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20. März 1921 20. März 1921 20. März 1921 20. März 1921 20. März 1921 Abstimmung in Oberschlesien Abstimmung in Oberschlesien Abstimmung in Oberschlesien Abstimmung in Oberschlesien Abstimmung in Oberschlesien Situation und F Situation und F Situation und F Situation und F Situation und Folgen olgen olgen olgen olgen des 1.W des 1.W des 1.W des 1.W des 1.Weltkrieges eltkrieges eltkrieges eltkrieges eltkrieges für den Kreis Namslau für den Kreis Namslau für den Kreis Namslau für den Kreis Namslau für den Kreis Namslau Dokumente, Berichte und Erz Dokumente, Berichte und Erz Dokumente, Berichte und Erz Dokumente, Berichte und Erz Dokumente, Berichte und Erzählungen ählungen ählungen ählungen ählungen zum Zeitgeschehen zum Zeitgeschehen zum Zeitgeschehen zum Zeitgeschehen zum Zeitgeschehen Herausgegeben von den Namslauer Heimatfreunden e.V. Euskirchen

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20. März 192120. März 192120. März 192120. März 192120. März 1921Abstimmung in OberschlesienAbstimmung in OberschlesienAbstimmung in OberschlesienAbstimmung in OberschlesienAbstimmung in Oberschlesien

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Herausgegeben von den Namslauer Heimatfreunden e.V. Euskirchen

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsangabe 1 - 2

Vorwort 3

1. Die Auseinadersetzungen um Oberschlesien nach dem 1.Weltkrieg 4 - 7

2. Das „Reichthaler Ländchen“ muss ohneAbstimmung an Polen abgetreten werden

2.1. Der Begriff „Reichthaler Ländchen“ 8

2.2. Die Dörfer und ihre Geschichte 9 - 11

2.3. Reichthal wir von Polen besetzt 12 - 13

3. Die Grenze wird festgelegt

3.1. Der paritätische Ausschuss 13 - 18

3.2. Grenzfestsetzung durch die internationale Kommission in Glausche 18 - 21

3.3. Doch manchmal siegt die Vernunft 22

4. Abstimmung in Hennersdorf

4.1. Ein damals sechsjähriges Kind erinnert sich 23 - 26

4.2. Ein Hennersdorfer berichtet 26 - 33

5. Das Abstimmungsergebnis 34

6. Erinnerungen an die Volksabstimmung 35 - 42

7. Bilder 43 - 46

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8. Die blutende Grenze Niederschlesiens 8.1. Notlage und Sorgen des Grenzkreises Namslau 47 - 64

9. 10 Jahre danach – Erinnerung an die Volksab- stimmung im Landkreis Namslau 1921 65 - 69

10. Das „Reichthaler Ländchen“ gehört seit dem 1.9.1939 wieder zum Deutschen Reich

10.1 Aus den Unterlagen von Landrat Dr. Heinrich 70 - 71

10.2. Erinnerungen einer schwäbischen Junglehrerin aus Stuttgart an ihre Zeit in Kreuzendorf (damals Grenzen- dorf) vom September 1942 bis April 1944 72 - 80

11. Anhang

11.1. Passierschein 81

11.2 polnische Wahlwerbung 82 - 84

11.3.deutssche Wahlwerbung 85 - 88

Anmerkung: Wer mehr über das Leben und die Geschichtevon Reichthal und seiner Umgebung erfahren will, dem seidas Büchlein von Ursula Lange „Das Reichthaler Ländchen -Erinnerungen und Berichte „ empfohlen.

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Vorwort

Am 20. März jährt sich zum 90 mal der Jahrestag der „ Ab-stimmung in Oberschlesien“.

Obwohl der Landkreis Namslau zu Niederschlesien ge-hörte, waren an diesem Tag 13 Gemeinden des Landkrei-ses Namslau aufgefordert - nach den Bestimmungen desVersailler Vertrages - in einer Abstimmung darüber zu ent-scheiden, ob sie zukünftig deutsche oder polnische Staats-bürger sein wollen .

Hingegen ohne jegliche Abstimmung und wider jeglichesVölkerrecht ist das „Reichthaler Ländchen“ von Polen be-setzt worden.

Das vorliegende Heft versucht, die Geschehnisse der da-maligen Zeit, vor allem jene, welche die Stadt und den Land-kreis Namslau betreffen, aufzuzeigen. Dabei wurde in ers-ter Linie auf Zeitungen und Publikationen der damaligenZeit zurückgegriffen.

An einigen Stellen ergeben sich Wiederholungen in derBeschreibung der Ereignisse. Diese wurden bewusst nichtbeseitigt, um die Originalität der Texte zu bewahren..

Die Quellen sind in einer Sprache geschrieben, die heutenicht mehr geläufig ist. Aber erst durch die Sprache wirddas Fühlen und Denken der damaligen Zeit gegenwärtig.

Die Namslauer Heimatfreunde fühlen sich verpflichtet,das Wissen um die Geschichte unserer Heimat an unsereKinder und Enkel weiterzugeben.

Euskirchen im März 2011

Berthold Blomeyer1. Vorsitzender

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1. Die Auseinandersetzung um Oberschlesiennach dem 1.Weltkrieg

Schon während des Krieges setzte unter den in Oberschle-sien lebenden polnischen Arbeitern eine lebhafte Propagan-da für die Trennung Oberschlesiens vom Deutschen Reichund für eine Vereinigung mit dem wieder entstehenden Po-len ein. Erste Keime eines polnischen Nationalismus in Ob-erschlesien entstanden um die Jahrhundertwende, als manetwa 70 000 Polen aus Galizien und Kongresspolen als billi-ge Arbeitskräfte in das oberschlesische Industriegebiet hol-te. In fast allen Landkreisen und größeren Städten entstan-den eine Reihe polnischer Vereine, die zwar angaben, apo-litische Ziele zu verfolgen, jedoch für eine bisher in Ober-schlesien unbekannte polnische Idee warben. Die sich her-ausbildende Intelligenzschicht der zugewanderten Polen,bestehend aus Ärzten, Rechtsanwälten, Kaufleuten undkatholischen Geistlichen, hatten sich zum Ziel gesetzt, nichtnur polnisch-nationales Gedankengut zu verbreiten, son-dern auch Oberschlesien von Deutschland zu lösen. DieseAgitation verstärkte sich nach dem Ausgang des ErstenWeltkrieges, als 1919 polnische Politiker Ansprüche auf deut-sches Staatsgebiet stellten, gestützt auf die berühmten 14Punkte des US-Präsidenten Wilson. Das besiegte Deutsch-land hatte sich durch einen selbstvernichtenden Parteien-streit handlungsunfähig gemacht und schenkte Oberschle-siens kaum Beachtung.

Am 07. Mai 1919 übergab der französische Ministerpräsi-dent Clémencau der deutschen Delegation in Versailles dieFriedensbedingungen: „Polen erhält ganz Oberschlesien miteinigen Gebieten Mittelschlesiens, die Provinz Posen undTeile von Westpreußen mit Danzig sowie von der ProvinzOstpreußen den Kreis Soldau“. Das Hultschiner Ländchensollte der Tschechoslowakei zugesprochen werden.

In Abwehr der immer lauter werdenden polnischen Anne-xionsansprüche schloss sich auf Initiative der Industrie- und

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Handelskammer 1919 die deutsche Bevölkerung in der „Frei-en Vereinigung zum Schutze Oberschlesiens“ und späterim „Verband Heimattreuer Oberschlesier“ zusammen. EinSturm der Empörung und Entrüstung war die mutige Ant-wort der Oberschlesier auf die polnischen Ansprüche.Allerorts fanden Protestkundgebungen statt: An der Kund-gebung in Oppeln beteiligten sich über 20 000 Menschen,die vornehmlich von den Arbeitnehmern geprägte Kundge-bung in Kattowitz beeindruckte selbst die anwesenden ame-rikanischen und englischen Militärs und Journalisten. Dieunerwartete starke Abwehr der alteingesessenen deutschenBevölkerung gegen die beabsichtigte Verletzung des Selbst-bestimmungsrechtes der Völker veranlasste die Siegermäch-te zur Durchführung einer Volksabstimmung in Oberschle-sien.

Der scharfen Reaktion der Deutschen auf die Wahrungdes Selbstbestimmungsrechts blieb die polnische Bewegungnichts schuldig. Polnische bewaffneten Gruppen, unter Füh-rung des von der polnischen Minderheit gewählten ehema-ligen Mitglieds des Deutschen Reichstages Wojciech (Albert)Korfanty begannen die deutsche Bevölkerung durch Terrorund leere Versprechungen, die sehr oft auch von den Kan-zel verkündet wurden, für die polnische Sache zu gewin-nen. Um die beabsichtigte Abstimmung durch vollendeteTatsachen unmöglich zu machen, wurde in der Nacht vom16./17. August 1919 der „erste polnische Aufstand“ – auch„Überfall“ genannt – ausgerufen. Dieser wurde bis zum 25.August 1919 vor allem durch den deutschen Grenzschutzund von der Reichswehr niedergeschlagen. Am 11. Februar1920 wurde die Verwaltungsmacht in Oberschlesien, dasam 08. November 1919 zu einer selbständigen Provinz er-klärt wurde, der „Interalliierten Kommission für Regierungund Abstimmung“ übertragen. Die Reichswehr musste dasAbstimmungsgebiet räumen, die Polizei wurde in Abstim-mungspolizei („Apo“) umorganisiert, das Abstimmungsgebiet

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vom übrigen Reichsgebiet abgeriegelt, wobei es gegenüberPolen offen blieb.

Mit stiller Duldung der französischen Besatzungsmacht,die Engländer und Italiener verhielten sich neutral, übtenpolnische Insurgenten Gewalttaten aus. Vor den Augen deralliierten Besatzungsmacht brach am 20. August 1920 derzweite polnische Aufstand aus. Ziel dieser bewaffneten Ein-mischung war die deutschen Organisationen zu zerschla-gen, die Abstimmungspolizei zu entwaffnen und polnischeBürgerwehren einzusetzen und Nationalitätenhass zu schü-ren und die deutsche Bevölkerung einzuschüchtern. Es warauch ein Schlag gegen die Autorität der Besatzungsmacht,die für eine „Ära der Gerechtigkeit und Freiheit“ stand. DerAufstand scheiterte jedoch am Widerstand der inzwischengebildeten deutschen Selbstschutzverbände. Der hierdurchmassiv erzeugte Druck machte sich besonders in der länd-lichen Gegend bemerkbar. Zu allem Übel wurde die deut-sche Sicherheitspolizei, die während dieser Auseinander-setzung einen heldenhaften Widerstand leistete, am 24.August 1920 aufgelöst und die entwaffneten Angehörigenin Reichsinnere abgeschoben. Am 12. November 1920 er-ging eine Amnestie für alle polnischen Aufstandsbeteilig-ten, ohne dass die begangenen Gewalttaten geahndet wur-den.

Am 23. Februar 1921 legte man den Termin der Volksab-stimmung auf den 20. März 1921 fest. Die Abstimmung warein Erfolg für die deutsche Seite: 60 Prozent stimmten fürDeutschland und 40 Prozent für Polen. Die Behauptung vompolnischen Charakter Oberschlesien wurde widerlegt.

Nach dem für Polen ungünstigen Abstimmungsergebnisforderte der Agitator Korfanty seine polnische Gefolgschaftauf, Oberschlesien mit Waffengewalt zu besetzen. In derNacht vom 2. zum 3. Mai 1921, dem polnischen National-feiertag, wurde der dritte, sehr gut vorbereitete, Aufstand

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ausgerufen. Planmäßiger Terror, Morde, Brandstiftungen,Bombenattentate, Erpressungen und brutale Misshandlun-gen kennzeichneten diesen Überfall. Am 21. Mai 1921 er-stürmte der deutsche Selbstschutz den Annaberg. Die am26. Mai 1921 eingetroffenen englischen Truppen erzwangeneinen Waffenstillstand. Mit dem Genfer Schiedsspruch unddem Beschluss der Pariser Botschafterkonferenz vom 20.Oktober 1921 wurde die Teilung Oberschlesien festgesetztund am 15. Mai 1922 durch das Genfer Abkommen für Ob-erschlesien beschlossen. Es war eine arge Enttäuschung fürdas ganze deutsche Volk, besonders aber für die Oberschle-sier. Am 15. Juni 1922 wurde die neue Grenze mitten durchdas oberschlesische Land gezogen. Die Entscheidung unddie Grenzziehung widersprachen jeglichem Rechtsempfin-den, jeder realen Auslegung des Rechtes auf Selbstbestim-mung der Völker, es war eine Kapitulation der internationa-len Wertegemeinschaft vor dem Nationalismus.

Oberschlesien und der deutsche Osten erhielt seine „blu-tende Grenze“. Oberschlesien wurde zum „Land untermKreuz“.

Am 30. Mai 1922 legte der Deutsche Reichstag in einerSondersitzung durch den Reichsminister Schiffer „Rechts-verwahrung gegen die Entscheidung über Oberschlesien“ein. Der oberschlesische Abgeordnete, Thomas Szczeponik,stellte in aller Deutlichkeit fest: „Der Völkerbundsrat hatden Willen der deutschen Mehrheit missachtet und den le-benden Organismus Oberschlesiens zerrissen. Über 400 000deutsch fühlende Bewohner werden durch die willkürlichgezogene Grenze zu polnischen Staatsbürgern gemacht. Wirwerden unsere staatsbürgerlichen Pflichten erfüllen, aberunser deutsches Volkstum werden wir nicht aufgeben. Un-sere Zugehörigkeit kann uns kein Machtspruch aus demHerzen reißen.“

Quelle: Damian Spielvogel, www.schlesien-lm.de

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2. Das „Reichthaler Ländchen “ muss ohneAbstimmung an Polen abgetreten werden

2. 1. Der Begriff „Reichthaler Ländchen“Der Name „Reichthaler Ländchen“ ensteht nach 1919 fürdas Gebiet des Kreises Namslau, das nach dem VersaillerVertrag ohne jede Abstimmung an Polen abgetreten wer-den mußte. Und dies, obwohl bei einer Probeabstimmung1919 93 % der Bevölkerung bei Deutschland verbleibenwollten. Das Gebiet umfaßt den nördlichen Teil des„Reichthaler Haltes“, der vom 13.Jahrhundert bis zur preu-ßischen Säkularisation 1810 eine Grundherrschaft derBreslauer Bischöfe war.Quelle: „Reichthaler Ländchen“ von Ursula Lange

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Die Ortschaften im Reichthaler Ländchen undihre Geschichte in der Gründungszeit

Reichthal tritt uns in seiner ersten urkundlichen Erwäh-nung vom 6. Mai 1294 als „Richental stat unde hus“entgegen. Der von Anfang an ausschließlich deutsche Name,den die Polen nur in „Rychtal“ zu ändern vermocht haben,bezeugt allein schon seinen deutschen Charakter. 1386wurde Reichthal abermals zu deutschem Recht, wie es Neissehatte, gegründet. Die Pfarrkirche zeigt in ihrer ursprüngli-chen Anlage deutsch-gotische Formen.

Von dem Gebiet um Reichthal (Bandlowitz) wissen wirbereits aus der Zeit vor der Stadtgründung, daß es von Hein-rich I. 1222 dem Deutschen Orden übergeben wurde. DieAussetzungsurkunde trägt das Datum vom 19. Juni 1233.Hermann Balk, der Prokurator des Deutschen Ordens, ver-leiht das Gebiet dem Egidius, Kapellan von Namslau, umauch Deutsche anzusiedeln. Er behält die Scholtisei, dendritten Pfennig vom Gericht, freie Mühlen, Schenken, Fi-schereien und sonstige Einkünfte, sowie jede 5. Hufe zehnt-und zinsfrei. Die Kolonisten erhalten 10 Freijahre, sofernsie nicht urbar gemachtes Land übernehmen. Nachher zah-len sie von je zwei kleinen Hufen jährlich einen VierdungSilber (1/4 Silbermark) und den vollen Feldzehnten. Höfeund Hürden sind zins- und zehntfrei.

1251 kommt die Ansiedlung in den Besitz von Bischof Tho-mas und spielt im Kirchenstreit eine bedeutende Rolle. Inden Lehnsurkunden erscheint sie als ein bedeutender Ort,als civitas (Stadt). Der Einfall Boleslaus, Herzog von Kra-kau, verwüstet 1271 dieses Gebiet so, daß es sich nicht mehrerholen kann. Herzog Heinrich IV. gibt in seinem Testamentauf dem Sterbebett am 23. Juni 1290 dieses Gebiet an Bi-schof Thomas zurück. Einige Jahre später entsteht die jet-zige Stadt Reichthal.Droschkau oder Giersdorf (Gerhardi villa) wird im Grün-dungsbuch des Bistums Breslau vom Jahre 1305 mit einemZehnten von 10 Mark aufgeführt. Sein deutscher Name

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Giersdorf bezeichnet seine Aussetzung zu deutschem Recht.Die dortige Pfarrkirche besitzt ferner eine Widemut, alsoebenfalls ein Beweis für die deutsche Gründung imMittelalter; überdies war bei der Einführung der Reforma-tion eine Kirche am Orte bereits vorhanden.Dörnberg ist eine spätere Gründung des Bischofs von Bres-lau; die Benennung mit einem deutschen Namen weist aufdie Absicht des Gründers hin: Der Name soll an den GeneralFriedrichs des Großen gleichen Namens erinnern.Skorischau war von Anfang an (bereits 1223) der Mittel-punkt der Verwaltung des bischöflichen Grundbesitzes imKreise Namslau und als solcher befestigt, am 14. März 1249von Heinrich von Hoinstein, dem Untermeister des Deut-schen Ordens, gegen den Zehnten des Ordensgutes Woi-schwitz an Bischof Thomas von Breslau abgetreten. Am 12.Mai 1271 wurde das bischöfliche Dorf von den Polen ver-wüstet.Sgorsellitz gehörte 1305 zu dem Gebiete von Bandlowitz,das damals eine Kirche hatte und zu deutschem Rechteausgetan war. Es wurde bereits 1233 zu Ansiedlung fürDeutsche bestimmt (siehe Reichthal).Schadegur wird 1256 von Herzog Heinrich von Schlesien ineiner Urkunde erwähnt. Das Gründungsbuch des BistumsBreslau vom Jahre 1305 erwähnt ausdrücklich den Schult-heißen und die Kirche mit Widemut, sowie den Geld-zehnten.Die Aussetzung zu deutschem Recht war also bereits vor1305 erfolgt.Butschkau erwarb 1256 Bischof Thomas I. von Breslau.Herzog Heinrich II. verkündet später, daß vor ihm BischofThomas ein Gut eingetauscht habe, und zwar von dem Rit-ter Goslaus und dessen Neffen, das an Proschau, Schade-gur, Hennersdorf und drei andere Dörfer grenzt. Dieses Land-gut hatten sich Goslaus Väter seinerzeit von Heinrich I.erdient und gegen Guhrau eingetauscht. Als Unter-zeichnerder Urkunde nennt sich u. a. ein Lorenz, der das Gut um-schritten hat. Das Gründungsbuch des Bistums Breslaunennt 1305 dort den Schultheißen und die Kirche mit Wi-

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demut; demnach ist die Aussetzung zu deutschem Rechtbereits vor 1305 geschehen.Herzberg ist eine vom Bischof von Breslau im Jahre 1770mit 21 neu erbauten Stellen errichtete Kolonie. Der Nameweist auf den preußischen Staatsminister Graf Herzberg hin.Proschau gehörte bereits 1245 zu den Besitzungen des Bis-tums Breslau. Bischof Thomas I. von Breslau verleiht am25. Februar 1251 mit Zustimmung seines Kapitels seinemRitter Goslaus (siehe Butschkau) dieses Dorf zur Ausset-zung nach deutschem Recht, wie die umliegenden Dörfer.Der Ritter erhält von den über 50 Hufen des Dorfes 10 Frei-hufen, das übrige reserviert sich der Bischof. Der Letzteregibt dann mit Zustimmung des Ritters von jenen 10 Freihu-fen vier an den bischöflichen Prokurator und Kanonikus,Leonard Goslaus erhält das Recht, eine Schenke und eineMühle zu errichten sowie den dritten Teil des Schulzenge-richts. Die Kolonisten haben nach 8 Freijahren von der Hufeeinen halben Vierdung Silber zu entrichten und den vollenZehnten. 1305 wird das Dorf mit Kirche und einem Schult-heißen im Gründungsbuch des Bistums Breslau aufgeführt.Kreuzendorf war, wie sein deutscher Name schon beweist,eine Gründung der „Kreuzherren“ vom Deutschen Ritteror-den. Heinrich II., Herzog von Schlesien, erlaubt unter dem26. Dezember 1239 dem Abt von St. Vinzenz in Breslau,dieses Dorf zu deutschem Recht auszusetzen, unter Gewäh-rung der damit verbundenen Befreiungen, insbesondere vonder Aufnahme und Verpflegung der Biber-und anderen Jä-ger. Außer Kapitelsachen soll der Abt auch das Gericht ha-ben sowie den dritten Pfennig. Nach Ablauf der Freijahreentrichtet jeder Kolonist von seinem Ackerstück ein Markt-maß Weizen und eines an Hafer, das sie an den herzogli-chen Hof bei Namslau zu liefern haben. 1271 wurde der Ortvon den Polen zerstört, die dortige Kirche von ihnen ausge-plündert und sogar die Kirchengeräte weggenommen.

H.König

Quelle: „Grenzlandheimat“ Beilage zum Namslauer Stadt-blatt, Mai 1939

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2.3. Reichthal wird von Polen besetzt.

Im Juni l9l9 hörte man die Nachricht „Reichthal undUmgebung fällt laut Friedensvertrag ohne Abstimmung anPolen“. Obwohl bei den hiesigen Kreisverwaltung stellensowie auch bei der betr. Regierungsstellen in Breslau bisdahin von dieser Hiobspost nichts bekannt war bewahrhei-tete sich doch diese Nachricht. Es wurden sofort alle Maß-nahmen getroffen, diese Bestimmung des Friedensvertra-ges rückgängig zu machen.. Telegramme wechselten mit derFriedenskommission , Nachweise wurden erbracht, daß dasReichthal immer deutsches Land war, Probeabstimmungenwurden vorgenommen, mehr als 93% gaben ihr Stimme fürDeutschland ab. Alle Bemühungen waren aber vergeblich.So kam der Tag, der 19. Januar 1920, an welchem die Polenvor dem urdeutschen Land dem Reichthaler Ländchen Be-sitz nahm und in Reichthal einzogen.

Es war Mittag gegen 11 Uhr, als eine Kompanie, geführtvon einem Major, die Stadt besetzte. Reichthal war wie aus-gestorben, kein Mensch war auf der Straße zu sehen. To-tenstille herrschte in dem sonst regen Städtchen, sodassder Führer der Kompanie die Worte äußerte:“ Ich habe hin-ter dem Fenster ein Maschinengewehr gewittert.“ Auf demRinge folgte dann ein Parademarsch. Der Bürgermeisterwurde zum Major befohlen. Er verließ jedoch nicht sein Ar-beitszimmer und ließ den Auftraggeber sagen: „ Ich habeSie nicht herbestellt und wenn Sie mich sprechen wollen,dann stehe ich zur Verfügung. Darauf erfolgte seine Fest-setzung, indem ein Doppelposten vor seine Tür gestelltwurde, auf Vermittlung durch die Stadtverordneten wurdeder Haftbefehl jedoch aufgehoben. Alle Ausgänge der Stadtnach der Deutschen Grenze wurden alsbald besetzt und sohörte Reichthal auf, ein deutsches Städtchen zu sein. Baldkam der Befehl, alle öffentlichen Gebäude haben zu flaggen.Auf den Hinweis, Reichthal besitze als deutsches Land kei-ne polnische Flagge, mußte der schwarze Streifen von derschwarz-weiß-roten Fahne abgetrennt und die dadurch

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entstandene polnische Flagge zwangsweise gehisst werden.Alle Bemühungen, diese furchtbare Vergewaltigung unge-schehen zu machen und Reichthal wieder dem DeutschenReiche zuzuführen, wurden fortgesetzt. Kommissionen, be-stehend aus Engländern, Franzosen, Italienern, Japanernüberzeugten sich selbst von dem Unrecht, das hier offen zuTage trat und erkannten es auch an, aber unsere Bitten,den Schandparagraph des Friedensdiktates rückgängig zumachen, wurden abgelehnt mit der Begründung:“ Es stehtim Friedensvertrag und dieser ist unterschrieben.“ So muß-te das arme Reichthal blutenden Herzens sich in sein trau-riges Schicksal fügen. Ihr deutschen Brüder und Schwes-tern, wenn uns auch die Grenzpfähle trennen, so werdenwir Euch nie vergessen und immer wissen, dass Ihr deut-schen Blutes und deutschen Stammes seid.

Quelle: Paul Krause.„ Grenzlandheimat“ Heimatblätter fürStadt und Kreis Namslau-Februar 1939

3. Die Grenze wird festgelegt

3.1.Aufgaben der Mitglieder der Paritätischen Aus-schüsse nach den Vorschriften für die Abstimmung inOberschlesien.Zur Durchführung der Abstimmung in Oberschlesien wur-den in Städten und Dörfern des Abstimmungsgebietes Pari-tätische Ausschüsse aufgestellt. Dieselben bestanden aus

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deutschen und polnischen Mitgliedern. Führte in einem Pa-ritätischen Ausschuß ein Deutscher den Vorsitz,. so warsein Stellvertreter ein Pole. Lag aber der Vorsitz in der Handeines Polen, so mußte ein Deutscher sein Stellvertreter sein.

Zum Abstimmungsgebiet gehörten laut „Vorschriften fürdie Abstimmung in Oberschlesien“ — herausgegeben vondem Plebiszit Unterkommissar Kunth in Rybnik — „ der gan-ze Kreis Leobschütz., also auch der Teil, der evtl. später derTschechoslowakei zugesprochen wird (das Gebiet um Kat-scher) und vom mittelschlesischen Kreis Namslau die OrteHennersdorf, Swiebne (jetzt Kl. Lorzendorf), Polkowitz, Or-denstal, Wallendorf, Dziedzitz (Erbenfeld), Noldau, Salesche(Waldhufen) mit Vorwerk Wielanka (Bachwitz), Pieklo(Wiesenau), Bachwitz, Miedsy (Wiesenau), Erdmannsdorf,Sophienthal, Steinersdorf, Johannsdorf, Oberhof, Sterzen-dorf, Friedrichsberg, Sorzow (Kornin), Sowade (Wehrmüh-le), Oschek(Lichting), Neu-Vorwerk, Piecziske(Ofen), Wolz(Schönwiese), Sbitze (Granitz), Hammer, Dammer.“ ¯

Im Abstimmungsgebiet des Kreises Namslau kam es fastdurchweg vor, daß es für die Paritätischen Ausschüsse kei-nen Polen für den Vorsitzenden bzw. dessen Stellvertretergab. Deshalb waren die Polen gezwungen, polnisch gesinnteMänner aus der Kattowitzer Gegend in dieses Gebiet zuentsenden. Nach Bachwitz wurde ein nur wenig über zwan-zig Jahre alter Pole, namens Zajonz, entsandt, der der hoch-polnischen Sprache weder in Wort noch in Schrift mächtigwar. Dieser führte den Vorsitz im Paritätischen AusschußNach Sophienthal wurde ein 40jähriger Pole aus derselbenGegend geschickt, der das Amt des stellvertretenden Vorsit-zenden zu übernehmen hatte. Mit welcher Auffassung die-se Leute ins hiesige Abstimmungsgebiet kamen, bezeugtfolgendes Erlebnis: Der letztgenannte Pole, dessen Namenmir leider nicht mehr geläufig ist, äußerte noch am Vora-bend der Abstimmung: „Grünes Gras soll mir aus den Hän-den wachsen, wenn nicht auch dieses ganze Gebiet durchdie Abstimmung an Polen fällt“, woraus ihm einer der An-

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wesenden schlagfertig zur Antwort gab, daß er in diesemFalle bereit wäre, ihm dieses Gras aus den Händen zu fres-sen. Mit welchen andren Mitteln diese polnischen Sendlingegearbeitet haben, beweist eine polnische Ansichtskarte, dieich einem derselben seinerzeit abgenommen habe. Sie zeigteinen deutschen Friedhof, auf dem im Vordergrunde ein Grabmit einem Kreuz mit polnischer Aufschrift zu sehen ist, dasvon einem uniformierten Deutschen durch einen Fußtrittvernichtet werden soll. Dieses schändliche Lügenmachwerkträgt in polnischer Sprache einen vierzeiligen Vers, dessenInhalt in deutscher Übersetzung etwa lautet: „Nachdem dasOpfer endlich die Erde deckt, gönnt ihm der Deutsche denewigen Schlummer nicht“ Mit solchen und ähnlichen Schwin-delkarten, von denen mir leider nur diese geblieben ist, ha-ben diese polnischen Sendlinge es versucht, Stimmung fürsich unter der deutschen Bevölkerung zu machen.Im Paritätischen Ausschuß waren Deutsche und Polengleichberechtigt. Die deutschen Mitglieder desselben ver-traten die deutschen Interessen und hatten darauf zu ach-ten, daß diese nicht benachteiligt wurden. Nur bei gleich-zeitiger Anwesenheit von 4 Mitgliedern konnten gültige Be-schlüsse zustandekommen. Dieselben mußten einstimmiggefasst sein.

Die Mitglieder erhielten für ihre Arbeit eine Entschädi-gung. Um die große Arbeit bewältigen und die deutschenInteressen allzeit vertreten zu können, mußten sie von ih-ren Berufspflichten vollständig frei sein. Ihre Dienst-undSprechstunden für das Publikum waren vom interalliiertenBüro festgesetzt worden. Vom 14. Januar bis 3. Februarund vom 6. bis 17. Februar 1921 mußte der Ausschußmindestens 6 Stunden täglich für das Publikum zu sprechensein. Sonn- und Feiertage waren von dieser Bestimmungnicht ausgenommen. Der Ausschuß mußte nicht nur dieStimmberechtigten selbst, sondern auch die Vertreter der-selben anhören. Die deutschen Vertrauensmänner mußtenebenfalls jederzeit gehört werden. Sie hatten auch das Recht,Anträge auf Eintragung in die Stimmliste einzureichen, und

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konnten jederzeit von der erfolgten Eintragung sich über-zeugen. Zur reibungslosen Abwicklung ihrer Aufgaben warein enges Zusammenarbeiten mit dem Paritätischen Aus-schusse dringend notwendig

Die Mitglieder der Paritätischen Ausschüsse und die Ver-trauensleute genossen bei Ausübung ihres Dienstes dieRechte der öffentlichen Beamten und den erhöhten straf-rechtlichen Schutz. Jeder Verstoß gegen die Artikel 36—48der Abstimmungsvorschriften mußte dem Unterkommissarsofort schriftlich gemeldet werden. Besonders gefährlich warArtikel 47. Die einfache Beschuldigung, gegen dasAbstimmungesetz gehandelt zu haben, genügte unter Um-ständen zur sofortigen Verhaftung und Ausweisung. Jederdiesbezügliche Vorfall mußte daher auf der Stelle dem Un-terkommissar gemeldet werden, damit sofortige Gegenmaß-nahmen ergriffen werden konnten.

Der Paritätische Ausschuß war berechtigt, von allen Be-hörden (Gemeindevorsteher, Gutsvorsteher. Standesbeam-ten, Führer der Melderegister, Landratsämter, Polizeiver-waltungen usw) alle für die Eintragung in die Stimmlistennotwendigen Auskünfte oder Urkunden in Urschrift oderAbschrift sofort zu verlangen. Alle Behörden waren deshalbangewiesen, jede Hilfe bei Aufstellung der Stimmliste zu leis-ten. Größte Aufmerksamkeit, volle Arbeitskraft und großeOpferwilligkeit mußten von den Mitgliedern der ParitätischenAusschüsse. und den Vertrauensleuten verlangt werden.

Der Paritätische Ausschuß bestand aus je 2 deutschenund je 2 polnischen ordentlichen Mitgliedern und einigenStellvertretern. Letztere konnten zur Mitarbeit herangezo-gen werden, was auch überall geschah In Gemeinden mitmehr als 2400 Einwohnern mußte ein Unterausschuß ein-gesetzt werden, der dann am 14. Januar 1921 zusammen-treten mußte.

Die wichtigste Aufgabe des Paritätischen Ausschusses wardie Aufstellung der Stimmliste. Sie war in vier Abteilungen

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aufzuteilen. In die Abteilung A der Liste kamen die Namender in Oberschlesien geborenen und hier wohnenden Perso-nen. Mit der Aufstellung dieser Liste konnte sofort begon-nen werden, weil sie von Amtswegen erfolgte. Zur Aufstel-lung der Abteilungen B,C und D mußten die Antrüge derAbstimmungsberechtigten abgewartet werden, weshalb sichdie Arbeit für diese Abteilungen auf die letzten Tage vor derAbstimmung zusammendrängte.

Jeder mußte in der Gemeinde abstimmen, in welcher eram 1. Oktober 1920 seinen Wohnsitz hatte. Wer innerhalbdes Abstimmungsgebietes geboren war, aber seinen Wohn-sitz außerhalb desselben hatte, stimmte in seinem Geburts-ort ab. Diesen mußten die roten Legitimationskarten zuge-stellt werden, während die übrigen Abstimmungsberechtig-ten grüne Legitimationskarten erhielten. Mit roten und grü-nen Legitimationskarten wurde ein schwunghafter Handelgetrieben. Zahlreiche Kartenformulare wurden gestohlen,mit Fälschungen ausgefüllt, damit Leute, die nicht abstim-mungsberechtigt waren, mit Hilfe solcher Karten ihre Ein-tragung in die Stimmliste beantragen konnten. So ver-schwanden z.B. an einem Orte allein 2000 rote Legitimati-onskartenformulare. Aus diesem Grunde mußten unsereMitglieder des Paritätischen Ausschusses genau prüfen, obUnberechtigte Legitimationskarten vorwiesen, um solcheAnträge zurückweisen zu können. Gegen ihre Stimmenkonnte eine Eintragung in die Stimmliste nicht erfolgen, weilzu jeder Eintragung ein einstimmiger Beschluß notwendigwar.

Nach Artikel 25 der Vorschriften mußte jedem Abstim-mungsgast ein Personalausweis zugestellt werden. Dieserdiente ihm bei der Einreise ins Abstimmungsgebiet als Paßund dann als Stimmkarte. Deshalb war es dringend not-wendig, daß unsere Mitglieder des Paritätischen Ausschus-ses sich davon überzeugten, daß sämtliche Daten, die aufder Stimmkarte verlangt wurden, mit den Eintragungen inder Stimmliste genau übereinstimmten, um dem Inhaber

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das Stimmrecht zu sichern. Sie mußten sich auch davonüberzeugen, daß die Anschrift auf dem Umschlag richtig ist.Um die völlige Gewißheit zu haben, daß jede Stimmkarteauch in die Hand des Abstimmungsberechtigten gelangte,kamen die deutschen Mitglieder des Paritätischen Ausschus-ses mit denen der anderen Parteien überein, dass unsereMitglieder die Übermittlung der Stimmkarten auf die Postpersönlich übernahmen.

So kam nach viel Arbeit, Sorgen und Mühen, aber imunerschütterlichen Glauben an den Endsieg, der Abstim-mungstag heran, der dem Abstimmungsgebiet des KreisesNamslau ein fast einstimmiges Bekenntnis zum Deutsch-tum erbrachte.

Quelle: Viktor Fiedler, Giesdorf (fr.Bachwitz), „Grenzland-heimat“, Heimatblätter für Stadt und Kkreis Namslau,März 1939

3.2. Die Grenzfestsetzung durch die interalli-ierte Kommission am 7.April 1920 in Glausche

Zu der in Glausche stattgefundenen Festsetzung der neu-en Grenze zwischen Deutschland und Polen hatte die Ge-meinde Glausche drei Vertreter (Malig, Altmann, Arndt)bestellt, welche beauftragt waren, mit der Kommission zuverhandeln.

Als die Kommission in Glausche ankam, nahm sie im Gast-haus Menzel Platz. In der Mitte saß der Pole, rechts von ihmder Franzose, die Vertreter der anderen Staaten, Englän-der, Italiener, Japaner schlossen sich an.

Nun begann der Pole mit uns Glauscher Vertretern zuverhandeln. Er behauptete, daß Glausche, nachdemReichthal zu Polen gehören soll, nicht mehr existenzfähigsei und Glausche ohne Reichthal nicht leben könnte. DieBegründung führte er auf Bahnhof, Arzt, Apotheke. Kran-kenhaus und außerdem auf die gemeinsame Dränage-Ge-

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nossenschaft, welche ihren Sitz in Reichthal hat, zurück.Die Vertreter von Glausche wehrten sich in jeder Weise.Dasselbe hatte die Kommission vorher mit den Vertretern inReichthal versucht, um diese zu der Überzeugung zu brin-gen, daß die Stadt Reichthal ohne Glausche nicht lebenkönne. Dies wollten die Polen für sich in Anspruch nehmen,sobald hiesige Vertreter dies zugegeben hätten, um fest-stellen zu lassen, daß beide Orte aus wirtschaftlichen Grün-den nicht getrennt werden können und so doch Glausche,wenn es auch im Friedensverträge bei Deutschland verblei-ben sollte, auch noch Polen einzuverleiben. Im Vordergrun-de stand, daß die Güter Droschkau usw. eine nahe und guteChaussee nach dem Bahnhof Reichthal haben wollten, diedurch Glausche führte. Natürlich ist dies aus keiner Seitegeglückt. Als den Reichthaler Vertretern immer wieder vorAugen geführt wurde, daß die Stadt „tot“ werden würde,um sie nur dazu zu bewegen, daß sie zugeben sollten, daßReichthal ohne Glausche nicht leben könne, da war es eindeutscher Ackerbürger, welcher sich zu Wort meldete undlaut erklärte: „ Wenn wir auch noch so eng mit den Glau-schern freundschaftlich wie geschäftlich zusammengestan-den haben, so müssen wir ohne Glausche leben; sie sollennicht, wenn sie nach dem Friedensvertrage bei Deutsch-land verbleiben können, durch uns polnisch werden. Es istgenug, wenn wir das schwere Schicksal tragen müssen, nichtdaß wir unsere Brüder in Glausche auch noch mit hinein-reißen. Das können wir aus keinen Fall verantworten.“ Diestraf wie eine Bombe auf die Kommission und für uns war esvon großem Vorteil. Wir haben dies nach Wochen von HerrnDr. Gerant (früher Reichthal, jetzt Namslau) erfahren, derdamals in Reichthal dabei war.

Nun wieder zu den Verhandlungen in Glausche zurück .Als wir uns immer wieder darauf beriefen, daß wir doch aufReichthal nicht angewiesen sind, fing die Kommission mitder Behauptung an. Glausche wäre ein polnisches Dorf, denndie Mehrheit des Dorfes spreche polnisch. Sie brachten eineKarte vom Jahre 1898 hervor, von der sie behaupteten, daß

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sie amtlich sei und daß nach ihr die Mehrheit der Glauscherpolnisch spreche und der Ort daher polnisch sei. Wir stutz-ten eine Weile, im nächsten Augenblick fiel es uns aber ein,daß es sich hier um eine Statistik betr. die Ostmarkenzula-ge handeln könnte. Der Kommission wurde klargelegt, wiees damals gehandhabt wurde und daß alles, was etwa pol-nisch sprechen konnte oder verstand, als „polnisch“ ange-geben wurde. Im übrigen wäre hier am Orte kein einzigerEinheimischer, der ein richtiges polnisch sprechen könnte(sondern nur ein sog. oberschlesisch ). Einige Arbeiterfami-lien wären nur hier, die aus Polen kamen, weil sie hier bes-ser bezahlt würden. Durch diese Arbeiter haben mancheein paar Brocken polnisch gelernt. So stritten wir unsimmerfort herum; wir erklärten stets, daß Glausche deutschist, folglich auch deutsch bleiben müsse.

Als dieses Thema erledigt war, wollte die Kommission denWald haben, von dem behauptet wurde, er liege näher anDroschkau, folglich auch den Droschkauern Arbeit bringenmüsse. Wir betonten, am Waldrand stehe eine Tafel mit derBezeichnung .Glauscher Forstbezirk“. Die Droschkauerhätten nie im Glauscher Wald gearbeitet, sondern nurGlauscher Arbeiter, die Droschkauer hätten stets imDörnberger Walde gearbeitet. Außerdem ist der Wald fürGlausche unentbehrlich, da wir dorther alles Holz bezie-hen. Es wurde uns gedroht, daß, wenn wir den Wald nichthingeben, die Grenze durch unsere Äcker gezogen werdenwürde. Auch damit ließen wir uns nicht einschüchtern underklärten immer wieder, daß wir ohne den Wald nicht lebenkönnten. Wir glaubten nicht, daß trotzdem die Grenze, wiees nun später geschah, durch unsere Äcker gezogen würde.Wir müssen nun jetzt dieses Unglück ertragen; jeglicher Ge-rechtigkeitssinn wurde hier bei den Delegierten vermißt. Sowurde nun aus diese Art und Weise die Grenze schnurgera-de durch unsere Äcker gezogen, um sie nicht zu nahe an dieStadt Reichthal zu legen. Die Polen führten stets das großeWort; die Franzosen mischten sich nur ein, um unszugunsten Polens zu überzeugen. Die übrigen Mitglieder

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der Kommission saßen still da und hörten nickend dem Po-len zu. Nur der Japaner schien etwas Gerechtigkeitssinnaufzubringen, was wir aus feinen Handbewegungen undGesprächen, die er mit dem Polen zwischendurch führte, zuentnehmen glaubten. Als wir uns trennten, baten wirnochmals im Interesse der Gemeinde dringend, den ganzenOrt Glausche sowie den Wald bei Deutschland zu belassen,da Glausche rein deutsch ist und wir auf keinen Fall pol-nisch werden wollen. Wir kamen aber wegen unseres Ackersnicht zum Recht.

Als die Kommission die Autos bestieg, ertönte aus der gro-ßen Menschenmenge das Deutschlandlied. Nicht nur ganzGlausche war anwesend, sondern viele aus den Nachbar-dörfern mit ihren Kriegsvereins- und Schulfahnen.

(Aus dem Festbuch“ 700-Jahrfeier des Deutschordensdor-fes Glausche 1933")

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3.3. Doch „manchmal“ siegt die Vernunft ! 1

Die Lorzendorfer Quelle und die Pluskatzmühle-Auszug –

… Wer heute an der Quellmauer ( der Lorzendorfer Quelled.Redaktion) steht, blickt nach drei Seiten in polnisches Land,da die Quelle in einem Gebietsteil liegt, der in Form einesOuadrats von rund 100 Meter Seitenlänge nach Polen vor-springt. Das war bei der ersten, Grenzfestsetzung nicht so,die Quelle gehörte zu Polen. Den Bemühungen des Herrnvon Loesch ist es jedoch gelungen, die Rückgabe der Quellean Deutschland durchzusetzen. Im April 1922 erschien inLorzendorf eine interalliierte Kommission von 20—22 Perso-nen, die sich aus Engländern, Franzosen, Italienern, Japa-nern und Polen zusammensetzte. Sie beschäftigte sich auchmit der Angelegenheit der Quelle. Ein Teil der Kommissionfuhr mit einem Wagen an Ort und Stelle, um alles zu bese-hen. Ein Engländer führte den Vorsitz bei der Verhandlung.Die Rückgabe der Quelle wurde beschlossen. Die Begrün-dung bestand darin, daß die Quelle für Lorzendorf wie infrüheren Zeiten auch jetzt noch sehr wichtig ist; denn sieversorgt den Lorzendorfer Bach, der früher drei Mühlenbetrieb, mit Wasser und speist eine große Anzahl von Fisch-teichen. (Früher 384 Morgen.) Vor der Kommission warenauch Vertreter aus Proschau, Butschkau und Herzberg er-schienen, die immer noch auf eine Rückkehr zu Deutsch-land hofften.Den Grundzins von 1 Scheffel (= 80 Pfund) Saatweizen

entrichtet das Rittergut Lorzendorf noch heute an den Pro-schauer Besitzer.…Aus Heimatkalender 1930 für die Ost-Grenzkreise Groß-

Wartenberg, Namslau und Oels, S.96-97

1 Überschrift durch die Redaktion

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4. Abstimmung in Hennersdorf

4.1. Erinnerungen einer damals 6 jährigenDamals bestand Schlesien noch aus Ober-Mittel- und

Niederschlesien. Hennersdorf lag hart an der polnischeGrenze. Diese Grenze war erst kürzlich strikt gezogen wor-den, dahinter lag weit und breit rein deutsche Gebiete bisnach Posen, Litzmannstadt und noch viel weiter. Noch nichtgenug, was die Polen uns nach dem 1. Weltkrieg und nachVersailler Vertrag abgenommen hatten, auch Oberschlesi-en beanspruchten sie noch. Nach der Meinung der Alliier-ten (Franzosen und Engländer) sollte nun eine Volksab-stimmung entscheiden zu welchem Land sich die Bevölke-rung bekennt. Um eine gerade Linie zu bekommen, habendie Polen sich bei den Alliierten ausgemacht, auch ein paarOrtschaften von Mittelschlesien zum oberschlesischen Ab-stimmungsgebiet zu schlagen. So wurde Hennersdorf ob-erschlesisches Abstimmungsgebiet.

Für mich als 6 jährige war dies eine äußerst interessan-te Zeit .Was ein paritätischer Ausschuß war, hatte ich baldbegriffen. Mein Vater war der Vorsitzende. Das Büro be-fand sich in unserem Haus der Zugang war aber außer-halb des Gehöftes von einer Außenseite aus Die polnischeKommission, die auch zu dem paritätischen Ausschuß ge-hörte, befand sich seit vielen Monaten im Ort. Sie unter-schieden sich in nichts von den Deutschen weder in derSprache noch im Gehabe. Wie viele es waren weiß ich nicht,denn es gab sich ja keiner mit mir ab. Außer dem HerrnSchilok der einmal an meinem Bettchen saß, Mandolinespielte und sang: “Ich weiß nicht was soll es bedeuten“und andere deutsche Lieder. Er war mein Freund. Der aberdann später, als das Ganze zu Ende war und die Polen beider Volksabstimmung verloren hatten, aus Wut darüber,zum Mordschützen wurde.

Dann kannte ich noch die Frau Bampuch, deren Mannauch bei der polnischen Kommission war, die oft bei mei-ner Mutter im Wohnzimmer war, strickte und in hohen Tö-

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nen sprach. Die Mutter gab ihr alles was sie für ihren Sup-pentopf brauchte und so herrschte nach meine Meinungeine Eintracht wie sie besser nicht sein konnte zwischenden Polen und den Deutschen. Diese Leute waren ja auchDeutsche, aber ohne das Herz, das Gemüt und den Geist,sondern ohne Verstand fanatisch und verblendet.

Von den Sorgen und Nöten der Männer im Ort. In dieserZeit habe ich damals noch nichts begriffen. Aber ich weiß,daß mein Vater oft mit andern Männern an der Grenze dieNächte mit einem Gewehr wachte. Obwohl mein Vaterdamals selten mal zu Haus war, habe ich doch einiges auf-schnappen können was er sagte. Zum Beispiel: “Der Pfar-rer in Giesdorf will uns an die Polen verkaufen!“ oder: “Josef, wenn wir hier im Ort eine einzige polnische Stimmehaben, dann bist du es gewesen, dann ist es deine, merkedir’s!“. Oder: “ Heranholen, was es heranzuholen gibt, alleswas hier am Ort geboren ist aus Kanada, Wien und derganzen Welt, die uns ihre Stimme abgeben müssen.“

Und wirklich sie kamen aus Übersee und aus den ent-ferntesten Gegenden. Hennersdorf versorgte und hegte sie.Es stand alles auf dem Spiel. Es war verboten die Gästefeierlich zu begrüßen. Keine Beeinflußung oder Propagan-da war gestattet. Darüber wachte die polnische Kommissi-on streng. Die vielen, vielen Kränze, Girlanden und Will-kommensschriften, die jedes Haus im Ort angefertigt hat-te, harrten im Keller auf die Stunde, wo der Entscheidungs-spruch am Sonntag den 20.März 1921, durchkam:“ Ge-wonnen, deutsch für immer!“

Jetzt erst brach die Begeisterung durch. Die tausendevon grünen Tannenkränzen mit Bändern und Fahnen wur-den frisch aus den Kellern hervorgeholt und Kranz an Kranzwurde über die Straße gespannt. Jedes Haus hatte ein um-kränztes „Herzlich Willkommen“ dran gehangen: Oft wa-ren diese „Ehrenpforten“, wie man sie nannte, ganz künst-lerisch gestaltet, wie Triumphbogen. Hennersdorf hatte ein100% iges Wahlergebnis!

Die polnische Kommission zog sich zurück und sie tran-

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ken nach polnischer Art bis nichts mehr rein ging. Dannzogen sie die heimlichen Pistolen aus der Tasche und stürm-ten in später Stunde auf die Straße, schossen um sich undrissen die Kränze herunter. Ein unbesonnener Mann, HerrGiernoth, der neben dem Wahllokal (der Schule) wohnte,ging ihnen entgegen und drohte ihnen mit der Faust. Sofortwurde er von einem der Kommission, dem Herrn Schilok,erschossen. Ich erwachte von einem Schrei eines Dienst-mädchen die herein gestürmt kam: “Kommen Sie schnell,es wird geschossen, und Ihr Mann ist sicher schon tot!“Tatsächlich hatten sie auf meinen Vater gewartet. Er be-fand sich noch mit den andern im Wahllokal.

Den folgenden Tag bekam ich wieder viel zu sehen. Eingroßes, langes, offenes Auto kam von Kreuzburg 0/S mitden Allierten, Franzosen und Engländern, die den Mord-fall untersuchen sollten. Da stiegen ein paar Offiziere aus.Ich saß an der Bordkante an der Straße und beobachteteden Vorgang genau. Ich hörte die Leute sagen: „Die mitden roten Mützen sind die Franzosen und die mit denschwarzen sind die Engländer“. Dann sagten sie noch: “Dortdrüben im Spritzenhaus sitzt Schilok und weint“. Ich habeweder Haß noch Mitleid für meinen Freund empfunden,ich war vollständig erstarrt. Dann sprachen die Leute nochvom Sezieren der Leiche, was ich natürlich nicht verstand,deshalb habe ich es mir auch gemerkt. Ich saß gegenübervom Spritzenhaus und hörte scharf was die vielen, vielenLeute redeten und wie sich die stolzen Offiziere bewegten.

Zehn Jahre drauf, am 20. März 1931, wurde der Gedenk-tag an die Volksabstimmung vom 20. März 1921, festlichbegangen mit einem großen Fackelzug am Abend vorher(s. Bericht S. 62 die Redaktion). An einem riesengroßen Find-lingstein: hatte schon Monate vorher, Herr Krebs aus Bres-lau (ein verwandtschaftlich nahestehender Hennersdorfer)in den Stein eingemeißelt: „20. März 1921 - Treu deutschallerwege “. An diesem Stein wurde die Gedenkfeier gehal-ten, mit dem Festredner Herrn Mittelschulrektor JohannWarzok von der Felix- Dahn-Mittelschule Breslau, Sohn

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des Arbeiterehepaares Warzok aus dem Dominium in Hen-nersdorf. Dieser Hennersdorfer Sohn und alle BreslauerHennersdorfer Herkunft, unterhielten einen lebhaften „Ver-ein der heimattreuen Hennersdorfer in Breslau. Zu Weih-nachten brannten bei diesem Verein die Weihnachtsbäu-me aus dem Hennersdorfer Bauernwald, die der Eierhänd-ler Krusch aus Strehlitz, der wöchentlich nach Breslau zumMarkt fuhr, gern den Breslauern mitnahm. Der Verein spen-dete dafür wieder einen Kronleuchter für die Kirche.

Meinem Vater wurden für seine Verdienste, bei der Volks-abstimmung am 20.März 1921, der Schlesische Adleror-den verliehen.

Wenn ich mich nicht täusche, war z.Zt. DankelmannLandrat in Namslau, der Noldau als zentralen Ort für eineGedenkfeier auswählte. Auf Anraten meines Vaters hieltJohann Warzok aus Breslau auch dort die Festrede zurFreude und Genugtuung des Landrats und aller Anwe-senden, denn sie war markig und überzeugend.

Charlotte Loebner

4.2. Ein Hennersdorfer berichtet ....

Auszug aus den Lebenserinnerungen von Wilhelm Klisch,Hennersdorf

...Es sollte aber nicht sein, denn im Juli reiften auch beiNeustadt die Getreidefelder und da ich ein Sohn vom Dorfewar, zog es mich nach Hause und es war gut so, konntedoch auch meine Schwester für ihre Ausbildung etwas tun,wenn auch für die heutige Zeit nicht viel, aber sie lerntefür den eigenen Gebrauch schneidern und besuchte dieHaushaltsschule in Breslau, beides war für sie im Lebennützlich.

Als ich die Uniform ausgezogen hatte, aber sagen konn-- 26-

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te, ich bin auch Soldat gewesen, fühlte ich mich nicht zu-rückgesetzt, denn es hieß damals, wer kein Soldat gewe-sen ist, ist kein Mann und half nun meinen Eltern weiter.

Oberschlesien und auch Orte längst der oberschlesischenGrenze waren besetzt, aber ich kam ungehindert nachHause und gar bald begann der Abstimmungskampf, eswaren aber nur Orte im Kreise Namslau, dagegen wurdeder Kreis Neustadt und noch welche, die in Oberschlesienlagen, nicht besetzt, verblieben gleich beim Reich. DiesesOberschlesien war nicht nur von Italienern, Engländernund Franzosen besetzt, sondern es wurde auch eine star-ke Polizei aufgestellt, die angeblich halb deutsch und halbpolnisch sein sollte, auch in unserem Hennersdorf wurdenacht Mann stationiert, wo wir sonst keinen Polizisten imDorf hatten. Wir machten gute Mine, wünschten aber, daßsie dort hin gingen, woher sie her kamen, denn auch diedrei Zöllner waren dazu da, um auf uns aufzupassen, sokamen auf 38 Köpfe, ob Mann, Frau oder Kind, ein Polizist.Das konnte nicht ewig so bleiben, und die jungen Männerärgerte es, die Mädchen im Dorf aber nicht, sie schöpftenHoffnung und gar manche hoffte auf solch einen Unifor-mierten im Stillen, um einmal Beamtenfrau zu werden undnicht immer in der Landwirtschaft arbeiten zu müssen.Sehr viel Glück zum Heiraten hatten sie aber nicht, denndiese Uniformierten sahen auch auf das Geld, drei wurdenaber doch geheiratet, zwei davon waren schon ältere Se-mester, um diese tat es niemanden Leid, nur eine, sie warauch hübsch und hätte eine gute Bauersfrau abgegeben.Zwei davon hatten später Pech, denn ihre Männer mußtendie Uniform wieder ausziehen und aus war der Traum ei-ner Beamtenfrau. Die Inflation stieg weiter.

In jedem Ort wurde ein Ausschuß gebildet, der die Ab-stimmungsberechtigten erfassen sollte. Dieser sollte halbdeutsch, halb polnisch sein. Da aber Hennersdorf reindeutsch war, kamen zwei polnisch gesinnte Männer ausOberschlesien. Aus unserem Dorf gehörte Hermann Loeb-

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ner und noch Einer, den Namen weiß ich nicht mehr, dazu,wenn auch die beiden Fremden, wohl gut für ihre Ziele(polnisch) gut reden konnten, ließ sich Bauer Loebner vondiesen in keiner Form einschüchtern und verfocht seinenihm angeborenen Standpunkt. Wir waren so viele Jahr-hunderte deutsch und werde auch deutsch bleiben. Dieswar nicht nur sein eigener Standpunkt, auch unser Allerund er war ganz sicher, daß wir alle genau so dachten undfühlten wie er selbst, und Alle, die von Nah und Fern zudieser Abstimmung bekommen sind, haben ihn nicht ent-täuscht. Für uns Alle, insbesondere für die in meinem Al-ter war es eine erregende Zeit, aber auch für die Älteren,wußte doch Niemand, wie es im Allgemeinen ausgehenwürde. Der neu entstandene polnische Staat befand sichdamals in einem unersättlichen Rausch, unterstützt vonunseren ehemaligen Kriegsgegnern, Rußland nicht, dennes hatte mit sich selbst zu tun. England hielt sich in dieserAngelegenheit zurück, aber Frankreich und Amerika, beidegedrängt von den dort lebenden Polen, forderten mehr undimmer noch mehr von unserem geschlagenen Vaterland.Es war für uns erfreulich, daß unser Hennersdorf nichtgleich dem polnischen Staat einverleibt wurde und wir,wenn auch damals zu Mittelschlesien gehörig, nun dieMöglichkeit hatten abzustimmen, wohin wir wollen, wasfür uns alle eigentlich keine Frage war. Der nun festge-setzte Abstimmungstag rückte immer näher und die schrift-lichen Arbeiten des halb deutsch, halb polnischen Aus-schusses in unserem rein deutschen Hennersdorf warenbeendet. Die zur Abstimmung berechtigt waren, hatten ihreAufforderung, ganz gleich wo sie wohnten, natürlich aufDeutschlands Kosten zu kommen, erhalten. Quartierewurde für Jeden festgesetzt. Alle wurden vom BahnhofNoldau abgeholt, da aber niemand wußte, wann einer die-ser Abstimmungsberechtigten eintrifft, mußte zu jedem ein-treffenden Zug ein Wagen gestellt werde und wenn es auchmanchmal umsonst war; auch ich fuhr einmal in sehr frü-her Morgenstunde umsonst. Wir Alle machten uns deswe-

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gen nichts draus, es war ja Vaterlandspflicht. Sie kamenaber Alle, die zur Abstimmung kommen sollten. In derWoche, als die Abstimmungsberechtigten eintrafen, hattesich unser Lehrer Schönfelder große Mühe gegeben, erwollte ihnen auch etwas bieten und die Tage bis zur Ab-stimmung verkürzen.So lernten wir einige kurze Theater-stücke, die wir am Abend aufführten. Ich selbst war immerin irgend einer Rolle. Es hat den Abstimmungsberechtig-ten, aber auch unseren Dorfbewohnern Spaß gemacht. Füruns aber, die wir so etwas nicht konnten, war es nicht leicht.Es war nicht leicht und ungewohnt vor so vielen Menschenaufzutreten und nicht aus der Rolle zu fallen, aber es ging.Wenn auch wir viele Abende geopfert hatten, auch unserLehrer, um es einigermaßen hinzukriegen, hatten wir unsdoch selbst gefreut, daß es uns gelungen ist, auch zumWohle unseres Vaterlands und der Abstimmung.

Und auch denen, die zur Abstimmung schon einige Tagefrüher kamen. So manche wohnten im Rheinland, auchkonnten alle nicht an einem Tag ins gesamte Abstimmungs-gebiet kommen, denn da hätten die Züge nicht gereicht.So haben wir ihnen doch mit unserem Theaterspiel einwenig die Zeit vertrieben, auch wenn wir nur Laien warenund uns die Bühne erst einmal selbst bauen mußten. Ichhatte es gerne gemacht, war ich doch jung und meine El-tern gaben mir die Zeit. Gewiß hatten die ankommendenAbstimmungsberechtigten auch sonst Unterhaltung, dennwenn sie auch in Hennersdorf, oder sonst wo geboren sind,waren sie doch jahrelang, oder manche Zeit seit ihremFortzug gar nicht in ihrem Geburtsort gewesen. Nun aberfanden sie Altbekannte, die in der Heimat geblieben sind,suchten sie natürlich auf und so hatte sie auch ihreUnterhaltung.

So kam der Sonntag, der 20. März 1921 der die Entschei-dung bringen sollte Die Polen, die schon damals unsereHeimat ohne Abstimmung haben wollten, aber es nichtdurchsetzen konnten, versuchten dennoch vor der Abstim-mung die Deutschen durch Terror, Gewalt und durch Morde

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für ihre Ziele zu beeinflussen Sie hatten ja einen gutenSchutz durch die französischen Besatzungstruppen, dieimmer, ob Recht oder Unrecht, auf ihrer Seite standen.Engländer und Italiener hielten sich an ihr Vorschriften.In unserem Hennersdorf gab es keine Streitigkeiten, obdeutsch oder polnisch: Auch die polnisch gesinnten Poli-zisten wagten es nicht, uns irgendwie zu beeinflussen,waren wir doch alle, ohne Ausnahme „Treu deutsch“.

Im oberschlesischen Industriegebiet, da war diese Zeitund auch später eine böse Zeit, hatten sich diese Men-schen Jahrhunderte deutsch und polnisch sprechend gutverstanden, ging es durch die starke polnische Agitationnicht mehr, und Einer wurde des Anderen Feind. „Korfanti“,der Hauptführer der Polen hatte es verstanden, wurdenihm doch von Polen große finanzielle Mittel gesteckt. Wiraber hofften, daß trotzdem die Mehrheit für deutsch stim-men würde, da doch die Mehrheit den Verbleib Oberschle-siens entscheiden sollte und sie entschied sich. Der Ab-stimmungstag wurde auf den 20.3.21 festgesetzt. LehrerSchönfelder hatte mit uns jüngeren Leuten zwei Theater-stücke kurze, lustige eingeübt. Diese hatten wir dann auchdenen, die zur Abstimmung kamen, aber auch unserenDorfbewohnern, in der Woche vor der Abstimmung vorge-führt. Wir Spieler waren noch nie zuvor auf einer Bühneund hatten; bei der Vorstellung Lampenfieber, wie das ebenso ist, wenn man nun vor so vielen Menschen reden undnoch dazu die passende Mimik machen sollte. Wenn auchEinige, die von weiter zu dieser Abstimmung kamen, Eineroder der Andere so manches richtige Theater in einer Groß-stadt gesehen hat, freute er sich dennoch. Wußte Er oderSie doch, daß wir Laien sind, uns aber soviel wie möglichMühe gaben, die Zuschauer zu erfreuen. Unsere Dorfbe-wohner aber waren fast ohne Ausnahme begeistert, lobtenuns und wollten so bald wie möglich wieder etwas Ähnli-ches sehen.

Ist auch nicht zu verwundern, gab es doch in unseremHennersdorf, aber auch in allen Gemeinden der Umgebung

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nicht viel Abwechslung, kam da wohl alle Jahre ein keinerZirkus, oder ein Karussell, auch mal eine Luftschaukel undTanz war selten, aber wenn einmal Tanz war, dann wurdeaber auch getanzt und mit Theaterspielen haben wir inden späteren Jahren unsere Dorfbewohner recht oft er-freut. So kam der Abstimmungstag, der so lang erwartete,es war ein strahlender Frühlingstag, der über unser weite-res Schicksal entscheiden sollte. Alle waren sie da, ob vonNah und Fern, auch in den Nachbargemeinden wohnen-den Deutschen, die schon in das neue polnische Land ein-gegliedert waren. Alle waren wir nun am Abend gespannt,wie das Ergebnis der Abstimmung in unserem Hennersdorfausgefallen ist. Der ganze Tag verlief ruhig, die paar pol-nisch gesinnten Polizisten trauten sich nicht irgend jemandzu beeinflussen, sie wären wohl auch schlecht angekom-men. Da die Telefonverbindung nach Reichthal, dorthinhatten wir sie, weil dort der nächste Arzt und Tierarzt war,aber durch die Grenzziehung zerstört war, hatten wir kei-ne Telefonverbindung, so hatten zwei junge Leute, die zu-verlässig waren, auch ich, das Abstimmungsergebnis soschnell wie möglich an diesem Abend nach Noldau zu über-bringen. Nach Abschluß der Wahl warteten wir vor demWahllokal, es war unsere Schule. Als nun derWahlausschuß, auch Polen, fremde Polen waren dabei, dasWahlergebnis gezählt hatten, gaben sie uns das Ergebnisdieser Wahl erst mündlich und auch schriftlich in die Hän-de, damit wir, falls uns irgend etwas zustoßen sollte, eswar eine unruhige Zeit, doch das richtige Wahlergebnisüberbringen könnten, denn Noldau war der Hauptpunkt,dort sollten die Wahlergebnisse der Gemeinden, die zumKreis Namslau gehörten, gemeldet werden. Wie waren wirstolz, als wir hörten, Hennersdorf hat mit 100 % für deutschgestimmt, ebenso freute sich die ganze Gemeinde und wiegern fuhren wir nach Noldau mit diesem Ergebnis. Vor derBahnschranke in Noldau mußten wir eine Weile warten,da der Schrankenwärter uns kannte, ahnte er wohl undfragte, wie es bei uns in Hennersdorf ausgefallen ist, wir

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ihm sagten, alles deutsch, hätte er beinahe „Hurra“ geru-fen, so freute er sich.

In den anderen Gemeinden, die zum Kreis Namslau ge-hörten, war es fast ähnlich, nur Einige gaben den Polenihre Stimme., in unserer Nachbargemeinde Ordenstalwaren es nur zwei Stimmen. Die Polen waren enttäuscht,aber ich konnte schon damals nicht verstehen, daß diePolen es wagten zu hoffen, daß wir für sie Stimmen wür-den, nun hatten sie die Quittung. Wie ich, so waren alleBewohner unserer Gemeinde hocherfreut über ein solchgutes Ergebnis. In dieser Freude wurden eine Anzahl Eh-renpforten über der Dorfstraße errichtet, wir wollten dieseschon vor der Abstimmung zum Empfang der Berechtigtenaufstellen, aber die polnische Polizei verbot es. Nun aberbeachteten wir dieses Verbot nicht und errichteten dochdie Ehrenpforten, waren wir Hennersdorfer uns doch alleeinig und bewußt unseres Sieges. Die Polizei sah es wohl,verbot es aber nicht, auch die polnisch gesinnte nicht. Die-ses war der folgende Tag nach der Abstimmung. Aber wiedas eben mal so ist, diese Abstimmungspolizei bekam ge-nügend Geld und hatte bei uns fast nichts zu tun, wassollten auch bei knapp 400 Einwohnern acht Polizisten tun?Sie spielten oder vertranken das Geld, es gab ja alles, sowar es auch an diesem Tag und als sie an diesem Abendangetrunken die Dorfstraße zu ihrer Unterkunft gingen, eswar ein Nachbarhaus von uns, versuchten einige der Poli-zisten unsere Ehrenpforten einzureißen, aber sehr schnellwurde es im Dorf bekannt, was die Polizei tat und ebensoschnell fanden sich beherzte Männer, welche die Polizeidavon abdrängen wollten, diese zog sich auf ihre Unter-kunft zurück, bedrohte die Nachfolgenden mit der Pistoleund forderten sie auf, zurück zu gehen.

Zu dieser Zeit, ich hatte schnell mein Gewehr geholt, eswar dunkel, schlich ich mich in den Garten, dieAuseinandersetzung war auf dem Nachbargrundstück, legteauf einen dieser mit der Pistole fuchtelnden Polizisten anund drückte ab, davon hat aber Niemand etwas gemerkt,

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denn es war ein Versager, ein zweites mal versuchte ichsnicht mehr. Die Anderen bedrängten diese A.P., so hieß sieweiter und einer dieser A.P. schoß auch und traf GottliebGiernoth tödlich, ich höre diesen Todesschrei noch heute.Nun aber war es still. Die polnisch gesinnte A.P. floh nunso schnell wie möglich über die nahe Grenze und schoß, eswar nun Nacht, wahllos in unser Dorf. Dieses war das ersteOpfer der ungerechten Grenzziehung, aber GottliebGiernoth wurde mit allen Ehren unter Beteiligung derganzen Gemeinde und der , Nachbargemeinde zur Ruhegetragen.

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5. Das Abstimmungsergebnis

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In die jüngste Geschichte des Kalendergebiets haben zweiEreignisse die tiefsten Runen gezogen: Die Verstümmelungder Kreise Groß. Wartenberg und Namslau durch die imDiktat nun Versailles festgesetzten Landesgrenzen und dieVolksabstimmung am 20. März 1921. Wenn von dieser ge-sprochen wird, so denkt man gewöhnlich nur an Oberschle-sien und vergißt dabei, daß es „der hohe Rat der alliiertenund assoziierten Mächte“ für gut und richtig befunden hat,zum höheren Ruhme des Selbstbestimmungsrechts der Völ-ker auch einen Teil Mittelschlesiens, den östlichen Teil desKreises Namslau in das oberschlesische Abstimmungsgebieteinzubeziehen. Artikel 88 des Versailler Friedensdiktats setztedie Grenze dieses Gebiets durch eine westlich der Ortschaf-ten Hennersdorf, Polkowitz, Noldau, Steinersdorf und Dam-mer verlaufende Linie fest und hat so dem Kreise Namslauneben dem durch Artikel 22 ausgesprochenen Raube desReichthaler Ländchens ein zweites Unrecht zugefügt. Dennals ein solches wurde die Auferlegung der Abstimmung vonder gesamten Bewohnerschaft der betroffenen Orte von al-lem Anfang an empfunden, und wenn auch die Zeit derBesetzung durch feindliche Truppen und eine landfremdePolizei bei weitem nicht das Unheil heraufbeschworen hat,das Reichthal erdulden muß, so hat sie doch eine Fülle vonErschwerungen zur Folge gehabt und Schaden gestiftet,die nur langsam wieder gutgemacht werden konnten. Diemoralische Ohrfeige, die die Väter des Versailler Diktatsdurch das Ergebnis der Abstimmung in Oberschlesien, vorallem aber auch in dem Namslauer Abstimmungsgebieterhalten haben, hätten sie sich ersparen können, wenn siesich weniger gutgläubig oder leichtfertig der Auffassungangeschlossen hätten, daß die allerdings auch auf deutschenKarten verzeichnete Grenze des geschlossenen deutschen

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6. Erinnerungen an die Volksabstimmungvon Mittelschullehrer Warzok , Breslau

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Sprachgebiets auch die Linien bezeichne, bis zu der nochdeutschfühlende Menschen wohnen.

Der historische Verlauf der Abstimmung, die einseitig pol-nischen Interessen dienstbar gewesene Tätigkeit der Inter-alliierten Kommission und ihres Vorsitzenden, des fran-zösischen Generals le Rond, die Arbeit der VereinigtenVerbände heimattreuer Oberschlesier, die Verdienste deut-scher Männer und Frauen um die Vorbereitung undDurchführung der Abstimmung sind bekannt und akten-mäßig niedergelegt. Hier kommt es darauf an, auf Grundpersönlicher Erinnerungen ein Stimmungsbild des großenGeschehens jener Tage zu geben, ein Stimmungsbild daszwar nur einen kleinen Ausschnitt aus dem dramatisch be-wegten Zeitgemälde darstellt, das aber doch zum mindestenfür das Namslauer Abstimmungsgebiet typisch ist: die Ab-stimmung in Hennersdorf.

Die Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommissionin Oppeln hat reichlich lange mit der Festlegung des Ab-stimmungstages gewartet. Nach § 4 des Anhangs zu Arti-kel 88 stand ihr eine Zeit von 18 Monaten zu Gebote.Offenbar hat man geglaubt, in dieser Zeit das Land fürein Abstimmungsergebnis in dem erwünschten Sinne reifmachen zu können. Und an ernstlichsten Bemühungen,an Versprechungen und Drohungen, Einschüchterungs-und Bestechungsversuchen hat es nicht gefehlt. Eine reich-lich mit Polen durchsetzte Abteilung der Abstimmungs-polizei (Apo) hatte in dem leerstehenden Gutshause Quar-tier bezogen, mußte sich aber höchst überflüssig vorkom-men, da sie die ruhige Bevölkerung völlig unbeachtet ließ;selbst eine Abteilung französischer Reiter hat Henners-dorf in der Vorbereitungszeit mit ihrem Besuche „be-ehrt“. Polnische Flieger und der überaus rührige polni-sche Propagandadienst überschütteten das Land mit einerungeheuren Papierflut, die aber von den Bewohnern ru-hig dem Winde überlassen wurde. Ein paritätischerAbstimmungsausschuß, dessen polnischer Vorsitzenderaus Oberschlesien importiert werden mußte, da man in

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Hennersdorf beim besten Willen keinen Polen fand, nahmseine Tätigkeit auf. Inzwischen ist man aber auch auf deut-scher Seite nicht müßig gewesen. In rastloser Arbeit hatteder Ortsausschuß alle Vorbereitungen getroffen; die ab-stimmungsberechtigten Söhne und Töchter der Heimatwaren aufgerufen, und niemand hat sich der Pflicht ihrgegenüber entzogen, als der Ruf „Heimat in Not!“ durchDeutschland erscholl. Mitte März 1921 setzten sich dieersten Züge der Abstimmungsberechtigten gen Osten inBewegung, und von den Kindern der Gemeinde Henners-dorf hat kein einziges gefehlt. Sie kamen von Wien, vonden Ufern des Rheins, von Nord- und Ostsee, aus Berlin,Dresden, Chemnitz und vor allem aus Breslau, dasbesonders vielen Hennersdorfern zur zweiten Heimat ge-worden ist. Das war eine feierliche, vom Ernste der Zeitgetragene und doch von der Freude des Wiedersehens inder Heimat frohverklärte Wallfahrt! Ueberall Fahnen undgrüne Gewinde, herzliche Begrüßung, treffliche Verpfle-gung und treuliche Fürsorge! Und aus allen Abstim-mungszügen erklang das Lied „Nach der Heimat möcht’ich wieder“. Endlich tauchten die vertrauten Türme vonNamslau auf. Zum letzten Male hielt der Zug vor der Ein-reise ins Abstimmungsgebiet, und man sah es den Nams-lauern deutlich an, daß sie sich der besonderen Bedeutungeiner Begrüßung in diesem Augenblick voll bewußt wa-ren. Während man sonst auf der Fahrt nur die Bahnhöfegeschmückt fand, erschien hier die ganze Stadt in ein Meervon Fahnen getaucht . Besonders herzlich klang das Willkom-men, mit besonderer Freundlichkeit wurden die letzten Lie-besgaben gereicht, mit besonderer Innigkeit quollen liebeHeimatweisen aus jugendfrischen Kehlen zum Geleit insAbstimmungsland und gaben Zaghaften eine rechte Herzens-stärkung. Im Fluge zog Grambschütz mit seinem ge-schmückten Bahnhof vorüber. Der letzte deutsche Gruß?Nein, noch nicht! Kurz vor Noldau, dicht an der Demarka-tionslinie wehten noch einmal deutsche Fahnen siegverhei-ßend den Abstimmungszügen entgegen. Nun hielt der Zug

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auf der einem jeden seit Jugendtagen wohlvertrautenHeimatstation, und der ernste Zweck der Reise wurde durchden fremdartig anmutenden Anblick der langen Revisions-halle und der englischen Besatzung nur allzu schmerz-lich bewußt. Aber bald ging es auf bereit gestellten Wa-gen der Heimat entgegen. Da lag sie nun am Horizont mitden Türmen ihrer beiden Kirchlein, ihren roten Dächern,mit den Birken ihres weit ins Land hinausschauendenFriedhofs im goldnen Frühlingssonnenschein vor den Au-gen ihrer aus der Ferne heimkehrenden Kinder. Mit tieferRührung hat jeder dieses unvergeßliche Bild seiner Seele eingeprägt. „O du Heimat, lieb und traut!“

Endlich war sie erreicht. Jegliche Schmückung war von derInteralliierten Kommission verboten worden. So lehntendenn die vielen Ehrenpforten, die Straße und Hofeinfahr-ten zieren sollten, traurig an Hausgiebeln und Scheu-nen. Desto herzlicher klang aber der Willkommensgrußaus dem Munde unsrer Lieben, desto wärmer empfandman den innigen Druck der Hand, desto freundlicherwaren die Quartiere für die Gäste bereitet. Wo solcheInnigkeit warm entgegenstrahlt, da kann getrost auf alleAeußerlichkeiten verzichtet werden. Tag für Tag rolltennun die Wagen nach Noldau und brachten neue Abstim-mungsgäste. Besonders herzlich wurden die unter polni-scher Herrschaft geratenen Hennersdorfer Söhne und Töch-ter aus dem Reichthaler Ländchen begrüßt. Sie sind allegekommen, alle von dem Willen beseelt, die Heimat vor demSchicksal bewahren zu helfen, dem sie selbst wider allesgöttliche und menschliche Recht verfallen sind, alle von derHoffnung getragen, daß das Ergebnis der Abstimmung derAnlaß werden müsse, auch ihr trauriges Los zu wenden.Nur zu schnell verflogen die Tage bis zur Abstimmung.Da sanken sich Eltern und Kinder, Brüder und Schwes-tern, Freunde und Bekannte glückselig in die Arme, dawurden Jugenderinnerungen aufgefrischt, Freund-schaften aufs neue besiegelt, Kriegserlebnisse berichtet, dieStätten froh verlebter Kindheit aufgesucht, die stolz em-

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porgewachsenen Bäume bewundert, die so mancher vorJahren selbst gepflanzt oder veredelt hatte; da wurde mittiefem Weh der Jugendgefährten gedacht, die im bluti-gen Völkerringen ihr Leben für die Heimat geopfert ha-ben. Wohl keiner hat es versäumt, den entschlafenenLieben auf dem stillen Friedhofe eine Stunde treuen Ge-denkens zu weihen, keiner es unterlassen, von der Höhe217 aus einen Blick in das entrissene Land zu tun, dasnun ein schmaler Rasenstreifen von uns trennt. An denAbenden versammelte man sich zu froher Geselligkeit imSaale des Kretschams, wo die Jugend des Dorfes unterder feinsinnigen Leitung des unermüdlichen Lehrers ihrBestes zur Unterhaltung der Gäste bot; der Vorabend derAbstimmung aber war feierlichen Rüstgottesdiensten inbeiden Kirchen des Ortes gewidmet, und mit der Losung„Herr, mach uns frei!“ ging jeder dem Tage der Entschei-dung entgegen. Wolkenverhangen stieg der Morgen des20.. März 1921 aus der Dämmerung empor; aber bald hattedie Sonne strahlend und sieghaft das Gewölk zerteilt undso dem Tage das hoffnungsgewisse Siegel aufgedrückt. DasAbstimmungsrecht erschien einem jeden als selbstver-ständliche Pflicht. Darum staute sich schon um 8 Uhr dieMenge der Stimmberechtigten vor dem als Wahllokaldienenden altvertrauten Schulhause und konnte sichnur langsam an die Wahlurne heranarbeiten Der vonallen froh erwartete Landsmann aus Wien war erschie-nen. Nun fuhr ein gedeckter Wagen vor; ihm entstieg einejunge Wöchnerin, sorgsam gestützt und geführt von ih-rer Begleiterin. Ihr folgte eine Greisin vom äußersten Dorf-ende. Wohl drückt die Last der Jahre, und nimmermüdeArbeit hat den Rücken gekrümmt; aber Zeiten der Nothaben sie immer an vorderster Stelle gesehen, so auchan diesem Tage. Ein 81jähriger Landsmann aus Breslauhat die Mühen und Beschwerlichkeiten der Reise nichtgescheut und ist stolz darauf, der unvergessenen Hei-mat einen Dienst erweisen zu können. Kriegsverletztetreten herzu, um zum letzten Male für die Heimat zu

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kämpfen. Keiner der Anwesenden kann sich dem tiefen Ein-druck solcher Augenblicke entziehen. Inzwischen bietet dasWarten vor dem Wahllokal willkommene Gelegenheit,immer wieder alte Bekannte und Freunde zu begrüßen.Dabei herrscht drinnen und draußen eine so muster-hafte Ordnung, daß die Abstimmungs-Polizei wirklichnichts zu tun bekommt. Der bereitgestellte Schlepper-dienst braucht überhaupt nicht in Tätigkeit zu treten. —Nun senken sich die Abendschatten auf die heimatliche Flur;die Wahlhandlung wird geschlossen, und die Auszählung derStimmen beginnt. Von 415 ‘Stimmberechtigten haben 409,also 98,55 Prozent ihrer Pflicht genügt. 409 Stimmen, undalle für Deutschland! Der Polnische Vorsitzende des pari-tätischen Ausschusses und seine Gesinnungsfreunde vonder Apo mußten zu ihrer großen Betrübnis alle Felle weg-schwimmen sehen. Jeder, der die Verhältnisse in Hen-nersdorf kannte, hatte ein solches Ergebnis erwartet; aberder nun wirklich erreichte, nicht zu übertreffende Erfolgerfüllte einen jeden mit stolzester Freude und Genugtu-ung. Polnische Lockungen und Drohungen hatten nicht ver-mocht, auch nur einen einzigen wankend zu machen; derunerschütterliche Glaube an Deutschlands Wiederaufstiegund die Treue zum alten Vaterlande hatten herrlich ge-siegt. Es lag nahe, der hochgemuten Freude jubelnden Aus-druck zu geben; man unterließ es aber, um nicht der be-reitstehenden Apo an diesem Ehrentage der Heimat einenAnlaß zum Einschreiten zu geben. Der Sieg war glänzenderrungen, und das war einem jeden Freude genug. Die schier unerträgliche Spannung des Entscheidungstages hatte sich gelöst und einem wohltuenden Gefühl tief-ernster Befriedigung das Feld geräumt. Abstimmungsgäs-te nahmen dankbewegten Abschied, und das Leben der Hei-mat glitt allmählich wieder in den Alltag hinüber. DieAbgesandten Polens im Paritätischen Ausschuß und in derApo mußten die Zwecklosigkeit weiterer Bemühungen ein-sehen; die Freude der Hennersdorfer aber kam zum elemen-taren Durchbruch, und trotz des ergangenen Verbots wur-

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den über Nacht Ehrenpforten und Fahnen ihrer Bestim-mung zugeführt, so daß die Dorfstraße einer via trium-phalis glich. Als ein polnischer Abstimmungspolizist es inseiner Trunkenheit wagt, sich an einem dieser Ehrenzeichenzu vergreifen, erhob sich die sonst so ruhige Bevölkerung,wehrlos wie sie auch war, wie ein Mann, um den Frevelzu hindern. Bei dem Versuch, den sich wie rasend gebär-denden Trunkenbold festzusetzen, fiel der Arbeiter GottliebGiernoth am 24. März 1921 als Opfer seiner Heimattreue.Ein schlichter Denkstein mit der Inschrift „Dein treu-deutsch Bekenntnis ward Dir zum Verhängnis“ kündetder Nachwelt die Tat dieses braven Mannes, der durch fei-ge Mörderhand den Seinen entrissen wurde, nachdem ausden Stürmen des Weltkrieges glücklich wiedergegeben war.Und noch war das Maß der Leiden, die die Heimat zuerdulden hatte, nicht erschöpft. Die Wellen der durchKorfanty angezettelten oberschlesischen Aufstände schlugenbis über ihre Grenzen und zwangen ihre gesamte waffenfä-hige Mannschaft zu monatelangem Wach- und Vorposten-dienst im Verbande des oberschlesischen Selbstschutzes, bisendlich das Genfer Abkommen vom 20. Oktober 1921, dasdem gemarterten Oberschlesien die nie vernarbende,schwere Wunde schlug, ihr die Gewißheit des weiteren Ver-bleibens beim alten Vaterlande brachte. Der 20. März 1921hatte die Vorbedingung dafür geschaffen, so klar und eindeu-tig wie in nur wenigen Orten des ganzen Abstimmungs-gebiets, und darum war Hennersdorf vollauf berechtigt,die Erinnerung an diesen Ehrentag seiner Geschichte durchErrichtung eines Denkmals für alle Zukunft festzuhal-ten. Ein wuchtiger Findlingsblock, aus dem Schoß der Hei-materde ans Licht gehoben, gibt mit seiner lapidaren In-schrift „Treudeutsch allerwege“ den Grundzug des allge-meinen Fühlens jener Zeit wieder, zeigt aber auch denWeg, auf dem allein der Wiederaufstieg der Heimat unddes ganzen deutschen Volkes erreicht werden kann.

Die Abstimmung ist unsern Gegnern nur ein Mittel ge-wesen, um längst beschlossenem Raub weiterer deutscher

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Gebiete durch die fadenscheinige Hülle des Selbstbestim-mungsrechts vor der Welt ein moralisches Mäntelchenumzuhängen; uns aber gab sie in trüber Zeit den Glau-ben an Deutschlands Lebenswillen und Lebenskraftwieder. So hat sie den uns zugedachten Fluch zu einemSegen gewandelt, und die Erinnerung an sie wird es wei-ter tun, wenn wir einig sind und treu wie 1921.

Quelle: Heimat-Kalender für die östlichen GrenzkreiseNamslau,Groß-Wartenberg-Oels für das Jahr 1929

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Reichthal—Rathaus mit Ring

Reichthal—Promenade mit evangelischer Kirche

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Um jede Stimme wird gerungen

In Erinnerung an die Abstimmung ...

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7. Die blutende Grenze Niederschlesiens 1

7.1.Notlage und Sorgen des Grenzkreises Namslau.von Landrat Danckelmann.

Leider ist es wenig bekannt, daß durch den Machtspruchvon Versailles auch Niederschlesiens östlichen Kreisenschwere Wunden geschlagen wurden. Der niederschlesischeKreis Namslau, früher ein Binnenkreis, von dem russischenReiche durch die östlich vorgelagerte Provinz Posen getrennt,ist durch den Verlust dieser Provinz ein Grenzkreis gewor-den. Doch auch über die Grenze von Posen hinaus strecktedas neu entstandene Polenreich seine Hand weiter west-wärts nach dem Kreise Namslau aus mit dem unerwartetenErfolge, daß die alliierten und assoziierten Mächte es fürRecht befanden, ohne Abstimmung und entgegen allen ent-rüsteten Protesten der Bevölkerung das zum Kreise Nams-lau gehörige urdeutsche Reichthaler Ländchen, umfassenddie Stadt Reichthal. neun Landgemeinden und sechs Guts-bezirke mit zusammen 4590 Einwohnern und einer Flächevon 8482 Hektar, dem Polenreiche zuzuteilen.

Als Ende Juni 1919 bekannt wurde, daß durch Artikel27.7 des Versailler Vertrages vom 28. Juni 1919 das Schick-sal des Reichthaler Ländchens und fast der Hälfte des Krei-ses Groß-Warten-berg besiegelt war, wirkte diese Nachricht in den betroffe-nen Gebieten wie ein vernichtender Donnerschlag. Wie konn-te eine solche Entscheidung gefällt werden? In dem Entwurfdes Friedensdiktates vom 7. Mai 1919 war von einer Abtre-tung dieser Gebiete keine Rede. Nach der ursprünglichenFassung des Artikels 27,7 sollte die Grenze längs der bishe-rigen Westgrenze von Posen bis zur Bartsch verlaufen, alsodie Kreise Namslau und Groß-Wartenberg unberührt beiDeutschland lassen, allerdings die nördlich der Bartsch ge-legenen Teile von Militsch und Guhrau ebenso wie fast ganz1 Karte siehe S.43

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Oberschlesi-en ohne weite-res zu Polenschlagen. Esist bekannt,daß daraufhinin ganz Ober-schlesien, inMilitsch undGuhrau einSturm der Ent-rüstung los-brach und aufdie feindlichen Machthaber nicht ohne Ein - druck gebliebenist, sodaß die gefährdeten Teile von Militsch und Guhraubei Deutschland verblieben und Oberschlesien das Rechtder Abstimmung erhielt. Warum aber auch nicht Reichthalund Groß-Wartenberg? Weil aus diesen Gebieten keine Pro-teste eingegangen waren und die deutsche Friedensdelega-tion in ihren Gegenvorschlägen vom 29. Mai 1919 dieseGegend nicht erwähnte. Dazu lag auch gar kein Anlaß vor,da die ursprünglichen Friedensbedingungen Namslau undGroß-Wartenberg, wie schon oben gesagt, überhaupt nichtberührten. Bis zur Feststellung der endgültigen Friedens-bedingungen ist von polnischer Seite im Stillen eifrig mitvöllig irreführenden Mitteln gearbeitet worden, um Zu be-gründen, daß die begehrten Teile von Namslau und Groß-Wartenberg polnisches Gebiet seien. Der Zweck wurde er-reicht, indem die Mantelnote der alliierten und assoziiertenMächte vom 16. Juni 1919 diktatorisch festsetzte: „Infolge-dessen erwarten die verbündeten und assoziierten Mächtevon der deutschen Delegation innerhalb von fünf Tagen, vomTage der gegenwärtigen Mitteilung gerechnet, eine Erklä-rung, die ihnen zu erkennen gibt, daß sie bereit ist, denVertrag so, wie er heute ist. zu unterzeichnen. Andernfallswird der Waffenstillstand beendet werden, und die verbün-deten und assoziierten Mächte werden die Maßnahmen er-

Namslau,Krüppelheim der Barmherzigen Brüder

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greifen, die sie für notwendig erachten werden, um ihre Be-dingungen aufzuerlegen.“ — Unter diesen Umständen hat-te die deutsche Delegation keine Möglichkeit mehr, gegendie Losreißung unserer Grenzbezirke zu protestieren. DasUnglaubliche war unter dem Zwange der Gewalt Ereignisgeworden.

Das Reichthaler Ländchen ist deutsches Land. Von den1745 Wahlberechtigten des Reichthaler Ländchens habensich bei der im November 1919 veranstaltetenProbeabstimmung 1927 - 93 Prozent für Deutschland erklärtund bei der Deutschen National» Versammlung am 19.Januar 1919 von 2227 Wahlberechtigten sich 1827 — 82Prozent an der Wahl beteiligt, obwohl der polnische Volksratfür diese Wahl Wahlenthaltung proklamiert hatte.

Zwar konnte die Bevölkerung gegen ihre Losreißung vonDeutschland, wie oben gezeigt worden ist, vor demFriedensschluß nicht protestieren. Kaum war aber dasUngeheuerliche bekannt geworden, als ein Sturm vonProtesten losbrach. Kein einziger Ort hat sich dabeiausgeschlossen. Fremdländische Kommissionen wurdenherbeigerufen, um unbeeinflußt den Willen der Bevölkerungfestzustellen. Mit einer Einmütigkeit, die dem Kenner derVerhältnisse nicht überraschend kam, wurde das weitereVerbleiben bei Deutschland gefordert, und auch unter demjetzigen polnischen Druck hat die Bevölkerung die Hoffnungauf eine Wiedervereinigung mit Deutschland nichtaufgegeben.

Die Hoffnung auf eine Wiedergutmachung des an demReichthaler Ländchen begangenen Unrechts ist diesseits wiejenseits der neuen Grenze gleich lebendig. Denn nichts kanndarüber hinwegtäuschen, daß die Bewohner des Reichtha-ler Ländchens der deutschen Nation und Kulturgemein-schaft zugehörig sind und sich nach wie vor dieser zugehö-rig fühlen. Als am 20. Januar 1920 die Stadt Reichthal vonden Polen in Besitz genommen wurde, fanden die einmar-schierenden Truppen die Haustüren und Fensterlädenverschlossen und die Straßen menschenleer. Unter derÜberschrift „Die tote Stadt“ berichtete damals über den Ein-

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zug der Polen in Reichthal die ganze deutsche Presse. Nichtanders ist die Gesinnung, die die Reichthaler heute im Her-zen tragen.

Durch rauhen Eingriff hat die neue Grenzziehung zerstört,was in langer Kulturarbeit aufgebaut worden war. Vierdurchgehende Kunststraßen vermittelten im Kreise Nams-lau den Verkehr nach dem Reichthaler Kreisteil. Sie sinddurch die neue Grenze abgeschnitten. Die Bahnlinie Nams-lau—Reichthal— Kempen, die früher einen lebhaften Perso-nen- und Güterverkehr hatte, findet jetzt an der neuenGrenze ihr Ende. Jenseits der Grenze auf nunmehr polni-schem Gebiet sind auf eine lange Strecke die Schienen auf-gerissen und entfernt. Ein Kulturbild aus dem 20. Jahrhun-dert! Den Verkehr mit dem Reichthaler Ländchen vermitteltheute auf einer Grenzstrecke von 25 Kilometern ein einzi-ger Grenzübergang, was bei den vielfachen Beziehungenwirtschaftlicher und verwandtschaftlicher Art zwischen denOrtschaften auf beiden Seiten der neuen Grenze ein schwerempfundenes Hindernis bedeutet. Die Grenzführung selbstträgt den natürlichen Zusammenhängen in keiner WeiseRechnung. Besonders widersinnig ist sie zwischen den Ort-schaften Glausche und Reichthal. Ohne auf die Gemeinde-bezirksgrenzen Rücksicht zu nehmen, führt die neue Lan-desgrenze schnurgerade durch die Feldmark der GemeindeGlausche hindurch, als habe man beweisen wollen, daßLandesgrenzen auch mit dem Lineal zu ziehen seien. Einenum so größeren sackartigen Bogen macht aufallenderweisedie Grenze südlich anschließend tief in den Kreis Namslauhinein, sorgfältig der Grenze der früheren großen preußi-schen Staatsdomäne Skorischau folgend, die dadurch un-geschmälert polnischer Staatsbesitz geworden ist. In glei-cher Weise wurden polnischer Staatsbesitz die im Reichtha-ler Ländchen gelegenen preußischen Staatsforsten.

Durch die erwähnte gradlinige Grenzziehung zwischenGlausche und Reichthal werden 45 landwirtschaftliche Be-sitzungen quer durchschnitten, deren Bewirtschaftungdadurch aufs schwerste beeinträchtigt wird. Von diesen Be-sitzungen liegen jetzt 320 Hektar in Polen. Um die in Polen

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gelegenen Ackerstücke betreten zu dürfen, bedarf es für dieBesitzer und deren Arbeitskräfte der ständigen Mitführungbesonderer Grenzausweise. Die Besitzer müssen ihre Pfer-de allmonatlich einer Untersuchung durch den beamtetenpolnischen Tierarzt unterwerfen. Das Rindvieh bedarfebenfalls derartiger Untersuchungen. Tritt irgendwo im Krei-se Namslau eine Viehseuche auf, so schließt sich automa-tisch die Grenze. Haben die Besitzer wegen ihrer jenseitsder Grenze gelegenen Ackerstücke steuerliche oder sonsti-ge Angelegenheiten in Reichthal zu regeln, so sind sie ge-zwungen, obwohl Reichthal handgreiflich nahe vor ihnenliegt, den einzigen vorhandenen, weit entfernten Grenzü-bergang zu benutzen, was für sie einen Umweg von 16 Kilo-metern bedeutet. Alle diese Umstände lassen die betreffen-den Landwirte natürlich nie zur Ruhe kommen und ma-chen eine fachgemäße Wirtschaftsführung schlechterdingsunmöglich. Von einschneidendster Bedeutung ist die Zer-reißung der Besitzungen auch für deren Kreditverhältnis-se. Dadurch, daß ihr Areal zum einen Teil im Inland, zumanderen Teil in Polen liegt, ist ihnen die Grundlage für einenausreichenden Realkredit genommen.

Nicht genug damit, daß das Reichthaler Ländchen dempolnischen Staate zugeschlagen wurde, glaubte Polen nochauf weitere Teile des Kreises Namslau Ansprüche erhebenzu dürfen. Infolgedessen wurde der Kreis Namslau von denInteralliierten Mächten als einziger nichtoberschlesischerKreis mit 13 Gemeinden und 8 Gutsbezirken von 11485Hektar Fläche und 5547 Einwohnern in das oberschlesischeAbstimmungsgebiet einbezogen. Wie unberechtigt dieseMaßnahme war, und wie sie auf einer gänzlichen Verken-nung der Verhältnisse beruhte, geht klar daraus hervor,daß bei der Abstimmung am 20. März 1921 nicht wenigerals 97 1/2 % der Abstimmungsberechtigten im Abstim-mungsgebiete des Kreises Namslau trotz des Druckes, un-ter dem die Abstimmung stand, sich offen für Deutschlandbekannten. Die hart an der neuen Landesgrenze und un-mittelbar benachbart dem angeblich „polnischen“ Reicht-

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haler Ländchen liegende Gemeinde Hennersdorf kann mitStolz von sich sagen, daß alle Abstimmungsberechtigten derGemeinde ohne Ausnahme für Deutschland stimmten. DieErinnerung hieran soll ein von der Gemeinde errichteterDenkstein wacherhalten. Ebenso eindeutig deutsch wäredas Bekenntnis des Reichthaler Ländchens gewesen, hätteman es nicht mundtot gemacht und abstimmungslos nachPolen verschoben.

Durch den Machtspruch von Versailles ist das Reichtha-ler Ländchen polnisches Staatsgebiet geworden. Was kul-turell und wirtschaftlich zusammengehört, trennt heute dieneue Grenze.

Reichthal, früher im Kreise Namslau ein emporstreben-des wohlhabendes Landstädtchen, verkümmert und stirbtab. Alte lebensvolle, naturgewiesene Verkehrsbeziehungensind gewaltsam zerrissen. Den einzigen „offenen“ Grenzü-bergang, die alte Namslau—Reichthal—Kempner Straße,sperrt der Schlagbaum an der neuen Grenze.

Alle Geschichtsquellen und erhalten gebliebenen Urkun-den stimmen darin überein, daß der Kreis Namslau in sei-nem ganzen Umfange, wie er vor der Zerreißung durch dasVersailler Diktat bestand, altes deutsches Kolonistenlandist, daß insbesondere auch die Ortschaften im ReichthalerLändchen deutscher Siedlung ihren Ursprung verdanken,und daß das Reichthaler Ländchen ebenso wie der übrigeTeil des Kreises Namslau durch die Jahrhunderte deutschesGebiet geblieben ist, niemals aber dem Polenreiche zuge-hört hat. Und wenige Gebiete Schlesiens werden vonsich sagen können, daß sie schon so früh dem DeutschenReiche zugehörig gewesen sind, wie gerade der NamslauerBezirk.

Polnische Geschichtsschreiber aus dem Mittelalter, unterihnen Johann Dlugoß. Domherr von Krakau (gest. 1480),haben den Ort Schmograu — gelegen im Kreise Namslau,wenige Kilometer entfernt von Reichthal — als die Wiegedes schlesischen Christentums bezeichnet, wo im Jahre 970die erste Kirche Schlesiens errichtet sei, und wo in der dar-auf folgenden Zeit mehrere Jahrzehnte hindurch die ersten

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schlesischen Bischöfe ihren Bischofssitz gehabt hätten. Esgeht daraus hervor, daß die Polen im 15. Jahrhundert der Überzeugungwaren, daß die Gegend um Namslau und Reichthal bereitsum die Wende des ersten Jahrtausends christlicher Zeit-rechnung zu Schlesien gehört hat. Der Deutsche Orden war es, der an der Kolonisierungdes Namslauer Bezirkes besonderen Anteil hatte. HermannBall, Prokurator des Deut-schen Ordens, verlieh 1233mit Zustimmung des HerzogsHeinrich I. und des BischofsThomas I. von Breslau dem Ka-plan Ägidius von Namslau dieGebiete von Lassusino undBandlo bei Reichthal zur Be-siedlung aus Aussetzung „zudeutschem Recht“. Die Chro-nik des Bistums Breslau vomJahre 1305 berichtet bereitsüber zahlreiche Orte deut-scher Siedlung imNamslauerBezirke, darunter auch überdie Mehrzahl der Orte desReichthaler Ländchens, wie Droschkau oder Gerhardsdorf, Skorischau, das der Mittel-punkt der Verwaltung des bischöflichen Grundbesitzes imNamslauer Bezirke war und als solcher befestigt wurde,Kreuzendorf, das nach den Kreuzherren vom DeutschenOrden seinen Namen erhielt und 1249 an den Bischof vonBreslau abgetreten wurde, weiter über Bandlau, Schade-gur, Butschkau und Proschau, und zwar „daß sie deutscheSchultheißen und Pfarrer hatten und vor 1251 zu deutschemRechte saßen“. Aus der ganzen Geschichte von der ältesten Zeit bis zurGegenwart erhellt, daß das Reichthaler Ländchen und dergesamte Kreis Namslau nach Ursprung und Entwicklung

Rathaus der KreisstadtNamslau

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deutsches Land sind, und daß Polen in diesem Kreise nieeinen Rechtstitel besessen hat. —

Nach der Abtretung des Reichthaler Ländchens an Polenumfaßt der Kreis Namslau heute ein Gebiet von 50 460Hektar mit der Kreisstadt Namslau, 56 Landgemeinden und45 Gutsbezirken mit insgesamt 31036 Einwohnern. Die Kreis-stadt Namslau ist eine der ältesten germanischen Siedlun-gen auf schlesischem Boden. Gegründet wahrscheinlich umdas Jahr 1040 während der Zugehörigkeit Schlesiens zuBöhmen, kommt der an der Handelsstraße von Breslau nachKrakau gelegene Ort bald zu hoher wirtschaftlicher Blüteund hat sogar vorübergehend eigenes Münzrecht. KaiserKarl IV., der wiederholt hier weilte, die günstige Lage unddie Bedeutung der Stadt erkannte, ließ sie stark befestigen.Allen Kämpfen und Stürmen in dem großen Ringen zwischenGermanen- und Slawentum trotzte die von ihm errichteteStadtmauer. Bis auf den heutigen Tag sind ihre Reste, anvielen Stellen als Doppelmauer, erhalten. Zahlreiche ande-re alte Bauten legen Zeugnis ab von der früheren Blüte undBedeutung der Stadt. So das aus der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts stammende Rathaus, dessen in neuester Zeiterfolgter Umbau den Charakter des herrlichen Bauwerksnicht beeinträchtigt hat, das zusammen mit den alten Gie-belhäusern des Ringes ein reizvolles Städtebild bietet. Alsdas schönste Bauwerk der Stadt und zugleich als eine derschönsten Kirchen Schlesiens darf die in gotischem Stil er-baute katholische Kirche angesprochen weiden, die in derZeit von 1400—1450 errichtet wurde. An den DeutschenOrden erinnert das etwa aus dem Jahre 1360 stammendeStadtschloß, das in späterer Zeit Residenz eines Komturswar. In der Nähe des Stadtschlosses steht die Ruine desältesten Bauwerks der Stadt, des bereits 1285 von Minori-ten bewohnten und bis 1810 den Franziskanern gehören-den Klosters. In der. Kreisstadt befindet sich eine große Brau-erei und eine Anzahl kleinerer Industrien. Im übrigen hatder Kreis rein landwirtschaftlichen Charakter. Es wechselnAckerbau und Waldbau in bunter Mischung. Auf Acker und

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Wiesen entfallen etwa 3/4, auf Waldungen etwa 1/4 derGesamtfläche. Die Bodenbeschaffenheit im Kreise ist nichteinheitlich. Neben guten und mittleren Böden, die etwa dieHälfte der Fläche ausmachen, hat er zur anderen Hälftegeringere, leichte Böden, die aber bei guter Bewirtschaf-tung gleichfalls durchaus ertragbringend sind. Zwar ohneBerge, aber doch mit einigen Erhebungen und im ganzenwellig, bietet der Kreis, zumal in seinem südlichen Teile, beidem steten Wechsel von Acker, Wiesen, Gehölzen und Fors-ten immer neue reizvolle Landschaftsbilder. In diesem süd-lichen Teile ist auch in waldreicher Umgebung das SchloßMinkowsky gelegen, das Friedrich der Große dem Reiterge-neral von Seydlitz als Ruhesitz erbauen ließ als Dank fürdie dem preußischen Staate geleisteten Dienste. Im Parkedes Schlosses schmückt, beschattet von alten Baumriesen,ein von Efeu überwuchertes Grabdenkmal die Stelle, wo deralte Reitergenera! zur Ruhe bestattet liegt.

Durchflossen wird der Kreis von dem Stober und der Wei-de, zwei kleinen zur Oder strebenden Flüßchen, von denendie Weide, mit der Landschaft des Spreewaldes vergleich-bar, bis an die Stadt Namslau heran einen umfangreichenBruch bildet, der nicht nur der Stadt zum Schmucke ge-reicht, sondern auch einladet zur Erholung bei Ruderfahr-ten und sommerlichem Baden. Die Niederungen dieser bei-den Flüßchen, die größtenteils noch der Regulierung har-ren, leiden bei dem geringen Gefälle und den vielen Müh-lenstauen häufig unter ausgedehnten Ausuferungen, dieder Landeskultur in hohem Maße schädlich sind. An land-wirtschaftlichen Betrieben überwiegt im Kreise Namslau derGroßgrundbesitz, der etwa 6l Prozent der Fläche umfaßt.Der Rest von 40 Prozent verteilt sich auf bäuerliche Wirt-schaften und Kleinbesitz. Es befinden sich im Kreise aucheinige größere Teichwirtschaften, die nach neuzeitlichen Me-thoden die Fischzucht betreiben, welche ansehnliche Erträ-ge an Nutzfischen, insbesondere an Karpfen, bringt, diezumeist als Weihnachtskarpfen den städtischen Märktenzugeführt werden. Durch ihren Krebsreichtum bekannt war

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früher mit ihren Zuflüssen die Weide, Leider haben Seu-chen die Krebsbestände fast völlig vernichtet.

Schon von Natur benachteiligt durch das wenig günstigeKlima der rechten Oderseite, das auch bei sonst gleichenBedingungen ähnliche Bodenerträge, wie sie die Kreise aufder linken Oderseite aufzuweisen haben, nicht aufkommenläßt, ist der Kreis Namslau auch von jeher durch seine Ver-kehrslage in der allgemei-nen Entwicklung gehemmtgewesen. Ihm fehlt insbe-sondere die Eisenbahnver-bindung nach Brieg, die ihnnicht nur auf dem kürzes-ten Wege mit der Oderwas-serstraße und der Haupt-eisenbahnstrecke Ober-schlesien—Breslau—Ber-lin, sondern auch mit demInneren von Schlesien undmit dessen Süd- und West-teil in unmittelbare Verbin-dung bringen würde.Überhaupt hat die ganzerechte Oderseite, wie einBlick auf die Karte erken-nen läßt, hinsichtlich derAusgestaltung des Eisen-bahnnetzes eine außeror-dentlich stiefmütterliche Behandlung erfahren. Selbst imVergleich zu den früheren Provinzen Westpreußen und Po-sen ist das Eisenbahnnetz in den mittelschlesischen Krei-sen der rechten Oderseite ein höchst dürftiges.

In schwerster Weise ist der Kreis Namslau durch den Ver-sailler Vertrag verstümmelt und in seiner Entwicklung zu-rückgeschleudert worden. Durch die Abtretung des Reicht-haler Ländchens sind ihm nahezu 1/6 der Kreisfläche undetwa ebensoviel an Einwohnern verloren gegangen. Einengroßen Teil der Steuerlast hat der Kreis dadurch eingebüßt.

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Nicht weniger schlimm sind die allgemeinen Folgen der neuenGrenzziehung, die ohne Rücksicht auf Verkehrs- und Wirt-schaftszusammenhänge Gebiete zerriß, die von alters herzusammengehörig, wirtschaftlich aufeinander angewiesensind und als Absatz- und Bezugsgebiete sich einander er-gänzten.

Rege Wirtschaftsbeziehungen hatte der Kreis Namslau frü-her zur Provinz Posen, mit welcher er durch die Eisenbahn-linie Namslau—Reichthal—Kempen—Ostrowo—Posen un-mittelbar verbunden war. Durch die Abtretung der ProvinzPosen ist dem Kreise Namslau nach Osten das gesamte Hin-terland verloren gegangen. Die genannte Bahnlinie läuft sichjetzt an der neuen Grenze tot. Schwerste Schädigungen hatfür den Kreis Namslau auch die Gestaltung der Verhältnis-se in Oberschlesien zur Folge gehabt. Von jeher war derdurch den Versailler Vertrag polnisch gewordene ostober-schlesische Industriebezirk wegen seiner frachtgünstigenLage und seiner Aufnahmefähigkeit das hauptsächlichsteAbsatzgebiet für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse desNamslauer Kreises, der umgekehrt auch seinen Bedarf anKohle und Industrieerzeugnissen aus ebendiesem Gebietedeckte. Dieses wichtigen Absatz- und Bezugsgebietes ist derKreis Namslau durch die neue Grenzziehung verlustig ge-gangen. Aber auch der Industriebezirk des bei Deutschlandgebliebenen Westoberschlesiens ist dem Kreise Namslau alsAbsatzgebiet verloren gegangen durch die Bestimmung desGenfer Abkommens, wonach 15 Jahre lang landwirtschaft-liche Erzeugnisse aus Polnisch-Ostoberschlesien nachDeutsch-Westoberschlesien zollfrei eingeführt werden dür-fen. Der beste Beweis ist die Tatsache, daß die BahnstreckeNamslau— Kreuzburg, auf welcher früher fast alle Erzeug-nisse des Namslauer Kreises nach Oberschlesien verfrach-tet wurden, von solchen Frachten heute völlig entblößt ist.

Infolge des Verlustes seiner wichtigsten Absatzgebiete istder Kreis Namslau gezwungen, sich wirtschaftlich anderszu orientieren. Welche Schädigungen damit auf Jahre hin-aus für seine gesamte Wirtschaft verbunden sein müssen,leuchtet ohne weiteres ein. Will nicht der Kreis Namslau in

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seiner jetzigen isolierten Lage verkümmern, muß er mit al-len Mitteln danach trachten, daß mit größter Beschleuni-gung der Bau der Eisenbahnlinie Namslau—Brieg zur Durch-führung gelangt, die bereits seit Jahrzehnten erstrebt wur-de, heute aber unter den veränderten Verhältnissen nachdem übereinstimmenden Urteil aller Wirtschaftskreisegeradezu eine Lebensnotwendigkeit für den Kreis Namslaugeworden ist. Wie die Verhältnisse liegen, kann für den Ver-lust des östlichen Hinterlandes und den Verlust von Ober-schlesien als Absatzgebiet dem Kreise Namslau ein teilwei-ser Ausgleich nur dadurch geschaffen werden, daß er durcheine Eisenbahnlinie mit Brieg verbunden wird, die ihm denAnschluß an die innerschlesische Wirtschaft bringen wür-de. Von gleicher Dringlichkeit ist der Bau einer Bahnlinievon Neumittelwalde über Groß-Wartenberg nach Namslau,die den durch die neue Grenzziehung am meisten geschä-digten unmittelbaren Grenzbezirken der Kreise Groß-War-tenberg und Namslau einen Ersatz für die abgeschnittenenBahnen und Chausseen geben und ihnen den notwendigenwirtschaftlichen Rückhalt bieten soll. Auch diese Bahn, de-ren Bau gleichfalls schon seit langer Zeit gefordert war, istunbedingt erforderlich, um dem Grenzgebiete die Lebens-und Entwicklungsmöglichkeit zu erhalten. Es ist dringendzu hoffen, daß die Verhandlungen im Reichstage über denBau der Bahnlinie Brieg—Namslau—Groß-Wartenberg—Neumittelwalde als durchgehende Strecke bald zu einempositiven Ergebnis führen werden.

Eine schwere und nicht weiter aufschiebbare Aufgabe istes für den Kreis, das durch die neue Grenzziehung zerrisse-ne Straßennetz wiederherzustellen. Von den vier durch dieneue Grenzziehung abgeschnittenen Straßen liegen drei inder nunmehr zu Polen gehörigen Stadt Reichthal zusam-men. Es ist unumgänglich, diese Straßen auf deutschemGebiet durch Querstraßen wieder untereinander zu ver-binden.

Ein weiteres brennendes Problem ist die große Wohnungs-not in Stadt und Land. Seit sich das Schicksal der abgetre-

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tenen Gebiete entschieden, findet aus diesen ein fortgesetz-ter Zuzug von Familien statt, die teils gezwungen, teils frei-willig über die Grenze abwandern, um sich im hiesigen Krei-se, möglichst nahe ihrer bisherigen Heimat, Existenz undUnterkunft zu suchen. Die allgemeine Wohnungsnot hatdadurch eine starke Verschärfung erfahren. Von großerWichtigkeit ist ferner auch die Förderung des Baues vonLandarbeiterwohnungen zwecks Heranziehung und Seß-haftmachung deutscher Arbeitskräfte an Stelle der auslän-dischen Saisonarbeiter, die immer noch in einer großen Zahlvon landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt werden.

Eine gleichfalls auf die neue Grenzziehung zurückzufüh-rende Erscheinung ist die außerordentliche Kreditnot imhiesigen Grenzgebiete, unter welcher Landwirtschaft, Han-del und Gewerbe, die namentlich wegen der Verschlechte-rung der Verkehrslage und des Verlustes von Hinterlandund Absatzgebieten ohnehin hier mehr als anderwärts umihre Existenz zu kämpfen haben, in gleichem Maße leiden.Die Geldgeber kennen die Not des Grenzlandes und die sichauf allen Gebieten auswirkenden Folgen der neuen Grenz-ziehung und ziehen es deshalb vor, das Grenzgebiet zumeiden. Soweit in die Grenzkreise überhaupt Kredite gege-ben werden, geschieht es unter größter Zurückhaltung underschwerten Bedingungen.Nachdem der Kreis Namslau durch die neue Grenzziehungunmittelbare Grenzmark geworden ist, hat auch die Sied-lungsfrage für ihn hohe Bedeutung gewonnen. Die Bevölke-rungsbewegung im Kreise Namslau in den vergangenenJahrzehnten ist eine wenig günstige gewesen. Der Kreiszählte 1871 : 37 319, 1890 : 36 603, 1900 : 34 548, 1910 : 33452 und 1925 (allerdings nach Verlust von 5000 Einw. desReichthaler Ländcens) = 31036 Einw. Die Bevölkerungsdichtebeträgt nur 60 Einw. auf das Quadratkilometer gegenübereinem Durchschnitt von 124 für Schlesien und von 130 fürPreußen. Unter diesen Umständen erscheint eine Vermeh-rung der Bevölkerung und der selbständigen Existenzendurch Schaffung neuer Bauernstellen dringend geboten. Es

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kann nicht zweifelhaft sein, daß eine gesunde Siedlung dasgeeignete Mittel ist, den Grenzbezirken die nötige innereFestigkeit und eine erhöhte Widerstandkraft nach außenzu geben. Voraussetzung für eine gesunde Siedlung ist aberwiederum das Vorhandensein guter Verkehrswege,insbesondere von Eisenbahnlinien nach dem Innern desLandes, die auch deshalb notwendig sind, um dem Grenzge-biete die Unterhaltung lebensvoller Beziehungen zum Lan-desinnern zu ermögli-chen. Diese Bedeutunghat für die Kreise Groß-Wartenberg und Nams-lau die schon mehrge-nannte Bahnlinie Brieg--Namslau-Groß-War-tenberg- Neumittelwal-de.

Von größter Wichtig-keit für die Landeskul-tur wäre eine durchgrei-fende Regulierung des Stobers und der Weide. Durch Meli-orierung könnten in beiden Niederungen große Flächen jetztminderwertiger Äcker und Wiesen in ertragsfähiges Kultur-land verwandelt werden.

Auf kulturellem Gebiete ist eine Verbesserung des Bil-dungswesens zu fordern, und es erscheint der Wunsch be-rechtigt, daß wenigstens die Kreisstadt eine höhere Schuleerhält. Die in Namslau bestehenden „gehobenen Klassen“,die bis zur Untersekunda einschließlich führen, können demBedürfnis unseres Grenzkreises nicht mehr genügen. Größ-tes Gewicht muß auch darauf gelegt werden, das Volkschul-wesen in den Grenzgebieten vorbildlich zu gestalten. DieSchulgebäude müßten von bester Beschaffenheit sein, unddie bewährtesten Lehrkräfte waren hier am Platze. Hierzumüssen kommen die Darbietung geeigneten Lesestoffs inVolksbüchereien, die Veranstaltung von guten Theatervor-führungen, Konzerten und Vorträgen, und nicht zuletzt die

Schloßhof Namslau

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Pflege von Leibesübungen, Sport und Spiel. Auch in ihrensonstigen Zweigen haben Jugendpflege und Wohlfahrtspflegeihre besondere Bedeutung hier im neuen Grenzgebiete.

Allen diesen Nöten und Sorgen eines durch den VersaillerVertrag schwer geschädigten Grenzkreises hat sichneuerdings eine weitere äußerst ernste Sorge zugesellt. Vondem Reichswehrministerium wird ernsthaft erwogen, derKreisstadt unseres Grenzkreises die hier seit über 120 Jah-ren bestehende Garnison zu nehmen. Alle Gegenvorstellun-gen der Behörden, von Kreistag und Stadtverordnetenver-sammlung und alle dringenden Proteste der gesamten Be-völkerung aus Stadt und Land ohne Unterschied des Stan-des und der Partei haben bisher dieses Damoklesschwertnicht von unserem Grenzlande zu nehmen vermocht. Vonniemand wird es verstanden, daß unserem unter dem schwe-ren Drucke der Grenzlandnot stehenden, um seine Existenzringenden Grenzgebiet ein solch neuer Schlag und ein Scha-den zugefügt werden soll, der nicht wieder gutzumachenist. Daß in einem notleidenden Grenzgebiet das Vorhandens-ein einer Reichswehrgarnison einen wirtschaftlichen, fi-nanziellen, kulturellen, nationalen und moralischen Faktorersten Ranges darstellt, ist ohne weiteres einleuchtend.

Der Kreis Namslau hat durch die neue Grenzziehung inseiner Entwicklung und Leistungsfähigkeit schwerste Ein-buße erlitten. Gleichwohl wird er mit allen Kräften trach-ten, den Aufgaben gerecht zu werden, die er als Grenzmarkzu erfüllen hat. Er zählt dabei auf weitgehende Unterstüt-zung durch Reich und Staat, die hier ernste Pflichten ha-ben. Deutsch, wie er stets gewesen, wird der Kreis Namslaubleiben, und weiter brennen wird die ihm geschlageneschwere Wunde: - - Reichthal, von alters her dem KreiseNamslau zugehörig, kerndeutsches Land.

Die Kreisstadt Namslauist mit ihren 6500 Einwohnern die größte Stadt des in der„Notgemeinschaft der Mittelschlesischen Ostgrenzkreise“zusammengefaßten Gebiets. Sie liegt in landschaftlich

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reizvoller Umgebung an der Weide, einem rechtenNebenflusse der Oder. An den Verkehr ist die Stadt durchdie Rechte-Oder-Ufer-Eisenbahn (Breslau—Kreuzburg)angeschlossen, mit der man Breslau in 1 1/4 Stundenerreicht. Ferner führt eine Bahn über den in der Nähegelegenen, reizvollen, aber leider sehr wenig bekanntenBadeort Carlsruhe nach Oppeln. Die erst kurz vorKriegsausbruch 19111 fertiggestellte Bahn Namslau—Reichthal—Kempen endet seit der neuen Grenzziehung inder Grenzstation Buchelsdorf.

Die Stadt ist seit der abstimmungslosen Abtretung desReichthaler Landes die einzige Stadt des Kreises. Sie ist inihrem Wirtschaftsleben auf den rein landwirtschaftlichenCharakter des Kreises eingestellt. Daher wirken sich alledem Kreise durch die Grenzziehung entstandenen Schädenin besonderem Maße auf die Kreisstadt aus. Die Hauptur-sache aller Schäden liegt in dem Verlust weiter Absatzge-biete für den städtischen Gewerbe- und Kaufmannsstand,die ihre Waren und Erzeugnisse insbesondere nach demabgetretenen Kreisteil und in den Südteil der früheren Pro-vinz Posen ausführten. An diesem Verlust sind besondersfolgende Gewerbezweige beteiligt: Tischlereien, Baugeschäf-te, Sägewerke, Werkstätten für landwirtschaftliche Maschi-nen, Lederhändler, Schuhwarenhändler, Bekleidungsge-schäfte, Kolonialwarenhändler. Die Verluste der einzelnenBerufszweige lassen sich naturgemäß nur sehr schwer er-mitteln, doch dürfte im allgemeinen der Umsatzverlust mit20 bis 30 Prozent, zum Teil sogar bis 35 Prozent des Gesamt-umsatzes anzunehmen sein. Die gleichen Verlustziffern tref-fen auch für den Großhandel zu, der hier insbesondere alsHandel mit Vieh und landwirtschaftlichen Erzeugnissenvertreten ist. Der Verlust dieser Großhandelszweige ist zumTeil auch darauf zurückzuführen, daß nicht nur die vorste-hend genannten Absatzgebiete ausgefallen sind, sondern

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auch das oberschlesische Industriegebiet, weil nach denBestimmungen des Genfer Vertrages landwirtschaftlicheErzeugnisse aller Art aus dem polnisch gewordenen TeilOberschlesiens in den deutsch gebliebenen Teil zollfrei ein-geführt werden dürfen, so daß der heimische Handel nichtmehr konkurrenzfähig ist. Größere Industrien sind in unse-rer Stadt nicht vorhanden mit Ausnahme einer etwa 300Arbeiter beschäftigenden Brauerei, die in dem ReichthalerLande, in der Provinz Posen und in Ostoberschlesienebenfalls sehr erhebliche Absatzgebiete verloren hat. Esbedarf keiner näheren Begründung, daß diese Verluste einestarke Verminderung der Steuerkraft der Bevölkerung zurFolge haben, die deswegen ganz besonders schwer ins Ge-wicht fällt, weil die veränderten Verhältnisse die Stadt auchvor zahlreiche neue Aufgaben gestellt haben. Der Verlustdes Hinterlandes und der Verkehrswege nach der früherenProvinz Posen zwingt die Stadt zu einer vollständigen Neu-orientierung auf wirtschaftlichem Gebiet, deren unerläßli-che Vorbedingung die Schaffung einer Bahnverbindung nachden Städten Groß-Wartenberg und Neumittelwalde im Nach-barkreise Groß-Wartenberg ist. In ihrer Fortsetzung nachBrieg soll diese Bahn die schon längst geplante, unbedingtnotwendige Querverbindung zwischen den beiden von Bres-lau nach Oberschlesien führenden Bahnlinien bilden undgleichzeitig die Grenzgebiete an den Wasserweg der Oderund in nähere Verbindung mit den links der Oder liegendenTeilen der Provinz bringen.. Die dringendsten Aufgaben füreine gedeihliche Weiterentwicklung der Stadt auf Grundla-ge der durch die Grenzziehung geschaffenen Verhältnissesind die Einrichtung einer höheren Lehranstalt, die Durch-führung der Gesamtkanalisation und die Behebung derWohnungsnot, die in unserer Stadt durch den Zuzug vonFlüchtlingen erheblich gesteigert wurde, so daß zur Zeit nochetwa 320 Wohnungen fehlen. Die Stadt erhofft auf diesen

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Gebieten weitgehende Unterstützung von Reich und Staatum so mehr, als es trotz vielseitiger Bemühungen nicht ge-lungen ist, die neue Gefahr abzuwenden, die der Stadt durchdie Verlegung der länger als 120 Jahre hier liegenden Gar-nison droht. Unverständlich erscheint der gesamten Bevöl-kerung diese Maßnahme, die unserer Stadt zu allen bishererlittenen Verlusten neue Schäden bringen muß, die niewieder gutzumachen sein werden. Das staatspolitische In-teresse fordert, daß man dem Grenzgebiet nicht nur dasbeläßt, was es besitzt, sondern daß man es in jeder Bezie-hung fördert und auf diese Weise in den Stand setzt, seinebesonderen Aufgaben zu erfüllen. Unsere Bevölkerung hatden festen Willen, sich aus der unverschuldeten wirtschaft-lichen Not herauszuarbeiten und sich zu einem starken,widerstandsfähigen Bollwerk des Deutschtums auszuwach-sen. Sie bedarf dazu aber des Rückhalts an den Volksgenos-sen im Reich und der tatkräftigen Unterstützung von Reichund Staat, Möge man an den maßgebenden Stellen recht-zeitig erkennen, daß Grenzlandnot deutsche Not, Grenz-landschicksal deutsches Schicksal ist.

Quelle: „Die blutende Grenze Liederschlesiens“ Sonderdruckaus der Heimatzeitsdchrift „Wir Schlesier“ Nr./ vom 1.Januar1929

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8. 10 Jahre danach ...

Abstimmungs-Gedenkkundgebung im KreiseNamslau am 22. März 1931.

von H. König.

Sonntag, der 22. März 1931, der Tag des allgemeinenGedenkens an die Oberschlesische Abstimmung vor 10 Jah-ren, war nicht nur für Noldau, dem Orte der offiziellen Kund-gebung, sondern für alle 13 Orte des früheren NamslauerAbstimmungsgebiets (Bachwitz, Dammer, Erbenfeld, Fried-richsberg, Erdmannsdorf, Hennersdorf, Johannsdorf, Nol-dau, Polkowitz, Sophienthal, Steinersdorf, Sterzendorf undWallendorf) ein großer Tag der Erinnerung und der Besin-nung zum Deutschtum der Tat und ein Tag deutscher Hei-matverbundenheit im Grenzland. Wie vor 10 Jahren! Fah-nenschmuck und Grün an den Häusern und auf den Stra-ßen und Plätzen. Manch lieber Abstimmungsgast als alterJugendfreund und manch kernigdeutscher Führer der da-maligen Tage, den der Lauf der Zeit aus seiner Heimattreu-en Dorfgemeinde weggeführt hatte, war zur Stelle. Das Früh-lingswetter tat auch das Seinige.

Den Kernpunkt bildete die offizielle Gedenkkundgebungin Noldau am Sonntag, dem 22. März 1931, nachmittags 2Uhr. Fast 4 000 Menschen hatten sich am Dorfeingang amGasthaus Janke eingefunden, die nun hinauszogen nachdem nahen Sportplatz. Diese Kundgebung war wieder einmalein machtvolles Bekenntnis geeinten deutschen Volkstumsund deutscher Heimatverbundenheit aller Schichten derBevölkerung des Kreises Namslau, insbesondere der Ortedes Kreises, deren Deutschtum s. Z. durch Einbeziehungin das Abstimmungsgebiet in Zweifel gezogen worden war.

Von den Spitzen der Behörden waren für den Oberpräsi-denten und den Regierungspräsidenten in Breslau Vizeprä-sident Wagner, Breslau, ferner Landrat Danckelmann,Namslau, sowie Vertreter der Stadt und aller im Kreise Nams-

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lau vertretenen Behörden erschienen. Die Vereine der Ab-stimmungsorte (Krieger-, Sport-, Gesangvereine, Feuerweh-ren), die bereits während der Abstimmungszeit mitgewirkthatten, waren mit ihren Fahnen in geschlossenen Formati-onen anwesend. Nach den offiziellen Begrüßungsworten desAusschußvorsitzenden, Lehrer Rademacher. Noldau, sprachVizepräsident Wagner namens der Staatsregierung und dervon ihm vertretenen Breslauer Behörden, von ihnen Grü-ße und beste Wünsche zur heutigen Gedenkstunde über-bringend. Dem Namslauer Abstimmungsgebiet kein Unbe-kannter, nahm er doch 1922 die Schulverwaltung diesesGebiets von den oberschlesischen Behörden in die Verwal-tung der Regierung Breslau zurück, betonte er das Zweier-lei dieses Tages, das freudige Gedenken an den Sieg desAbstimmungstages vor 10 Jahren und den traurigen Rück-blick an das, was aus diesem Siege gemacht worden sei.Wenn schon, sagte er, immer ein Sieg einen Kampf voraus-sehe und dieser Kampf Wunden schlage, so seien die unsgeschlagenen wirtschaftlichen und kulturellen Wunden inOberschlesien und auch hier im Bezirk Mittelschlesien durchAbtretung des nahen Reichthaler Ländchens und Teilen desGroß-Wartenberger Kreises so schwer, daß sie uns unver-geßlich bleiben. Die neue, wahrlich zu begrüßende Idee desSelbstbestimmungs- rechts der Völker sei leider noch nichtvollwertig, kaum 10prozentig, wenn sie das bringe, an daswir heute in Trauer dächten. Zum Schluß versprach er un-ter dem Sinnbild „Treue um Treue“ Unterstützung des Krei-ses Namslau durch die Regierungs stellen.

Landrat Danckelmann,Namslau sprach anschließend fürden Kreis Namslau unter näherer Darlegung der damaligenund heutigen Verhältnisse. Mit ganz besonderer Freudebegrüßte er die so zahlreich erschienenen Kreiseinwohnerund Gäste zu dieser vaterländischen Gedenkkundgebung,deren Bedeutung dadurch in erwünschter Weise auch äu-ßerlich hervorgehoben werde. Das glänzende Abstimmungs-ergebnis des Namslauer Kreisteils im Jahre 1921 sei als

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eine Ehre für den ganzen Kreis Namslau zu werten, wobeidas Ergebnis der Gemeinde Hennersdorf besonders erwähntwerden müsse. Einträchtiges Zusammenhalten und Einig-keit im Geiste schlesischen Heimatgefühls und deutschenVolksbewußtseins haben diesen glänzenden Abstimmungs-sieg ermöglicht. Dem Gedenken der abgetretenen Brüderund Schwestern im Reichthaler Ländchen widmete der Land-rat treffende Worte und wies besonders auf das große Un-recht der abstimmungslosen Abtrennung hin, die trotz derzu 93 % für Deutschland ausgefallenen Probeabstimmungerfolgte. Er schloß mit der Hoffnung, daß der damalige Ab-stimmungsgeist in unserem Grenzkreise fortleben möge, zumWohle unserer engeren Heimat und des ganzen deutschenVaterlandes, und gab anschließend noch den Wortlaut desanläßlich dieser Gegenkundgebung zwischen Oberpräsi-denten Dr. Lukaschek-Oppeln und ihm stattgefundenen Tele-grammwechsels bekannt. Der damalige Landrat des Krei-ses Namslau, jetzige Gesandtschaftsrat Dr. Saypur, gedachtein einem Telegramm ebenfalls dieser Kundgebung.

Die Gedenkrede hielt der aus Hennersdorf stammendeEhrenvorsitzende des Breslauer Vereins heimattreuer Hen-nersdorfer, Mittelschulrektor Warzok aus Breslau. Er ge-dachte mit stolzer Freude des vor 10 Jahren errungenenglänzenden Abstimmungssieges gerade hier im NamslauerKreisteil, andererseits aber auch des bitteren Wermutstrop-fens im Freudenbecher, des uns durch die Teilung Ober-schlesiens zugefügten großen Unrechts, das niemals ver-gessen werden dürfte. Naturgemäß war hierbei das Geden-ken der Redner, wie auch aller Zuhörer an die Brüder undSchwestern im abstimmungslos abgetrennten, kerndeut-schen, früher zum Kreise Namslau gehörigen ReichthalerLändchen gerichtet. Diese Kundgebungen sollen auch dasGedenken der Jugend an diesen Tatsachen wachhalten undihr zeigen, daß damals Menschen den Beweis, Deutsche zusein, vor materielle Güter stellten. Es käme weniger auf die-se Güter, als auf treue Menschen einer Kulturgemeinschaft

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an, die man nicht wie Kieselsteine im Spiel beliebig ver-schieben und abtun dürfe. Mit einem Hoch auf unserenverehrten Reichspräsidenten von Hindenburg, unser deut-sches Volk und Vaterland, sowie unsere schlesische Hei-mat schloß Herr Warzok seine von Herzen kommenden undallen Anwesenden zu Herzen gehenden Worte.

Zum Schluß fand eine Entschließung bezüglich des Reich-thaler Ländchens durch besondere Zustimmung aller An-wesenden einstimmige Annahme, die folgenden Wortlauthatte und sofort Reichskanzler Dr. Brüning, Reichsaußen-minister Dr. Curtius und dem Völkerbundssekretariat inGenf telegraphisch übermittelt wurde:

„Die an der Gedenkundgebung der vor 10 Jahrenstattgefundenen Abstimmung heute in Noldau ver-sammelten Tausende der Bevölkerung des KreisesNamslau, Provinz Niederschlesien, insbesondere desfrüheren Namslauer Abstimmungsgebiets versi-chern aufs Neue Treue dem Deutschen Vaterlandeund bitten nach dem Grundsatz des Selbstbestim-mungsrechtes der Völker unseren abstimmungslosabgetretenen kerndeutschen Brüdern und Schwes-tern im früher zum Kreise Namslau gehörigenReichthaler Ländchen noch das Abstimmungsrechtzu erwirken bezw. zu gewähren.“Möge dieses einmütige Eintreten unsere Brüder und

Schwestern im Reichthaler Ländchen im Ausharren undFesthalten am Deutschtum bestärken. Ist es doch wider-sinnig, daß, da in Hennersdorf 100 % Deutsche wohnen, inden wenige 100 Meter entfernt liegenden Orten jenseits derjetzigen Grenze, deren Einwohner stets liebe Nachbarn,untereinander verwandt und verschwägert waren, 100 %Polen sein sollen. Die Namen der Dörfer, Gründungen desPreußenkönigs Friedrichs des Großen und deutscher Bi-schöfe, weisen den richtigen Weg (z. B. Herzberg, Dörnberg,Kreuzendorf usw.). Das Urteil jedes vernünftig denkendenMenschen dürfte hier nicht zweifelhaft sein.

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Dr.Nieborowsky-Breslau, ehemaliger Pfarrer von Reich-thal, dankte in bewegten Worten für das treue Gedenkenund mannhafte Eintreten für seine abgetrennten Landsleute.Er schloß mit der Versicherung, selbst bis zu seinem letz-ten Atemzuge für die Wiederkehr seiner alten ReichthalerHeimat zum Deutschen Reiche und somit zum Kreise Nams-lau zu arbeiten und brachte ein Hoch auf den hoffentlichbald wieder vereinten alten Kreis Namslau aus.

Die Feier war umrahmt von Gesangsdarbietungen derGesangvereine der Abstimmungsorte unter Leitung von Lie-dermeister, Lehrer Thienelt Sterzendorf, und Musikvorträ-gen der Regimentskapelle des Reiter-Regiments 7, Breslau.Vor und nach der Feier fanden Standkonzerte im Dorfe Nol-dau statt, denen Jung und Alt erfreut lauschten.

Am Abend des Sonntags und am Vorabend fanden in deneinzelnen Orten des früheren Namslauer Abstimmungsge-biets besondere Ortsveranstaltungen (deutsche Abende,Fackelumzüge. Grenzfeuer usw.) statt. Am Sonnabend wa-ren solche Veranstaltungen in Hennersdorf, Polkowitz. Stein-ersdorf und Sterzendorf. Gerade in Hennersdorf war dieKundgebung unterm lodernden Feuer angesichts der na-hen Grenze, getragen vom alten Hennersdorfer Geiste undgefördert durch begeisterte Worte seines Sohnes Warzok,besonders eindrucksvoll. Am Sonntag fanden besondereAbende in Dammer und Noldau statt. In Dammer fandensich zu schöner Abendfeier in dem fein hergerichteten Guts-schüttboden über 500 Ortseinwohner mit Gästen zusam-men, die ein alter heimattreuer Dammerer, ChorrektorThienel-Namslau, in ernster und launiger Weise an die da-malige Zeit erinnerte. In Noldau begeisterte die BreslauerReiterkapelle die Dorfeinwohner im überfüllten SobireyschenSaale mit alten und neuen Musikweisen. Heimatfilme ver-vollständigten hier und da das Programm.

Quelle: Heimatkalender 1932 für die Ostgrenzkreise Groß-Wartenberg-Namslau und Oels-

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9. Das „Reichthaler Ländchen“ gehört seit dem1.September 1939 wieder zum Deutschen Reich

9.1. Erinnerungen von Dr.Heinrich (Landrat 1938-1945)(Auszug) ....

Im „Reichthaler Ländchen“ war bei der Abtrennung dieBevölkerung zu 80 %. Deutsch und bei der Wiederinbesitz-nahme am 1. September 1939 waren 65 % Deutsche, 15 %hatten die Polen eingeschleust. Die deutsche Bevölkerungdes Reichthaler Ländchen hatte bezeichnenderweise ihregesamten Spareinlagen bei der Kreissparkasse Namslau,es waren 39.000 RM, sie waren durch die Währungsreform1923 auf diesen niedrigen Stand zurückgegangen. Dies stell-te sich bei der Wiederinbesitznahme heraus. LandratDr.Heinrich drang neben den deutschen Truppen am 1.9.um 6.00 Uhr früh in Reichthal ein und stellte fest, daß diePolen nichts an wichtigen Versorgungseinrichtungen ge-sprengt hatten. Dr. Heinrich kehrte gegen Mittag auf derStraße von Reichthal nach Lorzendorf zurück, riß mit sei-nem Kraftfahrer Mühlbach die Grenzschranken beiseite undteilte der Schloßbesitzerin Frau von Loesch mit, die deut-sche Fahne könne auf dem Schloß wieder gehißt werden.Dies hatte Herr von Loesch sen. kurz vor seinem Tode aus-drücklich festgelegt. Die Wiedereingliederung erfolgte am2. September 1939 mit einer Befreiungsfeier in einem völligüberfüllten Saal in Reichthal und am selben Tag berief derLeiter der Kommunalabteilung, Hermann König, die geplan-ten Bürgermeister aus allen Orten des Reichthaler Länd-chens in das Rathaus nach Reichthal. Sie wurden kommis-sarisch als Bürgermeister eingesetzt.

Am 5. September 1939 gab Landrat Dr.Heinrich eine Preis-anordnung für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse undDüngemittel im Reichthaler Ländchen heraus, mit reichs-deutschen Preisen, um die Herbstbestellung der Landwirt-

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schaft zu fördern. Am 16. September wurde Dr.Heinrich zudem mittlerweile eingesetzten Verwalter der neu besetztenpolnischen Gebietsteile, Regierungsvizepräsident von Krauß-haar nach Litzmannstadt (Lodz) bestellt. Er bekam die Miß-billigung für die kurzzeitige Preisangleichung im Reichtha-ler Ländchen ausgesprochen, die aber Dr. Heinrich unterder Hand beibehielt. Am 1. Oktober 1939 wurde die Preisan-gleichung in einer Verordnung der Reichsregierung gere-gelt, die sich 100 %ig mit den Preismaßnahmen vonDr.Heinrich für das Reichthaler Ländchen deckte.

Am 15. September wurde der Referendar Dr.Schubert alsAmtskommissar für das Reichthaler Ländchen von der Re-gierung in Breslau auf Vorschlag von Dr.Heinrich bestellt.Alle Polen wurden nach dem Verwaltungsbezirk Lublin ab-geschoben.

Alle Ortschaften des Reichthaler Ländchen waren ohneElektroanschlüsse und Dr.Heinrich erwirkte beim Elektri-zitätswerk Oppeln, daß die Lichtversorgung beschleu-nigt sichergestellt wurde. So konnten am 15. November 1939alle Ortschaften des Reichthaler Ländchen das „Lichtfest“feiern. Unerwarteterweise kam Ende November 1939 einErlaß des Reichsministers des Innern heraus, daß über dieendgültige Rückgliederung der wiedergewonnenen Gebiets-teile an Niederschlesien nach Friedensschluß entschiedenwerden sollte. Die ehemals polnischen Gebiete wurden derRegierung in Posen unterstellt. Dies hatte auch zur Folge,daß der Amtskommissar Referendar Dr.Schubert einenAufgabenkreis in Oberschlesien erhielt

Quelle: Landrat Dr.E.Heinrich, „Die Geschichte des KreisesNamslau von 1820-1945 Was war - was geschah! S.21 ff

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9.2. Erinnerungen einer schwäbischen Jung-lehrerin aus Stuttgart an ihre Zeit in Creuzen-dorf (damals Grenzendorf) von September 1942bis April 1944

Lang, lang ist‘s her …

Fast 55 Jahre(geschrieben:1997 d.Redaktion), und dochstehen manche Bilder noch so lebendig vor mir.

Wie kommen wir aus dem Westen Deutschlands (Altreichnannte man dies damals) in den Osten, genannt Warthe-gau?

Eine Gruppe junger Mädchen von der PädagogischenHochschule in Esslingen hatte in den Semesterferien dieKinder der Rückkehrer aus Bessarabien und Galizien schu-lisch betreut. Nach dem Abschluss unserer Ausbildung inder Heimat mit Prüfungen erfolgte ein sofortiger Einsatz imwürtembergischen Schuldienst. Auch hier herrschte Leh-rermangel, die Männer waren ja an der Front. Meine zweiSchulorte lagen im Schwarzwald.

Anfang April 1942 erhielten wir eine Abordnung zum Schu-leinsatz im Kreis Kempen. Wo liegt Kempen?

Wir kannten zwar Kempten im Allgäu, Kempen am Nie-derrhein, aber Kempen östlich von Breslau war uns unbe-kannt.

Mein erster Einsatzort war Mühlengrund, östlich von Groß-Wartenberg. Der deutsche Bevölkerungsanteil dort war ge-ring, die deutschen Sprachkenntnisse der Schüler ebenso.Nach einem Unterrichtsbesuch durch den Schulrat meintedieser: Ich werde Sie versetzen. Und so kam ich nach Gren-zendorf. Welcher Unterschied!

Elektrischer Strom, auf guter Straße nach Reichthal zumBahnhof und dort unterrichtete bereits meine StuttgarterKollegin Sigrid Gänßle.

Über Geschichte, Geographie, Land und Leute berichteteich schon 1944 in einem Schreiben. Wie kam ich zu der dort

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erwähnten Schulchronik?Auf dem Boden ohne Licht = Speicher des Schulhauses

suchte ich eines Tages nach einer Landkarte. Dabei erspäh-te ich ein altes verstaubtes Pult. Ich öffnete den Deckel zag-haft und fand darin dieses Alte Buch. Wie gut, dass es diepolnischen Lehrer in den vergangenen 20 Jahren nicht ver-nichtet hatten. Ich studierte es mit Freuden und Erstau-nen.

Der Anfang der Eintragungen ging bis ins 18. Jh. zurück,als Schlesien noch zur Habsburger Monarchie gehörte. Heutebin ich traurig, dass ich diese Schulchronik nicht mitgenom-men habe. Sie wäre ein wichtiges Belegstück über die deut-sche Schule und ihre Entwicklung in Grenzendorf gewesen.Ich vermute, dass sie beim Brand der Schule, von dem mirdas Ehepaar Neugebauer erzählte, für immer verloren ging.

Persönliche Rückblicke

Winter 1942/43:Draußen ist es kalt, glitzernder, hoher Schnee ringsum.Meine Schüler munkelten: Wir könnten doch Schlitten-

fahren. Schlittenfahren, ja wie und wo denn? Hier gibt esdoch gar keine Berge zum Abfahren!

Ich erzählte von den mir bekannten Rodelschlitten mitdenen man im Schuss die Hügel und Berge hinabfahrenkonnte, vom Steuermann mit Schlittschuhen vorne und denBremsern mit ihren Stiefeln auf dem Rücksitz. – Diese Artvon Schlitten kannten die Kinder nicht, sie meinten einePferdeschlittenfahrt. Das war für mich ganz neu. Gernewaren die Väter dazu bereit: die Pferde brauchten ohnediesBewegung.

Im mit Wolldecken und Teppichen ausgestatteten Schlit-ten ging es am nächsten Tag los. Die Beine steckte man inWarme Fußsäcke, in denen ein heißer Ziegelstein lag. Herr-lich war diese Fahrt durch die Dörfer der Umgebung. Undich hatte etwas Neues dazugelernt.

Im Winter gab es auch Beerdigungen. Die Mütter der Schü-

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ler klärten mich darüber auf, dass man dazu mindesten 4Ministranten brauchte, diese müssten deshalb nachmittagsschulfrei haben. Am Nachmittag klopft es an der Schultüreund ein Kind aus der Trauerfamilie steht davor mit einemgroßen Stück Streuselkuchen. Das ist für das Fräulein Leh-rerein! Warum? Der Herr Lehrer hat es auch immer bekom-men!

Gut hat er geschmeckt, der flache Blechkuchen mit vielenStreuseln drauf. Bei uns kennt man bis heute zu Beerdi-gungen immer den Hefekranz.

Es wurde Frühjahr und im Schulgarten wuchsen grüneStängel mit Blättern ähnlich dem Farnkraut und Frauen-haar. Ich fragte eine Bäuerin, was dies für ein Gemüse sein.

„Das ist doch Spargel, haben Sie den nicht schon gesto-chen?“

Nein, denn ich kannte nur die weißen Stängel, die inStuttgart auf dem Markt angeboten wurde. Das Stechenund Essen des Spargels überließ ich dann den Mädchen des8. Schuljahres. Sie arbeiteten gerne darin, denn der großeGarten war ja für eine ganze Familie gedacht.

In der Vesperpause wurden Möhren (Karotten) gezogen.Ein Junge stellte sich an die Wasserpumpe im Schulhof,pumpte und alle wuschen ihre Möhren darunter. Ein ge-sundes zweites Frühstück, nennt man das heute.Schul- undLehrerhaus unter einem Dach standen zur Straßenseite.Der rechteckige Schulhof im Innern wurde durch die Scheu-ne begrenzt, die jetzt mit groben Kohlebrocken aus Ober-schlesien und großen Holzscheiten gefüllt war. Im rechtenWinkel dazu stand der Stall mit dem Schüler-Klo. Vor derScheune lag an der Südseite ein schmaler Gartensteifen.Ich fragte: Wachsen hier keine Tomaten? Nein, die gedeihenhier ob der Kälte nicht. Ich wollte an dieser sonnigen unddurch den Dachvorsprung noch geschützten Stelle einenVersuch wagen und brachte von daheim Setzlinge mit. Siewuchsen, setzten Blüten und Früchte an, die sich allerdingserst Ende August röteten.

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Um Pfingsten blühten Hunderte von weißen Nelken imVorgarten, mit denen die Mädchen die Kirche zum Festschmückten. Es war ein prächtiger Anblick.

Auch zwei Hochzeiten gab es im Sommer. Die schönsteund größte war die Hochzeit der Tochter des Kirchenältes-ten Herr Nowack. Voller Stolz zeigte mir der große schlankeMann das riesige Festzimmer und den mächtigen Kachelo-fen, der bis zur Decke reichte. Ich kannte nur unsere halb-hohen Öfen (1,40m), die meist vom Flur aus befeuert wer-den. Dieser Ofen wurde zwei Tage vor dem Fest angefeuertund strahlte dann so viel Wärme ab, die über die ganze Fest-tage vorhielt.

Wieder gab es ein Rumoren und Tuscheln bei der Ober-klasse (5. – 8. Schulklasse).

Was war los?Die Schüler wollten morgen schulfrei haben zum Blau-

beeren pflücken.Bei uns nennt man diese Beeren Heidelbeeren. Sie wach-

sen nur auf sandigen Böden meist im Schwarzwald und aufeinigen Gebieten des Schwäbischen Waldes. Dafür durfteich den Unterricht nicht ausfallen lassen; irgendwie hättees der Herr Schulrat in Kempen doch erfahren. Enttäu-schung! Nachmittags kam eine Mutter zu mir und erzählte,dass dieses Beerenpflücken schon viele Jahre Brauch sei,denn die Kinder pflückten ja für die Frau des

Lehrers, dass deren Weckgläser gefüllt wurden. Wir einig-ten uns so, dass die beiden letzten Stunden am Vormittagder Tradition zu liebe verlegt würden. Fröhlich schwärmtedie Gruppe mit Eimer und Becherchen bewaffnet aus. DieKinder kannten die richtigen Stellen gut und rasch fülltensich ihre Gefäße. Nur mein Eimerchen war kaum halbvoll;doch immer wieder tauchte eine Sammlerin auf und leerteihr Becherchen in mein Kännchen. wie liebevoll!

Am nächsten Tag lernten und sangen wir dann das alt-böhmische Volkslied „Im Walde da wachsen die Beeren, hali,

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hali, halo … Wenn`s keine gibt bleib`mer daheem, hali …Der Höhepunkt eines jeden Schuljahres ist der Schulaus-

flug. Nach vielen Vorbereitungen, auch Besprechungen mitden Eltern, setzten die Lehrerin von Proschau, Magdaleneaus Bremen und ich das Ziel fest. Wir besuchen Posen.

Proschau hatte noch keinen elektrischen Strom und dieSchüler der Oberklasse kamen zu Filmvorführungen öfterin die Schule nach Grenzendorf, Bekannte waren deshalbschon da.

Die Unterkunft in der Jugendherberge war bestellt, dieFahrtroute erkundet, Fahrkarten gekauft und die Rucksä-cke gepackt. Erwartungsvoll saßen die Kinder mit den Vä-tern auf den Pferdewagen, die uns zum Bahnhof nachReichthal brachten. Einige waren noch nie mit dem Zug ge-fahren, ihnen war bange. Andere freuten sich über so vielNeues und Fremdes entlang der Bahnstrecke. Wir kamenerst gegen Abend in der Großstadt an. Und da stand nun einbunter Wagen mit hohen Rädern auf Schienen, der viel Krachmachte, die Posener Straßenbahn. Solch ein Ding hatte nochkeines der Kinder je gesehen.

Scheu und etwas ängstlich stiegen die Schüler ein. DieBahn rollte und ruckte los und brachte uns zur Jugendher-berge am Rande der Stadt. Auch hier gab es viel Neues zuerkunden und zu bestaunen. In den nächsten Tagen be-suchten wir den Zoo in Posen, das Schloss, Stadtrundfahrtmit der Straßenbahn … Spiele und Gespräche mit anderenGruppen im Haus. Beladen mit vielen Eindrücken kehrtenwir gesund, ohne Unfall und ohne einen Schüler verlorenzu haben, in die Heimatorte zurück.

Ich würde heute noch gerne wissen, welche der Kindernoch leben, die sich an diesen ersten Ausflug ihrer Schul-zeit erinnern. Mariechen Grzeschniok, Max Nowack undseine Schwester Hilde, Gretel Zielonka, die ältesten Böhn-Brüder … waren alle dabei. Wer hat noch Kontakt zu ih-nen?

Auch Lehrerinnen müssen sich bis heute stets weiterbil-den. Samstags war damals immer Unterricht, nur an den

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vierteljährlichen Wochenenden hatten die Kinder schulfrei.Da radelten am frühen Morgen im Sommer, Freitag abends

im Winter Magdalene Berger aus Proschau, ich aus Gren-zendorf nach Reichthal zu Siegrid aus Stuttgart und Hanniaus Wien.

Danach ging es auf der einspurigen Strecke mit dem Bähn-le nach Norden bis Kempen. Am Bahnrain wucherten undblühten die Wicken und Winden, der Hahnenfuß und Lö-wenzahn. Die ganze Böschung leuchtete in vielen Farbnu-ancen.

Ich erinnere mich noch besonders an die prächtigen Lupi-nen, die hier wild Wuchsen, während ich diese vielfarbigenPflanzen hier aussäen, hegen und pflegen muss.

Es folgen anstrengende Schulungen unter der Leitung desSchulrates Dr. Mahnkopf.

Beladen mit neuem Unterrichtsmaterial fuhren wir in derDämmerung wieder nach Reichthal und sangen dabei:

„Stehn zwei Stern am hohen Himmel, leuchten heller alsder Mond… „

Unsere Gedanken weilten bei den Lieben in der Heimatund im Feld (Krieg).

Wie war denn das Verhältnis zu den Einwohnern, den El-tern meiner Schüler?

Anfänglich mussten sie mich wohl beschnuppern.Waskonnte solch ein junges Mädchen hier ausrichten, ohne indieser Tradition aufgewachsen und mit den Sitten und demBrauchtum vertraut zu sein?

Ich hörte zu und fragte.Bald entstand ein Vertrauensverhältnis und Einladungen

zu Kaffe und Kuchen, zu Kartoffelsalat mit Speck, zuschmackhafter Tellersülze! Diese wurde uns, meinem Ver-lobten und mir, von Mariechens älterer Schwester serviert,exzellent.

Lebt sie noch und wo?Manchmal wurden diese Einladungen mit der Bitte ver-

bunden, die Frau Lehrerin möge doch so nett sein und ei-

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nen Brief – ein Gesuch- aufzusetzen, damit der Sohn zurErnte Urlaub bekäme. Ich freute mich, wenn dies gelangund trauerte mit, wenn die Botschaft kam:

„Ihr Sohn ist für Volk und Vaterland gefallen.“Was für Zeiten!Auch die neu zugezogenen Frauen mit ihren Kindern aus

dem Rheinland und aus Berlin wurden bald heimisch. Allehatten dieselben Sorgen: Wie geht der Krieg weiter? Kehrenunsere Männer, Väter und Söhne gesund zurück?

Ein besonders wertvolles Geschenk des Vertrauens zeigten die Grenzendorfer Frauen als meine Mutter zu Besuchkam und als sie hörten, dass mein Verlobter und ich im Juli1943 heiraten wollten. Hier gab es Sommerferien und erbekam Ernteurlaub.

Vor meiner Abreise klopften immer wieder Kinder an miteinem Gruß der Mutter. Und diese Grüße waren Mehl, Fett,sogar wohlverpackte Eier. Welche Freude für uns!Die Zutaten zum Hochzeitskuchen waren da, denn inStuttgart war die Lebensmittelzuteilung schon sehr knapp.

Anfang August fuhr ich zurück; der Unterricht begannwieder. Im benachbarten Pfarrhaus war inzwischen eineJungenklasse mit Berliner Schülern und ihrem Lehrer ein-gezogen.

Im Herbst 1943 erntete man in Württemberg viel Obst.Mein Vater verpackte fünf Weidenkörbe mit saftigen Äpfelnund schickte sie als Dankeschön an die lieben Spender inGrenzendorf. Solche Zuneigung habe ich nach einem hal-ben Jahrhundert nicht vergessen.

Gab es gar keine Schatten, dunkle Flecken in Grenzen-dorf?

Doch – es war der Amtskommissar in Reichthal!Ich war auf dem Rathaus vorgeladen und radelte in die

Stadt. Im Amtszimmer mustert mich der Vorgesetzte von- 78 -

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oben bis unten.„Sind Sie nicht in der Partei? Wo ist Ihr Parteiabzeichen?“„Daheim!“„Sie wissen genau, ein Deutscher trägt des Führers Zei-

chen stets an sich.“Niedergeschlagen und ratlos fuhr ich zurück. In Kempen

war ich schon früher darauf verwiesen worden, dass in mei-nem Pass noch ev. (=evangelisch) und nicht gg (gottgläubig= aus der Kirche ausgetreten) stand.

Meine Eltern gehörten zur Bekennenden Kirche mit Lan-desbischof Wurm in Stuttgart. Er war Mitstreiter von Kardi-nal von Galen in Westfalen. Und unsere Grenzendorfer Bau-ern waren gute Katholiken, die weiterhin treu zur Messegingen. Ihre Kreuze vor dem Hoftor hatten sie zwar entfer-nen müssen, aber den alten Namen „Creuzendorf“ verleug-neten sie nicht.

Was tun? Meine Jacke hatte ja einen Kragen mit Revers.An dessen Rückseite steckte ich das Parteiabzeichen linksoben.

Bei den nächsten Besuchen bei „Ihm“ heftete ich die Pla-kette gut sichtbar nach außen. Auf dem Heimweg nach Ver-lassen der Stadt wanderte sie wieder auf die Innenseite.

Ich möchte dieses Kapitel abschließen mit dem Ausschnitteines Briefes von Frau Magdalene Berger, einst Lehrerin inProschau.

...Erst nach 1 – 2 Jahren konnten wir wieder Kontaktaufnehmen. Bremen war ja auch sehr zerstört und wirwohnten alle in verschiedenen Besatzungszonen.

Sie schrieb 1946:„Der Behörde in Reichthal lag nichts daran, uns zu warnen.

Noch zwei Tage vor der Katastrophe lachte man über jeden„Hasenfuß“. Am Tage selbst besaß man noch dieUnverfrorenheit uns auf unsere „Pflicht“ zu bleibenaufmerksam zu machen.

Die Nachbardörfer waren schon nicht mehr zu erreichen.Der „Löwe“ selbst stand im Jägermantel fertig, seine Familiewar in Sicherheit.

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Der Brief vom 27.6.46 endet mit den Fragen:

„Was mag aus den Einheimischen geworden sein? Sind siein ihren Dörfern geblieben.

Niemand hat sie über die wahre Lage aufgeklärt. Wo Mögensie jetzt sein?“

...Den Zurückgebliebenen wünschen wir viel Kraft zur

Bewältigung des Lebens unter schweren Bedingungen.

Gottes Segen über das Reichthaler Ländchen undCreuzendorf.

Luise und Friedrich Layher

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Droschkau

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Passierschein nach Namslau, gültig bis11.7.1921 für Johann Golibrzuch

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polnische Wahlwerbung

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