2005 Kommunikative Grammatik Korea

download 2005 Kommunikative Grammatik Korea

of 16

Transcript of 2005 Kommunikative Grammatik Korea

Kommunikative Grammatikoder wie man lernt, grammatisch richtig zu sprechen1 ERWIN TSCHIRNER(Herder-Institut, Universitt Leipzig)

1. EinleitungDer traditionelle, auch kommunikative Fremdsprachenunterricht geht meist davon aus, dass grammatische Kompetenz hnlich wie anderes Wissen direkt vermittelt werden kann, dass die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, dadurch erworben wird, dass man Grammatikregeln lernt und ihre Anwendung bt. Diese Annahme wird von der psycholinguistischen Forschung nicht gesttzt. Im Gegenteil, es wird davon ausgegangen, dass explizites grammatisches Wissen eine qualitativ andere Art von Wissen ist als die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, und dass es diese Fhigkeit nicht ersetzen kann. In der ersten Hlfte meines Beitrags mchte ich einige eher selten hinterfragte Annahmen des fremdsprachlichen Grammatikunterrichts in Frage stellen, nmlich die Annahmen, dass ein- und dieselbe Grammatik die Grundlage grammatischer Kompetenz in allen vier Fertigkeiten ist, dass grammatische Kompetenz ein statisches System explizit ausformulierter Regeln ist, dass die Grammatik der geschriebenen Sprache identisch mit der Grammatik der gesprochenen Sprache ist und dass die schriftliche oder mndliche Produktion die einzig vernnftige Art und Weise ist, Grammatik zu ben. In der zweiten Hlfte wende ich mich verstrkt didaktisch-methodischen Fragestellungen zu. Ausgehend von Ergebnissen der Fremdsprachenerwerbsforschung unterscheide ich zwischen einem rezeptiven und einem produktiven Grammatikerwerb, befasse mich mit wichtigen Prinzipien beider Erwerbsarten und stelle an zwei konkreten Beispielen dar, wie beide Erwerbsarten im Unterricht gefrdert werden knnen.

2. Arten von GrammatikMan kann zwischen einer relativ groen Anzahl von Grammatiken unterscheiden: Grammatiken, denen jeweils eine unterschiedliche Theorie zugrunde liegt, z.B. die Generative Grammatik oder Funktionale Grammatik, oder die eine bestimmte Funktion haben, z.B. eine Studiengrammatik, eine Nachschlagegrammatik oder eine Lerngrammatik (Gtze 1996; Helbig 1999). Fr die Fremdsprachendidaktik besonders relevant ist eine Unterscheidung zwischen einer deskriptiven Grammatik, einer pdagogischen Grammatik und einer psycholinguistischen Grammatik (Tonkyn 1994). Eine deskriptive Grammatik beschreibt die Grammatik einer Sprache, meistens fr Muttersprachler oder fr Personen, die sich fr Grammatik interessieren. Eine pdagogische oder didaktische Grammatik beschreibt ebenfalls die Grammatik einer Sprache, aber auf solche Weise, dass mit ihrer Hilfe die Sprache gelernt werden kann, whrend eine psycholinguistische Grammatik eine mentale Grammatik ist, eine Grammatik im Kopf eines Sprachbenutzers, die es ihm oder ihr erlaubt, (auch ohne bewusste Aufmerksamkeit) grammatisch richtig zu sprechen oder zu schreiben. Wie man sich das Verhltnis von deskriptiven und mentalen Grammatiken vorstellen knnte, beschreibt Helbig (1992). Er unterscheidet zwischen einer Grammatik A, dem der Sprache selbst innewohnenden Regelsystem, unabhngig von dessen Beschreibung durch die Linguisten und von dessen Beherrschung durch die Sprecher, einer Grammatik B, der Abbildung dieses der Sprache selbst innewohnenden Regelsystems durch die Linguistik, und einer Grammatik C, dem von einem Sprecher internalisierten Regelsystem, auf Grund dessen dieser die betreffende Sprache beherrscht. Helbigs1

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in M. J. Domnguez, B. Lbke, A. Mallo (Hg.) (2004). El alemn en su contexto espaol. Die deutsche Sprache im spanischen Kontext (S. 39-62). Santiago de Compostela: Universidade de Santiago de Compostela.

Grammatik A weist hnlichkeiten mit Saussures langue und seine Grammatik C mit Chomskys Kompetenz auf. Die Reihung von A nach B nach C suggeriert darber hinaus, dass es ein abstraktes Regelsystem gibt, das unabhngig von den Sprechern einer Sprache existiert, das von Sprachwissenschaftlern auf ebenfalls abstrakte Weise beschrieben wird und das dann auf dieser Grundlage von Sprachlernern internalisiert wird. Die Gleichsetzung der Grammatiken A, B und C und die beabsichtigte oder unbeabsichtigte Folgerung daraus, dass sich die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen (Grammatik C), dadurch einstellt, dass Lerner die Grammatik B internalisieren, die wiederum aus der Grammatik A abgeleitet ist, ist weit verbreitet und falsch. Sie fhrt dazu, dass Fremdsprachenlehrer zwar die Wahl haben, Grammatik zu unterrichten oder nicht, aber eher selten das Gefhl haben, dass das, was sie tun, die Fhigkeit entwickelt, grammatisch richtig zu sprechen (oder auch zu schreiben). Ich versuche im Folgenden zu zeigen, dass Helbig (und viele andere) das Pferd von hinten her aufzumen und um im Bild zu bleiben das gleiche Zaumzeug gleichzeitig auf unterschiedliche Pferde aufzumen wollen. Ich werde argumentieren, dass Helbigs Grammatik C, die mentale Grammatik im Kopf der Sprachbenutzer als die wahre Primrgrammatik betrachtet werden sollte. Ich werde weiterhin postulieren, dass Sprachwissenschaftler zwar versuchen diese Primrgrammatik zu beschreiben, aber da sie nur indirekt ber meist schriftliche Texte erfasst wird und erfasst werden kann, die Beschreibungen immer vorlufig und unvollkommen sind. Schlielich werde ich versuchen zu zeigen, dass Helbigs Grammatik A eine Fiktion ist, da sie nicht unabhngig von ihrer Beschreibung durch Sprachwissenschaftler existiert. Bei meinem Versuch, ein Grammatikmodell fr den Fremdsprachenunterricht zu entwickeln, whle ich als Ausgangsbasis Lyons (1996) Unterscheidung zwischen Kompetenz, Performanz und Text. Lyons (1996) stellt Saussures und Chomskys Unterscheidungen zwischen langue und parole und zwischen Kompetenz und Performanz einander gegenber und przisiert sie auf eine Weise, die fr die Fremdsprachendidaktik hchst interessant ist. Saussure trennte langue von parole: langue, die Sprache als soziolinguistisches System, das nicht im Kopf eines einzelnen Sprachbenutzers existiert, sondern in der Sprachgruppe als Ganzem, und parole, dem Produkt des Sprechens. Chomsky lehnte Saussures Begriff langue ab und zog es vor, von Kompetenz zu sprechen. Er sah Sprache nicht als ein soziolinguistisches sondern als ein psycholinguistisches System, als eine Fhigkeit, die allen Teilnehmern einer Sprachgemeinschaft zu eigen ist. Allerdings fasst auch er Sprache als eine abstrakte Fhigkeit auf, die ein idealer Sprecher-Hrer in einer homogenen Sprachgemeinschaft besitzt. Unter Performanz verstand er den Akt des Sprechens. Diesen Akt trennte er allerdings nicht genau vom Produkt, also von Saussures parole. Lyons macht genau das, trennt Prozess von Produkt und kommt damit zu der Dreiteilung Kompetenz, Performanz und Text. Diese Dreiteilung ist aus mindestens zwei Grnden interessant. Zum einen wird in Lyons Modell klar das Produkt von dem Prozess, der das Produkt generiert, getrennt. Zum anderen macht es deutlich, dass Fremdsprachen dadurch gelernt werden, dass Prozesse ablaufen, und nicht dadurch, dass Produkte verndert werden. Da beim Fremdsprachenlernen die Einzelperson interessiert und nicht ein abstrakter, idealer Sprecher-Hrer, definiere ich, um Lyons Modell fr den Fremdsprachenunterricht fruchtbar zu machen, Kompetenz als eine konkrete Fhigkeit, die jeder einzelne Sprachbenutzer besitzt. Statt Performanz ziehe ich den Begriff mentale Prozesse vor. Zum einen richtet es den Blick auf die Prozesse, die beim Sprechen, Schreiben, Zuhren und Lesen auftreten, zum anderen lassen sich dadurch Lernvorgnge strker in den Vordergrund rcken (s. Grafik 1).

Arbeitsgedchtnis

Kompetenz

Prozesse

Text

Situation Teilnehmer

Grafik 1. Kompetenz, Prozesse und Text

Mentale Prozesse produzieren und verarbeiten Texte. Besonders Sprech- und Hrprozesse sind dabei wesentlich den Beschrnkungen des Arbeitsgedchtnisses unterworfen. Darber hinaus werden sie von der Gesprchssituation, den Teilnehmerrollen, u.. beeinflusst. ber die Prozesse wird Kompetenz aufgebaut. Kompetenz wiederum steuert die Prozesse. Geht man davon aus, dass beim Sprechen, Zuhren usw. unterschiedliche mentale Prozesse ablaufen und diese Feststellung ist sicher trivial dann sollte man auch postulieren knnen, dass diese unterschiedlichen Prozesse zu unterschiedlichen Kompetenzen fhren und zwar auch auf der grammatischen Ebene. Damit wrde man zwischen einer sprech-, hr-, schreib- und lesegrammatischen Kompetenz unterscheiden. Grafik 2 zeigt, wie unterschiedliche Prozesse unterschiedliche Texte produzieren bzw. verarbeiten und wie dabei unterschiedliche Kompetenzen aufgebaut werden. Die Pfeile, die von den einzelnen Kompetenzen zu den jeweiligen Prozessen gehen und wieder zurck, deuten an, dass Prozesse sowohl Kompetenz aufbauen als auch von ihr gesteuert werden. Die Pfeile, die von den Prozessen zu den Texten gehen und wieder zurck, deuten an, dass die einzelnen Prozesse nicht unabhngig voneinander ablaufen, sondern dass oft mehrere Prozesse gleichzeitig stattfinden. Beim Hren ist nur eine Fhigkeit beteiligt, der Pfeil geht vom mndlichen Text zum Hrprozess. Bereits beim Sprechen ist allerdings das Hren mitbeteiligt. Der Pfeil geht vom Sprechen zum Text und kommt wieder zurck zum Hren. Beim Lesen wird oft mental mitgesprochen und damit auch mental gehrt. Es sind also drei Fhigkeiten beteiligt. Beim Schreiben schlielich liest man, was geschrieben wird, es kann mental mitgesprochen und mitgehrt werden. Beim Schreiben sind also potentiell alle vier Fhigkeiten beteiligt. Damit kann das Schreiben helfen, Kompetenzen in allen vier Fhigkeiten zu entwickeln.Grammatische Kompetenz Prozesse Texte

Sprech-

Sprechen Mndlich

Hr-

Hren

Schreib-

Schreiben Schriftlich LeseLesen

Grammatisches Wissen

Grafik 2. Grammatische Kompetenz und Grammatisches Wissen

Anhand dieses Modells lsst sich nun grammatische Kompetenz genauer von grammatischem Regelwissen unterscheiden. Sprech-, hr-, lese- und schreibgrammatische Kompetenz wird dadurch aufgebaut, dass mndliche und schriftliche Texte produziert, gehrt und gelesen werden. Grammatisches Regelwissen beruht auf einer metasprachlichen Beschreibung geschriebener Texte, und zwar nicht irgendwelcher Texte, die jemand mal schnell hingeschrieben hat, sondern Texte, die man als Endprodukt langwieriger, rekursiver Schreibprozesse und vieler Revisionen ansehen muss, oft auch von Autoren produziert, die sehr bewusst und berdurchschnittlich gut schreiben, wie z.B. Schriftsteller. Aus der linguistischen Analyse dieser sorgfltig ausformulierten geschriebenen Texte wird das grammatische

Regelwissen gewonnen. Die Systemlinguistik, die dieses grammatische Regelwissen erarbeitet, beschreibt statische strukturelle Beziehungen zwischen den Elementen eines schriftlichen Textes. Die Grammatik im Kopf, die mentale Grammatik, muss allerdings aus dynamischen Regeln bestehen, die die Prozesse steuern, die diese Texte mndlich und schriftlich generieren bzw. verarbeiten. Die statischen Regeln der Systemlinguistik, die aus sorgfltig formulierten schriftlichen Texten abgeleitet werden, sind damit qualitativ anderer Art als die dynamischen Regeln der mentalen Grammatik, die durch Verarbeitungsprozesse in sprachlichen Interaktionssituationen erworben werden. Grammatische Kompetenz lsst sich nicht dadurch erwerben, dass man grammatische Regeln lernt, anwendet und durch ben automatisiert. Die systemlinguistischen Regeln sind grundverschieden von den mentalen Regeln, die zu spontan wohlgeformter gesprochener Sprache fhren. Es gibt keinen direkten Weg von metasprachlichem, grammatischem Regelwissen zu grammatischer Kompetenz. Grammatisches Regelwissen lsst sich nur als ein Aspekt des Weltwissens einordnen, mit dessen Hilfe zwar auch Texte produziert und teilweise auch verarbeitet werden, das aber die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, nicht beeinflusst. Allerdings werden die Texte, die potentiell mit Hilfe von grammatischem Regelwissen produziert werden, gleichzeitig auch wieder gehrt bzw. gehrt und gelesen und sind damit in der Lage, wenn es denn wohlgeformte uerungen sind, die grammatische Kompetenz von Fremdsprachenlernern weiter zu entwickeln. Neben der Unterscheidung zwischen hr-, sprech-, lese- und schreibgrammatischen Kompetenzen ist es hilfreich zwischen einer individuellen, eher mndlich orientierten und erworbenen Kompetenz zu unterscheiden, ich nenne sie Primrgrammatik, und einer berindividuellen, eher schriftlich orientierten und erworbenen Kompetenz. Die grammatische Kompetenz, die im mndlichen Spracherwerb erworben wird und mit deren Hilfe beim spontanen Sprechen uerungen gebildet werden, ist nmlich nur ein Teil der grammatischen Kompetenz, die Menschen ber ihre Muttersprache haben. Ein nicht unbedeutender Teil erwachsener muttersprachlicher Kompetenz wird nmlich erst in der Schule erworben, beim Lesenund Schreibenlernen, sowie beim muttersprachlichen Grammatikunterricht. Diese zustzliche grammatische Kompetenz, ich nenne sie kulturgrammatische Kompetenz, muss von Fremdsprachenlernern natrlich auch erworben bzw. gelernt werden, wahrscheinlich auf hnliche Art und Weise wie sie von Muttersprachlern gelernt wird, das heit ber die Auseinandersetzung mit der schriftlichen Variante der zu lernenden Sprache und teilweise ber das Erlernen eines expliziten analytischen Regelwissens.Primrgrammatik Schriftliche Texte

Kulturgrammatik

Text

Schulgrammatik

Text generieren Text

Text entwickeln Text

Text

Regeln

Feedback

Grafik 3. Primrgrammatik, Kulturgrammatik und Schulgrammatik

Sowohl die mndlich erworbene Primrgrammatik als auch die schriftlich erworbene Kulturgrammatik sind mentale Grammatiken in Einzelpersonen und sind damit konkreter Art. Die Kulturgrammatik entsteht auf der Grundlage der Primrgrammatik, wird aber von der Schulgrammatik modifiziert. Die Schulgrammatik ist abstrakt. Sie stellt einen Kompromiss zwischen den Kulturgrammatiken von zahlreichen, vielen unterschiedlichen Generationen angehrigen Sprechern einer Sprachgemeinschaft dar. Die Schulgrammatik beeinflusst die Kulturgrammatik in dem Sinne, dass das Produkt der Kulturgrammatik, die schriftlichen Texte, mglichst keine Differenzen zu einem Produkt der Schulgrammatik aufweisen sollte. Sie beeinflusst individuelle Kulturgrammatiken auch dadurch, dass sie regionale und berregionale Standards schafft, wobei Syntagmen (lexikalisierte Wortfolgen) gespeichert werden, die hnlich wie beim Erwerb mndlicher Kompetenz zum Erwerb standardsprachlicher (kultursprachlicher) Kompetenz fhren, dadurch, dass sie sowohl als lexikalische Phrasen zur Verfgung stehen, die komplett abgerufen werden knnen, wie auch dadurch, dass nach Speicherung einer gengend hohen Zahl an hnlichen Phrasen, implizit und automatisch abstrakte Regeln abgeleitet werden, die die kulturgrammatische Kompetenz erweitern. Die Kulturgrammatik wiederum beeinflusst, bei jedem Menschen auf andere Weise, die Primrgrammatik, ebenso wie sie von der Primrgrammatik beeinflusst wird, da beide Grammatiken mentale Grammatiken im Kopf des gleichen Sprachbenutzers sind, was zu im weitesten Sinne bilingualen Verhltnissen fhrt. Die Primrgrammatik enthlt zumeist implizite Regeln, die ber den Muttersprachenerwerb erworben wurden und die eher selten reflektiert oder verbalisiert werden. Die Kulturgrammatik enthlt die impliziten Regeln der Primrgrammatik, die Texte produzieren, die der Schulgrammatik gerecht werden. Sie enthlt zustzliche Korrekturregeln fr die dialektalen / soziolektalen Elemente der Primrgrammatik, die nicht der Standardsprache entsprechen, allerdings bei den meisten Menschen nicht fr alle dialektalen / soziolektalen Merkmale, und sie enthlt zustzliche kultursprachliche Regeln, die kein quivalent in der Primrgrammatik haben. Die Primrgrammatik entwickelt sich ab dem 1. Lebensjahr, die Kulturgrammatik ab dem 6. Lebensjahr. Primr- und Kulturgrammatik sind allerdings nur teilweise identisch mit gesprochener und geschriebener Grammatik, da sie auch eine Registerunterscheidung nach sich ziehen. Primr- und Kulturgrammatik beeinflussen sich gegenseitig, die Primrgrammatik wohl mehr die Kulturgrammatik als umgekehrt. Mit Hilfe der Kulturgrammatik werden schriftliche und teilweise mndliche Texte eines hheren Registers produziert, wobei letztere den Beschrnkungen des Arbeitsgedchtnisses unterworfen sind. Die Kulturgrammatik entwickelt sich vor allem ber das Lesen (und Produzieren) schriftlicher Texte, also nur teilweise und vielleicht sogar nur zu einem kleinen Teil ber die Schulgrammatik. Die Regeln der Schulgrammatik tragen auf zweierlei Art dazu bei, die Kulturgrammatik weiterzuentwickeln. Erstens ber Feedback auf der Ebene des Geschriebenen (Produkt) mit potentiellem Einfluss auf sptere Schreibprozesse. Dies findet meist in der Schule oder in anderen Lernsituationen statt. Zweitens ber Regeln auf der Ebene des Schreibens (Prozess). Auch dies findet meistens in der Schule statt, aber auch immer dann, wenn sich ein Autor sprachlich unsicher fhlt und zu einem Sprach- oder Grammatikfhrer greift. Auf Grundlage meiner Ausfhrungen schlage ich folgende Korrektur von Helbig (1992) vor. Helbigs Grammatik C, die mentale Grammatik, stelle ich an die Spitze meiner Grammatikpyramide und unterteile sie in eine Primrgrammatik, die ber den frhkindlichen muttersprachlichen Erwerb erworbene Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, und in eine Kulturgrammatik, die ber das Lesenund Schreibenlernen (inkl. muttersprachlicher Grammatikunterricht) erworbene Fhigkeit, grammatisch richtig zu schreiben und davon abgeleitet mndlich hhere Register zu benutzen. Helbigs Grammatik B, die deskriptive Grammatik, unterteile ich in eine linguistische Grammatik, das von Sprachwissenschaftlern aus gut formulierten schriftlichen Texten gewonnene Regelsystem, das grammatische Verhltnisse in gut geschriebenen Texten auf eine logische Art beschreibt, und eine didaktische oder Lerngrammatik. In diesem Abschnitt meines Beitrags habe ich versucht zu zeigen, dass man zwischen einer Reihe unterschiedlicher Grammatiken unterscheiden sollte, und zwar zwischen einer Primr- und Kulturgrammatik mit jeweils rezeptiven und produktiven Varianten, die sich zwar alle gegenseitig beeinflussen, die aber nicht in einer einzigen Grammatik zusammenfallen. Die Annahme einer einzigen Grammatik ist eine sprachwissenschaftliche Abstraktion, die individuelle mentale Prozesse unbeachtet lsst und die dadurch nicht sehr fruchtbar fr den Fremdsprachenunterricht war und ist. Die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen oder zu schreiben, ist eine vllig andere Art von Kompetenz als grammatikalisches Wissen. Diese Fhigkeit entwickelt sich in der direkten Auseinandersetzung mit und Verarbeitung von mndlichen und schriftlichen Texten und nicht dadurch, dass man grammatisches Wissen anhuft. In den folgenden Abschnitten mchte ich zeigen, welche Auswirkungen die anskizzierte Sichtweise auf die Didaktik und Methodik des Grammatikunterrichts haben knnte. Ich werde

vorschlagen, in der Aneignung grammatischer Kompetenzen vom Rezeptiven zum Produktiven voranzuschreiten und dem Hren in der Entwicklung mndlicher grammatischer Kompetenz eine besondere Rolle zuzuweisen. In diesem Zusammenhang werde ich auch auf die Rolle der bewussten Aufmerksamkeit beim Rezipieren von Hrtexten eingehen.

3. Grammatikerwerb durch HrenDas Hren nimmt bei der Entwicklung kommunikativer Kompetenz eine Schlsselstellung ein. ber das hrende Verstehen wird Input verarbeitet und der Spracherwerbsprozess in Gang gesetzt (Brown/Malmkjr/Pollitt/Williams 1994; Ellis 1994). In der Auseinandersetzung des menschlichen Gehirns mit den ber die Ohren einstrmenden Daten wird Stck fr Stck prozedurales Wissen ber unterschiedliche Aspekte der Sprache (Phonologie, Syntax, Semantik, Pragmatik) aufgebaut. Auch die Sprechkompetenz entwickelt sich auf der Basis dieses durch das hrende Verstehen in Gang gesetzten Spracherwerbsprozesses. Ellis (1996) argumentiert, dass sprachliches Lernen aus dem Lernen sprachlicher Sequenzen besteht, aus dem Lernen von Lauten und Lautfolgen, von Wrtern und Wortfolgen zusammen mit den syntaktischen und situativen Kontexten, in die sie eingebettet sind. Lerner lernen ber das Speichern von Satzteilen und Teilstzen Laut- und Wortzusammenstellungen. Auf diese Weise wird (implizites) Wissen darber aufgebaut, welche Laut- und Wortfolgen in einer Sprache mglich sind und welche wahrscheinlicher als andere sind. Wissen ber Wortarten und noch allgemeiner Wissen ber grammatische Regularitten wird ber eine implizite und automatisch stattfindende Analyse von Wortfolgen aufgebaut, d.h. ber ein Wissen darber, welche Wrter in welchen Wortzusammenstellungen und Wortfolgen auftauchen knnen. Lerner speichern Phrasen, Satzteile, Teilstze und ganze Stze, die erst spter syntaktisch analysiert werden. Nach Ellis findet diese Analyse nicht bewusst statt, sondern unbewusst und automatisch. Bevor diese implizite Analyse stattfinden kann, muss fr jedes grammatische Phnomen eine sehr groe Anzahl von Syntagmen gespeichert sein. Grammatische Kompetenz wird also dadurch erworben, dass Teile von in authentischen Zusammenhngen gehrter Sprache als bedeutungstragende uerungseinheiten gespeichert werden. Das Problem dabei nun ist, dass wegen der Begrenzung des Arbeitsgedchtnisses nur ein geringer Teil der ans Ohr dringenden akustischen Daten auch wirklich wahrgenommen und verarbeitet wird. Hren findet auch bei Muttersprachlern zu einem groen Teil top down statt, d.h. Zuhrer achten nicht auf jede einzelne Silbe, was sie auch gar nicht knnten, sondern verknpfen Aspekte des Gehrten mit Aspekten ihres Weltwissens und ihrer Interpretation der Situation zu einem in erster Linie inhaltlichem Verstehen. Dadurch kann zwar Verstndigung erzielt werden, aber sprachliches Lernen findet eher nicht statt. Beim hrenden Verstehen werden nmlich semantische Kombinationsregeln im Zusammenspiel mit dem kommunikativen Kontext, dem Weltwissen der Hrer und dem Wissen darber, wie Ereignisse ablaufen (Interpretationsschemata und Skripte), weit mehr beachtet als Regeln syntaktischmorphologischer Art. Ein in realer Zeit stattfindendes Hrverstndnis kann sich aufgrund der generellen Unschrfe und Lckenhaftigkeit akustischer Stimuli nicht auf rein grammatische Informationen verlassen (vgl. die Beitrge in Brown/Malmkjr/Pollitt/Williams 1994). Nach Clark und Clark (1977) beziehen sich Sprachbenutzer beim Zuhren meist nicht auf ein linguistisches Modell, sondern tendieren viel eher dazu, Hrstrategien anzuwenden. Das heit, sie achten auf die Bedeutung der inhaltstragenden Wrter und Silben und auf ihre Reihenfolge im Satz und verknpfen diese Bedeutungen zu logischen Zusammenhngen mit Hilfe ihres Weltwissens und ihrer Interpretation der jeweiligen sozialen Situation. Auch bei Lernern steht im Normalfall das Verstehen im Vordergrund. Lerner richten deshalb ihre Aufmerksamkeit auf inhaltstragende Elemente, auf die Silben, die am deutlichsten gehrt werden, die durch Intonation und Betonung besonders hervorgehoben werden. Bei diesen Silben handelt es sich im Deutschen vor allem um Wortstmme, um die Anfnge von Wrtern und um die strker inhaltstragenden Wortarten wie Substantive, Adjektive und Verben. Nicht vernommen werden Funktionswrter, Prfixe und Suffixe und andere schwach betonte Silben, d.h. vor allem die Silben, mit deren Hilfe sich grammatische Kompetenz entwickeln wrde. Sprachliches Lernen setzt voraus, dass die Ausdrucksseite der Sprache, ihre Form, zusammen mit ihren semantischen und pragmatischen Inhalten wahrgenommen und verarbeitet wird. Sharwood Smith (1993) empfiehlt daher, die Aufmerksamkeit von Lernern bewusst auf die Ausdrucksseite der Sprache zu lenken. Dies bedeutet nicht, dass grammatische Regeln erklrt werden, sondern dass die Klanggestalt von uerungen so vollstndig und deutlich wie mglich wahrgenommen und gespeichert werden sollte. Weniger fortgeschrittene Fremdsprachenlerner knnen dem Redefluss oft nicht mehr als einige wenige betonte Silben entnehmen, mit deren Hilfe, wenn sie sie verstehen, sie sich eine Bedeutung konstruieren. Da grammatische Informationen sich oft in unbetonten Nebensilben befinden, diese aber unter dem Zeitdruck real ablaufender Rede nicht wahrgenommen werden, knnen natrliche Erwerbssituationen

zu Pidginisierungen fhren. Pidginisierungen werden allerdings nicht dadurch vermieden, dass Grammatikregeln erklrt und gebt werden, sondern dadurch, dass authentische uerungen in ihrer grammatisch-semantisch-funktionalen Gesamtheit wahrgenommen und gespeichert werden (Tschirner 1998). Es ist durchaus mglich, dass ein Wissen z.B. ber Flexionsendungen die Aufmerksamkeit auf diese richtet und sie dadurch auch in gebundener Rede wahrgenommen werden. Dies geht jedoch oft auf Kosten eines inhaltlichen Verstehens (VanPatten 1986). Die gleichen Hr- und Hrsehtexte sollten deshalb mit unterschiedlichen Aufgabestellungen bearbeitet werden, zuerst mit Aufgaben, die auf ein inhaltliches Erfassen gerichtet sind, und dann mit Aufgaben, die sich auf die Ausdrucksseite der Sprache konzentrieren. Es ist unklar, welche Aspekte kommunikativer Sprachverwendung unter welchen Umstnden auf welche Weise zu erhhter sprachlicher Kompetenz fhren. Deshalb sollte man davon ausgehen, dass nur authentisch verwendete Sprache, im Lehrer-Schler-Gesprch, im Austausch mit Muttersprachlern sowie in Radio- und Videosendungen, ein Inputangebot liefert, das reichhaltig genug ist, kommunikative Kompetenz zu erwerben. Wenn in authentischen Lernumgebungen Verstndnis oder Verstndigung erzielt wurde, sollte die Aufmerksamkeit auf die Ausdrucksseite gelenkt werden, indem z.B. auf der grammatischen Ebene dafr gesorgt wird, dass alle Wrter und Silben einer uerung wahrgenommen werden, auf der pragmatischen Ebene zustzliche paraverbale Informationen wie Prosodie, Mimik und Gestik und auf der sozio-kulturellen Ebene Rollensignale, Hflichkeitssignale und hnliches. Die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen (Primrgrammatik) ist eine auditiv-mndliche Fhigkeit und lsst sich, auch wenn schriftliche bungen durchaus untersttzend wirken knnen, nur auditiv-mndlich entwickeln. Dabei sollten drei Arten von Lernerfahrungen im Vordergrund stehen, die ich mit den aus der Forschung bekannten Termini input enhancement und input processing und analog dazu mit output enhancement umschreiben mchte. Unter input enhancement (Sharwood Smith 1993) versteht man das Hervorheben bestimmter Elemente gehrter oder gelesener Texte, damit sie leichter wahrgenommen und verarbeitet werden knnen. Input enhancement und focus on form (Sprachaufmerksamkeit) sind zwei Seiten der gleichen Mnze. Whrend input enhancement den Blick auf die Lehrperspektive richtet, darauf, was LehrerInnen und LehrmaterialienentwicklerInnen tun, um Sprache lernbar zu machen, richtet focus on form den Blick auf die Lernperspektive, darauf, was Lerner machen, wenn sie mit sprachlichen Materialien arbeiten. Sprachaufmerksamkeit (focus on form) kann konkret verstanden werden, als ein bewusstes Wahrnehmen der Ausdrucksseite der Sprache, ohne in grammatischen Kategorien zu denken. Auerdem kann man es abstrakt verstehen, als die bewusste Suche nach oder das bewusste Achten auf grammatische Regelmigkeiten, um sie metasprachlich zu analysieren. Letzteres wird im Zusammenhang mit Hrerfahrungen als input processing (VanPatten/Cadierno 1993) bezeichnet. Lerner werden z.B. gebeten, grammatische Phnomene, die ihnen geschildert wurden, in Hrtexten wahrzunehmen, sie zu analysieren und klassifizieren. Die konkrete Variante der Sprachaufmerksamkeit setzt sich zum Ziel, ber ein bewusstes und konzentriertes Wahrnehmen das Speichern intakter, authentischer, situierter und semantisierter Wortfolgen (Phrasen, Teilstze, Stze) mit gefrorener, d.h. unanalysierter Grammatik zu ermglichen. Diese gefrorene Grammatik kann damit sowohl als Monitor fr das eigene Sprechen und Schreiben dienen, es klingt richtig, als auch als Basis spterer interner und unbewusster Grammatikanalysen (Ellis 1996). Je klarer beim Speichern Inhalts- und Ausdrucksseite sind, desto frderlicher ist das Speichern solcher Wortfolgen fr den Spracherwerb. Die Klarheit der Inhaltsseite hngt davon ab, wie authentisch, situiert und semantisiert die Wortfolgen sind, die Klarheit der Ausdrucksseite davon, wie klar und deutlich gesprochen wird, wie viele Pausen gemacht werden und wie oft wiederholt wird, damit auch wirklich alle Wrter und Silben als komplette Lautgestalt wahrgenommen und gespeichert werden knnen. Es ist anzunehmen, dass der Aufbau der Primrgrammatik auch durch abstrakte Sprachaufmerksamkeit, das bewusste Wahrnehmen sprachlicher Regelmigkeiten untersttzt werden kann. Wenn diese abstrakte Sprachaufmerksamkeit jedoch frderlich fr die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, sein soll, muss mit nicht verschriftlichten Hrtexten gearbeitet werden. Da es nach VanPatten (1986) fast nicht mglich ist, auf Sprache und Inhalt gleichzeitig zu achten, setzt dies voraus, dass Hrtexte in mehreren Durchgngen bearbeitet werden, wobei in den ersten Durchgngen die Aufmerksamkeit auf den Inhalt und in spteren Durchgngen auf die Lautgestalt und Ausdrucksseite der Sprache gelenkt wird, z.B. dadurch, dass Lerner gebeten werden, vielleicht in Form eines Lckendiktats, alle konjugierten Verbformen schriftlich festzuhalten. Die Frderung der Sprachaufmerksamkeit bei mndlichen Texten hat den weiteren Vorteil, dass Lerner dadurch Strategien lernen, die sie auch auerhalb des Unterrichts einsetzen und damit auch in ungesteuerten Kommunikationssituationen bewusst weiterlernen knnen. Die gesammelten Beispiele lassen sich dann im Unterricht natrlich auch weiter bearbeiten, analysieren und klassifizieren, wobei eine Verschrnkung mit der Kulturgrammatik bzw. auch mit der Schulgrammatik stattfinden knnte.

Im Folgenden soll nun ein konkretes Beispiel dafr gegeben werden, wie ein Unterricht aussehen knnte, der sich auf die in diesem Abschnitt besprochenen Grammatikerwerbsprinzipien sttzt. Ich whle als Grundlage der Unterrichtseinheit wie auch beim nchsten Beispiel einen authentischen Fernsehmitschnitt, der digital aufbereitet wurde, da die effektive und przise Lenkung der Aufmerksamkeit auf sprachliche Details und auf Details der kommunikativen Situation in authentischen Umgebungen durch die computergesteuerte Verwendung digitaler Audio- und Videomaterialien wesentlich untersttzt und teilweise erst ermglicht wird. Dabei ist es relativ unwichtig, ob wie bei meinem Beispiel mit einem Autorenprogramm gearbeitet wird oder ob das Video einfach in eine Powerpoint Prsentation eingebunden wird. Selbst mit einem einfachen Videorecorder lassen sich die Ziele der Unterrichtseinheit erreichen, auch wenn es etwas umstndlicher und zeitaufwendiger ist. Die folgende Unterrichtseinheit hat als Zielgruppe fortgeschrittene Anfnger vor Augen, weil gerade auch Anfnger reichhaltigen authentischen Input bentigen. Der Fernsehausschnitt entstammt der ZDFSendung Doppelpunkt vor Ort mit dem Titel Ungeplant, aber nicht abgetrieben und enthlt zwei kurze Umfragen in einer Fugngerzone (Pusack/Tschirner 1996). Der Ausschnitt wurde gewhlt, um erwachsenen Lernern die Mglichkeit zu geben, sich mit gesellschaftlich wichtigen kontroversen Themen zu beschftigen und zu erfahren, dass sie diese sowohl sprachlich verstehen als auch auf einfache Weise ihre Meinung dazu uern knnen. Die grammatischen Strukturen, die dabei gebt werden, sind die Konjunktivformen wrde und wre. Die Unterrichtseinheit besteht aus drei Phasen. In der ersten Phase wird mit dem Video gearbeitet. Das Thema wird eingefhrt und die Teilnehmer lernen die Meinungen von Deutschen kennen. In der zweiten Phase werden Wrter und Ausdrcke aus dem Video mit Hilfe eines Sprechspiels produktiv gemacht und in der letzten Phase werden die Meinungen der Kursteilnehmer gesammelt. Je nach Kompetenzstand der Gruppe kann sich daran eine kurze Diskussion anschlieen. Nur in der ersten Phase wird mit Multimediarechner gearbeitet. Im Folgenden wird nur diese erste Phase vorgestellt. Authentisch gesprochene Sprache schchtert Anfnger oft ein. Ihre Verschriftlichung, zusammen mit der Mglichkeit, sie Satz fr Satz mitzuverfolgen und jeden Satz mehrmals zu wiederholen, hilft Anfngern, ihr Sinn zu entnehmen, sie wahrzunehmen und zu verstehen. Eine weitere Mglichkeit, Lerner langsam an sie heranzufhren, besteht darin, zwischen zwei Phasen zu unterscheiden, einer visuellen und einer auditiven (Tschirner 1999). In der visuellen Phase werden Aufgaben gestellt, die lediglich ber das Sehen beantwortet werden knnen, und in der auditiven Phasen Aufgaben, bei denen das gesprochene Wort verstanden werden muss. Die Funktion der ersten, visuellen Phase ist emotional gesehen ein Aufwrmen und bietet erste Erfolgserlebnisse, da zur Beantwortung der Fragen kein auditives Verstndnis ntig ist. Gleichzeitig etabliert sich in dieser Phase das Genre. Es werden Verstndnisschemata und Elemente des Weltwissens aufgerufen, die ein erstes Verstndnis der Episode ermglichen, und es werden Zusammenhnge antizipiert. Dabei handelt es sich um ein visuelles Wahrnehmen der Orte, der handelnden Personen und der Ereignisse. Durch die Versprachlichung des Gesehenen wird Leseverstndnis gebt und es werden neue Vokabeln eingefhrt bzw. bekannte wiederholt, die, gerade weil sie das Gesehene versprachlichen, relativ leicht zu verstehen sind. Die Aufmerksamkeit liegt zwar auf der visuellen Information, der Ton ist allerdings nicht abgeschaltet. Die akustische Information soll beilufig mit wahrgenommen werden, damit sich das Ohr bereits ein wenig auf die Sprecher und Stimmen einstellen kann und eventuell bereits ein paar Wrter wahrnimmt, die in der auditiven Phase als Brckenpfeiler fr das weitere Verstehen benutzt werden knnen. In der Aufgabe in Grafik 4 soll festgestellt werden, in welcher Reihenfolge die interviewten Personen sprechen. Die Beschreibungen werden vorgelesen und die Lerner in Zweiergruppen eingeteilt. Dann wird die Sequenz mehrmals gespielt, bis sich die meisten Lerner ber die Reihenfolge relativ einig sind. Dann wird ein Lerner gebeten, auf Zuruf aus der Gruppe die Beschreibungen in die richtige Reihenfolge zu ziehen. Die zweite Aufgabe richtet sich auf das auditive Verstehen. Bevor weiter mit dem Video gearbeitet wird, wird gesammelt, was die Lerner bereits verstanden haben. Dies ist oft eine ganze Menge. Zwar hat jeder etwas anderes verstanden, manche eher mehr, andere vielleicht nur sehr wenig. Wenn man dies alles aber zusammentrgt, ist oft ein Groteil des Videos inhaltlich bereits verarbeitet. Ein weiterer Vorteil des Sammelns von verstandenen Teilen ist, dass der Kenntnisstand der Lerner nach dem Sammeln relativ ausgewogen ist. Dies ist wichtig, damit auch die schwcheren Lerner von der Videoarbeit profitieren. Beim nachfolgenden Sehen wird als erstes gefragt, was die genaue Frage ist. Die Frage wird mehrmals gespielt und die Lerner werden gebeten, sie aufzuschreiben.

Grafik 4. Kinder bekommen 1

Grafik 5. Kinder bekommen 2 mit Frage 1

In Grafik 5 sieht man den Wortlaut der Frage im Textfenster in der linken unteren Hlfte des Bildschirms. Whrend die Frage von den Studenten aufgeschrieben wird, ist das Textfenster leer. Erst ein Klick auf das Fragewort was im Aufgabenfenster ruft das Textfenster auf und lsst die Frage sichtbar werden. Auch hier wird deutlich, wie die Arbeit mit Multimedia den Unterricht straffen kann. Die Zeit, die sonst verbracht worden wre, den Satz an die Tafel zu schreiben, kann hier anderweitig genutzt werden. Weitere Aufgaben sind festzustellen, wie die einzelnen Personen auf diese Frage reagieren, was

die zweite Frage ist und wie die Personen darauf reagieren. Das Lsen der Aufgaben findet jeweils in Zweiergruppen statt mit einer Zusammenfassung und berprfung der Lsungen am Computer durch einen Lerner, der auf Zuruf aus der Gruppe arbeitet. Die dritte Aufgabe hat als Ziel, die Ausdrcke zu sammeln, in denen die Konjunktivformen wrde und wre auftreten. Dies wird mit einer Zuordnungsaufgabe gelst. Teilnehmer bekommen eine Liste der folgenden Ausdrcke und schreiben daneben, von welcher Person sie verwendet wurden.Von wem stammen die folgenden Satzteile? Hren Sie genau hin und identifizieren Sie die Personen, die sie verwenden. Schreiben Sie die Person neben die Satzteile. I = Interviewerin, Schwarz = Mdchen mit schwarzen Haaren, Hut = Frau mit Hut, Brille = Jugendlicher mit Brille, Blond = Frau mit blonden Haaren, Pferdeschwanz = Mann mit Pferdeschwanz, Kinderwagen = Frau mit Kinderwagen, Jacke = Frau mit heller Jacke Wer ____________ ____________ ____________ ____________ ____________ ____________ ____________ ____________

das wr nix warum wrdest du was wre schwanger werden wrde schwanger werden wrdest wrd ich wrde ich wrden Sie

Grafik 6. Aufgabenblatt Konjunktiv

Das Lsen der Aufgabe findet diesmal in Dreiergruppen statt, um die Treffsicherheit der Gruppen zu erhhen. Der Videoausschnitt wird mindestens zweimal gespielt, auf Wunsch auch fter. Zur berprfung der Lsung werden alle Stze noch einmal gespielt. Bei manchen Zielgruppen bietet es sich an, nicht nur konkret, sondern auch abstrakt mit grammatischen Strukturen zu arbeiten. Eine Mglichkeit, dies zu tun, ist es, das Paradigma der wrde-Formen eventuell in Gruppenarbeit vervollstndigen zu lassen. Das rezeptive Arbeiten mit grammatischen Strukturen hat viele Vorteile. Zum einen werden keine grammatischen Fehler gemacht. Man kann sich zwar verhren, d.h. die Personen falsch zuordnen, aber man hrt keine falschen Formen, was man beim produktiven ben meist nicht sagen kann. Zum anderen prgen sich die Formen durch das hufige Hren ein. Dieses Einprgen findet desweiteren in einem syntaktischen, semantischen und situierten Zusammenhang statt, was einen Abruf in hnlichen Zusammenhngen frdert. Durch das mehrmalige genaue Zuhren prgen sich muttersprachliche Aussprache- und Intonationsmuster ein, die auch die eigene Aussprache verbessern sollten. Schlielich prgen sich mndliche Grammatikmuster ein, die in diesem Fall das Schwanken zwischen ich wrde und ich wrd' der Realitt der gesprochenen Sprache besser gerecht werden als die knstliche Welt der reinen Grammatik. Mit Hilfe dieser Unterrichtseinheit sollte gezeigt werden, wie mit authentischen Videosequenzen zu Themen, die fr Erwachsene intellektuell gehaltvoll sind, gearbeitet werden kann, um diese Arbeit auch fr Anfnger produktiv zu machen, sowohl im Sinne des Verstehens wie auch der Verstndigung. Die Aufmerksamkeit liegt darauf, Sprache und Inhalt bewusst wahrzunehmen, um den Aussprache-, Grammatik- und Lexikonerwerb funktional zu frdern. Das Ziel der ganzen Einheit ist es darber hinaus, das Lernen beim Verstehen beginnen zu lassen und in der Verstndigung weiterzufhren, die Lerner ganzheitlich zu involvieren, d.h. mit ihrem Denken und mit ihren Emotionen, und die Kultur der Zielsprache in ihrer Heterogenitt darzustellen.

4. Grammatikerwerb durch SprechenPerzeptives Lernen, das Wahrnehmen und Speichern semantisierter und situierter sprachlicher Einheiten setzt den fremdsprachlichen Erwerb in Gang, fhrt aber allein nicht zu produktiver Kompetenz. Wenn neben Hr- und Leseverstndnis auch Sprech- und Schreibkompetenz entwickelt werden sollen, mssen diese Fhigkeiten trainiert werden. Der Erwerb neuer zweitsprachlicher Formen (Laut-, Morphem- und Wortfolgen) findet zuerst perzeptiv statt. Die Menge der produktiven Formen leitet sich aus der Menge der perzeptiven Formen ab und ist eine Untermenge derselben. Allerdings mssen die

produktiven Formen zustzlich zu den perzeptiven erworben werden. Dies lsst sich am Verhltnis vom Hren zum Sprechen erkennen. Perzeptive Formen sind auditiver Art und mssen in artikulatorische bertragen werden, bevor sie produktiv verwendet werden knnen. Diese bertragung findet aber nicht automatisch statt. Fr jedes einzelne Morphem oder Wort und fr jede einzelne Wortfolge muss ein neues artikulatorisches Programm geschrieben werden, das die jeweilige auditive Form in die artikulatorische bersetzt (Keenan/MacWhinney 1987). Die fr die inhaltliche Perzeption und Produktion wichtige Verknpfung von Form und Funktion ist ebenso wenig vom Perzeptiven auf das Produktive bertragbar. Auch sie muss im Produktiven erneut stattfinden, und zwar als Verknpfung produktiver Formen mit produktiven Funktionen. Nicht nur sind perzeptive und produktive Formen unterschiedlicher Art, auch die Richtung der Verknpfung ist unterschiedlich. Beim Hrverstndnis werden Funktionen (Konzepte) aus Formen abgeleitet, beim Sprechen kommt die Funktion (Sprechintention) zuerst, und es mssen die richtigen Formen dafr gefunden werden (Keenan/MacWhinney 1987). Fr den Fremdsprachenunterricht bedeutet dies dreierlei: 1. Der Unterricht darf sich nicht darin erschpfen, dass Input angeboten wird, der perzeptives Lernen ermglicht. 2. Wrter (Lautfolgen) und uerungen (Wortfolgen) mssen perzeptiv klar und deutlich wahrgenommen und anschlieend produktiv gebt werden. 3. Es mssen Aufgabentypen verwendet werden, in denen von den eigenen Sprechintentionen der Lerner ausgegangen wird, wobei ihnen geholfen wird, die dafr notwendigen sprachlichen Formen zu finden. Die besondere Rolle, die den eigenen Sprechintentionen der Lerner zukommt, lsst es ratsam erscheinen, bei Sprechaufgaben weder einseitig reproduktiv zu arbeiten (auswendig lernen von Dialogen) noch sich auf Simulationen und Rollenspiele zu verlassen. Die Lerner selbst mssen thematisiert werden, ihre Welt erkundet und zum Gegenstand von Sprechaufgaben gemacht werden. Fragespiele, Entscheidungsaufgaben und andere Aufgaben, die die Gedanken, Neigungen, Wnsche der Mitlerner zu erkunden suchen, sind dafr besonders geeignet. Dabei bietet es sich an, authentische Audio- und Videodokumente nicht nur als (inhaltliche) Sprechanlsse zu benutzen, sondern mit Hilfe der Wrter, Stze und Funktionen der Audio- und Videodokumente Sprechaktivitten zu entwickeln und den Lernern zu helfen, den Schritt vom Verstehen (Input) zur Verstndigung (Output) zu machen. Seit man mndliche Textkorpora, die mehrere Millionen von Wrtern umfassen, erstellt und mit Hilfe von Konkordanzprogrammen u.. analysiert, stellt sich immer mehr heraus, dass sprachliche Kommunikation, insbesondere mndliche Kommunikation in hohem Mae routinisiert und ritualisiert ist (Nattinger/DeCarrico 1992). Pawley und Syder (1983) rufen in Erinnerung, dass Muttersprachler nicht nur wissen, welche Stze grammatisch richtig sind, sondern auch welche Stze aus der unendlichen Menge grammatisch richtiger Stze idiomatisch richtig, d.h. gebruchlich sind. Ihrer Meinung nach beruht die idiomatische Kompetenz von Sprechern darauf, dass sie Hunderttausende von lexikalisierten Phrasen, Stzen und Teilstzen komplett gespeichert haben und abrufen knnen. Spontanes Sprechen ist grundlegend improvisatorisch. Sprecher berblicken ihre uerungen nicht von Beginn an oder planen sie voraus, sondern gestalten ihre alltglichen Mitteilungen zum groen Teil mit Hilfe vorgefertigter Satzteile und Teilstze, die unter Umstnden nur lose aneinander gereiht werden. Diese Annahme erklrt auch, warum Muttersprachler trotz der vergleichsweise geringen Kapazitt des Arbeitsgedchtnisses (Speicherkapazitt von 7 2 Einheiten, Speicherdauer von ca. 10 Sekunden) meist problemlos und flieend sprechen knnen. Sprecher generieren im spontanen Sprechen einen groen Teil ihrer Stze nicht neu, sondern greifen auf Satzteile und Teilstze zurck, die sie im Laufe von vielen Jahren zu Hunderttausenden als Ganzes gespeichert haben und die sie oft nur mit leichten Variationen neu zusammenstellen. Nach Ellis (1996) wird auch im Fremdsprachenerwerb implizites grammatisches Wissen, also die Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, nicht aufgrund explizit gelernter Regeln erworben, sondern ber das Speichern von in authentischen Diskursen gelernten lexikalischen Phrasen oder Syntagmen. Diese Syntagmen werden implizit, d.h. unbewusst und automatisch analysiert, wenn sehr groe Mengen solcher Phrasen gespeichert wurden. Gleichzeitig bleiben diese Syntagmen aber auch als Syntagmen erhalten und knnen im Ganzen abgerufen und mit leichten Vernderungen aneinander gereiht werden, vor allem und besonders bei den vielen ritualisierten Verwendungen von Sprache, aber auch in vielen Fllen, in denen bestimmte Erlebnisse, Meinungen usw. zum wiederholten Male wiedergegeben werden. Wichtig ist die Betonung des Authentischen. Authentisch verwendete Sprache ist reichhaltig und verbindet auf ideale Weise phonetische, syntaktische, semantische und pragmatische Aspekte. Das Speichern lexikalischer Phrasen, d.h. kompletter Ausdrcke, Teilstze und kurzer Stze ist mglicherweise deshalb so erfolgreich, weil dabei die Flexionsendungen in ihrem semantischen Kontext gespeichert werden. Wenn diese gefrorenen grammatischen Elemente zu einem spteren Zeitpunkt analysiert werden, wird regelgesteuerte produktive Kompetenz erworben. Sprachliche Aspekte sollten deshalb nicht getrennt gelernt werden, also Vokabeln durch Vokabelgleichungen und Grammatik durch

Beispielstze und Grammatikbungen. Fremdsprachlicher Erwerb ist dann am erfolgreichsten, wenn die sprachlichen Ebenen nicht getrennt sind, wenn Wrter und Ausdrcke in ihren syntaktischen, semantischen und pragmatischen Zusammenhngen benutzt und gelernt werden. Produktive Formen lassen sich nicht automatisch aus rezeptiv gespeicherten Formen ableiten, sondern mssen eigens erworben und mit Sprechintentionen verknpft werden. Wenn fremdsprachliches Lernen fr produktive Zwecke zu einem bedeutenden Teil darber stattfindet, dass lexikalische Phrasen gelernt werden, die spter intern analysiert werden, dann sollte die Ausdrucksseite dieser lexikalischen Phrasen so wohlgeformt wie mglich gespeichert werden knnen. In Analogie zu input enhancement bezeichne ich mit output enhancement den Versuch, die Inhalts- und Ausdrucksseite von produktiv verwendetem sprachlichen Material optimal zu speichern. Auf der Inhaltsseite bedeutet dies, dass die Situation in der gelernt wird, den Situationen hnelt, in denen die Fremdsprache spter benutzt werden soll, dass es sich dabei also um authentische Kommunikationssituationen handelt. Es bedeutet auch, dass der propositionale und funktionale Inhalt der uerungen so klar wie mglich erkannt ist. Auf der Ausdrucksseite bedeutet dies, dass Anstrengungen gemacht werden, den Lernern zu ermglichen, phonetisch und syntaktisch mglichst fehlerfrei zu sprechen. Dies kann z.B. dadurch erreicht werden, dass mit vorgefertigten Phrasen und Stzen, mit lexikalischen Phrasen und Versatzstcken, kommunikativ gearbeitet wird. Wichtig dabei ist, dass Sprechintentionen suggeriert werden, dass authentische Sprachhandlungen ausgefhrt werden, und dass diese mit wohlgeformtem sprachlichem Material verknpft werden. Auch die Verwendung dieser Prinzipien, die mit Hilfe der Begriffe lexikalisches Lernen, Sprechintentionen und output enhancement zusammengefasst werden knnen, sollen nun wieder an einem konkreten Unterrichtsentwurf dargestellt werden. Das Ziel dieser Unterrichtseinheit ist es, ber husliche Arbeiten sprechen zu lernen. Ein zweites Ziel ist es, auf Geschlechterrollen einzugehen und damit zusammenhngende kulturelle Aspekte der deutschsprachigen Welt mit eigenen zu vergleichen. Zielgruppe sind fortgeschrittene Lerner auerhalb des deutschsprachigen Raums. Die Videosequenz entstammt der ZDF-Serie Hallo bei Logo (Bohde/Pusack 1995). Dabei handelt es sich um eine Nachrichtenserie fr ltere Kinder. Viele ihrer Themen sind aber auch fr Jugendliche und Erwachsene interessant. Da sie fr Kinder entwickelt wurde, ist ihre Sprache wesentlich einfacher als die in Nachrichtensendungen fr Erwachsene verwendete. Es wird viel erklrt, oft mit Zeichnungen und Animationen. In der vorliegenden Videosequenz wird auf sehr lustige Weise zuerst das fr ltere Deutsche oft noch typische Rollenverstndnis fr Arbeiten im Haushalt karikiert und dann das Beispiel einer Schule vorgestellt, die sich bemht, dieses Rollenverstndnis zu berwinden, indem sie einen Haushaltsfhrerschein einfhrt. Die Unterrichtseinheit besteht aus vier Phasen. In der ersten Phase wird die 1. Hlfte des Videos bearbeitet. In der zweiten Phase sprechen die Lerner ber husliche Arbeiten, die sie gern oder weniger gern verrichten. In der dritten Phase wird die zweite Hlfte des Videos bearbeitet. In der vierten Phase schlielich werden kulturelle Unterschiede in diesem Bereich thematisiert. Im Folgenden werden nur die ersten beiden Phasen dargestellt, dabei vor allem die zweite, in der eines der Ziele ein grammatisches ist, nmlich das ben der Infinitiv-, Prsens- und Perfektformen starker und schwacher Verben. Haushaltsrollen von Mnnern und Frauen in der deutschsprachigen Welt Mit Hilfe einer Reihe von Aufgaben wird die erste Hlfte des Videos erarbeitet, in denen zwei Mnner mit antiquierten Vorstellungen von Geschlechterrollen im Haushalt zu Wort kommen. Diese Vorstellungen werden von der Ansagerin ironisch kommentiert. Die Aufgaben sollen den Lernern vor allem helfen, die Sequenz zu verstehen und dabei die sprachliche Seite bewusst wahrzunehmen. Daher gibt es eine Reihe von Aufgaben, die wie bei Untertiteln das Gehrte verschriftlichen. Beim einfachen Sehen sind Untertitel genauso flchtig wie die gesprochene Sprache. Dazu kommt, dass man sich nicht gut auf Film und Untertitel gleichzeitig konzentrieren kann. Deshalb werden Untertitel in dieser Unterrichtseinheit aufgabenorientiert verwendet. Lerner mssen die Untertitel mit dem Gesehenen koordinieren, z.B. indem sie feststellen, wer was gesagt hat, in welcher Reihenfolge es gesagt wurde oder ob es genau so gesagt wurde, wie es in der Aufgabe steht. Grafik 7 zeigt eine dieser Aufgaben. Im Videofenster im linken oberen Viertel des Bildschirms luft das Video. Die ganze rechte Hlfte des Bildschirms wird von der Aufgabe eingenommen. Im linken unteren Viertel tauchen je nach Wahl unterschiedliche Textfenster auf, die z.B. kulturelle Hintergrundinformationen geben, Synonyme oder Worterklrungen bieten oder auch Wrter bersetzen. Die Aufgabe besteht darin, uerungen im Aufgabenfenster den richtigen Personen zuzuordnen. Dazu klicken die Lerner auf eine uerung und dann auf die Krzel ber den uerungen. S steht fr Sprecherin, M fr lterer Mann und jM fr jngerer Mann. Das Ziel der Aufgabe ist das wortwrtliche Hren dessen, was gesagt wird. Dies wird gefrdert, wenn das Gehrte verschriftlicht ist. Die

uerungen knnen dadurch mehrmals gehrt und gleichzeitig mitgelesen werden. Rechts neben den Stzen befinden sich quadratische Symbole. Wenn diese angeklickt werden, spielt die Sequenz, in der die Stze geuert werden, im Videofenster.

Grafik 7. Wer sagt das?

Das Ziel ist nicht, die Aufgabe zu lsen. Das Ziel ist, einen Grund zu liefern, einzelne uerungen mehrmals anzuklicken und sie in ihrem situativen Zusammenhang zu hren und zu lesen. Durch das Mitlesen wird die Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Wort und jede einzelne Silbe gelenkt. Beim bloen Zuhren richten selbst fortgeschrittene Lerner ihre Aufmerksamkeit meist nur auf die betonten Silben, damit sie trotz der Flchtigkeit der gesprochenen Sprache den Faden durch intelligentes Raten nicht verlieren. Dies ist eine wichtige Hrstrategie. Solche rein inhaltlich orientierten Hrstrategien verhindern aber, dass sich das Gehirn mit der Ausdrucksseite der Sprache beschftigt und verhindern damit sprachliches Lernen. Inhaltliches Verstehen geht auf Kosten sprachlichen Lernens. Ziel dieser Aufgabe ist es, inhaltliches Verstehen mit sprachlichem Lernen zu verbinden. Gesprch ber Haushaltsttigkeiten der Lerner Auf Grundlage der im Video auftauchenden huslichen Ttigkeiten wird ein Arbeitsblatt entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Lerner gegenseitig interviewen und die Antworten des Gegenbers notieren. Der Beginn der Arbeitsblattes sieht folgendermaen aus:Interview: Hausarbeiten Mann / Frau Ja oder nein Kannst du Wsche waschen? Wschst du gern? Hast du letzte Woche gewaschen? Kannst du Geschirr splen? Splst du gern Geschirr? Hast du letzte Woche Geschirr gesplt? Grafik 8. Arbeitsblatt Verbformen ___________ ___________ ___________ ___________ ___________ ___________

Die Lerner sollen zuerst festhalten, ob sie eine Frau oder einen Mann interviewen, und dann die Fragen der Reihe nach stellen. Das Lerntraining findet hier ber das Fragen statt. Obwohl die Fragen bereits vorformuliert sind, handelt es sich um einen echten kommunikativen Austausch. Die fragende Person konzentriert sich auf den Inhalt der Frage und auf die Antwort. Gleichzeitig werden aber die neuen Verben im Infinitiv, in einer konjugierten Form und im Partizip Perfekt gebt. Ziel dieser Aktivitt ist es zum einen, den Lernern Sprechintentionen zu suggerieren, um ihnen die Verknpfung von Sprechintention (Funktion) mit produktiven Formen zu ermglichen. Ein zweites Ziel ist es, output enhancement zu betreiben, d.h. die Lerner mit fehlerfreien und idiomatischen Sprachbeispielen arbeiten zu lassen. Dabei sollte auch die Aussprache gebt werden. Bei fortgeschritteneren Lernern gengt es meist, wenn alle Stze vorgelesen werden, bei weniger fortgeschrittenen sollte die Aussprache direkt durch Nachsprechen gebt werden. Dieses kommunikative ben kann natrlich die echte Kommunikation nicht ersetzen, in der Lerner unvorbereitet und spontan Meinungen, Gedanken und Gefhle austauschen, stellt aber eine wichtige Vorbereitung auf das freie Sprechen dar. Das grammatisch richtige Sprechen wird gebt und wenn es dabei gelingt, dass sich die Lerner fr die Kommunikation interessieren, fr die Antworten ihres Gegenbers, und sich die in der Aktivitt angelegten Sprechintentionen zu ihren eigenen machen, findet dieses grammatisch richtige Sprechen in einer echten kommunikativer Situation statt und erfllt dadurch die Prmissen des lexikalischen Lernens. Das Inhaltliche der Aktivitt steht meist so im Vordergrund, dass die Lerner gar nicht merken, dass sie wichtige Formen ausgewhlter Verben ben. Die Betonung des Inhaltlichen wird weitergefhrt, indem im Anschluss die Antworten der gesamten Gruppe getrennt nach Frauen und Mnnern von der Lehrerin z.B. auf Overhead-Folie gesammelt werden. Dies liefert gleichzeitig ein erstes Bild davon, welches Rollenverstndnis sich in den eigenen Kulturen der Lerner abzeichnen knnte. Im Anschluss daran bietet sich eine sprachreflektive Phase an, in der die Lerner z.B. gebeten werden knnen, die neuen Verben in starke und schwache einzuteilen und noch einmal fr sich die Infinitiv-, Prsens- und Perfektformen dieser Verben aufzuschreiben.

5. Zusammenfassung und AusblickIn diesem Beitrag habe ich versucht zu zeigen, dass die Annahme einer einzigen Grammatik eine sprachwissenschaftliche Abstraktion ist, die weder den mentalen Vorgngen bei der Verwendung und beim Lernen von Sprache gerecht wird, noch hilfreich fr die Entwicklung der Grammatikdidaktik im Fremdsprachenunterricht ist. Fremdsprachenlerner sind immer Einzelgnger (Riemer 1997). Grammatikerwerb findet immer in individuellen Kpfen statt. Grammatikerwerb fhrt dazu, dass in Realzeit grammatisch richtig gesprochen und geschrieben wird bzw. so richtig, wie es eben auch Muttersprachler nur knnen. Individuelle grammatische Kompetenz ist prozessorientiert und spontan einsetzbar. Die Schulgrammatik mit ihrer Einengung auf die berregionale, schriftsprachliche Variante einer Sprache ist produktorientiert, muss nachgeschlagen werden und ist darber hinaus ein Kompromiss aus unzhligen individuellen Grammatiken, was u.a. dazu fhrt, dass sie nicht gehirnfreundlich ist und vollgepfropft mit Ausnahmen. Zudem ist sie nur eine mgliche logische Beschreibung von statischen Strukturen und Abhngigkeiten zwischen Wrtern, Satzteilen und Stzen der geschriebenen Sprache. Die Regeln dieser Grammatik haben mit den mentalen Regeln, die Sprecher befhigen, grammatisch richtig zu sprechen, nichts gemein. Gegen das Diktat der Schulgrammatik habe ich zwischen einer Primrgrammatik, der intuitiven Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, die sich ber den kindlichen Erstspracherwerb entwickelt, einer Kulturgrammatik, der intuitiven Fhigkeit, ein zweites, gebildetes Register, eine berindividuelle und berregionale Variante der Sprache zu benutzen, und der Schulgrammatik selbst unterschieden, wobei sowohl die Primrgrammatik, wie die Kulturgrammatik eine rezeptive und produktive Seite haben. Ich habe argumentiert, dass auch Fremdsprachenlerner beide Arten von Grammatik lernen mssen, vermutlich auf hnliche Weise wie Muttersprachler, und ich habe postuliert, dass sich die Primrgrammatik nur auditiv-mndlich erwerben lsst, ohne abstreiten zu wollen, dass schriftliche Prozesse durchaus untersttzend wirken knnen. Ebenso entwickelt sich die Kulturgrammatik vor allem durch Lese- und Schreiberfahrungen und nur teilweise durch ein Lernen und ben der Schulgrammatik. Ich habe desweiteren zwischen einem rezeptiven und einem produktiven Grammatikerwerb auf dem Weg zur Fhigkeit, grammatisch richtig zu sprechen, unterschieden. Beim rezeptiven Erwerb kommt es darauf an, dass mit auditiven Daten gearbeitet wird, die in Kommunikationszusammenhngen angeboten und verarbeitet werden knnen und dass die Aufmerksamkeit neben der inhaltlichen Seite auch auf die sprachliche Seite gelenkt wird. Dies wird in der Fachliteratur mit input enhancement, input processing oder focus on form bezeichnet. Beim produktiven Erwerb ist wichtig, dass Lerner Mitteilungswnsche

(Sprechintentionen) haben. Da Sprache, vor allem gesprochene Sprache, zu einem groen Teil routinisiert und ritualisiert ist, ist es sinnvoll auch beim Lernen mit sprachlichen Routinen zu arbeiten, d.h. mit kompletten Satzteilen, Teilstzen und ganzen Stzen. Das Verwenden von vorformulierten Phrasen und Stzen in kommunikativen Sprechspielen oder das Verwenden vorher gebter uerungen in kontrollierten kommunikativen Situationen habe ich als output enhancement bezeichnet und vorgeschlagen, es als einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zum freien Sprechen einzusetzen. Grammatisch richtiges Sprechen lernt man nicht dadurch, dass man schriftliche Grammatikregeln in knstlichen Kontexten schriftlich bt, sondern indem man Grammatik kommunikativ lernt, lernt, grammatische Elemente zu hren und die Gelegenheit bekommt, mit grammatisch richtigen Stzen zu kommunizieren. Es wre ein Fehler, die neue Hinwendung zur Sprache und zur Grammatik im Fremdsprachenunterricht, die richtig und wichtig ist, einfach als das Ausschlagen des Pendels in die andere Richtung zu betrachten und wieder mit herkmmlichen Mittel zu versuchen, Grammatik zu erklren und ben zu lassen. Stattdessen mssen neue Grammatikkonzepte entwickelt werden, die psycholinguistischen und kognitiven Realitten bei der Sprachverwendung, auch der fremdsprachlichen Sprachverwendung, gerecht werden, um nicht Grammatik zu lernen, sondern zu lernen, grammatisch richtig zu sprechen (und zu schreiben). Ziel meiner Errterungen war es, einen bescheidenen Beitrag bei der Entwicklung solcher Konzepte zu leisten.

LiteraturangabenBohde, Rebecca / Pusack, James (eds.) (1995): Teleskop: Landeskunde im ZDF. [Videofilm]. Boston: Houghton Mifflin. Brown, Gillian / Malmkjr, Kirsten / Pollitt, Alastair / Williams, John (eds.) (1994): Language and understanding. Oxford: Oxford University Press. Clark, Herbert / Clark, Eve (1977): Psychology and language: An introduction to psycholinguistics. New York: Harcourt, Brace, Jovanovich. Ellis, Nick (1996): Sequencing in SLA: Phonological memory, chunking, and points of order. Studies in Second Language Acquisition 18: 91-126. Ellis, Rod (1994): The study of second language acquisition. Oxford: Oxford University Press. Gtze, Lutz (1996): Grammatikmodelle und ihre Didaktisierung in Deutsch als Fremdsprache. Deutsch als Fremdsprache 33: 136143. Helbig, Gerhard (1992): Wieviel Grammatik braucht der Mensch. Deutsch als Fremdsprache 29: 150-155. Helbig, Gerhard (1999): Was ist und was soll eine Lern(er)-Grammatik?. Deutsch als Fremdsprache 41: 103112. Keenan, Janice / MacWhinney, Brian (1987): Understanding the relationship between comprehension and production. In: Dechert, Hans / Raupach, Manfred (eds.): Psycholinguistic models of production. Norwood, NJ: Ablex: 149-155. Lyons, John (1996): On competence and performance and related notions. In: Brown, Gillian / Malmkjr, Kirsten / Williams, John (eds.): Performance and competence in second language acquisition. Cambridge: Cambridge University Press: 9-32. Nattinger, James / DeCarrico, Jeanette (1992): Lexical phrases and language teaching. Oxford: Oxford University Press. Pawley, Andrew / Syder, Frances (1983): Two puzzles for linguistic theory: Native-like selection and native-like fluency. In: Richards, Jack / Schmidt, Richard (eds.): Language and communication. London: Longman: 191-226. Pusack, James / Tschirner, Erwin (eds.) (2000): Blickkontakte. Video to accompany Kontakte: A communicative approach, 4th edn. [Videofilm]. New York: McGraw-Hill. Riemer, Claudia (1997): Individuelle Unterschiede im Fremdsprachenerwerb: Die Wechselwirkung ausgewhlter Einflussfaktoren. Hohengehren: Schneider. Sharwood Smith, Michael (1993): Input enhancement in instructed SLA: Theoretical bases. Studies in Second Language Acquisition 15: 165-179. Tonkyn, Alan (1994): Introduction: grammar and the language teacher. In: Bygate, Martin / Tonkyn, Alan / Williams, Eddie (eds.): Grammar and the language teacher. Hemel Hempstead, UK: Prentice Hall International: 1-14. Tschirner, Erwin (1998): From lexicon to grammar. In: Harper, Jane / Lively, Mary / Williams, Mary (eds.): The coming of age of the profession. Issues and emerging ideas for the teaching of foreign languages. Boston: Heinle & Heinle: 113-128. Tschirner, Erwin (1999): Neue Qualitten des Lehrens und Lernens: Thesen zum Einsatz von Multimedia im Fremdsprachenunterricht. In: Bausch, Karl-Richard / Christ, Herbert / Knigs, Frank / Krumm, Hans-

Jrgen (eds.): Die Erforschung von Lehr- und Lernmaterialien im Kontext des Lernens und Lehrens fremder Sprachen. Tbingen: Narr: 232-39. Tschirner, Erwin (2001): Kompetenz, Wissen, mentale Prozesse: Zur Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht. In: Funk, Hermann / Koenig, Michael (eds.): Kommunikative Didaktik in Deutsch als Fremdsprache Bestandsaufnahme und Ausblick. Festschrift fr Gerhard Neuner. Mnchen: Iudicium: 106-25. VanPatten, Bill (1986): Second language acquisition research and the learning/teaching of Spanish. Some research findings and their implications. Hispania 68: 399-406. VanPatten, Bill / Cadierno, Teresa (1993): Explicit instruction and input processing. Studies in Second Language Acquisition 15: 225-243.