2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente · APROPOS Beim Glykogenstoffwechsel wird z.B. durch...

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APROPOS Beim Glykogenstowechsel wird z. B. durch Interkonvertierung die Synthe- se von Glykogen gehemmt und gleichzeitig der Abbau stimuliert. Auf die- se Weise wird sichergestellt, dass Aufbau und Abbau nicht gleichzeitig ab- laufen. Limitierte Proteolyse. Einige Enzyme liegen als inaktive Vorstu- fen vor. Sie werden erst durch Abspaltung eines Teils ihrer Pep- tidkette aktiviert. Diesen Vorgang bezeichnet man als limitierte Proteolyse. Die inaktiven Vorstufen dieser Enzyme werden Pro- enzyme oder Zymogene genannt. FAZIT DAS MÜSSEN SIE WISSEN ! GLUT 2 hat einen hohen K M -Wert für Glucose. ! Bei der allosterischen Hemmung bindet das Eektormolekül nicht an das aktive Zentrum des Enzyms. ! Die Interkonversion findet meistens durch Phosphorylierung und Dephosphorylierung statt. ! Die Acetyl-Co-Carboxylase wird durch Phosphorylierung inaktiviert. ! Die hormonsensitive intrazelluläre Triacylglycerinlipase wird durch Phosphorylierung aktiviert. GESCHAFFT Zugegeben, Energetik und Enzymkinetik sind etwas zähe Themen, wenn man sich aber so wie Sie bis hierher durchgeboxt hat, wird man die folgenden Inhalte zu den Funktionen von Vitaminen und Co- enzymen viel besser verstehen. © Thieme Verlagsgruppe/Chris Meier 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente 2.1 Grundlagen Vitamine sind essenzielle Nahrungsbestandteile, die für die Auf- rechterhaltung von Stowechselprozessen benötigt werden. Meist sind sie Vorstufen von Coenzymen, manchmal dienen sie auch als Vorstufen von Signalstoen. Es gibt 13 Vitamine, die aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Eigenschaften in 2 Gruppen eingeteilt werden (Tab. 2.1): 4 lipophile (fettlösliche) Vitamine: Vitamine E, D, K und A 9 hydrophile (wasserlösliche) Vitamine: Vitamine der B-Grup- pe und Vitamin C LERNTIPP Die lipophilen Vitamine können Sie sich leicht merken: EDeKA Neben dieser Unterteilung wird gelegentlich auch der Vitamin- B 2 -Komplex abgegrenzt, zu dem Riboflavin (das Vitamin B 2 im engeren Sinne), Niacin, Pantothensäure und Folsäure gehören. APROPOS Die Bezeichnung Vitamin-B 2 -Komplex hat historische Gründe. Mangel- erscheinungen, wie Schleimhautläsionen, wurden zunächst auf das Fehlen von Vitamin B 2 zurückgeführt. Sie erwiesen sich später jedoch als komplex, da sie durch das Fehlen verschiedener Vitamine bedingt sein können, die man zum Vitamin-B 2 -Komplex zusammenfasst. Die tägliche erforderliche Mindestdosis an Vitaminen ist gering. Meist reicht eine Aufnahme im niedrigen Milligramm-Bereich aus (12 mg pro Tag). Spurenelemente sind anorganische Elemente, die für den Körper ebenfalls essenziell sind und daher mit der Nahrung auf- genommen werden müssen. Der Organismus benötigt nur Spu- rendieser Elemente weniger als 20 mg pro Tag. LERNTIPP In der Prüfung kommen beide Varianten der Vitaminnamen vor Kurzbezeichnung und Trivialname. Sie sollten beide sicher beherr- schen. LERNPAKET 5 2.1 Grundlagen 19 LERNPAKET 5 aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 2 (ISBN 9783131534231) © 2015 Georg Thieme Verlag KG

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Page 1: 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente · APROPOS Beim Glykogenstoffwechsel wird z.B. durch Interkonvertierung die Synthe-se von Glykogen gehemmt und gleichzeitig der Abbau stimuliert.

APROPOSBeim Glykogenstoffwechsel wird z. B. durch Interkonvertierung die Synthe-se von Glykogen gehemmt und gleichzeitig der Abbau stimuliert. Auf die-se Weise wird sichergestellt, dass Aufbau und Abbau nicht gleichzeitig ab-laufen.

Limitierte Proteolyse. Einige Enzyme liegen als inaktive Vorstu-fen vor. Sie werden erst durch Abspaltung eines Teils ihrer Pep-tidkette aktiviert. Diesen Vorgang bezeichnet man als limitierteProteolyse. Die inaktiven Vorstufen dieser Enzyme werden Pro-enzyme oder Zymogene genannt.

FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN

– ! GLUT2 hat einen hohen KM-Wert für Glucose.– ! Bei der allosterischen Hemmung bindet das Effektormolekülnicht an das aktive Zentrum des Enzyms.

– ! Die Interkonversion findet meistens durch Phosphorylierungund Dephosphorylierung statt.

– ! Die Acetyl-Co-Carboxylase wird durch Phosphorylierunginaktiviert.

– ! Die hormonsensitive intrazelluläre Triacylglycerinlipasewird durch Phosphorylierung aktiviert.

GESCHAFFT

Zugegeben, Energetik und Enzymkinetik sind etwas zähe Themen,wenn man sich aber – so wie Sie – bis hierher durchgeboxt hat, wirdman die folgenden Inhalte zu den Funktionen von Vitaminen und Co-enzymen viel besser verstehen.

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2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente

2.1 GrundlagenVitamine sind essenzielle Nahrungsbestandteile, die für die Auf-rechterhaltung von Stoffwechselprozessen benötigt werden.Meist sind sie Vorstufen von Coenzymen, manchmal dienen sieauch als Vorstufen von Signalstoffen.

Es gibt 13 Vitamine, die aufgrund ihrer unterschiedlichenchemischen Eigenschaften in 2 Gruppen eingeteilt werden(Tab. 2.1):▪ 4 lipophile (fettlösliche) Vitamine: Vitamine E, D, K und A▪ 9 hydrophile (wasserlösliche) Vitamine: Vitamine der B-Grup-

pe und Vitamin C

LERNTIPP

Die lipophilen Vitamine können Sie sich leicht merken: EDeKA

Neben dieser Unterteilung wird gelegentlich auch der Vitamin-B2-Komplex abgegrenzt, zu dem Riboflavin (das Vitamin B2 imengeren Sinne), Niacin, Pantothensäure und Folsäure gehören.

APROPOSDie Bezeichnung Vitamin-B2-Komplex hat historische Gründe. Mangel-erscheinungen, wie Schleimhautläsionen, wurden zunächst auf das Fehlenvon Vitamin B2 zurückgeführt. Sie erwiesen sich später jedoch als komplex,da sie durch das Fehlen verschiedener Vitamine bedingt sein können, dieman zum Vitamin-B2-Komplex zusammenfasst.

Die tägliche erforderliche Mindestdosis an Vitaminen ist gering.Meist reicht eine Aufnahme im niedrigen Milligramm-Bereichaus (1–2mg pro Tag).

Spurenelemente sind anorganische Elemente, die für denKörper ebenfalls essenziell sind und daher mit der Nahrung auf-genommen werden müssen. Der Organismus benötigt nur „Spu-ren“ dieser Elemente –weniger als 20mg pro Tag.

LERNTIPP

In der Prüfung kommen beide Varianten der Vitaminnamen vor –Kurzbezeichnung und Trivialname. Sie sollten beide sicher beherr-schen.

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2.1 Grundlagen 19

LERNPAKET5

aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 2 (ISBN 9783131534231) © 2015 Georg Thieme Verlag KG

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APROPOSDie Zöliakie ist eine gluteninduzierte Erkrankung der Dünndarmschleim-haut. Die Krankheit wird durch eine genetische Disposition ausgelöst. Da-bei kommt es durch eine Immunreaktion gegen das Protein Gluten, das invielen Getreidearten vorkommt, zu schweren Veränderungen der Dünn-darmschleimhaut. Diese verliert ihre digestive und absorptive Funktion fürdie meisten Nährstoffe und auch für die fettlöslichen Vitamine. Als Thera-pie gibt man eine glutenfreie Kost auf Kartoffel-, Reis- oder Maisbasis.

2.2 Fettlösliche Vitamine

2.2.1 Vitamin A – Retinol

Vorkommen. Vitamin Awird hauptsächlich in Form des Provita-mins β-Carotin aufgenommen. β-Carotin kommt in hoher Kon-zentration in gelbem Obst und Gemüse vor (z. B. in Karotten). AlsRetinylester ist Vitamin A auch in tierischen Geweben zu finden,besonders in der Leber, wo es gespeichert wird (s. u.).

Struktur. Retinol (Abb. 2.1) besteht aus vier Isopreneinheitenund kann als solches oder auch in Form des Provitamins β-Caro-tin aufgenommen werden. β-Carotin enthält 8 Isopreneinheitenund kann durch das Enzym Dioxygenase in zwei Moleküle Reti-nal (Vitamin-A-Aldehyd) gespalten werden. Das Retinal kann inRetinol oder Retinsäure (Vitamin-A-Säure) umgewandelt werden(Abb. 2.2).

Aufnahme und Speicherung. Retinol bzw. β-Carotin werden alsfettlösliche Vitamine in Anwesenheit von Gallensäuren in die En-terozyten des Dünndarms aufgenommen und dort in zwei Mole-küle Retinal gespalten. Das Retinal wird in Chylomikronen ver-packt und zur Leber transportiert. Dort wird es zu Retinol redu-ziert. Das Retinol wird mit der Fettsäure Palmitat zu Retinylpal-mitat verestert und in dieser Form in den Ito-Zellen der Lebergespeichert. Vitamin A kann bei Bedarf durch eine Esterase frei-gesetzt und mithilfe von Retinolbindungsproteinen zu den Ge-weben transportiert werden.

Funktion. Die drei verschiedenen Formen des Vitamins A (Reti-nal, Retinsäure und Retinol) haben verschiedene Funktionen.

Retinal: Sehvorgang. Retinal ist gemeinsam mit Opsin, einemMembranrezeptorprotein mit sieben membrandurchspannen-den Domänen, Bestandteil des Rhodopsins, das sich in den Au-ßensegmenten der Sinneszellen des Auges (Stäbchen und Zap-fen) befindet und als molekularer Fotorezeptor dient. Die Alde-hydgruppe des 11-cis-Retinals ist kovalent an die ε-Aminogrup-

Tab. 2.1 Übersicht über die Vitamine.

Vitamin aktive Form Funktion(en) Vorkommen empfohleneTagesdosis*

fettlöslich (lipophil)

A – Retinol Retinol, Retinal, Retinsäure Sehvorgang (Retinal); Entwicklung(Retinsäure); Epithelschutz (Retinol)

Fisch, Provitamin in vielenPflanzen (β-Carotin)

0,8–1,1mg

D – Cholecalciferol 1,25-Dihydroxycholecalciferol(Calcitriol)

Hormon des Ca2+-Stoffwechsels Lebertran, Eier, Leber, Milch,Synthese aus Cholesterin (s. u.)

5 µg

E – Tocopherol Tocopherol-Hydrochinon Oxidationsschutz ungesättigter Fett-säuren

Getreidekeime, Pflanzenöle, 12mg

K – Phyllochinon Difarnesylnaphtochinon Coenzym von Carboxylierungen Synthese durch Darmbakterien,Gemüse, tierische Gewebe

65–80µg

wasserlöslich (hydrophil)

B1 – Thiamin Thiaminpyrophosphat oxidative (dehydrierende) Decarboxy-lierungen

Nüsse, Keime, Schweinefleisch 1,1–1,6mg

B2 – Riboflavin FAD, FMN Wasserstoffübertragung Aal, Hefe, Käse, Hühnerbrust,Milch

1,5–1,8mg

B3 – Niacin NAD+, NADP+ Wasserstoffübertragung Nüsse, Fleisch, Fisch, Syntheseaus Tryptophan (s. u.)

15–20mg

Pantothensäure CoA, Phosphopantethein Acylübertragungen Eier, Fleisch, Erdnüsse 6mg

Folsäure Tetrahydrofolsäure C1-Übertragungen frisches, grünes Gemüse, z. T.Synthese durch Darmflora

300 µg

H – Biotin Biocytin Carboxylierungen Synthese durch Darmbakterien 30–100µg

B6 – Pyridoxin Pyridoxalphosphat Transaminierungen, Decarboxylierungen Leber, Fisch, Erbsen, Walnüsse,Bierhefe

1,6–2,1mg

B12 – Cobalamin 5'-Desoxyadenosylcobalamin,Methylcobalamin

C-C-Umlagerungen, C1-Übertragungen Fisch, Fleisch, Synthese durchDarmbakterien

3 µg

C – Ascorbinsäure Ascorbinsäure Redoxsystem, Hydroxylierungen Obst und Gemüse 75mg

* Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)

CH3

CH2OHCH3H3C

CH3 CH3

Retinol – der Vitamin-A-Alkohol

Abb. 2.1 Vitamin A, Retinol.

20 Biochemie 2 | 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente

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pe eines Lysylrests des Opsins gebunden, sodass eine Schiff-Baseentsteht (Abb. 2.3).

Bei Dunkelheit liegt das Retinal im Rhodopsin als 11-cis-Reti-nal vor. Der hohe cGMP-Gehalt der Stäbchen und Zapfen in derRetina führt zu einer Öffnung von Ionenkanälen. Die Zellen wer-den depolarisiert und Glutamat wird in den synaptischen Spaltfreigesetzt (Abb. 2.4a). Die bipolaren Zellen leiten daraufhin einSignal als Dunkelsignal an die nachgeschalteten Ganglienzellenweiter.

Bei Belichtung trifft ein Photon auf eine Sinneszelle in der Re-tina, und eine G-Protein-vermittelte Kaskade wird in Gang ge-setzt (Abb. 2.4b): Das 11-cis-Retinal fotoisomerisiert zu all-trans-Retinal, über einige Zwischenstufen entsteht aktives Rho-dopsin (R*, Metarhodopsin II). Das aktivierte Rhodopsin stimu-liert an der α-Untereinheit des heterotrimeren G-Proteins, Trans-ducin, den Austausch von GDP gegen GTP. Die α-Untereinheitdes Transducins spaltet sich von der der β- und der γ-Unterein-heit ab und aktiviert eine cGMP-Phosphodiesterase (PDE). DiePDE ist in der Lage, cGMP in 5'-GMP zu spalten. Der cGMP-Gehaltder Sinneszellen nimmt ab, und Ionenkanäle, die zuvor durch di-rekte Einwirkung von cGMP offengehalten wurden, schließensich. Dadurch sinkt die intrazelluläre Ca2+-Konzentration. DieFolge ist eine Hyperpolarisation und ein starker Abfall der Gluta-matfreisetzung, der von den Bipolarzellen wahrgenommen undweitergegeben wird. Letztlich entsteht das Lichtsignal (Abb. 2.5).

CH3

CH2OHCH3H3C

CH3 CH3

CH3

COHCH3H3C

C

C

CC

CC

C

C

C

C

C

H

H

HH

HH

H

H

H

H

H

3

3

33

3

3

3

3

3

3

3

CH3

CH3

COO–CH3H3CCH3 CH3

β-Carotin

all-trans-Retinal

all-trans-Retinsäure all-trans-Retinol

Oxidation (irreversibel) Reduktion (reversibel)

DioxygenaseO2

Abb. 2.2 Umwandlung von β-Carotin in Retinal,Retinsäure oder Retinol.

OpsinOpsin ++R CO

HN

H

H(CH2)4(CH2)4 NCR

H

H

H2O

Aldehydgruppe des Retinals

Lysylrestdes Opsins

protonierte Schiff-Baseim Rhodopsin

+

Abb. 2.3 Entstehung des Rhodopsins.

/ /

+

+

+

+

+ + +

+

+ + +

+

+

+

+

Abb. 2.4 Situation in einerSinneszelle der Retina.a Bei Dunkelheit; b beiBelichtung.

2.2 Fettlösliche Vitamine 21

LERNPAKET5

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Das 11-cis-Retinal kann auf zwei Wegen regeneriert werden.Das Metarhodopsin ist instabil, und die Bindung zwischen Opsinund all-trans-Retinal wird hydrolysiert. Zur Herstellung desGrundzustands wird das all-trans-Retinal in einer enzymati-schen Dunkelreaktion zu 11-cis-Retinal isomerisiert, das sichwieder mit Opsin zu Rhodopsin verbinden kann. Auch die dreiUntereinheiten des Transducins lagern sich nach Hydrolyse desGTP zu GDP wieder zusammen.

Bei sehr starkem Lichteinfall wird das all-trans-Retinal aller-dings zu all-trans-Retinol reduziert. Dieser Alkohol kann NAD+-abhängig in Retinal zurückverwandelt werden.

LERNTIPP

Es werden viele Fragen zum Sehvorgang gestellt. Schauen Sie sichdie Vorgänge daher genau an.

Retinsäure: Beeinflussung der Genexpression. Die vom Retinalabgeleitete Retinsäure (Retinoat) ist ein hormonähnlicher Sig-nalstoff. Retinsäure ist Ligand eines Transkriptionsfaktors ausder Familie der nucleären (intrazellulären) Rezeptoren und be-einflusst die Expression von Genen, die insbesondere für Wachs-tums-, Differenzierungs- und Entwicklungsvorgänge verant-wortlich sind. Man bezeichnet Retinsäure daher auch als Diffe-renzierungsfaktor.

Retinol: Schutz der Epithelien und Skelettentwicklung. VitaminA schützt und erhält die Epithelzellen von Haut und Schleimhäu-ten, indem es die Membranintegrität bewahrt. In der Embryoge-nese beeinflusst Retinol die Entwicklung des Skeletts, des Neu-

ralrohrs und anderer Organe. Vitamin A ist außerdemwichtig fürdie Erhaltung der mitochondrialen Membran.

Hypovitaminose. Eine primäre Hypovitaminose A kommt in ei-nigen Ländern des Fernen Ostens vor, wo bis zu 70% der Bevölke-rung unter verschiedenen Auswirkungen einer Vitamin-A-Man-gelernährung leiden. Erstes Symptom ist meist die Nachtblind-heit (Hemeralopie), die durch eine mangelhafte Regenerationvon Rhodopsin bedingt ist. Längerfristiger Vitamin-A-Mangelkann zur Verhornung der Kornea führen (Xerophthalmie), derhäufigste Grund für die Erblindung vor allem von Kleinkindernin unterentwickelten Ländern. Begleitet wird die Xerophthalmiemeist von sog. Bitot-Flecken. Dabei handelt es sich um mattwei-ße Flecken im Lidspaltenbereich der Konjunktiva. Weitere Symp-tome eines Vitamin-A-Mangels sind:▪ Schleimhautverhornung▪ Atrophie von Speicheldrüsen und Darmepithel▪ hypochrome Anämie▪ Störungen der SpermatogeneseIn den westlichen Ländern liegt meist eine sekundäre Hypovita-minose A vor, bedingt durch Resorptionsstörungen nach Darm-resektion, Gallensteinleiden oder ethyltoxisch bedingter Leber-zirrhose.

Hypervitaminose. Eine sehr hohe Vitamin-A-Zufuhr kann zueiner akuten Intoxikation führen. Besondere Merkmale sind da-bei Kopfschmerzen, Erbrechen und Schwindel. Bei chronischerHypervitaminose A treten Symptome wie Hautaustrocknung,Haarausfall, Hepatomegalie und Hyperostosen (Überschussbil-dung von Knochengewebe) auf.

FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN

– ! β-Carotin enthält 8 Isopreneinheiten.– ! Retinol (Vitamin A) wird als Fettsäureester in den Ito-Zellender Leber gespeichert.

– ! Auf dem Weg von der Leber zur Zielzelle wird Retinol im Blutmithilfe von Retinolbindungsproteinen transportiert.

– ! Rhodopsin ist der molekulare Fotorezeptor in den Sinneszel-len der Retina.

– !! Nach Belichtung der Fotorezeptoren resorbiert 11-cis-Reti-nal in der Retina das Licht, und es erfolgt die Isomerisierungvon 11-cis-Retinal zu all-trans-Retinal.

– ! all-trans-Retinal kann zur Regeneration zu all-trans-Retinolreduziert und dann NAD+-abhängig in Retinal zurückverwandeltwerden.

– !! Das durch Belichtung aktivierte Rhodopsin stimuliert amheterotrimeren G-Protein Transducin den Austausch von GDPgegen GTP.

– !! Retinsäure ist Ligand eines Transkriptionsfaktors aus derFamilie der nucleären Rezeptoren.

– ! Retinsäure beeinflusst gebunden an ihren Rezeptor die Gen-expression.

– ! Bei Vitamin A besteht die Gefahr einer Überdosierung.

2.2.2 Vitamin D – Calciferole

Vitamin D wirkt im menschlichen Körper als Hormon. Seine Ei-genschaften und Wirkungen sind ausführlich im Kap. 4.11.3 be-schrieben.

Vorkommen. Die beiden wichtigsten Formen des Vitamins Dsind Vitamin D2 (Ergocalciferol) und Vitamin D3 (Cholecalcife-rol). Mehr als 50% des Cholecalciferols entstehen aus der Vorstu-

D

cis

cis trans

Abb. 2.5 Kaskade des Sehvorgangs.

22 Biochemie 2 | 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente

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fe 7-Dehydrocholesterin, das aus Cholesterin synthetisiert wird.Zudem enthalten pflanzliche Produkte, Speisepilze und Leber-tran beträchtliche Mengen an Calciferolen.

Struktur. Calciferole gehören zu den Steroiden (Abb. 2.6). Vita-min D2 entsteht aus Ergosterol (kommt v. a. in Pilzen und Pflan-zen vor) durch eine fotochemische Spaltung des B-Ringes im Ste-rangerüst. Vitamin D3 entsteht aus Cholesterin auf die gleicheWeise.

Funktion. Vitamin D3 wird durch Hydroxylierung an C25 undC1 in Calcitriol (S.56) umgewandelt. Calcitriol (auch „aktives Vi-tamin-D-Hormon“) beeinflusst den Calciumstoffwechsel, vor al-lem erhöht es den Calciumspiegel und fördert die Knochenmi-neralisierung. Außerdem wird unter seinem Einfluss vermehrtPhosphat resorbiert. Calcitriol entfaltet seine Wirkung vor allemim Darm, in den Knochen und in der Niere.

Hypovitaminose. Bei einem Vitamin-D-Mangel kommt es zuMi-neralisierungsstörungen des Skeletts. Im Säuglings- und Kindes-alter entsteht auf diese Weise eine Rachitis, bei der schwerwie-gende Skelettdeformationen auftreten können. Die Rippen kön-nen ventral am Sternum aufgetrieben sein, wodurch der sog. ra-chitische Rosenkranz entsteht. Das Becken ist oft atypisch ver-formt. Die Ausprägungen der Rachitis können verschieden starksein und bei starker Hypokalzämie bis zu Tetanien und Krampf-anfällen führen (besonders bei der angeborenen Form).

APROPOSIm Erwachsenenalter führt ein Vitamin-D-Mangel zur Verstärkung einerOsteoporose. In schweren Fällen kommt es zur Osteomalazie, die häufigschmerzhaft ist und zu Spontanfrakturen führen kann.Ein Vitamin-D-Mangel kann auf einer Mangelernährung, einer Resorptions-störung oder einem Enzym- bzw. Rezeptordefekt beruhen. Auch Licht-mangel kann ein Grund sein, da zur Synthese des Vitamins UV-Licht not-wendig ist.

Hypervitaminose. Übermäßige orale Zufuhr von Vitamin Dführt zu Hyperkalzämie, Hyperkalzurie, Erbrechen, Schwindelund multiplen Verkalkungen, besonders von Nieren und Leber.

2.2.3 Vitamin E – Tocopherol

Vorkommen. Vitamin E kommt nur in Pflanzen vor, in besondershoher Konzentration in Pflanzenölen und keimendemWeizen.

Struktur. Allen Tocopherolen ist der Chromanring (Benzodihy-dropyran) und die Isoprenseitenkette gemeinsam (Abb. 2.7). Sieunterscheiden sich lediglich in ihren Substituenten am Chro-manring.

Funktion. α-Tocopherol ist Bestandteil aller biologischen Mem-branen. Es ist ein wirksames Antioxidans und schützt ungesättig-

te Fettsäuren in Zell- und Mitochondrienmembranen vor einerOxidation durch organische Peroxylradikale.

Vitamin E hat Einfluss auf die zelluläre Signaltransduktionund beeinflusst die Interaktion zwischen Blutbestandteilen undEndothelzellmembran.

APROPOSEin Vitamin-E-Mangel manifestiert sich selten akut, da er nur unterschwersten Mangelzuständen auftritt. Zudem besitzt das Depotfett Vita-min-E-Speicher, die für 1–2 Jahre ausreichen. Besteht dennoch ein Man-gel, so stehen Symptome des oxidativen Stresses im Vordergrund. Eskann eine hämolytische Anämie auftreten, die vermutlich auf einer Schädi-gung der Erythrozytenmembran beruht.

2.2.4 Vitamin K – Phyllochinon

Vorkommen. Vitamin K wird von Pflanzen, aber auch von derDarmflora synthetisiert. Pflanzen bilden Vitamin K1 (Phyllochi-non), das eine Phytylseitenkette enthält. Die Darmbakterien er-zeugen Vitamin K2 (Menachinon), dessen Seitenkette aus einemDifarnesylrest besteht.

Struktur. Die Vitamine K1 und K2 leiten sich von Menadion(2-Methyl-1,4-naphtochinon) ab (Abb. 2.8). Der Doppelring undeine lipophile Seitenkette am C3-Atom des Naphtochinons sindallen natürlich vorkommenden Derivaten des Menadions ge-meinsam.

Funktion. Vitamin K ist Cofaktor bei der γ-Carboxylierung Vita-min-K-abhängiger Proteine. Zu diesen zählen besonders die Ge-rinnungsfaktoren IX, X, II und VII, Protein C und Protein S. Ohnedie Carboxylierung sind diese Gerinnungsfaktoren inaktiv. Auchdie Knochenproteine Osteocalcin und Matrix-Gla-Protein wer-den durch Vitamin-K-abhängige γ-Carboxylierung aktiviert.

LERNTIPP

Die von Vitamin K abhängigen Gerinnungsfaktoren merken Siesich am einfachsten als Jahreszahl: 1972=neun-zehnhundert-zwei-

und-siebzig.

Die γ-Carboxylierung läuft in einem Kreislauf ab (Abb. 2.9). Zu-nächst wird Vitamin K mithilfe von NADPH+H+ und der Chinon-reduktase in reduziertes Vitamin K (Vitamin-K-Hydrochinon)umgewandelt. Das Hydrochinon reagiert mit Sauerstoff vorüber-

C

C C

C C

C CC C

H

H H

H H

H HH H

3

3 3

3 3

3 3

3 3

C CH H2 2

HOHO

A A

C C DD

Ergocalciferol Cholecalciferol

Abb. 2.6 Vitamin D. a Vitamin D2 (Ergocalciferol); b Vitamin D3

(Cholecalciferol).

O

CH3

HO

H3C

CH3

CH3 C C C

C

H H H

H

3 3 3

3

Abb. 2.7 Vitamin E (α-Tocopherol).

O

O

CH3

R

Grundbausteinvon Vit. K

Seitenkette R

Vitamin K – Phyllochinon1

Vitamin K – Menachinon2

Vitamin K – Menadion3H

3

5–6

C

C

H

H

3

3

H

H

H

H

H

H

3

3

3

3

3

3

C

C

C

C

C

C

Abb. 2.8 Vitamin K.

2.2 Fettlösliche Vitamine 23

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gehend zum Vitamin-K-Alkoxid. Das Alkoxid kann nun ein Pro-ton von einem Glutamylrest eines Vitamin-K-abhängigen Pro-teins aufnehmen. Vitamin K fungiert hier als Cofaktor der Carb-oxylase, die das γ-C-Atom des Glutamylrestes carboxyliert. NachAbgabe von OH– entsteht aus dem Alkoxid das Vitamin-K-Epoxid.Dieses kann durch die Epoxidreduktase in Vitamin K zurückver-wandelt werden. Damit ist der Kreislauf geschlossen.

LERNTIPP

Gerne gefragt wird die Rolle von Vitamin K als Cofaktor der Carb-oxylase. Schauen Sie sich daher insbesondere den rechten Teil vonAbb. 2.9 an.

APROPOSUm die Blutgerinnungszeit zur Infarkt- und Thromboseprophylaxe zuverlängern, kann der Kreislauf Vitamin-K-abhängiger Carboxylierungendurch Vitamin-K-Antagonisten (Cumarinderivate) unterbrochen werden.Ein solcher Antagonist ist Phenprocoumon (Marcumar), das die Epoxid-und die Chinonreduktase reversibel hemmt. Der Kreislauf wird unterbro-chen, und die Gerinnungszeit, die klinisch mit dem Quick-Test (Thrombo-plastinzeit) ermittelt wird, verlängert sich.Eine schwerwiegende Nebenwirkung der antikoagulatorischen Therapiemit Cumarinderivaten ist eine erhöhte Blutungsneigung. Blutungen imRahmen einer Cumarintherapie betreffen häufig Hohlorgane (Magen-Darm-Trakt, ableitende Harnwege u. a.) und das subkutane Gewebe. DieBlutungen sind in den meisten Fällen Folge einer Cumarinüberdosierung.

Hypovitaminose. Ein ernährungsbedingter Mangel ist aus-gesprochen selten, er kann aber auftreten, wenn eine lange an-dauernde orale Antibiotikatherapie durchgeführt wird, da da-durch häufig die Darmflora gestört wird. Da Vitamin K Cofaktorfür die Aktivierung von Blutgerinnungsfaktoren durch γ-Car-boxylierung ist (s. o.), kann ein Vitamin-K-Mangel mit einer Blu-tungsneigung einhergehen. Zudem kann es, wie bei allen fettlös-lichen Vitaminen, zu einem resorptionsbedingten Vitamin-K-Mangel (z. B. bei gestörter enteralen Lipidresorption mit Steator-rhö= Fettstuhl) kommen.

FAZIT – DAS MÜSSEN SIE WISSEN

– !!! Vitamin K fungiert als Cofaktor der Carboxylase, die denGlutamylrest carboxyliert.

– ! Aus einer intestinalen Fettresorptionsstörung (z. B. mit Ste-atorrhö) kann ein Vitamin-K- bzw. Phyllochinon-Mangel re-sultieren.

2.3 Wasserlösliche Vitamine

LERNTIPP

Die wasserlöslichen Vitamine sind ein beliebtes Prüfungsthema,v. a. die Hypovitaminosen. Sie können aus den Folgen einer Hypo-vitaminose die Funktion des Vitamins ableiten.

2.3.1 Vitamin B1 – Thiamin

Vorkommen. Thiamin befindet sich in Pflanzen vor allem in denRandschichten von Getreidekörnern. Außerdem enthält Schwei-nefleisch viel Vitamin B1.

Struktur. Thiamin ist aus einem Pyrimidinring und einem Thia-zolring aufgebaut, die über eine Methylenbrücke miteinanderverbunden sind (Abb. 2.10).

Funktion. Thiamin muss zunächst durch eine ThiaminkinaseATP-abhängig in Thiaminpyrophosphat (TPP; auch Thiamindi-phosphat) umgewandelt werden (Abb. 2.11).

TPP ist an der Decarboxylierung von α-Ketosäuren beteiligtund unterstützt dabei 2 Enzyme:▪ TPP ist Coenzym der Pyruvatdehydrogenase (PDH), die in der

oxidativen Decarboxylierung Pyruvat in Acetyl-CoA umwandelt.▪ TPP ist Coenzym der α-Ketoglutarat-Dehydrogenase, die im

Citratzyklus α-Ketoglutarat in Succinyl-CoA umwandelt.

O

O

CH3

R

OH

OH

CH3

R

O

O

CO

H3

R

R CHCOO–

COO–

Vitamin KH O2

COO– + O2 + CO2

+ H O2

CH2R

Vitamin-K-Epoxid

reduziertes Vitamin K(Vitamin-K-Hydrochinon)

Cumarine

Epoxidreduktase

Chinonreduktase

Carboxylase

NADP+

NADPH + H+

Abb. 2.9 Funktion von Vitamin K bei der γ-Carboxylierung derGerinnungsfaktoren. Cumarinderivate hemmen sowohl die Epoxid-als auch die Chinonreduktase.

CN

SN

N H3CCH2H3C

NH2

CH2OH

H

+

Abb. 2.10 Vitamin B1 (Thiamin).

CN

SN

N H3CCH2H3C

NH2

CH2OH

H

SCNN

N H3CCH2H3C

NH2

CH2O

H

ATP

AMP

Thiaminkinase

Thiamin

Thiaminpyrophosphat

+

+

P P

Abb. 2.11 Umwandlung von Thiamin in Thiaminpyrophosphat.

24 Biochemie 2 | 2 Vitamine, Coenzyme, Spurenelemente

aus: Endspurt Vorklinik – Biochemie 2 (ISBN 9783131534231) © 2015 Georg Thieme Verlag KG