklich unzulässig. Da es dem Bund damit ver-wehrt wäre, die Gewährung seiner Finanzhilfen miteiner Zweckbindung zu verknüpfen, bestünde auchnicht die Gefahr einer Vermischung von Verantwort-lichkeiten.

Die Kommission konnte sich diesem Vorschlag je-doch nicht anschließen. Er ist nach Auffassung derKommission mit der Zielsetzung einer möglichstweitgehenden Entflechtung nicht vereinbar. Auch oh-ne ausdrückliche Dotationsauflagen bliebe der Ein-fluss des Bundes auf die Erledigung von Landesauf-gaben bestehen. Dies wäre im Hinblick auf die beab-sichtigte Stärkung der Länder und der Landesparla-mente kontraproduktiv.

Ein Mitglied der Kommission schlug schließlich eineErgänzung von Art. 104 a Abs. 4 GG um eine Aussa-

ge über die Finanzierung des Solidarpaktes II vor. Da-nach soll der Solidarpakt II künftig verstärkt über dieweiterhin verbleibende Bundeszuständigkeit für Fi-nanzhilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirt-schaftskraft im Bundesgebiet finanziert werden, weilwegen der Zweckbindung der Finanzhilfen gezieltereHilfen möglich seien als mit Sonderbedarfsergän-zungszuweisungen, die zur zweckfreien Verwendungin den allgemeinen Haushalt fließen. Diese Thematikwurde jedoch nicht weiter vertieft, da sie nach Auf-fassung der Kommission über den Untersuchungsauf-trag hinausgeht.

3. d) Soll im Verhältnis zwischen Bund und Ländern einestärkere Verknüpfung zwischen Aufgabenzuständig-keit, Ausgabenlast und Ertragshoheit hergestellt wer-den? Wie kann dies ggf. erfolgen?

Empfehlung:

Zur Stärkung der Steuerautonomie der Länder schlägtdie Enquete-Kommission vor, den Ländern das Rechteinzuräumen, auf der Grundlage bundeseinheitlicherBemessungsgrundlagen einen eigenen Steuersatz aufdie Einkommensteuer und auf diejenigen Steuernfestzusetzen, bei denen ihnen bereits nach derzeitigerRechtslage die Ertragshoheit zusteht. Zur Verwirkli-chung dieses Vorschlags soll Art. 105 GG wie folgtgeändert werden:

Art. 105 Abs. 1 GG erhält folgende Fassung:

„Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung überdie Zölle und Finanzmonopole sowie über die Steu-ern, deren Aufkommen ihm nach Art. 106 Abs. 1 zu-steht.“

Art. 105 Abs. 2 GG erhält folgende Fassung:

„Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung überdie Bemessungsgrundlagen der Einkommensteuerund derjenigen Steuern, deren Aufkommen nach Art.106 Abs. 2 GG den Ländern zusteht.“

Es wird folgender Art. 105 Abs. 3 GG eingefügt:

„Bund, Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände)haben das Recht, einen Steuersatz auf die Bemes-sungsgrundlage der Einkommensteuer festzusetzen.Das Nähere regelt ein Gesetz, welches der Zustim-mung des Bundesrates bedarf. Die Länder haben dasRecht, einen Steuersatz auf die Steuern, deren Auf-kommen ihnen nach Art. 106 Abs. 2 zusteht, festzu-setzen.“

Es wird folgender Art. 105 Abs. 4 GG eingefügt:

„Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung überdie übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen die-ser Steuern zum Teil zusteht.“

Der bisherige Art. 105 Abs. 2 a GG wird zu Art. 105Abs. 5 GG.

Es wird folgender neuer Art. 105 Abs. 6 GG einge-fügt:

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„Bundesgesetze über die Bemessungsgrundlage vonSteuern gemäß Abs. 2 sowie über Steuern, deren Auf-kommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemein-deverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfender Zustimmung des Bundesrates.“

– Allseitiges Einverständnis ohne Abstimmung –

Begründung:

Föderalismus setzt auch im Bereich der Steuern ori-ginäre Gesetzgebungskompetenzen der Länder vonsubstanziellem Gewicht voraus. Nur so können sie ih-rer Verantwortung für Art und Umfang des öffentli-chen Leistungsangebots und für die wirtschaftlicheEntwicklung in ihrem Bereich gerecht werden. DieForderung nach mehr Steuerautonomie für die Ländersteht unter der Prämisse, dass es kein Ansteigen derSteuerbelastung der Bürger und Unternehmen gebendarf.

Die Staatspraxis in der Bundesrepublik Deutschlandhat sich von dieser Zielsetzung immer weiter entfernt.Die Länder verfügen kaum noch über eigene Be-steuerungsrechte. Selbst die Steuern, die ausschließ-lich den Ländern bzw. Gemeinden zufließen, sind ge-genwärtig fast ausnahmslos bundesgesetzlich gere-gelt. Auf der anderen Seite haben die Länder aber ne-ben ihren eigenen Aufgaben grundsätzlich auch dieGesetze des Bundes zu vollziehen und dies zu finan-zieren.

Die Enquete-Kommission hat sich ausführlich mit derFrage befasst, wie die steuerpolitischen Gestaltungs-möglichkeiten der Länder gestärkt werden können.Eigene Gesetzgebungskompetenzen in diesem Be-reich würden eine wichtige Materie der Politik in dieLandesparlamente bringen und sie dadurch wiederstärker in den Mittelpunkt des öffentlichen politi-schen Interesses stellen.

Zunächst wurde der Vorschlag erwogen, zu dem ur-sprünglich vom Grundgesetz vorgesehenen Trenn-system zurückzukehren, also dem Bund insbesonderedie Gesetzgebungskompetenz und die alleinige Er-tragshoheit über die Umsatzsteuer, den Ländern überdie Einkommen- und Körperschaftsteuer zu übertra-gen. Dieses Modell wie auch die umgekehrte Kon-zeption wurde aber aus verschiedenen Gründen ein-hellig abgelehnt.

Allseitige Zustimmung fand dagegen der Vorschlag,den Ländern und Gemeinden das Recht einzuräumen,einen eigenen Steuersatz auf die Einkommensteuerfestzusetzen, deren Bemessungsgrundlage aber bun-desgesetzlich einheitlich gestaltet sein soll. Bund,Länder und Gemeinden können demnach nebenein-ander, d.h. unabhängig voneinander, mit ihrem indi-viduellen Steuersatz auf die volle einheitliche Bemes-sungsgrundlage zugreifen, wobei die Kommission fürLänder und Gemeinden einen proportionalen Steuer-satz empfiehlt, während der Bund – wie bisher – ei-nen progressiven Tarif erheben darf. Dieses Modellbürgt für größtmögliche Transparenz, da jeder steuer-

pflichtige Bürger seinem Einkommensteuerbescheidentnehmen kann, welcher Anteil seiner Steuerbelas-tung auf den Bund, das Land und seine Gemeinde ent-fällt.

Ausführlich problematisiert wurde die Frage, wie sichdie konkurrierenden Zugriffsrechte bzw. die Anteilevon Bund, Ländern und Gemeinden zueinander ver-halten. Insbesondere wurde diskutiert, ob es zur Ver-meidung von Steuerdumping der gesetzlichen Festle-gung von Mindeststeuersätzen bedarf oder ob Ober-grenzen bestimmt werden müssen, um die Gesamtbe-lastung für die Bürger zu begrenzen und die Gestal-tungsspielräume der anderen Steuergläubiger nicht zubeschneiden. Die Kommission kam schließlich zumErgebnis, dass Höchststeuersätze weder verfassungs-rechtlich noch einfach-gesetzlich geregelt werdensollen. Sie ist der Ansicht, dass sich die drei konkur-rierenden Steuergesetzgeber jeweils im Kontext derprinzipiellen Vorgaben verhalten und weder zu Las-ten der Bürger noch zu Lasten der jeweils anderenSteuergesetzgeber eine übermäßige Besteuerung vor-nehmen. In ihrer Auffassung wird die Kommissionauch durch einen Blick auf andere Staaten bestärkt,die ebenfalls autonome Steuergesetzgebungsrechteauf allen drei föderativen Ebenen kennen und jeweilseine niedrigere Steuerbelastung haben als in Deutsch-land. Die Kommission ist vom Funktionieren der re-gulativen Mechanismen der repräsentativen Demo-kratie überzeugt, in der sich jeder Gesetzgeber regel-mäßig zur Wahl stellen und seine Politik, und dasheißt auch die Höhe der jeweiligen zur Finanzierungder Ausgaben notwendigen Steuern, gegenüber denWählern verantworten muss.

Die Kommission sieht auch keine Notwendigkeit füreine gesetzliche Festlegung von Mindeststeuersätzen.In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage erör-tert, ob und wie sich die individuellen Gestaltungs-möglichkeiten der Länder in Bezug auf die Höhe ih-rer Steuereinnahmen auf den Länderfinanzausgleichauswirken. In der Kommission bestand Einigkeit dar-in, dass sich Länder, die besonders niedrige Steuer-sätze festsetzen, nicht im Wege des Länderfinanzaus-gleichs refinanzieren und dadurch die Steuerausfälleihrer Niedrigsteuerpolitik zu Lasten anderer Länderkompensieren können. Insoweit empfiehlt die En-quete-Kommission, im Rahmen des Länderfinanz-ausgleichs auf einen fiktiven mittleren Steuersatz ab-zustellen, also die Finanzkraft eines Landes nichtnach Maßgabe seiner tatsächlichen Steuereinnahmenzu bemessen, sondern nach der Durchschnittszahl derLandessteuern.

Darüber hinaus enthält der Vorschlag der Enquete-Kommission zur Stärkung der Steuerautonomie derLänder auch das Recht der Länder, auf der Grundlageeiner bundeseinheitlichen Bemessungsgrundlage ei-nen eigenen Steuersatz auf diejenigen Steuern festzu-setzen, bei denen ihnen bereits nach derzeitigerRechtslage die alleinige Ertragshoheit zusteht. Diessind die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die

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Kraftfahrzeugsteuer, gewisse Verkehrsteuern, dieBiersteuer und die Abgabe von Spielbanken (Art. 106Abs. 2 GG). Die Kommission vermag keine überzeu-genden Gründe zu erkennen, weshalb bei diesen Steu-ern Gesetzgebungs- und Ertragshoheit auseinander-fallen sollten.

3. e) Welche Auswirkungen auf die Landesparlamente ha-ben gegebenenfalls zusätzliche Zuständigkeiten derLänder und ein geänderter Länderfinanzausgleich?Wie wäre hierauf zu reagieren?

Empfehlung:

– keine –

Begründung:

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgebermit Urteil vom 11. November 1999 eine Neuordnungdes Länderfinanzausgleichs aufgegeben. Dieser Ver-pflichtung wurde mit dem Gesetz über verfassungs-konkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Vertei-lung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanz-ausgleich unter den Ländern sowie für die Ge-währung von Bundesergänzungszuweisungen (Maß-stäbegesetz -MaßstG-) vom 9. September 2001 unddem Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zurNeuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichsund zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“(Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) vom 20. De-zember 2001 Rechnung getragen.

Die Enquete-Kommission hat sich ausführlich mit derReform des Länderfinanzausgleichs befasst. Sie siehtjedoch nach zwischenzeitlich erfolgtem Inkrafttretendes Maßstäbegesetzes von Empfehlungen zu dieserThematik ab.

4. Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung

Soll im Verhältnis zwischen Land, Bezirken, Land-kreisen und Gemeinden eine stärkere Verknüpfungvon Aufgabenzuständigkeit, Ausgabenlast und Steu-erertragshoheit hergestellt werden, und wie kann diesgegebenenfalls geschehen? Ist hierzu eine rechtlicheVerankerung des Konnexitätsprinzips notwendig, undwo sind hierfür gegebenenfalls die Anknüpfungs-punkte?

Empfehlung:

Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung isteine wesentliche staatspolitische Zielsetzung. Zu ih-rer Verwirklichung gehören vor allem die weitere De-zentralisierung von Verwaltungsaufgaben und die Si-cherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit undSelbstverantwortung der kommunalen Gebietskör-perschaften, vornehmlich der Gemeinden.

Auch im Verhältnis zwischen dem Freistaat Bayernund seinen Gemeinden und Gemeindeverbändenmüssen folgende föderative Prinzipien zur Anwen-dung kommen:

• Entflechtung• Subsidiarität• Solidarität• Transparenz

Das Prinzip der Delegation von Verantwortung mussauch im Verhältnis von Staat und Kommunen gelten.Den kommunalen Gebietskörperschaften, vornehm-lich den Gemeinden, sind infolgedessen die größt-möglichen Freiräume für autonome Gestaltungsmög-lichkeiten zu gewähren und zu sichern.

Die Möglichkeit der Gemeindebürgerinnen und -bür-ger, unmittelbar und mittelbar durch ihre Gemeinde-verwaltungen an staatlichen und kommunalen Ent-scheidungen teilzuhaben, ist zu stärken. Sie ist not-wendige Bedingung für deren Akzeptanz und für dasBewusstsein der Eigenverantwortlichkeit auch in lo-kalen Angelegenheiten.

Die Enquete-Kommission ist der Auffassung, dass imVerhältnis zwischen Land und Kommunen, insbeson-dere den Gemeinden, eine stärkere Verknüpfung vonAufgabenzuständigkeit, Ausgabenlast und Steuerer-tragshoheit anzustreben ist. Eine rechtliche Veranke-rung des Konnexitätsprinzips in der Bayerischen Ver-fassung über die Richtlinie des Art. 83 Abs. 3 BV hin-aus ist dazu weder erforderlich noch geeignet.

Die Enquete-Kommission empfiehlt, zur Stärkungder kommunalen Selbstverwaltung die Finanzausstat-tung der Kommunen im Rahmen der staatlichen Leis-tungsfähigkeit weiter zu verbessern und hierbei vorallem den Anteil der frei verfügbaren Mittel zu er-höhen. Im kommunalen Finanzausgleich verdienengrundsätzlich jene Zuweisungen den Vorrang, diekeiner besonderen Zweckbindung unterliegen. Dabeimuss aber gewährleistet sein, dass unterschiedlichenAufgabenstellungen der Kommunen ausreichendRechnung getragen wird. Die Kommission sprichtsich unter diesen Voraussetzungen für eine Rück-führung zweckgebundener Mittel zugunsten einerAnhebung freier Mittel aus. Sie hält eine Regelungüber den kommunalen Finanzausgleich in der Bayeri-schen Verfassung für unnötig.

Auch im Steuerrecht soll einer Ausweitung kommu-naler Freiräume näher getreten werden. Die Enquete-Kommission tritt für eine Gemeindefinanzreform ein,die vor allem auf eine Stärkung und Weiterentwick-lung der autonomen Besteuerungsrechte gerichtetsein soll.

– Die Empfehlung, das Konnexitätsprinzip nicht inder Bayerischen Verfassung zu verankern, wurde mitacht zu vier Stimmen mehrheitlich beschlossen. DerVorschlag hinsichtlich der Anhebung freier Mittelwurde mit acht Stimmen bei einer Gegenstimme unddrei Enthaltungen mehrheitlich angenommen. DieEmpfehlung, keine Regelung über den kommunalenFinanzausgleich in die Bayerische Verfassung aufzu-nehmen, wurde mit sieben zu fünf Stimmen und einerEnthaltung mehrheitlich angenommen. Der Vor-

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schlag hinsichtlich der Ausweitung kommunalerFreiräume im Steuerrecht wurde mit sieben zu fünfStimmen und einer Enthaltung mehrheitlich ange-nommen. Der Vorschlag betreffend die Gemeindefi-nanzreform wurde einstimmig angenommen –

Begründung:

Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden ist in Art.28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geregelt. Danachhaben die Gemeinden das Recht, ihre eigenen Ange-legenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Ver-antwortung zu ordnen und zu verwalten. Nach dem1994 eingefügten Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG umfasstdie Gewährleistung der Selbstverwaltung auch dieGrundlagen der finanziellen Eigenverantwortung. Ei-ne entsprechende Bestimmung ist zwar in der Bayeri-schen Verfassung nicht enthalten. Der BayerischeVerfassungsgerichtshof hat aber wiederholt betont,dass die Garantie des kommunalen Selbstverwal-tungsrechts auch die kommunale Finanzhoheiteinschließt.

Die Enquete-Kommission ist einhellig der Auffas-sung, dass das kommunale Selbstverwaltungsrechtgestärkt werden muss. Dabei müssen dieselben föde-rativen Prinzipien zur Anwendung kommen, die dieEnquete-Kommission ihren Empfehlungen zum Ver-hältnis Bayerns gegenüber dem Bund und der Eu-ropäischen Union (vgl. Themenkomplexe 1.– 3.) zu-grunde gelegt hat, nämlich Entflechtung, Subsidiari-tät, Solidarität und Transparenz. Ziel muss eine Stär-kung der Aufgaben- und Finanzautonomie der Kom-munen, insbesondere der Gemeinden sein. Damitmuss nach Auffassung der Kommission auch eineStärkung der Partizipationsmöglichkeiten für die Ge-meindebürgerinnen und -bürger einhergehen. DieKommission versteht darunter nicht die Ausweitungplebiszitärer Elemente auf kommunaler, Landes- oderBundesebene. Auch soll damit Gemeinderäten kei-neswegs ein allgemeinpolitisches Mandat zuerkanntwerden. Vielmehr geht es insbesondere um eine stär-kere Teilhabe der Gemeindebürgerinnen und -bürgerim Vorfeld von Entscheidungen, um die Grundlagenfür die Entscheidungsfindung in den demokratischgewählten kommunalen Parlamenten zu optimieren.

Sechs Mitglieder der Kommission beantragten dieStreichung der beiden Sätze des vorstehenden Absat-zes „Die Kommission versteht darunter …. Mandatzuerkannt werden.“ Dieser Antrag wurde bei Stim-mengleichheit abgelehnt.

Die Enquete-Kommission befasste sich ausführlichmit der Frage einer Verankerung des Konnexitäts-prinzips in der Bayerischen Verfassung. Bestimmun-gen über ein Konnexitätsprinzip finden sich in nahe-zu allen Landesverfassungen. Dabei ist zwischen ei-nem strikten und einem relativen Konnexitätsprinzipzu unterscheiden. Nach dem strikten Konnexitäts-prinzip ist der Staat zwingend verpflichtet, gleichzei-tig mit der Aufgabenübertragung den Kommunen diefür deren Erledigung erforderlichen Finanzmittel in

kostendeckender Höhe zur Verfügung zu stellen. Fürdieses Modell sprachen sich die Vertreter der kom-munalen Spitzenverbände aus, die im Rahmen derKommissionsberatungen angehört wurden. EinigeMitglieder der Kommission favorisierten hingegendie Aufnahme eines relativen Konnexitätsprinzips,das eine volle Kostenerstattung nicht zwingend vor-schreibt, in die Bayerische Verfassung. Da die Erfül-lung von Aufgaben den Gemeinden auch Vorteilebringe, müsse eine angemessene Eigenquote der Ge-meinden vorgesehen werden.

In der Bayerischen Verfassung ist bislang weder einstriktes noch ein relatives Konnexitätsprinzip gere-gelt. Art. 83 Abs. 3 BV lautet wie folgt: „Bei Über-tragung staatlicher Aufgaben an die Gemeinden sindgleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen.“Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfas-sungsgerichtshofs bedeutet diese Regelung – im Un-terschied zu der von den kommunalen Spitzenverbän-den angestrebten Lösung – nicht, dass zusammen mitder Aufgabenübertragung zwingend Bestimmungenüber die Kostendeckung zu treffen sind und ein Aus-gleich der durch die Aufgabenübertragung entstehen-den Mehrbelastungen in vollem Umfang ohne Anse-hen der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommu-nen stattzufinden hat. Sie gewährt auch keinen An-spruch auf teilweisen Kostenausgleich. Auch in Art. 8Abs. 4 der Gemeindeordnung, der bestimmt, dass beider Zuweisung von Angelegenheiten gleichzeitig dienotwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen sind,kann ein Konnexitätsprinzip im Sinne eines An-spruchs der Kommunen gegen den Staat auf volleoder teilweise finanzkraftunabhängige Kostenerstat-tung nicht gesehen werden.

In Anlehnung an einen Formulierungsvorschlag des61. Deutschen Juristentags hat sich die Enquete-Kommission mit folgender Ergänzung der Bayeri-schen Verfassung befasst:

„(1) Den Gemeinden und Gemeindeverbänden kanndurch Gesetz die Erledigung von Aufgaben übertra-gen werden.

(2) Dabei sind Bestimmungen über die Deckung derKosten zu treffen.

(3) Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastungder Gemeinden oder Gemeindeverbände, so ist einentsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.“

Die Forderung nach einer Aufnahme einer solchenBestimmung in die Bayerische Verfassung wurde ins-besondere mit der Erwägung begründet, dass damitder Tendenz des Landesgesetzgebers zur Überregu-lierung und immer stärkeren Aufgabenübertragungauf die Kommunen entgegengewirkt werden könnte.Ein verfassungsrechtlich verankertes Konnexitäts-prinzip schütze die Kommunen vor einer weiteren Ei-nengung ihrer Handlungsfreiräume im Bereich derSelbstverwaltungsaufgaben, da die Anreize für denStaat, öffentliche Leistungen auf Kosten des Budgets

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der Kommunen zu gewähren, weitgehend beseitigtwerden würden. Damit könnten kommunale Autono-mie und Verantwortung gestärkt werden. Die Kom-munen wären im Hinblick auf die zur Aufgabenwahr-nehmung notwendigen Zuweisungen finanziellerMittel nicht mehr auf die Rolle des Bittstellers be-schränkt. Insoweit diene die Einführung eines Konne-xitätsprinzips auch dem partnerschaftlichen Mitein-ander von Kommunen und Staat.

Demgegenüber wurden insbesondere folgende Argu-mente gegen die Verankerung des Konnexitätsprin-zips in der Bayerischen Verfassung vorgebracht: Einezwingende pauschalierte Kostenerstattung für jedeeinzelne übertragene Aufgabe würde, da die Vertei-lungsmasse nicht beliebig vermehrbar sei und insbe-sondere den Bürgern und der Wirtschaft derzeit keinehöhere Steuerbelastung zugemutet werden könne,letztlich zu Lasten anderer, vor allem zweckungebun-dener Mittelzuweisungen an die Kommunen gehen.Dies würde Freiräume für kommunale Gestaltungs-möglichkeiten eher verringern und damit die kommu-nale Finanzautonomie schwächen. Des Weiteren er-gäbe sich die Problematik der Feststellung der Mehr-kosten für neu übertragene Aufgaben. Dem Staatmüsste die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit deskommunalen Verwaltungshandelns ermöglicht wer-den. Dies hätte einen erheblichen neuen Verwal-tungsaufwand zur Folge und würde kommunale Au-tonomie schwächen. Schließlich wäre der Schutz derKommunen durch ein landesrechtliches Konnexitäts-prinzip lückenhaft, da es nur einen Kostenausgleichbei Aufgabenübertragung durch das Land garantierenkönne, nicht aber bei Aufgabenübertragungen unmit-telbar durch den Bund, wie z.B. in den besonders kos-tenträchtigen Bereichen der Sozialhilfe und Jugend-hilfe.

Die Enquete-Kommission hat sich diesen Bedenkenmehrheitlich angeschlossen und lehnt die Aufnahmeeines Konnexitätsprinzips in die Bayerische Verfas-sung ab. Sie ist mehrheitlich der Auffassung, dass je-de Regelung, die das Entscheidungsrecht des Land-tags über die Verwendung der Haushaltsmittel be-schränkt, im Hinblick auf die Verantwortung desLandtags für die staatliche und kommunale Aufga-benwirtschaft kontraproduktiv ist. Die staatliche Or-ganisationsgewalt würde entscheidend geschwächtwerden, wenn jede Übertragung von Staatsaufgabenauf die Gemeinden mit berechenbaren finanziellenMitteln ausgeglichen werden müsste. Dem Staat darfnicht – auch nicht mittelbar – die Möglichkeit ge-nommen werden, darüber zu entscheiden, in welcherWeise er die öffentlichen Aufgaben auf staatlicheVerwaltung und kommunale Verwaltung aufteilt.Deshalb kann eine Regelung, die den Kommunen ei-nen einklagbaren Anspruch auf bestimmte Geldsum-men einräumt, nicht in Betracht kommen. Die gelten-de Rechtslage gibt den Gemeinden zwar keinen An-spruch gegen den Staat, finanzielle Mittel in einembestimmten Umfang zur Verfügung zu stellen, ge-

währleistet aber ein Recht auf eine ausreichende Fi-nanzausstattung, damit sie die ihnen übertragenenAufgaben angemessen erfüllen können. Ein darüberhinausgehender Regelungsbedarf besteht nach mehr-heitlicher Auffassung der Kommission nicht.

Eigenverantwortliche Kommunalpolitik setzt eineausreichende finanzielle Beweglichkeit der Kommu-nen voraus. Vor diesem Hintergrund befasste sich dieEnquete-Kommission auch ausführlich mit dem kom-munalen Finanzausgleich. Im Zentrum standen insbe-sondere die Fragen, ob die Finanzausstattung derKommunen aufgabengerecht ist und ihnen genügendzweckungebundene Mittel zur Verfügung stehen.Von Seiten der Sachverständigen wurde hierzu aus-geführt, dass Bayern mit 11,54 % den niedrigstenVerbundsatz (Prozentsatz, der gemäß Art. 106 Abs. 7GG vom Länderanteil am Gesamtaufkommen derGemeinschaftssteuern den Gemeinden und Gemein-deverbänden zufließt) aller westlichen Flächenländerhabe. Der Anteil der Schlüsselzuweisungen an denGesamtausgleichsleistungen liege zudem mit 34,6 %deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 44 %.Der unzureichenden Ausstattung der bayerischenKommunen mit allgemeinen Finanzzuweisungen ste-he eine fast unüberschaubare Menge an Zweckzuwei-sungen gegenüber. Schließlich liege Bayern mit sei-nen Landesleistungen an die Gemeinden bei einerPro-Kopf-Betrachtung im Vergleich zu den westli-chen Flächenländern an vorletzter Stelle.

Demgegenüber gab die Vertretung der Staatsregie-rung zu bedenken, dass ein isolierter Vergleich derVerbundquote problematisch sei. Bayern beteiligeseine Kommunen nicht nur an den Gemeinschafts-steuern, sondern auch mit relativ hohen Quoten an derGrunderwerbsteuer (mit 8⁄21) und der Kraftfahrzeug-steuer (mit 65 %). Soweit mit Blick auf den Anteil derSchlüsselzuweisungen am kommunalen Finanzaus-gleich kritisiert werde, dass die bayerischen Kommu-nen zu viele Zweckzuweisungen und zu wenig allge-meine Finanzzuweisungen erhalten, entspreche diesnicht den Gegebenheiten. Die Schlüsselzuweisungenwürden im Jahr 2001 nur 53,22 % der den Kommu-nen im Finanzausgleich überlassenen allgemeinenDeckungsmittel ausmachen, zu denen auch die Teilü-berlassung des staatlichen Aufkommens an derGrunderwerbsteuer, die Zuweisung Familienlei-stungsausgleich, die Finanzzuweisungen, die Investi-tionspauschale, der Sozialhilfeausgleich an die Bezir-ke und die Bedarfzuweisungen zu zählen seien. Diepauschalen Zuweisungen im Rahmen des Kfz-Steuer-verbundes seien zudem zwar für bestimmte Zweckegewährt, die Kommunen aber nicht verpflichtet, einezweckentsprechende Verwendung nachzuweisen. Inden Jahren 2000 und 2001 ergäbe sich für Bayern beiden reinen Landesleistungen pro Kopf ein dritterPlatz unter den westlichen Flächenländern.

In der Kommission bestand Einigkeit, dass dieZweckzuweisungen im Interesse der Stärkung derkommunalen Selbstverwaltung abgebaut und die frei-

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en Deckungsmittel entsprechend erhöht werden sol-len. Da aber ein Verzicht auf Einzelförderung immerim Zusammenhang mit der konkreten gemeindlichenOrganisations-, Aufgaben- und Finanzstruktur zu se-hen ist, muss nach einhelliger Auffassung der Kom-mission gewährleistet sein, dass unterschiedlichenGegebenheiten vor Ort ausreichend Rechnung getra-gen wird. Die Empfehlung der Kommission, unterdiesen Voraussetzungen zweckgebundene Mittel zu-gunsten einer Anhebung freier Mittel zurückzu-führen, fand jedoch keine ungeteilte Zustimmung. Ei-nige Mitglieder der Kommission vertraten hierzu dieAuffassung, dass eine nachhaltige Stärkung derSchlüsselzuweisungen explizit in der Empfehlungzum Ausdruck kommen müsste, weil Schlüsselzu-weisungen das wichtigste Instrument des kommuna-len Finanzausgleichs seien. Außerdem müssten auchMischfinanzierungen in freie Mittel umgeschichtetwerden. Die Mehrheit der Kommission konnte sichjedoch einer Hervorhebung der Schlüsselzuweisun-gen nicht anschließen.

Die Enquete-Kommission befasste sich auch mit derFrage, ob der kommunale Finanzausgleich in derBayerischen Verfassung verankert werden soll. Hier-zu wurde teilweise die Auffassung vertreten, dass eszwei verschiedene, von einander strikt zu trennendeAnsprüche der Kommunen gebe, nämlich auf der ei-nen Seite die finanzkraftunabhängige Kostenerstat-tung für übertragene Aufgaben im Sinne des Konne-xitätsprinzips, auf der anderen Seite den überge-meindlichen Finanzausgleich zum Ausgleich unter-schiedlicher Finanzkraft der einzelnen Kommunen.Dies solle – nach dem Vorbild zahlreicher andererLandesverfassungen – in der Bayerischen Verfassungzum Ausdruck gebracht werden.

In Anlehnung an Art. 58 der Verfassung von Nieder-sachsen wurde folgende Formulierung vorgeschla-gen:

„Der Freistaat ist verpflichtet, den Gemeinden undGemeindeverbänden die zur Erfüllung ihrer Aufga-ben erforderlichen Mittel durch Erschließung eigenerSteuerquellen oder im Rahmen seiner Leistungs-fähigkeit durch übergemeindlichen Finanzausgleichzur Verfügung zu stellen.“

Die Aufnahme eines verfassungsgerichtlich einklag-baren Anspruchs auf kommunalen Finanzausgleich indie Bayerische Verfassung sei insbesondere im Hin-blick auf das Ziel klarerer Verantwortlichkeit undEntflechtung von Bedeutung. Mit einer entsprechen-den Regelung seien konkrete Ansprüche der Kommu-nen verfassungsrechtlich verankert, z.B. der individu-elle Anspruch jeder einzelnen Kommune auf einenaufgabengerechten Finanzausgleich oder der Grund-satz der Verteilungssymmetrie, wonach die jeweilsverfügbaren Finanzmittel dem Land und den Kom-munen gleichermaßen aufgabengerecht zufließen.

Die Enquete-Kommission lehnt die Aufnahme einersolchen Bestimmung in die Bayerische Verfassung

jedoch mehrheitlich ab. Sie ist der Auffassung, dassGrundgesetz und Bayerische Verfassung über hinrei-chende Sicherungen zum Schutz der Kommunen ver-fügen. Insoweit ist zum einen auf die bereits ange-führte Bestimmung des Art. 83 Abs. 3 BV zu verwei-sen. Außerdem umfasst – wie bereits ausgeführt – dieGewährleistung der Selbstverwaltung nach Art. 28Abs. 2 Satz 3 GG ausdrücklich sowie nach Art. 11Abs. 2 BV in der Interpretation der Rechtsprechungdes Bayerischen Verfassungsgerichtshofs auch dieGrundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.Diese Bestimmungen schließen ein subjektives Rechtder Gemeinden auf eine bestimmte Summe zwarnicht ein, gewährleisten den Gemeinden aber im Rah-men der Leistungsfähigkeit des Staates eine finanzi-elle Mindestausstattung in dem Umfang, dass sie ihreAufgaben erfüllen können und ihre finanzielle Leis-tungsfähigkeit erhalten bleibt. Einer besonderen Re-gelung über den kommunalen Finanzausgleich in derBayerischen Verfassung bedarf es vor diesem Hinter-grund nach mehrheitlicher Auffassung der Kommis-sion nicht.

Des Weiteren beschäftigte sich die Enquete-Kommis-sion mit der Frage der Ausweitung der steuerpoliti-schen Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen.Zunächst ist auf die unter Frage 3.d ausgeführte Emp-fehlung der Enquete-Kommission hinzuweisen, dassGemeinden und Gemeindeverbände das Recht erhal-ten sollen, einen Steuersatz auf die Bemessungs-grundlage der Einkommensteuer festzusetzen. Darü-ber hinaus erwog die Kommission auch eine Stärkungder kommunalen Steuerautonomie im Bereich derörtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern. Die gel-tende Rechtslage stellt sich insoweit wie folgt dar:

Nach Art. 105 Abs. 2 a GG haben die Länder die Be-fugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Ver-brauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sienicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartigsind. Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG bestimmt, dass dasAufkommen dieser Steuern den Gemeinden odernach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemein-deverbänden zusteht. Nach Art. 83 Abs. 2 Satz 2 BVhaben die Gemeinden das Recht, ihren Bedarf durchöffentliche Abgaben zu decken. Danach ist der Lan-desgesetzgeber verpflichtet, im Rahmen seiner Ge-setzgebungskompetenz den Gemeinden einen Be-reich zur eigenverantwortlichen Abgabenerhebungeinzuräumen. Eine solche Regelung hat er im Hin-blick auf die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteu-ern in Art. 3 KAG getroffen. Nach Art. 3 Abs. 1 KAGkönnen die Gemeinden örtliche Verbrauch- und Auf-wandsteuern erheben, solange und soweit diese nichtbundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig sind.Art. 3 Abs. 3 KAG bestimmt allerdings, dass eine Ge-tränkesteuer, eine Jagdsteuer, eine Speiseeissteuer,eine Steuer auf das Innehaben einer Wohnung und ei-ne Vergnügungssteuer nicht erhoben werden dürfen.

Teilweise wurde in der Kommission die Forderungerhoben, das in Art. 3 KAG geregelte so genannte

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kommunale Steuererfindungsrecht zur Berücksichti-gung gemeindlicher Besonderheiten zu revitalisieren,also neben der Zulassung möglicher neuer Ver-brauch- und Aufwandsteuern insbesondere das Ver-bot des Art. 3 Abs. 3 KAG aufzuheben. Dies wurdevor allem damit begründet, dass es gerade im Zusam-menhang mit föderativer Autonomie auf der kommu-nalen Ebene wichtig sei, tatsächlich autonome Rech-te in einem Bereich zu gewährleisten, der besondersgeeignet ist, kommunale Besonderheiten im Hinblickauf Aufwand- und Verbrauchstruktur zu berücksich-tigen. Wenn Bayern im Verhältnis zu Bund und Eu-ropa unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprin-zips mehr Kompetenzen einfordere, müsse dies auchim Verhältnis Bayerns zu den Kommunen gelten. Obdie Erhebung örtlicher Verbrauch- und Aufwandsteu-ern im Einzelfall sinnvoll sei, müsse und könne alleinauf kommunaler Ebene entschieden werden.

Demgegenüber wurde darauf hingewiesen, dass mitder Wiedereinführung verschiedener kommunalerSteuern ein erheblicher Verwaltungsaufwand verbun-den wäre, der in keinem angemessenen Verhältnis zudem – im Vergleich zu den Gesamteinnahmen derKommunen – sehr geringen Ertrag stehen würde. Ei-ne nennenswerte Stärkung der Finanzkraft der Ge-meinden sei nicht zu erwarten. Auf der anderen Seitehätte die verstärkte Zulassung örtlicher Verbrauch-und Aufwandsteuern eine Steuermehrbelastung fürdie Bürger und die Wirtschaft zur Folge. Dies würdeder langjährigen bayerischen Steuerpolitik widerspre-chen, die Staatsquote zu senken und die Steuerbelas-tung insgesamt zu reduzieren, und das Steuerrecht fürden Bürger undurchschaubarer und noch komplizier-ter machen.

Die Enquete-Kommission hat sich zunächst mehr-heitlich für eine Erweiterung des kommunalenSteuererfindungsrechts ausgesprochen. In einer er-neuten Abstimmung nach weiterer eingehender Dis-kussion fand dieser Vorschlag jedoch keine Mehrheitmehr. Vielmehr gelangte die Enquete-Kommissionmehrheitlich zu der Empfehlung, dass auch im Steu-errecht einer Ausweitung kommunaler Freiräumenäher getreten werden soll.

Die Enquete-Kommission spricht sich einstimmig füreine umfassende Gemeindefinanzreform aus. Diekommunale Finanzautonomie ist in den letzten Jahreninsbesondere durch einige, die Gemeinden erheblichbelastende Änderungen des Gewerbesteuerrechts er-heblich geschwächt worden. Die Kommission ist derAuffassung, dass autonome Besteuerungsrechte derGemeinden – zusätzlich zu dem bereits unter Frage3.d empfohlenen Bereich der Einkommensteuer –auch im Bereich einer Unternehmenssteuer weiterentwickelt werden sollen. Eine Reform der Gewerbe-steuer ist dabei besonders in den Blick zu nehmen.Diskutiert wurde auch die Frage, ob neben den Ge-meinden auch den Gemeindeverbänden, also denLandkreisen und Bezirken, der Zugang zu autonomenBesteuerungsrechten eröffnet werden solle. Dabei

wurde darauf hingewiesen, dass die Landkreise bis1955 ebenso wie die Gemeinden ein Hebesatzrechtzur Einkommensteuer hatten. Es sei wichtig, dassauch die Landkreise gewisse mobile Positionen zurVerfügung hätten, da damit die Kreisumlage entlastetwerden könne. Die Enquete-Kommission hat sich indieser Frage nicht festgelegt.

Schließlich hat sich die Enquete-Kommission auchmit der Frage befasst, ob – nach dem Vorbild einerseit September 1999 in Österreich geltenden Verein-barung – zur Verankerung von Mitspracherechten derKommunen gegenüber der Staatsregierung in Ange-legenheiten, in denen staatliche Regelungen die Kom-munen finanziell belasten, ein Konsultationsmecha-nismus zwischen Landesgesetzgeber und Kommuneneingeführt werden soll. Nach dieser Regelung ist jeneGebietskörperschaft, der das rechtsetzende Organ an-gehört, das zusätzliche Ausgaben erwirkt, verpflich-tet, die für neue Maßnahmen erforderlichen Ausga-ben zu tragen, sofern in Konsultationsverhandlungenkeine Einigung erzielt wird. Vertreter der Spitzenver-bände von Gemeinden und Städten können danachunter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dasssie in Konsultationsgremien des Bundes oder desLandes an Verhandlungen über diejenigen geplantenVorhaben beteiligt werden, aus denen sich zusätzli-che finanzielle Ausgaben ergeben würden. Dem musseine umfangreiche Information über das jeweiligeVorhaben und dessen voraussichtliche finanzielleAuswirkungen vorangehen.

Mehrere Mitglieder der Kommission sowie der Ver-treter des Bayerischen Gemeindetags befürwortetendie Übernahme dieses österreichischen Modells, dadie Kommunen dadurch bei Verhandlungen über dieFinanzierung neuer kommunaler Aufgaben zu gleich-berechtigten Partnern würden und damit ein engespartnerschaftliches Miteinander zwischen Staat undKommunen bewirkt werde.

Die Enquete-Kommission lehnt eine solche Institu-tionalisierung von Beteiligungsrechten der Kommu-nen jedoch mehrheitlich ab. Im Juli 2000 wurde dieGeschäftsordnung des Bayerischen Landtags um eineBestimmung über die Anhörung der kommunalenSpitzenverbände (§ 33 a) ergänzt. Damit haben diekommunalen Spitzenverbände – zusätzlich zu dembereits in Art. 83 Abs. 7 BV i.V.m. § 5 Abs. 4 der Ge-schäftsordnung der Staatsregierung geregelten An-hörungsrecht – bereits nach geltendem Recht dieMöglichkeit, zu den sie betreffenden Gesetzgebungs-vorhaben Stellung zu nehmen. Die Mehrheit derKommissionsmitglieder hält es für sinnvoll, zunächstdie Erfahrungen mit diesem neuen Institut abzuwar-ten, und sieht für das vorgeschlagene Konsultations-modell keinen Bedarf. Das österreichische Konsulta-tionsverfahren ist zudem mit unserem parlamenta-risch-repräsentativen System nicht zu vereinbaren.Die Einführung eines solchen Verfahrens würde Ent-scheidungen verlangsamen, Entscheidungsstrukturenweniger transparent machen, Verantwortlichkeiten

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verwischen, zu einer Schwächung der Entscheidungs-und Gestaltungsfreiheit des Landtags beitragen und

damit den übergreifenden Zielen der Enquete-Kom-mission entgegenstehen.

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München, den 20. März 2002

Peter Welnhofer

Vorsitzender der Enquete-Kommission