21. 5. 2017 PROT E TE X Ausgabe 64 · 2017. 5. 19. · Diese Zeitwahl garantiert, dass die von...

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ie Wahl Donald Trumps be- deutet einen Stresstest für die amerikanische Demokra- tie und deren Bindung an die ge- meinsamen Werte der transatlanti- schen Beziehungen. Trump hat sich auf clevere Weise Wählergruppen er- schlossen. Er perfektionierte seine Fernsehauftritte und dominierte die Nachrichten über Twitter und mit haarsträubenden Aussagen, die Fern- sehquoten und Einnahmen in die Hö- he trieben. Er befeuerte die Unzu- friedenheit über das abnehmende Einkommen der Mittelschicht und den Identitätsverlust und stachelte zu Nonkonformismus an. Daneben wü- tete er gegen die Wall Street und die vermeintlich schwache Führungspo- sition Obamas in Kriegsfragen. Die amerikanischen Wähler ha- ben mit der Wahl Donald Trumps die Gelegenheit verpasst, die ihren Be- schwerden zugrunde liegenden Ursa- chen der Globalisierung, Digitalisie- rung, des technologischen Wandels und des Identitätsverlustes zu lösen. Die politischen Eliten haben es nicht geschafft, die Auswirkungen dieser tektonischen Verschiebungen zu meistern. Trump hat dieses Scheitern für seinen Wahlkampf genutzt und dazu beigetragen, dass diese Ver- schiebungen zu Konflikten über Ge- schlecht, Rasse, Religion und Um- welt geführt haben. Der gewählte Präsident muss nun die Zukunft der amerikanischen Po- litik gestalten. Die internationale Führungsrolle Amerikas wurde durch die Kandidatur von Donald Trump beschädigt. Seine Ablehnung der Nato-Beistandsgarantie, sein Ruf nach einer Neuverhandlung von Handelsabkommen, seine Unterstüt- zung des Isolationismus, seine For- derung, keine Muslime ins Land zu lassen, sein Plan des Baus einer Mauer an der Grenze zu Mexiko sind zutiefst verstörende Zeichen. Er ist und bleibt eine störende Figur für die Führung der Vereinigten Staaten. Für Trump wird es schwierig werden, diese Positionen umzukeh- ren. Seine im Wahlkampf getätigten Aussagen haben die derzeitige Poli- tik bereits untergraben, wie zum Bei- spiel sein Vorschlag, die russische Annexion der Krim anzuerkennen. Russland, China und der Iran werden alle Entscheidungen des neuen Präsi- denten genauestens beäugen. Tat- sächlich ist Trumps Wahl zum Präsi- denten der Stresstest für die Demo- kratie in den Vereinigten Staaten und für das Ausland durch die amerikani- sche Außenpolitik. Die liberale Weltordnung gründet auf der transatlantischen Partner- schaft. Diese Partnerschaft ist für das Andauern von Frieden und Wohlstand im 21. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. Bundes- kanzlerin Angela Merkel machte in ihrer Gratulation an den neuen ame- rikanischen Präsidenten deutlich, dass die derzeit stattfindende Auflö- sung der westlichen Weltordnung durch die US-Wahl möglicherweise beschleunigt wird. Nichtsdestotrotz betonte sie die enge Partnerschaft Deutschlands mit Amerika durch ge- meinsame Werte wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenwürde. Diese Partnerschaft ist der Grundstein der deutschen Außenpolitik und wird es auch bleiben, wenn Deutschland und die USA gemeinsam die großen He- rausforderungen unserer Zeit wie Terrorismus, Klimawandel, Armut, Hunger, Krankheiten und die Inter- vention für Frieden und Sicherheit in Angriff nehmen. Dem neuen Präsi- denten bot sie eine enge Zusammen- arbeit an. Deutschland hat begonnen, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen. Das deutsche Weiß- buch aus diesem Jahr hat einige Fortschritte gemacht und deutsche Interessen der deutschen Außenpoli- tik und eine „Führungsrolle“ der Bundeswehr für Auslandseinsätze definiert. Die Ausformulierung der Übernahme außen- und sicherheits- politischer Verantwortung in Allian- zen und Partnerschaften stellt einen Wendepunkt der deutschen Sicher- heitspolitik dar. Die liberale internationale Ord- nung mit ihrem Ansatz des prakti- schen Realismus, die mit den euro- päischen Partnern aufgebaut wurde, befindet sich in der Auflösung. Um Lösungen für die Flüchtlingskrise, die territorialen Streitigkeiten im asiatisch-pazifischen Raum, den Ukrainekonflikt auf europäischem Territorium und den IS-Terrorismus und den Bürgerkrieg in Syrien im Nahen Osten zu finden, wird der Rückhalt der Bevölkerung benötigt. Welche politischen Parteien können in Europa die Stimmen der Benach- teiligten, der Demoralisierten und der Verlierer von Globalisierung, Di- gitalisierung und technologischem Wandel für sich gewinnen? Die politischen Führer müssen das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Politik wieder aufbauen. Sie müssen die Bedürfnisse der Men- schen erfüllen und nicht nur die Be- dürfnisse des „Establishments“. Vielleicht findet der neue amerikani- sche Präsident Weisheit in den Wor- ten Ciceros, der beim Schreiben von „Laelius“ einen Blick in die Zukunft bot und betonte, dass persönliche Treffen und die auf Argumenten ba- sierte Diskussion uns einander nä- herbringen. Wenn die europäisch- amerikanische Einheit weiterhin be- steht, dann können wir auch anderer Meinung sein, ohne dass sich unsere Weltordnung auflöst. Rufen wir uns, wenn wir an die US-Wahlen denken, Sir Winston Churchill ins Gedächtnis. Er sagte: „Man kann sich immer darauf ver- lassen, dass die Amerikaner das Richtige tun, nachdem sie alles an- dere ausprobiert haben.“ Dieses Jahr und bei dieser Wahl haben wir wirk- lich alles ausprobiert. Und nun rich- ten wir unseren Blick nach vorne. Wir dürfen die Hoffnung nicht ver- lieren. Denn wenn wir die Hoffnung verlieren, dann verlieren wir alles. Lassen Sie uns in die liberale Welt- ordnung und in unsere Fähigkeiten vertrauen, diese Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Professor James D. Bindenagel ist Botschafter a. D. der USA in Deutschland und Leiter des Center for International Security and Gover- nance. Der Text ist eine redaktionel- le Kurzfassung seines Vortrags bei den Landauer Akademiegesprächen am 8. Dezember 2016. James D. Bindenagel. (Foto: wiki) Hoffnung und Wechsel in Amerika Ex-US-Botschafter James D. Bindenagel über Trumps Welt I n dieser Ausgabe: Offene Grenzen und Vorzüge des Freihandels Die Angst vor dem Nichts und die Antwort der Populisten D PROTE TE Ausgabe 64 AUS DER EVANGELISCHEN AKADEMIE DER PFALZ 21. 5. 2017 X

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ie Wahl Donald Trumps be-deutet einen Stresstest fürdie amerikanische Demokra-

tie und deren Bindung an die ge-meinsamen Werte der transatlanti-schen Beziehungen. Trump hat sichauf clevere Weise Wählergruppen er-schlossen. Er perfektionierte seineFernsehauftritte und dominierte dieNachrichten über Twitter und mithaarsträubenden Aussagen, die Fern-sehquoten und Einnahmen in die Hö-he trieben. Er befeuerte die Unzu-friedenheit über das abnehmendeEinkommen der Mittelschicht undden Identitätsverlust und stachelte zuNonkonformismus an. Daneben wü-tete er gegen die Wall Street und dievermeintlich schwache Führungspo-sition Obamas in Kriegsfragen.

Die amerikanischen Wähler ha-ben mit der Wahl Donald Trumps dieGelegenheit verpasst, die ihren Be-schwerden zugrunde liegenden Ursa-chen der Globalisierung, Digitalisie-rung, des technologischen Wandelsund des Identitätsverlustes zu lösen.Die politischen Eliten haben es nichtgeschafft, die Auswirkungen diesertektonischen Verschiebungen zumeistern. Trump hat dieses Scheiternfür seinen Wahlkampf genutzt unddazu beigetragen, dass diese Ver-schiebungen zu Konflikten über Ge-schlecht, Rasse, Religion und Um-welt geführt haben.

Der gewählte Präsident muss nundie Zukunft der amerikanischen Po-litik gestalten. Die internationaleFührungsrolle Amerikas wurdedurch die Kandidatur von DonaldTrump beschädigt. Seine Ablehnungder Nato-Beistandsgarantie, sein Rufnach einer Neuverhandlung vonHandelsabkommen, seine Unterstüt-zung des Isolationismus, seine For-derung, keine Muslime ins Land zulassen, sein Plan des Baus einerMauer an der Grenze zu Mexiko sind

zutiefst verstörende Zeichen. Er istund bleibt eine störende Figur fürdie Führung der Vereinigten Staaten.

Für Trump wird es schwierigwerden, diese Positionen umzukeh-ren. Seine im Wahlkampf getätigtenAussagen haben die derzeitige Poli-tik bereits untergraben, wie zum Bei-spiel sein Vorschlag, die russischeAnnexion der Krim anzuerkennen.Russland, China und der Iran werdenalle Entscheidungen des neuen Präsi-denten genauestens beäugen. Tat-sächlich ist Trumps Wahl zum Präsi-denten der Stresstest für die Demo-kratie in den Vereinigten Staaten undfür das Ausland durch die amerikani-sche Außenpolitik.

Die liberale Weltordnung gründetauf der transatlantischen Partner-schaft. Diese Partnerschaft ist fürdas Andauern von Frieden undWohlstand im 21. Jahrhundert vonentscheidender Bedeutung. Bundes-kanzlerin Angela Merkel machte inihrer Gratulation an den neuen ame-

rikanischen Präsidenten deutlich,dass die derzeit stattfindende Auflö-sung der westlichen Weltordnungdurch die US-Wahl möglicherweisebeschleunigt wird. Nichtsdestotrotzbetonte sie die enge PartnerschaftDeutschlands mit Amerika durch ge-meinsame Werte wie Demokratie,Freiheit, Rechtsstaatlichkeit undAchtung der Menschenwürde. DiesePartnerschaft ist der Grundstein derdeutschen Außenpolitik und wird esauch bleiben, wenn Deutschland unddie USA gemeinsam die großen He-rausforderungen unserer Zeit wieTerrorismus, Klimawandel, Armut,Hunger, Krankheiten und die Inter-vention für Frieden und Sicherheit inAngriff nehmen. Dem neuen Präsi-denten bot sie eine enge Zusammen-arbeit an.

Deutschland hat begonnen, mehrinternationale Verantwortung zuübernehmen. Das deutsche Weiß-buch aus diesem Jahr hat einigeFortschritte gemacht und deutscheInteressen der deutschen Außenpoli-tik und eine „Führungsrolle“ derBundeswehr für Auslandseinsätzedefiniert. Die Ausformulierung derÜbernahme außen- und sicherheits-politischer Verantwortung in Allian-zen und Partnerschaften stellt einenWendepunkt der deutschen Sicher-heitspolitik dar.

Die liberale internationale Ord-nung mit ihrem Ansatz des prakti-schen Realismus, die mit den euro-päischen Partnern aufgebaut wurde,befindet sich in der Auflösung. UmLösungen für die Flüchtlingskrise,die territorialen Streitigkeiten imasiatisch-pazifischen Raum, denUkrainekonflikt auf europäischemTerritorium und den IS-Terrorismusund den Bürgerkrieg in Syrien imNahen Osten zu finden, wird derRückhalt der Bevölkerung benötigt.Welche politischen Parteien können

in Europa die Stimmen der Benach-teiligten, der Demoralisierten undder Verlierer von Globalisierung, Di-gitalisierung und technologischemWandel für sich gewinnen?

Die politischen Führer müssendas Vertrauen der Öffentlichkeit inihre Politik wieder aufbauen. Siemüssen die Bedürfnisse der Men-schen erfüllen und nicht nur die Be-dürfnisse des „Establishments“.Vielleicht findet der neue amerikani-sche Präsident Weisheit in den Wor-ten Ciceros, der beim Schreiben von„Laelius“ einen Blick in die Zukunftbot und betonte, dass persönlicheTreffen und die auf Argumenten ba-sierte Diskussion uns einander nä-herbringen. Wenn die europäisch-amerikanische Einheit weiterhin be-steht, dann können wir auch andererMeinung sein, ohne dass sich unsereWeltordnung auflöst.

Rufen wir uns, wenn wir an dieUS-Wahlen denken, Sir WinstonChurchill ins Gedächtnis. Er sagte:„Man kann sich immer darauf ver-lassen, dass die Amerikaner dasRichtige tun, nachdem sie alles an-dere ausprobiert haben.“ Dieses Jahrund bei dieser Wahl haben wir wirk-lich alles ausprobiert. Und nun rich-ten wir unseren Blick nach vorne.Wir dürfen die Hoffnung nicht ver-lieren. Denn wenn wir die Hoffnungverlieren, dann verlieren wir alles.Lassen Sie uns in die liberale Welt-ordnung und in unsere Fähigkeitenvertrauen, diese Herausforderungengemeinsam zu bewältigen.

„ Professor James D. Bindenagel istBotschafter a. D. der USA inDeutschland und Leiter des Centerfor International Security and Gover-nance. Der Text ist eine redaktionel-le Kurzfassung seines Vortrags beiden Landauer Akademiegesprächenam 8. Dezember 2016.James D. Bindenagel. (Foto: wiki)

Hoffnung und Wechsel in AmerikaEx-US-Botschafter James D. Bindenagel über Trumps Welt

In dieser Ausgabe:

Offene Grenzen und Vorzüge des Freihandels

Die Angst vor dem Nichts unddie Antwort der Populisten

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PROTE TEAusgabe 64

A U S D E R E V A N G E L I S C H E N A K A D E M I E D E R P F A L Z

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Luitpoldstrasse

Dennoch haftet dem Kommunikati-onswerkzeug der Ruf an, ein Mittelzur Unterstützung von Demokratisie-rungsprozessen zu sein. Bürgerkonnten sich mithilfe von SocialMedia plötzlich an einer repressivenRegierung vorbei orga-nisieren und miteinan-der in Kontakt treten.Wenn Berichte kriti-scher Journalisten nunihren Weg leichter andie Öffentlichkeit fin-den konnten, schienensich die Effekte der di-gitalen Revolution auchnachhaltig auf dieMacht undemokrati-scher Staaten und Pro-zesse auszuwirken.

Frühe Web-Theoretiker wie How -ard Rheingold prophezeiten, dass dasNetz die Welt zu einem besseren Ortund den Menschen zu einem besse-ren Wesen machen würde. DieseHoffnung hat sich nicht bewahrhei-tet, doch in mobilen Endgeräten wieSmartphones schien sich ein neuesutopisches Potenzial zu manifestie-ren. Und dann kam Donald Trump.

Die Nutzung von Social Media inWahlkämpfen ist nicht neu, und auchDonald Trump bedient sich dieserKommunikationskanäle. Ging es imArabischen Frühling jedoch vor al-lem um den Austausch mit Gleichge-sinnten, verfolgt Trump spätestensseit dem Wahlkampf ein anderes Zielmit seinen Tweets. Natürlich sollendie 140-Zeichen-Nachrichten auchseine mehr als 20 Millionen Follo-wer erreichen. Entscheidender fürderen Wirksamkeit ist jedoch, dasser einen anderen Diskursprozess ka-pert: den modernen Nachrichten zyk -lus der Print- und TV-Medien. Nichtzufällig feuert der aktuelle US-Präsi-dent seine 140-Zeichen-Salven mitVorliebe zwischen Mitternacht undden sehr frühen Morgenstunden ab:Diese Zeitwahl garantiert, dass dievon Trump gewählten Themen dieersten Nachrichtensendungen sowiedie Online-Präsenzen der großenUS-Zeitungen dominieren und mehrMenschen erreichen.

Diese Praxis funktioniert, weilTrump „Twitter“ anders nutzt als sei-ne Konkurrenten zuvor. Üblicher-weise werden Social-Media-Kanälezur Verstärkung der eigenen Bot-schaft herangezogen. Trumps Kam-pagne geht einen Schritt weiter. Hierwird „Twitter“ zur zentralen Ankün-digungsplattform. Nicht mehr diePressekonferenz mit ihrem vermeint-

Editorial Effekt und Hascherei

Akademiedirektor Christoph Picker.

Wenn nicht alles täuscht, stolpert dieWeltpolitik in eine Phase neuer Un-übersichtlichkeiten. Nicht zuletzt derKurs der Supermächte trägt dazu bei.Von den USA waren wir derlei langenicht gewohnt. Donald Trump er-nannte einen ausgemachten apoka-lyptischen Reiter zu seinem Sicher-heitsberater – und servierte ihn we-nig später kalt ab. „Nicht-Interventi-on“ wurde zur Leitlinie der amerika-nischen Außenpolitik erklärt. Aberschon vor Ablauf der 100-Tage-Fristwurde das angesichts des Einsatzesder sprengstärksten konventionellenBombe der Welt zur Makulatur. Se-riöse Prognosen scheinen angesichtssolcher Volten kaum möglich. Ent-sprechend stellt sich Europa auf sehrunterschiedliche Szenarien ein.

Intensiv wird über Sicherheitspo-litik diskutiert. Mehr Geld für Rüs-tung? Mehr deutsche Verantwortungfür Kampfeinsätze? Eine eigenstän-digere europäische Sicherheitspoli-tik? Vielleicht sogar eine nuklear be-waffnete EU? Das ist in den Debat-ten ein Top-Thema. Ist das richtigso? Wieder Frieden schaffen mit im-mer mehr Waffen? Über Handelspo-litik wird diskutiert, unter anderemüber die deutschen Exportüberschüs-se und die damit verbundenen Schul-den der anderen bei uns. Darüberwächst der Unmut, nicht nur bei eu-ropäischen Nachbarn, sondern auchin Amerika. Geht es uns zu gut – imVergleich und vielleicht auch aufKosten anderer? Und schließlich dasgroße gemeinsame Projekt der frei-heitlichen Demokratie. Deutschlandverdankt Amerika in dieser Hinsichtviel – und viel steht auf dem Spiel.

Gibt es eine besondere christli-che Perspektive auf die Weltpolitik?

Vielleicht zweierlei: Wer weiß, dassjedes Land „God’s Own Country“ist, kann nie ausschließlich die eige-nen nationalen Interessen verfolgen,sondern wird sich immer auch in diePerspektiven der anderen hineinver-setzen. Er wird eher zur Kooperationals zur Isolation oder gar zur Kon-frontation neigen. Das andere: Be-scheidenheit. Wenn Amerika großsein will, sollte zumindest klar sein,dass diese Größe an der SouveränitätGottes ihre Grenze hat. Und wennDeutschland ein „Anker der Hoff-nung“ für die Welt sein soll – soFrank-Walter Steinmeier bei seinerAmtseinführung –, dann sollte nichtvergessen werden, dass hier ein bib-lisches Motiv aufgegriffen wird:Gott ist der Anker der Hoffnung(Hebräer 6, 19). Der protestantischeBundespräsident weiß das.

Ihr

Hausmitteilung

Impressum

Wenn sich am Telefon künftig Katrin Jäger meldet, handelt es sich nichtum eine neue Mitarbeiterin. Katrin Diehl arbeitet schon lange bei uns. Seitihrer Hochzeit trägt sie den Nachnamen ihres Ehemanns. Wir gratulieren.Unser Studienleiter Felix Kirschbacher ist ebenfalls längst eingearbeitet.Die feierliche Einführung aber steht noch aus: am 28. Mai im Sonntags-gottesdienst in der Landauer Stiftskirche. Auch der Jugendpreis der Evan-gelischen Akademie bleibt der Jugendpreis der Evangelischen Akademie.2017 ist er jedoch erstmals mit der Nominierung für den Deutschen Enga-gement-Preis verbunden. Wirklich neu sind hingegen die beiden 17-jähri-gen Preisträgerinnen Hannah Bornemann und Fee Aurora Winkler.

Herausgeber: Evangelische Akademie der Pfalz, Luitpoldstr. 10, 76829Landau, Tel.: 0 63 41 / 9 68 90-30, Fax: 0 63 41 / 9 68 90-33,E-Mail: [email protected], Direktor: Dr. Christoph Picker

Redaktion: Dr. Christoph Picker und Dr. Martin SchuckVerlag: Verlagshaus Speyer GmbH, Beethovenstr. 4, 67346 Speyer,

Tel.: 0 62 32/2 49 26, Fax: 0 62 32/13 23-44 Zuschriften an den Verlag, Redaktion Protexte.

lichen Filter, den so oft geschmähtenJournalisten, sondern der scheinbarfilterlose, niedrigschwellige Mikro-bloggingdienst wird zum zentralenKommunikationsorgan. Die Vorteileliegen auf der Hand. Zum einen steht

dem Präsidenten einunmittelbares Mediumzu den Bürgern zurVerfügung; ein direkte-res, massenwirksamesAufeinandertreffen inrepräsentativen Demo-kratien ist kaum vor-stellbar. Zum anderenerzeugt die Nutzung ei-nes persönlichen „Twit-ter“-Accounts verläss-lich den Anschein von

Aktivität und Handlungsmacht.Wie schnell sich vermeintliche

Vor- in Nachteile wandeln, lässt sichbei Trump besonders gut beobach-ten. Vor allem, wenn man einen ver-breiteten Irrtum über „Twitter“ undandere Social Media auflöst: „Twit-ter“ ist kein Medium oder ein neutralzu betrachtender Kommunikations-kanal, genauso wenig wie die „Süd-deutsche Zeitung“ ein Medium ist.„Twitter“ ist ein knallhart wirtschaft-lich ausgerichtetes und operierendesUnternehmen und – im Gegensatz zuTageszeitungen – nicht im Geschäftder Informations- und Wahrheitsfin-dung unterwegs. Dem amerikani-schen Konzern ist es egal, ob Trump„Fake News“ oder „Hate Speech“verbreitet, solange die Nutzer desNetzwerks nicht deswegen „Twit-ter“, sondern höchstens Trump denRücken kehren. Die Befürworter de-mokratischer Werte können es hinge-gen nicht gleichgültig hinnehmen,wenn Trumps Lügen die Diskursho-heit für sich beanspruchen.

Der zweite Vorteil von Trumps„Twitter“-Nutzung scheint sich je-doch noch schneller ins Gegenteil zuverwandeln. Der beständige Stroman Drohungen, Versprechen und „al-ternativen Fakten“ muss zunehmendselbst für seine Unterstützer ver-zweifelt wirken, wenn sich die per-formierte Handlungsmacht fast aus-schließlich in gescheiterte Gesetzes-vorlagen, von Gerichten ausgesetzteAnordnungen und in sich zusam-menfallenden Ankündigungen über-setzt. Für Trumps Start in seine Prä-sidentschaft wie auch die überzoge-nen Erwartungen an die als Mediengetarnten Social-Media-Unterneh-men gilt das Gleiche: Es ist nicht al-les so great, great, great wie von vie-len erhofft. Felix Kirschbacher

„Twitter“ ist

ein knallhart

wirtschaftlich

ausgerichtetes

und operierendes

Unternehmen.

Soziale Medien wie „Twitter“ oder „Facebook“ waren nicht der alleinigeImpulsgeber des „Arabischen Frühlings“ 2011, doch ihr Einfluss ist nichtzu leugnen. Der damals entstandene Eindruck, dass etwa die Versamm-lungen auf dem Tahrir-Platz in Kairo ohne „Twitter“ nicht in einem sol-chen Ausmaß entstanden wären, ist mittlerweile relativiert worden. SMSund Mund-zu-Mund-Propaganda spielten eine bedeutendere Rolle.

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Hintergrund

n der ersten Runde der französi-schen Präsidentschaftswahlen ha-ben mehr als 40 Prozent der Wäh-

ler Parteien gewählt, die aus der EUund dem Euro raus wollen. Natürlichist die Freude bei den Börsen undEuropas Politikern nicht deshalbgroß, weil die Rechtsaußen MarineLe Pen und der Linksaußen Jean-LucMélenchon erfolgreich waren. Nein,die Freude ist so groß, weil „nur“ 40Prozent der Wähler für die Links-und Rechts-Nationalisten gestimmthaben. Das Aufatmen war auch des-halb so lautstark, weil man wegendem Brexit und der US-Wahlen denUmfragen für die Präsidentschafts-wahl nicht mehr so recht traute.

Doch warum suchen diese ganzunterschiedlichen politischen Bewe-gungen ihr Heil im Nationalen undin der Abschottung? Die Menschenverstehen die Zusammenhänge nichtund haben Angst vor Verlusten durchdie Veränderung. Deshalb sehen Siesich nach einer heilen Welt zurück,die es aber nie gegeben hat.

Diese Verlustängste sind törichtund widersprechen eklatant jeder Er-fahrung. Denn das Gegenteil ist rich-tig: Von international akzeptiertenRegeln und Organisationen wie denVereinten Nationen, der Welthan-delsorganisation WTO oder eben derEuropäischen Union (EU) profitierenalle, die daran teilnehmen. Sie ma-chen unsere Welt stabiler, planbarer,weniger krisenanfällig. Der Kuchenwird größer, sodass alle mehr be-kommen können. Das gilt in beson-derem Maße für den Freihandel. Erermöglicht es jeder Volkswirtschaft,sich auf das zu konzen-trieren, was sie beson-ders gut und besondersgünstig herzustellenvermag. Die Volkswirtesprechen von „kompa-rativen Vorteilen“.

Geradezu grotesknimmt sich vor diesemHintergrund das Ver-halten der britischenRegierung nach demBrexit aus: Das Verei-nigte Königreich verlässt den größ-ten Binnenmarkt der Welt undgleichzeitig erklärt die Premiermi-nisterin, das Heil ihres Landes liegein der Globalisierung. Die EU ist ge-lebte und geglückte Globalisierung!60 Prozent der britischen Exportegehen auf den Kontinent.

Miteinander eng verflochteneVolkswirtschaften benötigen für denmöglichst reibungslosen Austauschvon Waren, Dienstleistungen, Kapi-tal und Arbeitnehmern entsprechen-de Regeln. In der EU leisten dies ei-ne ganze Reihe von Verträgen undAbkommen. Die Gründungsakte desvereinten Europas, die RömischenVerträge, wurden erst vor wenigenTagen 50 Jahre alt. Die EU-Mit-gliedsstaaten haben so in vielenJahrzehnten den größten Binnen-

markt der Welt mit 500 MillionenMenschen gegründet; und unserenKontinent nach Jahrhunderten vonKonflikten und Kriegen befriedet!Eine Leistung, die zu Recht mit demFriedensnobelpreis geehrte wurde.

Nicht immer gehtwirtschaftliche und po-litische Integration da-bei so weit wie inEuropa. Geht es nur umden Austausch von Wa-ren und Dienstleistun-gen, schließen LänderFreihandelsverträge abund binden sich so aneine regelbasierte, ge-meinsame Ordnung. ImMoment befindet sich

gerade Ceta, das Freihandelsabkom-men zwischen der EU und Kanada,in der Ratifizierung. In der Öffent-lichkeit hat es aber keinen sehr gutenStand. Noch schlimmer ist der Rufvon TTIP, dem geplanten Freihan-delsabkommen zwischen der EU undden USA. Das Chlorhühnchen lässtgrüßen. Der 45. US-Präsident hatTTIP vorläufig gestoppt. Den Lin-ken-Politiker Gysi hatte das nach derWahl Trumps sogar dazu veranlasstfestzustellen, dass ihn immerhin daspositiv an dessen Wahl stimme.

Eine seltsame Koalition zeigtsich da. Aber sie ähnelt eben jenervon Le Pen und Mélenchon inFrankreich. Bei allen sonstigen Un-terschieden der Rechtsextremen unddes Linksextremen, in ihrer Ableh-nung von Freihandel sind sie sich ei-

nig: Er wird verantwortlich gemachtfür wirtschaftlichen Niedergang undden Verlust nationaler Identität.Auch die Proteste gegen TTIP undCeta in Deutschland zeigen, wie nahan diesem Punkt die Extreme beiei-nanderliegen. Oder wie es der fran-zösische Denker Jean de La Bruyèreausgedrückt hat: „Les extremes setouchent.“

Das Beispiel Deutschlands zeigt,dass diese von den Populisten aufge-stellte Gleichung verkehrt ist. UnserLand ist eine der offensten, das heißtam besten vernetzten Volkswirt-schaften weltweit. Zu unserem Scha-den ist das nicht. Im Gegenteil: Un-sere exportorientierte Industrie, bei-spielsweise der Maschinenbau, dieAutomobilhersteller oder die chemi-sche Industrie, sind die Grundlageunseres Wohlstands und auch unse-rer sozialen Sicherheit. Das gilt auchfür Rheinland-Pfalz. Die Exportquo-te liegt bei 55 Prozent. Das ist nachBaden-Württemberg deutschlandweitder zweithöchste Wert!

International erfolgreich sind da-bei nicht nur Großkonzerne, sondernauch viele kleine und mittlere Unter-nehmen, die in ihren Märkten oft-mals Weltmarktführer sind. Wir ha-ben in Deutschland zudem intakteWertschöpfungsketten, eine ausge-zeichnete Forschungslandschaft undmit dem dualen Ausbildungssystemdie beste Nachwuchsschmiede welt-weit. Wir haben ausgeglichene Haus-halte, die höchsten Erwerbstätigen-zahlen und die geringste Arbeitslo-

sigkeit seit Jahrzehnten. Und vor al-lem haben wir die soziale Marktwirt-schaft. Sie bietet mit ihren Sozial-versicherungen Schutz vor den exis-tenziellen Risiken Alter, Krankheitund Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig er-möglicht sie mit ihrem marktwirt-schaftlichen Ordnungsrahmen Wett-bewerb und Dynamik.

Mit Blick auf Frankreich und dieUSA lässt sich argumentieren, dasses nicht gut ist, wenn das Pendel zuweit Richtung Sozialstaat bezie-hungsweise Markt ausschlägt. ImFalle Frankreichs würgen ein über-bordender öffentlicher Dienst undein zu rigides Steuer- und Arbeits-recht die wirtschaftliche Dynamikab. In den USA geht gesellschaftli-cher Zusammenhalt verloren, wenndie Verlierer von Strukturwandel undtechnischem Fortschritt alleingelas-sen werden. Populisten machen sichbeides zunutze und präsentieren ihreeinfachen Lösungen: Abschottungund Nationalismus. Das wird nichtfunktionieren. Übrigens haben wireine ähnliche Entwicklung schonmal erlebt. Nach der großen Welt-wirtschaftskrise in den 1920er Jah-ren wendeten sich viele Volkswirt-schaften von der Globalisierung ab.Und schufen so den Nährboden fürden Zweiten Weltkrieg. Auch wennsich Geschichte niemals wiederholt,sollten wir uns dieses Muster ange-sichts der jüngsten Ereignisse inDeutschland, Europa und der Welt inErinnerung rufen und mutig für offe-ne Grenzen und Freihandel eintreten.

I

Für offene GrenzenWerner Simon über wirtschaftliche Vorzüge des Freihandels

Die Stimmen für Le Pen und Mélenchon in Frankreich, die Wahl Trumps in den USA und die Abstimmung derBriten für den Austritt aus der EU haben einen gemeinsamen Kern: die Ablehnung der internationalen Han-delsordnung, die Ablehnung von Freihandel, die Ablehnung internationaler und transnationaler Zusammenar-beit und Kooperation. Die beiden europäischen Wahlen sind zudem Absagen an die Europäische Integrationund die EU. Auch die Wahlerfolge der AfD bei uns haben dieselben Ursachen.

Beratungen über Europa (von links): Bundeskanzlerin Merkel begrüßt die britische Premierministerin May. (Foto: epd)

Viele kleine

und mittlere

Unternehmen

sind in ihren

Märkten oftmals

Weltmarktführer.

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eu ist, dass durch die Anonymitätdes Internets Grenzen des Sagba-ren verschoben worden sind und

dass das offen gesprochene Wort pol-ternder, mitunter von Wut berauschterMitbürger nicht mehr im kleinen, inti-men Stammtischkreis verbleibt. Hass-reden haben nie gekannte Breitenwir-kung durch soziale Medien erlangt, dieder eigenen Weltanschauungen alsPlattformen dienen. Dies bliebe unbe-anstandet, wäre es ein Gewinn für einerepräsentative Demokra-tie. Doch sind die Mel-dungen und MeinungenEinzelner im Internet stetstendenziöser Ausschnitt.Es fehlt die professionelleAufbereitung einschlägi-ger Medien gegen dasVorherrschen persönlicherAnsichten.

Dem fügt sich hinzu,dass die Wiederholung ei-nes Standpunkts verstärktum die Suggestion, dass viele Leutediesen Standpunkt teilen, andere abseh-bar dazu führen wird, an diesen einenStandpunkt zu glauben. Hinter der beiSoziologen als Gruppenpolarisierungbekannten Erscheinung verbirgt sich,dass Menschen, die in Gruppen mitei-nander gesprochen haben, danach zuextremeren Ansichten in der Tendenzdes anfänglichen Gruppenkonsensesneigen.

Noch vor 80 Jahren konnten hierzu-lande gegen den Staat gerichtete Aussa-gen lebensgefährlich sein. Heute kannin unserer rechtsstaatlichen Demokratienichts dergleichen geschehen, was alsErrungenschaft nicht hoch genug zuwerten ist. Da in den Kommentarspal-ten der Internetmedien und den sozia-len Netzen die Grenzen aber vielfachüberschritten werden, befinden wir unsin der paradoxen Situation, demokrati-sche Meinungsfreiheit vor dem zuschützen, was ungebremst und unbe-dacht in Worte gefasst wird.

Virtuell verbreitete Hassreden undFalschmeldungen sind sehr konkreteGefahren für Zusammenhalt und Si-cherheit einer Gesellschaft, wenn nichtgar die größte Herausforderung für De-mokratien im Internetzeitalter. Hassre-de birgt in sich das Phänomen, dass ei-nem vorhandenen Gedanken zu wider-sprechen sehr viel leichter ist, als einenneuen Gedanken zu entwickeln. Kantfand übrigens in dieser Differenz zwi-schen bloßem Widerspruch und geisti-ger Schöpfung das Kriterium des Ge-nies. Nicht zuletzt wegen diesem Über-hang an Widerspruch zu geistigerSchöpfung ist das Internet zu einemfruchtbaren Boden für die populisti-schen Vereinfacher geworden, denn inder eigenen „Ordnung“ zu stecken,heißt offenbar auch zu fahrlässigerKomplexitätsreduktion zu neigen. Ent-sprechend haben alle populistischenBewegungen auf „Facebook“ weitausmehr Fans als die etablierten Parteien.

Regierungen, die versuchen, sichHasssprache zu erwehren, laufen Ge-

fahr, Eiferer zu stärken, weil sich mehrMenschen bestärkt fühlen in ihrer An-sicht, sich nicht frei äußern zu dürfen.Redefreiheit ist der Sauerstoff ei -ner Demokratie, deren Beschränkunggleichsam jedes andere demokratischeRecht beschneidet. Repräsentative De-mokratien arbeiten freilich als fein-gliedrige Konstrukte, deren wichtigstesFundament das Vertrauen ist. Gewähl-ten Volksvertretern wird der Vertrau-ensvorschuss gewehrt, dass sie für die

eigenen und die gemein-schaftlichen Interessenkraft einer inneren Eigen-schaft einzutreten vermö-gen und diese im Rahmenrechtsstaatlicher Ordnungumsetzen. Indem jederEinzelne in einer Demo-kratie sein Wahlrecht aus-üben kann, beruht diesesVertrauen zugleich aufdem Eindruck, Kontrolleüber äußere Vorgänge zu

haben. Wird das Vertrauen durch Kri-sen beeinträchtigt oder gar durch einVersagen von Systemen zerstört, fehltjene entscheidende Basis der Demokra-tie, und es mag eintreten, was der Phi-losoph Schelling als die große Lebens-angst des Menschen benennt: nämlichnicht mehr Herr seiner selbst als ver-nünftiges Wesen zu sein. Ein System-versagen wie die Finanzkrise 2008kann als ein wesentlicher Treiber vonVertrauensverlust betrachtet werden,indem die Entscheidungsträger dieseKrise nicht nur herbeiführten, sondernsie nicht zu verhindern wussten. Wiekonnte es dazu kommen?

Es war der feste Glaube an die Seg-nungen des Neoliberalismus, also we-nig Staat und viel Markt, der in den1980er Jahren die Reagan-Administra-tion, gefolgt von PremierministerinThatcher, zu Deregulierungen im Ban-kensektor veranlasste. Neu geschaffeneFinanzinstrumente erwiesen sich in derFolge als einträgliche Gewinnquellenfür sämtliche Marktteilnehmer, nebenBanken und Hedgefonds auch fürVersiche rungen und Pensionsfonds.Gleichsam überhitzen diese Strömun-gen in nachfolgenden Dekaden, und diein ihren Auswirkungen inzwischen un-überschaubaren Finanzkonstrukte lös-ten durch die internationalen Verflech-tungen eine Finanzkrise aus, die einma-lig in der Nachkriegsgeschichte war.Die Unüberschaubarkeit der Finanzin-strumente, ebenso wie die weltweitenVerflechtungen nationaler Finanzmärk-te, machten es auch Fachleuten unmög-lich, die Krise vorauszusehen. Es han-delte sich deshalb um ein Systemversa-gen der kapitalistischen Marktordnung,die ein wesentlicher Bestandteil derwestlichen Nachkriegsordnung aus-macht.

Seitdem Steuerzahler für Manage-mentfehler hoch bezahlter Banker gera-destehen mussten, hat das Argument,der Markt soll entscheiden, an Glanzverloren. Zwar hätte der Auslesepro-zess in der Finanzkrise viele große

Banken in den Bankrott getrieben, diewegen ihrer Systemrelevanz nicht zu-sammenbrechen durften. Die Wut unddas Gefühl, dass Banker, die Milliardenversenkt haben, ungeschoren davonge-kommen sind, trugen jedoch erheblichzum Autoritätsverlust der Eliten bei.Mit der Zeit wird es möglich, dem Ver-trauensverlust durch neue Ordnungs-rahmen entgegenzuarbeiten, etwa in-dem dem Haftungsprinzip Geltung ver-schafft wird. Dennoch scheint plausi-bel, dass die Finanzkrise eine neue Äraeingeleitet hat, die, so der britische

Historiker Timothy Garton Ash, durchdrei größere Krisen gekennzeichnet ist:die Krise des Kapitalismus, die Kriseder Demokratie und das Projekt der eu-ropäischen Integration.

Ein tief greifender Vertrauensver-lust in den repräsentativen Demokratiender westlichen Welt liegt allen drei Kri-sen zugrunde, der durch Unübersicht-lichkeit zugleich eine Daseins-Angst imSinne Schellings befördert haben mag.Populisten sprechen davon, dass sie„im Namen des Volkes“ die Wahrheitsagen. Trumps „I am your voice!“ for-

muliert den populistischen Anspruchüber demokratischen Institutionen zustehen, legitimierten politischen Partei-en, Verfassungsgerichten, Parlamentenebenso wie dem Staatsoberhaupt. „DasVolk“ liegt dabei innerhalb klar defi-nierter Grenzen „normaler Menschen“oder „anständiger Leute“. In dieser dif-fusen Begrifflichkeit kann sich jederwiederfinden, es sei denn, er ist Mana-ger, Politiker, Muslim oder Geflüchte-ter, Mexikaner, Pole oder Kurde, umnur einige Gruppen ausgewiesener Sün-denböcke zu benennen. Abschottung ist

Gebot aller Populisten. Indem sie sichkonträr zu offenem, pluralistischemDenken verhalten und eine surreal ver-einfachte, überschaubare Welt zeich-nen, bedienen sie nicht zuletzt Ängste,verursacht durch die Unüberschaubar-keit der realen Welt.

Alle populistischen Parteien erpro-ben einen Aufstand gegen eine Moder-ne, die in den Augen ihrer Gegner zum„Ancien Régime“ der globalisiertenKlasse geworden ist. Getragen wird ervon jenen, die sich nicht dazugehörigfühlen oder nicht dazugehören wollen,

von jenen, die sich gegen das eigeneEstablishment oder fremde Strömungenvon außen abschirmen wollen. Rechts-sein ist Aufbegehren gegen die Arro-ganz und das Überlegenheitsgefühl, esist „wir da unten gegen die da oben“.

Anstatt Aufbruchstimmung ange-sichts endloser Möglichkeiten für denEinzelnen in der Globalisierung, anstatteinen gesunden Optimismus gegenüberVeränderungen in guter alter aufkläreri-scher Tradition zu pflegen, verbreitetsich diffuse Negativität,die vor allem bewirkt,dass zu begegnenden He-rausforderungen nicht miteinem gesunden Maß anBesorgnis gegenübergetre-ten wird, sondern mit demGefühl der Angst. Esherrscht Angst vor Aus-prägungen und möglichenFolgen der Globalisierungwie Massenmigration,Terrorismus, Wirtschafts-krisen, Umweltzerstörung oder Armut.Es herrscht Angst vor Arbeitsplatzver-lust durch technologischen Wandel. Deramerikanische Ex-Vizepräsident Jo Bi-den sagte in seiner Davoser Rede imvergangenen Jahr: „Wenn Menschenfühlen, dass ihnen ihre Chance auf eingutes Leben genommen worden ist,dann ist die unausweichliche menschli-che Reaktion Angst, Frustration undÄrger.“

Lohnt es nicht, dass Menschen ineiner repräsentativen Demokratie ihreÄngste überwinden? Sind Menschen inrechtsstaatlichen Gewaltenteilungengezwungen, Lebensformen zu beschrei-ten, die ihnen widerstreben? JederBlogger im Nahen Osten würde demvehement widersprechen. Zu beklagenist gleichwohl, dass Entscheidungsträ-ger diesseits und jenseits des Atlantikserst jetzt, nach Brexit und Trump, des-sen gewahr werden, dass die Ängsteder Menschen nicht zu übergehen, son-dern ernst zu nehmen und in der Tiefezu verstehen sind. Angst ist in Abgren-zung zur Furcht auf Unbestimmbaresgerichtet und vermag es dadurch, vieleEbenen zugleich zu durchdringen undmiteinander zu vermischen, ohne dassdies für die Betroffenen unmittelbarsichtbar wird. Dies zeigt sich etwa da-rin, dass Globalisierungsängste auchbei jenen Menschen anzutreffen sind,die kaum von deren Ausprägungen oderFolgen betroffen sind.

Anders in der klassischen grie-chischen Antike, als sich Menschen ineinen Kosmos eingebunden wähnten,der als sinnhaft empfunden wurde, istder Mensch in säkularer Zeit durch dieZentrierung des Ichs als alleiniger Be-zugspunkt in besonderer Weise gefor-dert. Philosophen wie Platon oder Aris-toteles begriffen die Welt als eine vomGuten getragene Ordnung. WährendFurcht vor Konkretem, Innerweltlichemthematisiert wird, kommt in der grie-chischen Antike eine unbestimmteAngst nicht in den Blick. Angst vor et-was, das nicht fassbar, nicht begreifbar

ist, gilt als unsinnig. In unserer Zeit ge-hören Ängste jedoch zum Leben. In-dem uns das Dasein keine Antwortengibt auf Existenzfragen, verwehrt unsdas Diesseits eine Orientierung.

Die „Condition Humain“ säkularerEpochen verursacht nicht Furcht vordem, was uns in der Zukunft bevorste-hen mag, denn darüber wissen wirnichts, sondern Angst, dass wir Bevor-stehendes nicht erfassen können. Es istnicht mehr die Furcht vor der Hölle,

sondern die Angst vordem Nichts. Lohnt es alsodoch nicht, Ängste mit äu-ßerster Kraftanstrengungzu überwinden? Der späteSchelling, der das Unbe-greifliche, das Irrationalein der Welt und im Men-schen entdeckt, stellt fest:„Weit entfernt, dass derMensch die Welt begreif-lich mache, ist er selbstdas Unbegreifliche.“

Humboldt hat in seinem humanisti-schen Bildungsideal die Eigenschaftendes Menschen in einerseits zufälligeund vorläufige und andererseits in we-sentliche und bleibende Merkmale un-terschieden. Verschiedenheit der Cha-rakterformen von Individuen, Klassenund Nationen war ihm ein notwendigerAusdruck der Vielfalt und der Entfal-tung der im Menschen selbst liegendenAnlagen und Möglichkeiten. Humboldtforderte, dass jeder Mensch alle Ver-hältnisse, in denen er sich befindet, aufsich einwirken lasse, um den auf die-sem Weg erhaltenen Stoff in Form, dieMannigfaltigkeit in Einheit zu verwan-deln. Je besser ihm dies gelänge, soHumboldt, „desto reicher, lebendiger,kraftvoller, fruchtbarer ist er“. In seiner„Theorie der Bildung des Menschen“war ihm die zentrale Aufgabe eines je-den, sich zu einer umfassend gebilde-ten, reichen Persönlichkeit zu vervoll-kommnen. Um dieser Aufgabe gewach-sen zu sein, erachtet er die Hilfestellun-gen durch die Gesellschaft, die Kulturund der allgemeinen Institutionen alsunabdingbar.

Vor dem Hintergrund, dass wederFlüchtlingselend noch die Klimakata-strophe oder der globale Terrorismusnational zu bewältigen sind, wäre dieBemühung um Humboldt’sches Bil-dungsideal kein Selbstzweck, sondernunbedingte Notwendigkeit in einer un-aufhaltsamen Globalisierung. Fort-schritt und Demokratie sind Königswe-ge, auf denen es sich den Ambivalen-zen der Moderne zu stellen gilt, demVerhältnis zwischen kollektiven Erfah-rungen und Zukunftsentwürfen und derErosion der leichten Erklärungen.

Der Mensch als denkendes Schilf-rohr ist biegsam, kann sich gleichsamverändern, und so sei der Frage nacheinem möglichen letzten Aufflackerndes Nationalismus mit einem Zitat ausMusils „Mann ohne Eigenschaften“ zuentgegnen: „Es kommt nicht auf denFehltritt an, sondern auf den nächstenSchritt nach diesem!“

Dokumentation

Durch Lachen die Angst vor den Populisten bannen: Ein Wagen auf dem Rosenmontagszug in Düsseldorf. (Foto: epd)

Die Angst vor dem Nichts und die Antwort der PopulistenWie der Vertrauensverlust in die westlichen Demokratien überwunden werden kannSpätestens mit der Wahl des Demagogen Donald Trump zum 45. Präsidentender USA, aber zuvor auch schon nach dem überraschenden Ausgang des Bre-xit-Referendums in Großbritannien, stellt sich die Frage nach den Ursachenfür Nationalismus inmitten robuster demokratischer Institutionen auf dasDringlichste. Zwar handelt es sich bei den Wählern der AfD in Deutschlandnoch um eine Minderheit, aber auch hier ist die Frage zu stellen, wie der in

atemberaubender Geschwindigkeit wachsende Zulauf zu ihr und anderen po-pulistischen Parteien zu erklären ist? Die Berliner Journalistin Heike Kreutz-Arnold wagte auf der am 9. Februar 2017 von der Evangelischen Akademieder Pfalz gemeinsam mit dem Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen veran-stalteten Tagung „Die neuen Wirren des Nationalismus“ eine Antwort, die wirin einer redaktionell gekürzten Fassung dokumentieren.

Der feste Glaube

an die Segnungen

des Neoliberalismus

führte zu

Deregulierungen

im Bankensektor.

Philosophen wie

Platon oder

Aristoteles begriffen

die Welt als eine

vom Guten getragene

Ordnung.

N

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Werkstatt

In einer hoch dynamischen und globalisierten Welt verändert sichauch das Verhältnis zwischen Gesell-schaft und Wirtschaft: Während vonUnternehmen früher lediglich erwar-tet wurde, bestimmte Produkte oderDienstleistungen bereitzustellen,wird heute gefordert, dass sie gesell-schaftliche Verantwortung überneh-men und zur Lösung von sozialenund ökologischen Problemen beitra-gen. Für Unternehmen sind dieseneuen Erwartungen relevant, da sieihre Existenzberechtigung darausziehen, einen Mehrwert für die Ge-sellschaft zu schaffen, den diese an-erkennt. CSR ist also eine Möglich-keit für Unternehmen, ihre Legitimi-tät in der Gesellschaft zu stärken.

In der Praxis wird CSR haupt-sächlich als freiwilliger Beitrag fürdie Gesellschaft über das Kernge-schäft eines Unternehmens hinausverstanden. Hierzu gehören zumBeispiel die Einsparung von Kohlen-dioxid, Abfallreduktion oder dasSponsoring von wohltätigen Initiati-ven oder Veranstaltungen. Obwohldies wertvolle Beiträge zum Ge-meinwohl sein können, reichen sol-che Aktivitäten nicht aus, um als Un-ternehmen die eigene gesellschaftli-che Verantwortung zu erfüllen. Wennein Unternehmen zum Beispiel aufder einen Seite wohltätige Zweckefinanziell unterstützt und sich alsverantwortlich präsentiert, auf deranderen Seite jedoch Geschäftedurch den Betrug von Kundenmacht, ist dies letztendlich eine mo-derne Form des Ablasshandels.

Anstatt sich also auf freiwilligegute Taten zu konzentrieren, solltenUnternehmen zuerst sicherstellen,dass sie Fehlverhalten, wie zum Bei-spiel Menschenrechtsverletzungen,Korruption oder Umweltbelastun-gen, vermeiden und sich an grundle-gende Spielregeln in der Gesell-schaft halten. Die Basis einer sinn-vollen CSR-Strategie besteht daherdarin, dass Unternehmen gewährleis-ten, in all ihren Aktivitäten und In-teraktionen verantwortungsbewusstund im Rahmen geltenden Rechtsund gesellschaftlicher Normen zuagieren. Erst wenn dies gegeben ist,kann sich ein Unternehmen als ver-antwortungsvoll bezeichnen. Lang-fristig führt regelkonformes Verhal-ten von Unternehmen dazu, dass ihreAkzeptanz in der Gesellschaft als le-gitimer wirtschaftlicher Akteur steigtund ihre Aktivitäten als Beitrag zumGemeinwohl anerkannt werden.

Während es zunächst fast banalerscheinen mag, den Kern von CSRan gesetzes- und normkonformesVerhalten zu knüpfen, ist die prakti-sche Umsetzung einer so verstande-nen Unternehmensverantwortung al-les andere als einfach. Durch Globa-lisierung und dadurch entstehendeneue Verflechtungen ist das Hand-lungsfeld für Unternehmen komple-xer geworden. Anders als früher, inden Grenzen des Nationalstaats, gibtes auf globaler Ebene kaum allge-meingültige Gesetze und Normen, andenen sich Unternehmen orientierenkönnen. Stattdessen umfassen Wert-schöpfungsketten oft viele verschie-

dene Länder mit einer Vielzahl vonGesetzen und kulturellen Werten.Vor allem von großen Unternehmenwird zudem erwartet, dass sie Ver-antwortung für ihre Zulieferer über-nehmen. Eine sinnvolle Verantwor-tungsübernahme im Kontext dieserHerausforderungen erfordert unter-nehmerische Strukturen, die das Un-ternehmen von der Führungsetagebis zum einzelnen Mitarbeiter in dieLage versetzen, im täglichen Betriebpotenzielle Probleme in komplexenund global verflochtenen Zusam-menhängen zu erkennen und verant-wortungsvoll damit umzugehen.

Um eine so verstandene CSR-Strategie praktisch umzusetzen,müssen bei allen Mitarbeitern einentsprechendes Bewusstsein und Fä-higkeiten aufgebaut werden. Abhän-gig von den bestehenden Strukturen,der Kultur und Werte im Unterneh-men, kann dies bedeuten, dass esgrundlegender Änderungen bei Ver-haltensweisen von Mitarbeitern be-darf und Mitarbeitern zudem zu ver-mitteln ist, warum und wie sie imAlltag anders agieren sollen. Ein sol-cher Bewusstseinswandel erfordertumfassende organisatorische Verän-derungsprozesse sowohl auf forma-ler als auch informeller Ebene. Aufformaler Ebene gibt es mehrereMöglichkeiten, Steuerungsmechanis-men einzuführen, die klare Struktu-ren zur regelmäßigen Bestandsauf-nahme und Nachsteuerung von un-ternehmensweiter Verantwortungs-übernahme schaffen. Hierzu gehörtzunächst die Kommunikation einer

Ehrbarer KaufmannVeränderungen statt ein paar guter Taten sind gefordertCorporate Social Responsibility (CSR), auch bekannt als gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen,unternehmerische Nachhaltigkeit oder ehrbarer Kaufmann, gewinnt in der öffentlichen Debatte zunehmend anBedeutung. Das Thema CSR umfasst dabei einen sehr weiten Bereich, da keine allgemein anerkannte Definitiondes Begriffs existiert. Also was genau ist CSR, und warum sollte man sich damit beschäftigen? Dieser Frageging unsere Autorin bei einer Veranstaltung der Jungen Akademie nach.

Unternehmensstrategie und Verhal-tenskodizes, die Verantwortungs-übernahme als wichtigen Wert imUnternehmen betonen. Mitarbeiter-schulungen und Vergütungssysteme,die verantwortungsvolles Verhaltenhonorieren, können helfen, auf indi-vidueller Ebene ein Bewusstsein fürVerantwortung zu schaffen und zubestärken. Außerdem können Risiko-management- und Regelüberwa-chungssysteme sowie interne Revi-sionen einen langfristigen Verände-rungsprozess hin zu mehr Verant-wortungsübernahme unterstützen.

Formale Steuerungsmechanismenallein reichen aber nicht aus, denndiese Strukturen müssen immer auchvon einer informellen Unterneh-menskultur unter den Mitarbeiterngestützt werden. Dies zeigt sich zumBeispiel, wenn formale unterneh-mensweite Verhaltenskodizes, dieverantwortungsvolle Handlungswei-sen vorschreiben, durch eine infor-melle Kultur mit unverantwortlichenVerhaltensweisen untergraben wer-den. Zu beachten ist, dass informelleVerhaltensweisen und Werte nur inGrenzen gezielt zu beeinflussen sindund zudem nur langfristig verändertwerden können. Hier ist vor allemdie Führungsebene eines Unterneh-mens gefordert, entsprechende Sig-nale zu senden und ihre Vorbildfunk-tion wahrzunehmen. Nur die lang-fristige und zuverlässige CSR-Selbstbindung eines Unternehmensist sowohl für Mitarbeiter als auchdie Allgemeinheit glaubhaft.

Wie eine sinnvolle CSR-Strate-gie, die entsprechenden Maßnahmenund Veränderungsprozesse eines Un-ternehmens aussehen können, hängtvom Geschäftsmodell, der Unterneh-mensgröße und individuellen Fakto-ren ab. Es bedarf einer detailliertenAnalyse des Unternehmens und sei-nes Umfelds, um eine solche Strate-gie zu entwickeln. Außerdem solltedieser Prozess unter enger Einbin-dung der Mitarbeiter stattfinden,denn letztendlich entscheiden Mitar-beiter im Rahmen ihrer täglichen Ar-beit darüber, ob und inwieweit Nor-men und Gesetze befolgt werden.

Aus den vorangegangenen Aus-führungen folgt, dass es für Unter-nehmen unerlässlich ist, sich mit ih-rer Verantwortung auseinanderzuset-zen, um die Akzeptanz und das Ver-trauen der Gesellschaft zu wahren.Um dies erfolgreich in der Praxisumzusetzen, sind nicht nur gute Ta-ten, sondern vor allem umfassendeVeränderungsprozesse zur langfristi-gen Entwicklung einer verantwor-tungsbewussten Unternehmenskulturgefordert. Julia-Marie Degenhardt

„ Die Autorin ist WissenschaftlicheMitarbeiterin an der UniversitätVechta. Ihre Ausführungen basierenauf einem Vortrag bei der Tagung„Kleider machen Leute – Leute ma-chen Kleider“ der Jungen Akademie.

Unternehmen sind auf Akzeptanz ihrer Umgebung angewiesen: Kirchturm vor der BASF. (Foto: Kunz)

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Menschen

„Aufgabe des Frank-Loeb-Institutsist es, mit Themen der Politikwissen-schaft in die Gesellschaft hineinzu-wirken. Zwar begreift sich die Uni-versität Landau insgesamt als eineUniversität in der Gesellschaft, aberdas Institut ist nochmal auf besonde-re Weise zum politikwissenschaftli-chen Transfer in die Gesellschaftaufgerufen, vor allem im Bereich derpolitischen Kommunikation“, be-schreibt Werner die Aufgabe des In-stituts. Ein Mittel, dieses zu leisten,sei neben verschiedenen Veranstal-tungsformaten eine Gastprofessurfür bekannte Persönlichkeiten desöffentlichen Lebens.

Zu Werners Aufgaben gehört es,mit den Kooperationspartnern desInstituts, etwa der EvangelischenAkademie und der FriedensakademieRheinland-Pfalz, neue Veranstal-tungsreihen zu planen. Dabei sei fürdas Frank-Loeb-Institut die Zusam-menarbeit mit der EvangelischenAkademie besonders interessant,weil bei den gemeinsamen Veranstal-tungen politikwissenschaftliche undethische Diskurse zusammenträfen,so Werner. Beispielhaft dafür seiendie Lan dauer Akademiegespräche,bei denen als dritter Kooperations-partner die Stadt Landau mit imBoot sei. Interessant seien auch dieKooperationen mit einigen Schulenam Ort. „Auch das ist eine Möglich-

keit, als Universität in die Stadt hi-neinzuwirken“, so Werner.

Als das Besondere an der Koope-ration mit der Evangelischen Akade-mie bewertet Werner die Möglich-keit, mit einem Publikum in Kontaktzu treten, das „noch mal anders inder Gesellschaft angesiedelt ist“. Esgäbe, so Werner, ein „Akademie-af-fines Publikum, das einen eigenenethisch-moralischen Blickwinkelmitbringt“. So sei der spannendsteAbend bei den letzten LandauerAkademiegesprächen derjenige ge-wesen, wo es um die Rolle der Reli-gion in den USA ging. Einer der Dis-kutanten warnte dabei, man sollesich nicht zu sicher sein, dass Do-nald Trump als Präsident scheitern

wird. Er könne sich vorstellen, dassTrump durchaus Chancen habe wie-dergewählt zu werden, weil vor al-lem die Evangelikalen seine Verspre-chen bis jetzt erfüllt sehen.

Angesprochen auf seine Sicht aufdie gesellschaftliche Rolle der Kir-chen, antwortet Timo Werner: „InZeiten der Verunsicherung solltendie Kirchen mehr Orientierung bie-ten, sozusagen Anker in einer unsi-cheren Welt sein.“ Auf genau dieseWeise versuche Papst Franziskusderzeit durchaus erfolgreich Punktezu machen, denn er habe verstanden,wie wichtig symbolisches Kapitalsei. „Der weiß genau, warum er einkleines Auto fährt und beim Besuchin Ägypten ungepanzert durchs Landfährt mit dem Hinweis, die Ägypterseien ja auch nicht gepanzert.“ DieWelt sei nun mal komplexer gewor-den, und die Menschen hätten Ver-trauen in die Institutionen verloren,und da müssten gerade die Kirchensich bemühen, glaubhaft zu sein undglaubwürdig zu handeln, so Werner.

Timo Werner kennt die USA seitseiner Studentenzeit in Washington.Angesprochen auf mögliche Verän-derungen der Lage nach dem Amts-antritt Donald Trumps, redet er zu-nächst über den entscheidenden Feh-ler der Demokraten bei der Kandida-tenkür. Gewundert habe ihn nämlich,dass diese nach dem Anti-Establish-

ment-Wahlkampf Barack Obamas je-manden aufgestellt hätten, der so-wohl zum Washington- als auch zumWall-Street-Establishment gehört:„Mehr Establishment als HillaryClinton geht nicht“, so Werner.

Zur politischen Kultur Amerikasgehöre es, dass viele politische Be-amte nach einem Präsidentenwechselaus der Administration zwar hinaus-gehen, aber in Washington bleibenund in Anwaltskanzleien oder Unter-nehmen anheuern. Nach der nächs-ten Wahl, so Werner, kämen diesedann aber mit dem neuen Präsiden-ten wieder in dessen Administrationzurück. Damit entstehe so etwas wieein institutionelles Gedächtnis.

Das habe sich jetzt mit Trumpgeändert: „Die einen wollen nichtmit Trump untergehen, die anderenkriegt er nicht durch den Kongress“,beschreibt Werner die Situation dervergangenen Monate. „Trump, der inder Politik unerfahren ist, sich je-doch in der Wirtschaft auskennt,müsste sagen: Ich hole mir Leute,die wissen, wie es läuft. Das machter aber nicht. Diesen Dilettantismus,vor allem bei der Besetzung des Na-tional Security Councils, hätte ichihm nicht zugetraut“, wundert sichWerner. Aber Trump habe nach wievor hohe Zustimmungsraten – jenach Institut bis zu 60 Prozent, unddeshalb hält Werner einen RücktrittTrumps, weil ihm irgendwann dieArbeit zu viel ist, für wahrscheinli-cher als ein Impeachment-Verfahren.

Insgesamt sieht Werner für Poli-tikwissenschaftler, die politischeProzesse nicht gestalten, sondern be-obachten und analysieren, „goldeneZeiten“. „Es ist ja nicht nur Trump,auch wenn man nach Frankreichschaut, tut sich mit En Marche undLe Pen einiges.“ Aber, so Werner:„Man beobachtet es nicht unbedingtmit Freude.“ Martin Schuck

Gute Zeiten für PolitologenTimo Werner über das Frank-Loeb-Institut und TrumpZu den Kooperationspartnern der Evangelischen Akademie gehört das Frank-Loeb-Institut. Es wurde vomLandauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli gegründet und versteht sich als ein zentrales Institut der Uni-versität Koblenz-Landau. Seit 20 Jahren hat es seinen Sitz im Frank-Loeb’schen Haus in der Landauer Innen-stadt. Geschäftsführer ist der 39-jährige Politologe Timo Werner, der in Regensburg und Washington studierteund bei Sarcinelli promoviert wurde. Im Gespräch mit den „Protexten“ berichtete er über seine Arbeit.

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Aus dem AkademieprogrammStand April 2017

28. Mai 2017, 10 Uhr, Stiftskirche, LandauGottesdienst mit Einführung von Felix KirschbacherDer wissenschaftliche Studienleiter Felix Kirschbacher wird im Gemeinde-gottesdienst der Stiftskirche eingeführt. Den Gottesdienst leitet PfarrerinGerlinde Wnuck-Schad, die Predigt hält Felix Kirschbacher.

1. Juni 2017, 20 Uhr, Casimirianum, NeustadtHitlers „Mein Kampf“: Die kritische Bearbeitung eines fürchterlichen PamphletsDer Historiker und Mitherausgeber Roman Töppel wird in seinem Vortragauf die Entstehung von „Mein Kampf“ und auf den Symbolwert eingehen,den das Buch zu Hitlers Lebzeiten hatte und Einblicke in die Arbeitsweisedes Herausgeber-Teams geben. In Kooperation mit der Evangelischen Akademikerschaft Pfalz-Saar e.V.

8. und 9. Juni 2017, Hambacher Schloss und Hotel Achat, NeustadtSüdwestdeutsche Medientage 2017: Medien und Politik in Zeiten des WahlkampfsWie frei, wie unabhängig und wie kritisch sind die Medien in Deutsch-land tatsächlich? Öffentlicher Auftakt im Hambacher Schloss, Übernach-tung und Tagung im Hotel. In Kooperation mit dem SWR2, dem SR unddem Frank-Loeb-Institut an der Universität Koblenz-Landau.

23. bis 25. Juni 2017, Martin-Butzer-Haus, Bad DürkheimJunge Akademie Wirtschaft: Controlling als Hüter unternehme -rischen Wissens. Traditionelle Aufgaben und neue Perspektiven Die traditionelle betriebswirtschaftliche Literatur betont Planungs-, Steue-rungs- und Kontrollaufgaben. Neue Perspektiven erforschen jedoch auchdie Wirkung von Anreizsystemen und das Verhältnis zwischen Control-ling und Unternehmensethik. Für Jugendliche und junge Erwachsene von15 bis 26 Jahren.

23. bis 25. Juni 2017, Lutherstadt WittenbergAuf getrennten Wegen in die Moderne? Luther und Ignatius als Gestalter des UmbruchsZum Reformationsjubiläum widmen wir uns dem Vergleich zwischenMartin Luther und Ignatius von Loyola. Auf der Wartburg hält Minister-präsident Bodo Ramelow die Tischrede. In Zusammenarbeit mit der Evan-gelischen Akademie Sachsen-Anhalt, der Deutschen Provinz der Jesuiten,der Universität Leipzig, der Philosophisch-Theologischen HochschuleSankt Georgen und der katholischen Akademie Rhein-Neckar.

27. Juni 2017, 14 bis 18 Uhr, Butenschoen-Haus, LandauBarrierefreiheit für die Seele: Expertenworkshop zur Entwicklung kommunaler HandlungsstrategienSeit einigen Jahren bearbeitet die Evangelische Akademie zusammen mitdem Pfalzklinikum Klingenmünster und anderen Partnern Fragen der In-klusion im Blick auf Menschen mit psychischen Behinderungen. Derzeitwerten Studierende der Universität Koblenz-Landau die Ergebnisse unse-rer Tagungen der letzten Jahre aus und systematisieren sie. In einer Ar-beitsgruppe entwickeln wir daraus nun kommunale Handlungsstrategien.Wie kann Inklusion vor Ort praktisch werden? Auf persönliche Einladung.

29. Juni 2017, 19 bis 20.45 Uhr, Heinrich Pesch Haus, LudwigshafenKrieg und Frieden – Von sich bekämpfenden Christenim Ersten Weltkrieg, Kriegen unter arabischen Muslimen und wie es anders gehen kann Wie war es in dieser historischen Situation möglich, dass sich Glaubens-brüder bis aufs Blut bekämpfen? Warum macht die Theologie das mit? Mit Andrea Hofmann, Theologin und Musikwissenschaftlerin, und ElhadiEssabah, Islam- und Religionswissenschaftler.

5. bis 11. Juli 2017, Studien- und Begegnungsreise Israel und Palästina Healing HatredDie Studienreise und im Anschluss die dritte Jahreskonferenz der Inter -national Association of Spiritual Care (IASC) gehen der Frage nach, wie zerrüttete Gesellschaften geheilt und Feindschaft und Uneinigkeit beseitigtwerden können.

2. September 2017, 10 Uhr, Butenschoen-Haus, LandauFeedback- und Perspektivworkshop „Protestanten ohne Protest“Die im April 2016 erschienene Veröffentlichung „Protestanten ohne Protest. Die evangelische Kirche der Pfalz im Nationalsozialismus“ erfuhreine beachtliche öffentliche Resonanz. Wir wollen bilanzieren und Impulsezur Weiterarbeit setzen.

27. September 2017, 19 Uhr, LudwigshafenThemenabend zu alevitischem und islamischem Religionsunterricht In Kooperation mit dem christlich-islamischen Gesprächskreis und demForum der Religionen Ludwigs hafen.

20. bis 22. Oktober 2017, Martin-Butzer-Haus, Bad DürkheimWas ist Wirtschaft?Der Workshop gibt einen Überblick über zentrale Theorien und Modelleder Wirtschaftswissenschaften. Dabei wird insbesondere die Notwendig-keit einer ethischen Perspektive auf wirtschaftliches Handeln diskutiert.Für Jugendliche und junge Erwachsene von 15 bis 26 Jahren.

6. und 7. November 2017, Heinrich Pesch Haus, LudwigshafenMedienethik – Haltungen und Perspektiven im Zusammenspiel von jungen Menschen und MedienEine gemeinsame Veranstaltung der Evangelischen Akademie der Pfalzund des Erziehungswissenschaftlichen Fort- und Weiterbildungsinstitutsder Evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz.Für Medienpädagogen in der Erwachsenen- und Jugendbildung, Studierende, interessierte Erwachsene, Lehrkräfte und Schulleiter.

7. November 2017, 19 Uhr, Stadtbibliothek, Ludwigshafen-MundenheimUsbekistan – Geschichten entlang der Seidenstraße. Lesung und Vortrag mit Oybek OstanovUm kaum ein anderes Land ranken sich so viele Mythen und Legendenwie um Usbekistan, das Land im Herzen Zentralasiens. Doch 70 Jahre Sozialismus und heutige Moderne kontrastieren islamische Traditionen.Die Kriege und Konflikte in Afghanistan und Pakistan, die totalitären Regime in den umliegenden ehemaligen Sowjetrepubliken veranlassenkontinuierliche Fluchtbewegungen.

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