2015-10-02 Peter Pauls - Konjunkturprogramm durch Fluechtlingskrise - DLF

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Vom Geben und Nehmen [vom-geben-und-

nehmen-deutsche-einheit-im-deutschen-

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im deutschen Alltag

TV-Serie "Deutschland 83" [tv-serie-

deutschland-83-ueber-die-geschichte-der-

ddr.807.de.html?dram:article_id=332779]

Über die Geschichte der DDR

25 Jahre Deutsche Einheit [25-jahre-

deutsche-einheit-bluehende-landschaften-

auch-im.769.de.html?

dram:article_id=332830] "Blühende

Landschaften" auch im Osten?

Deutsche Einheit und die Flüchtlingskrise

Blühende Landschaften dankFlüchtlingenVor 25 Jahren versprach Helmut Kohl blühende Landschaften

im Osten Deutschlands. Heute glauben manche zurecht, auch

mit den Migranten verknüpften sich blühende Landschaften,

meint der Chefredakteur des "Kölner Stadt-Anzeigers", Peter

Pauls. Denn der Flüchtlingszuzug stehe auch für ein

milliardenschweres Konjunkturprogramm.

Von Peter Pauls

Menschen feiern am 3.10.1990 die Wiedervereinigung. (pa/dpa)

Heute vor 25 Jahren, am 3. Oktober 1990, wurde geträumt. Um Glück,

Gratulationen aus aller Welt, Freudenfest, Hoffnung und den Sieg der

Freiheit ging es. Das waren nur einige Stichworte, die die Zeitungsseiten am

ersten Tag des nun wiedervereinten Deutschlands prägten. Die gewaltigen

Lettern standen für den Begeisterungstaumel, den das Land erfasst hatte.

Helmut Kohls Wort von den "blühenden Landschaften", in die die fünf

neuen Ost-Bundesländer sich rasch verwandeln würden, wurde zur Art

komprimierten politischen Botschaft. Programm und Ziel – der Kanzler

hatte sie gleichzeitig formuliert. Rasch wurden die "blühenden

Landschaften" Spielball im politisch-gesellschaftlichen Diskurs. Spott und

Sarkasmus schwangen bei dessen Verwendung ebenso mit wie auch Stolz

und Anerkennung.

Ein neues Land ist entstanden

Zieht man heute, 25 Jahre später, eine Art Kurzbilanz, dann blühen im Osten

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Sonntag, 04.10.2015

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tatsächlich wieder Landschaften. Nur anders, als der deutsche

Bundeskanzler sich das gedacht hat. An anderen Stellen blüht es nicht.

Auch im Westen, in Gelsenkirchen oder Duisburg zum Beispiel. Um den

Preis einer massiv gestiegenen Staatsverschuldung, mancher Ernüchterung

und Enttäuschung ist ein neues Land entstanden. Die Symbolkraft dieser

historischen Leistung hat nicht nur die Machtarchitektur in Europa sondern

gleich Deutschlands Ansehen in der Welt verändert und unserem Land eine

neue, einflussreiche Rolle zugewiesen.

So bedrückend wenig man mitunter immer noch im Westen vom Osten und

umgekehrt weiß und so regionalspezifisch Menschen geprägt sein mögen –

die Einheit ist heute eine Selbstverständlichkeit. Der 3. Oktober 1990 wird

aus historischer Distanz betrachtet, zumal rund zwei Millionen berufstätige

Menschen von Ost nach West zogen und hunderttausende den umgekehrten

Weg wählten. Die Einheit ist eine Erfolgsgeschichte und Angela Merkel, die

ostdeutsche Pfarrerstochter, deren Symbolfigur.

Man muss das sich an diesem Tag vor Augen führen. Auch, um zu verstehen,

warum täglich bis zu 10.000 Flüchtlinge bei uns ankommen. Mit

Deutschland wird eine Art von Heilserwartung verknüpft, die von den

blühenden Landschaften gar nicht so weit entfernt ist. Fast eine Million

Menschen aus Unruhegebieten träumen davon, in dem neuen und politisch

erstarkten Deutschland Zuflucht oder Heimat zu finden. Schaffen wir das?

Diffuse Heilserwartung jetzt an Flüchtlinge

Manche glauben, auch mit den Migranten verknüpften sich blühende

Landschaften. Perspektivisch werden Flüchtlinge die 40.000 Lehrstellen

besetzen, für die sich heute niemand findet. Das Facharbeiterproblem lösen

die Flüchtlinge ebenfalls und in die deutschen Sozial- und Rentenkassen

zahlen sie die Beiträge ein, die uns heute fehlen. Weil die Zahl der Deutschen

schrumpft. Die neuen Bürger gehen in Pflegeberufe und aufs Land oder

zumindest dorthin, wo Wohnungen leer stehen. Vielleicht helfen sie uns

auch, den Mangel an Ärzten im ländlichen Raum zu beheben. All diese

Hoffnungen tragen Züge einer diffusen Heilserwartung. Die blühenden

Landschaften lassen grüßen.

Kluge Menschen haben errechnet, dass uns die Flüchtlinge in diesem Jahr

zehn Milliarden Euro kosten. Das ist viel Geld und doch nichts im Vergleich

zur Treuhand etwa, die Ost-Betriebe privatisieren sollte. Aus dem

prognostizierten Gewinn dieser Institution von 600 Milliarden Euro

jedenfalls wurde ein Verlust von 200 Milliarden.

Zwölf Millionen deutscher Flüchtlinge und Vertriebener kamen nach dem

Zweiten Weltkrieg aus den deutschen Ostgebieten in den Westen. Es gelang

nicht nur deren Integration. Sie brachten der west-deutschen Gesellschaft

auch Erneuerung und Modernisierung. Willkommen waren sie nicht immer.

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Flüchtlinge als Konjunkturprogramm

Heute kommen andere Flüchtlinge - eine Herausforderung, und was für

eine. Die Mehrheit unterscheidet sich durch Kultur, Sprache und

Wertesysteme. Doch sie stehen auch für ein milliardenschweres

Konjunkturprogramm, denn jeder Euro für Flüchtlinge wird hier

ausgegeben. Bei Ikea gibt es keine Betten mehr, Zeltfabriken haben die

Kapazitätsgrenze lange schon überschritten und der örtliche Metzger fährt

Sonderschichten, weil er seinen Teil zur Verpflegung in den Zeltstädten

beiträgt. Und deshalb werden Lehrer, Schulen und Schulungen, angepasste

Berufsausbildungen und neue Gesetze und Regeln gebraucht. Das Baurecht

will überdacht sein, will man – wie in der Nachkriegszeit – rasch schlichten

Wohnraum errichten. Und anderes auch. Die Zahl an Flüchtlingen fordert

dieses Land und seine Bürger heraus. Aber das ist so neu auch nicht.

Wie mag es in 25 Jahren hier aussehen? Helmut Kohl hatte die blühenden

Landschaften an eine Bedingung geknüpft: Anstrengung. Alle werden sich

anstrengen müssen. Die neuen Bürger am meisten.

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