2013 01-25 artikel süddeutsche pdf

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Oded Breda schaut die Szene immer wie-der an, auch in Zeitlupe. Die National-sozialistenhatten 1944einenPropaganda-film über das Konzentrationslager There-sienstadt gedreht. Der Titel: „Der Führerschenkt den Juden eine Stadt.“ In demFilm ist im Innenhof einer Kaserne einFußballspiel zu sehen, gesäumt von Hun-derten Zuschauern, dicht gedrängt aufdrei Balkongalerien. Oded Breda, einComputerexperte aus Israel, achtet imFilm auf jeden Spieler, auf Körpersprache,Gesicht,Alter.Er ist aufderSuchenachsei-nem Onkel Pavel aus Brünn, 1942 depor-tiertnachTheresienstadt,mit nicht einmal18 Jahren.

Oded Breda, 59, gleicht die Filmszenemit einem vergilbten Foto seines Onkelsab. Darauf ist ein junger Mann mit hoherStirnzusehen,derdenFußballplatz inThe-resienstadt betritt, auf seinemweißenTri-kot prangt der Judenstern. „Ich wollte un-bedingt mehr erfahren“, sagt Breda. DerPropagandafilm gibt ihm keine Gewiss-heit, und so sucht er Zeitzeugen. Er findetPeter Erben, heute 92 Jahre alt. Und tat-sächlich: Erben und Pavel Breda haben ineinemTeam gespielt. Erben überlebte denKrieg, Pavel Breda starb an Typhus, inAuschwitz, mit zwanzig Jahren.

AndiesemSonntag jährt sichdieBefrei-ung von Auschwitz. Auch in den Fußball-

Bundesligen gibt es seit acht Jahren einenHolocaust-Erinnerungstag. Zu diesemgibt es Gedenkveranstaltungen, Stadion-choreografien, Lesungen. Die Rolle derdeutschen Vereine im Dritten Reich ist indenvergangenenJahrenverstärktaufgear-beitet worden. Außen vor blieb der organi-sierte Sport in Konzentrationslagern.

Die Gewissheit über seinen Onkel warfür Oded Breda vor einigen Jahren derBeginn eines neuen Lebensabschnitts. Erreiste nach Theresienstadt, nordwestlichvon Prag gelegen, las Bücher und Zeitzeu-gen-Berichte: Das Sammel- und Durch-gangslager, von denNazis alsMusterghet-to bezeichnet, hatte zumTeil unter Selbst-

verwaltung gestanden. „Es gab Zeichen-kurse, Theater, Konzerte – und Sport“,sagt Breda. „Die Häftlinge wollten ihreWürde bewahren, so gut es eben ging.“

Breda arbeitete alte Zeitungen durch,die jüdischeWaisenkinder imKZ inkleinerStückzahl auf ihren Schreibmaschinen ge-tippt hatten, und rekonstruierte so denFußballbetriebder„LigaTerezin“:Häftlin-ge hatten eine Fachgruppe gebildet. Spie-ler benannten Mannschaften nach ihrenArbeitsstellen, sie hießen „Kleiderkam-mer“ oder „Ghettowache“. Andere Teamsnannten sich „Sparta Prag“ oder „FortunaKöln“. Der Onkel von Oded Breda kicktefür die Jugendfürsorge. Gespielt wurdesonntags auf einem Kasernenhof, sechsPartien nacheinander, jeweils siebzig Mi-nuten, manchmal mit 3000 Zuschauern.EinederSportzeitungentrugdenTitelRim-Rim-Rim, benannt nach einem Anfeue-rungsruf. „Fußball bedeutete für einenkurzenMoment Ablenkung“, sagt Breda.

Rund 150 000 Menschen wurden nachTheresienstadt deportiert, fast 90 000kamen später in den Vernichtungslagernum. 35 000 starben noch im Ghetto, anKrankheiten, Altersschwäche, durchMord. Von allen Gefangenen in Theresien-stadt überlebten: 4136.

In den vergangenen Jahren hat einejunge Forscher-Generation Untersuchun-

gen angestoßen, zum Beispiel VeronikaSpringmann von der Humboldt-Universi-tät in Berlin. Ihre Doktorarbeit über Sportin den KZ heißt „Gunst und Gewalt“. War-um Gunst? Während des Krieges wurdenaus der Rüstungsindustrie Arbeiter an dieFrontgezogen,dieSSersetztesiedurchGe-fangene. SS-Reichsführer HeinrichHimmler führte 1942 ein Prämiensystemein, um die Zwangsarbeiter bei Laune zuhalten. „Fußball sollte Anreize schaffen“,erzählt Springmann.

Soorganisiertwie inTheresienstadtwarder Betrieb sonst nirgends, meist erhieltnur eineMinderheit die Chance sich zube-tätigen. Springmann zeichnet ein Span-nungsfeld zwischen Drohung und Folter:„Sportwar fürdieSSmeistBelustigung.Ei-nige Wärter haben Häftlinge auf den Platzgeschickt, die körperlich dazu nicht mehrfähig waren.“ Es sind Schlägereien zwi-schen SS-Leuten überliefert, ausgelöstdurch Spiele im KZ. Ringkämpfe zwischenkleinwüchsigenHäftlingen und Liegestüt-ze bis zur Erschöpfung sind ebenso doku-mentiert wie Boxkämpfe vor betrunkenenSoldaten, die Verliererwurden erschossen,noch im Ring.

AlsOdedBredasicheinBildvonTheresi-enstadt gemacht hatte, beschloss er, sei-nen Job in einem High-Tech-Unterneh-men aufzugeben. Er trug Dokumente undFotos zusammen, mit Freunden eröffneteer in einem Kibbuz nördlich von Tel Avivdie Gedenkstätte Beit Terezin. Breda lädtzu Zeitzeugengesprächen und organisiertTurniere. „Die Jugendlichen schauen sichunserMuseumanund gehendann auf denFußballplatz. Dort tragen sie Trikots, diemit den Teamnamen aus dem Ghetto be-druckt sind. Durch das Hobby Fußball er-reichenwir Gruppen, die sich sonst niemitdemHolocaust beschäftigen.“

ImDezember 2012 erhielt BredaBesuchvom Deutschen Fußball-Bund. PräsidentWolfgang Niersbach überreichte eine5000-Euro-Spende. Niersbach kam insGespräch mit Peter Erben, einst Häftlingund Kicker in Theresienstadt. Zum Ab-schiedüberreichteer ihmeinTrikotdesNa-tionalteams, mit Unterschriften der Spie-ler. „Wenn DeutschlandWeltmeister wird,dann jubeln Sie?“, fragte Niersbach. Erbanantwortete: „Das ist versprochen.“

Als Oded Breda in seiner Kindheit diedeutsche Fußball-Mannschaft im Fernse-hen verfolgte, sah er in ihr „elf starke SS-Männer“. Heute, sagt er, sei das völliganders. Dabei soll es bleiben, das ist seinAntrieb. RONNY BLASCHKE

Es gab Boxkämpfe vor Soldaten.Wer verlor, wurde erschossen

Anstoß im KasernenhofDer Jahrestag der Auschwitz-Befreiung ist aus gutem Grund auch für die Bundesliga ein Thema: In vielen Konzentrationslagern spielte der Sport eine große Rolle

Von vielen bestaunt laufen im Lager Theresienstadt Fußball-Teams auf. Rechts:Pavel Breda, der auf seinem weißen Trikot den Judenstern trägt. FOTO: BEIT TEREZIN/OH

Süddeutsche Zeitung SPORT Freitag, 25. Januar 2013München Seite 25

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