2015-Fouad-Der Militärputsch in Ägypten Aus Der Sicht Deutscher Salafisten

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Aufsatz über Militärputsch in Ägypten aus Sicht deutscher Salafisten

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    Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.)

    Schriftenzur Extremismus- und Terrorismusforschung

    Brhl 2014

    TerrorismusExtremismus

    Jahrbuch fr Extremismus- und Terrorismusforschung 2014 (II)

    Fachhochschule des Bundesfr ffentliche Verwaltung

  • Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.)

    Jahrbuch fr Extremismus- und Terrorismusforschung 2014 (II)

    Brhl /Rheinland 2014

  • Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    ISBN 978-3-938407-68-4

    Druck: Statistisches Bundesamt Zweigstelle Bonn

    Impressum:

    Hochschule des Bundes fr ffentliche Verwaltung Willy-Brandt-Str. 1 50321 Brhl

    www.hsbund.de

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    Der Militrputsch in gypten aus der Sicht deut-scher Salafisten Eine Fallstudie zur Begrndung der Notwendigkeit eines inter-nationalen Blickwinkels zur Analyse des Forschungsgegen-standes Salafismus Hazim Fouad

    1. Einleitung und Fragestellung Nach wie vor gilt der Salafismus als die virulenteste und ffentlich-keitswirksamste Bewegung innerhalb des Islamismus. Trotzdem ist bisher auf Deutsch kaum etwas ber dessen internationale Verflech-tungen publiziert worden. Im Hinblick auf die Bedeutung, die dem Sa-lafismus seitens der deutschen Medien, den Sicherheitsbehrden und einigen Politikern zugemessen wird1, berrascht der langwhrende Mangel an deutschsprachigen wissenschaftlichen Bchern zu diesem Thema.2 Seit dem Erscheinen des englischsprachigen Standardwerks Global Salafism3 2009 haben sich im Salafismus, nicht zuletzt im Zuge des Arabischen Frhlings, bedeutsame Entwicklungen abge-spielt, sodass neue Verffentlichungen zum Untersuchungsgegenstand deutlich berfllig waren.4

    1 Vgl. Hessisches Ministerium des Innern und fr Sport, Innenminister Boris

    Rhein: Salafismus grte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahr-hunderts, 30.08.2013, in: www.hmdis.hessen.de/presse/pressemitteilung /innenminister-boris-rhein-salafismus-groesste-sicherheitspolitische (gelesen am 22. Mrz 2014).

    2 ber lngere Zeit waren die einzigen etwas ausfhrlicheren Abhandlungen zu diesem Thema: Bundesrat, Lagebild zur Verfassungsfeindlichkeit salafistischer Bestrebungen, 2011, in:www.bundesrat.de/static/Web/DE/gremien-konf/fach ministerkonf/imk/Sitzungen/11-06-22/anlage14_templateId-raw_property-publicationFile_pdf/anlage14.pdf (gelesen am 22. Mrz 2014) sowie Claudia Dantschke ua., Ich lebe nur fr Allah. Argumente und Anziehungskraft des Salafismus, Berlin 2011.

    3 Vgl. Roel Meijer, Global Salafism. Islams New Religious Movement, London 2009.

    4 2014 erschienen bzw. sollen erscheinen: Ulrich Kraetzer, Salafismus. Bedro-hung fr Deutschland?, Gtersloh 2014; Behnam T. Said/Hazim Fouad (Hrsg.), Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam, Freiburg 2014;

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    Ein weiterer Aspekt hinsichtlich des Fehlens eines internationalen Blickwinkels, war die Fokussierung auf Salafismusstrmungen in Deutschland in deutschsprachigen Verffentlichungen.5 Dies ist den Autoren sicherlich nicht vorzuwerfen, so mssen sie doch in dem be-grenzten Rahmen, der ihnen fr ihren Artikel zur Verfgung steht, entsprechende Schwerpunkte setzen. Dennoch verblfft es, dass sich anscheinend wenige dem Phnomen in anderen Lndern auf Deutsch ausgiebiger gewidmet bzw. versucht haben, internationale Entwick-lungen mit der deutschen Bewegung in Beziehung zu setzen, obwohl dies bei einer globalen Bewegung wie dem Salafismus doch als gebo-ten erscheint.

    Salafisten gehren sowohl in Staaten mit muslimischer Mehrheitsbe-vlkerung wie auch in der europischen Diaspora zu den am ffent-lichkeitswirksamsten agierenden muslimischen Akteuren. Dabei be-steht ein reger, ber Lndergrenzen hinweg stattfindender, personeller und ideologischer Austausch. Salafisten in gypten nehmen Stellung zu Geschehnissen in Deutschland6, saudische Prediger touren durch

    Klaus Hummel/Michail Logvinov (Hrsg.), Gefhrliche Nhe. Salafismus und Dschihadismus in Deutschland, Stuttgart 2014; Wael El-Gayar/Katrin Strunk (Hrsg.), Integration versus Salafismus. Identittsfindung muslimischer Jugend-licher in Deutschland. Analysen Methoden der Prvention Praxisbeispiele, Schwalbach, 2014; Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.), Salafismus in Deutschland. Ursprnge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung, Bielefeld 2014. Bereits 2013 erschien die Monographie von Rauf Ceylan und Michael Kiefer, Salafismus. Fundamentalistische Strmungen im Islam, Wiesbaden 2013. Allerdings beschftigt sich das Buch vorrangig mit der historischen Entstehung fundamentalistischer Tendenzen innerhalb des Islams sowie mit Prventionsmglichkeiten und weniger mit einer Analyse gegenwr-tiger salafistischer Erscheinungsformen.

    5 Vgl. Dirk Baehr, Der deutsche Salafismus: Vom puristisch-salafistischen Den-ken eines Hasan Dabbaghs bis zum jihadistischen Salafismus von Eric Brei-ninger, Mnchen 2013; Behnam Said, Salafismus - Ein deutscher Extremis-mus, in: SIAK-Journal, (2013) 1, S. 19-32.

    6 Nico Prucha, Fatwa calling for the death of the director, producer, and actors involved in making the film Innocence of Muslims, 18.09.2012, in: http:// www.jihadica.com/fatwa-calling-for-the-death-of-the-director-producer-and-actors-involved-in-making-the-film-%E2%80%98innocence-of-islam%E2% 80%99/ (gelesen am 1. Mai 2014).

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    Europa7 und deutsche Salafisten diskutieren ber die Notwendigkeit der Teilnahme am syrischen Brgerkrieg8. Vor allem im Internet scheint es oft so, als sei der Diskurs ber (vermeintlich) islamische Themen von Salafisten dominiert. Dies wirft die Frage auf, weshalb die deutsche Forschungsliteratur derartige Vernetzungen bisher nur eingeschrnkt thematisiert hat.

    Der vorliegende Beitrag versucht daher diese Lcke zu schlieen und den Salafismus aus internationaler Sicht zu beleuchten. Hierzu erfolgt zunchst eine Vorstellung aktueller Erkenntnisse aus der Salafismus-forschung, um das bisherige Wissen zu diesem Thema zu ergnzen. Danach zeigt das Fallbeispiel gypten die Wandelbarkeit der salafisti-schen Ideologie. Zuletzt werden die Reaktionen deutschsprachiger sa-lafistischer Akteure zu den Entwicklungen in gypten analysiert, um die Bedeutung eines internationalen Blickwinkels auf die Thematik hervorzuheben.

    2. Aktuelle Erkenntnisse aus der Salafismusforschung Bei der etymologischen Erluterung des Begriffes Salafismus wird gerne auf das arabische Pendant Salafiyya verwiesen,9 welches wiede-rum mit dem Terminus Technicus al-salaf al-salih (die frommen Altvorderen) eng verbunden ist. Vor allem der Gebrauch des Begrif-fes Salafiyya ist problematisch. Bezeichnet er in der heutigen ara-bischsprachigen Literatur zwar tatschlich das, was gegenwrtig unter Salafismus verstanden wird, so wurde und wird er in der deutsch- und englischsprachigen Islamwissenschaft als Bezeichnung fr eine im 19.

    7 Yassin Musharbash/Mirjam Schmitt, Islamist kann trotz Schengen-Sperre ein-

    reisen, 16.1.2013, in: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-01/islamist-schengen-einreise-deutschland (gelesen am 1. Mai 2014)

    8 Siehe folgenden Thread im Ahlu Sunna-Forum: http://www.zeit.de/politik /deutschland/2013-01/islamist-schengen-einreise-deutschland (gelesen am 1. Mai 2014).

    9 Vgl. Claudia Dantschke, Was ist Salafismus?, 21.4.2012, in: http://www. publikative.org/2012/04/21/was-ist-salafismus/ (gelesen am 22. Mrz 2014).

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    Jahrhundert aufkommende arabische Reformbewegung genutzt, wel-che mit dem gegenwrtigen Salafismus eher wenig gemein hat.10

    ber den Begriff al-salaf al-salih liest man meist, dass damit die ers-ten drei Generationen der Muslime gemeint sind,11 an denen sich die heutigen Salafisten orientieren.12 Diese Aussage ist nicht grundstz-lich falsch, jedoch weist die Islamwissenschaftlerin Justyna Nedza korrekterweise darauf hin, dass kein Konsens darber besteht, welche genaue Zeitspanne diese drei Generationen berhaupt abdecken.13 Hinzu kommt, dass mitnichten alle Muslime, die in dieser Zeit gelebt haben, von den heutigen Salafisten in Ehren gehalten werden. Insbe-sondere diejenigen, welche die Autoritt der ersten drei Nachfolger Muhammads in Frage stellten, werden von Salafisten nur abfllig er-whnt. Dieses Indiz fr die selektive Auswahl historischer Akteure zur Konstruktion eines religis-geschichtlichen Ideals sollte zuknftig bei Erklrungen von al-salaf al-salih vermehrt Beachtung finden. Zur Beschreibung des Salafismus greifen viele Texte auf den 2006 er-schienenen Aufsatz des Politologen Quintan Wiktorowicz Anatomy of the Salafi Movement zurck.14 Dieser war seinerzeit sicherlich grundlegend und behlt bis heute im Groen und Ganzen seine Rich-tigkeit. Dennoch sollen an dieser Stelle anhand von neueren For-schungsergebnissen zwei Aspekte aus dem Aufsatz aufgegriffen und diskutiert werden: Zum einen behauptet Wiktorowicz, dass alle Sa-

    10Auch der entsprechende Eintrag in der Encyclopedia of Islam beschftigt sich

    mit dieser Reformbewegung und nicht mit dem gegenwrtigen Salafismus, vgl. Justyna Nedza, Salafismus. berlegungen zur Schrfung einer Analysekate-gorie, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 80-105, hier S. 82. Fr eine mgliche Erklrung dieser Begriffszuschreibung vgl. Henri Lauzire, The Construction of Salafiyya. Reconsidering Salafism from the Perspective of Conceptual History, in: International Journal Middle East Studies, 42 (2010) 3, S. 369-389.

    11Gemeint sind Muhammads Gefhrten (sahaba), deren Nachfolger (tabiun) sowie deren Nachfolger (tabiu l-tabiin).

    12Vgl. Marwan Abou-Taam, Die Salafiyya-Bewegung in Deutschland, 21.5.2012, in: http://www.bpb.de/politik/extremismus/islamismus/136705/die-salafiyya-bewegung-in-deutschland?p=all (gelesen am 22. Mrz 2014).

    13J. Nedza (Anm. 7), S. 96. 14Quintan Wiktorowicz, Anatomy of the Salafi Movement, in: Studies in Con-

    flict & Terrorism, 29 (2006) 3, S. 207-239.

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    lafisten die gleiche Glaubenslehre (aqida) teilen wrden.15 Richtig ist, dass im Salafismus weitgehende Einigkeit ber theologische As-pekte herrscht, welche die Salafisten von anderen Glaubensschulen des Islams, wie den Ashariten oder den Maturiditen, abgrenzt.16 Al-lerdings bedeutet dies nicht, dass sich Salafisten in jeglichen Glau-bensfragen einig wren. Schon 2009 hat der Islamwissenschaftler Joas Wagemakers darauf hingewiesen, dass Unterschiede z.B. dann zu Ta-ge treten, wenn wie im Falle des jordanischen jihadistischen Ideologen Muhammad al-Maqdisi versucht wird, Konzepte aus der Glaubensleh-re auf die Realpolitik zu bertragen.17

    Ein weiteres Indiz fr eine heterogene Glaubenslehre fhrt Wiktoro-wicz kurioserweise in seinem Artikel selbst an, nmlich das Hinzuzie-hen des, durch den islamischen Ideologen Sayyid Qutb entwickelte, Prinzip der Gottesherrschaft (hakimiyya) zu den Grundpfeilern des Eingottglaubens (tauhid) durch politische und jihadistische Salafis-ten.18 Die grten Unterschiede existieren sicherlich in der Beurtei-lung von Glauben (iman) und Unglauben (kufr). Prziser ausgedrckt: Ab wann ist es verpflichtend, daran zu glauben, dass ein anderer Mus-lim, insbesondere ein muslimischer Herrscher, vom Glauben abgefal-len ist? In der Theorie besteht hier Einigkeit: Sowohl kleine Snden

    15Q. Wiktorowicz (Anm. 11), S. 3. 16Dies betrifft vor allem die Deutung der in den islamischen Quellen genannten

    Namen und Eigenschaften Gottes, vgl. Mohammed Gharaibeh, Zur Glaubens-lehre des Salafismus, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 106-131.

    17In diesem Fall ging es um das Konzept der Loyalitt und Lossagung (al-wala` wa-l-bara`) im Islam. Vgl. Joas Wagemakers, A Purist Jihadi-Salafi: The Ideology of Abu Muhammad al-Maqdisi, in: British Journal of Middle Eastern Studies 36 (2009) 2, S. 281-297, hier S. 296. Fr den Fall der hisba, also dem koranischen Gebot, das Gute zu gebieten und das Schlechte zu verbieten, vgl. Roel Meijer, Commanding Right and Forbidding Wrong as Principle of Social Action, The Case of the Egyptian al-Jamaa al-Islamiya, in: Roel Meijer (Hrsg.), Global Salafism. Islams New Religious Movement, New York 2009, 189-220; Behnam T. Said, Salafismus und politische Gewalt unter deutscher Perspektive, in Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 193-228.

    18Q. Wiktorowicz (Anm. 12), S. 233. Die ursprnglichen drei Pfeiler des salafis-tischen Verstndnisses von tauhid sind tauhid al-rubbubiyya (tauhid der Herr-schaft), tauhid al-uluhiyya (tauhid der Gttlichkeit bzw. Anbetungswrdigkeit) und tauhid al-asma` wa-l-sifat (tauhid der Namen und Eigenschaften). Vgl. M. Gharaibeh (Anm. 13).

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    (sagha`ir) als auch groe Snden (kaba`ir) gelten als kleiner Unglau-be (kufr asghar) und schlieen die betroffene Person nicht aus dem Islam aus. Erst ein Akt des groen Unglaubens (kufr akbar) macht aus einem Muslim einem abtrnnigen Unglubigen (kafir murtadd). Al-lerdings besteht keineswegs Einigkeit darber, was genau unter gro-em Unglauben zu verstehen ist bzw. welche Taten unter welchen Bedingungen nicht mehr als groe Snde, sondern als groer Unglau-be gelten.19 Diese Frage spielt insbesondere bei der Beurteilung der Rechtmigkeit muslimscher Herrscher in Bezug auf deren Anwen-dung der Scharia eine magebliche Rolle.20

    Der zweite Punkt betrifft Wiktorowicz Einteilung der salafistischen Bewegung in puristische, politische und jihadistische Salafisten. Pu-risten gelten nach Wiktorowicz als regimeloyal, konzentrieren sich auf religise statt auf politische Fragestellungen und verbreiten ihre Bot-schaft durch Predigt bzw. Mission (dawa) und religise Erziehung (tarbiyya). Politische Salafisten hingegen setzen sich dezidiert mit ak-tueller Politik auseinander und uern sich offen kritisch gegenber den muslimischen Herrschern, ohne jedoch dabei zur (gewaltsamen) Rebellion aufzurufen. Letzteres bleibt den Jihadisten vorbehalten, welche die Herrscher der muslimischen Staaten zu Unglubigen er-klrt haben (takfir), um so ihre gewaltsamen Handlungen zu rechtfer-tigen. Diese Einteilung ist als erste Orientierung auch heute noch hilf-reich und weitestgehend korrekt.

    Jedoch sollten vor einer kritiklosen bernahme drei Aspekte bedacht werden: Erstens sind die drei Kategorien nur als Idealtypen zu verste-hen. So berlappen sich die drei Gruppierungen und sind in sich viel-

    19Vgl. Hazim Fouad, Salafi-Jihadists and non-Jihadist Salafists in Egypt A

    Case Study About Politics and Methodology (manhaj), 30.04.2013, in: http://jihadology.net/2013/04/30/guest-post-salafi-jihadists-and-non-jihadist-salafists-in-egypt-a-case-study-about-politics-and-methodology-manhaj/ (ge-lesen am 22. Mrz 2014).

    20Vgl. hierzu ausfhrlich Joas Wagemakers, Seceders and Postponers? An Analysis of the Khawarij and Murjia labels in Polemic Debates Between Quietists and Jihadi-Salafis, in: Jeevan Deol und Zaheer Kazmi (Hrsg.), Con-textualising Jihadi Thought, London 2012, S. 145-154 und J. Nedza (Anm. 7), S. 90-95.

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    schichtiger.21 Des Weiteren basiert Wiktorowicz Kategorisierung vor-nehmlich auf dem salafistischen Spektrum Saudi-Arabiens. Sie kann daher nicht ohne weiteres auf andere, insbesondere nicht-muslimische, Lnder bertragen werden. Schlielich muss auch seine Einteilung der Prediger in regimeloyale Puristen und oppositionelle politische Sa-lafisten kritisch hinterfragt werden. So werden bei Wiktorowicz so-wohl Nasir al-Din al-Albani, als auch Rabi Hadi al-Madkhali zu den Puristen gezhlt. Whrend sich al-Albani allerdings tatschlich aus politischen Belangen weitestgehend raus hielt, attackiert al-Madkhali jeden, der dem Knigshaus keine bedingungslose Loyalitt entgegen-bringt.22 Hier stellt sich die Frage, ob eine solch offen zur Schau ge-stellte Positionierung nicht ebenfalls als politisch zu werten ist. Es gilt also zu berlegen, ob neben den Puristen auch politische Salafisten regimeloyal sein knnen. Diese berlegung erscheint zumindest fr die aktuelle Situation in gypten als zielfhrend.

    3. Gegenwrtige Dynamiken im gyptischen Salafismus Der Salafismus in gypten hat eine lange Geschichte. Daher mag es den ein oder anderen berraschen, dass ber die gyptischen Salafis-ten vor ihren Erfolgen bei den Parlamentswahlen 2011/2012 kaum et-was zu hren oder zu lesen war. Dies mag dem Fakt geschuldet sein, dass gypten meist mit anderen Akteuren aus dem islamistischen Spektrum in Verbindung gebracht wurde, insbesondere mit der Mus-limbruderschaft, die hier ihren Ursprung hat. Daneben lagen die ehemals gewaltbereiten, revolutionren Gruppen wie al-Jamaa al-Islamiyya (die islamische Gruppe) und Tanzim al-Jihad (die Orga-nisation des Jihads) im Blickpunkt der Wissenschaft, ohne dass sie zunchst im Salafismus verortet wurden, wenngleich es hierfr gute

    21Vgl. Joas Wagemakers, Salafistische Strmungen und ihre Sichtweisen auf al-

    wala` wa-l-bara` (Loyalitt und Lossagung), in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 55-79.

    22Vgl. Roel Meijer, Politicising al-Jarh wa-l-Tadil: Rabi b. Hadi al-Madkhali and the Transnational Battle for Religious Authority, in: Nicolet Boekhoff-van der Voort/Kees Versteegh/Joas Wagemakers (Hrsg.), The Transmission and Dynamics of the Textual Sources of Islam. Essays in Honour of Harald Motzki, Leiden 2011, S. 375-399.

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    Grnde gibt.23 Allerdings fokussierte man sich bei diesen Gruppen vor allem auf den Gewaltaspekt, was in Anbetracht der langwhrenden bewaffneten Auseinandersetzung mit dem Staat auch nicht abwegig erscheint.24 Dementsprechend unbeachtet blieb das gewaltfreie sa-lafistische Spektrum gyptens.

    Die lteste und zugleich grte gyptische salafistische Organisation ist die 1926 gegrndete Ansar al-Sunna al-Muhammadiyya (Anh-nger des Weges Muhammads). Ihre fhrenden Persnlichkeiten pfleg-ten stets einen engen Austausch mit Saudi-Arabien und teilten gr-tenteils die ideologischen Positionen ihrer wahhabitischen Glaubens-brder. Im Gegensatz zu den Muslimbrdern hielten sie sich aus po-litischen Angelegenheiten weitestgehend heraus und akzeptierten die jeweiligen Herrscher am Nil. Dies galt sowohl fr die Monarchie als auch fr die ab dem Militrputsch 1952 regierenden Prsidenten Nagib, Nasser, Sadat und Mubarak. Zwar fand sich auch in ihren Tex-ten das theoretische Gebot, einen nicht-muslimischen Herrscher abzu-setzen. Jedoch erklrten sie, ganz im Gegensatz zu al-Jamaa al-Islamiyya und Tanzim al-Jihad, zu keinem Zeitpunkt einen der gyptischen Herrscher zu einem Unglubigen. Einige ihrer Prediger wie Muhammad Hassan oder Muhammad Husain Yaqub erlangten als so genannte Satellitenshaikhs schon fast Popstar-Status und wurden vom Mubarak-Regime als religises Gegengewicht zu den Muslimbrdern benutzt, denen eigene Fernsehkanle verboten wa-ren.25 Erwartungsgem verurteilten sie anfangs die gyptische Revo-lution im Januar 2011 und verlangten Loyalitt gegenber dem recht-migen muslimischen Herrscher. Als sich jedoch abzeichnete, dass aus den anfnglichen Protesten eine fast alle gesellschaftlichen Schichten vereinende Massenbewegung geworden war, stellten sich 23Vgl. Hazim Fouad, Postrevolutionrer Pluralismus. Das salafistische Spektrum

    in gypten, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S.229-264. 24hnlich war es im brigen auch in Deutschland in Bezug auf die jihadistische

    Szene in Ulm/Neu-Ulm sowie in Hamburg. Auch hier fokussierte sich die Be-richterstattung auf den Aspekt der Militanz; die Begriffe Salafismus oder Salafisten fielen in diesem Zusammenhang nicht. U. Kraetzer, (Anm. 4), S. 111.

    25Vgl. Nathan Field/Ahmed Hammam, Salafi Satellite TV in Egypt, 2012, in: http://www.arabmediasociety.com/articles/downloads/20090506151157_AMS8_Field_and_Hamam.pdf (gelesen am 12. Februar 2014).

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    viele ihrer Prediger, darunter Hassan, hinter die Revolutionre. Nach der Absetzung Mubaraks entschied sich Ansar al-Sunna gegen die Grndung einer Partei und vermeidet es seitdem zu den turbulenten politischen Entwicklungen im Land offen Stellung zu nehmen.

    Weitaus konkreter mit politischen Fragestellungen beschftigte sich die Gruppe al-Dawa al-Salafiyya (der salafistische Ruf zum Islam). Sie war in den 1970er Jahren in Alexandrien entstanden und schaffte es binnen kurzer Zeit zur zweitgrten salafistischen Institution in gypten heranzuwachsen. Im Gegensatz zu einer in Kairo aktiven Gruppe von Salafisten, welche das Regime offen kritisierte und daher Anfang 2000 von den Sicherheitsbehrden zerschlagen wurde, ver-hielten sich die Prediger von al-Dawa al-Salafiyya vorsichtiger. Weder glorifizierten sie die Herrschaft Mubaraks, noch riefen sie zu seinem Sturz auf. Nach der Revolution grndete al-Dawa al-Sala-fiyya die Partei Hizb al-Nur (Partei des Lichts), die nach wie vor grte und wohl bekannteste salafistische Partei gyptens. Der Schritt zur Etablierung einer politischen Partei als Bejahung der aktiven Teil-nahme an Wahlen und Beteiligung an einer Institution wie dem Par-lament, kann durchaus als bedeutender Einschnitt in der Entwicklung der salafistischen Ideologie gewertet werden.26

    Schlielich galt bis dato in den meisten salafistischen Schriften jegli-che Beteiligung am politischen System als verwerflich. Aus salafisti-scher Sicht fhre Parteienbildung (hizbiyya) nur zur Spaltung der Ge-meinschaft der Muslime (umma). Des Weiteren seien Parlamente ein Hort des Unglaubens, da dort durch das Entwerfen menschengemach-ter Gesetze eine Form der Gtzendienerei (shirk) betrieben werde.27 Es bedurfte einiges an ideologischer Akrobatik, um diesen Rich-tungswechsel zu rechtfertigen. Letztendlich ist das in Teilen der sa-lafistischen Szene vorherrschende, aktuelle Verstndnis von Demo-kratie entscheidend, um diese Entwicklung nachzuvollziehen. So habe das Volk aus islamischer Perspektive durchaus das Recht seinen Herr-scher frei zu whlen, zu berwachen und gegebenenfalls wieder abset- 26Zwar beteiligten sich bereits zuvor auch im Libanon, in Kuwait und in Bahrain

    Salafisten am politischen Prozess, doch sind diese Prozesse in ihrer Breiten-wirkung nicht mit der Situation in gypten zu vergleichen.

    27Vgl. Olaf Farschid, Salafismus als politische Ideologie, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S.160-192.

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    zen zu knnen. Wenn Parteien, Wahlen und Parlamente diesen Zweck erfllen, seien sie islamrechtlich erlaubt. Jedoch ist all dies nicht gleichzusetzen mit der Idee der Volkssouvernitt, denn der Souvern ber alle Gesetze ist und bleibt aus salafistischer Sicht Gott. Dement-sprechend msse das langfristige Ziel die vollstndige Anwendung der Scharia sein.28 Inwieweit die Mehrheit der Bevlkerung diesen Kurs mittragen muss, wird dabei unterschiedlich gesehen.29 Wie genau das politische System eines solchen scharia-konformen Staates aussehen soll, bleibt, wie so oft im Islamismus, unklar. In jedem Fall drfte von diesem Schritt eine groe Signalwirkung sowohl innerhalb wie auch auerhalb gyptens ausgehen.30

    Hizb al-Nur schien stets darauf bedacht, sich mit den schnell wech-selnden Machtverhltnissen in gypten zu arrangieren. Bis zur Wahl von Muhammad Mursi im Juni 2012 zeigte sich Hizb al-Nur loyal zum Obersten Militrrat, welcher die Interimsphase regierte. Von pro-vokanten Aktionen anderer salafistischer Akteure, wie z.B. der De-monstration zur sofortigen Einfhrung der Scharia am 3. Juni 2011,

    28Fr diese Darstellung vgl. ein Interview mit Asem Abd al-Majid, einem Fh-

    rungsmitglied der Partei Hizb al-Bana` wa-l-Tanmiyya (Aufbau und Entwick-lung), die aus der al-Jamaa al-Islamiyya hervorgegangen ist: Folge ber die Rckkehr der Gewalt und die islamistischen Gruppierungen in der Sendung Die Mutigste Debatte, 1.4.2013, in: https://www.youtube.com/watch?v= R660oZUksnQ (gesehen am 12. Februar 2014). bersetzung des Titels durch den Autor. Fr die hnliche Position des bekannten marokkanischen Salafisten Muhammad al-Fazazi vgl. Die Revisionen von al-Fazazi. Die Demokratie zwi-schen den abgewiesenen Grundlagen und den notwendigen Prozeduren, 19.9.2011, in: http://elfazazi.com/ar/news.php?action=view&id=104, (gelesen am 12. Februar 2014). bersetzung des Titels durch den Autor.

    29Vgl. Joas Wagemakers, The Shifting Legitimization of Democracy and Elec-tions: The Muslim Brotherhood and Salafis, 06.02.2014, in: http://pomeps. org/2014/02/06/the-shifting-legitimization-of-democracy-and-elections/ (ge-lesen am 12. Februar 2014).

    30Vor dem 30. Juni 2013 gab es in gypten rund zehn salafistische Parteien. Auch in Tunesien formierten sich salafistische Parteien, die bekannteste ist wohl Hizb al-Islah (Reformpartei). In Marokko ist die Mehrheit der Salafisten (noch) nicht berzeugt von der Etablierung einer Partei, vgl. Muhammad Mas-bah, In Richtung politischer Partizipation. Die Migung der marokkanischen Salafisten seit Beginn des Arabischen Frhlings, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 297-319.

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    versuchte die Partei ihre Anhnger fern zu halten. Als am 30. Juni 2012 der Muslimbruder Muhammad Mursi mit knapper Mehrheit zum Prsidenten gewhlt wurde, sprach al-Nur ihm ihre Unterstt-zung zu. Sicherlich hat diese Position auch mit dem Machtverlust durch die kurz zuvor per Gerichtsbeschluss angeordnete Schlieung des Parlaments zu tun, in dem al-Nur 25 Prozent der Sitze besetzte. Dennoch kann die Untersttzung Mursis zu diesem Zeitpunkt als glaubwrdig betrachtet werden, da der Gegenkandidat Ahmad Shafiq, letzter Premierminister unter Mubarak, sicherlich keine groen Hoff-nungen auf eine Untersttzung der islamistischen Agenda al-Nurs wecken konnte.

    Mursi dankte es der Partei, indem er mehrere Mitglieder zu Beratern ernannte und sie an der Erarbeitung der neuen Verfassung mageblich teilhaben lie. Die brchige Allianz sollte jedoch gerade mal ein hal-bes Jahr andauern. Als sich gegen Ende 2012 abzeichnete, dass ein immer grer werdender Teil der Bevlkerung von der Politik der Muslimbrder enttuscht war, schien al-Nur auf Abstand und so-gar auf die skulare Opposition zuzugehen.31 Als Fallbeispiel kann die Veranstaltung der Muslimbrder am 15. Juni 2013 im Kairoer Handballstadium gelten. Dass dort radikale salafistische Prediger vor den Augen des Prsidenten die Anhnger der Opposition zu Unglu-bigen erklrten, bezeichnete Younis Makhyoun, der Vorsitzende von al-Nur, als Skandal.32 Der Militrputsch am 3. Juli 2014 besiegel-te den Bruch zwischen Muslimbrdern und al-Nur. So war bei der Verkndung der Absetzung Mursis durch General al-Sissi neben dem Groshaykh der al-Azhar Universitt Ahmad al-Tayyeb, dem kopti-schen Patriarchen Tawadros II, dem Friedensnobelpreistrger Mu-hammad al-Baradei sowie weiteren Wrdentrgern auch der stellver-

    31Vgl. Michael Barak, The Salafist Al-Nour Party and the Muslim Brotherhood.

    The End of the Affair?, in: Tel Aviv Notes, 7 (2013) 8, S. 1-6, in: http://www.dayan.org/sites/default/files/Barak_Michael_TA_NOTES_Al-Nour_Brotherhood_Alliance_250413_0.pdf (gelesen am 22. Mrz 2014).

    32Vgl. Hazim Fouad, Der andere politische Islam, 26.08.2013, in: http://de.qantara.de/inhalt/salafisten-in-aegypten-der-andere-politische-islam (gelesen am 22. Mrz 2014).

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    tretende Vorsitzende von al-Nur, Galal al-Mura, zugegen.33 Seitdem steht al-Nur offen an der Seite der faktischen Militrherrschaft und kritisiert die Proteste der islamistischen Opposition. Ihre Anhnger knnen daher derzeit als regimeloyale, politische Salafisten bezeichnet werden.

    Demgegenber stehen etliche, zahlenmig weitaus kleinere, radikale-re Parteien, die den Putsch des Militrs ablehnen und sich mit den Muslimbrdern solidarisch zeigen. Dazu gehrt z.B. die Partei Hizb al-Raya (Partei der Flagge) des ehemaligen Prsidentschafts-kandidaten Hazim Salah Abu Ismail, der sich mittlerweile vor Ge-richt verantworten muss. Ihm wird vorgeworfen die Ausweisdoku-mente seiner Mutter geflscht zu haben, um an der Prsidentschafts-wahl 2012 teilnehmen zu knnen.34 Ebenso sind die Partei der Ja-maa al-Islamiyya namens Hizb al-Bana` wa-l-Tanmiyya (Partei fr Aufbau und Entwicklung) und eine der beiden aus Tanzim al-Jihad entstandenen Parteien, al-Hizb al-Islami (die islamische Par-tei) zum oppositionellen Spektrum zu zhlen. Sie bilden einen Teil der Nationalen Allianz fr Rechtmigkeit, einem von Islamisten domi-nierten Bndnis, das den Militrputsch verurteilt und den gegenwrti-gen politischen Prozess ablehnt. Die Anhnger dieser Parteien knnen somit als oppositionelle politische Salafisten eingeordnet werden.

    Schlussendlich sollen noch die Jihadisten Aufmerksamkeit finden. Im Nachgang der Revolution sind viele inhaftierte Jihadisten frei ge-kommen und traten daraufhin nicht zuletzt im gyptischen Fernsehen ffentlich in Erscheinung. Der bekannteste Akteur war sicherlich Muhammad al-Zawahiri, der Bruder des al-Qaida-Chefs Aiman al-Zawahiri. Er betonte, dass die Anhnger der Salafiyya al-Jihadiyya (jihadistische Salafisten) den gegenwrtigen politischen Prozess kri-tisch shen und sich daher nicht an ihm beteiligen wrden. Die Herr-schaft der Muslimbrder sei keine ausreichend islamische, da die

    33Fr ein Bild der bei der Verkndung anwesenden Personen siehe in: http://

    www.hahellyer.com/wp-content/uploads/2013/03/Sisi-speech.jpg (gelesen am 22. Mrz 2014).

    34Das gyptische Wahlgesetz sieht vor, dass beide Elternteile des Kandidaten die gyptische Staatsbrgerschaft haben mssen. Abu Ismail wurde unter dem Vorwand disqualifiziert, dass seine Mutter die amerikanische Staatsbrger-schaft bese.

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    von ihnen verabschiedete Verfassung in mehreren Punkten gegen die Scharia verstoe. Dennoch sei dies (noch) kein Grund, zum bewaffne-ten Jihad innerhalb gyptens aufzurufen, vielmehr msste man die Menschen durch dawa-Aktivitten vom rechten Weg berzeugen.35 Trotz dieser Aussagen war die Einstellung der Jihadisten zur Gewalt ambivalent, da insbesondere ihr Verhltnis zu gewaltbereiten Gruppen im Sinai undurchsichtig blieb.

    Seit dem Militrputsch sind die Jihadisten wieder in den Untergrund gedrngt worden. Ihre Fhrer tauchten entweder unter oder wurden verhaftet. Von den angekndigten dawa-Aktivitten kann derzeit kei-ne Rede mehr sein, vielmehr hufen sich Anschlge auch im Kernland gyptens durch die von der Sinai-Halbinsel aus operierende Terror-gruppe Ansar Bait al-Maqdis (Die Anhnger Jerusalems). Das Mili-tr signalisiert Hrte und weitet derzeit seine militrischen Operatio-nen auf dem Sinai aus. Die Effektivitt dieser Manahmen kann ge-genwrtig schwer beurteilt werden. Die kurzzeitig empfundene Mi-gung der Jihadisten in gypten ist in jedem Fall erneut einer Spirale der Gewalt gewichen.

    Insgesamt hat sich gezeigt, dass der Salafismus in gypten einem ste-tigen Wandel unterliegt und eine Kategorisierung der verschiedenen Strmungen regelmig geprft werden muss. Neben den puristischen Salafisten von Ansar al-Sunna teilt sich das politische Lager in re-gimeloyale und oppositionelle Krfte. Das jihadistische Lager ist von Worten zu Taten bergegangen und fhrt eine bewaffnete Auseinan-dersetzung mit dem Regime. Dass diese Ereignisse auch fr den Sa-lafismus in Deutschland von Bedeutung sind, soll fortan erlutert wer-den.

    35Vgl. 90-mintiges Treffen zwischen Muhammad al-Zawahiri und Amr al-Lisi,

    23.3.2013, in: https://www.youtube.com/watch?v=FNIbEWnJuC8 (gesehen am 23. Mrz 2014). bersetzung des Titels durch den Autor. Diese Strategie schienen auch Jihadisten in anderen Lndern des Arabischen Frhlings zu verfolgen, vgl. Aaron Zelin, Missionare des Jihads in Libyen und Tunesien, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S.320-349.

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    4. Typologisierungen der salafistischen Szene in Deutsch-land

    Auch der Salafismus in Deutschland ist kein monolithischer Block, sondern unterteilt sich in verschiedene Strmungen, wobei die ber-gnge flieend sein knnen und Allianzen hufig wechseln. Sowohl die Arabistin und Islamismusexpertin Claudia Dantschke als auch die Islamwissenschaftlerin Nina Wiedl und der Journalist Ulrich Kraetzer teilen den Salafismus in Deutschland in vier idealtypische Kategorien ein und unterscheiden zwischen einem puristischen, einem missionari-schen (auch Mainstream genannt), einem radikalen und einem jiha-distischen Zweig.36 Allerdings ergeben sich auch hier kleine Nuancen. Whrend bei Dantschke mit Puristen vornehmlich Personen gemeint sind, die ihren Glauben rein auf den privaten Bereich beschrnken und sich nicht ffentlich politisch uern, bezieht sich Wiedl vor allem auf die Anhnger des oben bereits erwhnten saudischen Predigers al-Madkhali, welche sich auf ihren Webseiten von anderen Salafisten in Deutschland deutlich distanzieren. Und whrend der Leipziger Predi-ger Hasan Dabbagh sowohl von Wiedl wie auch vom Landesamt fr Verfassungsschutz Sachsen als politischer bzw. Mainstream-Salafist bezeichnet wird, sieht der Politikwissenschaftler Dirk Baehr in ihm einen Puristen.37 Dessen Lehrer Adnan Arur wird von Kraetzer ebenfalls als Purist bezeichnet38 und das, obwohl Arur fr seine vermeintliche Nhe zu dem Ideengut der Muslimbrder eine der am heftigsten kritisierten Personen seitens der Anhnger des Predigers al-Madkhali ist.39 Letztendlich ist der Kontext entscheidend. Denn wie Kraetzer richtig anmerkt, mag ein Akteur wie Muhamed Ciftci in Saudi-Arabien als Purist gelten. Das ffentliche Sinnieren ber die Todesstrafe fr Apostasie ist jedoch in Deutschland ein Angriff auf

    36Vgl. C. Dantschke (Anm. 2); Nina Wiedl, Geschichte des Salafismus in

    Deutschland, in: Behnam T. Said/Hazim Fouad (Anm. 4), S. 442-473, U. Kraetzer (Anm. 4).

    37Vgl. Staatsministerium des Innern Sachsen (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2012, Leipzig 2012, S.168 und D. Baehr (Anm. 5).

    38U. Kraetzer (Anm. 4), S. 128. 39Vgl. R. Meijer (Anm. 19), S. 391.

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    die Religionsfreiheit und die Menschenwrde und damit hochpoli-tisch.40

    Nun ist der Fokus der vorliegenden Abhandlung keine Beurteilung der verschiedenen Kategorien, sondern eine Analyse der Bedeutung inter-nationaler Themen fr die hiesige Szene. Sicherlich ist die Beschrei-bung des hiesigen Salafismus durch den Islamwissenschaftler Behnam T. Said als deutschen Extremismus richtig, sind doch die von den Akteuren behandelten Themen in der Regel mit Entwicklungen in Deutschland verbunden.41 In diesem Fall ist es bemerkenswert, dass sich Salafisten aus fast allen Strmungen zu den Geschehnissen in gypten, insbesondere nach der gewaltsamen Rumung des Protestla-gers nahe der Moschee Rabia al-Adawiyya (Name einer bekannten islamischen Mystikerin) in Kairo, die zu mehreren hundert Toten fhr-te,42 zu Wort gemeldet haben.

    5. Abdul Adhims Freitagspredigt ber gypten Einer der salafistischen Prediger, die sich hierzu geuert haben, ist der in der Berliner al-NurMoschee (Moschee des Lichts) predigen-de Abdul Adhim Kamouss. Obwohl weniger fr politische Statements bekannt, hat er dem Thema eine gesamte Freitagspredigt gewidmet. Zunchst erklrte Kamouss, dass die Ereignisse in gypten sowohl ein Krieg gegen den Islam und die Muslime aber ebenso auf die Frei-heit und die Grundgesetze seien.43 Da das gyptische Volk seinen po-litischen Fhrer frei whlen htte knnen, habe gypten zum ersten Mal in seiner Geschichte die Demokratie einfhren wollen. Dabei msse man sich im Klaren darber sein, dass Muslime in muslimi-schen Lndern, nun mal islamische Parteien bevorzugen wrden. In einer freien und fairen Wahl htten die gypter den Muslimbruder Muhammad Mursi zu ihrem ersten Prsidenten gewhlt. In der Zeit nach der Wahl, seien die islamischen Parteien die Einzigen gewesen,

    40U. Kraetzer (Anm. 4), S. 105. 41Vgl. B. Said (Anm. 5). 42Die Angaben zu den Zahlen schwanken zwischen 600 und ber 1000 Toten. 43Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus: Abdul Adhim - Stellung-

    nahme zu den aktuellen Ereignissen in gypten, 19.8.2013, in: https:// www.youtube.com/watch?v=TyT_gMV-GRw (gesehen am 23. Mrz 2014).

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    welche sich demokratisch verhalten und Kritik geduldet htten. Im Gegensatz dazu, wre die Opposition belogen und vor allem aus den Golfstaaten finanziell untersttzt worden. Der Prsident wiederum sei, laut Verfassung, Oberbefehlshaber der Streitkrfte und der Verteidi-gungsminister al-Sissi diesem somit untergeordnet. Dessen Aufgabe wre zudem die Verteidigung der Landesgrenzen zu sichern und nicht Innenpolitik zu betreiben. Kamouss fragt, welche Legitimation die jet-zige, durch das Militr implementierte Regierung htte und wieso sie von Deutschland anerkannt wurde.

    In Bezug auf die gewaltsame Rumung der Protestlager sagte er: 2500 Menschen wurden ermordet vor den Augen der hohen Zivilisa-tion. In Deutschland, in Amerika, in Frankreich und am Ende was h-ren wir? Wir bedauern das, wir verurteilen das. Sagt mal etwas mehr. Sagt mal etwas mehr, was ist mit eurer Anerkennung fr die Putschleute, ihr Deutsche! Angela Merkel, Westerwelle Schmst du dich nicht fr deine Demokratie? Schmst du dich nicht fr deine Prinzipien? Du Angela Merkel, du Westerwelle hrt mal auf mit Heu-chelei, hrt mal auf mit euren Lgen! Warum habt ihr diese falsche Regierung anerkannt, wo ist eure Demokratie?44

    In dem der Predigt folgendem Bittgebet forderte Kamouss die Zer-strung der Putschleute und die Vereinigung der Krfte aller gypter fr die Demokratie. In Bezug auf Deutschland wnschte er sich Frie-den und Sicherheit. Die hiesigen Muslime sollen eine Barmherzigkeit sowohl fr die guten wie fr die schlechten Brger dieses Landes sein. Allah wrde alle Politiker und Parteien untersttzen, die sich fr Minderheiten und Schwache einsetzten.

    Abdel Adhims Predigt stellt eine, in Teilen durchaus berechtigte, Kri-tik am Verhalten des gyptischen Militrs und der deutschen Auen-politik dar. Der von ihm angesprochene, intensive Gebrauch des Ter-rorismusvorwurfes ist in der Tat derzeit ein Mittel des Regimes, neben den Islamisten auch skulare Oppositionelle sowie kritische Journalis-ten zu verhaften und mundtot zu machen.45 Ebenso kann die Notwen-

    44Fehler des Originals beibehalten. 45Vgl. Patrick Kingsley, Peter Greste and other al-Jazeera journalists return to

    court in Egypt, 5.3.2014, in: http://www.theguardian.com/world/2014/mar/

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    digkeit der exzessiven Gewalt bei der Rumung der Protestcamps kri-tisch hinterfragt werden. Schlussendlich bleibt die Tatsache, dass ein demokratisch gewhlter Prsident durch das Militr entmachtet wurde in der Tat ein Problem im Hinblick auf die Anerkennung der jetzigen Regierung seitens der Bundesrepublik. Auf der anderen Seite ist auch Abdel Adhims beschnigende Darstellung der Regierung Mursis ein-seitig. So versuchte die Muslimbruderschaft nicht nur Schlsselpo-sitionen in Regierung und Verwaltung mit ihren Anhngern zu beset-zen,46 sondern zerrte auch kritische Stimmen, wie etwa die des satiri-schen Talkshowmasters Bassem Youseff, unter fadenscheinigen Grnden vor die Gerichte.47 Die Demokratie als System lehnt Abdel Adhim nicht ab, vielmehr beklagt er eine Doppelmoral bei der An-wendung demokratischer Prinzipien seitens der westlichen Staaten in Bezug auf die islamische Welt. Dabei argumentiert er mehr politisch als religis. Seine Predigt ist somit in erster Linie eine moralisch-politische Kritik.

    6. Pierre Vogels Freitagspredigt ber gypten Kein deutscher Prediger hat sich wohl so ausfhrlich zu gypten ge-uert wie Pierre Vogel. Dies hngt sicherlich auch damit zusammen, dass er lngere Zeit in gypten verbrachte und somit vieles vor Ort miterlebte. Hier soll nur eine seiner vielen Stellungnahmen zu gyp-ten analysiert werden, wobei es sich um das lngste Statement, eben-falls eine Freitagspredigt, handelt.48

    05/peter-greste-and-other-al-jazeera-journalists-return-to-court-in-egypt (gele-sen am 23. Mrz 2014).

    46Juan Cole, Egypts Morsi Provokes Anger, Astonishment with appointment of Governor from former Terrorist Group, 21.6.2013, in: http://www.juancole. com/2013/06/astonishment-appointment-terrorist.html (gelesen am 23. Mrz 2014).

    47Vgl. Ahram Online, Bassem Youssef arrives at court in satirical style, 31.3.2013, in: http://english.ahram.org.eg/News/68092.aspx (gelesen am 23. Mrz 2014).

    48Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus: Pierre Vogel - Die Lehre aus der Situation von gypten, 05.03.2014, in: https://www.youtube.com/ watch?v=YQAN2X9iEFg (gesehen am 23. Mrz 2014).

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    Zu Anfang erklrt Vogel, dass die Muslime, um siegreich sein zu knnen, zu dem zurckkehren mssten, mit dem der Prophet gekom-men sei. In der sira, also der Biographie des Propheten Muhammad, befnden sich die Antworten auf heutige Problemstellungen. Daher mchte er die sira auf die Situation in gypten beziehen. Das groe Problem der heutigen islamischen Welt sei, dass die dort lebenden Menschen den Islam vernachlssigt htten, deshalb kolonisiert wurden und man seitdem glauben solle, dass die Gesetzgebung Allahs nicht mehr gltig sei. Daher handele es sich in Wahrheit bei den gegenwr-tigen Ereignissen nicht um einen Kampf gegen die Muslimbruder-schaft, sondern um das Grundverstndnis des Islams. Er selbst sei zwar kein Anhnger der Muslimbruderschaft, da er einiges an ihrem Handeln kritisch sehen wrde, jedoch teile er mit ihnen die Forderung nach der Einfhrung der Scharia in gypten.

    Vogel versucht diese augenscheinliche Notwendigkeit anhand ver-schiedener Koranzitate zu belegen. Das Verhalten des Westens und der Skularen nach der Wahl habe deren heuchlerische Maske ent-tarnt. So htte die Medienberichterstattung nach dem Sieg der Islamis-ten bei den Parlamentswahlen einer Hetze geglichen, die mit der zu Zeiten des Propheten identisch gewesen sei. Der Westen habe alles dafr getan, um hinterher sagen zu knnen, dass das islamische Sys-tem heutzutage nicht funktioniere. So seien z.B. alle Probleme des Landes den Muslimbrdern in die Schuhe geschoben worden. Diese mssten sich zwar zu Recht vorwerfen lassen, die Scharia nicht einge-fhrt zu haben, doch drfe man nicht vergessen, welche Steine ihnen dabei in den Weg gelegt worden seien. Mit einem weiteren Verweis auf das Leben des Propheten resmiert Vogel, dass man als Muslim, der sich fr den Islam einsetze, damit rechnen msse bekmpft zu werden, doch am Ende die Muslime trotzdem siegreich sein wrden.

    Vogel ergreift in seiner Predigt deutlich Partei fr die Muslimbrder und spielt die Zerwrfnisse mit Teilen des salafistischen Spektrums, wie mit Hizb al-Nur herunter, bzw. erwhnt diese erst gar nicht. Oft driftet er von dem eigentlichen Thema gypten ab, um die salafisti-sche Methode zur Deutung aktueller Ereignisse aufzuzeigen. Fr jedes aktuelle Ereignis gbe es aus seiner Sicht schon einen analogen Prze-denzfall aus der Frhgeschichte des Islams. Hiermit versucht er den salafistischen Anspruch zu unterstreichen, es gbe fr alle gegenwr-

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    tigen Probleme Lsungen im Koran und in der Sunna. Seine Deutung der Ereignisse bleibt daher politisch oberflchlich und greift stattdes-sen immer wieder auf Zitate aus dem Koran, den Hadithen und der sira als Erklrungsmuster zurck. Es handelt sich daher um eine reli-gis-ideologische Kritik.

    7. Reaktionen aus dem Umfeld von Dawa FFM und Die Wahre Religion

    Ein weiterer bekannter salafistischer Prediger, der sich in Bezug auf gypten zu Wort gemeldet hat, ist Abdellatif Roualli, welcher der verbotenen Vereinigung Dawa FFM zuzurechnen ist. Sein knapp zehnmintiges Statement bezieht sich konkret auf die gewaltsame Auflsung der Protestcamps am 14. August 2013.49 Er sieht die Ge-schehnisse als Besttigung der prophetischen Aussage, dass immer dann, wenn der Islam erstarke, die Muslime abgeschlachtet wrden. Dies wiederhole sich stets bis zum jngsten Tag (yaum al-qiyama). Immer wieder seien weltweit Muslime Zielscheibe solcher Attacken und niemand wrde darber etwas sagen. Doch habe Allah fr die Schuldigen im Jenseits die entsprechende Strafe vorbereitet. Wie Roualli anhand mehrerer Prophetenberlieferungen darzulegen ver-sucht, gehre das Tten eines Muslims zu den groen Snden (ka-ba`ir) im Islam und sei die grte Snde gleich nach dem shirk (wrtl. Gott etwas beigesellen, Gtzenanbetung, Polytheismus). Der Mrder wrde ohne Zweifel in der Hlle schmoren.

    Rouallis Statement bleibt im Endeffekt eine Aneinanderreihung von Hadithen, anhand derer er die Geschehnisse zu deuten versucht und auf eine Vergeltung im Jenseits verweist. Weitere Hintergrnde ber die verschiedenen Akteure, die bei den Ereignissen eine Rolle gespielt haben, erfhrt man von ihm nicht. Es ist daher eine endzeitlich-religise, wenig politische Sicht auf die Situation in gypten.

    Auch Ibrahim Abu Nagie, Vorsitzender der Vereinigung Die Wahre Religion und Initiator der Koranverteilaktion Lies hat sich in zwei Videos zu gypten zu Wort gemeldet. In dem ersten Video erklrt 49Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus dem Video Sheikh Abdellatif

    - ber die aktuelle Lage in gypten, online nicht mehr abrufbar, jedoch im Be-sitz des Autors.

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    Nagie, dass die Ereignisse in gypten in Wirklichkeit Ausdruck eines Ressourcenkriegs zwischen den USA und Grobritannien seien.50 Beide Gromchte htten den Nahen Osten unter sich aufgeteilt, wo-bei Nordafrika, Saudi-Arabien und die Golfstaaten durch Grobritan-nien besetzt worden seien.51 Wenn die Scharia in diesen Lndern herrsche, wrden die Ressourcen nicht mehr diesen Gromchten zu-flieen. Menschenrechte und Demokratie seien nur Schall und Rauch und wrden lediglich dazu dienen, die Ziele in diesen Lndern zu wahren. Seinen Worten folgt eine angebliche Dokumentation unbe-kannten Ursprungs, in denen das zuvor gesagte besttigt werden soll. So behauptet der Sprecher des Films, dass Mursi in den USA seit sei-nem Chinabesuch als angezhlt gegolten htte. Der Sturz sei somit kein spontanes Ereignis, sondern lange von den Westmchten in Ko-operation mit dem Golfstaaten geplant gewesen. Er habe somit nichts mit dem Islam zu tun, sondern damit, dass die ultrakonservativen Scheichtmer, die als Marionettenstaaten der Westmchte existieren wrden, einen hnlichen Umsturz befrchtet htten.

    Das zweite Video stammt von einer Koranverteilaktion in Kln.52 Dort erklrt Nagie, dass Mursi nur einen Geruch des Islams darstel-le, aber die Feinde Allahs noch nicht einmal dies zulassen wrden. Die Golfstaaten agierten als Agenten des Westens und Israels und schlachten Muslime ab, welche versuchen wrden, die Tyrannen zu strzen. Beiende Kritik bt Nagie an dem saudi-arabischen Knigs-haus, dem er vorwirft, den Islam im Namen des Islams zu bekmpfen. In Saudi-Arabien herrsche lediglich eine Pseudo-Scharia, die nur auf arme Gastarbeiter, nicht aber auf die reichen Eliten angewandt werde. De facto wrden Gesetze herrschen, die von Sufern und Kinderschndern entwickelt worden seien.

    50Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus Ibrahim Abou Nagie - Was

    steckt hinter dem Putsch in gypten?, 21.8.1013, in: https://www.youtube. com/watch?v=puEqYX2C41o (gesehen am 23. Mrz 2014).

    51Whrend gypten tatschlich bis 1928 britisches Protektorat war, stand Saudi Arabien zu keinem Zeitpunkt unter direkter britischer Kontrolle.

    52Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus Ibrahim Abu Nagie - gyp-ten und der Saudische Staat!, 19.8.2013, in: https://www.youtube. com/watch?v=2rvHAQ8HXPk (gesehen am 23. Mrz 2014).

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    Beide Videos machen deutlich, dass Nagie zu dem radikalen Flgel des deutschen Salafismus gehrt, welcher die Herrscher in den musli-mischen Staaten zu Unglubigen (kuffar) erklrt. Er ergreift in der jet-zigen Situation zwar Partei fr Mursi, lsst aber unterschwellig an-klingen, dass selbst dieser in Bezug auf die Anwendung der Scharia nicht konsequent genug gewesen sei. In seiner Interpretation der Lage in gypten argumentiert Nagie vor allem mit verschiedenen Ver-schwrungsideologien. Seine Argumentation ist daher vermehrt poli-tisch denn religis geprgt.

    8. Hasan Keskin als Vertreter einer jihadistischen Sicht-weise

    Schlussendlich hat sich mit Hasan Keskin alias Abu Ibrahim auch ein Prediger der verbotenen jihadistischen Organisation Millatu Ibrahim (die Gemeinschaft Abrahams) zur Situation in gypten geuert.53 Seiner Ansicht nach htten die Proteste Anfang 2011 das alleinige Ziel gehabt, die Scharia in gypten einzufhren.54 Parteien wie die Mus-limbrder und Hizb al-Nur wollten dabei das System nutzen, je-doch htten unsere shuyukh (religisen Oberhupter) klar gemacht, dass dies shirk (Gtzendienertum) und kufr (Unglaube) sei. Ein Weg ohne Schwei und Blut wre nicht der Weg der Propheten und Ge-sandten, so Keskin, denn niemals kann ein islamischer Staat durch Dreck, durch einen dreckigen Weg aufgebaut werden.

    An dieser Stelle wird deutlich, dass Keskin eine gnzlich andere Posi-tion zum Thema Wahlen und Gewalt einnimmt, als der zuvor genann-te Pierre Vogel. Eindeutige Sympathien uerte er fr den salafisti-schen, damaligen Prsidentschaftskandidaten Hazim Salah Abu Is-mail, da dieser sofort die Scharia habe einfhren wollen. Obwohl die

    53Alle folgenden direkten und indirekten Zitate aus Abu Ibrahim ber die Lage

    in gypten, 18.8.2013, https://www.youtube.com/watch?v=GLFq2d_Ifo0 (ge-sehen am 23. Mrz 2014).

    54Tatschlich war einer der Hauptslogans der heterogenen Gruppe von Protest-lern aish, hurraiyya, adala ijtimaiyya (Brot, Freiheit und Gerechtigkeit). Erst als mit der Zeit die islamistischen Kreise strker und sichtbarer wurden, konnte der abgewandelte Slogan aish, hurraiyya, sharia islamiyya (Brot, Freiheit, islamische Scharia) vernommen werden.

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    Mehrheit des gyptischen Volkes hinter ihm gestanden htte, sei die-ser durch einen schmutzigen Trick von der Kandidatur ausgeschlos-sen worden, indem behauptet wurde, seine Mutter bese die ameri-kanische Staatsangehrigkeit. Die Verpflichtung fr das Amt des Pr-sidenten, eine bestimmte Nationalitt der Eltern vorweisen zu mssen, sei zudem selbst schon kufr. Die mageblich durch die Muslimbr-der und Hizb al-Nur ausgearbeitete Verfassung wre ebenfalls vol-ler kufr und shirk gewesen, so z.B. die Feststellung, dass gypten ein demokratischer, ziviler Staat sei. Mursi habe nur die Prinzipien der Scharia und gewisse Grundrechte anwenden wollen, nicht aber ele-mentare Bestandteile der Scharia wie Handabhacken, Steinigung und die Todesstrafe fr Apostaten. Die Fokussierung auf die Krperstra-fen fr Kapitalverbrechen, die nur einen verhltnismig kleinen Teil der scharia-rechtlichen Regelungen ausmachen, ist ein typisches Merkmal der jihadistischen Ideologie.

    Im Endeffekt, resmiert Keskin ber Mursi, dass dieser nichts (is-lamisches) gemacht habe. Seine Tahrir-Rede sei eine Katstrophe ge-wesen, da er dem Volk die Macht zugesprochen htte. Auerdem habe er die Brder im Sinai bekmpft, womit Keskin seine Solidaritt zu den jihadistischen Gruppierungen auf der Sinai-Halbinsel zum Aus-druck bringt. Allerdings htten die Kuffarkrfte, wie Liberale, Linke, Rechte, Nationale, Amerikaner und Israelis, noch nicht einmal den Geruch des Islams dulden wollen. Daher sei in gypten das Gleiche geschehen wie damals in Algerien.55 Auch in Gaza habe der Westen das Wahlergebnis 2006 nicht akzeptieren wollen und das, obwohl die Hamas gegen die Mujahidin im eigenen Land vorgegangen sei.56 Die Muslimbrder htten nichts aus ihrer Geschichte gelernt, was auch der Fall Sudan zeige, wo die Machtergreifung der Muslimbr-der 1989 die Teilung des Landes und die Stationierung von 40.000 55Nachdem sich 1991 ein Wahlsieg der islamistischen Front Islamique du Salut

    abzeichnete, putschte das algerische Militr und das Land versank in einem fast zehn Jahre whrenden Brgerkrieg.

    56Im August 2009 strmte die Hamas die Ibn Taimiyya Moschee in Rafah und ttete dabei mehrere Mitglieder der jihadistischen Organisation Jund Ansar Al-lah. Die Gruppe um den ebenfalls bei dem Vorfall ums Leben gekommenen Anfhrer Abdel Latif Moussa kritisierte Hamas fr ihre Nachlssigkeit bei der Einfhrung der Scharia und hatte kurz vor der Strmung ein Islamisches Emi-rat in Gaza ausgerufen.

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    UN-Soldaten zur Folge gehabt haben soll. Die Menschen mssten darber aufgeklrt werden, dass der Weg zur Scharia nur ber den Jihad zu beschreiten sei.

    Von den bisherigen Protagonisten uert sich Keskin am deutlichsten jihadistisch. hnlich wie Vogel sieht er in dem Konflikt zwischen Mi-litr und Muslimbrdern einen Krieg gegen den Islam, verurteilt aber wie Muhammad al-Zawahiri schon die Teilnahme an den Parla-ments- und Prsidentschaftswahlen als Unglaube (kufr). Stattdessen solidarisiert er sich mit den jihadistischen Gruppierungen auf dem Si-nai und erklrt mit einem Verweis auf die jngere Geschichte der ara-bischen Welt die gewaltfreie Strategie der Muslimbrder als ge-scheitert.57 Religise Argumente sind bei Keskin nicht zu finden, so-dass von einer hochpolitisierten, ideologischen Darstellung der Ereig-nisse gesprochen werden kann.

    9. Schlussfolgerung und Zusammenfassung Die Ideologie des Salafismus unterliegt einem stetigen Wandel. Daher ist es ntig, die bestehenden Erkenntnisse regelmig zu hinterfragen bzw. zu ergnzen. Dies gilt insbesondere fr das Verhltnis des Sa-lafismus zu politischen Fragestellungen. Anhand der Entwicklungen in gypten konnte nachvollzogen werden, dass sich selbst als unver-rckbar erscheinende Dogmen, wie die (Nicht)Beteiligung an Wahlen, ndern knnen. Solche Wandlungen geschehen selten einvernehmlich, sodass der Kampf um die ideologische Deutungshoheit meist erbittert fortgefhrt wird. Die mehrheitliche Akzeptanz einer der vorhandenen Positionen ist dabei in der Regel nicht so sehr von der berzeugungs-kraft der einzelnen ideologischen Traktate abhngig, als vielmehr von dem Erfolg bzw. Misserfolg der Strategien in der realen Welt. In der kurzen Zeit der politischen ffnung gyptens, schien die boykottie-

    57Die Kritik an dem gewaltfreien Weg der Muslimbrder ist ein immer wie-

    derkehrendes Topos unter al-Qaida-nahen Gruppierungen. Schon Aiman al-Zawahiri hatte in seinem Buch Die bittere Ernte (al-hasad al-murr) mit den Muslimbrdern abgerechnet. Deshalb sind gegenwrtige Behauptungen der staatsnahen gyptischen Medien, dass Ansar Bait al-Maqdis der geheime, be-waffnete Arm der Muslimbruderschaft sei, allein schon aus ideologiege-schichtlicher Sicht stark zu bezweifeln.

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    rende Haltung der Jihadisten eine Minderheitenposition abzubilden. Gegenwrtig wird die Mglichkeit, politische Vernderungen gewalt-frei zu bewirken, indessen deutlich geringer eingeschtzt.

    Diese Entwicklungen frben auch auf die salafistische Bewegung in Deutschland ab. Die jeweiligen Anhnger einer bestimmten Richtung berufen sich gerne auf weltweite Entwicklungen, um die Richtigkeit ihrer eigenen berzeugungen zu unterstreichen. Wenngleich alle an-gesprochenen Prediger den Militrputsch einvernehmlich ablehnen, hat die genaue Betrachtung ihrer Aussagen klare Unterschiede in Be-zug auf ihre Deutungen der Ereignisse aufgezeigt und somit ihre ideo-logische Einordnung przisiert. Dabei hneln manchmal die formulier-ten Positionen denen salafistischer Akteure in gypten, wie im Bei-spiel von Keskin und Zawahiri. Es ist bei einer Analyse der deutschen Szene daher ratsam, stets auch internationale Entwicklungen im Sa-lafismus im Blick zu haben.