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Vorab das Wichtigste: Gewalt freiheit ist das oberste Prinzip. Nichts rechtfertigt Gewalt, sei sie von rechts, von links, seitens des Staates, der Polizei oder von In dividuen, organisiert oder nicht organisiert, religiös oder säkular, physisch oder psychisch, ökono misch oder idealistisch, vom Mi litär oder von Privatpersonen verübt. Gewalt generiert nur mehr Gewalt und sonst nichts. Sie ist niemals eine Lösung. Internationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin von Evelyn Rottengatter, 23. Juli 2017 (SB) ... (Seite 22) Das Pentagon richtet sich auf einen längeren Verbleib in Syrien ein (SB) (Seite 4) (SB) ... (Seite 13) Mehr Demokratie G20 Protestwelle Protestzug auf dem Hamburger Rathausmarkt am 2. Juli 2017 (Foto by Carl Geisler | Lizenz: CC BYSA 2.0) https://creativecommons.org/licenses/bysa/2.0/

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MA-Verlag Elektronische Zeitung Schattenblick

Neueste tagesaktuelle Berichte . . . Interviews .. . Kommentare . . . Meinungen .. . . Textbeiträge .. . Dokumente . . .

Dienstag, 25. Juli 2017

Vorab das Wichtigste: Gewalt­freiheit ist das oberste Prinzip.Nichts rechtfertigt Gewalt, sei sievon rechts, von links, seitens desStaates, der Polizei oder von In­dividuen, organisiert oder nichtorganisiert, religiös oder säkular,physisch oder psychisch, ökono­misch oder idealistisch, vom Mi­litär oder von Privatpersonenverübt. Gewalt generiert nurmehr Gewalt und sonst nichts.Sie ist niemals eine Lösung.

Glaubt man der Berichterstattungder Medien während der Gipfel-Tage und danach, so entsteht derEindruck, dass pure Gewalt dieStraßen von Hamburg beherrsch-te und alle Demonstrationen inKrawallen und Straßenschlachtenendeten. Selbst zwei Wochennach dem Gipfel ergibt eine kur-ze Bildersuche auf google zumThema, egal in welcher Sprache,vor allem zwei Arten von Moti-ven: einerseits die altbekannten

Internationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin

Die Medien und G20:

eine Nachricht aus Deutschland an den Rest der Welt

von Evelyn Rottengatter, 23. Juli 2017

Welternährung am Beispiel Mais

(SB) ­ Es gibt eine reelle Chance,daß aufgrund von gleichzeitigenExtremwetterereignissen in denbeiden wichtigsten Maisanbauge-bieten der Welt, USA und China,Mißernten eintreten ... (Seite 22)

POLITIK / REDAKTION

UMWELT / REDAKTION

USA bauen Militärpräsenz in

Nordsyrien kräftig aus

Das Pentagon richtet sich auf einenlängeren Verbleib in Syrien ein

(SB) ­ Die am 19. Juli durch einenArtikel der Washington Postbekanntgewordene, inzwischenformell bestätigte EntscheidungDonald Trumps, die offiziell seit2013 laufende CIA-Operation zurUnterstützung aufständischerGruppen in Syrien zu beenden .. .(Seite 4)

KUNST / REPORT

documenta, Fragen und Kritik

- zwiebetracht ... (1)

(SB) ­ Eine Kunstausstellungnach Leistungsdaten wie der Zahlder Exponate oder der Besucherzu beurteilen ist, zumindest dann,wenn Kunst von Ware unter-scheidbar sein soll, ein Wider-spruch in sich. Dennoch drängensich die quantitativen Merkmaleder Präsentation und ... (Seite 13)

Mehr Demokratie ­ G20 ProtestwelleProtestzug auf dem Hamburger Rathausmarkt am 2. Juli 2017(Foto by Carl Geisler | Lizenz: CC BY­SA 2.0)https://creativecommons.org/licenses/by­sa/2.0/

Extremwetter - Risiko der

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Seite 2 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

Gesichter der Politiker der soge-nannten "mächtigen" G20 Staatenund andererseits viele schwarzevermummte Personen, bei denenman nur bei genauerem Hinsehenerkennen kann, wer nun "linksau-tonom" und wer "staatliche Ord-nungskraft" ist. Im Hintergrundimmer Barrikaden, Feuer, Rauch,Blaulicht, Chaos.

Dass aber auch viele zehntausen-de Menschen quer durch die Ge-sellschaft friedlichst und gewalt-frei demonstrierten, mit buntenFahnen, Bannern und offenen,freundlichen Gesichtern, davonwurde weitaus weniger berichtet.Das weckt Erinnerungen an G8Genua: auch damals konzentrier-te sich die gesamte internationalePresse auf die physischen Ausein-andersetzungen zwischen Polizeiund den wenigen, die sich von ihrprovozieren ließen oder umge-kehrt. Und wie wir inzwischenvon unabhängigen Untersuchun-gen wissen, waren unter den so-genannten Randalierern von da-mals auch V-Männer, was dieVermutung nahelegt, dass diesauch in Hamburg der Fall gewe-sen sein könnten. Ob dem so war,wird erst die Aufarbeitung dessen,was da geschehen ist, zeigen.

Aber zurück zu dem, was wirklichzählt. In Wahrheit waren vielezehntausende Menschen übermehrere Tage hinweg friedlich aufden Straßen Hamburgs unterwegs,es gab Alternativ-Gipfel mitWorkshops, zahlreiche Nebenver-anstaltungen und Kundgebungen,einen Women's March, eine Tanz-demo, und zählt man alle Teilneh-mer über diese gesamte Zeit in derWoche bis zum Gipfel zusammen,kommt man locker auf gut100.000 Menschen. Und derGroßteil davon völlig gewaltfrei.

Bereits am 2. Juli, dem Sonntageine Woche vor dem Gipfel, ver-sammelten sich unter dem Motto"G20 Protestwelle - Eine anderePolitik ist nötig" [1 ] in Hamburg25.000 Menschen aus ganzDeutschland und darüber hinaus,um gemeinsam und friedlich ihreStimmen kund zu tun. Es warenMenschen wie du und ich, Famili-en, Singles, Rentner, Studenten,Angestellte, Selbständige, Teena-ger, Arbeitslose, Akademiker undLandwirte mit ihren Traktoren, mitanderen Worten ganz normale Bür-ger. Was sie forderten entsprichtdem, was inzwischen ein Großteilder zivilen Gesellschaft in Europaund dem Rest der Welt verstandenhat: Erzwungener und hemmungs-loser globaler Freihandel geht aufKosten der Umwelt, schafft Armut,Konflikte und Flüchtlingsströmeund nützt letztendlich nur den mul-tinationalen Unternehmen und ih-ren Aktionären.

Die Großveranstaltung war voneinem breiten Bündnis von Verei-nen und NGOs organisiert wor-den, die inzwischen ein nicht un-beträchtliches Segment der Ge-sellschaft repräsentieren und abertrotzdem von den großen Tages-zeitungen, TV-Kanälen und Ma-gazinen immer noch ignoriertwerden. Warum wurde niemandvon Mehr Demokratie! [2] , Cam-pact, Bund Naturschutz, Friendsof the Earth Germany, Gewerk-schaften wie IG Metall und DGB,Oxfam, Bündnis Stop-TTIP,Greenpeace, WWF und den vie-len anderen sozialen und Um-weltbewegungen interviewt?Warum niemand der 25.000 fried-lichen Demonstranten? Und woblieben die Bilder dazu?

Ist es vielleicht deshalb, weil eineder fundamentalen und gemeinsa-

men Forderungen lautet: "EchteDemokratie weltweit kann nichtvon den Regierungen der 20reichsten Staaten gewährleistestwerden, wenn die anderen 176Länder nicht mit am Tisch sit-zen?" Zumal darunter keines derLänder ist, in denen zur Zeit Mil-lionen von Menschen hungern,keines der Länder, aus denenmehr als 65 Millionen Menschendie Flucht ergriffen haben und nurzwei der zehn Länder, die diemeisten Flüchtlinge beherbergen?

Diesen Gedanken weiterzudenken,lohnt sich und es führt unweiger-lich zu dem, was die G20 wie derTeufel das Weihwasser zu fürchtenscheinen: die Forderung nach ei-nem Weltparlament [3] oder nacheinem G196 [4] , bei dem alle Län-der der Welt mit dabei sind. Dennwenn es um die Zukunft des Plane-ten geht, leuchtet das in der Tat je-dem vernünftig denkenden Men-schen ein. Ist es vielleicht dieAngst, dass dieser Gedanken sichzu einer gewaltigen Kraft ent-wickelt könnte, die einen wahrhaf-tigen Wandel in Gang bringenkönnte? Spricht deshalb fast nie-mand davon, dass am 5. und 6. Ju-li zeitgleich der alternative Gipfel"Gobal Solidarty Summit" [5] inHamburg stattfand, an dem über2.000 Menschen teilnahmen, dar-unter renommierte Wissenschaftlerwie Dr. Vandana Shiva, Politikerund Aktivisten aus aller Welt, undder wiederum in Kooperation [6]mit zahlreichen sozialen Organisa-tionen, Gewerkschaften und Netz-werken der Zivilgesellschaft orga-nisiert worden war?

Wurde deshalb vielleicht am 7.Juli der falsche Feueralarm imAudimax der Universität Ham-burg während der Veranstaltung"DiEM25@G20: Constructive Di-

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sobedience" [7] ausgelöst, just be-vor Julian Assange per Videost-ream dazugeschaltet werden konn-te? Und wieso berichteten diegroßen Medien darüber nicht, stür-zen sie sich doch sonst auf alles,was mit dem Gründer der Enthül-lungsplattform zu tun hat.

Und dann war da natürlich nochder Gipfelsonntag selber, der 8.Juli, an dem nach Schätzungen derVeranstalter 76.000 Menschen un-ter dem Motto "Grenzenlose Soli-darität statt G20" [8] friedlichdurch Hamburg zogen. Besondersbeeindruckend gibt ein selbstge-drehtes Zeitraffer-Video den stun-denlangen Straßenzug ohne jegli-che Krawalle oder Randale wie-der; zu finden auf der G20-de-mo.de Webseite, die in vielenSprachen verfügbar ist, und dieweitere positive Eindrücke geleb-ter Solidarität und gewaltfreienProtestes für soziale Gerechtigkeitund ein Ende der Zerstörung desPlaneten zeigt. Ja, es war kriti-scher Protest. Ja, man forderte - zuRecht - das, was uns die Demokra-tie verspricht, aber keiner unsererführenden Politiker liefert. Aberder überwältigende Großteil warfriedlich und fern jeglicher Ge-walt. Im Gegenteil, fast alle, diemit dabei waren, wünschen sichFrieden überall auf der Welt undgehen dafür auch auf die Straße.

Die Nachricht an die Welt (und anuns selber) lautet also: Glaubtnicht alles, was Euch die großenMedien präsentieren. Es ist nur einkleiner Teil der großen Realität.Hinterfragt, recherchiert, infor-miert Euch. Je kleiner ein Mediumist, desto größer die Chance, dassdabei unabhängiger, nicht poli-tisch-ökonomisch beeinflussterJournalismus entsteht. Hamburgwar weit mehr als das, was Euch

gezeigt wird. Informiert Euchdurch Newsletter von nicht-ge-winnorientierten Organisationenund Vereinen, schaut in die sozia-len Netzwerke, die selbstgedrehteVideos von Privatpersonen zeigen:sie sind nicht geschickt geschnit-ten, mit emotionaler Musik unter-legt und aufManipulation in einebestimmte Richtung ausgelegt.

Aber vor allem: nutzt Euren ge-sunden Menschenverstand, hörtauch auf das, was Eurer GefühlEuch sagt und wisst, dass es inHamburg, in Deutschland und aufder ganzen Welt eine wachsendeAnzahl von Menschen gibt, die ei-ne friedliche, gewaltfreie und de-mokratische Zukunft für alle wol-len und die verstanden haben, dasswir dazu einen echten und wahr-haftigen Richtungswechsel brau-chen. Die Berichterstattung dergroßen Medien im Bezug aufG20hat hierzu einmal mehr kläglichstversagt.

Fotostrecken und Videos von derG20 Protestwelle vom 2. Juli [9]Fotostrecke vom 2. Juli von MehrDemokratie! [1 0]Fotos und Videos der Vorträgebeim Global Solidarity Summitam 5. und 6. Juli [11 ]Fotostrecke vom 8. Juli von Pres-senza Berlin [12]

Über die Autorin

Evelyn Rottengatter. Geboren1971 und aufgewachsen bei Mün-chen. Diplom in Fremdsprachen-korrespondenz (Englisch, Franzö-sisch, Italienisch). Hat lange inden Medien gearbeitet (Kino,Fernsehen, Print). Seit einigenJahren lehrt sie Kindern Sprachenund schreibt und übersetzt für Pr-essenza.

Anmerkungen:

[1 ] https://www.g20-protestwelle.de/[2] https://www.mehr-demokra-tie.de/aktionen/aktionschronik/pro-testwelle-gegen-politik-der-g20/[3] https://www.democracywithout-borders.org/[4] https://www.youtu-be.com/watch?v=TebRT-lU4zms&feature=youtu.be[5] http://solidarity-summit.org/[6] http://solidarity-summit.org/ko-operationspartner/[7] https://diem25.org/event/diem25g20-constructive-disobe-dience-resistance-in-the-age-of-sur-veillance-capitalism/?instan-ce_id=123[8] http://g20-demo.de/de/start/[9] https://www.g20-protestwelle.de/[1 0] https://www.flickr.com/pho-tos/mehr-demokra-tie/sets/72157685667707516[11 ] http://solidarity-summit.org/vi-deos-mehr/[1 2] https://www.pressenza.com/-de/2017/07/zehntausende-protestie-ren-friedlich-und-bunt-in-hamburg-fuer-eine-solidaritaet-ohne-grenzen/

Der Text steht unter der Lizenz Crea-tive Commons 4.0http://creativecommons.org/licen-ses/by/4.0/

*Quelle:Internationale Presseagentur Pressen-za - Büro BerlinJohanna HeuvelingE-Mail:[email protected]: www.pressenza.com/de

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Seite 4 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

POLITIK / REDAKTION / NAHOST

USA bauen Militärpräsenz in Nordsyrien kräftig aus

Das Pentagon richtet sich auf einen längeren Verbleib in Syrien ein

(SB) 24. Juli 2017 ­ Die am 19.Juli durch einen Artikel der Wa-shington Post bekanntgewordene,inzwischen formell bestätigteEntscheidung Donald Trumps,die offiziell seit 2013 laufendeCIA-Operation zur Unterstützungaufständischer Gruppen in Syrienzu beenden, hat bei der Kriegs-treiberfraktion in Washingtoneinen Sturm der Entrüstung aus-gelöst. Vom Krankenbett aus warfder Leitwolf dieser Fraktion, Se-nator John McCain, bei dem vorkurzem ein Gehirnkrebs diagno-stiziert worden war, seinem repu-blikanischen Parteikollegen undPräsidenten per Twitter vor, vorWladimir Putins Rußland kapitu-liert und die Interessen Amerikasim Syrien-Konflikt verraten zuhaben. So apokalyptisch kann of-fenbar nur der Vietnamveteranund unverbesserliche Kalte Krie-ger McCain die strategische Lageausmalen. Tatsächlich geht dieBeendigung der umstrittenenCIA-Aktion mit einer Verstär-kung der Umtriebe des Pentagonsin Syrien - die noch lange nichtihr Ende gefunden haben - einher.

Seit Jahren stand die Versorgung"moderater" Gegner des "Regi-mes" Baschar Al Assads überCIA-Außenposten in der Türkeiund Jordanien mit Waffen undMunition in der Kritik, weil sichdiese Formationen auf demSchlachtfeld als zu schwach er-wiesen und sich über kurz oderlang den radikal-islamistischenGruppen wie der Al-Nusra-Front

oder Ahrar Al Scham angeschlos-sen und ihnen ihr modernesKriegsgerät zur Verfügung gestellthaben. Mehr als einmal ist es inSyrien zu Kämpfen zwischenGruppen gekommen, die jeweilsvom Pentagon und der CIA unter-stützt wurden. 2015 berichteteSeymour Hersh in einemArtikelfür die London Review ofBooks,wie mit dem stillen Einverständ-nis von Barack Obama der dama-lige US-GeneralstabschefMartinDempsey nachrichtendienstlicheInformationen den Russen zu-kommen lassen mußte, um einenDurchmarsch der Dschihadistenin Syrien und ein Kollaps der Sy-rischen Arabischen Armee (SAA)zu verhindern. Dempsey und Oba-ma wollten offenbar vermeiden,daß aus Syrien ein zweites Liby-en würde und haben deshalb Mos-kau grünes Licht für eine eigeneIntervention zur Rettung der Re-gierung in Damaskus gegeben.

Mit Hilfe Rußlands hat die SAAweite Teile des syrischen Westenseinschließlich der großen Bevöl-kerungszentren erfolgreich be-friedet. Durch eine Reihe vonWaffensstillständen mit gemäßig-ten Gruppen beginnt sich in derWesthälfte Syriens das Lebenwieder zu normalisieren. Wäh-rend sich Al Nusra und Ahrar AlSham um die Herrschaft im Gou-vernement Idlib erbittert bekrie-gen, befindet sich die SAA in öst-licher Richtung auf dem Vor-marsch. Aktuell ist sie dabei, die"Terrormiliz" Islamischer Staat

(IS) aus dem Gouvernement Deirez-Zor samt der gleichnamigenHauptstadt zu vertreiben. VomSüden her nähern sich die syri-schen Streitkräfte der IS-Hoch-burg Rakka, ebenfalls Hauptstadteines gleichnamigen Gouverne-ments, welche seit Anfang Junivom Norden her die Demokrati-schen Kräfte Syriens (Syrian De-mocratic Forces - SDF) mit derUnterstützung der Luftwaffe undSpezialstreitkräfte der USA ver-geblich einzunehmen versuchen.

Bei den SDF handelt es sich umeine Tarnorganisation der syrisch-kurdischen Volksverteidigungs-einheiten (YPG), einer Schwe-sterorganisation der in der Türkeiverbotenen Kurdischen Arbeiter-partei (PKK) Abdullah Öcalans.Bei einem Auftritt am 21 . Juli aufdem Aspen Security Forum inColorado hat General RaymondThomas, der Leiter des Komman-do der US-Spezialstreitkräfte(SOCOM), sich damit gerühmt,2015 die Führung der YPG zurUmbenennung und zur Aufnahmedes Begriffs "demokratisch" inihren neuen Nom de guerre über-redet zu haben. Ein "genialer"Einfall sei das gewesen, meinteThomas. Bei diesem Anlaß recht-fertigte der SOCOM-Chef dieEinstellung der CIA-Operation inSyrien mit der Notwendigkeit, dieKräfte der USA im "KampfgegenIS", so die Tarnbezeichnung bzw.der Vorwand für Washingtons ei-gene militärische Einmischungim Irak und Syrien, zu bündeln.

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Elektronische Zeitung Schattenblick

Di. 25. Juli 2017 Seite 5www.schattenblick.de

Parallel zur Stabilisierung des sy-rischen Westens mit Hilfe Ruß-lands unter der Hoheit von Da-maskus schicken sich die USA an,den Norden Syriens als eigenePlattform für die "power projecti-on" in die umliegenden Regionenzwischen Schwarzem Meer, Kas-pischem Meer und PersischemGolf zu nutzen. Bislang wußteman nur, daß die US-Streitkräfteseit März 2016 einen Start- undLandeplatz für Kampfhubschrau-ber in Kharab Ishq, nahe Kobane,Hauptstadt des kurdischen Auto-moniegebiets Rojava, und im No-vember 2016 einen Luftwaffen-stützpunkt nahe Rmeilan im nord-östlichen Gouvernement Hasakaunterhielten. Am 18. Juli hat dietürkische NachrichtenagenturAnadolu News sehr zur Verärge-rung des Pentagons die Existenzweiterer acht US-Militärstütz-punkte im kurdischen Nordsyrien

bekanntgegeben. Anadolu hatnicht nur die genaue geographi-sche Position der Stützpunktebzw. Außenposten genannt, son-dern auch die Anzahl der jeweilsdort stationierten ausländischenTruppen - an zwei der Standortesollen sich auch französischeSpezialstreitkräfte aufhalten - be-ziffert sowie ihre Fahrzeug- undWaffensystemtypen identifiziert.

Man kann davon ausgehen, daßdie brisante Informationspreisga-be durch Anadolu im Einver-ständnis mit der Regierung in An-kara erfolgte. Schließlich wirftder türkische Präsident RecepTayyip Erdogan den USA seit lan-gem vor, durch die Zusammenar-beit mit der YPG gemeinsame Sa-che mit den "Terroristen" von derPKK zu machen. Am 21 . Juli be-richtete die russische Nachrich-tenagentur Sputnik von einem

Konvoi schwerer Panzerfahrzeu-ge und gepanzerter Räumgeräte,die Richtung Rakka rollten. Diebeeindruckende Größe des Kon-vois verleitete Sputnik zu der Ver-mutung, daß die schwere Kriegs-gerätschaft nicht nur der Vertrei-bung des IS aus Rakka dienensollte, sondern auch eine Art Prä-positionierung "für die Kriegevon morgen" darstelle. Der Ver-dacht klingt nicht abwegig, be-denkt man den Umstand, wie seitMonaten die Trump-Regierungden Iran zum "Hauptsponsor desinternationalen Terrorismus" auf-bauscht und verzweifelt nachGründen sucht, das von ObamasAußenminister John Kerry 2015unterzeichnete Atomabkommenmit Teheran aufzukündigen.

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/redakt/

nhst1540.html

POLITIK / SOZIALES / FRAUEN

poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Venezuela

Hausarrest von López als Schritt hin zur Lösung der Krise

(Montevideo, 10. Juli, la diaria)- Der venezolanische Oppositi-onsführer Leopoldo López, dersich seit Februar 2014 in Haftbefand, weil er eine Reihe öf-fentlicher Proteste gegen die Re-gierung angeführt hatte, bei de-nen 43 Menschen starben, kannseine restliche Strafe zu Hauseabsitzen. Die von dem OberstenGerichtshof TSJ (Tribunal Su-premo de Justicia) verkündeteMaßnahme wurde als ein Tri-

umph der Opposition gewertet,die von der Regierung die Frei-lassung der restlichen "politi-schen Gefangenen" verlangte,und als ein grundsätzlicherSchritt hin zu einer friedlichenLösung aus der Krise, in der sichdas Land befindet.

Die Führungsfigur der Oppositi-on wurde in der Nacht zumSamstag, 8. Juli 2017, aus demMilitärgefängnis "Ramo Verde"

in sein Haus in Caracas gebracht,nachdem er dreieinhalb Jahre ei-ner Gesamtstrafe von insgesamtdreizehn Jahren und neun Mo-naten verbüßt hatte. EinigeStunden später informierte derTSJ in einer kurzen Mitteilungdarüber, dass diese "humanitäreMaßnahme" wegen Lopez' "ge-sundheitlicher Probleme" ergrif-fen worden sei. Familienange-hörige des Politikers versicher-ten hingegen, es gehe ihm aus-

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Elektronische Zeitung Schattenblick

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gezeichnet, wovon man sich aufden ersten Fotos überzeugenkonnte, die nach seiner Überfüh-rung in Umlauf waren. SeineEhefrau Lilián Tintori erklärtejedoch, man habe ihn nach Hau-se geschickt, da man in RamoVerde, wo man ihn "gefoltert"habe, nicht für sein Leben garan-tieren konnte. "Die letzten Tagewaren die schlimmsten", versi-cherte sie. Es sei beispielsweisegezwungen worden, die Gefäng-niskost zu essen und nicht dieLebensmittel, die sie ihm ge-schickt habe und dass er fünfKi-logramm abgenommen habe.

Maduro befürwortet

Hausarrest

Der Präsident Venezuelas, Ni-colás Maduro, sprach sich nichtgegen den richterlichen Be-schluss aus. Er erklärte im Ge-genteil, dass er diesen nicht nurrespektiere, sondern dass erselbst ihn einige Tage zuvor be-fürwortet habe. Die Bewilligungdes Hausarrestes von Lópezdurch das Gericht erfolgte aufBasis eines Berichtes der Kom-mission für die Wahrheit, Ge-rechtigkeit und den Frieden, denStaatschefMaduro zuvor freige-geben hatte. Das gab dieser in ei-ner öffentlich ausgestrahlten Er-klärung an.

López war 2014 festgenommenworden, nachdem er die Vene-zolaner*innen unter dem Hash-tag #LaSalida (der Ausweg) da-zu aufgerufen hatte, auf dieStraßen zu gehen, um das Endeder Regierung Maduros zu for-dern, die ein Jahr zuvor gewähltworden war. Die Proteste dauer-ten mehrere Wochen an und for-derten 43 Todesopfer; außerdem

entstand beachtlicher Sachscha-den. Die Justiz machte López -und andere Anführer*innen -dafür verantwortlich und verur-teilte ihn wegen öffentlicherEinschüchterung, Sachbeschä-digung und vorsätzlicher Tö-tung. Maduro erinnerte daran,dass López diese Proteste ange-führt habe und überlegte, dassdie Verlegung in dessen Hauseinen Anreiz darstellen könne,damit der Anführer der Opposi-tion "einen Aufruf zur Umkehrund für den Frieden mache".Maduro nutzte die Gelegenheit,um zu einem "umfangreichenDialog" mit der Opposition auf-zurufen, damit "der Frieden"einkehre in ein Land, welchesseit über 100 Tagen Schauplatzvon Protesten ist, die inzwi-schen 91 Todesopfer geforderthaben.

Doch López gab nicht kleinbei. Im Gegenteil, er rief dieVenezolaner*innen auf, aufdenStraßen zu bleiben. "Ich wie-derhole mein Versprechen, zukämpfen bis wir die Freiheit er-obert haben [. . . ] wir werden aufdie Straßen zurückkehren, umzu kämpfen", erklärte er in ei-nem Brief. "Ich bleibe stand-haft in der Ablehnung diesesRegimes und in meiner Über-zeugung für den Kampf füreinen echten Frieden, ein wirk-liches Zusammenleben, einenechten Wechsel und die wahreFreiheit. Ich habe nicht die ge-ringste Absicht, aufzugeben",fügte er hinzu. Einige Stundenspäter kletterte López auf dieMauer, die sein Haus von derStraße trennt, und begrüßteDutzende von Menschen, diesich dort versammelt hatten,indem er eine Fahne von Vene-zuela hisste.

Noch ein weiter Weg

Die Opposition feierte die Ent-scheidung des Obersten Ge-richtshofes, warnte aber auch,dass sich noch 400 "Gefangeneaus Gewissensgründen" in denGefängnissen Venezuelas be-fänden. Gleichzeitig versichertesie, dass es Dank des soziales"Drucks" zur Verlegung von Ló-pez gekommen sei und nicht,weil die Regierung einen "Dia-log" angestoßen habe, so wie dervenezolanische Verteidigungs-minister Vladimir Padrino Lópezargumentierte. In diesem Sinnewurde die Verlegung als ein "un-bestreitbarer Triumph" angese-hen, der die Notwendigkeit zei-ge, "den demokratischen Kampfzu intensivieren".

"Wir hoffen, dass diese Maß-nahme der Regierung in Bezugauf Leopoldo - Ergebnis einerKombination aus nationalemund internationalem Druck - derBeginn eines Umkehrprozessessein kann, der dahin führt, wasganz Venezuela will (nämlichder Rücktritt der Regierung Ma-duros)", bekräftigte das Opposi-tionsbündnis Mesa de la UnidadDemocrática MUD (Tisch derdemokratischen Einheit) in einerErklärung.

Lateinamerikanische

Regierungen fordern

glaubwürdigen Dialog

Ähnlich äußerten sich verschie-dene Regierungen Lateinameri-kas und internationale Organisa-tionen. Der argentinische Präsi-dent Mauricio Macri bekundeteaufTwitter seine "Freude" überdie Freilassung von López underklärte, er "hoffe", dass "bald"

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Di. 25. Juli 2017 Seite 7www.schattenblick.de

das Gleiche mit den "übrigen po-litischen Gefangenen" passiere.Die chilenische Regierung for-derte ihrerseits "die endgültigeFreilassung López'" und einen"glaubwürdigen Dialog zwi-schen Regierung und Oppositi-on". Die Regierungen von Ko-lumbien, Peru, Paraguay, Mexi-ko, Panama, Guatemala und derDominikanischen Republik äu-ßerten sich ebenfalls in diesemSinne.

Nach Meinung des Generalse-kretärs der Organisation Ameri-kanischer Staaten, Luis Alma-gro, sei das Verlassen des Ge-fängnisses von López eine "Ge-legenheit zur nationalen Versöh-nung und einem demokratischenAusweg" aus der "ernsten" Kri-se, die das Land durchlebe.

Amnesty International warntejedoch weniger optimistisch,dass sich die "Unterdrückung" inVenezuela trotz des Hausarrestesvon López "verstärke" und er-klärte daher nachdrücklich, dassdies ein erster Schritt sein müs-se, "um die Politik der venezola-nischen Regierung zu ändern, alldie Personen zu unterdrücken,die nicht mit ihr einverstandensind". Die Direktorin der Ameri-ka-Abteilung für Amnesty Inter-national, Erika Guevara, erin-nerte daran, dass sich der Oppo-sitionspolitiker weiterhin nichtin Freiheit befinde. "Sich einerRegierung zu widersetzen istkein Verbrechen. Alle Klagengegen Leopoldo müssen zurück-genommen und er sofort und oh-ne Bedingungen freigelassenwerden", fügte sie hinzu. Sie for-derte Maduro außerdem auf,"damit aufzuhören, Menschendafür zu bestrafen, dass sie an-ders denken" und seine Energie

darauf zu konzentrieren, "mach-bare Lösungen zu finden, um dietiefe Krise zu lösen, in der sichdas Land befindet".

Weitere Oppositionsführer

bleiben in Haft

Einige Stunden, nachdem Lópezin seinem Haus angekommenwar, forderte die venezolanischeStaatsanwaltschaft die Überprü-fung von freiheitsentziehendenMaßnahmen dreier weiterer, sichin Haft befindenden Oppositi-onspolitiker: Die der Ex-Bürger-meister Antonio Ledezma undDaniel Ceballos, sowie demMitglied der Opposition, LorentSaleh.

Ledezma, Ex-Bürgermeister vonCaracas, wurde am 19. Februar2015 wegen "Verschwörung ge-gen die Regierung" festgenom-men. Er soll Gruppen unterstützthaben, die "die Absicht hatten,die Regierung zu destabilisie-ren". Er war - wie López - in Ra-mo Verde inhaftiert, bis er zweiMonate nach einem chirurgi-schen Eingriff seine Strafe alsHausarrest verbüßen konnte.

Ceballos, Ex-Bürgermeister vonSan Cristóbal, wurde im März2014 festgenommen und zuzwölf Monaten Haft verurteilt,da er ein Urteil des Obersten Ge-richtshofes nicht befolgt hatte,nach welchem er verpflichtet ge-wesen wäre, die Aufstellung vonBarrikaden in seiner Gemeindewährend der Proteste zu verhin-dern. Er verbüßte seine Strafe,blieb danach jedoch weiterhin inHaft, da das Gericht einen wei-teren Rechtsverstoß im Zusam-menhang mit den Protesten fest-gestellt hatte.

Saleh wurde im September 2014aus Kolumbien ausgewiesen undden venezolanischen Behördenübergeben. Er soll in "konspira-tive Pläne" gegen die RegierungMaduros verwickelt gewesensein. Seit diesem Zeitpunkt wirder in einem Kerker des venezo-lanischen Geheimdienstes ge-fangen gehalten.

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*Quelle:poonal - Pressedienst lateinameri-kanischer NachrichtenagenturenHerausgeber:Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.Köpenicker Straße 187/1 88,1 0997 BerlinTelefon: 030/789 913 61E-Mail: [email protected]: http://www.npla.de

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Seite 8 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

(Mexiko­Stadt, 20. Juli 2017, la jor­nada­poonal) - Am vergangenen 5.Juli akzeptierte die US-Zuckerin-dustrie widerwillig die Vereinba-rung, zu der die Regierungen ihresLandes und Mexikos einen Monatzuvor gekommen waren, um denKonflikt über den Zuckerhandel zulösen. Obwohl Mexiko ohne Mur-ren alle Forderungen der USA ak-zeptierte, erschien den "Big Sugar"die Vereinbarung als nicht vorteil-haft genug. Angeführt von den"Zuckerbaronen" Alfonso und JoséFanjul hatte die US-Zuckerindu-strie begierig darauf gewartet, dassPräsident Donald Trump sich deraus Mexiko kommenden Importeannehmen würde.

Das Imperium der Gebrüder

Fanjul

Die Brüder Fanjul sind Besitzer desweltweit größten Unternehmens fürraffinierten Zucker: American Su-gar Refining. Es setzt sich zusam-men aus Florida Crystals im Eigen-tum der Gebrüder Fanjul und einerGenossenschaft, der Sugar CaneGrowers. Die Gruppe verfügt überacht Zuckerraffinerien in den USA,Kanada, Belize, England und Portu-gal sowie die Zuckerfabrik von SanNicolás im mexikanischen Bundes-staat Veracruz. Sie besitzt ebenfallsPlantagen und Raffinerien in derDominikanischen Republik.

Laut einem Interview in der Zeit-schrift "Vanity Fair" hatte das mil-liardenschwere Bruderpaar FanjulKuba verlassen, um vor der Revo-lution zu fliehen. AufKuba besaßensie 70.000 Hektar Zuckerrohrfelderund zehn Raffinerien. Sie installier-ten sich in Palm Beach, Florida, umein neues Emporium zu errichten.Sie kauften die Ranches von Vieh-züchter*innen sowie Gemüsefar-men auf und etablierten eineZuckerplantage von 73.000 Hektar

in den Everglades. Das US-Han-delsembargo gegen Kuba verbotden Zuckerimport von dort und warein großer Anreiz für den Zucker-rohranbau in den USA selbst sowiefür Importe aus verschiedenen an-deren Ländern, etwa aus der Domi-nikanischen Republik.

Die Ausbeutung von Arbeitskräf-ten aus Jamaika für die Zuckerroh-rernte war ein Schlüsselfaktor fürdie rasche und erfolgreiche Expan-sion. Etwa 20.000 Tagelöhner*in-nen kamen jedes Jahr, um für dieZuckerbarone zu ernten. Unter-stützt durch ein Regierungspro-gramm wurden sie in ein Systemmoderner Sklaverei eingebunden,schlecht bezahlt und mit auslau-

POLITIK / WIRTSCHAFT / INTERNATIONAL

poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Dominikanische Republik / Mexiko / USA

NAFTA: Die Zuckerbarone, Teil 1*

von Ana de Ita

Haitianische Zuckerarbeiter(2008) in der DominikanischenRepublikFoto: ElMart (CC BY­NC­ND 2.0)https://creativecommons.org/li­censes/by­nc­nd/2.0/

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Di. 25. Juli 2017 Seite 9www.schattenblick.de

genden Arbeitsschichten. Sie leb-ten in unhygienischen Barackenund ohne die Möglichkeit, ihre La-ge anzuprangern, wenn sie ihre Be-schäftigung behalten wollten.

Obwohl die US-Regierung 1986ein sogenanntes Amnestiepro-gramm mit der Arbeitserlaubnisüber Erntezeit und Branche hinausfür die ausländischen Arbeiter*in-nen in der Landwirtschaft verab-schiedete, gelang es den Zuckerun-ternehmen, den Erntearbeiter*in-nen in ihrer Branche den Zugangzu dieser Bewilligung zu verweh-ren. Denn diese hätte sie von Plan-tagen befreit. Viele Tagelöhner*in-nen waren wütend und sie wagtenes, sich an einer Sammelklage zubeteiligen, in deren Rahmen sie ih-re fehlenden Arbeitsrechte und dieLohnbetrügereien, denen sie aus-gesetzt waren, öffentlich machten.Der Prozess dauerte dank des poli-tischen Einflusses der Beklagtenzehn Jahre. Viele Arbeiter*innenverloren ihre Jobs. Nach Verfah-rensende entschlossen sich die Ge-brüder Fanjul, die Zuckerrohrern-te zu mechanisieren und die Mi-grant*innen zu entlassen.

Umweltschäden in den Everglades

Aber die Zuckerbarone häuftennicht nur ihr Vermögen mit derAusbeutung der Arbeitskräfte ausder Karibik an. Sie sind ebenfallsverantwortlich für die Kontaminie-rung der Everglades durch die aufihren Plantagen verwendetenPhosphate und Pestizide. Währenddes barbarischen Wettlaufs der in-dustriellen Landwirtschaft des 20.Jahrhunderts entwässerten Inge-nieur*innen tausende HektarSumpfland, um die Landwirt-schaftsfläche der Everglades zuschaffen.

Darauf weiteten sich rasch diePlantagen mit neuen Zuckerrohrar-ten aus. Ein teures System ausPumpen, Deichen und Kanälenverhindert, dass die landwirt-schaftliche Fläche sich wieder inden sumpfigen Originalzustandzurückverwandelt und dass derOkeechobee-See überflutet wird.Was dieses System aber nicht ver-meiden kann, ist der Transportflussabwärts der von den Zucker-produzenten eingesetzten Dünge-mittel sowie anderer landwirt-schaftlicher Abfälle. Sie haben dieEverglades verschmutzt. Das Um-weltdesaster zeigte sich zuletzt inder Wucherung von Blaualgen, dieschädlich für die menschliche Ge-sundheit und die Ökosysteme sind.

Gute Beziehungen in die Politik

Zu den wichtigsten Lehren der ku-banischen Erfahrung zählte für dieBrüder Fanjul, dass man für florie-rende Geschäfte nicht außerhalbder Politik stehen darf. So konzen-trierten sie sich nach ihrer Ankunftin den USA darauf, unabhängigvon Parteienorientierung Bezie-hungen zur politischen Macht zuknüpfen. Alfonso ist Demokrat,Pepe Republikaner. Ihre Spenden-praxis für die politischen Kampa-gnen hat sich für sie durch Gegen-leistungen mehr als bezahlt ge-macht. Sie haben es sich ange-wöhnt, einflussreiche Figuren ausder Politik in ihr Haus in Palm Be-ach bzw. auf ihren Landsitz Casadel Campo in der Dominikani-schen Republik einzuladen.

Es gibt Gerüchte, dass die Nafta-Parallelvereinbarung zum Zuckerihren Ursprung in einem "Gesel-ligkeitsbesuch" des mexikanischenPolitikers Jaime Serra Puche beiden Brüdern Fanjul hat. Serra Pu-

che ist ehemaliger Handels- undFinanzminister. Vor über 20 Jahrenwar er auf mexikanischer Seiteentscheidend an den Nafta-Ver-handlungen beteiligt. Wilbur Ross,Handelsminister der Trump-Re-gierung, ist seit fast zehn Jahrenmit Pepe Fanjul befreundet und hatin der Casa del Campo seinen Ur-laub verbracht. Pepe Fanjul spen-dete eine beträchtliche Summe fürdie Wahlparty von PräsidentTrump.

Hinter dem Vorhang werden dieFäden sichtbar, aufgrund derer dieZuckerbarone sich im Recht sehen,noch mehr Zugeständnisse zu be-kommen.

* Teil 2 wird sich mit den mexikani-schen Zuckerbaronen beschäftigen

URL des Artikels:https://www.npla.de/poonal/nafta-die-zuckerbarone-teil-1 /

Der Text ist lizenziert unter CreativeCommons Namensnennung-Weiter-gabe unter gleichen Bedingungen 4.0international.https://creativecommons.org/licen-ses/by-sa/4.0/

*Quelle:poonal - Pressedienst lateinamerika-nischer NachrichtenagenturenHerausgeber:Nachrichtenpool Lateinamerika e.V.Köpenicker Straße 187/1 88,1 0997 BerlinTelefon: 030/789 913 61E-Mail: [email protected]: http://www.npla.de

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Seite 10 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

Im Kongressgebäude von Madridzeichnete König Felipe VI am 28.Juni 2017 Menschen aus, die sichum die Demokratie verdient ge-macht haben. Unter ihnen Scher-gen des Franco-Regimes. IhreOpfer werden nicht erwähnt.

Ein 82-jähriger Greis ist in Madridfür seine Verdienste um die Demo-kratie von Spaniens König FelipeVI ausgezeichnet worden. DerMonarch lächelte und der alteMann dankte ihm mit einer tiefenVerbeugung. Er hat allen Grunddazu. Rodolfo Martín Villa wirdseit 2014 wegen des Verdachts desfünffachen Mordes mit einem in-ternationalen Haftbefehl gesucht.Ausgeliefert wird er nicht. Villa istTeil des blutigen Fundaments, aufdem die Demokratie in Spanienaufgebaut wurde.

Während des Übergangs aus derFranco-Diktatur zur Demokratiekam es am 3. März 1976 in dernordspanischen Stadt Vitoria zueinem Massaker. Die Nationalpo-lizei feuerte mit scharfer Muniti-on auf streikende Arbeiter. Min-destens 100 Menschen wurdenverletzt, fünf getötet. Verantwort-lich für den mörderischen Einsatzsoll Rodolfo Martín Villa sein.Der ist sich keiner Schuld be-wusst. Von sich selbst sagte er ineinem Interview, er sei lediglichein Mann der Ordnung: ". . . unhombre de orden."

Rodolfo Martín Villa wird am 3.Okt. 1 934 in Santa Maria delPáramo geboren. Eine kleine Ge-meinde in der nordwestspani-schen Provinz León. Die Regionlebt von Landwirtschaft undViehhaltung. Eine friedliche Ge-gend.

Eine Karriere in der Diktatur

Zwei Jahre später bricht in Spani-en der Bürgerkrieg aus. Militärsum Francisco Franco putschengegen die demokratisch gewählteRegierung. Am 1 . April 1 939 en-det der blutige Konflikt mit demSieg der Putschisten. Franco wirdDiktator und bleibt es bis zu sei-nem Tod 1975.

Als Kind bekommt Rodolfo vonden Ereignissen wenig mit. Erwird sich später gut in der Dikta-tur einleben und sich mit ihr en-gagieren. Sein Vater, ein Eisen-bahner, hat einige nützliche Kon-takte. Rodolfo kann ein Jesuiten-kolleg besuchen und Dank einesStipendiums der Eisenbahnerge-sellschaft in Madrid Ingenieurwe-sen studieren. Nach dem Erwerbdes Doktortitels für Ingenieurwis-senschaften findet er eine Be-schäftigung im ÖffentlichenDienst.

Während des Studiums engagierter sich beim falangistischen Stu-

dentensyndikat und wird Anfangder 1960er Jahre ihr Leiter. Ermacht Karriere.

1 964, Villa ist kaum 30 Jahre alt,wird er Präsident der Gewerk-schaft für Papier und grafischeKünste. Dann schickt man ihn alsProvinzialdelegierten der Gewerk-schaften nach Barcelona. Schon1966 wechselt er den Posten undgeht als Generaldirektor für Texti-lien ins Industrieministerium.

Der Tod Francos ist für seine Kar-riere kaum mehr als eine temporä-re Störung. Villa vollzieht mitLeichtigkeit den Wechsel vomtreuen Anhänger der Diktatur zumglühenden Kämpfer für die Demo-kratie. Innerhalb der Übergangsre-gierung bekleidet er hohe Positio-nen. Er ist Minister für gewerk-schaftliche Angelegenheiten undbis Juli 1 976 für das Innere verant-wortlich. In dieses Zeitfenster fälltdas Massaker von Vitoria.

Streikende Arbeiter abgeknallt

Am 3. März 1976 versammeln sichstreikende Arbeiter in einer Kircheder nordspanischen Stadt. Die Po-lizei treibt die Menschen mit Trä-nengas und Gummigeschossen ausdem Gebäude und feuert anschlie-ßend mit scharfer Munition auf sie.Mindestens 100 Menschen werdenverletzt und fünf getötet.

EUROPOOL / POLITIK / SPANIEN

Internationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin

Ehrung für Rodolfo Martín Villa -

Das blutige Fundament der spanischen Demokratie

von Jairo Gomez [1] für Neue Debatte [2], 19. Juli 2017

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Di. 25. Juli 2017 Seite 11www.schattenblick.de

Rodolfo Martín Villa wurde dafürnie zur Verantwortung gezogen.Erst 2014, fast vier Jahrzehntenach dem Verbrechen, holte ihnder Arm des Gesetzes ein. Abernicht der spanische. Dort wurdenalle Ermittlungsversuche imKeim erstickt.

Die argentinische Richterin MaríaServini [3] aus Buenos Aires er-liess Haftbefehle gegen insgesamt20 Personen [4] , die nach ihrenErkenntnissen für Verbrechenwährend der Franco-Diktatur undin der Übergangsphase zur Demo-kratie verantwortlich sind. Auf ih-rer Liste steht Rodolfo MartínVilla. Der würde reden, nur aus-reisen darf er nicht. Also bleibt al-les beim alten - als wäre nie etwaspassiert.

Der Folterknecht Antonio

González Pacheco

Als sich Villa am 28. Juni imKongressgebäude vor KönigFelipe VI verbeugte, war nochein weiterer Schlächter im Saal:Antonio González Pacheco. Dersich um die Polizeiarbeit ver-dient gemacht. Offenkundig einPsychopath, dem das Franco-Regime eine Uniform anzog,damit er legal foltern konnteund dem die Demokratie heuteDank ausspricht. Wofür eigent-lich?!

Pacheco, der in der spanischenBevölkerung unter dem Spitzna-men "Billy the Kid" berüchtigt ist,gehörte zur "Brigada Politico-So-cial" (BPS), einer Einheit der Ge-heimpolizei. Deren Aufgabe wardie Verfolgung der Gegner desFranquismus [5] . Das Quälen vonMenschen war für Pacheco Ar-beitsroutine.

Er soll Hunderte Oppositionelleund politische Dissidenten mis-shandelt und gefoltert haben. Be-langt wurde er lediglich in einemFall. Ein Gericht verurteilte ihnwegen der Misshandlung einesStudenten zu einer Geldstrafe. Bis1 986 blieb er im aktiven Polizei-dienst. Anschließend leitete er Si-cherheitsdienste in der Privatwirt-schaft, darunter den von ENDE-SA, einem der größten Energie-versorger des Landes.

Ein weiteres Beispiel für den pro-blemlosen Wechsel alter Seil-schaften in das demokratische Sy-stem liefert Manuel Fraga Iribar-ne. Unter Franco war er von 1962bis 1969 Minister für Tourismusund Information, während desÜbergangs Innenminister und Vi-zeregierungschef [6] . Er zählt zuden Vätern der spanischen Verfas-sung, die im Dezember 1978 inKraft trat. Fraga wurde vorgewor-fen, für das Massaker von Vitoriamitverantwortlich zu sein. Gegenden Altfaschisten wurde nie er-mittelt.

1 976 gründete Fraga ein Wahl-bündnis aus rechten Parteien: dieAlianza Popular. Zahlreiche ehe-malige Franco-Minister gehörteihr an. Die AP blieb anfänglich ei-ne Minderheitenpartei. 1 989 gingaus ihr die Volkspartei (PP, Parti-do Popular) hervor. Heute ist diePP unter Ministerpräsident Maria-no Rajoy in der Regierungsver-antwortung .. .

Amnestie für die Verbrechen

des Staates

Nach dem Tod Francos im No-vember 1975 blieb der Machtap-parat vorerst bestehen. Zu seinemNachfolger hatte Franco Juan

Carlos de Borbón y Borbón be-stimmt, der das Land in seinemSinne weiterführen sollte. DieÄra der faschistischen Diktaturenin Europa war jedoch zu Ende.Während der Nelkenrevolution inPortugal 1974 wurde MarceloCaetano aus dem Amt gejagt, inGriechenland war ein Jahr zuvordas Ende der Diktatur eingeläutetworden.

Man kann annehmen, dass dieVerantwortlichen um Juán CarlosI wussten, dass in einem Europa,in dem Demokratien vorherr-schen, ein diktatorisch geführtesSpanien isoliert und rückständigbleiben würde. Man begann, dasLand zögerlich zu demokratisie-ren, weil zur Demokratisierungeben auch die Zulassung von bisdahin verbotenen Parteien wie derSpanischen Sozialistischen Ar-beiterpartei (PSOE) gehörte.

Dass sich große Teile der faschi-stischen Strukturen in die Demo-kratie retten konnte, wurde durchdie Amnestie von 1977 begün-stigt. Die stellt alle Verbrechenmit politischem Hintergrund, diebis 1977 begangen wurden, straf-frei. Auch die Verbrechen desStaates. Die Bevölkerung nahmdas Gesetz nur deshalb an, weildadurch die Freilassung von zahl-reichen politischen Gefangenengarantiert war.

In den Medien wird der ÜbergangSpaniens von der Diktatur zurDemokratie oft als friedlicherVorgang dargestellt. Das istfalsch. Nicht erst Mariano Sán-chez konnte durch seine Recher-chen, die er in dem Buch "Derblutige Übergang" verarbeitete,belegen, dass mindestens 591Menschen zwischen 1975 bis1983 aus politischen Motiven in

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Seite 12 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

Spanien getötet wurden. 1 88 dürf-ten durch institutionelle Gewalt-anwendung gestorben sein. Dieübrigen Toten gehen auf das Kon-to rechts- und linksextremer Ter-roristen. Unter Franco starbenHunderttausende. Sie liegen ver-teilt über das ganze Land in unge-öffneten Massengräbern oderwurden am Straßenrand ver-scharrt. Unzählige sind ver-schwunden.

Seither folgt die Politik der Liniedes Schweigens. Selbst die Sozia-listen, die den Repressionen desFranco-Regimes ausgesetzt wa-ren, stellen das Vergessen über dieAufklärung. Schon 1986, beimBeitritt Spaniens zur EU, sagteder damalige MinisterpräsidentFelipe Gonzalez, dessen Spani-sche Sozialistische Arbeiterparteiunter Franco verboten war:

"Der Bürgerkrieg ist kein Ereignisdessen man gedenken sollte, auchwenn er für die, die ihn erlebtenund erlitten, eine entscheidendeEpisode in ihrem Leben darstellt.Der Krieg ist endgültig Geschich­te, ist nicht mehr lebendig undpräsent in der Realität eines Lan­des, dessen moralisches Gewissenletztlich auf den Prinzipien derFreiheit und der Toleranz basiert."

Ein letztes Aufbäumen der An-hänger des faschistischen Regi-mes erlebte Spanien 1981 , als am23. Februar Einheiten der Guar-dia Civil unter Führung vonOberstleutnant Antonio Tejero indas Parlamentsgebäude in Madrideindrangen und sämtliche anwe-senden Abgeordneten für eineNacht als Geiseln nahmen.

Mangelnde Unterstützung durchandere Militärs und das energi-sche Auftreten des jungen Königs

ließen den Putschversuch schei-tern. Die Verantwortlichen wur-den verhaftet und zu Gefängnis-strafen verurteilt. Allerdings mus-ste keiner seine Strafe voll absit-zen. Juán Carlos I wurde gefeiert,trat 2014 ab und Felipe VI rücktean seine Stelle.

Die Demokratie ehrt die Peiniger

Das Täter wie Rodolfo MartínVilla und Folterknechte wie An-tonio González Pacheco heuteGäste des Königs sein können,während sich für ihre Opfer keinWort des Bedauerns findet, offen-bart die tiefe Verwurzelung desFaschismus in die besseren Krei-se der Gesellschaft.

Schon im Vorfeld der Ehrungenhatte man sich von offizieller Sei-te geweigert, Vertreter jener Men-schen zu den Feierlichkeiten ein-zuladen, die unter Franco und inden Anfängen der Demokratie zuSchaden kamen. Man zog es vor,ihre Peiniger auszuzeichnen.

Ein Affront gegenüber den Ge-schundenen und all jenen, die fürdie Aufarbeitung des Faschismuseintreten. Das Wahlbündnis Uni-dos Podemos [7] reagierte und ludim gleichen Gebäude unter demMotto "Porque fueron somos,porque somos serán" (Weil siewaren, sind wir, weil wir sind,werden sie sein.) zu einer Gegen-veranstaltung zu Ehren derKämpfer für die Demokratie undFreiheit ein. Vertreter der regie-renden Partido Popular bliebendieser Veranstaltung fern.

Kein Wunder: Die Fundamenteder spanischen Demokratie sindderartig mit Blut getränkt, dass esbei jedem Schritt bis ins Parla-

ment und auf die Regierungsbän-ke spritzt.

Anmerkungen:[1 ] https://neue-debatte.com/aut-hor/jairogomez59/ [2] https://neue-debatte.com/[3] http://www.ksta.de/politik/haft-befehle-gegen-minister-des-franco-regimes-in-spanien-die-letzte-chan-ce-22766644[4] https://ameri-ka21 .de/2014/11 /109295/argentini-en-spanien-faschisten[5] https://neue-debat-te.com/2016/03/16/spanien-und-der-schatten-der-diktatur/[6] http://www.ag-friedensfor-schung.de/regionen/spanien/fran-co.html[7] https://neue-debat-te.com/2017/03/01 /podemos-erre-jon-iglesias/

Der Artikel "Ehrung für RodolfoMartín Villa - Das blutige Funda-ment der spanischen Demokratie"wurde erstveröffentlicht im Mei-nungsmagazin Neue Debatte:https://neue-debat-te.com/2017/07/12/ehrung-fuer-ro-dolfo-martin-villa-das-blutige-fun-dament-der-spanischen-demokra-tie/?#

Der Schattenblick dankt der Redak-tion der Neuen Debatte für die Nach-druckgenehmigung.

*Quelle:Internationale PresseagenturPressenza - Büro BerlinJohanna HeuvelingE-Mail:[email protected]: www.pressenza.com/de

http://www.schattenblick.de/infopool/europool/politik/

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Di. 25. Juli 2017 Seite 1 3www.schattenblick.de

(SB) 24. Juli 2017 ­ Eine Kunst-ausstellung nach Leistungsdatenwie der Zahl der Exponate oderder Besucher zu beurteilen ist,zumindest dann, wenn Kunstvon Ware unterscheidbar seinsoll, ein Widerspruch in sich.Dennoch drängen sich die quan-titativen Merkmale der Präsen-tation und Rezeption dessen,was sich von seiner Originalitätund Aussagekraft her der Totali-tät marktwirtschaftlicher Ver-wertungslogik widersetzen soll-te, dem kunstinteressierten Pu-blikum geradezu auf. Die Be-deutsamkeit des Ereignisses do-cumenta 14 ergibt sich nicht nuraus der zeitlichen Taktfolge vonfünf Jahren, in dem diesesGroßereignis zeitgenössischerKunst ausgetragen wird. Schonseine Darstellung als weltweitbedeutendste Ausstellung fürGegenwartskunst wartet mit ei-nem Superlativ auf, der gerade-zu dazu einlädt, an ihm zu schei-tern. In Anbetracht der spekta-kulären Perspektive, in die jededocumenta auf ihre Weise ge-rückt wird, liegt es nahe zu er-warten, daß die Macherinnenund Macher dieses Events, obsie es wollen oder nicht, in einenregelrechten Überbietungswett-bewerb geraten.

So drängt sich dem Publikum,das häufig nicht zum erstenmalzu diesem Ereignis nach Kasselreist, der Vergleich zu früherenAusgaben der documenta auf.Was das eine mit dem anderen

zu tun hat, erschließt sich aus derWahrnehmung des Events alsGesamtkunstwerk, das zu gestal-ten den jeweiligen Kuratorinnenund Kuratoren obliegt. EinzelneExponate sind auch in anderenSituationen anzuschauen und zuerleben, so daß die documentaim besten Fall mehr sein müßteals die Summe ihrer Einzelteile.Für die konzeptionelle Rahmungihrer 14. Ausgabe haben AdamSzymczyk und sein Team dennauch keine Mühe gescheut, denEindruck erweckt zumindest dieumfassende Textproduktion, dievor und während der beidenAusstellungen in Athen undKassel entstanden sind. Währenddie drei bisher zur documenta 14erschienenen Ausgaben des Ma-gazins South as a State ofMindauch online einsehbar sind, blei-ben der documenta 14 Readerund das documenta 14: Daybookdem zahlenden Publikum vorbe-halten.

Geht es um mehr als bloßen äs-thetischen Erlebnistourismus,was in Anbetracht der vielen in-haltlich anspruchsvollen Expo-nate kaum zu vermeiden ist,dann kann die ausgiebige Lektü-re des Begleitmaterials eigent-lich nicht ausbleiben. Dies giltum so mehr, als die schriftlichenErläuterungen an den Kunstwer-ken selbst eher sparsam gehaltenund zudem meist in recht kleinerSchrift verfaßt sind. KuratorSzymczyk ist sich dieser Proble-matik schon aufgrund seines

Anspruchs, daß sich "in jedemKunstwerk eine politische Di-mension aktivieren" lasse, be-wußt. Wer sich die documenta,wie er empfiehlt, "durch Inter-pretation und die kritische Be-trachtung des Werks" erschlie-ßen will, benötigt dafür "eineMenge Informationen zumKontext - der Kontext ist sehrwichtig, wenn man die Ausstel-lung orchestriert und eingewo-bene Bedeutungen oder Liniensichtbar machen will. Das Pu-blikum bewegt sich dann sozu-sagen in entgegengesetzterRichtung zu Kuratoren undKünstlern: Es wird in der Aus-stellung mit der Spitze des Eis-bergs konfrontiert und kanndann anfangen, in die Arbeitenhinein zu lesen - was wir bereitsim Vorfeld der Ausstellung ge-macht haben." [1 ]

Faßt man einmal die Stellung-nahmen Szymczyks aus Inter-views und Texten zusammen,wo er einen betont herrschafts-freien und antirassistischen, ba-sisdemokratischen und inklusi-ven Ansatz für diese documentapropagiert, dann brechen diesePrinzipien schon an dem be-grenzten Zugang zu dem Text-material und den nicht geringfü-gigen Eintrittspreisen. Sich ankostenpflichtigen "Spaziergän-gen" - "Führungen" implizierenzu viel beanspruchte Deutungs-hoheit - zu beteiligen, um sichvon den dafür zuständigen"Choristen" darüber aufklären zu

KUNST / REPORT / BERICHT

documenta, Fragen und Kritik - zwiebetracht ... (1)

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Elektronische Zeitung Schattenblick

Seite 14 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

lassen, daß die eigene Erfahrungim Mittelpunkt steht und mansich den Kunstwerken so vorbe-haltlos wie möglich nähern soll-te, wirft denn auch die Frage da-nach auf, warum ein solches Ge-spräch mehr Aufschluß über dasGesehene und Erlebte geben soll-te als der spontane Kontakt mitanderen Menschen, die sich zu-fällig am gleichen Ort befinden.

So gleicht der Spagat zwischenherrschaftskritischem subjektzen-trierten Anspruch und den objek-tiven Zwängen eines staatskultu-rellen Legitimationsprojektes ei-nem Hochseilakt, der zu stetemPendeln in die eine und die ande-re Richtung nötigt, um den Ab-sturz ins Nichts gesellschaftlichunverträglicher Abweichung zuvermeiden. Akrobatische Kunst-stücke dieser Art können auch alseigenständige Darbietung bewun-dert werden, reflektieren sie dochgesellschaftliche Zwangsverhält-nisse, die bewußt zu machen, zukritisieren und zu überwinden einwesentlicher Zweck fortschrittli-cher Kunst sein könnte.

Toutes directions ...wenn das Rhizom Pate bei derKartengestaltung stehtFoto: © 2017 by Schattenblick

Kassel als integraler Bestand-

teil der documenta 14

Schon die Konzeption, die docu-menta 14 an zwei gleichberechtig-ten europäischen Standorten aus-zutragen, sprengt die Grenzen ih-rer räumlichen Vermittelbarkeit.Nicht jeder hat die Möglichkeit,zum Zweck ihres Besuches nachGriechenland zu reisen, und sobleibt Athen für viele documenta-Interessierte ein fast fiktiver, le-diglich in Bild und Ton repräsen-tierter Ort. Wie dort, wo die docu-menta 14 am 16. Juli zuende ging,ist sie in Kassel, wo sie noch biszum 17. September andauert, einEreignis von raumsprengenderDimension. Die Werke von rund

160 Künstlerinnen und Künstlernverteilt auf etwa 35 separate Ortein der Stadt Kassel, dazu Perfor-mances, Radioaustrahlungen,Schaufensterauslagen und Stra-ßenbetrieb mit documenta-Bezug- wohl kaum eine der seit 1 955stetig in ihrer Ausdehnung expan-dierenden Ausstellungen kann fürsich in Anspruch nehmen, die200.000 Einwohner starke nord-hessische Verwaltungsstadt derartzur Plattform ihrer Präsentationengemacht zu haben.

Um sich diesem komplexen Ge-flecht von Orten und Inszenierun-gen zu nähern, empfiehlt es sichdurchaus, die documenta 14 re-gelrecht zu erwandern, sind dieDistanzen zwischen den einzel-nen Ausstellungsstätten doch inüberschaubaren Zeiträumen zuüberwinden. Da sie sich in meh-reren, städtebäulich wie sozial-räumlich ganz unterschiedlichenQuartieren befinden, erschließtsich das Ereignis in seiner räum-lichen Gestalt auf ganz eigene, indie Normalität des Stadtbetriebszugleich eingebettete wie aus ihrherausfallende Art. Wer über keinFahrrad verfügt, kann ansonstenauf eine Tageskarte für 7 Euro zu-rückgreifen.

Kunstferner Hinterhofder Neuen Neuen Galeriein Kassels NordstadtFoto: © 2017 by Schattenblick

Bedient man sich dabei der eigensfür die documenta 14 entworfe-nen, alle Ausstellungsorte enthal-tenen Karte, dann beginnt die Bil-dinterpretation schon mit demDechiffrieren ihres stark formali-sierten Zeichensystems. Nicht nurden SB-Autor führten die darausentnommenen Informationen zu-

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Di. 25. Juli 2017 Seite 1 5www.schattenblick.de

erst in die Irre, sondern auch an-dere documenta-Besucherinnen,denen er auf dem Weg begegnete,hatten den Lutherplatz als Stand-ort der Neuen Neuen Galerie iden-tifiziert. Durch Nachfragen beiOrtsansässigen schließlich erfolg-reich an dem ehemaligen Haupt-postamt in der Nordstadt in derUnteren Königsstraße angekom-men, erweist sich die "im brutali-stischen Stil gebaute Neue Haupt-post", so der documenta 14-Füh-rer Kassel Map Booklet, als Funk-tionsgebäude im Stil der Sechzi-ger Jahre mit allerdings großzügi-gen Ausstellungsflächen. Zu ver-stehen, daß die dort gezeigten Ar-beiten analog zur Aufgabe desPostamtes als Distributionskno-tenpunkt der Aufgabe der Verbrei-tung bis hin zur Produktion vonGeschichte dienen und so einenOrt der "sich ständig fortent-wickelnden und auflösenden He-terotopie" (Kassel Map Booklet)erzeugen, bleibt der bereitwilligenImagination des Publikums über-lassen.

Vielfältig sind die in der NeuenGalerie gezeigten Exponate alle-mal. Das Werk des katalonischenNetzkünstlers Daniel García An-dújar thematisiert "The DisastersofWar" anhand einer wiederumsehr heterogenen Mischung ausIllustrationen, die sich mit tech-nischen Voraussetzungen, ideo-logischen Verbrämungen undpersönlichen Zeugnissen desKrieges gestern und heute aus-einandersetzen. Rißzeichnungenvon US-Kampfbombern wech-seln sich mit Dokumenten voll-zogener geheimdienstlicherZensur und fotografischen Erin-nerungen von Wehrmachtssolda-ten ab, die auf der Akropolisfröhlich unter der dort flattern-den Hakenkreuzflagge posierten.

Das Titelbild des Strand Maga-zine vom Juli 1 911 entwirft diedüstere Vision der künftigenBombardierung Londons, zu deres am 31 . Mai 1914 tatsächlichkam. Im gleichen Bilderrahmenist ein Plakat der Kasseler Ger-hard-Fieseler-Werke zu sehen, indem der Buchstabe "F" denHimmel wie ein Kampfflugzeugdurchkreuzt. Die frappante Ähn-lichkeit dieses zur Kriegswaffestilisierten Schriftzeichens mitdem US-amerikanischen Tarn-kappenbomber F-117 fällt sofortins Auge. Weiß man zudem, daßdie sogenannte Vergeltungswaf-fe V-1 , nach deren Vorbild wie-derum die Prototypen der heutebei Aggressoren so beliebten,weil ebenfalls ferngesteuertenCruise Missile konstruiert wur-den, in diesem Kasseler Rü-stungsbetrieb entwickelt wurde,dann macht der Titel des Werkes"Progressus" allemal Sinn.

"Von Athen lernen" -

wie neokolonialistisch ist die

documenta 14?

Der Transport eines Monolithen,der einem Stein der antiken Ago-

ra Athens nachempfunden ist,von der griechischen Hauptstadtnach Kassel steht im Mittelpunkteines Projektes der DramaturgenRoger Bernat und Roberto Frati-ni. Ein aus Kunststoffen kopier-tes Teil aus dem archäologischenVermächtnis des antiken Grie-chenlands wird mit dem Flug-zeug nach Wolfshagen bei Kas-sel verfrachtet, um auf dem dortvon den Nazis eingerichtetenThingplatz vergraben zu werden.Der recht verklausulierte Ver-such, die Kunstaktion in einensozialkritischen Kontext zu stel-len, leuchtete der GruppeLGBTQI+ Refugees in Greecenicht ein, so daß sie sich ihrer-seits gegen die Künstler und ihrProjekt positionierten. Sie warfihnen vor, ihre Aktivistinnen undAktivisten zwecks Inzenierungdes Steines im Rahmen einesBegräbnisses, von denen sieschon mehr als genug erlebt hät-ten, instrumentalisiert zu haben,und entführten das Objektschlichtweg. In dem dazu pro-duzierten, fast 60.000 Mal auf-

Teilansicht Daniel GarcíaAndújar "The Disasters of War"Foto: © 2017 by Schattenblick

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Seite 16 www.schattenblick.de Di, 25. Juli 2017

gerufenen Video [2] tanzen sieum den Stein herum, den sie wo-möglich in die Türkei abgescho-ben hätten, der sich vielleichtaber auch mit falschem Paß aufeinem Flug nach Schweden be-finde, um dort Asyl zu beantra-gen.

In einer ausführlichen Entgeg-nung [3] erklärten Roberto Fra-tini und Roger Bernat den Vor-

wurf, mit der Kunstaktion dasDasein der Flüchtling zu feti-schisieren und mit dem Begra-ben des Steines in Deutschlandauch die Erinnerung an dieFlüchtlinge zu tilgen, für gegen-standslos. Sie hätten die Aktivi-stinnen und Aktivisten nicht fürihre Beteiligung an dem Projektbezahlt, sondern man habe le-diglich die Einnahmen zwischenallen Beteiligten geteilt, zudemsei das Objekt nicht entführt,sondern nur nicht zurückgege-ben worden. Es habe ohnehinkeinen Wert und man habe vonAnfang an mit einer solchen Ak-tion gerechnet, weshalb zweiweitere Kopien des echten Mo-nolithen angefertigt worden sei-en. Dennoch trug die Aktion da-

zu bei, der vielstimmigen Kritikan der Athener documenta 14mehr Öffentlichkeit zu verschaf-fen und dieser das fundamenta-le Problem einer Kunst vor Au-gen zu führen, deren Adressatin-nen und Adressaten vor allem zuden privilegierten, weder vonHunger und Armut noch staatli-cher Gewalt und politischer Un-terdrückung betroffenen Elitengehören [4] .

Teilansicht Roger Bernat"The Place of the Thing"Foto: © 2017 by Schattenblick

"Von Athen lernen" - mit dem Ar-beitstitel für den Export der docu-menta 14 in eine Metropole vongeradezu signifikanter Bedeutungfür die sozialen Auswirkungen desEU-europäischen Krisenmanage-ments hätte das Kuratorenteam dieLatte ihres Anspruches kaum hö-her legen können. Sind schon diekulturhistorischen Beziehungenzwischen den Städten Kassel undAthen von einem philhellenischverklärten Blick auf die Antike ge-prägt, demgegenüber das moder-ne, agrarisch geprägte Griechen-land nur abfallen kann, so hätte einsolcher Schritt der umfassenden

Bearbeitung des imperialistischenVerhältnisses zwischen Deutsch-land und Griechenland bedurft.Dem hat Kurator Szymczyk ehernicht entsprochen, das meinte zu-mindest der griechische Politikerund DiEM25-Begründer YanisVaroufakis in einem Interview [5] .

Anhand eines Beispiels deutscherPrivatisierungspolitik in Grie-chenland, bei der die mehrheitlichin staatlichem Besitz befindlicheFraport einige der einträglichstengriechischen Flughäfen in ihrenBesitz gebracht hat und dafürKredite bei griechischen Bankenaufnahm, die wiederum unter Ku-ratel der Gläubiger der Troika ste-hen, stellte er die Alimentierungder documenta 14 in Athen unddie vielen von ihr in Anspruch ge-nommenen lokalen Ressourcenals analoge Form der Monopoli-sierung dar. Zwar habe die docu-menta 14 einige Ressourcen ausDeutschland beigesteuert, dochalles in allem basiere ihre Anwe-senheit in Athen auf einem ex-traktivistischen Prozeß, der auchnoch von einem linken Narrativbemäntelt werde.

Szymczyk habe zwar nur mit öf-fentlichen Institutionen in Athenzusammengearbeitet, doch inGriechenland handle es sich beider Idee, daß diese ein Gegenge-wicht zu privatwirtschaftlichenAusplünderung des Landes undseiner Bevölkerung darstellenkönnten, um eine durchsichtigeAusrede für den Vollzug sozial-feindlicher Austeritätspolitik un-ter dem Fetisch nationaler Identi-tät. Diese werde in den Ausfüh-rungen der Kuratoren und andererkunstbeflissener Kommentatorendes antiken Griechenlands auf ei-ne Weise gefeiert, die an den Phil-hellenismus des 18. Jahrhunderts

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gemahne, als die europäischenKolonialmächte mit kaum weni-ger eigennützigen Motiven dieWurzeln der westlichen Zivilisa-tion in Griechenland verortet hät-ten. Ganz generell verwahrt sichVaroufakis als Internationalist ge-gen die Verklärung der Verhält-nisse zwischen Nationalstaaten inForm vermeintlicher Eigenschaf-ten und Charakteristiken der je-weils als Nation präsentierten Be-völkerungen.

So war er wenig erfreut über dieAussage der documenta-Ge-schäftsführerin, Annette Kulen-kampff, bei dem deutschen Kul-turimport handle es sich um einGeschenk an Griechenland. Der-artige Geschenke seien schon auf-grund dessen unmöglich, daßDeutschland kein einheitliches,sondern höchst heterogenes Ge-bilde aus zum Teil ganz gegen-sätzlichen Gruppen wie Kapitale-liten und antikapitalistischenGruppen sei. Tatsächlich würdedie documenta von vielen Interes-sen alimentiert und für viele Inter-essen eingespannt, so Varoufakis,wozu sich ergänzen ließe, daßHandreichungen zwischen Staa-ten im Rahmen der europäischenKrisenkonkurrenz stets Gewalt-verhältnisse befördern.

Insbesondere bemängelte Varouf-akis die Abwesenheit von Kritikan der Politik der Gläubiger, na-mentlich der Troika aus EU-Kom-mission, Europäischer Zentral-bank und Internationalem Wäh-rungsfonds, in der Athener docu-menta. Dies hätte nicht nur mög-liche Förderer verschrecken kön-nen, sondern auch das gegen denNeoliberalismus gerichtete Narra-tiv erschüttert, der gar nicht diemaßgebliche Kraft bei der Unter-werfung Griechenlands sei. Bei

dieser gehe es vielmehr um eineArt moderner, von Staaten vollzo-genen Kanonenbootpolitik, diemit Hilfe des Finanzkapitals voll-zogen würde, was wiederum Kri-tik an einer modernen Form desKolonialismus auf den Plan rufe.

Diese findet sich am ehesten beiden zahlreichen Grafitti, mit de-nen die documenta 14 in Athenkommentiert wurde. "Crapumen-ta 14 - The Crisis of a Commodi-ty or the Commodity ofCrisis?","I Refuse To Exotisize MyselfToIncrease Your Cultural Capital"als Kommentar zu dem voyeuri-stischen Genuß, soziales Elendaus der sicheren Perspektive eige-nen Wohlstands heraus betrachtenzu können, oder die Anmerkung,daß es schön sein müsse, den Ka-pitalismus mit einem Budget von38 Millionen Euro zu kritisieren,sind Formen von Kunst, die derso textintensiv produzierten docu-menta 14 eigentlich gut zu Ge-sicht stehen.

Bemerkenswert war zudem einzur Eröffnung der documenta 14

in Athen am 8. April verbreiteterText, in dem sich migrantischeHausbesetzerinnen anläßlich derRäumung ihrer Wohnungen aufdas Parlament der Körper berie-fen, daß die Stimmen des Wider-stands und der Minderheiten be-schworen habe: "Nun, wir sinddiese Stimmen, wir sind gender-los, wir sind Migranten, wir sindmoderne Parias, wir sind die Dis-sidenten des Regimes und wirsind hier. Wir laufen mit euch, wirsind auf den Parallelstraßen un-terwegs, aber ihr seht uns nicht -eure Augen fixieren die blau un-terstrichenen Linien eurer Goo-gle-Karte. Ihr wurdet program-miert und angewiesen, uns nichtzu sehen, einfach an uns vorbei-zugucken, uns zu vermeiden - un-sere Kultur wurde für euch zen-siert." [6]

Der Vorwurf, zur "goldenenGhettoisierung" der Stadt und zurVertreibung der Migrantinnenund Migranten aus ihren Viertelnzu schweigen und damit denKrieg des Staates, der Kirche undNGOs gegen ihre Graswurzelini-

Theo Eshetu "Atlas Fractured" (links) und Dan Peterman"Kassel Ingot" (rechts) in der großen Halle der Neuen Neuen GalerieFoto: © 2017 by Schattenblick

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tiativen zu unterstützen, wiegtangesichts des progressivenAnspruchs der documenta 14schwer. Ihr Logo, die stilisierteEule mit dem schräg angelegtenKopf erinnert an die Redensart,laut der nichts überflüssiger seinkönnte als Eulen nach Athen zutragen. Das ist allzuleicht ge-sagt, verkündet das in Athenanzutreffende Grafitti, das dieEule mit abgeschlagenem Kopfzu der Frage "Can You Kill TheHierarchy Within You?" zeigt.So hat die am 16. Juli beendetedocumenta 14 in Athen Anlaßzu Fragen gegeben, die der wei-teren, nicht nur künstlerischenBearbeitung harren.

Anmerkungen:

[1 ]http://www.deutschland-funk.de/documenta-kurator-adam-szymczyk-die-kunst-hat-ei-ne.911 .de.html?dram:artic-le_id=382838[2] https://www.facebook.com/lgbt-qirefugeesingreece/vi-deos/263576050783139/[3] http://rogerbernat.info/gene-ral/lets-put-things-in-its-place/[4] https://hyperaller-gic.com/382407/lgbtq-refugee-rights-group-steals-artwork-from-documenta-in-athens/[5] http://www.art-agenda.com/re-views/d14/[6] https://conversations.e-flux.-com/t/open-letter-to-the-viewers-participants-and-cultural-workers-of-documenta-14/6393

http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/

kurb0054.html

(SB) ­ Schachspielende Ehepaaresind eine Ausnahmeerscheinungim Turnierbetrieb. Nur wenigedehnen das Gebot, alles miteinan-der zu teilen im Guten wie auch imSchlechten, auf ein Hobby wieSchach aus. Daß heutzutage trotz-dem mehr Schacheheleute aufTur-niere gehen als früher, liegt einfachdaran, daß Frauen erst in den letz-ten drei Jahrzehnten verstärkt zuden Figuren griffen und das Vorur-teil abschüttelten, sie könnten aufdem Brett nichts bewegen. BorisGulko und seine Gattin Anna Ach-scharumova, er Großmeister, sieInternationale Meisterin, sind einkleines Mini-Unternehmen. Beideverdienen, nachdem sie aus der So-wjetunion in die USA emigrierten,ihr Geld mit dem Schachspiel.Auch Glenn und Christine Flear -sie besser bekannt unter den Na-men Christine Leroy aus Frank-reich - sind Vollzeit- Profis. AusEngland kommen auch Keith undSusan Arkell. Schon die ledige Su-san Walker gehörte zu den bestenschachspielenden Frauen ihresLandes. Wie gut, daß DeutschlandOtto und Annette Borik hat, sonstmüßten wir uns nachsagen lassen,in diesem Punkt hinterwäldlerischzu sein. Früher gern belächelt, zei-gen Frauen heutzutage immermehr Biß auf den Turnieren. IhreZahl ist nicht groß, wächst jedochvon Jahr und Jahr. Im heutigenRätsel der Sphinx bewies SusanArkell, daß sie auch in kritischenStellungen mit ihren Einfällen Trittfassen kann. Mit Schwarz am Zu-ge riß sie die Partie noch aus demFeuer dank eines genialen Zuges,Wanderer!

Hodgson - S. ArkellLondon 1988

Auflösung des letztenSphinx­Rätsels:

Soviel Risikobereitschaft hatteman dem schwedischen Großmei-ster UlfAndersson gar nicht zuge-traut, und es war auch nicht gut,daß er 1 . . .b5-b4? spielte. Sein jun-ger Kontrahent aus Tallinn nutztedie Gelegenheit sofort, um demRemiskönig eine Lektion zu ertei-len: 2.e5xf6 b4xc3 3.Td2-g2! - einschöner Turmschwenk - 3. . .Dc7-b7 4.Tg2xg7+ Kg8-h8 5.Tg7-g8+!Das hatte der Schwede offenbarvöllig übersehen. Nachdem er sichvon seiner Überraschung erholtund die Lage sondiert hatte, gab erauf wegen 5.. .Tf8xg8 6.f6xe7+Tg8-g7 7.Td1 -g1 Db7xb2+ 8.Kc1 -d1 Db2-b1+ 9.Le3-c1 Tc8-g810.Tg1xg7 Tg8xg7 11 .e7-e8D#

http://www.schattenblick.de/infopool/schach/schach/

sph06271.html

SCHACH UND SPIELE / SCHACH / SCHACH-SPHINX

Eheleute im Turnierbetrieb

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Di. 25. Juli 2017 Seite 19www.schattenblick.de

(SB) ­ In seiner Reihe Basiswis-sen aus Politik, Geschichte undÖkonomie legt der Kölner Papy-Rossa Verlag eine fortlaufend er-gänzte Edition inhaltlich an-spruchsvoller und aufwesentlicheAspekte der jeweiligen Thematikverdichteter Abhandlungen vor.Sie zeichnen sich insbesonderedurch eine gesellschaftkritischeund somit parteiergreifende Posi-tionierung aus, die einer vorgeb-lich neutralen und objektiven, defacto jedoch die vorherrschendeIdeologie reproduzierenden Wis-senschaftlichkeit mit den Werk-zeugen fundierter Expertise unddezidierter Gesellschaftsanalysein die Parade fährt. Für den vor-liegenden Band "Geschichte Ita-liens - Vom Risorgimento zur Ge-genwart" konnte das Verlagshauswiederum den renommierten Pu-blizisten Dr. phil. habil. GerhardFeldbauer gewinnen. Als langjäh-riger Korrespondent in Italien undVietnam, habilitiert in italieni-scher Geschichte und aus persön-lichem Erleben mit den dortigenVerhältnissen vertraut, verbindetihn mehr als nur berufliches Inter-esse mit diesem Land und dendort lebenden Menschen. Vielevon ihnen hat er vor Ort kennen-gelernt, mit manchen ist er bisheute freundschaftlich verbun-den.

Wenngleich der Autor kein Hehldaraus macht, daß sein Herz fürdie Kämpfe der Lohnabhängigen

und Kleinbauern schlägt, wie ihnauch der Niedergang ihrer Orga-nisationen und politischen Reprä-sentation mit großer Sorge erfüllt,schreibt er frei von Pathos undParolen. Nüchtern und präziselegt er eine sorgsam recherchier-te und belegte wissenschaftlicheArbeit vor, die seine umfangrei-cheren und ausführlicheren Studi-en zu demselben Themenkom-plex aufden Rahmen eines kom-primierten Formats zusammen-faßt und zuschneidet. Wer zumZweck des Wissenserwerbs eineZusammenschau der wesentlich-sten Entwicklungen, Akteure undDatierungen wünscht, wird aufseine Kosten kommen. Nichtminder empfehlenswert ist dasBuch aber auch für all jene Lese-rinnen und Leser, die Geschichteaus einer kritischen und emanzi-patorischen Perspektive unter dieLupe nehmen möchten, ohne da-bei auf quellengestützte Trittsi-cherheit zu verzichten.

Feldbauer hat den Spagat zwi-schen einer Vielzahl unverzicht-barer Fakten und einem gewisser-maßen erzählenden historischenHandlungsstrang, der dem Lese-vergnügen Genüge tut, auf für sei-ne Publikationen charakteristi-sche Weise bewältigt. Zum einenentfaltet er ein breites Spektrummaßgeblicher Interessengruppenund Machtkomplexe, angefangenvon den Auswirkungen der Fran-zösischen Revolution bis in die

Gegenwart. Zum anderen bindeter deren Ringen in den Kontextdurchgängiger Herrschaftsentfal-tung wie auch Befreiungs- undKlassenkämpfe ein, der ge-schichtliche Kontinuitäten undBrüche erst in ihrem Gesamtzu-sammenhang entschlüsselt. Dankdieser Vorgehensweise setzt er ei-ner nur deskriptiven und interpre-tativen Rückschau, die affirmativdie heute vorherrschenden Ver-hältnisse in ihrer Genese undDurchsetzung zu begründen undzu rechtfertigen sucht, analytischgrundlegende Widerspruchslagenund daraus resultierende Ausein-andersetzungen entgegen. Wederläßt sich Geschichte als bloße Ab-folge mehr oder minder blinderZufälle noch als unvermeidlicherAufstieg zum unabweislich krö-nenden Gipfel einer kapitalisti-schen und imperialistischen Aus-beutung menschlicher Arbeits-kraft und natürlicher Ressourcenhinreichend und überzeugendauslegen.

Obgleich die Geschichte Italiensin ihren großen Etappen wie demÜbergang vom Feudalismus zurHerrschaft des Bürgertums, derGründung des Nationalstaats un-ter Zurückdrängung ausländi-scher Einflußnahme, der Ab-schaffung der Monarchie zugun-sten der Republik und insbeson-dere einer Entfaltung der Produk-tivkräfte durchaus der andererwestlicher Industriestaaten ent-

BUCH / SACHBUCH / REZENSION

Geschichte Italiens

Vom Risorgimento zur Gegenwart

von Gerhard Feldbauer

Gerhard Feldbauer

Geschichte ItaliensVom Risorgimento zurGegenwart

PapyRossa Verlag, Köln 2017138 Seiten, 9,90 EuroISBN 978­3­89438­626­9

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sprechen mag, weist sie doch zu-gleich teils einzigartige Besonder-heiten, teils ganz spezifische Aus-prägungen auch andernorts anzu-treffender Entwicklungsverläufeauf: Die Macht des Papsttums undder katholischen Kirche, die Spal-tung des Landes in einen hochin-dustrialisierten Norden und agra-rischen Süden mit einer entspre-chenden Diskrepanz des Verhält-nisses zwischen Reichtum undArmut, das weitreichende Wirkenmafiöser Strukturen, der Faschis-mus und die bis heute starke neo-faschistische und rassistischeRechte, die Geheimloge P2 undGladio, die Anschläge der RotenBrigaden und der Neofaschisten,Aufstieg und Fall des Silvio Ber-lusconi, um nur einige besondersprägnante Aspekte zu nennen. In-dem der Autor die gegenseitigenAbhängigkeiten, Wechselwirkun-gen und strukturellen Verflechtun-gen dieser verschiedenen Phäno-mene untersucht, erschließt er sei-ner Leserschaft ein ansonsten ver-wirrendes, befremdliches oder al-lenfalls selektiv verkürztes Bildder ökonomischen, politischenund sozialen Wesenszüge der Ge-sellschaft Italiens.

Dessen Historie ist zugleich ge-prägt von bemerkenswert früheinsetzenden und fast durchgän-gig manifesten Kämpfen und Er-hebungen gegen äußere Einfluß-nahme und einheimische Despo-ten, feudale Knechtung und indu-strielle Zurichtung. So ging es imRisorgimento (1789-1871 ), derPeriode der nationalen Wiederge-burt, darum, den weltlichen Herr-schaftsanspruch des Papstes unddie Fremdherrschaft der Bourbo-nen und Habsburger zu brechen,um das Feudalsystem zu beseiti-gen und den einheitlichen Natio-nalstaat und die bürgerliche Ord-

nung zu errichten. (S. 6) Ab 1863bis zu seinem Tod im Jahr 1881ist beispielhaft Guiseppe Garri-baldi zu nennen, der mit seinenRothemden als Führer des revolu-tionär-demokratischen Flügelsder nationalen Bewegung undGeneral der Befreiungskriegezum bedeutendsten Repräsentan-ten und Symbol des Kampfes auf-stieg. Feldbauer hält als Bilanzfest, daß die bürgerliche Revolu-tion als Bestandteil des Risorgi-mento einen Dreiviertelsieg er-rungen habe, da die Beseitigungdes feudalen Grundbesitzes nichterfüllt wurde. (S. 1 5)

Großen Einfluß aufdie Arbeiter-bewegung übte zunächst der rus-sische Revolutionär und spätereAnarchist Michail Bakunin aus.Erst nach gescheiterten Auf-standsversuchen der Anarchistenschwand deren Dominanz, wor-auf sich marxistisch geprägteStrömungen durchsetzten. Die1893 gegründete SozialistischePartei (ISP) hatte zwar grundsätz-lich marxistischen Charakter,klammerte aber die politischeMachtergreifung aus. Dies führtezur Herausbildung eines linkenrevolutionären und eines reformi-stischen Flügels (S. 1 9), womitgewissermaßen das Grundmusterspäterer Spaltungen wie auch un-ablässiger Bestrebungen, einer ra-dikalen Linken die Zähne zu zie-hen, angelegt war. Mit ihrer Ab-lehnung der Kriegskredite im Er-sten Weltkrieg waren die italieni-schen Sozialisten dennoch dieeinzige westeuropäische Sektionder II. Internationale, die diesePosition bezog und überdies zuGeneralstreiks aufrief, die jedochblutig niedergeschlagen wurden.

In revolutionären Nachkriegs-kämpfen besetzten Arbeiter im

Herbst 1920 alle großen Betriebein Norditalien, wählten Fabrikrä-te und übernahmen die Leitungder Produktion. Im Süden nahmdie Inbesitznahme von Länderei-en der Latifondistas Massencha-rakter an. Aus Angst vor der Re-volution begannen die reaktionär-sten Kreise, aufMussolini zu set-zen. Der Autor schildert ausführ-lich die keineswegs unaufhaltsamvollzogene, aber Zug um Zugvervollkommnete Durchsetzungder faschistischen Diktatur, die inTeilen ein Vorbild zur Machtüber-nahme der NSDAP in Deutsch-land abgab. Zugleich beschreibter den verhängnisvollen Mehr-heitskurs der ISP, die den Wahler-folg vorzog und die Auflösungder Fabrikräte oder deren Zer-schlagung betrieb. Diese Ausrich-tung führte dazu, daß die GruppeNeue Ordnung um AntonioGramsci, Palmiro Togliatti, Um-berto Terracini und Angelo Tascadie ISP verließ und im Januar1921 die Kommunistische ParteiItaliens (IKP) gründete. (S. 24)

Den wachsenden antifaschisti-schen Widerstand belegt die Be-teiligung italienischer Kommuni-sten und Sozialisten an den Inter-brigaden im spanischen Bürger-krieg, deren Oberkommandieren-der bis zu seiner Verwundung derIKP-Vorsitzende Luigi Longowar. In Spanien bekräftigtenKommunisten und Sozialisten ih-re Aktionseinheit mit dem Zielder Beseitigung des Faschismusund Kapitalismus und des Auf-baus einer sozialistischen Gesell-schaft. Welche Wirkung diesesBündnis entfalten konnte, zeigtendie Erfolge der rasch wachsendenPartisanenarmeen im ZweitenWeltkrieg, die letztlich die Nie-derlage der deutschen Wehrmachtan dieser Front und die Befreiung

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Italiens fast im Alleingang undnicht selten gegen der Willen derWestalliierten erkämpften, dielängst andere strategische Pläneverfolgten.

Nach der Niederlage des Faschis-mus wäre es den Linken ange-sichts der Kräfteverhältnisse wohlmöglich gewesen, eine grundle-gende Gesellschaftsveränderungeinzuleiten. Bis zum Spätherbst1 945 bestand eine klassische re-volutionäre Situation: IKP undISP verfügten zusammen über ei-ne breite Massenbasis, in denStädten und Gemeinden leitetenKomitees die Umgestaltung ein,massenhafte Landbesetzungen imSüden wurden von der Einheits-regierung legalisiert. Und nichtzuletzt bildeten die über eine hal-be Million Mitglieder zählendenPartisanenformationen den Kerneiner kampfentschlossenen Basis.(S. 41 )

Warum es trotz dieser Konstella-tion, wie sie in Westeuropa niewieder erreicht werden sollte, zufatalen Kompromissen seitens derIKP-Führung kam, worauf sichdie Kräfteverhältnisse zuungun-sten der Linken verschoben, ana-lysiert der Autor mit aller gebote-nen Schärfe. Im einbrechendenKalten Krieg gewannen äußereund innere Interessen, Italien umkeinen Preis "den Roten" zu über-lassen, zunehmend die Oberhand.Wie man heute weiß, wurden inWashington jegliche militäri-schen, geheimdienstlichen, logi-stischen und propagandistischenOptionen zur Zähmung Italiensund Zerschlagung der Linken inStellung und häufig auch zur An-wendung gebracht. Im Innerensorgten bourgeoise, klerikale undfaschistische Kräfte dafür, daß dieradikale Opposition bekämpft,

bezichtigt und nicht zuletzt unter-wandert wurde. Feldbauer führtuns zu den wichtigsten Stationender folgenden Jahrzehnte, wobeinicht zuletzt seine Untersuchun-gen zum Vatikan, zum Treiben derGeheimbünde und Geheimdiensteund den jeweils führenden Kapi-talfraktionen höchst aufschluß-reich sind.

Einen Tiefpunkt markieren dieParlamentswahlen im April 2008,bei denen das linke Bündnis unterder Vier-Prozent-Sperrklauselblieb. Erstmals in der Nachkriegs-geschichte waren Kommunistenund Sozialisten - und mit ihnendie Grünen - nicht mehr im Parla-ment vertreten. (S. 1 05) Die Bil-dung einer Regenbogenlinken,die allen offenstehe, hatte zu einerEigenkandidatur kleinerer Frak-tionen geführt, die eine weitereAufweichung nach dem Musterder Europäischen Linken be-fürchteten. Die 2009 von demStarkomiker Beppe Grillo ge-gründete Fünf-Sterne-Bewegung(M5S) schöpfte mit ihrer verbal-radikalen Attitüde das verbreiteteProtestpotential ab, stellte seit2012 vier Bürgermeister und be-legte bei der Parlamentswahl2013 mit 25,5 Prozent den drittenPlatz. Im Juni 2016 zeigte sich er-neut, daß der kleinbürgerlichenProtestbewegung ein tiefer Ein-bruch in die Wählerschaft vonMitte-Links gelungen war: Virgi-nia Raggi vom M5S wurde Bür-germeisterin von Rom. Seithersinken die fünf Sterne. Raggi ver-sprach alles zu ändern, was in derHauptstadt nicht funktioniert,doch ist ihr davon bislang nichtsgelungen. Rücktritte, mutmaßli-che Kontakte zur Mafia Capitalein ihrem Umfeld und geringe Be-rührungsängste der M5S mitrechten Kräften dürften den wei-

teren Absturz der Bewegung be-schleunigen, welche die Ausmu-sterung dezidiert gesellschaftkri-tischer Positionen zugunsten dif-fuser Proteststimmungen auf eineneue Spitze getrieben hat.(S. 1 26)

Im Epilog wirft der Autor die Fra-ge auf, welchen Einfluß ItaliensKommunisten auf den weiterenWeg des Landes nehmen können.Seit ihrer Gründung 1921 habedie IKP siebzig Jahre lang ent-scheidenden Einfluß auf die Zu-rückdrängung von Reaktion undFaschismus sowie die Gestaltungdes Fortschritts ihres Landes aus-geübt. Mit der Beseitigung derIKP 1991 sei es zur Krise der Lin-ken gekommen, die eine reaktio-näre Wende beförderte. Die Lin-ken und mit ihnen die Sozialistenseien in einer in ihrer gesamtenGeschichte nicht gekannten Zer-rissenheit und Spaltung versun-ken. Suche man nach den Ursa-chen dieses Niedergangs, stoßeman aufdie von Lenin hinterlas-sene Binsenweisheit, daß eineKommunistische Partei zumScheitern verurteilt sei, wenn sienicht mit dem Opportunismusbricht. (S. 1 34) Mutlosigkeit oderResignation sind Feldbauers Sa-che nicht, und so verweist er ab-schließend auf eine Initiative or-ganisierter und nichtorganisierterKommunisten, die sich zu ihrerIdentität bekennen und ihre Spal-tung überwinden wollen.

http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/

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Extremwetter - Risiko der Welternährung am Beispiel Mais

UMWELT / REDAKTION / RESSOURCEN

(SB) 24. Juli 2017 ­ Es gibt einereelle Chance, daß aufgrund vongleichzeitigen Extremwetterer-eignissen in den beiden wichtig-sten Maisanbaugebieten der Welt,USA und China, Mißernten ein-treten. Wenn es dazu kommt,würden Millionen Menschen ei-ner Hungersnot ausgesetzt, wobeiAfrika und Asien davon am stärk-sten betroffen wären. So lautetdas Ergebnis einer im Mai diesesJahres in den Environmental Re-search Letters veröffentlichtenStudie des britischen Met Office.

Die Klimawissenschaft geht da-von aus, daß in Folge der globa-len Erwärmung extreme Wetterer-eignisse wie Sturzregen, Dürren,Stürme, Hitzewellen, etc. zuneh-men werden. Die Forschergruppeum Chris Kent vom Met Officehat nun mit Hilfe von Computer-modellen am Beispiel des Mais-anbaus zu bestimmen versucht,inwiefern zeitgleich auftretendeUnwetter die Nahrungsversor-gung gefährden. Das auf eine zen-trale Kennziffer gebrachte Resul-tat der Untersuchung lautet, daßdie Wahrscheinlichkeit einer Miß-ernte in den USA und China bis zusechs Prozent innerhalb einesZeitraums von zehn Jahren be-trägt. Die Auswirkungen wärenweltweit zu spüren. Obgleich soein Fall in den letzten dreißig Jah-ren noch nicht eingetreten ist, sindbereits heute die Voraussetzungenfür diesen Fall vorhanden. In ei-nem zukünftigen Klima dürfte dieGefahr sogar noch zunehmen, wä-re an dieser Stelle mit Blick aufandere Studien zu ergänzen.

Von den rund eine Milliarde Ton-nen Mais, die im Jahr 2014 welt-weit erzeugt wurden, entfielen aufdie USA 360 Millionen und China215 Millionen Tonnen. Zusammenhaben sie einen Anteil an der Welt-produktion von knapp 60 Prozent.Innerhalb dieser beiden Staatenwiederum reduzieren sich diewichtigsten Anbauflächen aufwe-nige Bundesstaaten bzw. Provin-zen. Genau diese Zentralisierungerhöht die Gefahr von Ernteausfäl-len mit global katastrophalen Fol-gen aufgrund lokaler Extremwet-terereignisse. Die Weltversorgungmit dem lebenswichtigen Nah-rungsmittel ist demnach von rela-tiv kleinen Regionen abhängig.

Aus dem Ergebnis der Computer-simulationen des Met Office läßtsich ableiten, daß es ein Irrtumwäre anzunehmen, daß ersatzwei-se Mais aus anderen Weltregioneneingeführt werden kann. Das ge-länge allenfalls, wenn der Ernte-ausfall nur in einem der beidenHauptanbaugebiete stattfände.Als nächstes will die Forscher-gruppe vom Met Office untersu-chen, welche Risiken für dieGrundnahrungsmittel Reis, Wei-zen und Soja bestehen.

Wie ist das Untersuchungsergeb-nis zu bewerten? Die globale Hun-gerkrise 2007/2008 in Folge ex-plodierender Preise für Grundnah-rungsmittel wurde zwar nicht bzw.nur zum Teil in Folge von Mißern-ten ausgelöst, aber die Reaktionder Staaten auf die Krise hat ge-zeigt, daß es ganz schnell vorbeiwäre mit der Behauptung, in einer

globalisierten Welt würde eineSteigerung der Nachfrage quasiautomatisch durch entsprechendeAngebote gedeckt. Abschottungnach außen und Sicherung der ei-genen Ressourcen zählten zu denMaßnahmen der Staaten, und Län-der wie die Philippinen, die ihrenReisbedarf nicht mehr selberdecken konnten, mußten tief in dieTasche greifen, um die hohenWeltmarktpreise für das Grund-nahrungsmittel zu bezahlen.

Zur Zeit sind in der Sahelzone et-wa 20 Millionen Afrikaner vonHunger bedroht. Die dringendenAppelle um Nahrungsmittelhilfewurden monatelang nicht undwerden noch immer von den so-genannten Geberländern nur un-zureichend beantwortet. Sollenalso Länder wie Südsudan, Niger,Tschad, Äthiopien, Somalia, Ke-nia, in denen in diesem Jahr Dür-re herrscht und die dringend Le-bensmittel benötigen, darauf hof-fen, daß sie unterstützt werden,sollte der oben geschilderte Falleines gleichzeitigen Maisernte-ausfalls in den USA und Chinaeintreten? Sollen sie ignorieren,daß die Staaten in erster Linie ansich selbst denken - schlagwort-artig ausgedrückt in Form des vielkolportierten "America first! " desUS-Präsidenten Donald Trump,der allerdings nur ausspricht, wasandere praktizieren - und zu pro-tektionistischen Mitteln greifen,sobald die eigene Versorgung un-sicher wird? Oder aber, in eineranderen Variante, sollen sie taten-los zusehen, wenn andere Staatenzu ökonomischen, geheimdienstli-

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chen oder militärischen Mittelngreifen, um andere Länder zu be-rauben, beispielsweise indem siesich mit oppositionellen Kräftenverbünden, um unbequeme Regie-rungen zu stürzen?

"In einer globalisierten Welt be-kommen die Folgen von Nah-rungsproduktionsschocken in nureinem Land Millionen MenschenTausende von Kilometern entferntzu spüren", heißt es in der Studie.Zu ergänzen ist an dieser Stelle:Versorgungssicherheit, die als Vor-teil der globalisierten Welt mit ih-ren transkontinentalen Warenströ-men angesehen wird, verkehrt sichin dem hier geschilderten Szenarioin ihr genaues Gegenteil. Die Glo-balisierung wird zur Falle.

http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/

umre­200.html

Grau wird es wohl überwiegendund die Schauer treffen gut,Jean-Luc in der Pfütze liegendmit der Pfeife und dem Hut.

Und morgen, den 25. Juli 2017

+++ Vorhersage für den 25.07.2017 bis zum 26.07.2017 +++

DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN

__I n h a l t____________Ausgabe 2261 / Dienstag, den 25. Juli 2017__

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1 BÜRGER - MEINUNGEN:Die Medien und G20 -Eine Nachricht aus Deutschland an den Rest der Welt (Pressenza)

4 POLITIK - REDAKTION:USA bauen Militärpräsenz in Nordsyrien kräftig aus

5 POLITIK - AUSLAND:Venezuela - Hausarrest von López als Schritt hinzur Lösung der Krise (poonal)

8 POLITIK - WIRTSCHAFT:NAFTA - Die Zuckerbarone, Teil 1 (poonal)

10 EUROPOOL - POLITIK:Ehrung für Rodolfo Martín Villa -Das blutige Fundament der spanischen Demokratie (Pressenza)

1 3 KUNST - REPORT:documenta, Fragen und Kritik - zwiebetracht . . . (1 )

1 8 SCHACH-SPHINX:Eheleute im Turnierbetrieb

19 BUCH - SACHBUCH:Gerhard Feldbauer - Geschichte Italiens

22 UMWELT - REDAKTION:Extremwetter - Risiko der Welternährung am Beispiel Mais

23 VERANSTALTUNG:August-Programm des Kulturcafés Komm du, Hamburg

24 DIENSTE - WETTER:Und morgen, den 25. Juli 2017