2011_06_SZ_all

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MITTWOCH, 1. JUNI 2011 Die deutsche Ausgabe von Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Rossijskaja Gaseta, Moskau, verantwortlich Bloßgestellt Der Sex-Skandal um Strauss-Kahn ist der nächste Schlag für ein verunsichertes Europa, meint Fjodor Lukjanow S. 10 Eine junge Hamburgerin gehört zum festen Inventar der Partyszene in Sankt Peters- burg. Ihre Clubs sind Kult. S. 12 Verzaubert POINTIERT Geschichten zu Ende erzählt E nde Januar 2009 werden der Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journa- listin Anastassija Baburowa auf offener Straße erschossen. Die Täter können entkommen. Zwei Jahre später legen die Ermittler erdrückende Beweise vor: Der Mörder und seine Komplizin, beide aus dem nationalistischem Lager, werden zu Höchststrafen verurteilt. Drei Jahre lang kämpfen die Ein- wohner Sankt Petersburgs gegen den Bau der prestigeträchtigen Gazprom-Zentrale mitten im historischen Stadtzentrum – bis die Stadtverwaltung nachgibt und das Projekt an den Stadt- rand verlegt. Beide Meldungen, die im deut- schen Rechtsstaat kaum Schlag- zeilen verursacht hätten, haben in Russland Sensationspoten- zial: Sie sind Erfolgsmeldungen einer keimenden Zivilgesell- schaft, in der Bürger Initiative ergreifen und Interventionen von höherer Ebene nicht länger zu dulden bereit sind. Alexej Knelz CHEFREDAKTEUR SEITEN 6 UND 7 Russland baut auf PISA und Bologna Kurs auf Spitzenforschung Prominenz gewinnt Bürger für Bedürftige Seit 2009 wird an den Schulen Religion und Ethik unterrichtet. Mit ihrem Gesicht wirbt Tschulpan Chamatowa für Spenden. Die Zeichen stehen auf Alarm: Platz 43 in der PISA-Studie, keine russische Universität unter den 200 besten der Welt – und das in einem Land, das sich seiner Wis- senschaftler und zahlreichen Nobelpreisträger rühmt. Damit die Hochschulen wieder verstärkt wettbewerbsfähig wer- den, hat die Russische Föderation sieben großzügig dotierte Elite- universitäten eingerichtet und entsprechend des Bologna-Pro- zesses Bachelor- und Masterab- schlüsse eingeführt. Auch das Schulsystem, dessen letzte Reform über 80 Jahre zu- rückliegt, soll erneuert werden. Dass die Schüler zukünftig „Pro- filfächer“ nach eigenem Interesse wählen können, sorgte im Vorfeld für Proteste: Lehrer und Eltern sehen die aus Sowjetzeiten stam- mende breitgefächerte Allgemein- bildung in Gefahr. „90 Prozent der Amerikaner geben regelmäßig einen gewissen Betrag an Bedürftige – für sie ist das wie Zähneputzen“, sagt Tschulpan Chamatowa, „davon kann man bei uns nur träumen.“ Verbittert ist die Schauspielerin und Be- gründerin der Kinderkrebsstif- tung „Schenke Leben“ dennoch nicht. Denn das Interesse der Rus- SEITEN 3 UND 4 SEITE 8 WIRTSCHAFT SEITE 5 REISEN SEITE 9 FEUILLETON SEITE 11 Kulturen Deutsch- russische Arbeits- praxis im Visier Tambow Die mit den Wölfen tanzen Bolschoi Neuer Glanz nach Jahren der Rekonstruktion INHALT sen für Wohltätigkeit wächst von Jahr zu Jahr. Auch deshalb, weil Chamatowa und andere viel für das Image von Stiftungen getan haben, waren diese in den 90er- Jahren doch berüchtigt für kri- minelle Machenschaften, unter anderem Geldwäsche. Der verheerende Braindrain der 90er-Jahre, als Tausende russi- sche Mathematiker, Chemiker und Physiker auf der Suche nach bes- seren Forschungsbedingungen das Land verließen, ist gestoppt. Ein Spitzenforscher wie Schores Alfjorow, der 2010 den Nobelpreis für Physik erhielt, wird wissen- schaftlicher Leiter von Skolkowo. Mit dem russischen „Silicon Val- ley“ will man ein kreatives For- schungszentrum schaffen und den Weg für ein modernes Russland des 21. Jahrhunderts ebnen. Auf diesem Weg sucht das Land nach Modernisierungspartnern. Eine Sonderrolle nimmt Deutsch- land ein: Das „Deutsch-Russische Jahr der Bildung, Wissenschaft und Innovation“, das vor wenigen Wochen startete, soll Unterneh- men und Forschungseinrichtun- gen in beiden Ländern noch stärker vernetzen. Schon heute suchen Russen und Deutsche am Baikalsee nach Neu- trinos und bauen in Hamburg den modernsten Eisbrecher der Welt. Die Universität München erprobt mit Partnern aus Sankt Peters- burg derweil eine zukunftswei- sende Laserbehandlungsmethode für Krebserkrankungen. Die Zeitprojektionskammer in der Europäischen Organisation für Kernforschung liefert Daten über Spuren von erzeugten Teilchen. im CERN arbeiten deutsche und russische Wissenschaftler gemeinsam. CERN ITAR-TASS RIA NOVOSTI RUSLAN SUKHUSHIN DMITRY DIVIN PRESSEARCHIV

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Verzaubert Bloßgestellt Eine junge Hamburgerin gehört zum festen Inventar der Partyszene in Sankt Peters- burg. Ihre Clubs sind Kult. Der Sex-Skandal um Strauss-Kahn ist der nächste Schlag für ein verunsichertes Europa, meint Fjodor Lukjanow sen für Wohltätigkeit wächst von Jahr zu Jahr. Auch deshalb, weil Chamatowa und andere viel für das Image von Stiftungen getan haben, waren diese in den 90er- Jahren doch berüchtigt für kri- minelle Machenschaften, unter anderem Geldwäsche. CERN

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MITTWOCH, 1. JUNI 2011 Die deutsche Ausgabe von Russland HEUTE erscheint exklusiv als Beilage in: Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Rossijskaja Gaseta, Moskau, verantwortlich

Bloßgestellt

Der Sex-Skandal um Strauss-Kahn ist der nächste Schlag für ein verunsichertes Europa, meint Fjodor Lukjanow

S. 10

Eine junge Hamburgerin gehört zum festen Inventar der Partyszene in Sankt Peters-burg. Ihre Clubs sind Kult.S. 12

Verzaubert

POINTIERT

Geschichten zu

Ende erzählt

Ende Januar 2009 werden derRechtsanwalt StanislawMarkelow und die Journa-

listin Anastassija Baburowa aufoffener Straße erschossen. DieTäter können entkommen. ZweiJahre später legen die Ermittlererdrückende Beweise vor: DerMörder und seine Komplizin,beide aus dem nationalistischemLager, werden zu Höchststrafenverurteilt. Drei Jahre lang kämpfen die Ein-wohner Sankt Petersburgs gegenden Bau der prestigeträchtigenGazprom-Zentrale mitten imhistorischen Stadtzentrum – bisdie Stadtverwaltung nachgibtund das Projekt an den Stadt-rand verlegt. Beide Meldungen, die im deut-schen Rechtsstaat kaum Schlag-zeilen verursacht hätten, habenin Russland Sensationspoten-zial: Sie sind Erfolgsmeldungeneiner keimenden Zivilgesell-schaft, in der Bürger Initiativeergreifen und Interventionen vonhöherer Ebene nicht länger zudulden bereit sind.

Alexej

KnelzCHEFREDAKTEUR

SEITEN 6 UND 7

Russland baut aufPISA und Bologna

Kurs auf Spitzenforschung

Prominenz gewinnt Bürger für Bedürftige

Seit 2009 wird an den Schulen

Religion und Ethik unterrichtet.

Mit ihrem Gesicht wirbt Tschulpan Chamatowa für Spenden.

Die Zeichen stehen auf Alarm: Platz 43 in der PISA-Studie, keine russische Universität unter den 200 besten der Welt – und das in einem Land, das sich seiner Wis-senschaftler und zahlreichen Nobelpreisträger rühmt. Damit die Hochschulen wieder verstärkt wettbewerbsfähig wer-den, hat die Russische Föderation sieben großzügig dotierte Elite-universitäten eingerichtet und entsprechend des Bologna-Pro-zesses Bachelor- und Masterab-schlüsse eingeführt.Auch das Schulsystem, dessen letzte Reform über 80 Jahre zu-rückliegt, soll erneuert werden. Dass die Schüler zukünftig „Pro-fi lfächer“ nach eigenem Interesse wählen können, sorgte im Vorfeld für Proteste: Lehrer und Eltern sehen die aus Sowjetzeiten stam-mende breitgefächerte Allgemein-bildung in Gefahr.

„90 Prozent der Amerikaner geben regelmäßig einen gewissen Betrag an Bedürftige – für sie ist das wie Zähneputzen“, sagt Tschulpan Chamatowa, „davon kann man bei uns nur träumen.“ Verbittert ist die Schauspielerin und Be-gründerin der Kinderkrebsstif-tung „Schenke Leben“ dennoch nicht. Denn das Interesse der Rus-SEITEN 3 UND 4 SEITE 8

WIRTSCHAFT SEITE 5

REISEN SEITE 9

FEUILLETON SEITE 11

Kulturen Deutsch-

russische Arbeits-

praxis im Visier

Tambow Die mit

den Wölfen tanzen

Bolschoi Neuer

Glanz nach Jahren

der Rekonstruktion

INHALT

sen für Wohltätigkeit wächst von Jahr zu Jahr. Auch deshalb, weil Chamatowa und andere viel für das Image von Stiftungen getan haben, waren diese in den 90er-Jahren doch berüchtigt für kri-minelle Machenschaften, unter anderem Geldwäsche.

Der verheerende Braindrain der 90er-Jahre, als Tausende russi-sche Mathematiker, Chemiker und Physiker auf der Suche nach bes-seren Forschungsbedingungen das Land verließen, ist gestoppt. Ein Spitzenforscher wie Schores Alfjorow, der 2010 den Nobelpreis für Physik erhielt, wird wissen-schaftlicher Leiter von Skolkowo. Mit dem russischen „Silicon Val-ley“ will man ein kreatives For-schungszentrum schaffen und den Weg für ein modernes Russland des 21. Jahrhunderts ebnen. Auf diesem Weg sucht das Land nach Modernisierungspartnern. Eine Sonderrolle nimmt Deutsch-land ein: Das „Deutsch-Russische Jahr der Bildung, Wissenschaft und Innovation“, das vor wenigen Wochen startete, soll Unterneh-men und Forschungseinrichtun-gen in beiden Ländern noch stärker vernetzen.Schon heute suchen Russen und Deutsche am Baikalsee nach Neu-trinos und bauen in Hamburg den modernsten Eisbrecher der Welt. Die Universität München erprobt mit Partnern aus Sankt Peters-burg derweil eine zukunftswei-sende Laserbehandlungsmethode für Krebserkrankungen.

Die Zeitprojektionskammer in der Europäischen Organisation für Kernforschung liefert Daten über Spuren

von erzeugten Teilchen. im CERN arbeiten deutsche und russische Wissenschaftler gemeinsam.

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2 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUPolitik

Ljudmila

AlexejewaMENSCHENRECHTLERIN

Der Schuldspruch desGeschworenengerichtsgegen die Mörder von

Markelow und Baburowa hatexemplarischen Charakter. InRussland sind Verbrechen mitnationalistischem Hintergrundkeine Seltenheit. Diese Mordestellen insofern eine Besonderheitdar, als die Tat auf einer slawo-philen Ideologie gründete, diemeisten Überfälle der Natio-nalisten dagegen rassistischmotiviert sind. Die Ermittler gin-gen professionell vor, und dasGeschworenengericht schöpftefür die Mörder die ganze Strengedes Gesetzes aus.Doch darf man nicht vergessen:Dies war kein politischer, son-dern ein ideologischer Mord. DieTäter waren Auftraggeber undAusführende in einer Person. Diemeisten Übergriffe gegenüberMenschenrechtlern und Journa-listen in Russland sind hinge-gen Auftragsmorde, die auf hoherpolitischer Ebene initiiert wur-den. Sobald in einer Strafsachejedoch hochrangige Hintermän-ner fi gurieren, gerät das Verfah-ren ins Stocken. RusslandsGesetze werden bislang nur aufdie Bürger, nicht auf die Mäch-tigen angewendet. Den Vertre-tern der Macht wird dieser Pro-zess deshalb keine Lehre sein.Und doch hat sein AusgangPositives bewirkt: Breite Schich-ten der Bevölkerung haben dieMorde verurteilt, Bürgerrechts-organisationen und Journalis-tenverbände entschieden protes-tiert. Eine solche aktive zivilge-sellschaftliche Position zwingtauch die Hintermänner derMacht zu größerer Umsicht undBesonnenheit.

Ljudmila Alexejewa ist Mitgliedder Moskauer Helsinki-Gruppeund im Menschenrechtsrat vonPräsident Medwedjew.

KOMMENTAR

Ein Sieg des Rechts

DMITRIJ SINOTSCHKINOGONJOK-MAGAZIN

Raus aus der historischen

Altstadt: Gazprom beugt sich

Bürgerprotesten und baut sein

gigantisches Hauptquartier in

der Peripherie.

Mit seinen 396 Metern Höhe wäre der „Gazprom-Tower“ höchster Wolkenkratzer Europas gewor-den. Das geplante Verwaltungs-hochhaus des Staatsunternehmens spiegelte dessen beispiellose Er-folgsgeschichte in den vergange-nen zehn Jahren. 2007 wurden die Baupläne für das Ochta-Zentrum offiziell bekannt gegeben – mit seinem Herzstück, dem Gazprom-Tower. Demnach sollte der sich wie eine Flamme in die Lüfte windende Turm aus

UNESCO kündigte an, Sankt Pe-tersburg auf eine „schwarze Liste“des Weltkulturerbes zu setzen.Zuletzt fragte auch PräsidentDmitri Medwedjew öffentlich an,ob es nicht Alternativen gäbe.Die Proteste haben sich gelohnt:Im Dezember zog die Sankt Pe-tersburger Gouverneurin Walen-tina Matwijenko die Notbremse.Unter Ausschluss der Öffentlich-keit hat Gazprom daraufhin imMärz ein 14 Hektar großes neuesGelände etwas außerhalb erwor-ben, hier soll nun bis zum Jahr2017 die neue Firmenzentraleentstehen. Das bisherige Baugebiet, in dasder Staatskonzern schon siebenMilliarden Rubel (175 MillionenEuro) investiert hat, will Gazpromwieder verkaufen.

Glas und Beton schon 2012 be-zugsfertig sein. Doch die Bewoh-ner von Sankt Petersburg wehr-ten sich. Sie gingen auf die Stra-ße, sammelten Zehntausende Unterschriften und zogen gegen das Bauvorhaben massenhaft vor Gericht. Der Sankt Petersburger Kultrocker Boris Grebenschikow kommentierte: als „habe der Teu-fel dort hingespuckt“.

Die Bürger wehren sich vor Gericht und auf der StraßeDie Emotionen kochten vor allem deshalb hoch, weil der Turm mit-ten in die geschichtsträchtige Alt-stadt gepfl anzt werden sollte. Die Sankt Petersburger waren seit jeher stolz auf ihr europäisch an-mutendes Stadtzentrum. Die fünf-stöckigen zierlichen Wohnhäuser

Harte Urteile für RechtsradikaleProzess Mit lächelnder Miene nahmen die Täter ihr Urteil entgegen

Der Mord an der Journalistin Anastassija Baburowa und dem Anwalt Stanislaw Markelow rüttelte

landesweit die Bürger auf. Sie gingen mit Antinationalistischen Parolen auf die Straße.

Die Mörder: Jewgenija Chassis, 25, und ihr Freund Nikita Tichonow,

30, zeigten auch nach dem Urteilsspruch keine Reue.

TINO KÜNZELRUSSLAND HEUTE

Sie exekutierten am helllichten

Tag zwei Menschen im Zentrum

Moskaus. Die Täter kommen aus

dem nationalistischen Unter-

grund, trotz erdrückender Be-

weise bestreiten sie ihre Schuld.

Er ist 30, sie 25. Ein junges Paar, das Händchen hält und lächelt. Das tun Nikita Tichonow und Jewgenija Chassis auch am letz-ten Prozesstag im Moskauer Stadt-gericht, an dem in einem der auf-sehenerregendsten Mordfälle der letzten Zeit nach nur zwei Mo- naten das Urteil verlesen wird. Tichonow muss wegen zweifachen Mordes an dem Anwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastassija Baburowa lebensläng-lich hinter Gitter, Chassis tritt wegen Beihilfe 18 Jahre Lager-haft an. Für die Anklage sind sie Überzeugungstäter aus dem rech-ten Milieu, im Richterspruch heißt es, sie hätten aus Hass gehandelt, im Bewusstsein ihrer „eigenen Überlegenheit“. Tichonow und Chassis bestreiten jegliche Betei-ligung an dem Verbrechen.Markelow und Baburowa waren am Nachmittag des 19. Januars 2009 im Moskauer Zentrum erschossen worden. Nach Ansicht der Ermittler hatte Chassis die Opfer ausgespäht, bis sie den Geh-weg betraten, dann gab sie Ticho-now das Zeichen. Der streckte Markelow mit zwei Schüssen in den Hinterkopf nieder. Baburo-wa, die den Schützen offenbar auf-halten wollte, wurde ins Gesicht getroffen und erlag ihren schwe-ren Verletzungen.Stanislaw Markelow hatte wie-derholt gegen einfl ussreiche Krei-se in Russland prozessiert, unter anderem in der Teilrepublik Tschetschenien. Deshalb vermu-teten die Medien und Menschen-rechtsorganisationen einen Rache-akt. Allerdings verfolgten die Behörden von Anfang an auch eine andere Spur: in den nationalisti-schen Untergrund. Denn 2006

ckelte. Schon im Untergrund, lebte er vom illegalen Waffenhandel. Ein halbes Jahr lang observierte der Geheimdienst ihn und seine Lebensgefährtin Chassis. Im Ok-tober 2009 schlug er dann zu und verhaftete sie in ihrer gemeinsa-men Wohnung, hier fand sich auch die Tatwaffe. Rechtsradikale aus der Szene belasteten Tichonow schwer, Zeu-gen erkannten in ihm den Täter wieder. Tichonow gestand, behauptete jedoch später unter dem Einfl uss seiner Anwälte, sein Geständnis sei erzwungen ge-wesen.Die Motive für die Tat sind in der Radikalisierung der rechten Szene zu suchen. Zuletzt forderten ihre Vordenker einen Strategiewech-sel: „Die Zeit der Pogrome ist vor-bei, wir müssen nun gezielt wich-tige Ziele angreifen“, heißt es in einem Pamphlet, an dem Ticho-now mitgearbeitet hat. Er hat seine Forderung in grausame Tat umgesetzt.

Schon im Untergrund, lebte Tichonow vom Waffenhandel und verfasste nationalistische Pamphlete.

hatte Markelow die Mutter eines ermordeten Antifaschisten ver-treten. Auch Tichonow gehörte zu den Tatverdächtigen. Er war Herausgeber der Zeitschrift „Rus-sische Form“, aus der sich später eine rechte Organisation entwi-

Das historische Stadtbild von

Sankt Petersburg bleibt intakt.

aus dem 18. und 19. Jahrhundert waren sogar von der sowjetischen Megalomanie verschont geblieben. Und jetzt wollte ein staatliches Gasunternehmen durch seine Gel-tungssucht diese kulturelle Ein-heit zerstören. Proteste kamen nicht nur von den Bürgern: Die

Bürgerinitiative Jahrelang demonstrierten Sankt Petersburger gegen den Bau des Gazprom-Wolkenkratzers

Der schicke Turm von Sankt Petersburg zieht um

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3RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Politik

Als ein Schuldirektor in Saratow grund-los entlassen wird, gehen seine Schüler auf die Straße. Wie die neue Schüler-generation durch wachsendes Selbst-bewusstsein und Individualisierung die Behörden fordert.

IM BLICKPUNKT

Lesen Sie den Beitrag aufwww.russland-heute.de

Die Ruhestunde nach dem Mittagessen stammt aus Sowjetzeiten und

wird auch heute an den meisten russischen Kindergärten praktiziert.

Mehr Geburten, weniger Kindergärten

Wegen der Halbierung der Geburten-rate in den 1990er-Jahren wurden seit dem Ende der Sowjetunion landes-weit Tausende Kindergärten geschlos-sen, über 600 allein in Moskau. Die meisten Gebäude wurden verkauft und einer anderen Nutzung zugeführt. Dank des Aufschwungs verbesserte sich die finanzielle Lage der Bevölke-rung, und nach dem Jahr 2000 stieg die Geburtenrate wieder um ein Drit-tel. Jetzt fehlen für mehr als eine Milli-on Kinder Kindergartenplätze. Wer Tochter oder Sohn unterbringen will, zahlt nicht selten „Spenden“ in Höhe von 1000 bis 2500 Euro. Zwei Drittel der Kinder besuchen einen der

45�300 staatlichen Kindergärten. Wie viele private Kindergärten existieren, lässt sich nicht genau beziffern, da die Rechtsformen der entsprechenden Einrichtungen sehr unterschiedlich sind. Sie reichen von „Familienkinder-gärten“, in denen Gruppen von Eltern auf nichtkommerzieller Basis die Be-treuung ihrer Kinder selbst organisie-ren, bis hin zu Privatunternehmen, die seit Kurzem ohne staatliche Lizenz ihre Einrichtung eröffnen dürfen. In manchen Regionen erhalten Eltern, die ihr Kind nicht in einem Kindergar-ten unterbringen können, für ihre Er-ziehung zu Hause eine monatliche Kompensationszahlung.

Profilierung statt AllgemeinbildungSchulreform Schüler dürfen sich nun ihre Fächer selbst aussuchen, kreative Exkursionen bereichern den Unterricht

Blumen statt Schultüte: Die Erstklässler folgen ihrer Lehrerin unter dem Beifall der Eltern.

ALESJA LONSKAJAEXKLUSIV FÜR RUSSLAND HEUTE

Die Leistung der russischen

Schüler liegt unter dem PISA-

Durchschnitt. Die Regierung will

das degradierte Schulsystem

reformieren. Und erntet dafür

von Lehrern und Eltern Kritik.

„Die Affen gingen immer tiefer ins Wasser, entfernten sich immer weiter vom Ufer, schwammen und tauchten nach Nahrung. Aus un-geklärten Gründen kehrten eini-ge zum Festland zurück. So ent-wickelten sie den aufrechten Gang. Andere gewöhnten sich an das Wasser, blieben im Meer und wur-den zu Delfi nen.“Diese Version der Evolution, die in einem kürzlich erschienenen Lehrbuch für fünfte Klassen nachzulesen ist, brachte russische Eltern dazu, sich bei Präsident Dmitri Medwedjew über die Inkompetenz des Bildungsminis-teriums zu beschweren. Schützen-hilfe erhielten sie von den Lehrern. „In letzter Zeit sind zweifelhafte Fächer eingeführt worden. Dieser Unsinn raubt uns Unterrichtsstunden für die Grund-disziplinen. Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Qua-lität der Bildung permanent sinkt“, beanstandet der Russischlehrer Sergej Rajski aus Moskau. Rajski ist 41 Jahre alt und damit unter seinen Kollegen vergleichs-weise jung. Das Durchschnittsal-ter eines Lehrers an russischen Schulen liegt bei 48 Jahren, jeder fünfte Pädagoge ist Rentner – und arbeitet trotzdem weiter. Wegen des niedrigen Gehalts von durch-schnittlich 340 Euro monatlich haben Schulen mit pädagogischem Nachwuchs zu kämpfen.

Zu alt und schlecht bezahltDie Überalterung der Lehrer sowie die schlechten fi nanziellen Rahmenbedingungen gehören zu den Hauptursachen für die fort-gesetzte Verschlechterung der schulischen Bildung im Land. Bildung ist Sache der Zentralre-gierung, das verbindliche Schul-programm wird aber auf Födera-tionsebene beschlossen und in Kraft gesetzt. Die obersten Bil-dungsbeauftragten versuchen nun, in den staatlichen Schulen die Standards von Privatschulen ein-zuführen. Nach den erschrecken-den Ergebnissen der PISA-Studie

ihren Unterricht aus sechs Fä-chern selbst zusammenstellen und sich dabei zwischen zwei Niveau-stufen – „Basiswissen“ und „ver-tieftes Wissen“ – entscheiden. Min-destens vier der sechs Fächer müs-sen sogenannte „Profilfächer“ sein, in denen die Schüler am Ende der elften Klasse eine standardi-sierte Abschlussprüfung ablegen. Diese 2009 eingeführte Prüfung berechtigt ähnlich wie das Abi-tur die Absolventen zum Eintritt in die Hochschule. Zuvor hatte jede Universität in Russland eigene Aufnahmeprüfungen.Ein naturwissenschaftlich wenig begabter Schüler muss jetzt nicht

mehr Chemie, Physik und Biolo-gie einzeln belegen, sondern wähltden Komplexkurs „Naturwissen-schaft“, der die drei Fächer inte-grativ vermittelt. Als Profi lfachkönnte er stattdessen beispiels-weise Literatur und Kunstge-schichte wählen. Doch die Neuerungen, die dasrussische Schulsystem an euro-päische Modelle annähern sollen,lösten heftige Proteste in der Be-völkerung aus. Eltern und Lehrerbefürchten, dass mit der Reformdie zu Sowjetzeiten verbreiteteklassische vielseitige Bildung zuGrabe getragen werde.

Ende der klassischen Bildung?Irina Abankina hält dem entge-gen: „Der Bildungsstandard derOberstufe baut darauf auf, dassbreite Kenntnisse in den Grund-fächern vorhanden sind.“Ein Problem, das die Reform nichtlöst, ist der Fremdsprachenunter-richt: In den staatlichen Schulenbeginnt er (zumeist mit Englisch,seltener Deutsch) ab der drittenKlasse mit zwei Wochenstunden.Die Schüler pauken die Gramma-tik, sie lesen und übersetzen Texteaus dem Lehrbuch, mündlichePraxis hingegen gibt es kaum. NurSchüler von Privatschulen lernenFremdsprachen wirklich gut. Ein weiteres Problem ist der wei-terhin autoritäre Charakter derSchule. Der einzige Unterschiedzum sowjetischen Schulsystembesteht darin, dass seit dem Zu-sammenbruch der UdSSR Dissi-denten-Literatur und alternativeAnsichten zur jüngsten Geschich-te des Landes diskutiert werden.Die Unterrichtsform aber hat sichnicht verändert: Die Lehrer tra-gen den Stoff frontal vor, die Schü-ler wiederholen das Gehörte,einem Lehrer zu widersprechengilt als ungehörig. „Der Grad desAutoritären ist heute niedriger,aber ein partnerschaftliches Un-terrichtsmodell, bei dem Lehrerund Schüler auf Augenhöhe mit-einander sprechen, haben wir nochlange nicht. Zwar stellt der Leh-rer keine unbedingte Autoritätmehr dar und muss sich von Sei-ten der Schüler Grobheiten gefal-len lassen, doch schafft er es nicht,Teamarbeit in der Klasse zu or-ganisieren, damit beide Seitenwirkliches Interesse am Lernenhaben. Da gibt es noch viel zu tun“,sagt Irina Abankina.

PISA-Werte 2009Schulwesen

Kompetenz Deutschland Russland

Leseverständnis 497 459

Mathematik 513 468

Naturwissenschaften 520 487

Russland rangiert im internationalen Vergleich auf Platz 43 (Deutschland: Platz 20). Die Divergenzen innerhalb des Bildungsniveaus werden mit 33 Prozent beziffert. Diese Streubreite reflektiert den Unterschied zwischen einem Gymnasium, das seine Schüler streng selektiert, und einer staatlichen Schule in einem Arbeiterviertel.

Umfrage

kündigte Dmitri Medwedjew im Februar 2010 eine Schulreform an. „Die Schüler werden gezielt in kleinere Forschungsaufgaben miteinbezogen, damit sie lernen, kreativ und selbstständig zu den-ken und eigene Entscheidungen fällen zu können“, erklärte er.

Kreatives DenkenDie Hauptidee der Reform ist dem-nach die Individualisierung von Bildung. Mit Beginn des nächs-ten Schuljahrs wird die Reform bereits in der Gesamtstufe (erste bis neunte Klasse) greifen. Die Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten soll

nicht mehr nur im Unterricht stattfinden: Zehn Stunden pro Woche werden die Schüler zukünftig mit Exkursionen und Anschauungsunterricht an diversen Kulturstätten des Lan-des verbringen.Zudem sollen die Gehälter der Lehrer noch in diesem Jahr um 30 Prozent steigen. „Die Schulen erhalten mehr Vollmachten, ihr Unterrichtsprogramm an den Wünschen der Schüler auszurich-ten“, konstatiert Irina Abankina, Direktorin des Instituts für Bil-dungsentwicklung an der Hoch-schule für Ökonomie in Moskau. Künftig können sich die Schüler

Laut Gesetz ist der Schulunterricht kostenlos, Lehrbücher eingeschlossen. Die Eltern bezahlen lediglich für das Essen und die Uniformen. Insgesamt gibt es 48�809 staatliche und 665 pri-vate Schulen. In Russland werden die Kinder mit sieben Jahren eingeschult, das Schuljahr dauert vom 1. Septem-ber bis zum 31. Mai. Nach der neunten oder elften Klasse absolvieren sie das staatliche Einheitsexamen in Russisch, Mathematik und zwei Wahlfächern. Letzteres berechtigt zur Aufnahme eines Studiums.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU

FORUM

SANKT PETERSBURG INTER-

NATIONAL ECONOMIC FORUM

16. BIS 18. JUNI, SANKT PETERSBURG

Führende Politiker und Manager aus aller Welt diskutieren über Fragen der Energiesicherheit und die Wirtschaft der Zukunft.

forumspb.com ›

UNTERNEHMERREISE

NACH CHABAROWSK UND

JUSCHNO-SACHALIN

12. BIS 18. JUNI

Die Regionen gehören zu den wirt-schaftlich stärksten im russischen Os-ten. Besonders Sachalin profitiert von den enormen Bodenschätzen.

commit-group.com ›

WIRTSCHAFTS-

KALENDER

LESEN SIE MEHR ÜBER DIE

RUSSISCHE WIRTSCHAFT AUF

RUSSLAND-HEUTE.DE

KONFERENZ

MODERNER MASCHINENBAU,

WISSENSCHAFT UND BILDUNG

14. BIS 15. JUNI, SANKT PETERSBURG

Die Konferenz im Zuge des deutsch-russischen Wissenschaftsjahrs verfolgt das Ziel, den Informationsaustausch zwischen Wissenschaftlern zu fördern.

deutsch-russisches-wissenschaftsjahr.de ›

MESSE

MIOGE 2011.

ÖL UND GAS

21. BIS 24. JUNI, MOSKAU

Zum 11. Mal findet die internationale Fachmesse der Öl- und Gasindustrie mit führenden Vertretern und Zuliefe-rern der Branche in Moskau statt.

mioge.com ›

Wirtschaft

BologneserRezeptefür die Bildung

Hochschulen Die russischen Universitäten suchen nach Jahren des Niedergangs international Anschluss

ALEXANDER KOLESNITSCHENKOEXKLUSIV FÜR RUSSLAND HEUTE

Knappe Mittel, frustrierte

Professoren und international

nicht anerkannte Abschlüsse.

Können Elite-Unis, Bachelor und

Master frischen Wind in die

russische Bildung bringen?

Studenten aus der Russischen Fö-deration haben es nicht leicht. „Wenn ein Russe sich an einer deutschen Universität immatri-kulieren will, muss er bereits zwei Semester in seiner Heimat stu-diert oder ein russisches Studi-enkolleg besucht haben“, erklärt die in Deutschland lebende Rus-sin Julia Kolbrig.Russische Abiturienten haben praktisch keine Chance, sich direkt nach der Schule an einer ausländischen Universität einzu-schreiben. Einen Vertrag zwischen Russland und der EU über die An-erkennung von Schulzeugnissen gibt es bislang nicht, die elfjäh-rige russische Schulausbildung scheint nicht kompatibel mit der zwölfjährigen in Europa.

Russische Diplome werden im Ausland nicht anerkanntJunge russische Hochschulabsol-venten, die im Ausland arbeiten möchten, sehen sich mit einem weiteren Problem konfrontiert: Auch die Abschlüsse an russischen Universitäten werden im Westen praktisch nicht anerkannt. Am schlechtesten sieht es in der Medizin aus, gut hingegen bei Diplomen im mathematischen und ingenieurstechnischen Bereich –

hier bilden viele russische Hoch-schulen erstklassige Absolventen mit einem breiten Profi l aus. Im internationalen Vergleich schneiden russische Universitä-ten schlecht ab: Auf der Liste der 200 weltbesten Universitäten im Times Higher Education Index (THI) von 2010 fi ndet sich keine einzige aus der Russischen Föderation.Ein Grund ist ihre noch immer angespannte fi nanzielle Lage. Die Arbeit an Universitäten ist nicht sehr angesehen – ein promovier-ter Dozent verdient im Monat etwa 500 Euro, ein habilitierter Profes-sor 800 Euro. Nur die allerbesten Studenten können mit einem Stipendium rechnen – 37 Euro im Monat.

Anpassung an BolognaEine bedenkliche Folge des Niedergangs im Universitätswe-sen ist die Korruption. Viele rus-sische Studenten beklagen, dass Bestechung in ihrem Ausbildungs-system ganz normal sei. „Es gibt sogar inoffizielle Preislisten, manchmal kaufen Studenten ihren Professoren wertvolle Geschenke und bestehen danach die Prü-fung“, sagt Julia Genkina, die vom Smolny-Institut in Sankt Peters-burg ans Bard College in New York wechselte.Um international wettbewerbs-fähig zu werden, passen sich die russischen Universitäten an den Bologna-Prozess an, das heißt, die Studiengänge werden auf das in Europa übliche zweistufi ge Sys-tem Bachelor und Master umge-

Masterstudenten besuchen den Untergrundgasspeicher in Bernburg.

MORITZ GATHMANNRUSSLAND HEUTE

Julia Rittershaus hat es gewagt:

vier Semester, drei Sprachen,

zwei Kulturen. Die Absolventin

des Masterstudiums kann mit

guten Berufsaussichten rechnen.

Noch ein paar Wochen in Moskau – dann geht es für Julia Ritters-haus wieder zurück nach Leipzig und ins dritte Semester des Stu-diengangs „International Energy Economics and Business Admi-nistration“. 2007 wurde der Mas-

terstudiengang ins Leben geru-fen, seitdem wird an der Univer-sität Leipzig und an der Moskauer MGIMO Nachwuchs für die Ener-giebranche ausgebildet. Die Stu-denten lernen, wie weltweit Ener-giepolitik funktioniert und wie sich rechtliche und wirtschaftli-che Rahmenbedingungen unter-scheiden. Der Fokus liegt auf Russland und Deutschland.Zu dem viersemestrigen Studien-gang werden jährlich 30 Studen-ten zugelassen, Kostenpunkt: 2400 Euro pro Semester. Zur Hälfte stammen die Studenten aus Deutschland, zur anderen aus Russland. Rittershaus hat aber auch Kommilitonen aus Aserbai-

dschan und Lettland. Und wie un-terhält man sich? „Die meistensprechen Deutsch, und wir lernenalle Russisch“, erzählt die 23-Jäh-rige. Die Lehrveranstaltungen da-gegen fi nden auf Englisch statt.Auf die Absolventen warten guteKarrierechancen. Wenn Exper-ten aus der Praxis Vorträge hal-ten, entstehen erste Kontakte,dann folgen Praktika in Unter-nehmen wie EON, Gazprom oderSiemens. Hier schreiben auch diemeisten ihre Diplomarbeit, weißPhilip Berthold, der kurz vor demAbschluss steht. Einen Job hat erschon: Ab Mitte Juni arbeitet erbei einem Joint Venture von Win-tershall und Gazprom in Berlin.

Gas geben in Leipzig und MoskauKooperation Ein russisch-deutscher Studiengang bildet Fachkräfte für die Energiebranche aus

stellt. Hinzu kommen sieben neue „Eliteuniversitäten“, die jährlich mit 755 Millionen Euro subventi-oniert werden. In den meisten Fäl-len wurden dazu mehrere kleine-re Universitäten zusammengelegt. Auf dieser Grundlage sollen kon-kurrenzfähige Forschungszent-ren entstehen. Zwei der Eliteuni-versitäten, die Südliche Föderale Universität und die Sibirische Fö-derale Universität, wurden bereits 2006 genehmigt und öffneten ihre Tore im darauffolgenden Jahr mit einem Budget von je 75 Millionen Euro. Fünf weitere föderale Uni-versitäten in anderen Regionen wurden 2009 genehmigt. Die Regierung hofft, damit vor allem die Naturwissenschaften auf ein internationales Niveau zu heben und die länderübergreifen-de Kooperation in Wissenschaft und Forschung zu fördern. Zur-zeit erarbeiten die Universitäten Abkommen, in denen ein Verfah-

ren zur gegenseitigen Akkreditie-rung festgelegt wird. EuropäischeKommissionen sollen dann vor Ortdie Qualität der Studienprogram-me überprüfen.Aufgrund des hohen Budgets anden Eliteuniversitäten sind Bil-dungsexperten vorsichtig optimis-tisch, was deren Chancen im glo-balen Wettbewerb betrifft. Das seiein positiver erster Schritt undspiegele den internationalen Trendzur Hierarchisierung von Bildungwider, sagt Igor Fedjukin, Leiterfür empirische Forschungen ander Neuen Wirtschaftsschule Mos-kau. „Einige wenige Universitä-ten machen wir zu Vorzeigeinsti-tutionen, doch was passiert mitden anderen? Sie werden deminternationalen Wettbewerb kaumgewachsen sein.“

Alexander Kolesnitschenkoschreibt für die TageszeitungNesawissimaja Gaseta.

russische Eliteuniversitäten wurden in den vergangenen Jahren ausgewählt.

russische Hochschulen gibt es. Die Hälfte ist staatlich, die anderen privat.

Millionen Euro stellt der Staat jährlich zu ihrer Finanzierung bereit.

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ZAHLEN

Vorlesung an der Moskauer

Lomonossow-Uni: Statt

mündlichen Prüfungen jagen

Studenten bald nach Credits.

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5RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Wirtschaft

BEN ARISRUSSLAND HEUTE

Yandex, bekannt als „Russlands

Google“, klärte Anleger über

die Klippen des russischen

Marktes auf. Diese haben sich

trotzdem auf die Aktie gestürzt.

In seinem ellenlangen Prospekt scheute Yandex keine Mühe, Anleger vor den Gefahren zu war-nen, die dem Suchmaschinenbe-treiber durch taktierende Politi-ker und mächtige Oligarchen drohten. „Im Rampenlicht stehen-de Unternehmen wie unseres sind in Russland besonders anfällig für politisch motivierte A k t ionen“, he i ßt es dor t .

„Heuschreckentum“ und politi-sche Absprachen dominieren das Geschäftsleben in Russland, doch Yandex hat sich durch seine recht-schaffenen Geschäftspraktiken auf einem Markt behauptet, auf dem ein Mangel an Rechtsstaat-lichkeit einem Unternehmen teuer zu stehen käme. Das Suchportal ist eine der füh-renden russischen New-Economy-Firmen, die sich auf die Sektoren mit hohem Volumen und niedri-gen Margen konzentrieren. Das russische Internet verdoppelt sich alle 18 Monate, die Online-Wer-beausgaben erhöhen sich jährlich um 40 Prozent. „Yandex sticht al-lein durch sein solides Geschäfts-

modell hervor“, meint der russi-sche Internetpionier Alexej Ost-rouchow. „Im Westen ist es in derOnline-Sparte üblich, Universi-tätsabsolventen einzustellen undsie dann drei Jahre lang betrieb-lich auszubilden, bevor sie an kom-merziellen Projekten arbeitendürfen. Russlandweit betreibtYandex als einziges Unternehmendiese Angestelltenpolitik. Damitbesitzt es praktisch ein Monopolfür Talente.“ Trotzdem hat dasRusslandrisiko auch für Yandexteure Folgen: Für 2011 wird einKursgewinnverhältnis von 30-34anbieten, während chinesischePortale wie Baidu (56) und Sina(69) wesentlich höher dabei sind.

Frischer Wind für Russlands Suchmaschine Nummer einsNew Economy Der russische Google-Konkurrent Yandex ging in New York an die Börse

Mit Teamgeist gegen AutokratenManagement Wie deutsche Manager mit der Mentalität ihrer russischen Mitarbeiter umzugehen lernen

In modernen Firmen ticken russische Manager europäisch: hier die Consulting-Firma Troika-Dialog

SUSANNE SPAHNFÜR RUSSLAND HEUTE

6000 deutsche Firmen sind

in Russland registriert. Der

Führungsstil ihrer Manager

ist für russische Arbeitnehmer

häufig gewöhnungsbedürftig –

und umgekehrt.

Søren Kischkewitz ist verzwei-felt: „Die einfachsten Manage-mentgrundsätze sind nicht beher-zigt. Liegt das an grundlegenden Kommunikationsproblemen, liegt es am schlechten Englisch? Ist es Dummheit, ist es Kalkül?“ Einer seiner leitenden Angestellten gebe keine Informationen weiter, mache dann aber die Mitarbeiter für ihre schlechte Arbeit verantwortlich, erzählt der Vierzigjährige. „Alles läuft nach dem Grundsatz: Ich bin der Chef und du der Dummkopf.“ Jegliche Eigeninitiative würde ge-radezu bestraft, die Angestellten seien gewohnt, alles vorgeschrie-ben zu bekommen.

Strenge, Härte, KontrolleKischkewitz leitet seit zwei Jah-ren die Russlandvertretung von Avantgarde Moskau. Am Anfang hatte er nicht wenige Probleme mit seinen 20 russischen Mitar-beitern. „Wenn du sie emotional nicht bekommst, dann nur mit Strenge, Härte, Kontrolle.“ Der Manager mochte diesen Stil nicht und wechselte fast die komplette Mannschaft aus. Jetzt funktio-niert die Zusammenarbeit besser, und er ist dabei, eigenständige Teams zu bilden. Anfangs waren die neuen Angestellten verwun-dert über das sachliche und ru-hige Auftreten des Mannes: „So einen Chef hatten wir noch nie, du schreist gar nicht!“ Russische Führungskräfte haben in der Bevölkerung einen schlech-

ten Ruf. Nach einer Umfrage des Lewada-Zentrums bescheinigten ihnen nur sieben Prozent Profes-sionalität und Kompetenz. Die Hälfte meinte, Profi tgier und Be-stechlichkeit seien typisch für rus-sische Manager. „Der russische Führungsstil ist autokratisch. In einer einzelnen Person ist die gesamte Entscheidungskompetenz

gebündelt. Und diese Person ist der Chef“, erklärt Konstantin Ko-rotov, Professor an der European School of Management and Tech-nology (ESMT) in Berlin. „Er hat immer recht und steht somit über den Regeln, die für andere gel-ten.“ Diese Allmacht werde von den russischen Mitarbeitern akzeptiert, wirke sich aber fatal auf die Arbeitsmoral aus. „Solche Angestellten werden ‚Büro-Plank-ton‘ genannt“, sagt Korotov. „Sie sind noch von der sowjetischen Mentalität geprägt. Nur wenn der Boss seinen Mund aufmacht, arbeiten sie.“ Jegliche Initiative werde ihrer Ansicht nach bestraft, denn die Konsequenzen für mög-liche Fehler seien unbequem und unabsehbar.

„Mein Boss ist ideal“Inzwischen bezeichnen sich viele selbstironisch als „Büro-Plank-ton“. Im Gegensatz zu deutschen Arbeitnehmern legen sie mehr Ge-duld und Toleranz an den Tag, geht es um die Beurteilung ihrer Vorgesetzten. Nach einer Umfra-ge des russischen Portals Super-

job.ru sieht ein Viertel der Beschäftigten keinen Grund, sich zu beschweren. „Mein Chef ist ein wunderbarer Mensch“, „Mein jetziger Boss ist ideal“, waren die häufi gsten Sätze. Nur sechs Pro-zent beklagten mangelnde Kom-petenz im Management und kritisierten eine fehlende Achtung gegenüber Mitarbeitern. Kritik an Vorgesetzten wird aus karrieretechnischen Gründen lieber anonym geäußert – beson-ders, wenn die Vorgesetzten aus dem Ausland kommen. „Manche westlichen Führungskräfte be-nehmen sich seltsam, wenn sie in die Russische Föderation kom-men“, sagt die russische Justizi-arin eines deutschen Unterneh-mens aus der Automobilbranche. „Sie meinen, dass sie hier im gesetzlosen ‚Wilden Osten‘ seien, auf dem Territorium von Barba-

Manche meinen, dass sie hier im gesetzlosen „Wilden Osten“ seien, auf dem Territorium von Barbaren.

ren.“ Die Beraterin hat mehrfach die Erfahrung gemacht, herablas-send behandelt zu werden, weil sie Russin ist. „Du weißt nichts, du kannst nichts“, hieße es sofort, „das ist erniedrigend.“

Ungewohnter FreiraumJe höher der ausländische Mana-ger in der Unternehmenshierar-chie aufsteige, desto freundlicher und kontrollierter sei er, berich-tet die Juristin.Die Erfahrung, dass sich der Füh-rungsstil deutscher Manager von russischen unterscheide, hat auch Ulrich Marschner, Managing Director von Hochland, gemacht. Seit 2000 produziert seine Firma bei Moskau Schmelzkäse für den russischen Markt. „Wir überlas-sen unseren Mitarbeitern ein hohes Maß an Entscheidungskom-petenz. Diesen Freiraum sind sie

nicht gewohnt“, sagt er. Marsch-ner legt viel Wert darauf, den An-gestellten seine Firmenphiloso-phie und flache Hierarchien zuvermitteln, und macht seinen 600Mitarbeitern klar, dass sie ausFehlern nur lernen können unddaran wachsen. „Schon in der Schule lernt manin Russland, dass kleine Fehlerschwere Konsequenzen nach sichziehen“, erklärt KonstantinKorotov solche Verhaltensmusterund empfi ehlt westlichen Vorge-setzten: „Ganz wichtig ist der per-sönliche Draht. Manager solltenihre Mitarbeiter direkt anspre-chen und zur Eigeninitiative er-muntern.“ Diese könnten dann mitihrem neu gewonnenen Engage-ment den Kollegen beispielhaftvorangehen. „Die allerletzteVerantwortung muss aber immerbeim Leader liegen.“

„Es findet sich alles“, lautet der

Yandex-Slogan in Russland.

„Andere Interessensgruppen“ könnten die Meinung kolportie-ren, dass der Nachrichtendienst von Yandex „eine politische Hal-tung oder Agenda widerspiegelt, die uns politisch motivierten Maß-nahmen aussetzen mag“.Das „Russlandrisiko“ ist auslän-dischen Investoren bekannt, den-noch erwirtschaftete die russische Suchmaschine bei seinem Börsen-gang am 23. Mai 1,3 Milliarden US-Dollar. Wie es heißt, dank Transparenz und hoher Marktan-teile: Yandex belegt über 64 Pro-zent des Suchmaschinenmarktes in Russland, sein engster Konkur-renz Google hält gerade 22 Prozent.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUDas Thema

[email protected]

REINHARD LÖSER RUSSLAND HEUTE

Beschleunigter Forschungs-

transfer, gemeinsam kons-

truierte Hightecheisbrecher und

Behandlungsmethoden bei

Krebs – die deutsch-russische

Forschung trägt Früchte.

FORSCHEN MIT VEREINTEN KRÄFTEN

IN DEN 90ERN BLOCKIERTE BRAINDRAIN DIE RUSSISCHE

FORSCHUNG. HEUTE KOOPERIEREN RUSSISCHE UND

DEUTSCHE WISSENSCHAFTLER BEI ZAHLREICHEN PROJEKTEN

WISSENSCHAFT FORSCHUNG

Zar Peter der Große war der Erste, der ausländische Gelehrte in sein Reich brachte, darunter die Schweizer Daniel Bernoulli und Leonhard Euler und der Stuttgar-ter Georg Bilfinger. Mit ihnen gründete er die Akademie der Wis-senschaften in Sankt Petersburg, wissenschaftliche Errungenschaf-ten dieser Zusammenarbeit waren das Periodensystem von Dmitri Mendelejew, die Physiologie des Refl exes von Iwan Pawlow oder die Raketentheorie eines Kons-tantin Ziolkowski. Nach dem Zweiten Weltkrieg offenbarte sich das enorme Potenzial russischer Forschung beim Wettlauf um die Eroberung des Weltraums, bei der ersten gesteuerten Kernfusion und im Wettbewerb um die leistungs-fähigsten Computer.

Braindrain in den 90ernDie gravierenden Umbrüche der Neunzigerjahre trafen in Russ-land auch Bildung und Wissen-schaft: Rund 5000 Forschungsin-stitute mit mehr als drei Millio-nen Angestellten sowie die Hochschulen mit fast fünf Milli-onen Studenten standen vor dem Kollaps. Die Forschungsinstitute blieben ohne Aufträge, Koopera-tionen verloren über Nacht ihre Partner und Bedeutung, das Bud-get der industriellen Forschung sowie der akademischen Wissen-schaft sank um das 20-Fache. Von 1,5 Millionen russischen Wissen-schaftlern emigrierten rund 300 000 in die USA und nach Eu-ropa, 400 000 mussten ihren Beruf wechseln, um zu überleben. 20 Jahre später hat sich das Blatt gewendet: Russische Wissen-schaftler kehren in die Heimat zu-rück. Die Forschung erfährt zu-nehmend staatliche Förderung durch die Regierung, Gewinne aus Gas- und Ölexporten fl ießen vor-rangig in den Bildungssektor und

schungsinstitute stark eingebun-den sein. Das jüngste deutsch-rus-sische Projekt ist das eben gestar-tete „Deutsch-Russische Jahr der Bildung, Wissenschaft und Inno-vation 2011/2012“. Es soll die Ergebnisse der bestehenden Kooperationen innerhalb der Hochschulen, Forschungseinrich-tungen und Unternehmen ins öffentliche Bewusstsein bringen. Spitzenforschung soll weiterhin gestärkt werden, und Unterneh-men können durch den beschleu-nigten Transfer von Forschungs-ergebnissen ihre Produkte zügiger zur Marktreife bringen.Die Kooperation hat sich schon jetzt in der physikalischen Grund-lagenforschung, Energie- und Um-welttechnik und Medizin ausge-zahlt. Deutsche und Russen ent-wickelten gemeinsam Großgeräte für die Grundlagenforschung im Bereich der Elementarteilchen, die schon zu DDR-Zeiten über das Vereinigte Institut für Kernfor-schung Dubna auf den Weg gebracht wurden. In Zusammen-arbeit mit dem Deutschen Elekt-ronen-Synchrotron Hamburg wurde der Freie-Elektronen-La-ser im harten Röntgenbereich ent-

die Modernisierung von Wirt-schaft und Infrastruktur. Deutsch-land als europäischer Wachstums-motor ist Modernisierungspart-ner Nummer eins der Russischen Föderation. Eckhard Cordes, neuer Vorstand des Ost-Ausschusses, plädiert für eine weitere Intensivierung der wirtschaftlichen und technologi-schen Zusammenarbeit in den Kernbereichen der russischen Wirtschaft: Energie, Automobil-industrie, Lebensmittel und Land-wirtschaft. Die Deutschen schla-

gen unter anderem vor, die an-wendungsorientierte Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft auf Russland zu übertragen. Beim Aufbau des Innovationszentrums Skolkowo, in das die russische Re-gierung über drei Milliarden Euro investieren will, werden auch deutsche Unternehmen und For-

wickelt, mit dem Darmstädter Helmholtzzentrum für Schwer-ionenforschung eine Beschleuni-geranlage für die Hadronen- und Kernphysik.

Revolutionäre KrebstherapieVoraussichtlich im nächsten Jahr wird in Hamburg mit der „Auro-ra Borealis“ der modernste For-schungseisbrecher der Welt vom Stapel laufen. Die wissenschaft-lichen Vorbereitungen leitet der-zeit das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung gemeinsam mit dem Konsortium ERICON (European Polar Re-search Icebreaker Consortium), dem auch Russland angehört.

Seit drei Jahren kooperiert dasLaser- und Immunologie-For-schungs-Zentrum (LIFE) des Kli-nikums der Ludwig-Maximilians-Universität München mit derSankt Petersburger Metschnikow-Akademie. Gemeinsam wird nachden Möglichkeiten der medizini-schen Laseranwendung geforscht,insbesondere der Photodynami-schen Therapie. „Sie bietet dieChance, Krebswucherungen sehreffektiv zu behandeln, weil sieohne chirurgischen Eingriff undohne belastende Strahlung aus-kommt“, erklärt Ronald Srokavom LIFE-Zentrum enthusias-tisch. Obwohl diese Methode dieKrebstherapie revolutionieren

Die Forschung erfährt zunehmend staatliche Förderung durch die Gewinne aus Gas- und Ölexporten.

Russische innovation

Kaum ein Fitnessprodukt kommt heu-te ohne den Zusatz „probiotisch“ aus. Den therapeutischen Nutzen und die positiven Effekte von Milchsäurebak-terien untersuchte nach der Jahrhun-dertwende erstmals der russische Nobelpreisträger und Bakteriologe Ilja Metschnikow.

Probiotika

Innovationszentrum Skolkowo – der Traum vom Silicon Valley

Das Innovationszentrum Skolkowo, 2009 ins Leben gerufen, ist das Aushänge-schild der russischen Modernisierungsagenda. In dem kleinen Moskauer Vorort entsteht ein For-schungs- und Innovations-Cluster nach dem Beispiel des amerikanischen Silicon Valley. Ziel des Projekts: Erstmals ein kreatives Are-al zu schaffen, wo sich Wissenschaftler und For-scher aus aller Welt unein-geschränkt austauschen können. Geforscht wird rund um Energieeffizienz, IT, Kommunikation, Biome-dizin und Kerntechnik. Mit zu den ersten Partnern gehörte Siemens.

Frau trinkt sich fit - dank Kefir.

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7RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Das Thema

PARTY IN MOSKAUWie man in der Metropole feiert, welche Clubs

man erleben sollte und warum die Zeit der

glamourösen Mädels vorbei ist.

Thema der nächsten AusgabeNoch frischer als aus dem Druck – das Russland HEUTE E-Paper

russland-heute.de/e-paper

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Auf Neutrino-Jagdin den Tiefen des Baikals

ANTON KUTUSOWEXKLUSIV FÜR RUSSLAND HEUTE

Russische Forscher wollen die

Geheimnisse der Dunklen

Materie im Zentrum unserer

Galaxie lüften. Ausgangspunkt

ist der Baikalsee im Herzen

Sibiriens.

Vor fünfzig Jahren flog Juri Gagarin zum ersten Mal ins All, nun ist man dabei, nach den genaueren Zusammenhängen im Weltall zu fragen. Dazu werden im Baikalsee, dem größten Süß-wasserreservoir der Welt, neue op-tische Module getestet. In sechs Jahren soll ein Superteleskop in Betrieb genommen werden, das ein schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie untersucht. Die Module können Neutrinos wahrnehmen – Elementarteilchen, die durch Kernreaktionen entste-hen und einzigartige Informatio-nen transportieren. Zwar ist deren Existenz seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt, doch ein Neutrino „einzufangen“, gelang erstmals Ende der 80er-Jahre. Unabhängig davon hatte der rus-sische Physiker und Nobelpreis-träger Pawel Tscherenkow fest-gestellt, dass die Teilchen beim Durchdringen von Wasser- oder Eisschichten ein schwaches hell-blaues Leuchten abgeben, nach

dem Forscher auch Tscherenkow-Licht genannt. Deshalb gingen die Russen Mitte der 90er-Jahre auf Tauchstation: In einer Tiefe von einem Kilometer wurden optische

Holz im Tank? In Russland wird gerade eine neue Technologie zur Biodiesel-gewinnung aus Holzabfällen entwickelt. Rohstoffe gäbe es genug: In Russland existieren rund 40 Zellulosefabriken, die zusammen jeden Monat etwa 30�000 Tonnen Ligninschlamm produzieren. Deutschland und Österreich haben bereits Interesse an dem umweltfreund-licheren Holzsprit geäußert.

IM BLICKPUNKT

Lesen Sie den Beitrag aufwww.russland-heute.de

Module im Baikalsee installiert. Auch das Forschungszentrum Deutsches Elektronen-Synchro-tron (DESY) ist an dem Neutri-noteleskop NT-200 beteiligt.

Eine riesige PerlenketteÄußerlich erinnert das NT-200 an ein Fischernetz. An Trossen sind die optischen Module in Druck-glaskugeln aufgehängt – das Ganze ähnelt einer riesigen Per-lenkette. Im Innern der Kugeln befi nden sich Fotoelemente, die das Leuchten der Neutrinos fest-halten sollen und die Informati-onen an das Forschungszentrum am Ufer übermitteln. Die ersten Module konnten allerdings nur jene Neutrinos wahrnehmen, die innerhalb der Erdatmosphäre ent-standen sind. „Das perfektionierte Superteles-kop wird hundertmal größer sein als das alte“, erklärt Alexander Awrorin, Entwickler des NT-200. Mit 250 000 neuen optischen Modulen wird das Netz eine Flä-che von einem Quadratkilometer abdecken. Die Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass sie damit auch Neutrinos aus entlegeneren

Winkeln des Alls aufspürenkönnen.Weltweit existieren mit ANTA-RES im Mittelmeer und AMAN-DA in der Antarktis noch zweiweitere Neutrinoteleskope.NT-200 sei jedoch weitaus billi-ger, erklärt Awrorin. Denn derBaikalsee ist zur Hälfte des Jah-res zugefroren, sodass die Modu-le problemlos von einer Plattformauf dem Eis installiert werdenkönnen.Zudem hat sich vom Standort Bai-kalsee der Blickwinkel aufs Allals äußerst günstig erwiesen. Dassibirische Superteleskop schautin den Mittelpunkt unserer Ga-laxie, direkt auf ein großes schwar-zes Loch. Aus diesem können Neu-trinos zur Erde fliegen, die beiKernreaktionen innerhalb der„Dunklen Materie“ entstandensind. Dies ist der Stoff, aus demder Großteil unseres Weltallsbesteht, dessen Existenz jedochnur in der Theorie bewiesen ist.Sollte es den Wissenschaftlern ge-lingen, ein solches Teilchen„einzufangen“, wäre das einer dergrößten Durchbrüche in der Phy-sik des 21. Jahrhunderts.

Ob Krebstherapie, Haarentfernung oder BluRay – die

Lasertechnik ist nicht mehr wegzudenken: Im Labor für

Lasermesstechnik des Instituts für Bildverarbeitung in

Samara experimentiert man an 3D-Messverfahren.

Das sibirische Superteleskop schaut in den Mittelpunkt unserer Galaxie, direkt auf ein großes schwarzes Loch.

Innovation ist die Triebfeder der Wirtschaft – doch auf welchem Weg kommt man eigentlich zu neuen Ide-en und Innovationen, fragten sich russische Wissenschaftler um Gen-rich Altschuller im Jahr 1946. Und entwickelten das System TRIZ, ein Akronym, das im Deutschen etwa

TRIZ-Methode

könnte, lässt der Durchbruch noch auf sich warten, vor allem auf-grund der hohen Kosten.

Gemeinsam zur MarktreifeSo droht, was in anderen Innova-tionssektoren passierte: Die nati-onale Wissenschaft fördert revo-lutionäre Ergebnisse zutage, aber die einheimische Industrie kann das enorme Potenzial nicht aus-schöpfen. MP3-Player, Flüssig-kristalle oder Lithiumionenbat-terien sind leidvolle Beispiele deut-scher Innovationen, die im Land nicht umgesetzt wurden. Eine län-derübergreifende Kooperation scheint da nur sinnvoll: russische Biochemie mit deutscher Laser-

physik zu vereinen, deutsche Mit-telständler zur industriellen An-wendung zu animieren und gleich-zeitig in beiden Ländern die medizinische Grundlagenfor-schung weiterzuentwickeln. Die Münchner wissen, wie müh-sam es ist, an Forschungsgelder zu kommen, und sind überrascht, wenn sich auf russischer Seite Pforten auftun, aus denen der Rubel nur so rollt – zweifellos ein Resultat der neuerlichen Förde-rung von Wissenschaft und inno-vativer Technik.

Reinhard Löser, Physiker und Volkswirt, ist freier Journalist und Autor.

Ein Wunder der Naturwissenschaft: das optische Teleskop-Modul

Laser, Halbleiter und Graphen

23 Nobelpreisträger zählt Russland in seiner Geschichte. Die höchste Aus-zeichnung wurde vor allem für Leis-tungen in den Naturwissenschaften vergeben. 2000 erhielt Schores Alfjo-row den Nobelpreis für Physik. Er forschte im Bereich der Halbleiterla-ser. Scanner in Registrierkassen, CD-Spieler oder Laserdrucker beruhen auf den von ihm entdeckten Prinzipien.

Alfjorow wurde im letzten Jahr zum Leiter des russischen Innovationszent-rums Skolkowo berufen. Die Entde-ckung des Wundermaterials Graphen war der Akademie in Stockholm 2010 der Physik-Nobelpreis wert, den sich Andre Geim und Konstantin Nowo-selow teilten. Die beiden in Russland geborenen Wissenschaftler forschen an der Universität von Manchester.

„Theorie des erfinderischen Prob-lemlösens“ heißt. Bis in die 90er-Jahre hinein galt TRIZ als rein sow-jetisch-russische Methode, dann emigrierten viele der Schüler von Altschuller in die USA und versilber-ten das Wissen samt Datenbanken. Firmen wie Invention Machine in Boston oder Ideation International in Southfield/Michigan boten die Methode nun als „Made in USA“ feil und fuhren im Consulting von Ford bis Samsung kommerzielle Erfolge ein. TRIZ entpuppte sich nicht nur in den USA als marktwirtschaftlicher Schlager. In den letzten zehn Jahren nutzten deutsche Unternehmen wie Volkswagen und Daimler im Verbund mit Computer Aided Inno-vation (CAI) die TRIZ-Methode für leistungsfähige Softwaretools. Diese sollen in der Frühphase einer Modellentwicklung Innovationspro-zesse in Gang setzen.

Der Herr der Innovationen

Genrich Altschuller

Physik-Nobelpreisträger Andre Geim und Konstantin Nowoselow

Video zum Themarussland-heute.de

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8 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUGesellschaft

Noch ist sich jeder selbst der Nächste

Wohltätigkeit Mit der neuen Mittelschicht ändert sich auch die Einstellung zum sozialen Handeln

Mit ihrem Gesicht gewinnt Tschulpan Chamatowa Spender-Vertrauen

ANASTASIA GOROKHOVARUSSLAND HEUTE

Mühsam nähren sich russische

Wohltätigkeitsinstitute – und

haben doch an Zahl und

Ansehen zugenommen. Das

Misstrauen in der Bevölkerung

ist nicht ganz unbegründet.

Wladimir Putin hält verlegen das Mikrofon in der Hand, lächelt von der Bühne die vor ihm sitzende Sharon Stone an. Dann singt er „Blueberry Hill“ und hat sichtlich Mühe, die richtigen Töne zu tref-fen. Der russische Premier nahm diese Strapazen für krebskranke Kinder auf sich. Gemeinsam mit hochkarätigen Hollywoodstars trat er Ende 2010 bei einem Wohltä-tigkeitskonzert der Stiftung „Fe-derazija“ (Föderation) auf. Das De-likate: Von der Stiftung hatte bis dahin niemand gehört, später stell-te sich heraus, dass sie erst zwei Wochen vor dem Event gegründet worden war. Als die Mutter eines kranken Kindes danach öffentlich kundtat, dass das Krankenhaus, in dem ihr Kind behandelt wird, keinerlei Hilfe erhalten habe, war der Skandal perfekt.Finten wie diese verbessern nicht gerade den Ruf von russischen Wohltätigkeitsorganisationen. Der Leiter der „Russischen Stiftung für Hilfe“, Lew Ambinder, erzählt, dass er nach dem Vorfall Briefe bekommen habe mit dem Wort-laut, „Federazija“ und alle ande-ren Organisationen seien berüch-tigt für ihre „betrügerischen Machenschaften“.Dieses Misstrauen rührt auch aus den Neunzigerjahren, als viele Stiftungen zur Geldwäsche miss-braucht wurden. Manche ließen Waren aus dem Ausland als Spen-de getarnt einführen, mit dem Vorteil der Steuerfreiheit. Später verkauften sie die „Spenden“ gewinnbringend.Der russische Schauspieler Artur Smoljaninow schüttelt resigniert den Kopf, als er an ein kürzliches Erlebnis beim Einkaufen denkt. Eine Frau ging an einer Sammel-büchse der Kinderkrebsstiftung „Schenke Leben“ vorbei, und Smoljaninow hörte, wie sie mur-melte: „Wem soll ich was schen-ken? Die spinnen doch alle!“ Das machte ihn nachdenklich: „Sie wollte nicht einmal wissen, wofür wir sammeln.“ Seit 2006 ist er ehrenamtlicher Helfer bei „Schen-ke Leben“. Die Reaktion der Frau im Super-markt spiegelt die Einstellung der breiten Bevölkerung zum Thema Wohltätigkeit. „Informiert sind die Menschen genug, aber sie wollen sich nicht mit den Problemen an-derer beschäftigen“, erklärt Smol-janinow. „Nur nicht hinschauen“ sei die Devise und werde so schon den Kindern gepredigt. „Ich habe oft in der U-Bahn beobachtet, wie Mütter ihren Sprösslingen die Augen zuhalten, wenn ein behin-

derter Bettler vorbeiläuft“, sagt er. „Man bringt ihnen bei, dass be-hinderte Menschen anders sind und dass man sie nicht beachten soll.“ Und schon gar nicht ist man bereit, einer Stiftung Geld für sie zu spenden. Allerdings reicht das monatliche Budget häufig nicht einmal für einen selbst aus. „Wohl-tätigkeit ist erst dann ein Thema, wenn man einen gewissen Wohl-stand erreicht hat“, sagt Artur Smoljaninow. Ungeachtet ihres ambivalenten Rufs wächst die Zahl der Wohltä-tigkeitsorganisationen stetig an. „Die Russen beginnen, Interesse zu zeigen“, meint die Wirtschafts-wissenschaftlerin Irina Jasina, Mitglied des Menschenrechtsrates von Präsident Medwedjew. „An-fang der 2000er war die Stiftung ‚Offenes Russland‘ die einzige, die sich für eine Ausbildung von Behinderten eingesetzt hat“, er-innert sie sich. Jetzt gebe es diver-se Organisationen, die Rollstühle bereitstellten oder behinderte Kin-der in Heimen auf ihr Leben vor-bereiteten. „In den letzten Jahren hat es grundlegende Veränderun-gen gegeben. Wir nähern uns lang-sam Europa an.“Seriöse Organisationen wie „Schenke Leben“ versuchen mit ihrer Arbeit, das Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie weisen transparente Struktu-ren auf und geben Garantien dafür, dass Spenden wirklich an ihrem Zielort ankommen. Prominenz an ihrer Spitze soll ihnen die gebüh-rende Aufmerksamkeit verschaf-

fen. Tschulpan Chamatowa, Schirmherrin von „Schenke Leben“, war in dem Film „Good-bye Lenin“ an der Seite von Da-niel Brühl zu sehen. Im letzten Jahr hat ihre Organisation drei Millionen Euro Spendengelder ein-gesammelt – so viel wie keine andere.„In den USA geben 90 Prozent der Bevölkerung regelmäßig Geld für Bedürftige aus“, sagt Chamatowa. „Für die Amerikaner ist das wie Zähneputzen. Davon kann man bei uns nur träumen.“ Auch des-wegen, weil man in Russland Spenden steuerlich nicht absetzen kann. Chamatowa ist vorsichtig optimis-tisch: In der neu enstehenden Mit-telschicht sei die Bereitschaft, etwas für andere zu tun, deutlich

gestiegen. Sie weist auf das be-friedigende innere Gefühl nacheiner Spendenaktion hin: „Mankann natürlich die Hände überdem Kopf zusammenschlagen,wenn man vom Unglück eines an-deren erfährt. Aber viel wichtigerist es, real zu helfen und Proble-me anzupacken. Das gibt einemauch selbst Mut und Hoffnung.“Einen guten Teil ihrer Arbeit siehtChamatowa in der Aufklärung.Da werde auf staatlicher Seitekaum etwas unternommen. „DieRegierung wettert gegen Alkohol-und Zigarettenkonsum. Dass abervielleicht ein alter Mensch im Roll-stuhl auf die Gesellschaft ange-wiesen ist, darüber kein Wort.“ Insolchen Fällen gab es in der Sow-jetunion – wenn überhaupt – staat-liche Unterstützung. Ansonstenmusste und muss bis heute die Fa-milie aushelfen. Geht es nämlichum die eigene Sippe oder um einenengen Freund, ist der Zusammen-halt groß. Engagiert sich hinge-gen jemand außerhalb der Fami-lie, stößt er auf Unverständnis. Die25-jährige Katja aus Moskau packtseit einigen Jahren bei „SchenkeLeben“ mit an. „Meine Eltern undFreunde verstehen nicht, warumich meine Freizeit angeblich ver-geude“, sagt sie. Der Staat verschließt die Augenangesichts der sozialen und fi nan-ziellen Probleme, mit denen sichdie Stiftungen Tag für Tag her-umschlagen. Zwar werden krebs-kranke Kinder kostenlos behan-delt, das staatliche Budget ist aberviel zu gering. „1600 Euro sind esjährlich, die für eine Krebsthera-pie zur Verfügung stehen. In Wirk-lichkeit muss man aber mit 13 000Euro rechnen“, sagt Smoljaninow.Ohne Stiftungsgelder wären ge-rade einmal für fünf Prozent derbetroffenen Kinder eine solcheBehandlung möglich. „Den Beamten vom Ministeriumsind wir ein Dorn im Auge“, er-zählt Chamatowa. „Wir nerven siemit Anfragen, in denen wir un-sinnige Gesetze kritisieren. ZumBeispiel über die Einfuhrbe-schränkungen wichtiger Medika-mente aus dem Ausland. Damithoffen wir, ein Umdenken imGesundheitswesen und in derSozialpolitik zu forcieren.“

„Die Russen müssen ihre Probleme nun selber lösen“

Seit 2002 hat die Europäische Union in Russland mehr als 70 Projekte zum Schutz der Rechte von Kindern und Behinderten gefördert. Allerdings sinkt die Finanzierung von Jahr zu Jahr: Während die EU im Jahr 2002 noch neun Millionen Euro an Mitteln vergab, werden es 2011 nur noch zwei Millionen sein.Das hat einerseits mit den Ereignissen in Nordafrika zu tun. Diese Region er-fordert nun eine höhere Aufmerksam-keit der Europäer. Andererseits – so

Denis Daniliidis von der Vertretung der Europäischen Kommission in Mos-kau – sehe man Russland inzwischen nicht mehr als Entwicklungsland: „Die Russen müssen ihre Probleme selber lösen.“Allerdings hofft Daniliidis darauf, dass eine Reihe der von der EU angestoße-nen Projekte in Zukunft von russi-schen Trägern übernommen wird. Außerdem unterstützt die EU russi-sche Stiftungen dabei, Projektpartner in Europa zu finden.

In den 90ern wurden Stiftungen zur Geld-wäsche benutzt. Seit-dem ist die Bevölkerungmisstrauisch.

„Man bringt den Kindern bei, dass behinderte Menschen anders sind und dass man sie nicht beachten soll.“

Eine Spendengala der Kinderkrebsstiftung „Schenke Leben“ im Moskauer Sowremennik-Theater

3 Millionen Euro sammelte die Organisation „Schenke Le-ben“ von Tschulpan Chama-

towa im Jahr 2010 − so viel wie keine andere.

2,3 Milliarden Euro spen-deten Deutsche im Jahr 2010, neun Pro-

zent mehr als 2009. Allein Green-peace sammelte 2009 etwa 46 Millio-nen Euro ein.

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9RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Reisen

Anreise Von Berlin, Frankfurt, Mün-chen, Hamburg oder Stuttgart steuert man zunächst den

Moskauer Flughafen Domodedowo an; im Anschluss geht um 20.45 Uhr ein Flugzeug nach Tambow (www.regionavia.ru). Vom Moskauer Paweletski-Bahnhof gibt es auch Nachtzüge. Fahrzeit: neun Stunden.

UnterkunftIn Tambow gibt es mehrere Mittelklassehotels: Durch-schnittlichen Standard bieten

das Derschawinskaja (DZ ab 60 Euro, www.tambov-hotel.ru) direkt im Zentrum und das Amaks-Parkhotel (DZ ab etwa 50 Euro, www.tambov.amaks-hotels.ru) etwas außerhalb.

Essen & Trinken Sehr gemütlich ist das Filin (auf Deutsch: Uhu) mit eige-ner Brauerei an der Sowjets-

kaja-Straße 67, wer auf bayrische Würstchen nicht verzichten will, geht ins Bierhaus (Karl-Marx-Straße 146). Klassisch russisch isst man am besten im Tambowski Wolk in der Sowjets-kaja-Straße 121.

Der mit dem Tambower Wolf tanztAnderes Russland Deutsche erzählen aus den russischen Regionen, wie es sich außerhalb der Hauptstadt lebt

Die Ufer der Tsna sind ein beliebtes Ausflugsziel und Ort der Erholung für die Bewohner Tambows.

In jeder größeren Stadt fehlt sie nicht: die Kasaner Kathedrale

Ulica Moskowskaja – die „Moskauer Straße„ – im Zentrum der Stadt

und das Seniorenheim für „Arbeitsveteranen“

PETER KETTENBAUMFÜR RUSSLAND HEUTE AUS TAMBOW

„Der Tambower Wolf ist dein

Genosse“, sagen Russen zu

einem, dessen Freundschaft sie

müde sind. Wölfe gibt es in der

Gegend kaum noch, dafür aber

jede Menge Russlandflair.

1986 reiste ich mit dem Zug zum ersten Mal nach Tambow, gut 400 Kilometer aus Moskau in südöst-licher Richtung. Dort lief die Pro-duktion in einem deutschen Werk für Fertighäuser an, die ich über-wachen sollte. Direkt nach mei-ner Ankunft machte ich mich auf die Suche nach den Sehenswür-digkeiten der Stadt und musste feststellen: Ich selbst war die Se-henswürdigkeit – es gab praktisch keine Ausländer, und man beäug-te mich wie ein exotisches Tier.Damals wie heute ist Tambow eine russische Provinzhauptstadt. Das Lebenstempo der knapp 300 000 Einwohner ist ruhiger, ausgegli-chener als in den Großstädten. Man kennt und grüßt sich auf der Straße oder schließt umgekehrt schnell Freundschaften.

Treffen bei Soja1636 vom Zaren Michail I. als Fes-tung gegen die Tataren gegrün-det, verlor die Stadt ihre strate-gische Bedeutung, als sich das Reich nach Süden ausdehnte. Tambow blieb Verwaltungszent-rum eines von der fruchtbaren Schwarzerde geprägten Gebietes, das bis zum Ende des 19. Jahr-hunderts wesentlich von der Land-wirtschaft lebte, und Anfang des 20. Jahrhunderts führend im Tabakanbau wurde.Tambow liegt am Fluss Tsna, der die Stadt zugleich von einer Dat-schen-Siedlung abgrenzt. Zwi-schen Hauptstraße und Fluss befi ndet sich zentral ein mit Bäu-men und Blumen angelegter Park, der an den Wochenenden stark fre-

quentiert wird. Für Kinder gibt es Karusselle, für die Älteren Cafés mit Außenterrassen und Parkbän-ke zum Ausruhen nach einem Spa-ziergang entlang des Flusses.Da in den letzten Jahren viele Fas-saden renoviert wurden und neue Häuser Baulücken geschlossen haben, hat sich das Stadtbild deut-lich gewandelt. Vor allem ist es nicht mehr so grau, und die Po-krowskaja-Kirche aus dem 18. Jahrhundert oder die Christi-Ver-klärungs-Kathedrale erstrahlen in neuem Glanz. Tambow ist kul-turelles Zentrum des gleichnami-gen Oblast und besitzt mehrere Kinos und Theater, eine überre-gional bedeutende Kunstgalerie und ein Opernhaus. Das Eissta-dion, futuristisch anmutend wie die Berliner „Schwangere Aus-ter“, ist ein Publikumsmagnet. Mehrmals im Jahr gastiert dane-ben der Moskauer Staatszirkus. Einer der wichtigsten Treffpunk-te in der Stadt ist das Denkmal

für Soja Kosmodemjanskaja: Im Jahr 1941 wurde die junge Parti-sanin von den Deutschen ermor-det und zu Sowjetzeiten als Hel-din verehrt. Bei Verabredungen heißt es einfach: „Treffen wir uns bei Soja.“ Das Gebiet Tambow ist legendär

für seine Wölfe – von denen es heute immerhin noch 50 Vertre-ter gibt. Vor einigen Jahren wurde das erste Wolfsmuseum der Welt gegründet, in dem man unter an-derem den Tambowski Wolk, den Tambower Wolf, erstehen kann. Die Flasche des Wodkas krönt ein kunstvoller Verschluss in Form eines Wolfskopfes. Knapp 15 Jahre

nach meinen ersten Eindrücken von Tambow ließ ich mich mit meiner Familie in der Stadt nie-der und bezog ein Haus. Ich ar-beitete inzwischen für einen ös-terreichisch-deutschen Investor in der Holzproduktion. Über die Jahre haben wir das Haus reno-viert und einen Blumengarten mit überdachter Terrasse angelegt, eine Oase der Ruhe. An Wochen-enden treffen wir uns mit russi-schen Freunden bei Schaschlik und Small Talk, man staunt über den Garten und die deutsche Ordnung.In der Anfangszeit war die Ar-beitslosigkeit in Tambow hoch, unsere Beschäftigten bekamen Löhne von knapp 3000 Rubel (75 Euro), das war relativ viel, und wir konnten uns die besten aus-suchen. Zunächst gab es keinen einzigen Computer in der Firma, stattdessen nur alte Schreibma-schinen, und auch die nur im Sekretariat des Generaldirektors.

Der gesamte interne Dokumen-tenfl uss wurde von Hand geschrie-ben. Nur wenige Mitarbeiter hat-ten ein Auto, die meisten fuhrenmit fi rmeneigenen Bussen zur Ar-beit. Innerhalb der letzten zwölfJahre sind die Löhne um das Sie-benfache gestiegen, das Leben istauch teurer geworden. Inzwischenhat sich eine gut situierte Mittel-schicht herausgebildet.

Kredite für KaffeemaschinenViele Mitarbeiter kommen jetztmit dem Auto zur Arbeit. Die ver-einfachte Kreditaufnahme hat’smöglich gemacht. Sogar Kaffee-maschinen werden auf Pump ge-kauft. Das Wort „sparen“ kenntman kaum, auch wegen der starkanwachsenden Inflation. NeueMöbel werden angeschafft, dieWohnungen aufwendig renoviert.In der Stadt sind für solcherartDienstleistungen etliche aufstre-bende Firmen entstanden. Denneuen Wohlstand kann man aucham Zustand der Datschen able-sen, in denen ab dem Monat Maijeder Tambower bevorzugt seinWochenende verbringt: Zu Sow-jetzeiten waren das in der Regelarmselige Hütten, in ihnen konn-te man sich vielleicht vor demRegen verkriechen. Die gibt es bisheute, daneben stehen jetzt aberauch schon prachtvolle „Schlös-ser“, umgeben von einem meter-hohen Zaun.Wenn Sie in Russland nur Mos-kau gesehen haben, haben SieRussland nicht gesehen. Eine rus-sische Megalopolis unterscheidetsich nicht bedeutend von einerwestlichen Megalopolis. Wer Russ-land verstehen will, möge nachTambow kommen – gerade weildiese Stadt kein Touristenzent-rum ist.

Peter Kettenbaum ist der kauf-männische Direktor der Tamak-Holzverarbeitung in Tambow.

Das Gebiet Tambow ist legendär für seine Wölfe – von denen es heute immerhin noch 50 Vertreter gibt.

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EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUMeinung

RUSSLAND HEUTE: DIE DEUTSCHE AUSGABE VON RUSSLAND HEUTE ERSCHEINT ALS BEILAGE IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. FÜR DEN INHALT IST AUSSCHLIESSLICH DIE REDAKTION DER TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU, VERANTWORTLICH. VERLAG: ROSSIJSKAJA GASETA, UL. PRAWDY 24 STR. 4, 125993 MOSKAU, RUSSISCHE FÖDERATION. TEL. +7 495 775-3114 FAX +7 495 988-9213 E-MAIL REDAKTION@

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RUSSLAND HEUTE ODER VON ROSSIJSKAJA GASETA DAR.

DSK ODER DIE SORGE UM EUROPA

Bislang ist nicht klar, wie die Sex-Affäre von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn zu

bewerten ist. Doch unabhängig vom Ergebnis des Gerichtsurteils hat der Vorfall im New Yorker Sofi tel-Hotel schon jetzt Europa vehement geschadet.Als die EU 2007 Strauss-Kahn trotz aller Skepsis zum Vorsitzen-den des Internationalen Wäh-rungsfonds ernannte, deutete viel darauf hin, dass der französische Sozialist der letzte Europäer auf diesem Posten sein würde. Mit der Gründung der Bretton-Woods-In-stitutionen im Jahr 1944 hatten sich die USA und Europa darauf verständigt, wichtige personale Schaltstellen untereinander auf-zuteilen. Seitdem stellen die USA traditionell den Direktor der Welt-bank, die EU den IWF-Chef. Doch heute, zu Beginn des 21. Jahrhun-derts, erscheint eine solche Auf-teilung der Pfründe fraglich: China gewinnt rapide an Einfl uss, und die Finanzkrise hat diesen Trend nur noch beschleunigt. Kei-ner wird freiwillig auf seine Privilegien verzichten, weshalb alle Diskussionen über eine Reformierung des IWF bloßes Ge-rede bleiben. Die Affäre um Strauss-Kahn hat dazu beigetragen, die Position der Schwellenländer zu stärken. Die

Militäroperationen allein in Nord-afrika durchführen –, dass sie keinInteresse mehr daran haben, dieeuropäischen Probleme auf eige-ne Kosten zu lösen. Die Libyen-Operation zeigte auch, dass diegroßen EU-Staaten selbst ent-scheiden, ob sie Krieg führen(Frankreich oder Großbritanni-en) oder auf Distanz gehen(Deutschland).Zugleich ist das Image Europasdeutlich schlechter geworden: DerWohlstand beginnt zu bröckelnund die politische Korrektheitauch. Wirtschaftliche Abhängig-keiten und politische Diskrepan-zen führen zu einer tiefen Kluftzwischen den einzelnen Beitritts-ländern, deren Koexistenz dishar-monische Züge annimmt. DieStimmung ist gekippt, und ausSorge um ihre Zukunft kämpfendie EU-Bürger um den Statusquo.Sei es durch wirtschaftlicheKonkurrenz oder den Einwande-rungsdruck, seien es die gleich-machenden EU-Richtlinien, diekulturelle Identität verwischen:Rechtspopulisten gewinnen zu-nehmend an Einfl uss. Man darfgespannt sein, in welche Richtungsich das Image Europas in dennächsten Jahren neigen wird.

Fjodor Lukjanow ist Chefredak-teur der Zeitschrift Russia in Glo-bal Affairs.

Dieser Beitrag erschien beiRIA Novosti

boomenden asiatischen Staaten sehen ihre Zeit gekommen und treffen bei den USA auf offene Ohren. Ein Beispiel ist der Kyo-to-Prozess, bei dem Europa nur eine Nebenrolle spielt, oder die Doha-Runde der Welthandelsor-ganisation. Und sollten die USA auf den Vorstandsposten beim IWF verzichten, ist ihnen ein adäquater Ausgleich gewiss.Europas politischer Einfl uss in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun-

derts basierte auf zwei Tatsachen: Zum einen hatte es eine Schlüs-selposition in internationalen Institutionen wie dem IWF inne, zum anderen hatte seine Integra-tionspolitik Vorbildfunktion. Sie stand für eine wirtschaftlich erfolgreiche und ausgewogene Entwicklung. Beides verliert im Moment an Bedeutung.Hinzu kommt: Lange Zeit war Europa eine der wichtigsten Säu-len der Nato und hatte vom Dik-

Viele russische Akademiker waren unangenehm über-rascht, als Andrei Fursenko,

Minister für Bildung und Wis-senschaft, eine Art „Oberliga“ für Universitäten forderte, wie sie unter Fußballvereinen üblich ist. Dem Beispiel Deutschlands, Chinas und Pakistans folgend, will nun auch Russland ein ehr-geiziges Programm durchsetzen und mehrere Universitäten auf-werten. Um den Titel „Eliteuniversität“ haben sich alle russischen Hoch-schulen beworben. Rund zwei Dutzend wurde dann der Status anerkannt. Jetzt erhalten sie zu-sätzliche Fördermittel und kön-nen ihren Lehrplan unabhängi-ger gestalten – im Gegensatz zu anderen Universitäten, die nach wie vor nach zentral geregelten Vorgaben arbeiten. Im Gegenzug sollen diese neu geschaffenen „Flaggschiffe“ des Hochschulwe-sens eine effizientere Verwaltung

RUSSLAND BRAUCHT ELITE-UNIS

Fjodor

LukjanowPOLITOLOGE

Igor

FedyukinEXPERTE FÜR BILDUNG

etablieren, Nachwuchswissen-schaftler einstellen, ihre Dozen-ten fortbilden und insgesamt damit die Bedingungen für Lehre und Forschung verbessern. Da-durch, so ist jedenfalls die Erwar-tungshaltung, werde das interna-tionale Renommee steigen. Eine derartige Differenzierung der Unistandards wäre in Russ-land längst angebracht gewesen. Zum einen fördert sie die notwen-dige Konkurrenz zwischen den Hochschulen, zum anderen die Mobilität unter Studenten: Bis heute entscheiden sich die meis-ten russischen Abiturienten für ein Studium in ihrer Heimatstadt – die besten Schulabgänger schreiben sich in Moskau oder Sankt Petersburg in den inoffizi-ellen Eliteuniversitäten Russlands ein. Ferner sollte sich eine Diffe-renzierung im Bildungssektor auch positiv auf das Niveau der Universitäten auswirken, das über die letzten 20 Jahre konstant ab-fi el. Der Rückgang ist dem An-stieg der Studentenzahlen zu ver-danken, die sich in diesem Zeit-raum mehr als verdoppelt hat,

andererseits aber auch einer Miss-wirtschaft an den Hochschulen. Vor einigen Jahren führten die russischen Universitäten Studi-engebühren ein, deren Höhe sich in vermögensabhängigen Quoten rechnete. Diese Quoten werden jährlich erhöht mit dem Resultat: Die Zahl der Studenten, die per Stipendium auf Staatskosten stu-dieren, nimmt konstant ab, liqui-

de Studenten, die imstande sind, die hohen Studiengebühren zu be-rappen, beherrschen das Terrain. Mit dem Resultat: Geld wird groß-geschrieben, Leistung klein. Ein weiteres, indirektes Problem ist der Wehrdienst: Viele Studenten schreiben sich einfach nur des-halb ein, weil sie auf diese Art nicht zum Militär müssen.

Viele Studenten schreiben sich einfach nur deshalb ein, weil sie auf diese Art nicht zum Militär müssen.

Diese wenig schmeichelhaften Fakten haben das russische Dip-lom abgewertet. Durch mehr Wett-bewerb – so hofft man – könne sich das wieder ändern. Das Pro-gramm der Eliteuniversitäten soll darüber hinaus auch dem Wett-bewerb in der Industrie förderlich sein. Namenszusätze wie „Natio-nale“ Forschungsuniversität oder „Föderale“ Universität sollen die besten Studenten und Geldgeber aus der Wirtschaft anlocken. Die Universitäten sind gezwun-gen, ein eigenes Profi l zu erarbei-ten, nur so kommen sie an zusätz-liche Subventionen. Kriterien für eine solche Profi lierung kann die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen in internationalen Fachzeitschriften und deren Im-pact Faktor sein, maßgeblich ist auch die Anzahl der ausländischen Studenten sowie die Zahl der Pro-motionsabgänger und russischen Studenten, die es ins Ausland ge-schafft haben. Natürlich stellt die Umsetzung dieser hehren Ziele eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Zunächst einmal können sich

die meisten russischen Akademi-ker nichts unter einer internatio-nalen Spitzenuniversität vorstel-len. Wie eine kürzliche Befragungunter Hochschuldirektoren derneuen Eliteuniversitäten belegt,verfügte nur ein einziger derzwanzig Befragten über Auslands-erfahrung. Fast alle hatten anihrer Heimatuniversität promo-viert und nur zehn an anderenUniversitäten gearbeitet, bevor sieihre verantwortungsvolle Stelleantraten. Daher sind selbstbe-wusste Äußerungen aus derPolitik, man wolle in 15 Jahrenmit Stanford gleichziehen oder diePublikationen in der internatio-nalen Fachpresse innerhalb vondrei Jahren verdreifachen, mehrals fragwürdig. Das Bildungsprogramm hat vielKritik geerntet, auch wegen sei-nes bürokratischen Aufwands.Dennoch rückt eine Veränderungdes russischen Hochschulwesensdamit in greifbare Nähe. Mankann nur hoffen, dass russischeEliteuniversitäten den Sprung bisin die globale Liga schaffen. Bis-her sind sie darin mit nur zweiHochschulen vertreten.

Igor Fedyukin ist Leiter für empi-rische Forschungen an der neuenWirtschaftsschule in Moskau.

tum der UN profi tiert, als „Füh-rungskraft“ des Westens und spä-ter der ganzen Welt respektiert zu werden. Der euro-atlantische Raum ist nicht mehr Zentrum der Weltpolitik, und die Nato hat nach dem Scheitern der weltweiten Mis-sionen an Einfl uss verloren und wird offenbar zu regionalen Auf-gaben zurückkehren. Auch ist mit dem Libyen-Einsatz deutlich ge-worden – die USA ließen Frank-reich und seine Partner ihre

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11RUSSLAND HEUTE WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAU Feuilleton

LESENSWERT

Spionage im Zweiten Weltkrieg

Dr. Matthias Uhl

empfiehlt

Helmut Roewer: Die RoteK apel l e und and e re G e -heimdienstmythen. Spionagezwischen Deutschland undRussland im Zweiten Weltkrieg,Graz: Stocker 2010, 472 S.

Die Rote Kapelle gilt als dieerfolgreichste sowjetischeSpionageorganisation wäh-

rend des Zweiten Weltkrieges.Ihre Informationen seien, so diegegenwärtige russische Lesart,wichtiger als manche der großenSchlachten an der Ostfrontgewesen. Helmut Roewer, ehe-maliger Präsident des ThüringerVerfassungsschutzes, hat es sichin seinem neuen Buch zur Auf-gabe gemacht, diese und andereGeheimdienstlegenden zuentmythologisieren.Das Werk ist chronologisch auf-gebaut, und eines der packends-ten Kapitel fi ndet sich gleich zuBeginn. Dort wird detailliert auf-geschlüsselt, welche Informa-tionen der jeweiligen Seite imFrühjahr 1941 zur Verfügungstanden: Die Deutschen hattennur mangelhafte Informationenüber die Stärke der sowjetischenTruppen und schlugen im Som-mer 1941 gegen einen völlig un-terschätzten Gegner los. Umge-kehrt lagen Stalin keine Doku-mente zum Barbarossa-Plan vor,und er tappte aufgrund der zahl-reichen sich widersprechendenGeheimdienstinformationen imDunkeln. Spektakulär ist das titelgeben-de Kapitel über die Rote Kapel-le und neu, dass Roewer auf rus-sische Quellen zurückgreifenkonnte. Es gelingt ihm, die ein-zelnen Spionageringe, die von derGestapo unter der Rubrik „RoteKapelle“ subsumiert wurden,auseinanderzudividieren und zuzeigen, wer eigentlich welcheInformation geliefert hat. Auchnach der Zerschlagung der RotenKapelle in Deutschland verfüg-te die Sowjetunion über erstklas-sige Agenten, die beispielsweiseim Frühjahr 1945 als Einzigeunter den alliierten Spionen denTest eines nuklearen Zündsatzesin Thüringen meldeten.Überraschend aufschlussreich!

KULTUR-

KALENDER

ROCKMUSIK

LENINGRAD

10. JUNI, NÜRNBERG, LÖWENSAAL,

WEITERE TERMINE IN HAMBURG UND KÖLN

Die Kultband hat mit deftigen Texten und energiegeladenem Rock-Ska für Furore gesorgt. Den charismatischen Bandleader „Schnur“ unterstützt die Jazz-Sängerin Julia Kogan.

loewensaal.de ›

KLASSIK

BERLINER PHILHARMONIKER,

VLADIMIR JUROWSKI

10./11./12. JUNI, BERLIN, PHILHARMONIE

Mit 38 Jahren hat Jurowski schon viel erreicht – derzeit dirigiert er das London Philharmonic Orchestra. Beim Berliner Gastspiel wird Bach, Strawinsky und Mahler zu hören sein.

berliner-philharmoniker.de ›

FEIER

DEUTSCH-RUSSISCHE FESTTAGE

10.-12. JUNI, BERLIN, TRABRENNBAHN

KARLSHORST

Bereits im fünften Jahr wird in Berlin-Karlshorst die deutsch-russische Freundschaft zelebriert. Russische Folkloreensembles, Autoren und Rockbands tragen ihren Teil dazu bei.

drf-berlin.de ›

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ÜBER RUSSISCHE KULTUR AUF

RUSSLAND-HEUTE.DE

MORITZ GATHMANNRUSSLAND HEUTE

Hier sang Fjodor Schaljapin,

hier tanzte Maja Plissezkaja,

hier schlägt das Herz der

russischen Kultur. Sechs Jahre

hat die aufwendige Restau-

rierung des Bolschoi gedauert.

Die warme Maisonne lässt die frisch renovierten Kalksteinsäu-len an der Frontseite des Bolschoi hell erstrahlen, von hoch oben grüßt Apollon auf seiner Quadri-ga. Viele Moskauer verbringen ihre Mittagspause im Park vor dem herausgeputzten Theater, und fast scheint es, als sei es längst schon wieder eröffnet. Aber der Ein-druck täuscht: Erst ab dem 28. Ok-tober, nach über sechs Jahren, wird das weltberühmte Opern- und Balletttheater seine Tore öff-nen, erst dann werden wieder „Schwanensee“, der „Nusskna-cker“ und „Boris Godunow“ zu sehen und zu hören sein.

Zurück ins 19. JahrhundertDerweil polieren zwei Arbeiter auf einem Kran neben den Säu-len eine Gedenktafel: „LENIN“ steht dort und dass der Führer des Weltproletariats hier 1922 die letzte Rede vor seinem Tod hielt. Es ist eine der wenigen Reminis-zenzen an die sieben Jahrzehnte sowjetischer Geschichte, die das Bolschoi erlebte. Ansonsten wird bei den Renovierungsarbeiten die Sowjetzeit übersprungen und auf den Originalbau aus dem 19. Jahr-hundert Bezug genommen. Auch die kostbare Inneneinrichtung wurde ganz im Sinne des Klassi-zismus rekonstruiert: Sowjetische Wappen wurden entfernt, an deren Stelle zaristische wiedereinge-

Hightech trifft ZarenprunkSchauspielhaus Im Oktober 2011 öffnet das Bolschoi-Theater wieder seine Tore

Wo einst Hammer und Sichel das Säulenportal des Bolschoi zierten, spielen Musen wieder Harfe.

Über die Ausgaben denkt Michail

Sidorow vorerst noch nicht nach.

Balkonen, dort werden die wie-derhergestellten seidenen Wand-teppiche angebracht, unter der Erde wird noch richtig gebaut: Es entsteht ein neuer Konzertsaal, den Orchester und Chor auch für Proben nutzen können. Neu hin-zugekommen ist auch die mit 21 mal 21 Metern europaweit größte hydraulisch betriebene Bühne von Bosch-Rexroth. An ihrer Rampe wurde der Orchestergraben vergrößert und bietet nun Platz für 130 Musiker. Zugunsten des Komforts reduzierte man die Zahl der Plätze im Hauptsaal von 2100 auf 1720.

Medwedjews Machtwort Mit 20 Jahren Verspätung ist das glanzvoll restaurierte Bolschoi-Theater das Symbol schlechthin für russische Kultur. Gleichzei-tig steht die Geschichte seiner Re-konstruktion für die notorischen Probleme eines Systems, in dem vieles nur durch ein Machtwort von ganz oben funktioniert. Nach Schließung des Theaters 2005 gerieten die Restaurierungsarbei-ten ins Stocken, weil Regierungs-beamte, Moskaus Bürgermeister und Chefarchitekt Nikita Schan-gin sich um Kompetenzen und Konzeptionen stritten. 2008 ver-ließ Schangin das Projekt, und erst Dmitri Medwedjew sorgte für Bewegung: Im Frühjahr 2009 setzte er höchstpersönlich einen engen Mitarbeiter ein, um die Fer-tigstellung des Theaters bis 2011 zu gewährleisten. Im selben Jahr wurde gegen mehrere Beteiligte ein Verfahren wegen Veruntreu-ung von Geldern eingeleitet.Ob die Restaurierung am Ende 500 Millionen oder 1,5 Milliarden Euro kosten wird, wagt momen-tan keiner zu sagen. Sehr russisch klingt die Meinung von Michail Sidorow: „Erst wenn alles fertig ist und alle Rechnungen bezahlt sind, wissen wir, was es gekostet hat.“

setzt, der sowjetische Bodenbelag herausgerissen, an dessen Stelle Eiche verlegt. Das Bolschoi wurde 1776 gebaut, 1853 brannte es jedoch vollstän-dig aus. Das klassizistische Ge-bäude, das die Welt heute kennt, ist das Werk des russisch-italie-nischen Architekten Alberto Cavos. Für den Sohn eines Kom-ponisten stand beim Bau des Theaters die Akustik an vorders-ter Stelle: Er verkleidete die Wände mit Resonanzholz, auch

für Decke und Boden wählte er Holz; Verzierungen wie die Atlan-ten wurden aus Pappmaschee her-gestellt. Deshalb hatte der Saal nicht nur die Form einer Violine – lange Jahre klang er auch so.Die Restauration des Gebäudes war im Jahr 2005 längst überfäl-lig. In der Sowjetunion hatte die Zeit für eine grundlegende Erneu-erung gefehlt, weil neben Oper und Ballett das Bolschoi häufi g auch für Parteiversammlungen genutzt wurde. Viele der ur-sprünglich hochwertigen Materi-alien waren durch billigere ersetzt worden – und nicht nur die Akus-tik litt darunter. „In den Haupt-wänden hatten sich bis zu 30 Zen-timeter breite Risse gebildet“, erklärt Michail Sidorow von Summa Capital. Sein Unterneh-men leitet seit 2009 die Arbeiten. „Es bestand die Gefahr, dass das Gebäude zusammenbricht.“ Der erste Schritt der Rekonstruk-tion war deshalb die Stabilisie-rung der Bausubstanz: 7000 Stahl-pfähle wurden in den Boden gerammt, dann das alte Funda-ment entfernt. Erst im September 2009 war das neue Fundament fertig, sodass auf die Stahlpfähle verzichtet werden konnte. Seit-dem ist die Baustelle, keine fünf Gehminuten vom Kreml entfernt, ein Ameisenhaufen. Bis zu 3200 Menschen sind gleichzeitig bei der Arbeit: Hier vergolden Stukka-teure die Ornamente an den

" Es bestand die Gefahr, dass das Gebäude zusammenbricht. Erst wenn alles fertig ist und

alle Rechnungen bezahlt sind, wissen wir, was es gekostet hat.“

ZITAT

Michail Sidorow

Nach 20 Jahren ist das glanzvoll restaurierte Bolschoi-Theater das Symbol schlechthin für russische Kultur.

SPRECHER VON SANIERER SUMMA CAPITAL

Anastasia Wolotschkowa, einstiger Ballettstar des Bolschoi, hält trotzSkandale und Intrigen weiter Hof.

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12 WWW.RUSSLAND-HEUTE.DE RUSSLAND HEUTE

EINE BEILAGE DER RUSSISCHEN TAGESZEITUNG ROSSIJSKAJA GASETA, MOSKAUPorträt

Das Haus ist immer voll. Junge Sankt Petersburger feiern in Anna Albers Bar Datscha – Russisch für Schrebergarten.

ANASTASIA GOROCHOWARUSSLAND HEUTE

Vor 14 Jahren verliebte sich

die Hamburgerin Anna Albers

in die Stadt Sankt Petersburg.

Seine Bewohner erwiderten

die Liebe: Ihr Club Datscha hat

inzwischen Kultstatus.

Es ist spät am Abend, als sich Anna endlich einmal lässig an den Tresen lehnt und nicht hinter ihm steht. Draußen macht sich nach einem langen Winter der Früh-ling bemerkbar. Ihre frisch eröff-nete Strandbar Dünen haben gerade sechs gut gebaute Polizis-ten „besucht“. Bei dieser Kontrol-le ohne Ansage wäre sogar manch russischer Clubbesitzer in Panik geraten – doch die Hamburgerin Anna Albers weiß genau, wie man sich in solchen Situationen verhält.Was als eher routinierte Studien-reise nach Sankt Petersburg be-gann, wurde für die heute 32-Jäh-rige zur großen Liebe. Seit 1997 pendelte Anna zwischen Hamburg und der Kulturhauptstadt Russ-lands, seit 2003 hat sie hier ihren Hauptwohnsitz. Denn die Liebe beruht auf Gegenseitigkeit: Der Club Datscha, den Anna 2004 in einer Nebengasse des Newski-Pro-spekts gegründet hatte, wurde zu einer der angesagtesten Adressen der Stadt an der Newa.Hinter einer unscheinbaren Tür versteckt, betritt man zwei klei-ne, düstere Räume: Bar, Dj-Pult, ein Kicker und Blümchentapeten – Basisausstattung, mehr nicht. Die Barhocker sind immer besetzt, auch die gemütlichen alten Ses-sel in den Ecken. Aber sitzen will man im Datscha sowieso nicht. Auch wenn man ständig jeman-dem auf die Füße tritt und die Ell-bogen von ausgelassenen Men-

schen ins Gesicht bekommt – das Volk tanzt, als ob es das letzte Mal wäre. Und nichts auf der Welt scheint dieser unbeschwerten, lockeren Atmosphäre etwas an-haben zu können, in der Studen-ten, Touristen, Topmanager und Superstars aufeinandertreffen. Das in Russland sehr unzeitge-mäße Motto von Annas Clubs: „Es kommt nicht darauf an, was du anhast und wie viel du verdienst, es kommt darauf an, was für ein Mensch du bist.“Den Möchtegern-Glamour, der in Sankt Petersburg (und anderswo in Russland) das Nachtleben be-

Weiße Nächte in den DünenNachtleben Eine Deutsche mischt die Sankt Petersburger Clubszene auf – jenseits von Geld und Glamour

stimmt, kann Anna nicht ausste-hen. Trotz ihrer 14 Jahre in einem Land, dessen Frauen auch bei di-ckem Eis Highheels tragen, ist sie ihrem Stil treu geblieben: sport-lich und sehr natürlich, ihre brau-nen Haare zu einem leicht chao-tischen Pferdeschwanz zusam-mengebunden. In Jeans und einem kunstvoll um den Hals drapier-ten Schal trifft man Anna in einer ihrer Bars. Sie setzt ihre rote Eck-brille auf, zündet sich eine Zigarette an und schnappt sich ein Bier, bevor sie sich anschickt, ihre Gäste zu begrüßen.

In Russland geht es auf und abVor dem endgültigen Umzug nach Russland kellnerte Anna in Ham-burgs Bars, legte auf und hatte immer einen guten Riecher dafür, wo die beste Party zu fi nden war: nämlich in den typischen Knei-pen von St. Pauli. Klein, fein, nicht besonders schick, dafür irgend-wie ehrlich. Währenddessen fei-erte man in der russischen Kul-turhauptstadt in Großraumdiscos ab oder traf sich ganz privat auf „Kwartirniki“ – Hauspartys mit eigener Musik und Wodka.Die goldene Mitte fehlte. „Ich woll-te nicht warten, bis jemand eine Bar wie zu Hause eröffnet, also habe ich das selbst gemacht“, sagt sie. Schon sieben Jahre boomt nun das Datscha in Sankt Petersburg, mit guter Musik und ohne Dress-code, in einem zum Abriss bereit-stehenden Haus. „Ist das nicht un-glaublich? Sieben Jahre!“ – Anna kann es selbst kaum fassen. Und doch ist Sankt Petersburg nicht Hamburg. „Sie haben Rus-

Anna-Christin Albers wird 1975 in Rotenburg (Wümme) geboren, nach der Schule zieht sie zum Studium der Slawistik/Russistik nach Hamburg und jobbt dort in Bars als Kellnerin und DJane.

1997 fährt sie zum ersten Mal im Zuge einer Studienreise nach Sankt Peters-burg, bis zum Abschluss ihres Studi-ums 2003 folgen regelmäßige Aufent-halte in Russland. Endgültig siedelt sie im Dezember 2003 nach Sankt Petersburg über, am 28. Mai 2004 eröffnet sie ihren ersten Club Datscha, der sich zu einem der beliebtesten Clubs der nordrussischen Metropole entwickelt. 2008 über-nimmt Anna Albers den Club Sotschi. Am 30. April 2011 eröffnet sie die Strandbar Dünen im neuen Szene-viertel am Ligowskij-Prospekt.

Anna Albers

KURZVITA

HERKUNFT: HAMBURG

ALTER: 32

PROFIL: PARTYLÖWIN

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sen noch nicht feiern sehen!“,schmunzelt Anna. Ihr Erfolgsre-zept nennt sie „deutsches Konzept,gepaart mit russischer Spontani-tät“. Der Club Sotschi, den sie 2008zusätzlich zur Datscha übernahm,war ein Flop. Doch Anna Albersist keine, die den Kopf hängenlässt. Sie weiß: In Russland gehtes auf und ab, schnell und meis-tens nicht nach Plan. Dazu ist allesein bisschen verrückt und offe-ner, als man denken könnte. „DeinHandlungsspielraum ist hier einSeiltanz, ein Balanceakt. Und kei-ner fängt dich auf – du bist aufdich selbst gestellt.“

100 Tonnen Sand für die BarVor wenigen Wochen eröffneteAnna die Dünen – und ließ dafür100 Tonnen Sand in den Club aufeinem alten Fabrikgelände kar-ren. „Nur offiziell registriert sindwir noch nicht. Das dauert un-endlich lange, und meistens öff-net ein Club vor der offiziellenLizenz.“ Der Polizeibesuch waralso keine Überraschung. „Trotz-dem unangenehm“, gesteht Anna.„Jetzt habe ich keinen Whiskeymehr – damit musste ich nämlicheben bezahlen …“Auf die Frage, ob sie denn fürimmer hierbleiben werde, sagt siestirnrunzelnd: „Ich denke darü-ber nicht nach. Ich wache mor-gens schließlich nicht mit derFrage auf: Oh, ich bin in Russ-land, was tue ich hier? Sondernmit dem Gedanken, dass ich gernenoch weiterschlafen möchte.Solange es läuft, bleibe ich.“ Fürdie Petersburger Szene ist das einegute Nachricht.

Die Atmosphäre ist locker – hier treffen sich Studenten, Touristen, Topmanager und Superstars.

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