1935-Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden · Title: 1935-Die Einführung des neuen...

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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1935 Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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  • Untervazer Burgenverein Untervaz

    Texte zur Dorfgeschichte

    von Untervaz

    1935

    Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden

    Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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    1935 Die Einführung des neuen Kalenders in Graubünden Dr. Joh. Jakob Simonet Bündnerisches Monatsblatt, Nr. 10. 1935. Seite 299-311 und 346-352.

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    Der gregorianische Kalender und seine Einführung

    in Graubünden.

    von Dr. J. J. Simonet, Kanonikus, Chur.

    S. 299: Der Völkerbund hat sich schon wiederholt mit der Kalenderreform beschäftigt.

    Doch bleiben diese Bestrebungen nur tastende Versuche. Freilich scheinen

    diese modernen Reformbestrebungen nicht von der exakten Wissenschaft

    gefordert zu sein, sondern ihren Grund mehr in handels- und

    verkehrspolitischen oder in gesellschaftlichen Rücksichten zu haben. Man hat

    meistens keine Ahnung, was eine Kalenderreform für Schwierigkeiten bietet

    und welche Widerstände sie zu überwinden hat. Das ausgehende 16., das ganze

    17. und teilweise noch das 18. Jahrhundert haben solche Kalenderkämpfe

    gesehen. Doch selbst in grossen wissenschaftlichen Werken findet man leider

    nur wenig historisches Material zur Beleuchtung dieser Kämpfe.

    In Graubünden tobte der Kalenderstreit lange in besonders heftiger Weise.

    Doch erfährt man aus der reichen historischen Literatur Graubündens nicht

    sehr viel darüber. Grundlegend zur Lösung dieser Frage ist ein Vortrag des

    Professors J. Bott, des späteren Rektors an der bündnerischen Kantonsschule.

    Diesen Vortrag hielt Bott am 10. Mai 1862 im Schosse der Gemeinnützigen

    Gesellschaft und publizierte ihn in der bündnerischen "Wochenzeitung" 1862

    Nr. 12-19 unter dem Titel: Der neue Kalender und seine Geschichte in

    Graubünden. Der Verfasser hatte den Auftrag erhalten, über Herausgabe eines

    geeigneten Kalenders von Seiten der Gemeinnützigen Gesellschaft Anträge zu

    stellen. Sein Zweck war somit nicht, eine Geschichte des Gregorianischen

    S. 300: Kalenders zu schreiben. Bott publizierte im folgenden Jahre, 1863, bei

    Wilhelm Engelmann in Leipzig den gleichen Aufsatz unter dem Titel: Die

    Einführung des neuen Kalenders in Graubünden. Hier ist nun der historische

    Charakter der Broschüre schärfer betont. In der Tat bietet Bott auch die

    eingehendste Geschichte über die Einführung des Gregorianischen Kalenders

    in Graubünden, doch kann dieselbe auf lückenlose Vollständigkeit keinen

    Anspruch machen, denn die Einführung des genannten Kalenders in den

    katholischen Hochgerichten Bündens ist darin nicht behandelt.

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    Auf Bott stützen sich Mohr1 und Sprecher2, doch zeichnet sich der letztere aus

    durch grössere Klarheit und Bestimmtheit.

    Im Jahre I932 waren 350 Jahre verflossen seit der Annahme des

    Gregorianischen Kalenders in der katholischen Schweiz. Darum lohnt sich eine

    neue Behandlung dieser Frage. Der neue Kalender war eine kulturelle Grosstat.

    Das wird man erst begreifen, wenn man weiss, wie die Verbesserung der

    julianischen Zeitrechnung zustande kam. Daher muss der ganze

    Fragenkomplex behandelt werden, also:

    1. Wie ist der Gregorianische Kalender entstanden und in der zivilisierten Welt

    aufgenommen worden?

    2. Wann wurde er in Graubünden eingeführt?

    1.

    I. Die Arten der Zeitrechnung entwickelten sich verschieden bei den alten

    Völkern, und eine genaue Zeitberechnung war das Resultat langer

    Beobachtungen und exakter Studien der alten Kulturvölker. Die Zeitmessung

    beruht vielfach auf dem Duodezimalsystem mit der Grundzahl zwölf. Diese ist

    teilbar durch 2, 3, 4 und 6. Alle Uhren zählen von 12 zu 12 Stunden. Jede

    Stunde ist eingeteilt in 60 Minuten, das Fünffache der Grundzahl 12, jede

    Minute hat 60 Sekunden, Die Winkel sind in 30 mal 12 Grade eingeteilt, der

    Globus hat auch die gleiche Grundeinteilung, 12 sind die Monate des Jahres,

    12 die Tierzeichen des Kalenders. Heute noch zeigen bedeutende

    Mathematiker, wie Dr. Ulrich in Heidelberg, für dieses System grosse

    Sympathien. Doch ist es in Geld, Mass und Gewicht durch das Dezimalsystem

    endgültig verdrängt

    S. 301: worden, obwohl die Grundzahl 10 nur durch 2 und 5 teilbar ist. Allen

    Methoden der Zeiteinteilung lässt der Kalender volle Freiheit, ebenso der

    Benennung der Wochentage, der Monatsnamen, z. B. Brachmonat, Heumonat

    usw.

    Alle diese Zeitmessungen sind Sache der Astronomen oder Mathematiker und

    bedurften keiner Reform.

    1 C. Mohr, Geschichte von Currätien (II. Teil, S. 235 ff.).

    2 J. A. v. Sprecher, Geschichte der Republik der III Bünde im 18. Jahrhundert, II. Bd., S.

    455-516.

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    2. Die Schwierigkeiten entstanden bei der' Berechnung der Mond- und

    Sonnenjahre und ihrer Übereinstimmung, wobei schon die Alten sich der

    Schaltjahre oder Schaltmonate bedienten. Im Jahre 47 v. Chr. war bei den

    Römern das Kalenderjahr 67 Tage vom tropischen Jahre entfernt. Julius Cäsar

    bediente sich des alexandrinischen Astronomen Sosigenes und des Schreibers

    M. Flavius, um eine Reform des Kalenders durchzuführen. Zuerst setzte er dem

    Jahre 46 v. Chr. noch 67 Tage in zwei Monaten zu, so dass jenes Jahr 556 Tage

    zählte. Die mittlere Dauer des Jahres wurde zu 365 Tagen und 6 Stunden

    angenommen. Es wurde festgesetzt, dass auf drei gemeine Jahre von 365

    Tagen ein Schaltjahr von 366 Tagen folgen sollte. Dieser Julianische Kalender

    wurde von allen Völkern angenommen und verblieb in Kraft bis zur

    Einführung des neuen Kalenders. Cäsar hatte jedoch das Jahr um 1/128 Tag zu

    lange angesetzt, und in 128 Jahren kam der Kalender um einen Tag später als

    das natürliche Jahr (mit anderen Worten, die Berechnung des Sonnenjahres

    durch Cäsar war um 11 Minuten und 14 Sekunden zu lang). Der kirchliche

    Festkalender geriet dadurch in Unordnung. Ostern, das nach den Beschlüssen

    des Konzils von Nicäa am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond

    gefeiert werden sollte, entfernte sich mit der Zeit immer weiter vom wirklichen

    Frühlingsvollmond.

    Im 13. Jahrhundert wandte sich der berühmte Roger Bacon mit

    Reformvorschlägen an den hl. Stuhl. Clemens VI. liess 1344 durch eine

    Kommission von Fachgelehrten die Angelegenheit prüfen. Auf dem

    Konstanzer und Basler Konzil wurde die Kalenderreform wieder

    vorgeschlagen. Jedoch schien die Entscheidung noch nicht spruchreif. Sixtus

    IV. berief den berühmten Johann Müller zu dieser Reform nach Rom, doch

    starb der Gelehrte allzu früh, 1446, und die Absicht des Papstes war wieder

    vereitelt. Auch unter Leo X., der die Angelegenheit mit Energie aufnahm,

    gelangte sie zu keiner Entscheidung. Die Väter der Trienter

    Kirchenversammlung hatten dringendere Aufgaben zu

    S. 302: lösen und überliessen sie in der letzten Sitzung dem Papste. Allein die

    folgenden Päpste kamen nicht zur Lösung der schwierigen Aufgabe.

    3. Bott schreibt Seite 10: Ein katholischer Gelehrter, Aloisius Livius von

    Verona, machte durch Beobachtung und Berechnung diese Verbesserung (des

    Julianischen Kalenders) ausfindig, legte sie dem damaligen Papste Gregor

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    XIII. zur Untersuchung vor und fand seinen Beifall, weshalb der berichtigte

    Kalender den Namen des gregorianischen erhielt." Soweit Bott. So leichtfertig

    trifft aber kein Papst eine Entscheidung von so weittragender Bedeutung. Das

    ergibt sich aus folgender aktenmässigen Darlegung.

    Livius oder Giglio Aloisius war Professor der Medizin auf der Universität

    Perugia. Nach dem Tode dieses Mannes übergab sein Bruder Antonio Giglio

    den Entwurf zur Reform des Kalenders dem Papste, der ihn durch eine

    Kommission von Gelehrten prüfen liess. Unter Leo X. war der gelehrte

    Kopernikus um seine Meinung angefragt worden. Er hatte sich dahin geäussert,

    dass die Kenntnisse der Jahr- und Mondlänge zu einer sicheren Korrektur des

    Kalenders ungenügend seien. Gregor XIII. wählte nun eine internationale

    Kommission zum Studium der Frage. Dieselbe liess durch den berühmten

    Mathematiker, den Dominikaner Danti, mit Hilfe des in einer Kirche zu

    Bologna aufgestellten, 67 Fuss hohen Gnomons das Äquinoktium bestimmen.

    Dasselbe war durch den Fehler des Julianischen Kalenders auf den 1. März

    zurückgegangen.

    Nachdem diese Tatsache durch eine vollständig einwandfreie Beobachtung

    festgestellt worden war, bewog der spätere Kardinal Sirleto den Papst Gregor

    XIII., die Frage noch durch eine weitere Prüfung klarzulegen. Der Entwurf

    Giglios wurde daher durch einige Mathematiker Roms und Italiens genau

    geprüft. Die Ergebnisse wurden der genannten Kommission unter dem Vorsitze

    Sirletos übergeben. Mitglieder der Kommission waren: der deutsche Jesuit

    Clavius, der Dominikaner Danti, der französische Bischof François de Candal.

    Ein Auszug aus diesem Gutachten wurde vom Spanier Petrus Chacon aus

    Toledo 1578 verfasst und an die Könige von Frankreich, Spanien, Portugal

    sowie an einige Herzöge Italiens versandt und die Universitäten von Lille,

    Köln, Löwen, Paris, Salamanca, Alcala und Krakau zur Begutachtung

    aufgefordert. Die eingelaufenen Gutachten stimmten nicht alle

    S. 303: miteinander überein. Ja es kam sogar vor, dass selbst eine und dieselbe

    Universität nicht einig war, wie z.B. Löwen. Auch andere Gutachten liefen

    noch ein.

    Die Kommission hatte gegen Anfang des Jahres 1581 die Anträge fertig

    gestellt. Unter dem 24. Februar 1582 erliess Gregor XIII, die Bulle Inter

    gravissimas, durch welche der neue, sogenannte Gregorianische Kalender

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    eingeführt wurde. Diese Verbesserung hatte somit der Papst mit grösster

    Umsicht und Gewissenhaftigkeit, nach reiflicher Prüfung durch eine aus

    Vertretern der verschiedensten Nationen bestehlende Kommission vornehmen

    lassen. Sie ist wichtig und verdienstlich, so dass die noch bleibenden Mängel

    völlig in den Hintergrund treten.

    Der neue Kalender trat dadurch in Kraft, dass 1582 nach dem Oktober sofort

    der 15. folgte, damit der alte Fehler von zehn Tagen ausgemerzt sei.

    4. Es war selbstverständlich, dass der neue Kalender im Kirchenstaat sofort in

    Kraft trat. Auch die anderen Staaten Italiens stellten der Annahme desselben

    keine Schwierigkeiten entgegen. Der König von Spanien verfügte für sein

    Weltreich die sofortige Annahme des Gregorianischen Kalenders. Damit war

    derselbe auch für Amerika eingeführt, weil die Neue Welt damals unter

    Spanien stand. Auch Portugal, Frankreich und Polen nahmen den neuen

    Kalender ohne Schwierigkeiten an. Die katholischen Orte der Schweiz, Luzern,

    Uri, Zug, Freiburg und Solothurn, machten auf der Tagsatzung vom 10.

    November 1582 Anzeige, dass sie vom 5. bis 15. November 1583 den

    Gregorianischen Kalender annehmen würden. Zugleich stellten sie den Antrag

    auf allgemeine Annahme des neuen Kalenders, da die Mehrheit der in den

    gemeinen Vogteien regierenden Orte sich für denselben erklärt hatte. Eine

    solche Annahme betreffe die Religion in keiner Weise. Allein Zürich und Bern

    protestierten und rüsteten zum Kriege. Erst am 24. Februar 1585 kam ein

    Übereinkommen zustande, wonach nicht bloss die katholischen, sondern auch

    die paritätischen Untertanenlande den neuen Stil annehmen durften. Auch die

    Einberufung der Tagsatzung erfolgte nun nach dem Gregorianischen Kalender.

    Sonst aber dauerte der Wirrwarr in der Eidgenossenschaft, der sich besonders

    bei Abhaltung der Feiertage und Märkte kundgab, noch geraume Zeit fröhlich

    fort.3

    S. 304: Im deutschen Reiche führten der Herzog von Bayern, Wilhelm, und mehrere

    geistliche Fürsten die verbesserte Zeitrechnung ohne Zögern ein. Kaiser Rudolf

    II. nahm, obwohl er vom Papste durch Kardinal Madruzzo gedrängt wurde,

    zuerst eine abwartende Stellung ein, bis er sich am 7. September 1583 zur

    Publikation der Reform entschloss. Darauf folgten auch die übrigen

    katholischen Stände nach. Kraft kaiserlicher Autorität wurde die Anordnung

    3 Hürbin, Schweizer Geschichte II, S. 267.

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    getroffen ohne Erwähnung des Papstes. Da Luther erklärt hatte, die Frage der

    Kalenderreform sei keine religiöse und gehe lediglich die weltliche Gewalt an,

    so durfte man mit Grund erwarten, die Protestanten würden sich der vom

    Oberhaupte des Reiches verkündeten, sehr nötigen Neuerung fügen, die allen

    billigen Ansprüchen vollauf genügte, und ein entschiedener Theologe, Martin

    Chemniz, und der Görlitzer Patrizier Scultetius sprachen sich für Annahme des

    neuen Kalenders aus. Allein sie wurden übertönt durch eine wilde Agitation,

    die von der Sache gänzlich absah, die nur ihren Urheber, den Papst, als

    leibhaftigen Antichristen, mit den rohesten Schmähungen überhäufte.

    Besonders tat sich die Universität Tübingen hervor. Lukas Osiander

    verkündete, Zweck des Kalenders sei die Störung des Religionsfriedens. Jakob

    Heerbrand erklärte, hinter dem Kalender stecke der Satan. Zu den schon

    bestehenden Streitigkeiten kam also in Deutschland noch der Kalenderstreit

    hinzu. An manchen Orten verwehrten die Magistraten der katholischen

    Geistlichkeit mit Gewalt die Annahme der neuen Zeitrechnung. Es kam an

    manchen Orten auch zu Ausschreitungen des Pöbels und ernsten Unruhen.

    Manche erwarteten, dass von Rom eine Verteidigung des neuen Kalenders

    erfolgen werde. Das geschah zunächst nicht. Mit voller Ruhe ignorierte man

    dort alle Angriffe und Beschimpfungen. Christof Clavius, der als Schöpfer des

    neuen Kalenders dazu der berufenste Verteidiger war, antwortete auf alle

    Einwürfe. Zwei grosse Astronomen stimmten diesen Ausführungen bei, der

    Deutsche Kepler und der Däne Thicho Brahe.

    Erst im Jahre 1700 gaben die Protestanten des Reiches, Dänemark, die

    Mehrzahl der protestantischen Teile der Schweiz und der Niederlande ihren

    Widerstand gegen den neuen Kalender auf. In England wurde der neue Stil

    1752, in Schweden im folgenden Jahre, 1753, angenommen.

    S. 305: Nur die dem griechischen Schisma ergebenen Staaten, an ihrer Spitze

    Russland, hielten am Julianischen Kalender fest, wodurch sie seit 1. März 1900

    um 13 Tage in der Zeitrechnung zurück waren. Während des Weltkrieges hat

    als das erste der griechisch-orthodoxen Länder Bulgarien den Gregorianischen

    Kalender eingeführt. Die griechisch-orthodoxen Diözesen in Galizien und ein

    Teil der Türkei folgten.4

    4 Pastor, Geschichte der Päpste, 9. Bd., S. 207-215.

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    II.

    Wie verhält es sich mit der Einführung des Gregorianischen Kalenders in

    Graubünden?

    Die Republik der III Bünde hat den nicht beneidenswerten Ruhm, in der

    Kalenderfrage zu den rückständigsten Staaten gehört zu haben. Moor gibt in

    seiner Geschichte zwei Gründe dafür an. Einmal sei der Kalender vom Papste

    anbefohlen worden, der den Reformierten während der gärenden Periode des

    Reformationszeitalters als leibhaftiger Antichrist galt. Der gemeine Haufe

    glaubte, dass man ihn durch Annahme des neuen Kalenders katholisch machen

    wolle. Hier traf man auf einen fanatischen Widerstand. So Moor5. Doch diesen

    Grund konnten die Evangelischen in Deutschland auch vorschützen. Nachdem

    aber sie und die reformierten Stände in der Eidgenossenschaft den neuen Stil

    angenommen hatten, ohne in ihrer religiösen Überzeugung im mindesten

    erschüttert zu werden, kann dieser Grund das weitere Verharren beim alten Stil

    durch ein volles Jahrhundert wohl nicht entschuldigen.

    Sodann bringt Moor einen zweiten Grund: Der Kalender habe beim Landvolk

    eine grosse Bedeutung, ohne Kalender würde der Landmann seine

    Bauernregeln vermissen, ja er würde ratlos dastehen. Auch dieser Grund darf

    nicht als vollwertige Entschuldigung gelten. Im 16. und 17. Jahrhundert waren

    die gedruckten Kalender sehr selten, kamen somit sicherlich nicht in jedes

    Haus. In Chur erschien der erste Kalender erst 1719 bei Pfeffer (Alt und neuer

    Schreibkalender). Darin figurieren Tabellen für Haar- und Nägelabschneiden,

    Aderlass etc. Das sind doch kaum Angaben, ohne die der Landmann den Kopf

    verliert. Auch die

    S. 306: Bauernregeln kennt der Landwirt auswendig, sie wurden vom Vater auf den

    Sohn überliefert, waren somit mehr Gegenstand der Tradition und finden sich

    heute auch im neuen Kalender. Das Festhalten am alten Kalender lag mehr im

    konservativen Sinn der Landbevölkerung begründet, der den Katholiken wie

    den Protestanten eigen ist. Sicher herrschte also im gesamten Volke der

    rätischen Alpen eine grosse Abneigung gegen den neuen Kalender, der durch

    Regelung der Feste und Arbeitstage vom gesamten Volke tief empfunden wird.

    Untersuchen wir nun im einzelnen, wie der katholische und evangelische Teil

    Graubündens sich dem neuen Kalender gegenüber verhielt.

    5 C. Moor, Geschichte von Currätien und der Republik "gemeiner drei Bünde", II, S. 233.

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    1. Die Stellungnahme der Katholiken war gegeben. Man musste der

    päpstlichen Anordnung sich fügen. Historische Angaben besitzen wir aber

    leider sehr wenige. Es ist ohne weiteres anzunehmen, dass der h1. Karl

    Borromäus bei seinem Besuche in der Mesolcina im Herbste 1583 auch für den

    neuen Kalender eingestanden sei, und dass die Mesolcina von diesem Jahre an

    nach dem neuen Stile sich richtete. Positive Angaben darüber fehlen uns aber.

    Der damalige Churer Bischof Peter Rascher war jedoch allzu schwach, um in

    dieser Frage selbständig vorzugehen. Ja er scheint sogar zu einem Gegenschlag

    sein Schwert erhoben zu haben. Gregor XIII. hatte für die ganze Kirche das

    römische Brevier herausgegeben. Die Kalenderreform stand damit in

    Zusammenhang. Nun aber edierte Peter Rascher das alte Churer Brevier und

    sagte dadurch: Wir bleiben in Chur beim alten, im Brevier und Kalender.

    Peters Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhle zu Chur, der Engadiner Johann

    v. Flugi, war ein äusserst kirchentreuer und gewissenhafter Bischof. Er

    erachtete es daher für seine Pflicht, auch in der Kalenderfrage dem Befehle

    Roms nachzukommen. Das Strafgericht von Thusis 1618 zog auch den Churer

    Bischof vor seine Schranken. Es warf ihm u.a. vor, er habe den neuen Kalender

    angenommen6. Einige Zeit hernach scheint der Bischof wirklich die

    Einführung des neuen Kalenders wieder urgiert zu haben, denn am 31.

    Dezember 1620 machte das Domkapitel dem Bischof ernste Vorstellungen:

    Man könne nicht alles auf einmal

    S. 307: erreichen. Die Einführung des neuen Kalenders sei gegenwärtig nicht

    möglich.7

    Es rückten nun die Österreicher ins Land und unterstützten den Bischof auf

    allen Gebieten seiner Reformen. Der Bischof hielt daher die Zeit günstig für

    die Einführung des neuen Kalenders. Dass er wirklich wieder mit dieser Frage

    auf rückte, erfahren wir aus den Erlebnissen des Georg Heusler aus Tirol.

    Dieser Geistliche des Bistums Chur musste auf Befehl des Bischofs seine

    Erlebnisse in Bünden aus den Jahren 1618-1624 beschreiben. Er tat es im März

    1644 in Rankweil Das Schriftstück liegt im bischöflichen Archiv. Über den

    Gregorianischen Kalender schreibt Heusler:

    6 Mayer, Geschichte des Bistums, II, S. 264.

    7 Ebendaselbst S. 275.

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    "1622. P. Fidelis hat mir zu Zizers in festo Annuntiationis B.V.M. im Pfarrhof

    den neuen Kalender aus Befehl ihrer Gnaden das erste Mal anbefohlen in

    Untervaz zu verkünden, welches bei Katholischen und Unkatholischen einen

    grossen Unwillen gemacht. Auch hat P. Fidelis damals auf der Kanzel das erste

    Mal zu Zizers den neuen Kalender verkündet. Wir aber haben damit eine

    Zeitlang innehalten müssen."

    Das ist nun alles, was wir urkundlich wissen über die Aufnahme des neuen

    Kalenders bei den Katholiken in Graubünden. Man nimmt aber allgemein an,

    dass die Beschlüsse des Trienter Konzils in ihrem ganzen Umfang im Bistum

    Chur im Jahre 1624 angenommen worden seien. Da dieses Konzil die Revision

    des Breviers und des Kalenders dem Papste überlassen und Gregor XIII. in

    Ausführung dieses Befehles den Kalender verbessert und publiziert hatte, so

    darf man billig annehmen, auch der neue Kalender sei bis 1624 bei den

    Katholiken Graubündens zur Annahme gelangt. Tatsächlich wurde im Jahre

    1643 das römische Brevier im Bistum Chur angenommen. Dasselbe musste

    aber nach dem neuen Kalender eingerichtet und gebetet werden. So ist auch der

    Ausdruck Heuslers: "Wir haben damit eine Zeitlang innehalten müssen" zu

    verstehen, dass der Kalender im Jahre, wo er seine Erlebnisse niederschrieb,

    angenommen war. Auch aus den Notizen des P. Isfried über den neuen

    Kalender in Churwalden erfahren wir, dass in den IV Dörfern der neue

    Kalender um die Mitte des 17. Jahrhunderts von beiden Konfessionen befolgt

    wurde.

    S. 308: Moor schreibt8: "Aus welcher Anregung hin die neue Zeitrechnung sich schon

    in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Stadt Chur eingebürgert hatte,

    ist uns nicht bekannt. Auch nicht das Jahr und die näheren Verumständungen.

    Sicher ist nur, dass in einem stadträtlichen Ausschreiben vom Jahre 1645 die

    Märkte nicht mehr nach der neuen Zeit, sondern nach der alten abzuhalten

    befohlen wurde." Soweit Moor. Was er nicht sicher zu erklären weiss, scheint

    uns nach dem Gesagten leicht erklärlich.

    In Chur war der neue Kalender eingeführt, und von der österreichischen

    Besatzung wurde der Bischof darin kräftig unterstützt. Die Franzosen, die 1624

    unter de Coeuvres ins Land rückten, befolgten den neuen Kalender auch schon

    und folgten ihm auch in Graubünden. Nachdem aber dieselben Franzosen unter

    8 Moor, Geschichte, II, S. 233.

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    Rohan das Land verlassen mussten und die III Bünde seit dem Jahre 1639

    immer selbständiger wurden, durfte Chur es wagen, sich den anderen

    protestantischen Gerichten anzuschliessen und wieder den alten Kalender

    anzunehmen.

    Unter den Katholiken bekamen die Churwaldner Katholiken, die unter

    reformierter Mehrheit leben, die neue Zeitrechnung am spätesten. Aus dem

    bischöflichen Archiv ergibt sich folgendes:

    P. Isfried Weltin, Prämonstratenser aus Roggenburg und seit 1763

    Pfarrverweser für die Katholiken Churwaldens, ging im Jahre 1767 daran, für

    die katholische Pfarrei in Churwalden den Gregorianischen Kalender

    einzuführen. Er setzte sich in Verbindung mit dem protestantischen Kommissar

    Georg Brügger, wie man die Feste halten wolle, wenn der Kalender nur von

    den Katholiken eingeführt werde. Der Kommissar meint, es gebe keine

    Schwierigkeit, jede Konfession richte sich nach dem eigenen Kalender. In der

    Nähe der Kirche dagegen dürfe nicht gearbeitet werden, auch dann nicht, wenn

    nur die Reformierten ein Fest feiern. Dagegen erhob P. Isfried Widerspruch. In

    der Nähe der Kirche habe besonders das Kloster Güter. Es wäre somit gesagt,

    dass besonders die Angestellten des Klosters, d.h. Knechte und Mägde, an

    protestantischen Festen an den Arbeiten gehindert seien. Wie wolle man sich

    namentlich am Neujahr verhalten, wo

    S. 309: die Kinder herumgehen, um beschenkt zu werden? Die katholischen Kinder

    würden früher daran kommen. In den IV Dörfern, wo man paritätische

    Bevölkerung habe, und in Bivio halte man sich auch an den neuen Kalender.

    Diese Ausführungen sind mehrfach interessant. Daraus ersieht man, dass der

    neue Kalender in den IV Dörfern und in Bivio eingeführt war und dass die

    protestantische Minorität daselbst sich an katholischen Festen wenigstens der

    knechtlichen Arbeiten enthielt, wenn sie vielleicht auch nicht dem neuen

    Kalender folgte.

    Auch berief sich der protestantische Kommissar auf eine Gewohnheit, dass

    man in der Nähe der Kirche an Sonn- und Festtagen der einen Konfession jede

    Arbeit mied, welche die Festtagsruhe der anderen Konfession stören konnte.

    Damit aber ergaben sich viele Unannehmlichkeiten und Einschränkungen im

    Erwerbsleben. Nehmen wir an, Pfingsten wäre nach dem neuen Kalender auf

    den 2. Juni gefallen. An diesem Tage war für Katholiken das hohe Pfingstfest,

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    am 3. Juni Pfingstmontag, am 4. Juni hatten die Protestanten nach dem alten

    Kalender den Sonntag vor Pfingsten, also an drei Tagen durfte in der Nähe der

    Kirche nicht gearbeitet werden. Am 9. Juni hatten die Katholiken wieder

    Sonntag, den Dreifaltigkeitssonntag. Am Dienstag, 11. Juni, hatten die

    Reformierten nach dem alten Kalender Pfingsten, am 12. Juni Pfingstmontag,

    am 19. Juni war nach dem neuen Kalender Fronleichnam, also wieder an drei

    Tagen jede Arbeit im Klosterhof verboten. Nur aus diesen Andeutungen ersieht

    man, welche gewaltige Störung des Erwerbslebens aus den zwei verschiedenen

    Zeitrechnungen sich ergaben. Die Katholiken hatten ferner zehn Tage früher

    Neujahr. Die Kinder gingen in alle Häuser, um beschenkt zu werden, und als

    die Ersten bekamen sie am meisten, sie nahmen gleichsam den Rahm weg.

    Das alles ist in den Aufzeichnungen des P. Isfried enthalten. Eine

    Verständigung mit den Protestanten war nicht zu erzielen. P. Isfried wurde mit

    der Zeit für den Gedanken reif: Wir Katholiken gehen voran, die anderen

    müssen dann folgen. Damit aber die Protestanten über die Neuerung der

    Katholiken sich nicht allzu sehr aufregen, wollte P. Isfried zuerst die Obervazer

    gewinnen. Er schrieb an den Landammann Bläsi und an die Kapuziner in

    Obervaz. Im Frühling, Sommer und Herbst pflegten nämlich

    S. 310: viele Obervazer in Sartons, Valbella und Canols nach Churwalden in die

    Kirche zu gehen, weil sie dorthin in einer Stunde gelangten) während sie nach

    Obervaz fast doppelt so lang hatten (in Lenzerheide stand damals noch keine

    Kirche). In dieser Korrespondenz wird bemerkt, der Pater von Churwalden

    pflege an den Festtagen des neuen Kalenders für die Obervazer später Messe

    zu lesen, aber er predige nicht. Sonst richteten sich die katholischen

    Churwaldner nach dem alten Kalender. Am Freitag nach dem alten Kalender

    hatten die Obervazer Sonntag, nach dem neuen Kalender hatten die

    Protestanten erst am Dienstag Sonntag. Nur für gewisse Festlichkeiten waren

    diese doppelten Festtage den Arbeitsscheuen willkommen. So hätte man gerne

    zweimal Neujahr gefeiert, nach dem neuen Kalender zwei Tage vor

    Weihnachten des alten Kalenders.

    P. Isfried schrieb auch an den bischöflichen Vikar in Lenz, um ihn für die

    Sache zu gewinnen. Das war natürlich nicht schwer. Denn die katholische

    Geistlichkeit war stets für den Gregorianischen Kalender, nach welchem man

    sich in Obervaz und Lenz richtete. Es ist sehr begreiflich, dass P. Isfried an die

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    Obervazer sich wendete. Denn die Obervazer hatten eine starke Faust, was sie

    schon Ende des 15. Jahrhunderts gezeigt hatten, wo sie die Alpknechte der Alp

    Stätz erschlugen. Auch hatte in den genannten Jahren Churwalden einen

    heftigen Rechtsstreit mit Malix wegen eines Waldes. Die Churwaldner beider

    Konfessionen buhlten deshalb damals um die Freundschaft der Vazer.

    Es ist in der Korrespondenz das Endergebnis der Verhandlung leider nicht

    verzeichnet. Doch kann man sicher annehmen, Katholisch Churwalden sei im

    Jahre 1767 zum neuen Kalender übergegangen, wodurch die Stellung der

    Protestanten stark beeinflusst wurde. Daher hört man später nicht, dass die

    Landschaft Churwalden dem Übergang zum neuen Stile Schwierigkeiten

    gemacht habe, wie Schanfigg und Prättigau.

    In seiner Korrespondenz macht P. Isfried noch einige Bemerkungen, die

    kulturelles Interesse beanspruchen. So schreibt er, es sei Brauch in

    Churwalden, dass die Katholiken bei den Taufen neben zwei katholischen

    Paten auch noch zwei bis drei protestantische Paten nehmen. Er müsse sich bei

    der Taufe recht ärgern, wenn er so viele dastehen sehe, die nichts zu tun und zu

    bedeuten haben. Aber Patientia,

    S. 311: An Neujahr sei wieder Brauch, dass die Kinder zu den Göttis laufen, um die

    Geschenke derselben in Empfang zu nehmen. Er habe darum diese Kinder

    nicht in der Kirche. (Schluss folgt.)

    S. 346: (Heft Nr. 11)

    2. Wenden wir uns nun dem Verhalten der evangelischen Bevölkerung in der

    Kalenderfrage zu.

    Im Jahre 1584 fragten die katholischen Orte die Republik der III Bünde an, ob

    man den Urkantonen bei Annahme des neuen

    S. 347: Kalenders sich anschliessen wolle. Der grosse Januarkongress lehnte in seiner

    Mehrheit die Annahme des neuen Stiles ab, legte aber die Frage dem

    Bundstage vor. Die Mehren der Gemeinden waren so, dass die katholischen

    Gemeinden den Gregorianischen Kalender anzunehmen bereit waren. Die

    protestantischen Gerichtsgemeinden aber erklärten sich für Beibehaltung des

    alten Stiles.9

    9 Sprecher, II, S. 512.

  • - 15 -

    Oben wurde bereits ausgeführt, dass tatsächlich der neue Kalender wenigstens

    in Chur um 1622 eingeführt war, aber nach zwei Dezennien wieder abgeschafft

    wurde.

    Nachdem Zürich, Basel, Bern und Schaffhausen 1701 zur neuen Zeitrechnung

    übergegangen waren, erging wiederum an die Reformierten Bündens von

    Zürich aus die Einladung, dem Beispiele ihrer dortigen Glaubensgenossen zu

    folgen. Am 26. Oktober 1701 vermeinte Zürich, den Bündnern die Annahme

    des neuen Kalenders um so mehr empfehlen zu sollen, als es sich um eine

    religiös indifferente, aber für Politik, Verkehr und Handel wichtige Sache

    handle, und weil der Übergang zum neuen Leopoldinischen Kalender nicht

    vom Papste, sondern von den weltlichen Behörden anempfohlen werde.

    Doch die Mehren der Gemeinden über den Kalender sprachen sich wieder mit

    grosser Mehrheit gegen den neuen Kalender aus. So ruhte die Frage wieder für

    lange Zeit.

    In England und Schweden ging man im Jahre 1752/53 zum neuen Kalender

    über. Dieser wurde nun in allen umgebenden Ländern beachtet. Man hatte

    somit Zeit, über die Vortrefflichkeit des neuen Kalenders nachzudenken und

    seine Erfahrungen zu machen. Nicht bloss unter den Gebildeten, sondern auch

    unter dem Landvolk hörte man häufig Stimmen, welche die Nützlichkeit einer

    gemeinschaftlichen Zeitrechnung für beide Konfessionen betonten.

    Es traten denn auch einsichtige Männer für den neuen Kalender ein.

    Erwähnung verdienen:

    a) Am 23. Januar 1785 hielt Balthasar von Castelberg, Pfarrer in Almens und

    Rodels, eine Predigt, die im gleichen Jahre bei Bernhard Otto in Chur gedruckt

    und veröffentlicht wurde. Der Prediger warf eingangs die Frage auf, ob es sich

    lohne, des Kalenders wegen so viel Aufsehen zu machen,

    S. 348: Gemeindeversammlungen abzuhalten, miteinander zu hadern und sich

    gegenseitig zu verleumden, den Landesvätern die Achtung zu verweigern,

    eigensinnig beim alten zu verhauen, und weiser als andere Evangelische sein

    zu wollen, namentlich in paritätischen Gemeinden die Eintracht zu

    untergraben? Der Prediger widerlegt die etwa möglichen religiösen Bedenken

    gegen den neuen Kalender und preist seine astronomischen, mathematischen

    Vorzüge. Er betont ferner, dass gebildete Männer in fast allen Ländern sich für

    die neue Zeitrechnung ausgesprochen, während eine Handvoll Glarner,

  • - 16 -

    Appenzeller und Bündner sich in den Kopf gesetzt hätten, weiser als andere

    Leute sein zu wollen.

    b) Noch wirkungsvoller war ein Beitrag zur Aufklärung über den neuen und

    alten Kalender von Pfarrer und Professor Martin Planta10, erschienen 1753 in

    deutscher, und 1785 in ladinischer und surselvischer Übersetzung.

    Das Festhalten am alten Kalender sei eher dem Mangel an Aufklärung als etwa

    dem Starrsinn zuzuschreiben. Planta argumentiert: Man sagt: Unsere Väter

    waren kluge und weise Männer und sind beim alten Kalender geblieben. Wir

    wollen nicht klüger und weiser sein, als sie waren. Darauf ist zu antworten: Es

    ist wahr, dass unsere Väter weisere und klügere Männer waren, als wir sind.

    Denn wo ihnen etwas Neues vorkam, welches sie annehmen oder verwerfen

    sollten, sagten sie nicht: Unsere Väter haben es nicht angenommen, deswegen

    wollen wir es auch verwerfen. Sondern sie sagten: Lasset uns alles prüfen und

    untersuchen und das Gute behalten.

    c) Ein eifriger Verfechter der alten Zeitrechnung war Ulrich Sturzenegger, der

    den Appenzeller Kalender gründete. Dieser wurde darum von den Anhängern

    der alten Zeitrechnung viel gekauft, und daher rührt auch die Popularität des

    Appenzeller Kalenders in Bünden. Eine Schrift, die aber wahrscheinlich nicht

    publiziert wurde, richtete darum eine beissende Satire besonders

    S. 349: gegen diesen Ulrich Sturzenegger, welcher der grösste Kalendermacher, aber

    auch der grösste Erzlügner sei11.

    d) Pfarrer Andrea a Porta schrieb ein Gespräch zwischen einem von der

    Universität zurückgekehrten Studenten und einem gestrengen Staatsmann,

    beleuchtet den Gegenstand in fasslicher Weise und schliesst mit dem

    Entschlusse des Beamten, seinen Einfluss für Einführung des neuen Stiles

    einsetzen zu wollen.

    Durch solche Schriften, durch den Verkehr mit Katholiken, die nach der neuen

    Zeitrechnung sich richteten, durch die häufige Berührung mit den

    10

    Martin Planta von Süs (1727-72) studierte in Zürich Theologie und Mathematik, wirkte

    als Pfarrer in London, als Erzieher im Hause des Generals von Planta, 1753 Pfarrer in

    Zizers, gründete eine Erziehungsanstalt (Philanthropin), die in Haldenstein, Marschlins

    und Reichenau bestand. Er erfand 1755 die Scheibenelektrisiermaschine, konstruierte

    einen Apparat zur Beförderung von Schiffen und Wagen vermittelst der Dampfkraft,

    wofür er von Ludwig XV. von Frankreich 100 Louis d'or als Gratifikation erhielt.

    Sprecher, II, S. 455.

    11 Bott, S. 29.

  • - 17 -

    Nachbarstaaten, die Einwanderung und Auswanderung protestantischer

    Bündner mussten die Übelstände verschiedener Zeitrechnungen im

    bürgerlichen Leben sich fühlbar machen und Vorurteile schwinden und die

    Opposition gegen die verhasste Reform allmählich geschwächt werden. Nach

    diesen Voraussetzungen können wir nun in Kürze den Verlauf der Annahme

    des neuen Kalenders in Evangelisch-Bünden zeichnen, wobei das Werkchen

    Botts die Grundlage bildet.

    Die erste reformierte Gemeinde, welche die gregorianische Zeitrechnung

    annahm, ist wahrscheinlich Puschlav. Nach dem Zeugnis des Pfarrers

    Leonhardi fand hier die Annahme im Jahre 1756 statt. Dieses Vorgehen erklärt

    sich aus der Lage der dortigen reformierten Bevölkerung. Diese befindet sich

    im Tale in der Minderheit, war auch im Verkehr angewiesen auf das nahe

    Veltlin, wo der Gregorianische Kalender galt. Dabei ist besonders zu beachten,

    dass die Minorität in einer Gemeinde sich nach der Majorität richten musste.

    Die Protestanten Puschlavs mussten somit an katholischen Festtagen sich

    knechtlicher Arbeiten enthalten und ebenso an den Sonn- und Festtagen der

    eigenen Konfession, Ungefähr gleichzeitig erklärte sich auch der reformierte

    Teil von Brusio für den neuen Stil.

    Viele Oberengadiner und Bergeller wanderten ins Ausland, besonders nach

    Italien, wo der neue Kalender galt. Es ist daher begreiflich, dass sie sich an

    denselben gewöhnt hatten und ihm auch in ihrer Heimat Eingang gewährten.

    Am 16. Dezember 1782 fasste daher die Obrigkeit des Oberengadins zu

    Samaden den Beschluss, die neue Zeitrechnung sei auf Anfang des Jahres 1783

    einzuführen. An sämtliche Geistliche des Tales erging die Mahnung, sich bei

    ihren Funktionen, an den Festtagen und Abendmahlsfeiern darnach zu richten.

    S. 350: Diese Neuerung scheint in diesem Kreise keine bedeutende Opposition

    gefunden zu haben. Fast ebenso glatt ging auch Bergell, wo die Verhältnisse

    ähnlich lagen, zur neuen Zeitrechnung über12.

    Chur folgte bald nach. Auf das Gutachten des Herrn Obersten und

    Stadtammanns Beeli von Belfort und des Oberzunftmeisters Willi befahl der

    Stadtrat am 29. Oktober 1783, für den Rechnungsverkehr der Stadtkasse von

    Neujahr 1784 an sich an den neuen Kalender zu halten.

    12

    Bott, S. 32.

  • - 18 -

    Doch die gläubigen Protestanten waren nicht alle mit dieser stadträtlichen

    Verfügung einverstanden. Man sah daher noch lange Zeit einige Frauen und

    Männer Churs nach Haldenstein zum Gottesdienst und zur Feier des

    Abendmahles gehen. Sie wollten nach dem alten Kalender leben und selig

    werden. Haldenstein aber behielt noch den alten Kalender bis ins 19.

    Jahrhundert, wo es dem Kanton einverleibt wurde und sich dem Beschluss des

    Grossen Rates von 1811 fügen musste.

    Im Unterengadin verursachte die Änderung der Zeitrechnung heftige Kämpfe.

    Die Brunnenstöcke trugen oft Spottgedichte, bald auf die Anhänger des neuen

    Kalenders, bald auf die Verteidiger des alten. Dem einflussreichen

    Landeshauptmann Peter von Planta in Zernez, einem Anhänger des neuen

    Kalenders, rief auf der Landsgemeinde ein Bauer, der sich am Alten hielt, zu:

    "Sie sind vom Papste bestochen!" Beim Einläuten des neuen Jahres kam es oft

    zu grossartigen Schlägereien in und vor dem Turme. Die Pfarrherren waren

    untereinander nicht einig und feierten hier nach dem alten, dort nach dem

    neuen Kalender. Unter den Gläubigen gab es auch hier Anhänger des

    Herkömmlichen, die bei Einführung des neuen Stiles daheim ihrer Andacht

    nach dem alten Kalender oblagen oder in andere Dörfer gingen, wo man sich

    noch nach dem alten Stile richtete.

    Samnaun ging 1801 definitiv zum neuen Kalender über. Schuls folgte 1806.

    Am längsten blieb Sent beim alten Stil, nämlich bis 1812, wo der Kanton sich

    für die neue Zeitrechnung aussprach, worauf dann auch Sent seinen

    Widerstand fallen liess.

    Im Münstertal ging es ähnlich. Münster hatte den neuen Kalender

    angenommen. Um 1795 bis 1800 hielt die Obrigkeit zu S. Maria eine

    Gemeindeversammlung ab, um die Einführung des neuen Kalenders zu

    befürworten. Die Partei der Alten war aber stärker, verschrie die Gegner als

    verkappte Katholiken. An der

    S. 351: Spitze der Alten stand Mathiassen, ein Schuhmacher, mit dem Beinamen il

    Suort, der Taube. Als ein H. Perini von Scanfs in Geschäften durch das Tal

    nach Tirol reiste, meinte der genannte Schuster, Perini sei wegen des neuen

    Kalenders hergekommen, und drohte, ihn mit dem Hammer totzuschlagen. Erst

    die Anordnung der Regierung 1811 setzte die Neuerung durch. Die oberen

  • - 19 -

    Talgemeinden dagegen scheinen weniger Opposition gemacht zu haben als S.

    Maria13.

    Über die Verhältnisse im Domleschg bei Einführung des Kalenders hat man

    gar keine Nachrichten. Doch ersieht man aus der Predigt des Almenser Pfarrers

    Castelberg, dass ums Jahr 1785 der neue Kalender dort noch nicht eingeführt

    war.

    In Schams machten die Berggemeinden der Annahme des neuen Stiles

    Opposition, während die Talgemeinden im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts

    schon zur neuen Zeitrechnung übergegangen waren.14

    Die grössten Unruhen verursachte die Neuerung des Kalenders in den

    protestantischen Gemeinden der Gruob. Die Familien Gabriel und Castelberg

    hatten daselbst ihr früheres Ansehen verloren und suchten durch Festhalten am

    alten Kalender sich einige Popularität zu verschaffen. Die Anhänger der alten

    Zeitrechnung waren bis 1797 in der Mehrheit, wir wollen sie hier die Alten

    nennen. Die Förderer des neuen Kalenders nennen wir die Neuerer, sie waren

    für ihre Idee sehr tätig. Nach langen Kämpfen eroberten sich die Neuerer im

    Jahre 1797 die Mehrheit. Sie bemächtigten sich des Turmes der Kirche in

    Ilanz. Bei einer Abstimmung wurde beschlossen, den neuen Kalender

    einzuführen. Die Alten hielten fest an der Opposition und feierten den

    Gottesdienst in der ob der Stadt gelegenen St. Martinskirche. Der auch am

    alten Kalender festhaltende Pfarrer von Luvis hielt ihnen den Gottesdienst.

    Mutwillige oder fanatische Neuerer versperrten den Zugang zur Kirche mit

    Barrikaden. Die Luviser ergriffen Repressalien, stürmten an einem

    Ostermontag alten Stiles von ihrer Höhe herab und verjagten die auf dem Felde

    arbeitenden Neuerer. Bald nachher folgte die französische Invasion, und über

    den ungleich wichtigern politischen Ereignissen ruhte der Kalenderstreit.

    Während der Helvetik und der ersten Hälfte der Mediationsperiode traten nach

    dem Beispiele von Ilanz auch Kästris und

    S. 352: Schnaus, dann Flims, Valendas und Versam, am spätesten Waltensburg, Luvis

    und Trins zum neuen Kalender über.

    13

    Bott, S. 38

    14 Bott, S. 14.

  • - 20 -

    1810 fasste der Grosse Rat den Beschluss, in den an den beiden Hauptstrassen

    gelegenen Orten solle die neue Zeitrechnung eingeführt werden. Diese

    Verordnung fand freilich da und dort nicht den gewünschten Anklang, weshalb

    die hohe Behörde am 20. Mai 1811 folgenden Beschluss fasste: Den

    Gemeinden, welche die alte Zeitrechnung beibehalten haben, sei zu erklären,

    dass der Grosse Rat für die Zukunft die neue Zeitrechnung für ausschliesslich

    gültig und als die einzige des Kantons anerkenne und die fernere Beibehaltung

    der alten Zeitrechnung als eine Verletzung der Kantonspolizei ansehe. Wenn es

    Gemeinden gebe, die jetzt noch nicht aus eigenem Antriebe dieser Verordnung

    entsprächen, so sind dieselben ungesäumt zur Annahme der neuen

    Zeitrechnung aufzufordern, und wenn sie binnen Monatsfrist nicht Genüge

    geleistet haben, sind sie wegen ihres Ungehorsams vor ein Spezialgericht zur

    Verantwortung zu ziehen. Der Herr Landrichter erklärte, die katholischen

    Mitglieder des Grossen Rates hätten an diesem Beschluss teilgenommen, damit

    derselbe als eine neue Kantonalverordnung gelte und jedermann zur Erhaltung

    des öffentlichen Ansehens angehalten werden solle.

    Mit Neujahr 1812 läutete man den neuen Stil ein, doch an einigen Orten des

    Zehngerichtenbundes nur unwillig.

    Klosters hatte seinen Pfarrer Coaz entlassen, weil er den Erlass der Regierung

    zur Beachtung empfohlen.

    Furna und Valzeina blieben auch beim alten. Ebenso die äusseren Gemeinden

    des Schanfigg, Maladers, Calfreisen und Castiel. Castiel feierte Weihnachten

    1811 nach dem alten Kalender. Bei einem Leichenbegängnis daselbst

    erschienen auch Landsleute aus den inneren Gemeinden, welche sich dem

    neuen Stile anschliessen wollten. Bei diesem Anlasse sollen die Castieler den

    Neuerern mit den Strafen des Himmels gedroht haben.

    Renitent zeigten sich Schiers und Grüsch. Sie wurden daher vom

    Spezialgericht zu einer Busse verurteilt, die ihnen in Anbetracht ihrer

    nachträglichen Willfährigkeit vom Kleinen Rate erlassen wurde.

    Die Bauern aber rechneten in ihren landwirtschaftlichen Verhältnissen noch

    lange nach dem alten Kalender. Sie liessen die Kühe nach diesem kälbern, und

    manche feierten das alte Neujahr noch lange am 13. Januar.

  • - 21 -

    Nachtrag dazu

    Bündnerisches Monatsblatt, Heft Nr. 11. 1920. Seite 322-323.

    Die Erledigung des Kalenderstreites in Graubünden.

    Ergänzende Mitteilungen zu J. Bott, "Die Einführung des neuen Kalenders in

    Graubünden". Leipzig 1863.

    (Aus zeitgenössischen Tagebuchblättern von Johann Ulrich von Salis- Seewis.)

    Mitgeteilt von Guido v. Salis-Seewis, Genf.

    1804, Januar 14. den neuen Calender haben angenommen: Malix, Bergün und Latsch

    (Filisur und Stuls nicht), Malans, Jenins, Fläsch (Mayenfeld nicht); Seewis wollte ihn,

    wenn andere Benachbarte es auch thäten, aber Grüsch nicht, weil Schiers nicht wollte.

    Jan. 16. den neuen Calender hat angenommen: Rheinwald. Schams im Boden,

    Fürstenau, Sils etc. In dieser Gegend waren die Weiber heftig dagegen, aber die

    mehrern Männer dafür; es ward daher das neue Jahr mit häuslichen Faustkämpfen

    celebriert. Man feyerte das neue Jahr nach dem alten Calender, zählte aber dann gleich

    den 13. statt 1.

    Jan, 18 den neuen Calender haben ferner angenommen: Igis und Untervatz (Trimmis

    nicht), der grösste Theil von Untervaltasna. In Pignieu (im Schamserthal) hatten die

    Männer ihn angenommen, aber die Weiber empfingen sie mit Fäusten und Nägeln, da

    änderten die belehrten Ehemänner es wieder.

    Mai 22. im Unter-Engadin hat nur Lavin (jetzt eine der best geführten Gemeinden) den

    neuen Calender angenommen, die übrigen wollen es erst auf Ostern thun. In der Grub

    allein Ilanz. Closters ist wieder dem alten zugefallen und hat Ostern neu gefeyert,

    Pfingsten hingegen alt.

    Dez. 16. Lavin ist das einzige Dorf im Unterengadin, das den neuen Calender

    angenommen hat (nach Bott: Samnaun bereits 1801, Schuls 1806).

    1805, Jan. 2. 1752 oder 54 gab Prof. Planta eine Schrift über den Calender ein, welche

    von den Häuptern auf die Gemeinden gebracht, aber nicht beachtet wurde. 1780 schrieb

    der Congress auf Antrag meines Vaters die Sache wieder aus, Flims und Thusis nahmen

    es an und beharrten. Ober-Engadin nahm früh an (nach Bott 1783), verliess dann

    wieder, weil Bergell beym alten blieb, und sobald Bergell den neuen annahm, folgte es

    auch nach.

    Jan. 20. Feldsperg und Heinzeberg haben den alten Calender wieder.

  • - 22 -

    1806, Februar 24. Scharans hat den alten Calender wieder durch Mehren angenommen,

    und zwar mit dem Beysatz, dass solang eine Gemeinde ihn behalte, sie es auch thun

    wolle; zwei Männer protestierten wider diese Dummheit. Sils und Almens bleiben beym

    neuen.

    1810, August 17. das Morgenblatt 1810. Nr. 128 enthält einen Aufsatz über den alten

    und neuen Calender von Carl Ulysses v. Salis- Marschlins, nur -s unterzeichnet (hier

    folgen Auszüge aus demselben, wovon wir nur den Schluss wiedergeben: Planta, durch

    die von ganz England erst 1752 erfolgte Annahme des Neuen Calenders aufgemuntert,

    sprach 1754 für dieselbe - vergebens. In den 80er Jahren erst vermochte das Interesse

    erst einige Gemeinden zu dieser Verbesserung. Der amerikanisch-englisch-französische

    Krieg brachte, durch Unsicherheit der See, unsre Bergpässe in Aufnahme und zeigte die

    Unbequemlichkeit eines verschiednen Calenders; Chur, Bergell und Ober-Engadin

    nahmen den neuen an und ihnen folgten allmählich andere Gemeinden.

    1812, Jan. 7. Das Gericht wegen des alten Calenders war beisammen und erhielt von

    Avers, als den letzten Renitenten, Bericht, dass sie sich auch unterworfen. Die

    Anstalten, ein Bataillon aufzubieten und den Landammann der Schweiz zu

    benachrichtigen, hatten die Schierser und Grüscher geschmeidiger gemacht.

    Über "Avers den letzten Renitenten" wird noch folgende Eigentümlichkeit berichtet:

    1810, Juni 15. In Avers wird die italiänische Uhr so gebraucht, dass der Einbruch der

    Nacht mit 12 bezeichnet wird; z.B. im höchsten Sommer ist etwa um 9 Uhr A. 12; dann

    aber zählt man nicht wie in Italien bis 24, sondern wieder 1. Einige Familien haben auch

    die deutsche Uhr.

    Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2011

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